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Bachelorarbeit in Tansania (1/4)

Acht junge Leute aus Baden-Württemberg und acht Jugendliche aus Tansania sollen lernen und erproben, wie man einen erfolgreichen Dokumentarfilm dreht. Zur Unterstützung wurden professionelle Filmemacher*innen aus Tansania und Deutschland versprochen.

Rezensionen und Eindrücke der Französischen Filmtage

Der spezielle Fokus der Französischen Filmtage hat sich auf afrikanische Produktionen etabliert. Filme aus dem Sudan, Algerien sowie aus Westafrika haben zu Mitfiebern aber auch zum Nachdenken über die teilweise kritischen Verhältnisse des Kontinents eingeladen. Einer dieser Filme war „Talking About trees“ aus dem Sudan.

Regisseur Wolfsperger: Für einen Film mit dem Kopf durch die Wand

Der Filmemacher Douglas Wolfsperger war bei uns am Medieninstitut zu Gast und hat Studierenden der Medienwissenschaft einen Einblick in seine Arbeit gegeben. Was ein Karpfen mit seiner Filmlaufbahn zu tun hat, wie er zu seinen Protagonisten steht und warum man Steine, die einem in den Weg gelegt werden, als Herausforderung sehen sollte – darüber hat er mit uns gesprochen.

Die Suche nach dem großen A

Die Suche nach dem großen A

Ob nun in Filmen, Dokumentationen oder Serien, historische Darstellungen haben Hochkonjunktur. Doch ist sie nur ein Instrument, um publikumsansprechende Welten zu schaffen, oder kann aus diesen Formaten auch Wissen gezogen werden? Wir machen uns auf die Suche nach der Authentizität in Serien und TV-Dokumentationen mit historischem Inhalt.

Rückblick hinter die Panels

von Marius Lang

Illustrationen von Henrike Ledig

Es ist bereits eine ganze Weile her, dass ich dieses Projekt begonnen habe. Schon damals war mir klar, dass Comics noch immer ein sträflich unterschätztes Medium sind. Sie werden als kindisch angesehen, als Literatur zweiter Klasse und nicht als ernstzunehmende Lektüre. Intelligente Menschen lesen richtige Bücher, keine Geschichten über unbeugsame Gallier oder Helden in Strumpfhosen. Auch in der Theorie werden Comics oft vernachlässigt. Diese Einstellung ändert sich zunehmend, wenn auch etwas verspätet und noch immer recht träge. Aber heute ist der Einfluss von Comics fest angekommen im Mainstream der Gesellschaft und nicht mehr ein bloßes eskapistisches Nischenprodukt.

Fortschritt des Mediums

Nur zehn Artikel sind eigentlich nicht genug, um das Thema ausreichend zu beleuchten. Der Comic als Medium hat so viel mehr Facetten, die dieses Projekt nicht abdecken konnte. Aber werfen wir dennoch einen Blick zurück, um unsere Erkenntnisse Revue passieren zu lassen. Ein zentrales Vorurteil, das Comics bis heute anhängt, ist die Behauptung, dass sie sich zumeist nur mit kindischen Problemen beschäftigen und keine realistischen Probleme in Angriff nehmen. Die Welt der Comics ist danach einfach zu weit von der realen Welt entfernt. Zwei Artikel dieses Projektes haben sich demgegenüber mit neueren Strömungen in und um das Medium beschäftigt. Schon der erste Artikel setzte sich mit dem wichtigen Thema von Sexismus in Comics auseinander. Es hat sich in der Geschichte des angloamerikanischen Comicraumes gezeigt, dass weibliche Haupt- und Nebencharaktere, vor allem in Superheldencomics, oft schlechter behandelt werden, als ihre männlichen Gegenstücke. Die Autorin Gail Simone konnte dies nicht mehr einfach so hinnehmen und rief die Website Women in Refrigerators ins Leben, benannt nach dem tragischen Schicksal einer spezifischen Figur, die brutal ermordet und in einem Kühlschrank zurückgelassen wurde, nur um die Entwicklung eines männlichen Charakters voranzutreiben. Es zeigt sich, dass zu oft Heldinnen ein grausameres Schicksal blüht, als Helden. In den letzten Jahren hat sich der Stand weiblicher Charaktere deutlich gebessert, sodass der Comicheld Thor schließlich sogar von einer Frau ersetzt wurde.

