Podcast: Review – „Ein Freitag in Barcelona & „Frances Ha“

von Lena Bühler

Der Podcast:

Beitrag Nr. 5 fertig

 

Die Filme:

 

Ein Freitag in Barcelona

„Ihr Männer lauft herum wie mit einer Waffe in jeder Hand!“ beschwert sich die resolute Mamen (Candela Peña) bei ihrem Kollegen, dessen dreiste Anmache sie gerade abblitzen ließ. Una Pistola en cada Mano (Eine Waffe in jeder Hand) lautet auch der Originaltitel der spanischen Episodenkomödie. Wirklich schade, dass es die Metapher nicht in die deutsche Übersetzung geschafft hat, wären die acht Protagonisten doch so viel lieber John Wayne als ihr von der Midlife-Crisis gebeuteltes Selbst. Regisseur Cesc Gay ist selbst Mitte 40 und setzt seinen männlichen Altersgenossen mit Ein Freitag in Barcelona ein filmisches Denkmal – nicht gerade schmeichelhaft aber höchst selbstironisch und humorvoll.

 

Ein Freitag in Barcelona, Spanien 2012, 95 Min.

Regie: Cesc Gay

Drehbuch: Cesc Gay, Thomas Aragay

Mit: Javier Cámara, Ricardo Darín, Jordi, Mollà, Candela Peña, Leonor Watling

 

Frances Ha

Die stets gut gelaunte Endzwanzigerin Frances lebt mit ihrer besten Freundin Sophie zusammen wie „ein altes lesbisches Paar, nur ohne Sex“. Gemeinsam schmieden sie große Pläne für die Zukunft, denn Frances will eine erfolgreiche Modern-Dance Tänzerin werden. Dass sie sich im Moment mehr schlecht als recht mit kleinen Nebenjobs durchschlägt, tut ihrem Optimismus keinen Abbruch. Doch als ihre Freundschaft zu Sophie zu bröckeln beginnt, gerät auch ihr Lebenskonzept durcheinander. Regisseur und Drehbuchautor Noah Baumbach ist auch privat mit Hauptdarstellerin Greta Gerwig liiert, die für ihre Rolle der Frances von den Kritikern hoch gelobt wurde. Obwohl Baumbach vor allem mit Drehbüchern für amerikanische Indieperlen wie Die Tiefseetaucher und Der Tintenfisch und der Wal bekannt wurde, kann er auch anders – für den Animationsfilm Madagascar 3 – Flucht durch Europa lieferte er ebenfalls das Drehbuch.

 

Frances Ha, USA 2012, 86 Min.

Regie: Noah Baumbach

Drehbuch: Noah Baumbach, Greta Gerwig

Mit: Greta Gerwig, Mickey Sumner, Adam Driver

 

 

 

Copyright: MFA / Camino Filmverleih

Grasshopper Films

von Lina Heitmann

Start-Up Feeling in Tübingen: Die Büro-WG in der Derendinger Straße ist spärlich möbliert und hell, es liegen Kabel frei während umgebaut wird; die Kekswerkstatt zieht aus und Webtronic kommt hinzu. Hier sitzt auch die junge Firma Grasshopper Films. Seit 2012 ist die Filmemacherin und Geschäftsführerin Anna Ross in der selbtgegründeten Firma tätig.

Sprung in die Selbstständigkeit

Anna studierte in Tübingen Amerikanistik, Islamwissenschaft und Deutsche Mediavistik, und hatte erstmals im Jahr 2009 bei einem Career Service Kurs der Uni eine Videokamera in der Hand. Die Liebe zum journalistischen Filmen entwickelte sie bei CampusTV. Eigentlich kam die Idee für eine Art „CampusTV auf dem freien Markt“ von Oliver Häußler, dem Leiter des Tübinger Uni-Fernsehens. Gemeinsam gründeten Anna und Oli im Februar 2012 Grasshopper Films und verwirklichten damit diese Idee. Mit ihrer Firma schafften die beiden Gründer eine Plattform für Jugendliche und Studenten, die von dort aus ins Berufsleben springen. Der Namensfindungsprozess zeigt, welches Image Grasshopper Films kultivieren will: jung, dynamisch und antihierarchisch soll der Name wirken. Und wie der Grashüpfer springt sie „weit über das hinaus, was man von der Größe erwarten kann“, verbildlicht Anna im Interview.

Den ersten Auftrag realisierte Grasshopper Films gemeinsam mit dem Zentrum für Medienkompetenz der Uni Tübingen: Die Übermorgenmacher war ein Projekt des Landesmarketing Baden-Württemberg in Zusammenarbeit mit dem SWR, dem ZfM der Uni Tübingen und Grasshopper Films. Seitdem verwirklichte Grasshopper unter anderem Projekte für die Jugendstiftung Baden-Württemberg, für den Landespreis für Heimatforschung und für den Regierungsreise-Bus der Landesregierung Baden-Württemberg. Seinen Erfolg kann Grasshopper Films vor allem auf Empfehlungen und Mundpropaganda zurückführen – die Webseite bezeichnet Anna eher als „Stiefkind“, um das sie sich kaum kümmert. Für den Erfolg von Grasshopper ist die Online-Präsenz in einer Zeit von Web und Social Media Hype bisher kaum essentiell.

