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Keiner für alle(s) – Videostreaming im Wandel

Von Fabian Donath

Videostreaming-Dienste, wie etwa Netflix oder Amazon Prime, gibt es nicht erst seit gestern und doch ist der Kampf um die Gunst der Zuschauer*innen in vollem Gange. Immer mehr Services drängen auf den Markt, in der Hoffnung auf ein Stück vom Kuchen. Doch womit versuchen die Dienste bei wem zu punkten und was für Folgen hat eine zunehmend fragmentierte Streaminglandschaft?

Am 12. November 2019 war es soweit, als mit Disney+ ein weiterer mit Spannung erwarteter Streamingdienst in den USA startete – und das mit großem Erfolg. Bereits im April konnte er nach eigenen Angaben mehr als 50 Millionen Abonnent*innen verzeichnen. Dieses Ergebnis ist unter anderem der Beachtung von Kindern als einer wichtigen Zielgruppe geschuldet. 

Denn vor dem Hintergrund der Vielzahl an Videostreaming-Diensten wird die Branche zunehmend kompetitiver, wodurch neue Services nach Alleinstellungsmerkmalen suchen.

Alter und Finanzierungsmodell als Zielgruppenfaktoren

Auch Netflix fokussiert sich darauf, eine bestimmte Altersgruppe anzusprechen. Laut einer Analyse von „Quantcast“ sind überdurchschnittlich viele, die online nach Netflix suchen, zwischen 20 und 29 Jahren alt (oder jünger) und haben ein Einkommen von maximal 1000€ monatlich. Das Alter der Nutzer*innen spiegelt sich auch in den Inhalten auf Netflix wider, welche häufig auf ein junges Publikum abzielen. Netflix zieht mit seinem Angebot an Serien und Filmen also insbesondere Millennials ohne große finanzielle Ressourcen an. 

Aus Sicht der Finanzierung gehen die Dienste teils sehr verschiedene Wege für verschiedene Zielgruppen. Apple TV+ etwa ist tief ins Apple-Ökosystem integriert, da die App nur auf Apple-Geräten zur Verfügung steht und die Browser-Version stark zu wünschen übriglässt. Für einen begrenzten Zeitraum erhalten Nutzer*innen beim Kauf bestimmter Apple-Geräte zudem das Abonnement von 4,99€ pro Monat für ein Jahr geschenkt. Apple TV+ ist also für viele praktisch umsonst, was zeigt, dass es Apple mit seinem Dienst momentan nicht primär um die Einfuhr von Gewinnen zu gehen scheint. Stattdessen steht die Bindung von Nutzer*innen an Apple-Geräte im Fokus. Durch verschiedene Abos für Unterhaltungsmedien, wie etwa Filmen/Serien (Apple TV+), Musik (Apple Music), Spiele (Apple Arcade) und weiteren, werden Nutzer*innen aufgrund der perfekten Integration dieser in das Apple-Ökosystem langfristig an die Hard- und Software gebunden und damit gute Verkaufszahlen gesichert. Apple zielt mit seinem Angebot also primär auf seine treue Gefolgschaft ab und solche, die ein Teil davon werden wollen.

Andere Streamingdienste, wie etwa Joyn, fahren zweigleisig was ihre Finanzierungsstrategie betrifft. So bieten diese eine kostenlose werbefinanzierte als auch eine kostenpflichtige Version ihres Services an. Damit sprechen sie unter anderem Zielgruppen an, welche nicht für einen (weiteren) Streamingdienst zahlen wollen oder können. Denn Umfragen zeigen, dass Zuschauer*innen Werbung absolut nicht ausstehen können, jedoch die Meisten noch weniger gerne Geld ausgeben. Vor dem Hintergrund der Content-Fragmentierung auf viele verschiedene Abos, könnten solche (teilweise) kostenlosen Services also zunehmend erfolgreicher werden.