Mit diesem Wandel und anderen progressiven Änderungen im Status Quo des Marvel-Universums beschäftigte sich ein weiterer Artikel. Wie sich immer noch zeigt, vor allem in unserem Internet-Zeitalter, in dem jedem offen steht, seine oft schädlichen Meinungen kundzutun, ist das Comicfandom bei weitem nicht so progressiv, wie es eigentlich sein sollte. Mit der Nachricht, dass Thor eine Frau wird und Captain America künftig von einem Afroamerikaner verkörpert wird, folgte sofort ein Aufschrei rechter, rassistischer und sexistischer Gruppen im Fandom. Man erkennt, dass trotz allen positiven Änderungen, die Comicwelt und seine Fans noch immer einen weiten Weg zu gehen haben.

Filmgroßmacht Comics

Dabei sollten diese Änderungen eigentlich viel schneller vorangehen. Schließlich sind Comics derzeit die wichtigste Vorlage für das Mainstream-Kino. Fast alle großen, erfolgreichen Filme basieren derzeit auf Comics oder Charakteren. The Avengers, The Dark Knight, Kick-Ass, Deadpool, alles Filme, die auf spezifischen Comics oder Comic-Charakteren basieren. Zwei Artikel dieses Projektes haben sich mit Comics im Film auseinandergesetzt. Der erste Teil ging eher auf die Geschichte des Comicfilms ein. Doch der zweite Artikel nahm sich dann unser derzeitiges, großes Zeitalter der Comicfilme vor und untersuchte, wie Comicfilme dieser Tage die Gesellschaft wiederspiegeln. Die Filme wurden düsterer, erwachsener, die Hintergründe waren stärker verwurzelt mit der Gesellschaft, die sie hervorbrachten. Allerdings machten sie auch die Charaktere, deren Entstehung oft weit zurück lag, zugänglicher für ein modernes Filmpublikum. Auch reale Probleme werden mittlerweile in Angriff genommen und nicht nur Superschurken in bunten Kostümen. Die Interpretationen der Figuren und ihre Abenteuer sind in einem steten Wandel, ebenso wie unsere Gesellschaft selbst. Es ist jedoch auch interessant, dass die Eroberung des Kinos durch den Comicfilm  richtig begonnen hat, nachdem das wohl düsterste Kapitel der Comicgeschichte endete.

Die neunziger Jahre waren nicht so großartig, wie die selbsternannten „Nineties-Kids“ uns in ihrer verklärten Nostalgie glauben machen wollen. Vor allem für Comics war diese Zeit furchtbar, womit sich der dritte Artikel dieser Reihe auseinandersetzte. Die Comicindustrie erlebte Ende der achtziger Jahre einen enormen Aufschwung und rückte mehr ins Rampenlicht der Gesellschaft. Schlechtes Wirtschaften und eine zu große Konzentration auf düstere Geschichten und große Event-Comics führten allerdings, in Kombination mit anderen Problemen im darauffolgenden Jahrzehnt zu einem vollständigen Kollaps der Comicindustrie, von dem sie sich lange nicht wirklich erholte. Doch Grundlagen waren geschaffen und das Medium setzte seinen Weg weiter fort.