Studi-Grashüpfer

Eine Besonderheit von Grasshopper Films ist, dass die Firma nicht nur mit Profis zusammenarbeitet. Ein zentraler Punkt der Grasshopper-Philosophie ist, dass Studenten die Möglichkeit bekommen, bereits während der Studienzeit auf professionellem Niveau zu arbeiten. Für Auftraggeber gibt es unterschiedliche Preisvarianten. Sie können sich für die Profivariante entscheiden, Anna vergleicht dies mit dem „Top-Stylist“ beim Friseur. Alternativ gibt es die Mischvariante, wo Studenten mit Kameraerfahrung, junge Filmemacher und Profis zusammenarbeiten. „Ich versuche immer die ‚Stylist-Variante’ zu pitchen“, erklärt Anna, und handelt auch für die studentischen Team-Mitglieder eine faire Vergütung aus. Denn sie ist überzeugt: „Das was vielleicht fehlt an Berufserfahrung, das haben sie mehr an frischer Herangehensweise und an Querdenken“. Für die Studenten ist nicht nur die Bezahlung ein Anreiz: „Du hast deinen Beitrag, der wirkt in der Welt“, so Anna. Studenten bekommt die Firma vor allem über Empfehlungen und über Tübingens CampusTV, wo beide Gründer noch in der Redaktionsleitung tätig sind.

Die Ausbildungsschiene

Dass Anna und Oli durch CampusTV einen Hintergrund in der Ausbildung herangehender Filmemacher haben, zeigt sich nicht allein in ihrer Zusammenarbeit mit Studenten. Grasshopper filmt nicht nur, sondern bringt auch anderen das Filmen bei: Die Firma bietet die Möglichkeit, anstatt selbst eine Dokumentation, beispielsweise zu einem Jugendprojekt, zu produzieren, gemeinsam ein Ausbildungskonzept zu entwickeln. Mit Workshops zu Interviewtechnik, Kamera und Schnitt bringt Grasshopper dann zum Beispiel den Jugendlichen selbst das Filmhandwerk bei.

Jetzt steht Grasshopper vor der Herausforderung, sich inmitten vieler Aufträge genug Zeit freizuschaufeln, um eigene Projekte zu verwirklichen – unter anderem an Schulen. Wie Anna erklärt, ist das Filmen durch Handykameras heute schon gängiger Teil des Lebens Jugendlicher; ihr geht es darum, Schülern zu zeigen, was sie alles damit machen können.

„Leute, glaubt an euch!“

Selbstsicher erklärt Gründerin Anna, sie habe noch nie daran gedacht, ihre Entscheidung zur Gründung der eigenen Firma zu bereuen. Im Gegenteil, sagt sie: „Ich habe unterschätzt, wie viel dauerhafte Freude es mir bereiten würde“. Angehenden Filmemachern rät sie zu „Selbstvertrauen in die eigene Idee und in das eigene Können, und die Bereitschaft sich weiterzuentwickeln und die Augen offenzuhalten, dann steht der Karriere und einem erfüllten Berufsleben nichts im Weg“. Na dann mal los!

 

Fotos: Copyright Anna Ross und Christine Burkart

Podcast: The Counselor

von Lena Bühler

Der Podcast:

Beitrag Nr. 4 fertigKlein

Der Film: Koks und Kohlenstoff – Wenn Gier zum Verhängnis wird

Als Laura (Penélope Cruz) von ihrem Freund einen riesigen Diamantring bekommt, kann sie nur entzückt „Ja, ich will“ hauchen. Was sich wie das Happy End einer so kitschig wie unrealistischen Hollywoodromanze anhört, ist in diesem Fall der Beginn einer Geschichte von Gier und ihren Konsequenzen. Denn der Anwalt, im Film nur Counselor (Michael Fassbender) genannt, kann sich diesen Ring nur leisten, weil er in ein dubioses Drogengeschäft investiert, das seine Zukunft mehr als sichern soll. Als die Lieferung verschwindet müssen der Counselor und seine Partner (Brad Pitt & Javier Bardem) am eigenen Leib erfahren, dass die Drogenmafia nichts von Zufällen hält.

Ridley Scott siedelt seinen Film nicht zufällig im Grenzgebiet zwischen Mexiko und den Staaten an, gilt dieser Ort im Film doch seit jeher als ein Niemandsland, in welchem Gesetze und Moral eine untergeordnete Rolle spielen. Ein düsterer Film, dessen Dreh für Ridley Scott von einem harten Schicksalsschlag überschattet wurde. Zu Beginn der Dreharbeiten nahm sich Tony Scott, Ridleys jüngerer Bruder, das Leben. Auch er wurde als Regisseur von Actionfilmen wie Staatsfeind Nr. 1, Déjà Vu und Die Entführung der U-Bahn Pelham 123 weltbekannt. Ridley Scott widmete sein neuestes Werk The Counselor seinem Bruder Tony und seinem Regieassistenten Matthew Baker, der ebenfalls während des Drehs verstarb.

 

The Counselor, GB/US 2013, 117 Min.

Regie: Ridley Scott

Drehbuch: Cormac McCarthy

Mit: Javier Bardem, Cameron Diaz, Penélope Cruz, Michael Fassbender, Brad Pitt

 

 

 

© Copyright: 20th Century Fox

 

 

Vom Film zum Politikum: JFK

von Selina Juliana Sauskojus 

Vor fünfzig Jahren, am 22. November 1963, verübten bis heute Unbekannte einen Anschlag auf den amtierenden Präsidenten John F. Kennedy. 28 Jahre später versuchte der Regisseur Oliver Stone die Ereignisse rund um das Attentat auf der Leinwand aufleben zu lassen – und löste mit JFK einen Aufruhr in den Vereinigten Staaten aus.

