Der Hype um die Qualitätsserie

Von Philipp Mang

Das traditionelle Fernsehen stirbt. So lautet die düstere Prognose vieler Medienexperten. Die Zukunft der Branche liege stattdessen zunehmend bei Video-On-Demand Dienstleistern wie Netflix oder Amazon Prime. Hier kann der Rezipient aus einem breiten Angebot von Filmen und Serien auswählen und diese anschließend über das Internet streamen – ganz egal wann, wo und wie oft er will. Ein Format, das von dieser Entwicklung profitiert, ist die so genannte Qualitätsserie. Diese erlebt in den letzten Jahren so etwas wie ein goldenes Zeitalter. Ob Game of Thrones, True Detective oder House of Cards – die Liste der High Quality Serien ist lang. Fans anspruchsvoller Fernsehunterhaltung kommen damit voll auf ihre Kosten. Viele von ihnen zählen auch The Walking Dead zum erlesenen Kreis dieser Qualitätsserien, aber ist eine solche Sichtweise wirklich gerechtfertigt?

Quality TV: Was ist das?

3Zur angemessenen Beantwortung dieser Frage ist es zunächst einmal wichtig, den Begriff des Quality TV näher zu definieren. Dieser steht stellvertretend für einen speziellen Typus Serie, der seit Anfang der 90er Jahre auf den amerikanischen Serienmarkt drängt und sich an ein anspruchsvolles, medienkompetentes Publikum richtet. Qualitätsserien werden häufig mit filmähnlichem Aufwand produziert. Sie erzählen keine abgeschlossenen Geschichten, sondern erinnern mit ihren großen Erzählbögen eher an komplexe Romane. Dadurch eignen sich die Stoffe jedoch keinesfalls zur „Nebenbei-Berieselung“ – immer wieder gibt es überraschende Wendungen und Querverweise. Wer einmal mit den ungewöhnlichen Formaten begonnen hat, kann so schnell nicht mehr damit aufhören. Zuschauer greifen deshalb immer häufiger zum so genannten Binge-Watching. Hierbei handelt es sich um ein noch junges Rezeptionsphänomen, bei dem mehrere Folgen einer Serie direkt hintereinander angeschaut werden.

Ein ungewöhnlicher Genre-Mix

Neben dem Publikum hat jedoch auch die Wissenschaft das Serienfieber gepackt. Bereits in den 90er Jahren formulierte der Medienwissenschaftler Robert J. Thompson zwölf Kriterien, wodurch sich Quality TV üblicherweise auszeichnet. Einige davon sollen nun im Folgenden exemplarisch auf TWD angewendet werden: Zu aller erst handelt es sich bei der Zombieserie um hochgradig ungewöhnliches Fernsehen – und das liegt nicht nur an den bereits erwähnten moralischen Kontroversen. Tatsächlich werden hier existierende Genremuster fast beliebig miteinander kombiniert. So finden sich in dem Format nicht nur Elemente des Horror- bzw. Zombiefilms, sondern auch Merkmale des Dramas (Schicksalsschläge, Schwangerschaften & Beziehungsdreiecke). Nicht zu vergessen sind außerdem die zahlreichen Anspielungen auf den Western-Film, die vor allem zu Beginn der Serie häufiger anklingen – etwa wenn Rick auf einem Pferd über die leergefegten Highways von Atlanta reitet. Darüber hinaus zeichnet sich TWD durch ein ungewöhnliches Erzähltempo aus. Während die Handlung in manchen Folgen kaum nennenswert vorangetrieben wird, überschlagen sich die Ereignisse an anderer Stelle geradezu.

Figuren mit Gedächtnis

Ein weiteres charakteristisches Merkmal moderner Qualitätsserien sind große Figurenensembles. So setzt sich beispielsweise auch der Hauptcast von TWD derzeit aus fast zwanzig Charakteren zusammen. Diese stammen aus zum Teil sehr unterschiedlichen sozialen Milieus, ethnischen Gruppen oder Altersklassen. Viele von ihnen – und auch das ist typisch für Quality TV – machen im Verlauf der Serie eine gravierende Veränderung durch. Der Zuschauer erlebt die Ereignisse dabei anfänglich vor allem aus Ricks Perspektive. Es sind die Augen des Deputys, durch die man den Horror der Apokalypse zum ersten Mal wahrnimmt. Nach und nach bricht die Serie jedoch mit diesem eindimensionalen Erzählstil und rückt vermehrt auch andere Charaktere in den Mittelpunkt. In späteren Staffeln finden sich schließlich ganze Folgen, die mit multiplen Erzählsträngen arbeiten. Hier wird zumeist in einer Parallelmontage zwischen verschiedenen Schauplätzen hin und her geschnitten, um den Zuschauer in Atem zu halten.

Hang zum Realismus

Laut Thompson versuchen Qualitätsserien außerdem ein möglichst ungeschminktes Bild des sozialen Alltags der Figuren zu zeichnen. Eine solche Tendenz lässt sich durchaus auch in TWD erkennen. Hierfür bedienen sich die Produzenten einiger kinematografischer Tricks: So wird die Serie etwa auf grobkörnigem 16 mm Filmmaterial gedreht und die Farben in der Nachbearbeitung digital entsättigt. Auf diese Weise erhält das Zombie-Gemetzel einen realistischen Look, der die Hoffnungslosigkeit in der Apokalypse perfekt unterstreicht. Des Weiteren unterliegt die musikalische Untermalung gewissermaßen dem Motto „weniger ist mehr“. Statt eines dominanten Soundtracks setzt die Serie vielmehr auf beinahe erdrückende Passagen von Stille und lauten Geräuschen. Gewalt wird niemals beschönigt, sondern so inszeniert, wie sie ist: grausam und blutig. Das so entstehende Gefühl der Bedrohung wird schließlich noch einmal zusätzlich unterstrichen, indem die Drehbuchautoren nicht davor zurückschrecken, auch beliebte Charaktere das Zeitliche segnen zu lassen.

TWD – ein Paradebeispiel einer Qualitätsserie?

Abschließend soll jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass TWD nicht alle der zwölf Kriterien von Thompson uneingeschränkt erfüllen kann. So hat die Zombieserie weder mit ernsthaften Quotenproblemen, noch mit dem Widerstand des Mainstream-Publikums zu kämpfen. Außerdem richtet sie sich nicht ausschließlich an ein gehobenes Publikum, sondern vielmehr an die breite Masse der Gesellschaft. Dennoch scheint es durchaus gerechtfertigt, TWD als ein Produkt des High Quality TV zu bezeichnen. Die dystopische Horrorserie verbindet sowohl verschiedene Figuren- als auch unterschiedliche Genre-Typen. Damit schafft sie vielfältige Identifikations- und Anknüpfungspunkte für den Zuschauer. Dies kann möglicherweise als weiterer Erklärungsansatz für die große Popularität der Serie dienen. Ob TWD damit aber wirklich eine höhere Qualität aufweist, als andere Formate, kann letztlich jeder Zuschauer nur für sich selbst beantworten.

Fotos: flickr.com/Daniel Sempértegui (CC BY-NC-ND 2.0), flickr.com/Shardayyy (CC BY 2.0)


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