Auch im Fernsehen sind Comics mittlerweile ein fester Bestandteil des Storytellings. In einer kooperativen Arbeit behandelt ein Artikel dieser Reihe die Comicreihe The Walking Dead, die die Grundlage einer der erfolgreichsten Serien unserer Zeit bildet. The Walking Dead bildete ein Musterbeispiel einer erfolgreichen Reihe abseits des Superheldengenres, die ihren eigenen, in vielerlei Hinsicht anderen Charme hat, um den Leser bei der Stange zu halten. Man hatte einfach eine alte, durchgekaute Idee genommen und ihr einen neuen Anstrich verpasst, sie neue interpretiert und somit etwas noch nie Dagewesenes erschaffen.

Medium mit Möglichkeiten

Comics werden dieser Tage zunehmend ernster genommen, wenngleich noch nicht überall und oft unter Vorbehalten. Comics die allgemein jedoch schon seit längerem einen besseren Stand haben, vor allem in gebildeteren Umfeldern, werden oft unter dem Begriff der Graphic Novel zusammengefasst. Meines Erachtens nach ist zweifelhaft, ob der Begriff tatsächlich sinnvoll ist, nur um einzelne Vertreter vom Mainstream abzuheben. Was allerdings unbestritten ist, ist, dass einzelne Künstler das Medium des Comics nutzen, um sehr persönliche Geschichten zu erzählen. Im siebten Artikel setzten wir uns mit biografischen Comics auseinander. Comics wie Persepolis oder Maus, von Marjane Satrapi respektive Art Spiegelman, erzählen zutiefst persönliche Geschichten aus dem wahren Leben. Dabei nutzen sie die visuelle Komponente des Comics, um den Geschichten durch Bilder mehr Gewicht zu verleihen. Da Comics eine Kombination aus Bildern und Worten sind, geben sie Autoren und Künstlern einmalige Möglichkeiten, ihre Geschichten noch tiefer und persönlicher zu gestalten. Es ist dem wohl auch zu verdanken, dass Comics endlich auch in der Theorie mehr Beachtung finden. Einer der Vorreiter dabei war der Comicschaffende Scott McCloud, der Anfang der neunziger einen Comic über Comics veröffentlichte. Understanding Comics war Grundlage des letzten Artikels dieser Reihe, ein Buch, dass mit Leidenschaft über das Medium berichtet und sich dabei selbst der Möglichkeiten bedient, die Comics ihren Autoren und Künstlern bieten.

Raus aus den Panels

Es ist unklar, was genau die Zukunft für das Medium bereithält, und ob es jemals alle seine Stigmata loswerden kann. Was jedoch bereits im vollen Gang ist, ist die digitale Revolution. Einer der jüngeren Teile dieser Reihe setzte sich mit Webcomics und digitalen Vertretern des Mediums auseinander. Es zeigten sich viele Möglichkeiten für die Industrie, aber auch die Notwendigkeit, sich mit dem Thema in Zukunft noch mehr auseinander zu setzen. Ängste führen nur zu Stillstand, nie zu Fortschritt. Und wenn das Medium sich nicht weiterentwickelt, kann es nie wirklich in Zentrum der Gesellschaft ankommen.

Ich habe diese Reihe begonnen, um Aspekte eines Mediums zu beleuchten, das mir persönlich viel bedeutet. Über die Dauer des Projektes habe auch ich vieles gelernt und hoffe, das auch nach außen getragen zu haben. Wenn die Artikel nur einen Menschen überzeugt haben, Comics künftig etwas ernster zu nehmen, ist das schon ein Gewinn. Das Medium hat großes Potential, eine reichhaltige Industrie und so viele gute Geschichten, die es zu lesen und erleben gilt. Und damit ist es aber auch an der Zeit zurückzukehren, aus der Welt hinter den Panels, hinaus in die Realität. Und dann kann man vielleicht ein paar Comics lesen.