Tatort: Dallas

Gegen 12.30 biegt der Lincoln, in dem John F. Kennedy mit seiner Frau Jackie und dem texanischen Gouverneur Connally und dessen Frau sitzt, in die Elm Street am Dealey Plaza ein. Das Präsidentenpaar winkt gutgelaunt in die Menge. Plötzlich fallen Schüsse. Der Präsident wird am Hals getroffen. Dann der zweite – er geht daneben. Der dritte – der tödliche Schuss. Er trifft den Präsidenten am Kopf, verletzt ebenfalls den Gouverneur. Um 12.34 Uhr folgte die erste Meldung der Medien: „Drei Schüsse wurden auf Präsident Kennedys Autokolonne in der Innenstadt von Dallas abgegeben.“ Diese Meldung lähmt das gesamte Land. Um 13 Uhr wird Kennedy für tot erklärt.

Ein Täter ist schnell gefunden. Lee Harvey Oswald, ein Marxist mit Verbindungen nach Russland und Kuba, soll Einzeltäter gewesen sein. Zwei Tage nach dessen Festnahme wird Oswald von Jack Ruby, einem Nachtclubbesitzer, bei der Überführung ins Staatsgefängnis von Dallas erschossen. Nach dem Attentat bewegte die Welt vor allem eine Frage: Wer war der Täter? Oder auch vielleicht sogar die Täter? Eine Woche nach der Ermordung wurde Warren-Kommission einberufen. Sie sollte die Täterfrage klären. Die Kommission kam zu dem Ergebnis, dass es sich um einen Täter, Lee Harvey Oswald, gehandelt habe, der drei Schüsse abgefeuert haben soll. Damit war der Fall vorerst erledigt. Bis Jim Garrison, der Staatsanwalt von New Orleans, sich erneut mit der Angelegenheit befasste. Stutzig machte ihn vor allem die „Magic Bullet“, der letzte Schuss, der angeblich sieben Verletzungen beim Präsident und dem Gouverneur verursacht haben soll. In seinen Ermittlungen kam er zu dem Ergebnis, dass CIA und FBI die Hände mit im Spiel gehabt haben sollen. Im März 1967 klagte er den Geschäftsmann Clay Shaw wegen Teilnahme an der Verschwörung zur Ermordung des Präsidenten an. Im Prozess 1969 wurde dieser allerdings von der Jury freigesprochen. Damit wurde der Fall Kennedy zu den Akten gelegt – Zweifel an den Ergebnissen der Warren-Kommission blieben aber weiterhin bestehen.

Oliver Stone – Regisseur oder politischer Aktivist?

Aktualität erlangte der Fall erst wieder im Jahr 1991, als Oliver Stone die Geschehnisse der sechziger Jahre in seinem Film JFK wieder in das kollektive Gedächtnis der Amerikaner rief. Dreh- und Angelpunkt des Films ist Jim Garrison, gespielt von Kevin Costner. Stone stellte die Ereignisse rund um dessen Ermittlungen nach und folgte dessen These, dass es sich keinesfalls um einen Einzeltäter hätte handeln können, sondern um eine Verschwörung in den höchsten Institutionen der USA.
Oliver Stone ist bekannt dafür, Filme zu machen, die sich mit den großen politischen und sozialen Fragen der Staaten befassen: 1986 bannte er mit Platoon das Grauen des Vietnamkrieges auf die Leinwand, in Wall Street legte er die Machenschaften der Börsenhaie offen, in Nixon und W. befasste er sich mit der Watergate-Affäre und dem Leben des umstrittenen Präsidenten George W. Bush. Dennoch bezeichnet sich Stone selbst nicht als politischen Aktivisten, sondern als Regisseur, der Geschichten erzählt und sein großes Vorbild in Jean-Luc Godard sieht. Schon vor Veröffentlichung sorgte der Film für Furore, als die erste Version des Drehbuchs gestohlen und großen amerikanischen Zeitungen wie dem Chicago Tribune, der Washington Post und dem Times Magazine zugespielt wurde. Diese warfen Stone vor Fakt und Fiktion durcheinanderzubringen und zerrissen das Werk bevor es in die Kinosäle kam. Auch der damalige Präsident George Bush positionierte sich klar gegen den Film und versuchte sogar die Veröffentlichung zu stoppen. Stone konterte indem er den Entwurf des Drehbuchs mit Quellenangaben versah und in die Öffentlichkeit brachte. Der große Aufschrei erfolgte dann aber nach Veröffentlichung des Films. Die Darlegung einer theoretischen Unmöglichkeit eines Einzeltäters löste einen Aufruhr im amerikanischen Volk aus.
28 Jahre nach der Ermordung war noch immer keine befriedigende Lösung des Falles präsentiert worden. Die Tatsache, dass ein Großteil der Akten zum Attentat und zu Lee Harvey Oswald immer noch unter Verschluss waren, stieß den Bürgern sauer auf. Ein wichtiges Beweisstück, das Jim Garrison in der Verhandlung anführte, war der Zapruder-Film, der Film eines Amateur-Kameramannes, der ein völlig neues Licht auf den Fall warf: Dieser belegte ganz klar, dass es nicht nur einen Schützen gegeben haben konnte, weil die Schüsse von mehreren Seiten kamen. Die Audiospur bewies ebenfalls, dass es mehr als drei Schüsse gab. Dieser Film wurde erst 1975 öffentlich gemacht. Eine wichtige Rolle spielten für den Film auch Zeugenaussagen, die von der Warren-Kommission ignoriert worden waren: Jene Zeugen sagten aus, dass sie die Schüsse nicht nur gehört, sondern ebenso einen zweiten Schützen gesehen hatten. Die größte Rolle spielte allerdings Lee Harvey Oswald, dargestellt von Gary Oldman, und dessen Verbindung zur CIA. Die Öffentlichkeit war bis 1991 weitestgehend davon ausgegangen, dass der angeblich bekennende Marxist alleine gehandelt habe. Doch Oliver Stone zeigt eine andere Version der Geschichte, in der Oswald ein CIA-Mann war, der zum Sündenbock gemacht werden sollte.

