Die Legende lebt

von Felix Niedrich


Zur Band „Spinal Tap“ werden einige sagen: „Klar, die kennt jeder!“. Andere wiederum werden nachfragen: „Spinal Pap? Nie gehört!“. Denn die Musikertruppe aus Rob Reiners Kultfilm von 1984 ist sowohl Legende als auch Mythos. Sie ist sowohl real als auch erfunden.

„This is Spinal Tap“ folgt der „halb-fiktionalen“ Heavy-Metal-Band Spinal Tap, die gerade ihr neues Album „Smell the glove“ herausbringen will. Dabei wird das vielseitige Leben der Rockstars portraitiert, die sich an einem schwierigen Punkt in ihrer Karriere befinden. Die Zahl der Auftritte wird kleiner, genau wie die Räumlichkeiten und das Publikum. Es gibt Differenzen mit dem Plattenlabel bei der Veröffentlichung des neuen Albums und auch innerhalb der Band kommt es zu Spannungen.
Filmemacher Marty Di Bergi, gespielt von Regisseur Rob Reiner, begleitet den Prozess hautnah. Er geht mit der Band auf Tour und blickt hinter die Kulissen des Musikbusiness. In Interviews gewähren die Musiker Einblicke in die kuriose Bandgeschichte. Und auch grandiose Mitschnitte nicht immer ganz gelungener Liveperformances gibt es zu sehen und zu hören. Kurzum: man bekommt volle Dröhnung, wie man sie von einer anständigen Musikdoku erwartet. Aber dann noch etwas mehr.

This one goes to eleven!

„This is Spinal Tap“ folgt dem Konzept einer gängigen Musikdoku. Tatsächlich ist der Film jedoch eine intelligente und bissige Satire über Rockbands, das Musikbusiness, aber auch über Musikdokus selbst.

Nachdem in den ersten zwei Beiträgen dieser Artikelreihe ausgewählte Dokumentarfilme behandelt wurden, nähern wir uns nun dem Spielfilm. Zwischen Dokumentation und Fiktion liegt das Mockumentary-Genre, das sich gerade in den 80er Jahren großer Beliebtheit erfreute. „This is Spinal Tap“ ist einer der populärsten Vertreter.
Unter dem Term „Mockumentary“ ist ein Film zu verstehen, der sich am Stil und Format des Dokumentarfilms bedient, dabei aber fiktionale Inhalte behandelt. „Mockumentaries“ sind dabei nicht zu verwechseln mit „Dokudramen“ oder „Dokufiction“. Bei ersteren handelt es sich um dramatisierte Umsetzungen im Spielfilmformat auf Basis einer wahren Geschichte. Die dargestellten Szenen entsprechen dabei aber nicht immer wahren Tatsachen. „Dokufiction“ dokumentiert wahre Tatsachen, bedient sich bei der Aufbereitung allerdings auch künstlerischer und narrativer Mittel.

„This is Spinal Tap“ erreicht seinen dokumentarischen Einschlag zunächst auf ästhetisch-formaler Ebene. Der Wechsel zwischen moderierten „Behind the Scenes“ Einstellungen und Interviews mit den üblichen und oft dämlichen Fragen und noch dämlicheren Antworten, Handkameraaufnahmen in Begleitung der Band und Backstage im typischen Dokustil und professionell-wirkenden Liveaufnahmen gibt dem Film Authentizität. Auch altes Archivmaterial wird im Film gezeigt und etabliert den Kosmos rund um die Band zusätzlich.
Für die meisten Szenen des Films lag dabei kein Drehbuch vor. Viele der Dialoge sind von den Schauspielern improvisiert, wodurch die Szenen weniger gestellt wirken.

Das besondere liegt allerdings weitergehend in den Figuren. Man könnte es fast als Marketingstrategie bezeichnen. Die Schauspieler spielen zwar ihre Rollen als Spinal Tap-Mitglieder sind aber gleichsam tatsächlich Musiker und spielen alle ihre Instrumente selbst. Mehr noch: auch abseits des Filmsets treten sie bis heute in den Rollen unter dem Namen Spinal Tap auf.
Die im Film dargestellte Bandgeschichte ist dabei zwar frei erfunden, aber die Band existiert im Zuge des Films und andere Projekte dennoch. Neben den zahllosen fiktiven Veröffentlichungen hat die Gruppe bis heute drei richtige Alben aufgenommen. Man könnte die Band also als mediale Schöpfung betrachten, die Filmwelt und Realität miteinander verbindet. Der besondere Status der Gruppe hat durchaus zu Verwirrungen geführt, ob die Band nun real oder erfunden sei. Am Ende ist sie beides. Eine reale Fake-Band.

Wenn Wahrheit weh tut

Das Auftreten der Band entspricht dabei vielen klassischen Klischees. Über diese und weitere Sitten und Unsitten der Rockmusik machen sich der Film und die Band lustig. Dabei werden zahllose Referenzen an die großen Bands der Musikgeschichte eingestreut. Auch wenn dabei Situationen oft lächerlich übersteigert dargestellt werden, bleiben die Realitätsbezüge vor allem für Fans und Kenner der Rockmusik mehr als deutlich erkennbar. Weil die Verantwortlichen sich selbst bestens mit dem Material auskennen, funktioniert der Film. Er zeigt nicht nur Wahrheiten auf, sondern reibt sie einem schonungslose unter die Nase.

In der Übertreibung wird die Wahrheit noch deutlicher erkennbar. So sehr, dass es nicht ignoriert werden kann. Auf dem Weg zur Bühne kann man sich durchaus einmal verlaufen. Und auch wenn es weh tut: der ein oder andere bekannte Musiker musste bereits zugeben, dass einige der dargestellten Filmszenen schmerzhafte Erinnerungen wecken.

 

Foto: flickr.com/ Photo by Chris Boland / www.chrisboland.com

 

Geständnisse eines TV-Fanatikers

von Julia Heitkamp

 Am Ende unserer Reise durch die TV-Welt komme ich noch einmal zu meiner Fragestellung zurück, und versuche, diese zu beantworten: Lohnt sich das Einschalten der Flimmerkiste heute überhaupt noch? Oder ist es einfach nur zur Gewohnheit geworden? Und hat das Medium Fernsehen, wie wir es kennen, überhaupt noch eine Zukunft?

 

Wie schlimm steht es um das deutsche Fernsehen?

Wir haben uns das Fernsehen in den USA angeschaut, die umfassenden Mediatheken und Originalfassungen der preisgekrönten US-Serien gesehen und festgestellt:

Im Gegensatz zum deutschen Fernsehen gibt es zwar von allem mehr – viel mehr Sender, mehr Programme, mehr Abwechslung – aber auch mehr Werbung. Für die rund hundert Sender, die man durchschnittlich empfängt, muss man Gebühren bezahlen; und trotzdem wird man alle paar Minuten mit Werbung beglückt. Da soll sich noch jemand über unser deutsches Fernsehsystem beschweren, denn vergleichsweise läuft sogar auf unseren privaten Sendern weniger Werbung.

Auf der anderen Seite, ist das Niveau der Eigenproduktionen der Amerikanischen Sender – man denke da nur an HBO und ihren Hit „Game of Thrones“, für deutsche Sender unerreichbar. Nicht einmal (oder noch viel weniger) die durch Gebühren finanzierten öffentlich-rechtlichen Sender können sich so aufwendige Produktionen leisten.

 

Neue Konkurrenten

Aber auch einen Blick in die Tiefen des World Wide Web haben wir gewagt: Video-on-Demand –Anbieter (VoD) wachsen. Bisher sind die in Deutschland verfügbaren VoD-Anbieter keine große Konkurrenz zum Fernsehen, doch sollten die Sender deren Potenzial nicht unterschätzten. Im Netz regelt nicht mehr das Fernsehprogramm unseren Tagesablauf, sondern wir bestimmen das Programm: Kann die altgediente Flimmerkiste da auf Dauer mithalten?

Im besten Fall sollten sich die Sender das Potenzial der VoD-Angebote zu Nutze machen. Die ProSiebenSat.1-Media-Gruppe, zu der auch die Online-Plattform Maxdome gehört, macht hier schon Schritte in die richtige Richtung und bietet Eigenproduktionen zum Nachschauen an. Dass man sich den gewählten Formaten durch die Internetplattformen viel aktiver zuwendet als dem Fernsehen, können die Produzenten für sich nutzen: Nicht nur das Format, auch Werbung wird aktiver wahrgenommen. Ein neuer Werbemarkt ist geschaffen, von dessen Einnahmen, die Sendungen profitieren sollten. Denn um einen Zuschauer vom passiven Fernsehen ins World Wide Web zu locken, bedarf es einer gewissen Qualität.