Alle Artikel dieser Reihe:

Hinter den Panels – Das Comic als Medium

Kühlschränke, Frauen und Comics

Tod und Rückkehr der Comic-Industrie

Superhelden in Zelluloid – Teil 1

Superhelden in Zelluloid – Teil 2

Untot und trotzdem Spaß – The Walking Dead

Die Rache der Minderheiten

Ein Leben in Panels

Endlose Leinwände und digitale Comics

Ein Comic über Comics

 

Medienperspektiven à la francaise_Titelbild

Medienperspektiven à la française: eine Schlussbetrachtung

von Sonja Sartor

Einen Blick nach Frankreich zu werfen, lohnt sich. Diese Artikelreihe hat in den letzten Wochen versucht, an einzelnen Aspekten die Vielfalt der französischen Medienlandschaft widerzuspiegeln und dabei auch Themen zu betrachten, die man aus der deutschen Tagespresse weniger kennt. Wir blicken zurück auf die fabelhafte Welt der Medienperspektiven à la française.

Frankreich im Fokus

Die Artikelreihe begann mit zwei großen Medienevents: Die Filmfestspiele von Cannes zeigen jedes Jahr im Mai, das Frankreich immer noch zu den großen Playern der Cineastik gehört. Die Bedeutung des Festivals für das Autorenkino ist immens und die goldene Palme kann als wichtigster Filmpreis nach dem Oscar gesehen werden. In Cannes wird nicht nur bereits gefilmtes Material geehrt, sondern den Weg für die Filme von morgen geebnet.

Der medial weltweit verfolgte Eurovision Song Contest verbreitete Hoffnung in dem von Terror gebeutelten Land. Frankreichs Kandidat Amir landete unter den Top Ten und gab seiner Heimat ein Stück des Nationalstolzes zurück.

Frankreich auf der Leinwand

schluss2Vom französischen Volk anerkannt und verehrt ist nicht nur Amir, sondern vor allem einer der großen Charakterspieler der Grande Nation: Gérard Depardieu. Er kann auf ein turbulentes Leben und herausragende Schauspielleistungen in jeglichen Rollen und Filmgenres zurückblicken. Dass er privat öfters über die Stränge geschlagen hat, wird ihm angesichts des Ruhms, den er über die französischen Grenzen hinaus trägt, großzügig verziehen. Bleibt nur zu hoffen, dass der hünenhafte Tausendsassa mit der sanften Stimme uns noch lange mit neuen Filmen oder Fernsehserien beschenken kann.

In einer kleinen Rückschau wurden die Tabubrüche analysiert, die für das französische Kino so typisch sind. Jean-Jacques Beineix‘ Betty Blue – 37,2 Grad am Morgen (1986) stellte sich als Meisterwerk des Cinéma du look heraus, das dem Zuschauer so eindringlich wie kaum ein anderer Film vor Augen führt, welche extremen Wege ein Liebespaar gehen kann, von dem eine Person an einer ausgeprägten Persönlichkeitsstörung leidet. Der Kontrast zwischen den impulsiven, wutgeladenen und den zärtlichen, zerbrechlichen Momenten Bettys zeugt von großer Filmkunst.

Frankreich hat jedoch auch aktuell interessante und einzigartige Filme anzubieten: In einer Kritik wurde der Dokumentarfilm Tomorrow – die Welt ist voller Lösungen unter die Lupe genommen. Filmemacher Mélanie Laurent und Cyril Dion stellen darin kreative Konzepte vor, die sich gegen den prognostizierten Zusammenbruch der Zivilisation stellen und dazu anregen, selbst Hand anzulegen, damit die Kinder von morgen in einer genauso gut oder sogar besser funktionierenden Welt leben können. Der Film ist ein gelungener Gegenentwurf zu Horrorszenarien rund um den Weltuntergang und ist nicht nur unterhaltend, sondern spendet auch viel Hoffnung, was die Zukunft dieser Erde betrifft.