Conventions und Kommissionen

All die Fragen, die der Film aufwarf, konnten in der Realität nicht beantwortet werden. Die Geheimhaltungspolitik der amerikanischen Institutionen machten eine Recherche mit Originalmaterial unmöglich. Unmittelbar nach Veröffentlichung des Films rollte eine Lawine von Literatur zu dem Thema über die USA hinweg: Bücher, in denen die Ereignisse dargestellt wurden, Bücher, die sich mit der Warren-Kommission und der Causa Shaw beschäftigten, Bücher, die eine Verschwörungstheorie nach der anderen in die Welt setzten. Amerika war gespalten in zwei Lager. Auf der einen Seite standen die Institution CIA, FBI, Secret Service, die Regierung und jene, die deren Version der Dinge für die Realität hielten. Auf der anderen Seite unabhängige Analysten, skeptische Bürger und eine nicht geringe Anzahl an freien Medien, die sich nicht zufrieden geben wollten mit dem Argument, dass die Akten aus Gründen des Heimatschutzes unter Verschluss bleiben sollten. Plötzlich tummelten sich auf dem Dealey Plaza Gruppen aus hunderten von Menschen aus aller Herren Länder, die sogenannte „Conspiracy Conventions“ abhielten und eigenständig versuchten, den Fall zu lösen. Mittlerweile waren 73% der Amerikaner der Überzeugung, dass die Regierung sie für dumm verkaufte und sie forderten die Veröffentlichung sämtlicher Akten. Internationale Tragweite erlebten die Auswirkungen der Veröffentlichung von JFK als die russische Regierung sämtliche KGB-Akten Lee Harvey Oswald betreffend öffentlich machte. Die CIA weigerte sich nach wie vor standhaft ihr Material offenzulegen. Doch die Regierung konnte sich dem öffentlichen Druck nicht länger entziehen und sah sich gezwungen zu handeln:

Am 26. Oktober 1992 trat der „President John F. Kennedy Assassination Records Collection Act of 1992“ in Kraft. Eine unabhängige Kommission, genannt das „Assassination Records Review Board“ wurde dazu angehalten, sämtliche Beweise zum Attentat zu sammeln und Zeugen zu befragen. Eine These zum Täter sollte allerdings nicht geliefert werden. Bis 1998, als die Kommission ihre Arbeit beendet hatte, wurde der gesamte Warren-Report (bis auf wenige Ausnahmen) in nationalen Archiven für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Bis heute allerdings sind schätzungsweise weitere 50.000 Dokumente unter Verschluss, darunter die von Akten von FBI und CIA zu Lee Harvey Oswald.

Das Rätseln geht weiter

Dass sein Film einen solchen erheblichen Beitrag zur Meinungsbildung im amerikanischen Volk leisten würde, konnte Oliver Stone bis zur Veröffentlichung höchstens hoffen. Doch die Wunden, die das Attentat dem Volk zugefügt hatte und die dubiosen Umstände der Tat, konnten in 28 Jahren nicht verheilen. Bis heute ist der Mord an John F. Kennedy eines der bedeutendsten Ereignisse in der Geschichte der USA. Und immer noch umgibt der ganze Fall eine Aura des Mysteriösen, was ihn auch noch für nachfolgende Generationen spannend machen wird. Wirklich neue Erkenntnisse konnten nach der Veröffentlichung von JFK nicht gemacht werden. Es ranken sich immer noch diverse Verschwörungstheorien um den 22. November 1963, eine Involvierung der Mafia etwa oder gar eine Beteiligung von Fidel Castro an dem Verbrechen. Nichtsdestotrotz ist JFK der Beweis dafür, dass das Medium Film eine unglaubliche Schlagkraft entwickeln kann. Bei Veröffentlichung des Werkes sagte Oliver Stone, er habe eine Geschichte erzählen wollen. Er wolle, dass die Menschen im Jahr 1991 das fühlten, was ihre Eltern und Großeltern 1963 gefühlt hatten. Am Ende war es ihm zu verdanken, dass das amerikanische Volk im Jahre 1991 so handelte, wie es vielleicht schon 1963 hätte handeln sollen.

 

Bilder: 20th Century Fox

Podcast: Blancanieves

von Lena Bühler

Der Podcast:

Beitrag Nr. 3 fertig

 

Der Film:  Es war einmal der Stummfilm? Wenn Märchen wahr werden

Bis zur Oscarverleihung 2012 hatten wohl die Meisten den schwarz/weiß Stummfilm als Relikt einer lange vergangenen Zeit abgetan. Umso größer war also die Überraschung über den Erfolg von The Artist, mit dem der Stummfilm ein kleines Comeback feierte und sich wieder zurück in unser Bewusstsein katapultierte. Davon profitieren vor allem kleinere Produktionen mit geringerem Budget, wie eben der spanische Stummfilm Blancanieves von Pablo Berger.