Film-/Serienfans und Nutzer linearen TVs als Zielgruppen

Eine weitere Möglichkeit der Abgrenzung von der Konkurrenz besteht im Hinblick auf die Fokussierung auf Filme oder Serien. Laut US-Daten des Junis 2020 der Streaming-Suchmaschine „Reelgood“ bietet beispielsweise Amazons Prime Video 12.828 Filme an, während es auf Netflix gerade einmal 3781 sind. Hingegen sind auf Netflix 1940 Serien zu finden, das sind zwar 280 weniger als auf Prime Video, dafür sind Netflix-Serien durchschnittlich aber von höherer Qualität. Insbesondere die eigens produzierten „Netflix Originals“ wie etwa „House of Cards“ oder „Stranger Things“ wurden vielfach ausgezeichnet. Es lässt sich also sagen, dass Prime Video mehr auf Filme-Liebhaber*innen zugeschnitten ist, während Netflix Serien-Fans als primäre Zielgruppe auserkoren hat.

Der zuvor bereits erwähnte Dienst Joyn zeichnet sich durch die starke Bindung an das lineare Fernsehen aus. Dort können ausgewählte Inhalte von ProSieben, Sat. 1, Kabel Eins, DMAX und vieler weiterer Sender angesehen werden. Auch Live-TV der entsprechenden Sender ist integriert. Damit fokussiert sich Joyn insbesondere auf Nutzer*innen, welche noch viel traditionelles Fernsehen konsumieren. Dies spiegelt sich auch in der „Quantcast“-Analyse wider, nach welcher an Joyn interessierte Nutzer*innen zum Beispiel auch nach Begriffen, wie Sat. 1, ProSieben, Zattoo und Maxdome, suchten.

Während schon in Deutschland ein vielfältiges Angebot an Streaming-Services besteht, so überflügeln die USA uns dabei noch deutlich. Dort existieren inzwischen über 300 Dienste (laut Kevin Wescott von „Deloitte“). Auch wenn der Großteil dieser eher weniger Popularität erfährt, so verdeutlicht diese Zahl die Fragmentierung des Marktes. Die Auswirkungen einer solchen Fragmentierung sind vielfältig.

Folgen eines fragmentierten Streamingmarkts

Ein positiver Aspekt besteht darin, dass Konsument*innen von den vielen verschiedenen Eigenproduktionen profitieren, in welche die Dienste im Rahmen des harten Wettkampfes immer massiver investieren. So wird Netflix laut dem Wall Street-Unternehmen „BMO Capital Markets“ in 2020 etwa 17,3 Milliarden US-Dollar für Eigenproduktionen ausgeben – das stellt eine Zunahme von etwa 2 Milliarden US Dollar im Vergleich zu 2019 dar. Nutzer*innen werden damit in einem beispiellosen Umfang mit neuen Inhalten versorgt.

Disneys Bestreben eigene Inhalte exklusiv bei Disney+ anzubieten stieß auf viel Kritik. Bildquelle: Unsplash

Die ansteigende Zahl an Streamingdiensten beinhaltet jedoch auch entscheidende Nachteile. So müssen Nutzer*innen immer mehr verschiedene Dienste abonniert haben, um eine breite Auswahl an Serien & Filmen konsumieren zu können. Dies zeigt sich beispielsweise bei Disney+. Mit Ablauf der jeweiligen Lizenzverträge werden sehr viele Disney-Inhalte von etwa Netflix abgezogen, um diese exklusiv auf Disney+ anzubieten. Zudem produzieren die meisten großen Streamingdienste selbst hochqualitative Inhalte für ihre Plattformen, oft als sogenannte „Originals“ bezeichnet. Wer Zugriff auf den besten Content haben will, kommt also nicht mehr umhin, mehrere Abos abzuschließen was schnell sehr teuer werden kann.