Frankreich streitet, leidet und steht wieder auf

Weiter ging es mit einem Exkurs zur Debatte rund um das Gesetz Loi Evin. Es setzt seit 1991 relativ strenge Maßstäbe zu Werbung für Alkohol und Tabak. Jedoch ist es französischen Abgeordneten gelungen, das Gesetz im Herbst 2015 aufzuweichen. Wo Medien vorher in Beiträgen aus Vorsicht vor keinen Bezug zu Alkohol erwähnten, ist es jetzt legal, über Wein und andere alkoholische Getränke zu „informieren“. Diese Gesetzesänderung soll den Weintourismus und damit die ins Schwanken geratene französische Wirtschaft fördern. Mitunter zeigt die Debatte, dass Wein trotz aller Warnungen seitens gesundheitlicher Behörden zum französischen Leben dazugehört.

Der Artikel über französische Internettrends räumte mit dem Vorurteil auf, dass Franzosen arrogant sind und nicht über sich selbst lachen können. Anhand der Erfolgs-Webseite Viedemerde.fr wurde festgestellt, dass Internetnutzer heute die peinlichen und frustrierenden Aufreger des Tages mit Tausenden von Leuten teilen, die man früher nur dem engsten Freundeskreis erzählt hätte.

Über ein Jahr nach dem Terroranschlag auf Charlie Hebdo war es Zeit, den Status quo von französischer Satire aufzuarbeiten. Basierend auf einer langen Tradition von Karikaturen und Pamphleten, die bis in die Aufklärung zurückreicht, hat sich in Frankreich eine besonders scharfzüngige Satire ausgebildet. Kein Blatt vor den Mund nehmen, Problematiken überspitzen und Persönlichkeiten und Institutionen lächerlich machen – dies ist essenziell für die funktionierende Demokratie der französischen Republik. Charlie Hebdo hat durch das Attentat Kollegen und damit viel künstlerisches Potenzial verloren und versucht heute, eindeutigere Botschaften zu vermitteln. Aufgeben ist keine Lösung: Frankreich bleibt Charlie.

Abschließend ist zu betonen, dass diese Artikelreihe keinen Anspruch auf die vollständige Abbildung der französischen Medienlandschaft gelegt hat. Ziel war es vielmehr, den Lesern von media-bubble.de einen Einblick in interessante und wichtige französische Medienthematiken zu geben. Frankreich und Deutschland lassen sich im Hinblick auf Medien nur schwer vergleichen. Jede Medienlandschaft ist einzigartig. Einzigartig ist an der französischen Medienlandschaft die große Rolle, die Satire einnimmt. In Zeiten der permanenten Terrorangst ist es bewundernswert, welch standfeste Haltung Frankreich einnimmt, die sich auch in den Medien widerspiegelt. Im Kino hat Frankreich immer wieder neue Maßstäbe gesetzt, Filmgeschichte geschrieben und bringt auch aktuell mit neuen Konzepten frischen Wind in die Kinosäle. Internettrends zeigen, dass sich das französische Volk nicht den Humor und vor allem die Lust am Leben nimmt. Medien aus Frankreich sind besonders und vielfältig – und es wird sich auch in Zukunft lohnen, ab und zu in die französische Medienwelt einzutauchen.

Fotos: Pixabay.com , flickr.com/Becky Lai (CC BY-NC-ND 2.0)


Alle Artikel dieser Reihe:

Wenn Leid zu Glück wird –  Der Eurovision Song Contest 2016

Die Crème de la Crème des Autorenkinos

Gérard Depardieu: „Es hat sich so ergeben“

Ein bisschen Wein muss sein

Filmkritik: Tomorrow – die Welt ist voller Lösungen

Frankreich bleibt Charlie

Der Tabubruch im französischen Film

Französische Webtrends: Mit Humor geht’s besser

Der Tabubruch im französischen Film

von Sonja Sartor

Das Brechen von Tabus sorgt für Aufschreie in der Gesellschaft. Das französische Kino hat in der Vergangenheit besonders gern mit Tabubrüchen gespielt. Anhand der Filme Die Liebenden (1958) und Betty Blue – 37,2 Grad am Morgen (1986) soll gezeigt werden, wie französisches Kino Tabubrüche in Szene setzt und welche Effekte diese erzielen.
„Sie hatte Angst, aber sie bereute nichts“