Obwohl der Titel genau das vermuten lässt, ist Blancanieves nicht wirklich eine Adaption des Märchenklassikers Schneewittchen. Es gibt keine Prinzen und Königreiche, keine sieben Berge und sprechende Spiegel. Stattdessen gibt es Flamenco, Stierkampf und einen frechen Hahn. Pablo Berger selbst sagte, er habe seine ganz eigene Version von Schneewittchen erzählen wollen und nutzt dafür auch Elemente der berühmten Oper Carmen. Zum Beispiel leiht er sich von ihr den Namen für seine Protagonistin. Und so entfaltet sich vor der malerischen Kulisse Sevillas der 20er Jahre eine Geschichte voller Poesie, die ganz ohne Farben und Worte verzaubert.

Wem übrigens die Idee von spanischen schwarz/weiß Filmen gefällt, kann vom 20. Bis zum 27. November neben Blancanieves auch Das Mädchen und der Künstler von Oscarpreisträger Fernando Trueba  im Tübinger Kino Museum sehen. Beide Filme laufen im Rahmen des Filmfestivals FrauenWelten, das sich nun zum 13. Mal jährt. Mittlerweile eine feste Institution in der Tübinger Festivallandschaft, werden auch dieses Jahr wieder humorvolle, berührende und außergewöhnliche Geschichten von außergewöhnlichen Menschen erzählt.

 

Blancanieves, Spanien  2012, 109 Min.

Regie & Drehbuch: Pablo Berger

Mit: Maribel Verdú, Daniel Giménez Cacho, Ángela Molina, Macarena Garcia, Sofia Oria

 

 

 

 

Copyright: AV Vision Filmverleih

 

Generation YouPorn vs. Reality: Don Jon

von Selina Juliana Sauskojus

Macho Jon Martello bekommt jede Frau ins Bett, die er haben will. Doch zur wirklichen Ekstase bringt ihn nur eines: Internet-Pornos. Mit seinem erfrischenden Regiedebüt Don Jon gewährt Joseph Gordon-Levitt Einblick in eine Generation, die trotz mediengeprägter Erwartungen nur eines will: menschliche Nähe.

Meet Don Jon

„Mein Körper, meine Bude, meine Karre, meine Familie, meine Kirche, meine Jungs, meine Mädels und meine Pornos.“ Mehr braucht Jon Martello (Joseph Gordon-Levitt) nicht, mehr würde vor allem nicht in sein wunderbar strukturiertes Leben passen. Neben der pingeligen Instandhaltung von Wohnung und Auto verbringt dieser seine Zeit nämlich am liebsten damit, abends im Club eine „Zehn“ nach der anderen abzuschleppen. Nur um immer wieder festzustellen, dass der Sex, den er da bekommt, absolut nicht befriedigend ist. Doch Don Jon, wie ihn seine Freunde in Anlehnung an Don Juan nennen, weiß sich zu helfen: Pornos. Sobald der One-Night-Stand im Nebenzimmer zufrieden schlummert und sein Laptop das typische Hochfahr-Geräusch von sich gibt, beginnt für ihn die wahre sexuelle Erfüllung. Welche normale Frau kann schon mit einem Pornostar erster Güte mithalten?

An einem seiner Clubabende lernt Jon Barbara Sugarman (großartig: Scarlett Johansson) kennen. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Doch diesmal hat es der Eroberer schwerer als zuvor. Denn Barbara liebt Schnulzen und ginge es nach ihr, sollte ihr Liebesleben genauso aussehen, wie in den stereotypen RomComs dieser Welt.

Sasha Grey vs. Jane Austen

Joseph Gordon-Levitt schwebte vor allem ein moderner Liebesfilm vor, als er sich an das Schreiben des Drehbuchs setzte.Unterm Strich ist Don Jon mehr als das. Gordon-Levitt karikiert Männer und Frauen, die geprägt sind von Gender-Modellen, wie sie in den heutigen Medien präsentiert werden. Für Jon ist die Frau von heute vor allem heiß, gut im Bett und absolut austauschbar. Barbara allerdings träumt von einem gebildeten Mann, der im Haushalt keinen Finger krümmt und vor allem eines nicht darf: Pornos gucken. Dass diese beiden Welten kollidieren müssen, ist von Anfang an vorprogrammiert.

In Deutschland gingen in diesem Jahr 12,5% aller Klicks auf Seiten mit pornografischem Angebot. Damit steht Deutschland weltweit auf Platz 1. Pornos gehören zur Lebenswelt in Europa und in den USA sowie es Bücher von Jane Austen, Filme von Woody Allen und Musik von Taylor Swift tun. Und alle haben eines gemeinsam: sie verändern unser Bild von der Realität, beziehungsweise sie verändern unsere Erwartungen an reale Beziehungen. Der einzige Unterschied ist, dass dem Konsum von Pornos immer noch etwas Anrüchiges anhaftet. So anrüchig, dass selbst Jon bereitwillig die vom Pfarrer auferlegten Ave Marias und Vater Unsers beim Trainieren im Fitnessstudio runterrattert. Dass diese gesellschaftliche Wertung an sich aber paradox ist, zeigt der Film sehr gut auf und das ohne selbst eine Wertung der Charaktere vorzunehmen. Möglicherweise schafft er es sogar zum Verständnis zwischen den Geschlechtern beizutragen. Die Rolle als Vermittlerin füllt Julianna Moore als Esther, Jons Mitschülerin, aus. Durch sie realisiert er, dass der Versuch eine alltagstaugliche Pornomieze im Club nebenan zu finden, zum Scheitern verurteilt ist. Dass diese Erkenntnis im Gesamtkonzept des Filmes etwas zu moralisch daherkommt, ist zu verschmerzen.