Auch kleineren Fernsehsendern haben wir unsere Aufmerksamkeit gewidmet: Wie ist es überhaupt möglich, auf dem Markt als Nischensender zwischen den großen, die den Gewinn unter sich aufteilen, zu bestehen?

Als Beispiel haben wir die Strategien, die der Sender Tele 5 verfolgt, unter die Lupe genommen: Was am Budget fehlt, wird mit Mut und Kreativität ausgeglichen. Der Sender Tele 5 setzt dabei vor allem auf  Filme und Serien, die man vielleicht sonst nicht unbedingt im Fernsehen findet: B-Movies und Trash wird hier zum Nischenprogramm für Liebhaber gemacht. Ob SciFi oder Wrestling – auf jeden Fall unterscheidet sich das Programm von Tele 5 vom Einheitsbrei so manch anderer großen Sender. Einschalten lohnt sich, wenn man bereit ist was Neues für sich zu entdecken.

Denn genau darum kommt es an – Veränderung statt Stillstand, Mut zum Experiment. Das Fernsehen darf nur sein eigenes Potenzial nicht unterschätzen. Sonst wird der Zuschauer dem Programm entwachsen.

Dagegen haben wir bei den Privaten eine Entwicklung hin zur seichten und belanglosen Programmgestaltung beobachtet. Mit seriöser Schauspielkunst haben Doku-Soaps und Laiendarsteller kaum noch was zu tun. Die Gier nach schnell und billig produzierten Formaten geht zu Lasten der Qualität der Produktionen. Doch es gibt schon einen kleinen Lichtblick : Die ersten Sender beginnen mit der Umstrukturierung ihres Programms, nachdem der Hype um die Scripted Reality-Forrmate endlich vorbei zu sein scheint.

 

Mut steht am Anfang des Handels …

Ist es also hoffnungslos? Steht das Fernsehen vor dem Niedergang und geht mit dem sinkenden Niveau unter? Nein, denn es gibt ihn noch, den Mut etwas Neues zu wagen und alt Bewährtes zu überdenken. Wer hätte vor einigen Jahren auch nur daran gedacht, dass es ein ZDF ohne Wetten Dass…? möglich wäre…

Trotz aller Kritik, es gibt Ansätze und neue Konzepte für das deutsche Fernsehen – Zwar werden sie nicht immer mit Erfolg und Quoten belohnt, doch immerhin: Der Mut ist da! Es besteht Hoffnung.

Und auch wenn viele es häufig übersehen, es gibt sie doch: Die Perlen im Deutschen Fernsehen. Klassiker wie der Tatort bewegen regelmäßig ein Millionenpublikum vor den Bildschirm und geben einer Nation regionale Profile.

Meiner bescheidenen Meinung nach lohnt sich der Blick in die Flimmerkiste nach wie vor. Die Programmgestaltung der deutschen Sender ist im Umbruch. Was ich bei meinem „Blick in die Röhre“ gelernt habe, ist, dass es nur ein wenig Mut und einer neuen Sichtweise bedarf, um beim Publikum einen Nerv zu treffen.

 

Wenn Aladdin zum Feind wird

von Lara Luttenschlager

 

Im Rahmen der Ringvorlesung „Clash of Civilizations: Feindbilder in interreligiösen Beziehungen und internationaler Geopolitik“ sprach der Geologe Prof. Dr. Paul Reuber am 24. November 2014 über die Konstruktion von Leitbildern in den Medien und darüber, wie sie zur Rechtfertigung geopolitischer Maßnahmen genutzt werden. Von klein auf lernen wir, auf Unterschiede zwischen unserer und fremden Kulturen zu achten. Die Konstruktion des Eigenen und des Fremden diene der Stiftung unserer westlichen Identität, sagte schon Foucault. Ähnlich sieht es Edward Said: Der „Orient“ musste erfunden werden, damit der Westen sich abheben und vor allen Dingen überheben konnte. Für Reuber ein Zustand, den es zu hinterfragen gilt.

Kampf der Kulturen

So seien Stereotypen und vor allen Dingen Leitbilder hegemoniale Deutungsschemata, die bereits lange existieren und die wir derart verinnerlicht haben, dass sie in Konfliktfällen als Begründungsrhetorik für eine bestimmte Politik wieder hervorgebracht werden können. Jahrzehnte lang, so Prof. Dr. Paul Reuber, sind unsere Leitbilder durch das geopolitische Kräftemessen des Kalten Krieges geprägt worden. Als dieser jedoch sein Ende fand, geriet der Westen in eine Art Sinnkrise: Neben großer Erleichterung empfand die Politik das Bedürfnis nach neuen Argumenten und Erklärungsmustern, anhand derer geopolitische Handlungen interpretiert werden konnten.

Genau dieses Bedürfnis wusste Samuel Huntington mit seiner Theorie über den „Kampf der Kulturen“ zu befriedigen. Seine Einteilung der Welt in verschiedene konkurrierende Zivilisationen, darunter die westliche und die islamische, war es, die schon bald im politischen und somit medialen Diskurs dominieren sollte. Huntington schrieb dazu 1987, nach dem Verschwinden der Konfliktlinie zwischen Ost und West würden neue Konflikte entlang der verschiedenen Kulturräume entstehen. Der gefährlichste Faktor sei dabei die
Religion, weshalb sich für den christlich geprägten Westen beispielsweise die Beziehungen mit dem überwiegend islamischen Orient zwangsläufig als schwierig erweisen würden.

Vom Film in die Nachrichten

Doch was hat all das mit den Medien zu tun? Den Einzug des Kampfes der Kulturen in die Medien veranschaulichte Reuber anhand einiger Filmsequenzen: Während James Bond lange meist sowjetische Bösewichte zur Strecke brachte, kamen die Feinde von Actionhelden ab den 90ern nicht mehr aus der UdSSR, sondern aus dem Orient. Der neue Angst-Plot war geboren: Terroristen mit dunklem Bart drohen, den Westen zu zerstören. Die meisten Leitbilder, erklärte Reuber, verbreiten sich zunächst über die Diffusion in der Alltagskultur, um erst nach einiger Zeit auch von Qualitätsmedien aufgegriffen zu werden.

Der entscheidende Durchbruch für das Leitbild des feindlichen Islams sei 2001 mit den Anschlägen des 11. Septembers gekommen, als Huntingtons These plötzlich in allen Medien zu hören war. Und schließlich seien es die Proteste gegen die Mohammed Karikaturen im Jahr 2005 gewesen, die den Kampf der Kulturen auch „headline-fähig“ machten.

„Wir verteidigen die Zivilisation“

Den Grund für die Beliebtheit von Huntingtons Leitbild in den Medien sah Reuber darin, dass es durch extreme Vereinfachung, scharfe Abgrenzung der potenziellen Konfliktparteien und starke Homogenisierung für die Bürger sehr leicht greifbar werde. Problematisch sei allerdings die kulturdeterministische Sicht des Leitbildes, die alle Angehörigen einer Kultur in eine – feindliche – Schublade steckt. Bemerkenswert fand der Redner zudem, dass das Leitbild eines Kampfes der Kulturen in den arabischen Medien nicht zu finden sei. Es handle sich also um eine Rhetorik des Westens.

Das Bild der unheimlichen islamischen Welt, die durch Terrorismus die westlichen Werte bedroht, hat Hochkonjunktur. Nicht selten werde diese Bedrohung zur Legitimation von Eingriffen westlicher Mächte im Nahen Osten benutzt. Sehe man sich allerdings aktuelle Konfliktstrukturen innerhalb der arabischen Kultur an, werde Huntingtons These schnell brüchig: Viele der aktuellen islamistischen Angriffe gelten nicht etwa dem Westen, sondern sind Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten, die beide der gleichen Kultur angehören.

Nicht zuletzt deshalb plädierte Reuber abschließend dafür, im Umgang mit den Medien solche Feindbilder und geopolitischen Diskurse zu hinterfragen und ihre Einseitigkeit herauszuarbeiten. Denn auch im Eigenen lauere das Fremde, und es sei wichtig, die Legitimationsdiskurse von Medien und Politik mit ihren Gefahren zu erkennen.

Foto: flickr.com/maria (CC BY-NC-ND 2.0)

Ein Mann mit kleinen Träumen

von Sanja Döttling

Am Montagabend war Pierre M. Krause im Ribingurumu zu Gast. Seit Jahren senkt der Moderator das Zuschaueralter des SWR gefährlich. Bekannt ist er vor allem durch SWR3 latenight, aber auch durch Serienkonzepte wie In Deutschland um die Welt oder TV Helden. Querfeldein hat den Moderator interviewt.