Mit diesem Satz endet Louis Malles Die Liebenden (1958). Die Handlung ist schnell auf den Punkt gebracht: Hausfrau Jeanne (Jeanne Moreau), verheiratet mit einem wohlhabenden Verleger, entflieht der ehelichen Monotonie nahe Dijon immer wieder mit Reisen nach Paris, da ihr die Komplimente Pariser Männer schmeicheln. Eines Tages macht ihr Auto auf der Rückfahrt schlapp und Bernard (Jean-Marc Bory), ein unprätentiöser Archäologe, fährt sie nach Hause. Dort bittet Jeannes Mann den Fremden, bei ihnen in der Villa zu übernachten. In der Nacht lernen sich Jeanne und Bernard kennen und lieben. Ohne Rücksicht auf Mann und Kind brennt Jeanne mit ihrem Liebhaber am nächsten Morgen durch.

Tabubruch 2Das Skandaldrama im Stil der Nouvelle Vague bricht mit den Konventionen der 50er Jahre. Das letzte Drittel des Films ist unglaublich sinnlich und romantisch. Bernard und Jeanne wandeln durch den nächtlichen Garten, sie küssen sich. Jeanne hat die Liebe wie ein Blitz getroffen. Zurück in der Villa gibt sie sich ihren Gefühlen völlig schamlos hin und es kommt zum Sex zwischen den Verliebten, während Mann und Kind ein paar Türen weiter selig schlafen. Die von Brahms Musik untermalte Szene ist ungewohnt freizügig und erotisch. Das Close-up auf Jeannes Ehering, den Bernard anschließend mit seiner Hand überdeckt, hebt hervor, dass hier gerade ein Ehebruch begangen wird. Skandalös ist, dass Jeanne die eigene Freiheit wichtiger ist als ihr Kind, das sie bei einem gefühlskalten Vater zurücklässt. Daher wurden in der deutschen Fassung die Szenen mit Jeannes Kind herausgeschnitten. Im prüden Amerika wurde der Film wegen Obszönität angeklagt. Ultrakatholische Vereine kämpften vergeblich für das Verbieten des Films bei den Filmfestspielen von Venedig. Trotzdem erlangte Louis Malle mit diesem Werk internationale Anerkennung.

Liebe am Rande des Wahnsinns

Betty Blue – 37,2 Grad am Morgen erzählt die Geschichte eines Liebespaares, das versucht, sich eine Zukunft aufzubauen und gnadenlos scheitert. Die junge, extrem verführerische Betty (Béatrice Dalle) taucht eines Sommers im Leben des Hausmeisters Zorg (Jean-Hugues Anglade) auf und stellt alles auf den Kopf. Eines Tages entdeckt sie Zorgs Manuskripte und ist besessen von der Idee, dass er ein Schriftsteller-Genie ist. Als Betty in einer Phase der Wut Zorgs Bungalow in Brand steckt und er fast alles verliert, reist das Paar nach Paris. Sie kommen bei einer Freundin von Betty unter und kellnern übergangsweise in der Pizzeria von Lisas Freund Eddie. Betty tippt Zorgs Manuskripte ab und schickt sie an die Pariser Verlage. Statt einer Zusage erhält er jedoch eine vernichtende Kritik. Dies führt dazu, dass Betty dem Verleger auflauert und ihn attackiert.

Die Beerdigung von Eddies Mutter führt Betty und Zorg in ein Provinzstädtchen. Spontan entscheiden sie sich, das Klaviergeschäft der verstorbenen Frau zu übernehmen. Die Situation verschlechtert sich jedoch dramatisch, als Betty wider Erwarten erfährt, dass sie nicht schwanger ist. Völlig verstört verwüstet sie die gemeinsame Wohnung und reißt sich das rechte Auge aus. Als Zorg sie im Krankenhaus besucht, steht Betty unter Beruhigungsmitteln und  befindet sich in einer Art Wachkoma. Zorg sieht keine andere Lösung mehr und erstickt die junge Frau mit einem Kissen.