Fazit

Don Jon ist zwar eine Low Budget-Produktion, doch sie ist für Hollywood gemacht. Dennoch unterscheidet sie sich komplett von den Vorgängern ihres Genres. Es ist Gordon-Levitt gelungen, eine sehr ehrliche Version des Liebesfilms auf die Leinwand zu zaubern. Eine, die einen eher zum Hinterfragen als zum Träumen bringt. Und das schafft er mit einer Leichtigkeit und einem erfrischenden Selbstbewußtsein, wie man es in letzter Zeit selten im Kino erleben durfte. Zuträglich ist dem Ganzen auch der Look des Films. Mit einem raffinierten Einsatz von Schnitt und Kamera ähnelt Don Jon in manchen Sequenzen eher einem Musikvideo als einem Leinwandfilm. Das ist nicht unbedingt neu, macht aber Spaß und schafft es mehr als davon zu überzeugen, dass Joseph Gordon-Levitt nicht nur einer der besten Schauspieler seiner Generation ist, sondern durchaus auch das Zeug dazu hat, einer der besten Regisseure zu werden.

 

Szenebilder: Ascot Elite PresseService

 

Podcast: Review – „Die Monster Uni“ & „Only God forgives“

von Lena Bühler

Der Podcast:

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Die Filme:

 

Die Monster Uni

Astronaut, Polizist oder doch lieber Lehrer? Wer kennt sie nicht, die klassische Antwort auf die „Und wenn du mal groß bist?“ – Frage. Kleinen Monstern geht es ganz ähnlich, nur steht „Schrecker“ auf der Liste der prestigeträchtigen Berufe ganz weit oben. So auch bei Sully und Mike, die in Die Monster Uni auf die Leinwand zurückkehren um von ihrem harten Schreckologie-Studium zu erzählen und davon, wie sie Freunde wurden. Statt Peter Docter führte im Prequel zur Monster AG Dan Scanlon Regie, den man bei Disney/Pixar bereits aus Cars kannte. Ein zweiter Monster-Film war zwar schon seit 2005 geplant, allerdings gab es Meinungsverschiedenheiten zwischen Steve Jobs († 2011), damals Geschäftsführer von Pixar und Michael Eisner, Geschäftsführer von Disney. Das damalige Drehbuch sah eine Fortsetzung vor, in welcher Sully und Mike der kleinen Boo ein Geburtstagsgeschenk machen wollen. Als sie merken, dass sie umgezogen ist, machen sie sich in der Menschenwelt auf die Suche nach ihr. Umgesetzt wurde das Drehbuch allerdings nie.

Die Monster Uni, USA 2013, 104 Min.

Regie: Dan Scanlon

Drehbuch: Dan Scanlon, Daniel Gerson, Robert L. Baird

Synchronstimmen: Reinhard Brock, Ilja Richter, Kerstin Sanders-Dornseif

 

Only God forgives

Wer bereits 2011 von Drive begeistert war wird sich freuen, dass mit Only God forgives ein weiteres Werk von Nicolas Wending Refn mit Ryan Gosling entstand, das ab der kommenden Woche auf DVD und Blu-Ray erhältlich ist. In dem abgründigen Thriller will Drogenhändler Julian seinen Bruder Billy rächen, der wegen Vergewaltigung und Mord umgebracht wurde. Doch der Plan entwickelt sich zu einer unaufhaltsamen Gewaltspirale, die eine blutige Spur in Thailands Hauptstadt Bangkok hinterlässt. Kameramann Larry Smith arbeitete bereits mit Stanley Kubrick in Eyes Wide Shut, Kubricks Interpretation von Arthur Schnitzlers Traumnovelle.

Only God Forgives, Dänemark, Frankreich, Thailand, 2013, 90 Min.

Regie & Drehbuch: Nicolas Wending Refn

Mit: Ryan Gosling, Kristin Scott Thomas, Vithaya Pansringarm, Yayaying Rhatha Phongam

 

 

Knut Hickethier zu Gast in Tübingen

 von Nicolai Busch

Der prominente Medienwissenschaftler über die Geschichte und Traditionen unseres Fachs. Ein Vortrag im Rahmen der „Einführungsveranstaltung für Medienwissenschaft I“ unter der Leitung von Prof. Dr. Pörksen.

Es ist einer dieser Montagabende für etwa 250 neue Bachelor- und Masterstudenten der Tübinger Medienwissenschaft. Montagabend das bedeutetet „Einführungsveranstaltung in die Medienwissenschaft I“, das bedeutet Basiswissen zur Medienforschung, zur Medienpraxis, zu Mediensystemen und Medienwirkungen, sowie zur Medienethik und vielem mehr. Zum dritten Mal ist die Vorlesung unter der Leitung von Prof. Dr. Pörksen bis auf den letzten Platz besetzt. Doch auch Studenten älterer Semester, Professoren und Dozenten der Medienwissenschaft, sowie Fachfremde sind unter den heutigen Besuchern auszumachen. Anlässlich des prominenten Gastredners aus Hamburg sollte dies aber nicht allzu sehr verwundern.