Viele verschiedene Dienste abonnieren zu müssen belastet nicht nur den Geldbeutel merklich, sondern wirkt sich auch negativ auf die Bedienung aus. So müssen Nutzer*innen nun genau wissen, auf welchem der vielen Services sich etwa der gewünschte Film befindet. Vor dem Hintergrund des stetig wechselnden Angebots und dem Umstand, dass Inhalte öfters die Plattform wechseln, kann es ziemlich nervenaufreibend sein herauszufinden, welchen Content man sich wo ansehen kann. Zudem nutzen die verschiedenen Dienste unterschiedliche Organisationssysteme, um Filme und Serien in der jeweiligen App strukturiert darzustellen. Videostreaming ist für den Durchschnittskonsumenten also um einiges unübersichtlicher geworden.

Die Verteilung der Inhalte über viele verschiedene Plattformen fördert unter Umständen sogar Raubkopien, denn die eben beschriebenen finanziellen und bedienungsbedingten Schwierigkeiten einer fragmentierten Streaminglandschaft frustrieren viele Nutzer*innen. Eine Branche, die lange gebraucht hat, um durch Streaming eine legale Alternative zu Raubkopien aufzubauen, läuft nun also Gefahr, die Entwicklung umzukehren.

Wie geht‘s weiter?

Die schlussendliche Frage ist, für wie viele Dienste Kund*innen auf lange Sicht bereit sein werden zu zahlen. Auch wenn laut einem „Nielsen Total Audience Report“ vom Februar 2020 momentan noch der eindeutige Großteil der US-Amerikaner*innen entweder seine bestehenden Streaming-Abos behalten oder sogar neue zusätzlich abonnieren wird, so wird sich dies wahrscheinlich bald ändern. Schon 2019 hatten 24% der TV-Streaming-Nutzenden einer „Hub Research“-Befragung zufolge das Gefühl, zu viele TV-Streaming-Abos zu haben – das sind 14 % mehr als im Jahr zuvor. Laut dem „Nielsen-Report“ sind die Kosten mit 84% der befragten US- Amerikaner*innen das wichtigste Merkmal eines Streaming-Dienstes und der Konkurrenzkampf übt Druck auf die Preise aus. All diese Faktoren können insbesondere neuen Diensten zusetzen. Es werden nicht alle Streamingdienste auf lange Sicht erfolgreich sein können, daher braucht es unter anderem neue Konzepte, um Abonnent*innen anzuziehen.

Eine mögliche Reaktion der Branche auf die fragmentierte Streaminglandschaft könnte in einer Bündelung von Streamingdiensten bestehen, womit einige wenige Anbieter in den USA bereits experimentieren. Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass es in Zukunft einige Angebote geben wird, bei denen mehrere Dienste unter einem Abo vereint werden zu einem niedrigeren Preis im Vergleich zum Kauf separater Abonnements für jeden der beinhalteten Dienste. Wenn die Inhalte bei diesem Modell jedoch auf den jeweiligen Plattformen verbleiben und nicht zusammengeführt werden, dann sind bedienungsbedingte Komplikation, wie etwa extra Watchlists bei jedem der entsprechenden Services, weiterhin ein Problem für die Nutzungsfreundlichkeit. In Zukunft könnten solche Angebote jedoch Kund*innen anziehen, die finanziell bedingt nicht mehr bereit sind, mehrere Services auf einmal zu abonnieren. 

Eine Branche vor Herausforderungen

Zurzeit noch können die meisten Plattformen, beispielsweise durch die Fokussierung auf eine gewisse Zielgruppe, eine ansehnliche Nutzendenzahl aufbauen. Wenn die Anzahl an professionellen Streamingdiensten aber weiter zunimmt, dann werden verschiedene Auswirkungen die Dienste und Kunden vor Herausforderungen stellen, von denen manche schon jetzt zu spüren sind. Insbesondere die Frage, für wie viele Abos Kund*innen schlussendlich bereit sein werden zu zahlen, wird von besonderer Bedeutung für das weitere Wachstum der Branche sein. Eines ist jedoch sicher: Die Zeiten, in denen man nur ein Abo benötigte, um mitreden zu können, sind vorbei.