Tabubruch 3Das Drama aus dem Jahre 1986 von Jean-Jacques Beineix begeht gleich mehrere Tabubrüche: Zum einen sind da die expliziten Sexszenen, denen sich das Paar leidenschaftlich hingibt. Allein der Beginn des Films besteht aus einem mehrminütigen Liebesakt, auf den die Kamera langsam zufährt. Zum anderen ist da die unterschwellige Auseinandersetzung mit einer scheinbar wahnsinnig gewordenen Frau, die zur Selbstzerstörung neigt. Ihre Wutanfälle sind beängstigend wie faszinierend. Kleinigkeiten treiben die zerbrechliche Frau zur Weißglut und lassen sie Dinge tun, bei dem der Zuschauer nur ungläubig den Kopf schüttelt. So schüttet sie einen Eimer pinker Farbe auf den Sportwagen von Zorgs Chef, als dieser verlangt, das Paar solle die gesamte Ferienanlage von 500 Bungalows streichen. Mehrmals deuten Außenstehende mit Aussagen wie „die muss wahnsinnig sein“ darauf hin, dass Betty an einer Persönlichkeitsstörung, möglicherweise an Borderline, leidet. Der Film zeigt eindringlich, wie eine extreme Liebe und zerplatzte Träume in einem Mord enden können.

Regisseur Jean-Jacques Beineix ist mit Betty Blue einer der stilbildendsten und einflussreichsten Kultfilme der 80er Jahre gelungen. In seinem unglaublichen 178-minütigen Director’s Cut kann man die Einflüsse des Cinéma du look betrachten, in das sich Beineix einschreibt. Intensive Farb- und Lichteffekte sowie eine äußerst künstliche Kulisse charakterisieren diese Filmbewegung. Es ist einzigartig, wie dramatisch Beineix die Persönlichkeitsstörung inszeniert und so auf diese medial wenig thematisierte Störung aufmerksam macht.

Der  notorische Tabubrecher

Wenn die Rede von Tabubrüchen im französischen Kino ist, darf ein Name nicht fehlen: François Ozon. Die Filmplattform http://www.moviepilot.de/schreibt über den Ausnahme-Regisseur: „Auf fast schon sadistische Art und Weise liebt er es, seine Zuschauer zu frustrieren – Ozon erschafft gerne eine trügerische Idylle, nur um sie zunächst langsam von Innen und letzten Endes mit voller Gewalt zu zerstören“. Ozon thematisiert gerne Tabus: Homosexualität (Sitcom), Transgender (Tropfen auf heiße Steine) oder Krankheit (Die Zeit die bleibt). Ozon führt die Tradition des Tabubruchs im französischen Kino weiter.

Was macht Tabubrüche so reizvoll? Tabus sichern laut Bundeszentrale für politische Bildung die Überlebensfähigkeit der Gemeinschaft. Außerdem dienen sie der Identitätsbildung, da sie sich auf Werte berufen, die von der Gesellschaft als besonders schützenswert erachtet werden. Tabubrüche zeigen der Gesellschaft ihre selbst errichteten Grenzen auf. Sie ermöglichen, die Aufmerksamkeit auf ein Thema zu richten, das Teil der Gesellschaft ist, aber gewöhnlich totgeschwiegen wird. In Filmen können wir sehen, was mit Menschen passiert, die Tabus brechen – und uns darauf eine eigene Meinung bilden.

