Darstellungen von häuslicher Gewalt
Was die Netflixserie „Maid“ dem deutschen Fernsehen voraus hat
Von Francesca Billmaier & Stephanie Schachel
Jeden Tag die Toiletten in wunderschönen Häusern für einen Hungerlohn schrubben und das bis zur Erschöpfung. Trotzdem die Ungewissheit, ob es für ein warmes Essen für’s Kind am nächsten Tag reicht. Leben am Rande einer Gesellschaft. Die Netflixserie Maid erzählt genau eine dieser Geschichten.
*Triggerwarnung: In diesem Artikel geht es um psychische und körperliche Gewalt an Frauen.
Eine junge Frau Anfang zwanzig sitzt mit ihrer kleinen Tochter auf dem Schoß beim Sozialamt. Ihre Haare sind in einem langen Zopf zusammengebunden, ihr Blick ist müde und erschöpft. “Alex Russell!” wird in den Warteraum gerufen, sie nimmt ihre Tochter auf den Arm und steht auf. Die Sozialarbeiterin, mit modernem Kurzhaarschnitt und auffällig großer Brille, nimmt die beiden an ihrem Tisch in Empfang. Alex fühlt sich sichtlich unwohl und ist überfordert mit dem Fragenhagel der Sozialarbeiterin. Warum ist sie hier? Ist sie Opfer häuslicher Gewalt? Haben die beiden noch ein Zuhause? Alex erklärt, dass der Vater ihrer Tochter oft betrunken nach Hause kommt und aggressiv gegenüber ihr und ihrer Tochter wird, was ihr immer mehr Angst einjagt.
„Did you file a police report?“ – „And say what? That he didn’t hit me?“
Ähnliche Fragen wurden wohl der US-Amerikanerin Stephanie Land gestellt, die in der Vorlage für die Serie, ihrem Bestseller-Roman Maid. Hard Work, Low Pay and a Mothers Will to Survive, ihren Weg aus aus einer toxischen Beziehung und der Abhängigkeit von ihrem Partner beschreibt. 2021 verfilmte Netflix den Roman dann in Eigenproduktion als zehnteilige Miniserie. Bereits wenige Tage nach der Veröffentlichung wird die Serie rekordverdächtig oft gestreamt und auf den sozialen Plattformen gefeiert. Nicht nur renommierte Wochenzeitungen, auch die Klatschpresse und feministische Veröffentlichungen schreiben über Maid. Der Tenor ist klar: Die Serie schafft es, die Geschichte einer jungen Frau auf eine imponierende Weise zu erzählen. Die lebensnahe und authentische Darstellung vom Leiden der Protagonistin wird über die Maße von Kritiker*innen gelobt.
Auch Prof. Dr. Christine Linke, Professorin an der Hochschule Wismar, lobt den sensiblen Umgang der Serie mit dem Thema häusliche Gewalt. Zuletzt veröffentlichte die Professorin im November 2021, gemeinsam mit Ruth Kasdorf, eine Studie zu Darstellungen geschlechtsspezifischer Gewalt im deutschen Fernsehen. Die Studie zeigt, dass geschlechtsspezifische Gewalt überdurchschnittlich häufig als sexualisierte oder körperliche Gewalt dargestellt wird. Ein Paradebeispiel hierfür ist der in Deutschland heißgeliebte Tatort am Abend. Linke befürchtet, dass, durch die Überbetonung von schweren Taten, diese dann auch wieder normalisiert würden, was ein Problem darstelle. Der Fokus auf „alltäglicheren“ Formen häuslicher Gewalt würde fehlen.
Eine solche Normalisierung von schwerer Gewalt führte dazu, dass die befragen Studentinnen der Studie im Dialog über die Serie Maid automatisch Formen von Gewalt hierarchisieren. Emotionale, finanzielle und psychische Gewalt werden physischer Gewalt nachgestellt. „[Maid ist eine] milde Version von häuslicher Gewalt“, heißt es zum Beispiel. „Weder Mutter noch Tochter müssen sexuelle Gewalt erfahren“, sagt eine Zwanzigjährige, nachdem sie einige Szenen der Serie gesehen hat. Im Gespräch wirft eine weitere Teilnehmerin ein: „Wichtig ist, nicht immer nur die Extremformen zu zeigen, sondern schon anfängliche Dynamiken aufzuzeigen und darüber zu sprechen.” Der emotionale Missbrauch, der in der Serie dargestellt wird, wird also ganz klar nicht als Extremform gewertet. Linkes Erklärung für diese Wahrnehmung lautet: „Selten werden wir mit Repräsentation von häuslicher Gewalt wie etwa finanzieller Abhängigkeit oder sozialer Isolation konfrontiert, weil diese offenbar nicht die Grenzüberschreitung liefern, die der Tatort und andere Krimis brauchen. Dabei wäre es wichtig, sie zu zeigen und zu problematisieren.“
Psychische Gewalt tut weh. Das sitzt in unserer Seele.