Wie aus einem Kunsterzieher ein Medienwissenschaftler wurde

Die Rede ist von Knut Hickethier, eben jenem herausragenden Medienwissenschaftler älterer, prägender, ja wegweisender Generation. Geboren 1945, studierte Prof. Dr. Hickethier zunächst Kunsterziehung an der Hochschüle der Künste in Berlin von 1965-1970. Im Interview mit media-bubble.de erklärt uns der spätere Fernseh-, Film- und Radiokritiker (dann auch), wie er schließlich „zu den Medien kam“: Durch eine Öffnung der kunsterzieherischen Didaktik für mediale Dikurse und den verstärkten Konsum medialer Inhalte durch Kinder und Jugendliche Ende der 60er Jahre. Schon bald empfand Knut Hickethier großes Interesse für ein Angebot fernsehanalytischer Seminare an der Technischen Universität Berlin. Grund genug für den damaligen Kunsterzieher, das interdisziplinäre Angebot der Berliner Germanistik und Erziehungswissenschaften ab 1970 wahrzunehmen, um hier bereits den Grundstein der später folgenden medienwissenschaftlichen Karriere zu setzen.

Wer, wenn nicht er?

Der Abend mit Knut Hickethier im Kupferbau beginnt mit einer liebenswürdigen und respektzollenden Laudatio von Prof. Dr. Pörksen. Man kennt sich gut aus Hamburger-Zeiten und zeigt sich dankbar für viele Jahre des „Forderns und Förderns“. Der Respekt vor der wissenschaftlichen Leistung Knut Hickethiers lässt sich als dann auch in Zahlen ausdrücken: Unglaubliche 450 Publikationen seien es, die der Herausgeber zahlreicher Buch- und Filmreihen bisher zu verzeichnen hat, so Prof. Dr. Pörksen zu den Ergebnissen seiner Recherche. Eine lange Liste präzisierter, veröffentlichter Gedanken, die zeitlich weit zurück reicht zu den Anfängen unseres Fachs und die verstehen machen sollte, weshalb eben dieser Mann an diesem Abend geladen ist, das Thema „Fachgeschichte und Fachtraditionen“ vorzutragen.

Über die Entstehungsgeschichten der Kommunikations- und Medienwissenschaft über Debatten, Kontroversen und das Verhältnis beider Fächer zueinander, über aktuelle Trends der Fachentwicklungen, bis hin zu den Paradigmen der Medienwissenschaft, widmet sich der Gastredner Knut Hickethier eben jenen zentralen und elementaren Stichworten, die in keiner Einführungsveranstaltung der Medienwissenschaft fehlen sollten. Ein unterhaltsamer Vortrag, gespickt mit zahlreichen Anekdoten und persönlichen Erlebnisberichten, wie zum Beispiel jenen Erinnerungen an die technisch zwar absurd-aufwändigen, aber erfolgreichen Fernsehanalysen als Student an der TU Berlin unter Friedrich Knilli. Fast nostalgisch klingt Knut Hickethier, als er darauf verweist, dass das deutsche Fernsehen diese Analysen damals noch ernst genommen und auf die akademische Kritik direkt reagiert habe! Was trotz der so vergänglich anmutenden Vortragsthematik bleibt, sind große Zukunftsvisionen Prof. Dr. Hickethiers für das Fach der Medienwissenschaft, auch in Tübingen: Eine zunehmende Annäherung von Kommunikations- und Medienwissenschaft, verbunden mit methodischen, wie inhaltlichen Veränderungen für beide Fachrichtungen, ein gerechter und maßvoller Umgang mit externen Förderungsmaßnahmen, um vor allem einem sich ausbreitenden „Effiziendenken“ der Universitäten Einhalt zu gebieten, besonders aber die nie endende „Suche nach dem Sinn, der in allem steckt und der mediale Kommunikation immer wieder auf’s Neue attraktiv macht.“

 

Podcast: Tirez la langue, Mademoiselle

von Lena Bühler

Der Film: Ist Blut dicker als Wasser?

Mit den Geschwistern ist das so eine Sache. Wir lieben sie natürlich, aber jede freie Minute mit ihnen verbringen? Für die Meisten unvorstellbar. Anders bei Boris und Dimitri. Nicht nur, dass sie praktisch Nachbarn sind und sich per Handzeichen am Fenster noch zum Abendspaziergang mit dem Hund verabreden können. In der Gemeinschaftspraxis „Dr. Pizarnik & Dr. Pizarnik“ sind sie in erster Linie Kollegen und tun genau das, was den meisten Geschwistern Magenschmerzen bereitet – jede freie Minute zusammen verbringen. Doch die brüderliche Harmonie wird getrübt von – wie könnte es anders sein – einer Frau. Die schöne Judith ist die alleinerziehende Mutter von Alice, einer Patientin der Pizarnik-Brüder. Als sich sowohl Boris als auch Dimitri in Judith verlieben wünschen sie sich zum ersten Mal, was zuvor abwegig erschien – Abstand voneinander.

Der Podcast:

Podcast – Tirez la langue, Mademoiselle

 

 

Tirez la langue, Mademoiselle – Zunge raus, Fräulein, Frankreich 2012, 102 Min.

Regie & Drehbuch: Axelle Ropert

Kamera: Céline Bozon

Mit: Louise Bourgoin, Cédric Kahn, Laurent Stocker, Serge Bozon, Camille Cayol, Gilles Gaston-Dreyfus

Geboren, um zu werben? – Adday/Adnight in Stuttgart

von Sandra Fuhrmann

Werbung ist sexy! Das galt zumindest noch vor einigen Jahren. Heute scheint sich der Arbeitsmarkt gewandelt zu haben. Es ist vor allem die junge Generation – die so genannten High Potentials – die weniger opferbereit ist, als es die Generation war, die vor 20 Jahren am Start stand. Darauf müssen sich auch Agenturen einstellen. Heute gilt es nicht nur Werbung für den Kunden zu machen, sondern auch für sich selbst als Arbeitgeber – denn viele zukünftige Mitarbeiter wollen erst noch überzeugt werden. Eine Gelegenheit, die sich am Donnerstag bei der adday/adnight in Stuttgart bot.