Es ist acht Uhr abends. Das Wohnzimmer ist voll, die Kneipe in ein kleines Theater umgewandelt. Moderator Max Scherer von Querfeldein und Interviewgast Pierre M. Krause sitzen in alten, abgenutzten Sesseln, ein verblasster Teppich liegt zwischen ihnen und an den Wänden hängen Bilder aus Omis Wohnzimmer. Nur die große, professionelle Leinwand für Einspieler bricht das Bild. Die Atmosphäre ist gelassen, und Pierre macht deutlich, dass er ein Medienmensch zum Anfassen ist, wirft gleich am Anfang die Jacke ins Publikum (und nimmt sie dann doch lieber zu sich).

 

Pierre kann immer noch kein Französisch

Pierre M. Krauses Karriere fing seltsam an: Der ehemalige Bankkaufmann wurde Student, doch das war nicht so das Wahre: „Ich hab Sprachen studiert, unter anderem auch Französisch. Dann habe ich gemerkt, dass ich das schon sprechen sollte.“ Stattdessen drehte er Kurzfilme, und die Preise häuften sich: Der Ehrenpreis der Stadt Straubingen, aber auch zwei Preise aus Japan, für einen Film über das Licht im Kühlschrank, und Russland. Der Gewinn? „So eine kleine Gipsstatue von irgend einem russischen Zaren. Sowas willst du als 19-jähriger Filmemacher unbedingt haben“, sagt Pierre, immer ironisch. Dass die Vergeber der „internationalen“ Preise seine Filme verstanden haben, bezweifelt er stark.

Eine Initativ-Bewerbung brachte ihn dann zum SWR, zu DasDingTV. Dort hatte der junge Pierre M. Krause die Möglichkeit, eine Sendung von Anfang an zu konzepieren und umzusetzen. Die Sendung lief Samstag morgens um neun Uhr. Pierre sagt, und vielleicht steckt hinter dem ironischen Ton ein Funken Wahrheit: „Man hat uns da machen lassen, weil man wusste, dass das ausserhalb des messbaren Bereichs ist.“ Vor allem aber hat der SWR ihm die Möglichkeit gegeben, ohne viele Vorgaben seinen eigenen Stil zu entwickeln.

Pierre nimmt Sachen leicht, oft sich selbst nicht ganz ernst. Seine Preise, auch den Fernsehpreis, den er 2009 bekommen hat, tut er ab, will fast nicht darüber reden. Er verschwindet hinter seinen Witzen und Pointen, seiner Show-Persönlichkeit.

 

Premiumprodukt des SWR

Seit 2005 ist Pierre M. Krause Moderator der Sendung SWR3 latenight, gut und sicher im Samstagnacht-Programm des Senders versteckt. „Ich war schon immer das Premiumprodukt des SWR“, sagt er ironisch. Da finden ihn junge Leute auch nur, wenn sie besoffen aus dem Club geschmissen werden. Was anscheinend oft genug vorkommt: „Wir haben das Durchschnittsalter der Zuschauer bei unserer Sendung von 61 auf 47 gesenkt. Das ist für das SWR schon fast pränatal.“

Seine Kurzfilme der Latenight-Show sind oft Parodien auf die Medien selbst: Der Mann, der an Overvoice und Untertiteln erkrankt ist. CSI Baden Baden, das amerikanische Einheitsbrei-Krimis auf die Schippe genommen hat. Ein Video, in dem er drei Stunden durch Baden-Baden geht und ihn niemand anspricht. Selbtironie und Parodien, Aussage: die Medien soll man besser nicht ernst nehmen.

Alle zwei Wochen werden zwei neue Folgen gedreht. Der Druck, neue Witze, Pointen und Filme zu entwickeln, ist groß. Wenn er keine Ideen hat, redet er einfach fünf Minuten länger mit dem Gast. „Ich würde lieber drei perfekte Sendungen im Jahr machen als 30“, gibt er zu. Er schreibt, dreht und schneidet zum großen Teil selbst. „Ja“, sagt er, „das ist traurig.“ Er meint es nicht so: Pierre scheint die Freiheit zu mögen, die ihm der nicht ganz optimale Sendeplatz lässt, seine ganz eigene Narrenfreiheit.

Manchmal verliert er sich selbst im seinen Witzen: „Was war denn die Frage?“ Er konzentriert sich auf das, war er so gerne tut: unterhalten. Nicht immer auf hohem Niveau, aber die Lacher hat er.

 

Witze mit Nerds

„Ich war zweimal auf einer Esoterikmesse, das war das eine Mal davon. Oder das andere?“ Pierre erzählt Ankedoten aus seinem Leben als Medienmacher. Zum Beispiel von seinem kleinen unteren Chakra, das fotografiert wurde. Von den Agentenmikrofonen, die er anscheinend dabei hatte. „Seitdem darf man dort nicht mehr drehen.“

Auf der CeBIT hat Pierre Computernerds veräppelt. „Ist deine Freundin auch hier?“ fragt er den Computer-Interessierten, und der antwortet: „Ich habe gar keine.“ Noch witzig, auf Kosten anderer? Pierre glaubt, auch der junge Mann fand das lustig.  Darf man andere nicht ernst nehmen, nur weil man sich selbst nicht ganz ernst nimmt? Pierre kommt kurz in Verlegenheit. „Es geht ja nicht um eine Person, sondern um die ganze Messe“, sagt er.

„Wo es immer Ärger gibt, ist, wenn es um Tiere geht“, sagte Pierre und zieht die Debatte wieder in den ungefährlichen Bereich. Verklagt wurde er noch nie: „Nur fast.“

 

Stand-Up im Sitzen

Pierre M. Krause ist ein Energiebündel auf der Bühne, schafft er es, dem Moderator und sich selbst, die Worte im Mund umzudrehen, immer auf der Suche nach der nächsten Pointe. Dabei ist es ihm egal, wenn diese mal daneben gehen: Es ist der Versuch, der zählt. Pierre ist ein Entertainer durch und durch. Die Kekse des Sponsors, Rauchen im gelben Vierecken, das Publikum als zeitweise Kleiderständer: Aus allem macht er eine Show.

Moderator Max Scherer will Stand-Up lernen. Pierre erklärt: „Zuerst musst du die Nachricht erklären. Also: Die CSU will, dass Menschen mit Migrationshintergrund Deutsch lernen müssen. Dann lässt du deine Autoren Witze dazu schreiben: Dass sie selbst kein Deutsch können, wäre zu offensichtlich, also sagst du: Wenn die Bayern ihnen Deutsch beibringen, dann ist das so, als würde Bushido Emanzipation erklären. Übertreibung ist das Stichwort. Und wenn gar nichts mehr geht, dann endest du auf Lothar Matthäus oder Rainer Kalmund.“

Moderator Max darf seine Pointen aber gar nicht beenden, Pierre unterbricht ihn und meint: „Du bist vielleicht eher der Journalistentyp“, und fügt eine Sekunde zu spät hinzu: „Was ein Kompliment ist.“ Max nimmt es gelassen.

 

Pierre und das Land

Pierre kann sich dem journalistischen Anspruch selbst nicht ganz verwehren. In der Serie In Deutschland um die Welt besucht er Menschen aus aller Welt, in Deutschland.  Er beschreibt: „Das ist ein bisschen lustig, aber auch journalistisch.“

Pierre selbst ist nie richtig aus Baden weggekommen. Er kommt aus Karlsruhe. Nach dem Studium in Köln verschlug es ihn zum SWR Baden-Baden. Er sagt: „Ich hatte ja keine Ahnung, was es bedeutet, nach Baden-Baden zu ziehen.“ Reiche Russen und Grablichter, so könnte man die Stadt nach Pierre zusammenfassen – natürlich wieder ein Witz. „Das bietet sich als Grundlage für den einen oder anderen Scherz an“, sagt Pierre, „aber leider haben die Baden-Badener keine Selbstironie.“

Vielleicht zog es ihn deshalb aufs Land hinaus. Sein Buch „Hier kann man gut sitzen. Geschichten aus dem Schwarzwald“ erzählt von dem ruhigen, beschaulichen Leben auf dem Land irgendwo hinter Baden-Baden. Vielleicht autobiographisch, sicherlich sehr kurzweilig: Sein lässiger Witz erhält sich auch in seinem Roman.

Ach ja, übers Privatleben wurde auch geredet und wir wissen jetzt: Er hat eine Katze.