Psychische Gewalt kann für Betroffene genau so grausam sein wie körperliche Gewalt: „Ganz oft sagen die Frauen, für sie selbst ist die psychische Gewalt schlimmer als die Schläge. Schläge verheilen, Schläge tun weh, aber psychische Gewalt tut auch weh. Das sitzt in unserer Seele.“ Dieses Zitat stammt von Micha Schöller, Diplom-Sozialpädagogin und systematische Therapeutin. Sie arbeitet bei der Anlaufstelle für Sexualisierte Gewalt in Tübingen für Frauen (AGIT), einer autonomen Einrichtung. Davor hat sie neun Jahre langt selbst in einem autonomen Frauenhaus gearbeitet und mehrere Beratungsstellen mit aufgebaut. Zu Beginn ihrer Arbeit, erzählt sie, wohnten im Schnitt 50 bis 100 Frauen im Jahr im Tübinger Frauenhaus.
Suche Hilfe, wenn du betroffen bist:
Hilfsangebote erreichst du über die Website oder telefonisch unter (07071)66604. Alternativ gibt es das Hilfetelefon für Gewalt gegen Frauen, welches unter 08000116016 zu erreichen ist. Spenden an das Tübinger Frauenhaus sind immer willkommen und werden dringend gebraucht. Falls du die Arbeit von Micha Schöller und ihrem Team unterstützen möchtest, schau auf der Seite vorbei.
Die Dynamik in Frauenhäusern hat sich in den letzten Jahren merklich verändert. Die Wohnungssuche für die 30 bis 50 Frauen, die jährlich dort Zuflucht suchen, sei schwierig. Das verlängere die Zeit im Frauenhaus: „Die Frauenhausplätze sind rar, da die Frauen keinen Wohnraum finden, weil die Kommunen leider viel zu wenig machen.“ Laut der Istanbul-Konvention 2011 fehlen in Deutschland rund 13.000 Frauenhausplätze. Als eine Lösung für dieses Problem nennt Schöller das Konzept eines Oranje Huis. Hier gehen Betroffene früher wieder den Weg ins normale Leben, raus aus der Anonymität. Dadurch werde laut Schöller klar, dass die Gesellschaft dafür sorgen müsse, dass die Frauen in ihr geschützt sind. „Wir alle zusammen sind dafür zuständig [, dass Frauen in der Gesellschaft sicher sind] und das muss auch so gehen können“, merkt sie an. „Es wäre wunderbar, wenn wir es hinbekommen, dass 3/4 der Frauen, die im Frauenhaus leben, nicht mehr anonym leben müssen. Dass es mit dem Schutz wirklich so geht, dass nur noch die hochbedrohten Frauen in einem anonymen Haus leben.“
„Jede siebte Frau wird ab 16 einmal vergewaltigt. Das kann doch nicht sein, wir sind im Ausnahmezustand.“
Schockierend ist der Blick auf die Entwicklung der Datenlage. So war laut Schöller 2004 jede vierte Frau von Gewalt betroffen, inzwischen sei es jede dritte. Sie betont: „Jede siebte Frau wird ab 16 einmal vergewaltigt. Es kann doch nicht sein, dass das Alltag ist.“ Sexualisierte Gewalt als generationenübergreifendes Muster zu durchbrechen und öffentlich stärker dagegen vorzugehen, ist ihre Forderung: „Ich will nicht, dass immer noch 18-Jährige hier sitzen und mir sagen, dass sie nichts anderes als einen gewaltsamen Umgang kennen.“ Eine solche intergenerationale Auseinandersetzung mit Gewalt gegen Frauen wird in der Serie Maid über die Mutter-Tochter-Beziehung sehr treffend behandelt, was auch einer der Gründe dafür ist, dass Schöller die Serie für gelungen hält.
Und ein weiterer Punkt ist ihr wichtig – folgender Gedanke von Alex aus der Serie: „Ich werde ja noch nicht grün und blau geschlagen, will doch nicht einer armen Frau den Platz wegnehmen, die das viel nötiger braucht“. Ein solcher Satz sollte nicht nur in der Serie auftauchen, sondern auch in öffentlichen Debatten angesprochen werden. Jede Form von Gewalt ist ernst zu nehmen. Dabei ist Micha Schöller wichtig: „Wir nehmen immer Frauen auf, auch wenn der Aufenthaltsstatus unklar ist. Wir haben den politischen Anspruch in Tübingen, dass wir sagen: Erst der Schutz, dann das Geld.“
Go watch Maid.
Die dargestellten Probleme in der Serie Maid spiegeln die Alltagssituationen von Millionen Frauen weltweit wider, es mangelt aber grundlegend an differenzierten Repräsentationen. Wir als Gesellschaft springen immer mehr auf überdramatisierte Handlungen und Darstellungen an, statt uns auf detailliertere, sensible Entwicklungen von Charakteren und Handlungen einzulassen. Maid hat gezeigt, dass eine lange Auseinandersetzung mit schwierigen Themen filmreif sein kann. Wir sagen: Go watch Maid.
Hier findet ihr mehr über Prof. Dr. Christine Linkes Forschung und die gesamte Studie.