Das Blutegel-Image der Agenturen

Unbezahlte Überstunden, Arbeit am Wochenende, Selbstverwirklichung zum Preis der Selbstaufgabe: Das ist das traurige Image, das Werbe- und PR-Agenturen auch heute noch häufig anhaftet. Bei der adday/adnight hatten sich elf Agenturen aus Stuttgart und Umgebung zusammengefunden, um die Besucher eines Besseren zu belehren. Die Anmeldung für die Besucher lief kostenlos vorab über das Internet, die Zahl der Teilnehmer war allerdings auf 600 beschränkt. Es waren vor allem Studierende aus den Medienbereichen, die gekommen waren, um die Agenturen zu beschnuppern oder sich sogar gleich ein konkretes Job- oder Praktikumsangebot zu sichern. Dass alle Tickets vergeben wurden zeigt, dass Jobs in der Werbung keineswegs out sind.

Doch noch einmal zurück zum schlechten Image der Agenturen: Dieses Thema schien Mirco Hecker, von der gwa (Gesamtverband Komunikationsagenturen) in seinem einführenden Vortrag besonders wichtig zu sein. Bestehendes Arbeitsrecht könnten schließlich auch die Agenturen nicht ignorieren. Und sicher sei es richtig, dass die Löhne für Trainees in Agenturen nicht mit denen von McKinsey vergleichbar seien (bei Agenturen unter 100 Mitarbeitern im Schnitt etwa 32.000 Euro Brutto im Jahr). Wie viele Absolventen jedoch hätten schon die Chance, bei dem Beratungsriesen unterzukommen? Setze man die Löhne außerdem in Bezug zum Durchschnittsgehalt der Deutschen (2012 waren es 28.950 Euro), seien diese Einstiegsgehälter durchaus gut. Außerdem stünden die Aufstiegschancen in Agenturen wesentlich besser als in den festgefahrenen Strukturen von großen Unternehemen und Behörden. Diesen Punkt betonte auch Till Heckel von der Agentur Leonhardt & Kern. Und zu den Arbeitszeiten: „Work-Life-Balance ist das, was du aus deinem Leben machst“, so Heckel.

Von Märchentanten und der Goldenen Gans

Ein Interesse an Agenturjobs ist durchaus begründet – mag die vorgebrachte Argumentation zu den Gehältern und Arbeitsbedingungen auch Schwachstellen aufweisen. Die Sterne für die Agenturen stehen gut. Viele Redaktionen müssen zunehmend an „Textern“, wie sie im Agenturjargon genannt werden, sparen. Leere Seiten wollen derweil weiterhin mit Content gefüllt werden. Die Redaktionen stehen vor dem Problem, wer diesen Content liefern soll. Hier tun sich ganz neue Möglichkeiten für Werbung und PR auf. Der Ottonormalbürger wird am Tag von 2500 bis 5000 Werbebotschaften konfrontiert. Wer aus dieser Flut hervorstechen will, muss etwas bieten: Storytelling heißt das große Zauberwort. Als Kinder bekamen wir von Mutti das Märchen vom Rotkäppchen erzählt. Heute sind es tagtäglich die Werber, die uns die Geschichte von der Goldenen Gans auftischen – und wie damals hören wir uns auch heute noch gerne Märchen an. Über gute Geschichten frei Haus freuen sich auch die Redaktionen – frisch und vor allem fertig von den Agenturen auf den Tisch geliefert bieten Werbestorys interessante Inhalte mit minimalem Aufwand. Halbnackte Frauen in Bikinis? „Klar!“ dachte sich da die PR-Agentur Ansel & Möller und installierte an heißen Sommertagen eine mobile Fahrraddusche an Autobahnraststätten und anderen Orten. Diese Werbemaßnahme für den Sanitärausstatter Hansa schaffte es sogar auf die Titelseite der Bildzeitung.

Frag nach Kaffee!

Mit solchen Erfolgsgeschichten kann man punkten. Nicht nur bei den Kunden sondern auch bei potenziellen Mitarbeitern. Bei der adday/adnight 2013 bekam jede Agentur diese Gelegenheit bei einer zehnminütigen Präsentation. Die Studierenden, die sich dabei für eine oder mehrere Agenturen begeistern konnten, bekamen als Sahnehäubchen der Veranstaltung die Möglichkeit zu einem näheren Kennenlernen unter vier Augen beim Speeddating. Sowohl die Agentur als auch der jeweilige Interessent konnten sich dabei noch mal von der besten Seite zeigen. Und das ein oder andere Praktikum oder Jobangebot wurde durchaus unter Dach und Fach gebracht. Und für den, der Blut geleckt hat und vielleicht schon bald das Bewerbungsgespräch ansteht, für den hat Till Heckel auch noch einen Tipp: „Frag nach dem Kaffee!“ Das nämlich signalisiere, dass man morgens früh wach sei, abends noch immer wach sein möchte und zudem guten Geschmack habe.

 

Teilnehmende Agenturen: Avance, Baufort 8, Die CrewEberle Werbeagentur, FischerAppelt, Glanzer + Partner, LässingMüller, Leonhardt & Kern, RTS Rieger Team, Schmittgall Werbeagentur, Ansel & Möllers

 

Fotos: Copyright Christine Deder