 

Fast eine Karriere

„Bist du noch ein Hoffnungsträger, oder langsam zu alt dafür?“, fragt Max. Was er eigentlich fragt, ist, wie es um Pierres Karriere steht. 2009 erhielt er den Deutschen Fernsehpreis für die Serie TV Helden (Eine Sendung, die nach zwei Folgen abgesetzt wurde). Danach arbeitete er für die Harald-Schmitd-Show, dem Urgestein deutscher Latenight-Unterhaltung. Nebenher lief seine eigene Latenight-Show. Im Moment entwickelt er neue Konzepte, doch bis jetzt gibt es keine festen Zusagen. Ein Karriereknick? Pierre sagt: „Ist mir egal. Ich habe gar nicht den Ehrgeiz. Ich will machen, was mir Spaß macht, was ich für richtig halte in dem Moment. Ich nehme mir auch heraus, ganz viel nicht zu machen, wenn ich nicht will.“ Kein Karrieremensch ist er also – eine seltene Spezies, im hart umkämpften Medienbetrieb.

„Ich lebe im ganz Kleinen und spiele einen Traum“, sagt Pierre, „Ich kann machen, worauf ich Bock habe, ohne groß kontrolliert zu werden. Ich kann zum Beispiel einfach nach Tübingen fahren, weil ich Lust dazu habe. Auch wenn im Fernsehen vieles nervig ist, kannst du mit guten Leuten Quatsch machen. Du wirst für die Dinge bezahlt, für die du in der Schule vor die Tür geschickt wurdest.“

Vielleicht ist das sein großes Geheimnis: Pierre bleibt anfassbar. Ein großer Entertainer, keine Frage, der aber nicht nach Größerem strebt. Vielleicht sind seine Pointen deshalb so gut: Sie tun nicht weh, bleiben bei sich, streben nicht nach mehr als einem gut unterhaltenen Publikum.

 

Florentin Will kommt zur nächsten Veranstaltung von querfeldein am 12.01.2014. Karten sind wie immer kostenlos, und am Donnerstag davor ab 20 Uhr im Riminguburu zu bekommen.

Fotos: querfeldein, Sanja Döttling

Letzte Reise nach Mittelerde

von Marius Lang und Andrea Kroner

 

Ein letztes Mal zurück nach Mittelerde. Vor fast zwei Jahrzehnten begann die erste Trilogie. Sechs Filme, also gut 20 Stunden Laufzeit später, ist auch das letzte Kapitel von Peter Jacksons epischer Adaption von J. R. R. Tolkiens Werken abgeschlossen. Der Hobbit: Die Schlacht der Fünf Heere hebt sich dabei stark von seinen beiden Vorgängern ab. Zum einen ist er, mit 144 Minuten Laufzeit, der kürzeste Film der Hobbit-Trilogie. Er ist jedoch auch der spannendste, düsterste, actionreichste und befriedigendste Film der Trilogie. Und dazu ein Film, der gekonnt den Bogen zum Herrn der Ringe spannt und Bilbo Beutlins Reise bezahlt macht.

 

Ein Höhepunkt jagt den nächsten

Seestadt, letzte Menschen-Enklave zu Füßen des Einsamen Berges: Die Stadt ist in Aufruhr, denn Drache Smaug wurde von den Zwergen (und dem Hobbit) geweckt und erzürnt. Seine feurige Wut will dieser nun an den Menschen von Seestadt auslassen. Feuer, Tod und Zerstörung prägen die ersten Minuten des Filmes. Peter Jacksons Entscheidung, den Angriff des Drachens an den Anfang des Filmes zu setzen, macht sich bezahlt. So stark ist der Auftakt, dass man sich fast fragt, was denn noch kommen wird. Hat Jackson etwa sein Pulver schon verschossen?

Nein, natürlich nicht. Denn wenn Peter Jackson in den vorherigen Filmen etwas beweisen konnte, dann dass er weiß, wie man große Kämpfe und Heldenmut in größter Not in Szene setzt. Der weitere Verlauf des Films baut mehrere Krisen auf, die eine Spannung bilden, welche sich in der titelgebenden Schlacht der fünf Heere schließlich entlädt. Saurons kehrt nach Mittelerde zurück und beginnt den strategischen Aufbau seines geplanten Krieges gegen die freien Völker. Thorins (Richard Armitage) Wahnsinn, der sein Königreich und sein Gold von allen bedroht sieht, steigert sich, ebenso die Verzweiflung der Menschen von Seestadt, angeführt von Bard (Luke Evans). Ausserdem wird die Spannung zwischen den Zwergen und den Waldelfen von Thranduil (Lee Pace) unerträglich: beide wollen den Schatz des Drachens.

Und der Hobbit Bilbo (Martin Freeman) steht zwischen den Fronten, zerrissen von seiner Loyalität zu Thorin und den Zwergen und dem Wunsch, Thorin vor sich selbst zu retten. Es passiert eine Menge im dritten Teil der Reihe, doch kurioserweise wirkt der Film nicht zu dicht. Jede Wendung wird entsprechend aufgebaut. Jeder Charakter passt in die Handlung. Der ernstere, düstere Ton des Films, der sich so stark von den eher fröhlichen, optimistischen Vorgängern unterscheidet, steht dem Finale gut. Die düstere Stimmung ist außerdem eine Vorausdeutung auf das dunkle Zeitalter, das mit dem Herrn der Ringe über Mittelerde hereinbrechen wird.

 

Lästern auf hohem Niveau

Wenn es kleine Kritikpunkte gibt, dann wohl in dem zeitlichen Management der finalen Schlacht. Hier passiert so vieles, zu gleichen Zeiten, dass man sich manchmal fragt, woher die Protagonisten die Zeit nehmen, lang miteinander zu diskutieren. Eine Frage, die man sich auch schon bei Herr der Ringe stellen musste. Auch der Liebessubplot zwischen Elbe Tauriel (Evangeline Lilly) und Zwerg Kili (Aidan Turner) mag Puristen hinsichtlich deren Abwesenheit in der Buchvorlage stören, doch schadet er dem Film nicht. Er führt allerdings auch nicht zu sonderlich viel.

Diese Kleinigkeiten sind jedoch weit ausgeglichen in den vielen Höhepunkten des Filmes. Das fantastische Spiel der drei Hauptdarsteller trägt den Film. Martin Freeman, der den Wandel des schüchternen, alteingesessenen Hobbits zu einem wahren Held auf den Punkt bringt. Armitage, der Thorins Wahnsinn und Paranoia perfekt verkörpert und auch die letzten Schritte des Zwergenkönigs glaubhaft vermittelt. Und natürlich Ian McKellen als Gandalf, im Buch nur Stand-In für das wiederkehrende Deus Ex Machina-Prinzip ist gewohnt punktgenau, eine Mischung aus weisem Zauberer, besorgtem Freund und tapferem Helden.

 

Modernste Technik, so weit das Auge reicht

Natürlich ist es vollkommen unmöglich, eine Welt wie Mittelerde ohne die neuesten Animationstechniken auf die Kinoleinwand zu bringen. Erst dadurch kann dieser Film sein komplettes Wirkungspotenzial entfalten: Der Drache zu Beginn des Films verdankt seinen spektakulären Auftritt aufwändigen Animationen, von denen auch die Schlacht der fünf Heere profitiert, da sie dadurch an Plastizität und Dynamik gewinnt. Doch Jackson geht dabei fast eine Spur zu weit, da an manchen Stellen zu viele verschiedene Spezialeffekte verwendet werden. Das macht den Film überladen, manchmal unrealistisch für manche. Es zeigt aber auch, welche fantastischen Bilder moderne Filmtechnik erzeugen kann. Die technischen Möglichkeiten werden auf höchstem Niveau eingearbeitet und setzen dadurch ganz neue Maßstäbe.

 

Ein zweischneidiges Schwert

Auch beim letzten Teil der Hobbit-Trilogie gehen die Meinungen auseinander: Viele bemängeln, Peter Jackson hätte die Handlung des Buches zu sehr ausgeschlachtet und für jüngere Zuschauer sei die Verfilmung des eigentlichen Kinderbuches gar nicht mehr geeignet denn der ursprüngliche Stoff wurde enorm erweitert und verändert. Die Charaktere wurden ausgebaut, die Schlacht ausgebaut, der Stoff um politische Dimensionen erweitert. Und dennoch ist Der Hobbit kein reiner Film für Erwachsene. Er ist im Vergleich zum Herrn der Ringe deutlich unblutiger, weniger düster, weniger hoffnungslos. Vor allem die ersten beiden Teile bestechen durch Slapstick und harmlose Witze. Dieser letzte Teil ist, wie gesagt, dunkler in der Grundstimmung, schafft damit aber eine Brücke zu den anschließenden Herr-der-Ringe-Filmen. Mit denen kann und will sich die Hobbit-Trilogie nicht vergleichen. Letzten Endes ist die Trilogie eine bildgewaltige Buchverfilmung, die zu unterhalten versucht: und allen Reisenden und Suchenden die Möglichkeit gibt, einmal mehr nach Mittelerde zurückzukehren. Vielleicht zum letzten Mal.

 

THE HOBBIT – THE BATTLE OF THE FIVE ARMIES, Neuseeland, Vereinigtes Königreich, USA, 2014 – Regie: Peter Jackson. Buch: Fran Walsh, Philippa Boyens, Peter Jackson, Guillermo del Toro. Kamera: Andrew Lesnie. Mit: Martin Freeman, Ian McKellen, Richard Armitage. 144 Minuten.

Fotos. Copyright 2014 Warner Bros. Entertainment Inc. and Metro-Goldwyn-Mayer Pictures Inc. / Mark Pokony

 

Damals, als Kind…

von der Redaktion

Pumuckl – von Jasmin M. Gerst

Ob als Hörspiel oder im Fernsehen – von diesem rothaarigen Frechdachs konnte ich einfach nicht genug kriegen. Als Pumuckl in der Werkstatt am Leim vom Meister Eder kleben bleibt, verändert sich dessen Leben schlagartig. Der Junggeselle hat nun einen Kobold, der ihn jeden Tag aufs Neue ärgert. Die beiden gehen durch dick und dünn, bis hin zum großen Krach und der Versöhnung.

Dadurch, dass Pumuckl unsichtbar für andere Menschen ist, kam es einem immer so vor, dass wenn etwas fehlte, Pumuckl wieder am Werk gewesen war. Für mich ist und bleibt es meine Lieblingsserie, die ich sogar noch ab und zu heute schaue – denn was gibt es besseres wieder in die Kindheit hineinversetzt zu werden?

 

Tom und Jerry – von Andrea Kroner

Gleich wird Jerry von Toms Pranken zerquetscht – doch virtuos entkommt er wie immer dem sicheren Tod und haut dafür den Kater in die Pfanne. So oder ähnlich laufen die meisten Szenen bei den beiden Erzfeinden ab. Und trotz dieser einfachen Story schaffen sie es immer wieder, kleine und große Zuschauer zum Lachen zu bringen und von sich zu begeistern. Dabei kommen sie  erstaunlicherweise fast ohne Sprache aus, indem sie sich mit ausgeprägter Mimik und Gestik ausdrücken.

Besonders prägend an dieser Serie ist vor allem der Aspekt, dass sich die Beiden zwar immer gegenseitig ärgern, den anderen insgeheim aber doch irgendwie mögen und brauchen. Denn wenn es Jerry einmal doch geschafft hat, Tom aus dem Haus zu jagen, merkt er sehr schnell, wie langweilig es alleine ist und holt ihn zurück – und die Jagd geht wieder von vorne los.

 

Pippi Langstrumpf – von Elena Hodopp

Mit ihren roten abstehenden Zöpfen, ihren Sommersprossen und ihren bunten Socken kam sie daher. Unerschrocken, wild, stark und sich vor nichts fürchtend. Die Heldin meiner Kindheit konnte nichts ins wanken bringen. Die Villa Kunterbunt war der Ort meiner Träume. Ein Ort zum toben an dem einem keine Eltern Vorschriften machen, an dem man so lange wachbleiben darf wie man möchte und an dem man zu jeder Tages- und Nachtzeit Pfannkuchen machen durfte. Pippi Langstrumpf – wie gerne hätte ich dich mal persönlich getroffen.

 

Wickie und die starken Männer – von Laura Meis

Flacke, ein Wikingerdorf irgendwo im Norden, ein kleiner Junge kratzt sich an der Nase, kratzt sich unter der Nase, euphorischer Fingerschnipser und- „ Ich hab’s!“. Wer da keinen Kindhiets-Flashback bekommt, war wohl kein Kind der 70er/80er oder 90er. Ich habe jedenfalls meine tägliche halbe Stunde Fernsehzeit mit Wickie und den starken Männern verbracht. Wickie, der kleine Knirps mit den pinken Strumpfhosen, hat da gefährliche Abenteuer bestanden und immer die zündende Idee. Besonders schön, eigentlich passt der ängstliche Wickie ja gar nicht in die raue Welt der Wikinger, aber wer so clever ist, der kann auch mal so starken Männern sagen wo’s lang geht. Ein Outsider wird zum Anführer der Gruppe, wenn das mal kein gelungenes Fernsehmaterial für Kinder ist.

 

Batman – von Marius Lang

Die unverwechselbare Titelmelodie setzt ein, wir befinden uns in einer verzerrt-düsteren Entschuldigung einer Großstadt, Gotham, voller Abschaum und Verbrechen. Doch die Stadt hat einen Beschützer, ebenso finster und grimmig wie seine Heimat: Der dunkle Ritter, Batman.

Es gibt viele Gründe, warum Batman, die Animationsserie aus den 90ern, bis heute in Fan-Kreisen fast ausschließlich als die beste Adaption des Comichelden gilt. Die Animation ist bis heute akzeptabel, die Musik ist, wie oben erwähnt, herausragend, das Schauspiel der Sprecher ist, vor allem im englischen Original, exzellent und vor allem die Story hebt die Serie von der Konkurrenz ab: Die Folgen sind schlicht gut geschrieben, besser als die meisten Serien die ansonsten so über die Mattscheiben flimmerten und bis heute flimmern. 1992 entstanden um auf den großen Erfolg der Batman-Filme von Tim Burton aufzuspringen und mit Unterbrechungen bis 1997 eine feste Säule guter Unterhaltung (ja, die vierte Staffel war gut) war es Batman, die mich damals nicht nur zu einem Fan des Titelhelden machte, sondern auch mein Interesse an der Quelle weckte und somit großen Anteil an meiner Liebe zu Comics hatte. Die Serie, vor allem das Original, ist jedem empfohlen, auch solchen, die keine Comicfans sind.

 

Löwenzahn – von Sanja Döttling

Peter Lustig war der verrückte Onkel, den ich immer haben wollte. Gut, mein Onkel ist auch nicht schlecht, aber Herr Lustig war nochmal von einem ganz anderen Schlag: der lebte in einem Bauwagen und erlebte Abenteuer. Vielleicht war Peter Lustig auch eine Inspiration für mein Studium: schließlich war Peter Lustig nichts anderes als ein investigativer Journalist, und hat sich Fragen gestellt, die jeden interessieren: Warum Shampoo brennt wenn man es zu lange auf der Haut lässt, oder warum Unkraut eigentlich so heißt. Während der Sendezeit schaffte es Onkel Lustig, einfache und komplizierte Dinge anschaulich zu erkären und in (völlig ungestellten) Szenen die richtigen Experten auf der Strasse aufzugabeln.Und dass Herr Lustig keine Kinder mag, ist übrigens aus dem Zusammenhang gerissen.

Aber vor allem dieser Bauwagen. Der war toll! So ein wollte ich immer haben: stellte ich mit gemütlich vor. Nun, um einige Erfahrung im Bereich von Zimmern mit einstelliger Quatratmeterzahl, ist auch dieser Traum verflogen. Naja, da hilft nur eins: Abschalten.

 

„The Act of Killing“

von Felix Niedrich

Anwar: Portrait eines Serienmörders

Indonesien 1965/66. Nach einem gescheiterten Putschversuch übernimmt das Militär die Kontrolle über die Regierung. Infolge dessen kommt es einer systematischen Vernichtung der vermeintlichen Feinde. Das Ziel sind Anhänger der Kommunistischen Partei, (mutmaßliche) Sympathisanten und Angehörige der chinesischen Minderheit. Eine halbe Million Menschen werden dabei ermordet. Je nach Schätzung liegt die Zahl der Opfer noch deutlich höher. Thematisiert wurde der Völkermord bis heute so gut wie nicht.

Für die Gräueltaten rekrutierte die Armee sogenannte „Gangster“ und Mitglieder paramilitärischer Gruppierungen, die für nicht wenig Geld die Drecksarbeit verrichteten. Einer von ihnen war Anwar Congo, die Hauptfigur in „The Act of Killing“. Mit einem innovativen Ansatz, bei dem er seinen Akteuren kreative Kontrolle über Teile des Films gewährt, portraitiert Regisseur Joshua Oppenheimer seine Person und versucht seine Taten zu reflektieren.

„Facts do not constitute truth“

Oppenheimer ist dabei nicht daran interessiert, historische Fakten aufzuarbeiten und stellt bewusst wenig Kontext zur Verfügung. Auch Werner Herzog, der hier als Produzent fungiert, teilt die Meinung, dass Fakten nicht hinreichend zur Wahrheit führen. Für ihn sollte sich der Dokumentarfilm ohnehin weiter weg von der auf Fakten basierenden Vermittlung bewegen. „The Act of Killing“ folgt vielmehr einem außergewöhnlichen und zugleich erschreckenden Konzept, um den Akteuren des Films nahe zu kommen und sie mit ihrer Schuld zu konfrontieren. Ähnlich wie Claude Lanzmanns Holocaust-Doku „Shoah“, den Oppenheimer neben Jean Rouch als Inspiration nennt, verzichtet Oppenheimer auf Archivmaterial, auch um den Gegenwartsbezug zu stärken. So versucht er den Umgang mit diesen traumatischen Ereignissen zu beleuchten und gleichzeitig das dahinterliegende korrupte System bloß zu stellen.

Zu Beginn des Projekts hatte Oppenheimer allerdings andere Pläne. Anfangs hatte er vor, einen Film über Überlebende der Massaker und deren aktuelle Situation zu machen. Bis heute leben diese in Angst und Unterdrückung. Nachdem die Behörden den Dreh immer wieder verboten haben und die Sache zu gefährlich wurde, begann Oppenheimer die Seite der Täter zu beleuchten, die bis heute hohes Ansehen in der Region genießen. Bei den Interviews musste er feststellen, dass die Mörder ihre frühere Arbeit keineswegs verheimlichten, sondern sogar von sich aus und mit Stolz davon berichteten. Häufig demonstrierten diese ihre Taten sogar spontan vor der Kamera. So bot Oppenheimer folglich an, die von den Tätern selbst dargestellten Erfahrungen zu filmen – egal, wie sie es sich vorstellten.

 

„Warcrimes are defined by the winners“

Das Ergebnis ist ebenso bizarr wie eindrucksvoll. Anwar und seine Kollegen lehnen die Tötungsszenen zunehmend an verschiedene Filmgenres an. Viele der „Gangster“ arbeiteten nebenbei als Kartenverkäufer in den Kinos der Stadt und liebten die Filme aus Hollywood. Durch diese lernten sie nach eigener Aussage auch neue Methoden des Tötens und Folterns kennen.

In „The Act of Killing“ entstehen somit zwei Filme parallel, die einerseits miteinander in Konflikt stehen, andererseits aber auch keine klare Grenzziehung zwischen einander erlauben: auf der einen Seite stehen die Re-Enactments nach den Erfahrungen oder Ideen von Anwar und seiner Crew; auf der anderen steht Oppenheimer, der neben diesen Nachstellungen selbst auch die Entstehung dieser Szenen filmt und zusätzlich auf Interviews und Ausschnitte aus dem täglichen Leben der Männer zurückgreift. Beide Teile sind von unterschiedlichen Motivationen geleitet und versuchen unterschiedliche Versionen der Geschichte(n) zu entwerfen, wobei Oppenheimer aber letztlich über das Gesamtwerk die Kontrolle behält. Er versucht die Sequenzen so zu montieren, dass sie in einen Zusammenhang gestellt oder auch bewusst kontrastiert werden.

Die Frage ist: wie sehen sich die Männer selbst? Wie wollen sie sich darstellen? Und warum stellen sie sich überhaupt auf diese Weise dar? Und wie nehmen wir sie dadurch wahr? Trotz oder gerade aufgrund der dramatisierten Darstellung bleibt man sich hier der Realität bewusst. Denn es sind die wahren Mörder, die hier die Szene spielen. So verschwimmen die Grenzen zwischen den beiden Ebenen.

Zwischen den Szenen wird dabei oft kontrovers diskutiert, was gezeigt werden soll und wie es gezeigt werden soll. Adi, ein ehemaliger Anführer der Killer, ist nicht einverstanden mit dem Vorgehen. Er fürchtet um das Image seiner Landsleute, ist sich selbst aber keiner Schuld bewusst. „Kriegsverbrechen werden von den Gewinnern definiert“, meint er später. „Ich bin ein Gewinner, also kann ich meine eigene Definition machen“.

Oppenheimer entlarvt letztlich die Erzählung selbst als Konstrukt und als Versuch der Distanzierung, Rechtfertigung und Manipulation. Er sieht im Storytelling einen Weg im Umgang mit der Vergangenheit.

 

Person, Figur und Performance

Der eher fiktive und der dokumentarische („reale“) Teil des Films durchdringen sich sowohl inhaltlich als auch formal.

Ein weiterer zentraler, wenngleich ambivalenter Punkt ist die Performance. Anwar tritt im Film sowohl als reale Person als auch als Figur auf. Er ist außerdem in mehreren Rollen zu sehen. Dies findet aber nicht klar getrennt auf den verschiedenen Ebenen statt. Vielmehr kommt es auch hier zur Vermischung der Welten. Es stellt sich wiederum die Frage: wie viel des „fiktiven Films“ ist real und wie viel des Doku-Teils ist fake? Wo fängt die Performance an und wo hört sie auf?

So führt Anwar Zuschauer und Regisseur zu Beginn auf das Dach eines Hauses. Hier, so erzählt er, leben viele Geister. Allein an diesem Ort habe er dutzende Menschen umgebracht. Die eigens kreierte Methode des Tötens mit Draht hat sich bewährt. Anwar führt sie direkt an einem Freund vor. Kurz darauf beginnt Anwar an derselben Stelle freudig zu tanzen. Das Tanzen (unter anderem) habe ihm geholfen, zu vergessen. Das Tanzen erscheint, wie all die Prahlerei und das Auftreten im Film, als Fassade, als ein Akt der Verleugnung. Ein Zeichen von Angst, nicht von Stolz. Die Distanzierung von der eigentlichen Tat. In diesem Sinne wird das Töten als „Akt“ verstanden, um damit leben zu können.

Oppenheimer zwingt Anwar durchweg zur Selbstreflektion, indem er ihn immer wieder mit den Aufnahmen konfrontiert. Zunächst versucht Anwar das Gesehene zu überspielen; alles andere wäre ein Schuldeingeständnis. Aber auch wenn Anwar für seine Taten nie zur Rechenschaft gezogen wurde, kann er sich einer Strafe doch nicht ganz entziehen. Nachts plagen den alten Mann Alpträume. Ob Anwar am Ende aufrichtig eine Läuterung erfährt, ist fraglich. So wie Oppenheimer die Sequenzen zusammensetzt ist klar: für ihn gibt es am Ende keine Katharsis für Anwar. Aber auch der Zuschauer wird hier zum Nachdenken angeregt.

„The Act of Killing“ ist auch ein Film über die Gegenwart unserer Gesellschaft. Über die vielen kleinen und großen Lügen, die wir uns erzählen, um uns besser zu fühlen. Es ist ein Film, der wachrüttelt. Denn wenn man nur lange genug in einen Abgrund schaut, schaut der Abgrund auch in einen zurück.

 

Fotos: © WOLF Consultants

Deutschland, deine Krimis

von Julia Heitkamp

Seit 1970 bringt der Tatort der ARD jeden Sonntagabend Spitzenquoten zur besten Sendezeit. Damit ist es die erfolgreichste und am längsten laufende Fernsehreihe in Deutschland.

Woran liegt es, dass so viele Krimiserien so erfolgreich laufen? Denn mit anderen Produktionen haben die deutschen Sender ja bekanntlich so ihre Probleme. Wenn es sich nicht gerade um Trash-Formate á la Dschungelcamp oder eine Castingshow handelt, halten sich Eigenproduktionen selten länger als eine Saison und ziehen selten so ein großes und heterogenes Publikum an wie Krimiserien.

 

Same but Different

Doch Krimi ist nicht gleich Krimi. In allen möglichen Varianten ist er zu sehen – von lustig bis dramatisch. Doch was ist das Erfolgsrezept der Krimimacher?

Denn die polizeilichen Ermittlungen der öffentlich-rechtlichen Sender beschränken sich nicht nur auf den Sonntagabend. Die Küstenwache im ZDF oder Heiter bis tödlich in der ARD laufen seit einiger Zeit erfolgreich im Vorabendprogramm, das als wichtiger Quotenfänger für die Prime Time gilt. Auch im Nachtprogramm findet man immer häufiger erfolgreiche Importe, die sich sehen lassen können: Die britischen Krimiserien Luther und Sherlock sind hier nur beispielhaft zu nennen.

Doch den Erfolg von Krimiserien haben nicht nur die öffentlich-rechtlichen Sender für sich entdeckt. Auch private Sender wissen um den Quotenerfolg dieser Produktionen und kaufen aus dem Ausland Serien ein, die dem gleichen Konzept folgen.

 

Private Sender setzten eher auf ausländische Formate

Mehr Action, mehr Drama, mehr Emotionen – mit dem größeren Budget, dass die amerikanischen Networks nun mal zur Verfügung haben, lässt sich alles eine Nummer größer produzieren. Serien wie Navy CIS oder verschiedene CSI Formate laufen seit vielen Jahren erfolgreich auch hierzulande. Kaum zu glauben, dass es den Produzenten immer wieder gelingt, neue Storys aus den Fingern zu ziehen. Auch für Schauspieler sind Engagements in diesen Serien äußerst attraktiv und sichern den Lebensunterhalt.

Beliebt sind auch Formate, in denen Charaktere die aus Metiers, die sonst eher wenig mit der disziplinierten Polizeiarbeit zu haben, auf die Ermittler treffen. Diese Konstellation findet man unter anderem in Castle und The Mentalist. In Castle ermittelt der Charmeur und Krimiautor Castle, klopft Sprüche und flirtet mit der Abteilungsleiterin. Das hält ihn aber nicht davon ab, auch mal einen Fall zu lösen.

The Mentalist hingegen zeichnet sich durch seine sehr genaue Beobachtungsgabe aus, die er, als Medium getarnt, zur Lösung des Falles einsetzt. Vielen dieser Serien, nicht zuletzt die amerikanischen Neuauflage der Sherlock Geschichten (Elementary), leben von dem Witz und Charme des Hauptcharakters; all diese Serien orientieren sich stark am Vater aller Krimis, dem deduktiven Genie Sherlock Holmes: Seine Konzentration auf kleine Details und ein Intellekt, der „normale“ Menschen in den Schatten stellt, ist handlungsgebend für viele neue  Krimiserien.

 

Immer mal wieder findet man solche amerikanischen Ambitionen auch im deutschen Fernsehen. Wer erinnert sich nicht an den viel diskutierten ersten Tatort von und mit Til Schweiger, den teuersten Tatort aller Zeiten. Den kritischen Stimmen im Vorfeld zum trotz, konnte sich die Produktion am Ende mehr als sehen lassen und wurde zu einem der erfolgreichsten der Filme, die die Reihe je hervorgebracht hat. Stellt sich die Frage, ob sich internationale Ambitionen für das deutsche Fernsehen auf Dauer umsetzen lassen oder ob man sich nicht auf neue Ideen stürzen sollte. Denn die erfolgreichsten Tatorte stammen bisher immer noch aus Münster, und deren Konzept besticht ja bekanntlich durch andere Qualitäten. Das Zusammenspiel der Hauptcharaktere Kriminalhauptkommissar Frank Thiel (gespielt von Axel Prahl) und Rechtsmediziner Karl-Friedrich Boerne (gespielt von Jan Josef Liefers) besticht durch humoristische Dialoge, die bei Publikum und Presse gleichermaßen gut ankommt.

 

Ist das gezeigt nicht doch irgendwie Unrealistisch?

Natürlich gibt es nicht es in Deutschland lange nicht so viele Mord- und Vermisstenfälle, wie sie im Fernsehen untersucht werden. Und doch, immer wieder lesen wir in den Nachrichten von ähnlichen Fällen, die das ganze dann doch wieder in einem realistischen Licht erscheinen lassen. Inzwischen ist folgen auf den Tatort regelmäßig Diskussionsrunden, etwa wie bei Günther Jauch, in denen die Ereignisse aus der Sendung diskutiert und mit wahren Begebenheiten verglichen werden. Ganz aus der Luft gegriffen sind die Ereignisse demnach nicht. Und sie scheinen ja auch einen Nerv beim Publikum zu treffen, das regelmäßig immer wieder einschaltet.

 

Sinn für Gerechtigkeit?

Nicht nur Polizei und Ermittlungen, auch Anwaltsserien wie Boston Legal, Suits etc. laufen seit Jahren erfolgreich auf dem internationalen Markt. Vielleicht sehnen wir als Zuschauer uns einfach nach einer gerechten Welt, in der nach eine Stunde spätestens alles zum Guten wendet. Vielleicht glauben wir Zuschauer einfach gerne an die Überlegenheit unseres Rechtsystems und an ein Happy End – ob im der Fernsehen- oder der realen Welt.

 

 

Bild: WDR

Chronik eines Sommers

von Felix Niedrich

„Sind Sie glücklich?“

Die 1960er Jahre waren in vielerlei Hinsicht eine Zeit gesellschaftlicher Umbrüche. Das gilt auch für die Filmindustrie. Während sich die großen Studios in Hollywood längst in einer Krise befinden, kommt in Europa neue Bewegung in die Filmlandschaft. Die jungen Filmemachern der französischen Nouvelle Vague, die mit originellen Ideen dem eingerosteten Erzählkino aus Übersee entgegentreten wollen, führen neue Debatten über den Stand des Mediums und seine Zukunft. Wichtige Beiträge zur Entwicklung innovativer filmischer Ansätze kamen dabei auch aus dem Bereich des Dokumentarfilms. Eine zentrale Figur dabei war der französische Regisseur Jean Rouch, dessen wohl bekanntestes Werk „Chronik eines Sommers“ neue Maßstäbe setzte und bis heute Filmemacher beeinflusst.

Ein Film als soziologisches Experiment

Das Projekt wurde von Jean Rouch und dem Soziologen Edgar Maurin ins Leben gerufen . „Chronique d’un été“ gilt seither als Schlüsselfilm des sogenannten „Cinema verité“. Dabei handelt es sich um eine Strömung im Dokumentarfilm der 60er Jahre, die sich durch ihre neuen Prinzipien im Umgang mit der Kamera und dem Dargestellten, sowie durch das hohe Maß an Selbstreflexivität auszeichnet. Der Film stellt ein soziologisches (wie auch filmisches) Experiment dar, dessen Entstehung Maurin als Forschungsprozess betrachtete.

Ziel des Films war nichts geringeres,  als etwas „Wahrhaftiges“ aus dem Leben festzuhalten.
Der Film versucht eine Annäherung an das Leben in der zeitgenössischen französischen Gesellschaft. Dazu porträtiert er eine Gruppe von Menschen verschiedenen Alters und mit unterschiedlichen sozialen Hintergründen in Paris. Diese werden sehr direkt in unterschiedlichen Situationen, sowie bei spontanen Diskussionen und Einzelinterviews begleitet und gefilmt und äußern sich im Verlauf des  Films zu ihrem Leben, ihrer Arbeit und anderen soziopolitischen Themen. Im Rahmen des Drehs, der meist in möglichst natürlicher Umgebung, also bei den Leuten zu Hause oder am Arbeitsplatz, stattfindet, lernen sich die Personen auch gegenseitig kennen.  Zu Grunde liegt lediglich die existenzielle Leitfrage: „Etes vous heureux?“ („Sind sie glücklich?“).

Rouch behandelt gleichzeitig Fragen nach Darstellungskonventionen, Genregrenzen und Herangehensweisen. Er sah den Dokumentarfilm zu seiner Zeit in der Krise. Durch zu viel Vorbereitung, die Orientierung am Drehbuch und an technischen Möglichkeiten, lag seiner Meinung der Fokus zu sehr auf dem Einfangen des Spektakulären, nicht des Alltäglichen. Im Kleinen, in den Reaktionen der Menschen lag für Rouch eine zunächst vielleicht banal erscheinende Wirklichkeit, der es gerecht zu werden galt.

Eine wichtige Voraussetzung hierfür waren unter anderem neue technischen Entwicklungen. Sie ermöglichten erst die Art der Aufnahmen, die Rouch im Sinn hatte. Auf künstliche Beleuchtung konnte aufgrund des verbesserten Filmmaterials oft verzichtet werden.  Mit leichten Handkameras war man mobiler und flexibler beim Dreh und mit der damit verbundenen neuen Tontechnik waren direkte Synchronaufnahmen einfach und schnell herzustellen. Dies bot einen direkteren Zugriff und ermöglichte, das Gezeigte relativ bruchlos wiedergeben zu können oder aber auch bewusste Brüche (zum Beispiel zwischen Bild und Ton) einzusetzen.

 

Die Provokation der „Wahrheit“

Das Besondere bei Rouch war zum einen seine konzeptionelles Vorgehensweise, als auch der Bruch mit den Konventionen des zeitgenössischen Dokumentarfilms. Im Vordergrund steht dabei das Element der Spontanität und der Improvisation. Es ist ein Film ohne Skript, ohne vorgegebene Struktur und ohne Schauspieler. Selbst die Filmemacher wissen dabei nicht, wo der Film hinführen wird. Vielmehr lässt sich der Film die meiste Zeit von seinen Akteuren leiten.

Die Akteure werden zu teilnehmenden Subjekten und nicht zu dargestellten Objekten, die vom Film gelenkt werden.  Indem sie in den kreativen Prozess einbezogen werden, versucht Rouch auch die Grenze zwischen dem Beobachter und dem Beobachteten zu überschreiten und einen Diskurs auf Augenhöhe zu erreichen.

Das Filmteam und die Personen entwickeln so den Film gemeinsam weiter. Die Filmemacher sind dabei am Dialog auch selbst direkt beteiligt. Es geht Rouch dabei darum, eine möglichst natürliche Diskussion zu etablieren, um so sehr persönliche und authentische Eindrücke und Reaktionen der Personen mit der Kamera einzufangen. Im Auftreten der Filmemacher im Film wird außerdem die Transparenz des Mediums zur Realität hervorgehoben. Essentiell ist dabei, dass die dabei vorherrschende „Natürlichkeit“ nicht trotz der Anwesenheit der Kamera, sondern gerade aufgrund der Anwesenheit der Kamera entsteht. Die Subjekte sollen sich vielmehr der offenen Anwesenheit der Kamera bewusst sein und sich an sie gewöhnen. Die Kamera wird so selbst zum Akteur und dient als Katalysator der gefilmten Ereignisse, die ohne die Kamera, ohne den Film, ja so nicht stattfinden würden. Hier liegt auch ein wesentlicher Unterschied zum amerikanischen „Direct Cinema“, bei dem die Kamera uninvolvierter Beobachter bleibt.

In diesem Prozess geht es Rouch nicht um „Objektivität“. Vielmehr will er die gezeigten Personen im Verlauf des Films in Situationen der Selbstoffenbarung beobachten. Die Kamera „provoziert“ dabei die Reaktionen maßgeblich mit.

 

Die Reflexion der Reflexion

Dem ohnehin reflexiven Ansatz folgt, dass der Film im letzten Teil den Teilnehmern präsentiert und als Film im Film gezeigt wird. Der Film thematisiert sich somit zum Schluss selbst und verweist dadurch auf die darstellende und vermittelnde Eigenschaft des Mediums. Hierdurch wird die Frage nach der Trennung von Welt und Film und den Grenzen zwischen vorfilmischer Realität und der Realität des Films gestellt , welche Rouch versucht aufzubrechen.

In einer Diskussion reflektieren nun die einzelnen Akteure ihr eigenes Handeln sowie das der anderen. Hier vermischen sich verschiedene Standpunkte zwischen Person und Figur und Kamera. Kontrovers wird debattiert, welche Personen und Szenen authentisch oder gespielt wirken.
Die Frage wo „Wahrheit“ aufhört und Inszenierung anfängt, stellt sich auch der Zuschauer über den ganzen Film hinweg. Auch, weil Rouch absichtlich einige Szenen irritierend montiert und scheinbar narrative Momente einbaut. Ist Wahrheit nur eine Interpretation von Welt?

In der letzten Szene des Films reflektieren die Filmemacher Rouch und Maurin die vorangegangene Debatte und das Ergebnis ihres filmischen Projekts. Eher ernüchternd stellen sie fest, dass sie in der Frage nach der Wahrheit nicht wirklich erreicht haben, was sie sich erhofft hatten.

In „Chronique d’un été“ ist mit Wahrheit letztlich eine „artifizielle Form der Wahrheit[, die] nicht empirisch angelegt ist, sondern […], ganz im Gegenteil, eine nur mit den Mitteln des Films herstellbare Wahrheit“ (Piechota, 2008, S. 82) gemeint. Für Rouch liegt Wahrheit letztlich nicht im Beobachtbaren, sondern dahinter. Und der Film ermöglicht dafür eine neue Perspektive.

 

Piechota, Antje (2008). Jean Rouch. Innovationen im Spannungsfeld von Ethnologie und Kino. Saarbrücken: VDM Verlag.

Foto: flickr.com/ Festival de Cine Africano :Jean Rouch (CC BY-SA 2.0)

USA: Midterm-Wahlkampf

von Philipp Humpert

Midterms in Michigan – Klausuren und Wahlkampf

Die Hälfte Obamas zweiter Amtszeit ist vorüber. Am vergangenen Dienstag waren 310 Millionen US-Amerikaner aufgerufen, in den Midterm-Wahlen Teile des US-Senats und weitere Ämter neu zu bestimmen. Währenddessen musste ich, ein Austauschstudent in Ann Arbor, Michigan, mich auf Midterms ganz anderer Art vorbereiten: zur Hälfte des Semesters stehen traditionell Klausuren an. Während die Antworten an der Uni eindeutig sein sollten, fiel es vielen Amerikanern schwer, sich klar zu positionieren.

 

Sie haben die Wahl: Esel oder Elefant?

Am späten Dienstagabend stehen die Sieger fest: Die „Grand Old Party“ der Republikaner konnte eine Mehrheit im Senat erringen. Die „Republican Wave“ rollt durch das Land und der Präsident ist in vielen politischen Fragen ab sofort auf ihre Zustimmung angewiesen.

Doch trotz des klaren Ergebnisses bleibt die Wahl ambivalent: Zweifellos, die Demokraten waren am Ende unterlegen (Washington Post, 05.11.14), dennoch: Während auf nationaler Ebene viele Stimmen zu den Konservativen wanderten, entschieden die Wähler über Angelegenheiten innerhalb der einzelnen Staaten deutlich liberaler: Themen wie die Legalisierung von Marihuana, gleichgeschlechtliche Ehen, höhere Mindestlöhne und Waffenkontrolle erfuhren bei der Neubesetzung lokaler Ämter viel progressiven Zulauf (VoxNews, 05.11.14).

Der übergreifende Tenor der Medien ist, dass die Republikaner weniger aufgrund ihrer Inhalte gewannen, sondern dass die Wähler vielmehr eine Nachricht in Richtung der Obama-Regierung senden wollen: „Washington doesn’t listen, Washington doesn’t lead and Washington doesn’t deliver.“ (NYtimes, 06.11.14). Zwar  wird die regierende Partei während der Midterms traditionell ohnehin abgestraft, diesmal jedoch ist der Wählerärger besonders groß: Der von Obama angekündigte Wandel ist in Zeiten innenpolitischer Unsicherheit und internationaler Instabilität (nicht ohne Zutun der Republikaner) nicht eingetreten (NBC News, 07.11.14). Deren Erstarken ist daher weniger ihr eigener Verdienst, sondern vielmehr dem allgemeinen politischen Stillstand geschuldet.

Obama reagierte entsprechend: „I hear you“, sagte er zu den Wählern am Tag nach der Wahl (Video der Ansprache). Dennoch werden sich die Demokraten in Zukunft bei Reizthemen wie Obamacare, Auslandseinsätzen des Militärs, Immigration und sozialer Sicherung vom politischen Gegner weiterhin kaum Unterstützung erhoffen können.

 

„Zwei Wahlzettel, bitte“

Neben der Wahl zum Senat und dem Haus der Repräsentanten hatten die Bürger in einigen Staaten auch die Möglichkeit, über das Amt des Gouverneurs neu zu entscheiden, so auch in Michigan. Die Ergebnisse in den einzelnen Staaten verstärken den ambivalenten Ausgang der Wahlen. Während Michigans republikanischer Gouverneur Rick Snyder sein Amt verteidigen konnte, kam es bei der Wahl des Senators überraschenderweise zu einem Sieg des demokratischen Kandidaten Gary Peters (Michigan Daily, 05.11.14).

Als ich mich mit Kommilitonen über die Wahl unterhalten habe, sagten viele, dass sie mit dem Zwei-Parteien System grundsätzlich unzufrieden sind. Da die Wahlfreiheit praktisch auf ein Ja oder ein Nein zu einer Regierung beschränkt ist, fokussierten viele sich stärker auf Kandidaten und Themen als auf eine Partei. Das Ergebnis ist ein sogenannter „two-ticket turnout“: Viele Menschen wählen sowohl Republikaner als auch Demokraten in unterschiedliche Ämter, je nachdem, um welche Inhalte es sich handelt.

Wenngleich sich diese Entwicklung auch eine Möglichkeit ist, dem Wähler eine mächtigere Stimme im eindimensionalen US-Wahlsystems zu verleihen, kann sie praktisch  der Blockierung der beiden Parteien nicht entgegenwirken. Prof. Mike Traugott vom Political Science Department der University of Michigan sagt: „We’re in for two years of severe gridlock in Washington. If we thought the current congress was unproductive, it will be nothing compared to the next one.” (Michigan Daily, 05.11.14).

 

A Road to Change?

Die politische Landschaft der USA ist weiterhin von rot-blauen Gegensätzen geprägt. Die Wahlbeteiligung erreichte kaum 40%, die Frustration der Wähler steigt. Auch auf dem Campus der University of Michigan sind viele Studenten unzufrieden. „Es ist unmöglich, einen echten Wandel herbeizuführen, solange die Parteien nur aufeinander rumhacken, anstatt die Probleme anzugehen, die dieses Land hat“, sagt mir eine Kommilitonin. Die USA stehen weiter vor großen Herausforderungen, und die Präsidentschaftswahlen 2016 dämmern schon am politischen Horizont.

 

Foto: wikimedia.org/ Jnn13 (CC BY-SA 3.o)