Fotos: flickr.com/bswise (CC BY-NC-ND 2.0), flickr.com/bswise (CC BY-NC-ND 2.0), flickr.com/startinghere71 (CC BY-NC-ND 2.0)


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Filmkritik: Tomorrow – die Welt ist voller Lösungen

Frankreich bleibt Charlie

Filmkritik: Tomorrow – die Welt ist voller Lösungen

von Sonja Sartor

Als Mélanie Laurent 2012 die Studie „Approaching a state shift in Earth’s biosphere” liest, ist die Schauspielerin geschockt. Die Autoren Anthony Barnosky und Elizabeth Hadly prognostizieren darin den Zusammenbruch der Zivilisation in den nächsten 40 Jahren. Laurent ist zu dem Zeitpunkt schwanger und die Vorhersage nimmt sie so mit, dass sie „den ganzen Tag weint“, sie ist verzweifelt. Soll ihr Kind das Ende des Ökosystems dieses Planeten miterleben? Ist es schon zu spät zu handeln?

Anstatt aufzugeben und sich dem Schicksal zu ergeben, fasst Laurent zusammen mit dem befreundeten Umweltaktivisten Cyril Dion einen Beschluss: Sie werden einen Film drehen. Aber nicht einen Film wie Dutzende davor, der ein Horrorszenario nach dem anderen durchspielt, sondern einen, der zeigt: Die Welt ist voller Lösungen.

Wie man mal kurz die Welt retten kann

Das französische Filmteam um Dion und Laurent beginnt mit seiner Reise um die Welt und das Publikum taucht in das erste Kapitel ein: Die Landwirtschaft. Während die Anbauflächen immer weniger werden, nimmt die Weltbevölkerung stetig zu. Es werden die Fragen aufgeworfen: Welche innovativen Anbaumöglichkeiten in Stadt und Land gibt es? Wie kann man verhindern, dass riesige Agrarkonzerne die Kleinbauern in den Ruin treiben?

Tomorrow 2Den ersten Stopp machen Laurent und Dion im Norden ihres Heimatlandes und entdecken eine Gemüsefarm, die sich dem Zwischenfruchtanbau sowie der Permakultur verschrieben hat. Die Besitzer der Farm, Perrine und Charles Hervé-Gruyer, zeigen stolz ihren unübersichtlichen, aber charmanten Bio-Irrgarten irgendwo im Nirgendwo. Die Pflanzen werden auf begrenztem Raum angepflanzt, das Basilikum wächst unter der Tomate. Pestizide brauchen die Bauern nicht, denn der intensive Geruch des Basilikums hält Ungeziefer von allein fern.

6000 Kilometer Luftlinie entfernt ist das Ausmaß der industriellen sowie landwirtschaftlichen Monokultur nicht zu übersehen. Verlassene Wohnhäuser, leergefegte Kirchen und verfallene Fabrikgelände prägen das Stadtbild vieler Viertel im amerikanischen Detroit. Die Blütezeit der einstigen Autometropole ist vorbei, Firmen wanderten ab, die Zahl der Arbeitslosen stieg und Supermarktketten verschwanden aus der Stadt. Zugang zu gesunder Nahrung? Fehlanzeige. Aber Detroit hat eine kluge Lösung gefunden, mit der die 700.000-Einwohnerstadt die Lebensmittelversorgung seiner Bewohner gewährleisten kann. Das Stichwort heißt „Urban Gardening“. Brachland mitten in der Stadt wird in Gemüsegärten umgewandelt. Arbeitslose finden so eine Beschäftigung und die Detroiter haben Zugang zu lokalen und gesunden Produkten.

Tomorrow3In England finden Laurent und Dion einen Ansatz, der auch in einigen deutschen Städten angewendet wird. In dem kleinen Städtchen Totnes kann man statt in britischen Pfund auch in „Totnes Pound“ zahlen. Die Lokalwährung unterstützt die hiesigen Geschäfte. Laut den Filmemachern könnte auch in Griechenland eine regionale Währung der Schlüssel zum Erfolg sein, da erwirtschaftete Gelder in der heimischen Wirtschaft blieben und nicht in den internationalen Geldkreislauf zurückfließen würden.

Beim Thema Energie beeindruckt Island mit seiner Fortschrittlichkeit. Die Insel profitiert von seinen Geysiren, Vulkanen und heißen Quellen und versorgt mittlerweile 90 Prozent der Haushalte über Wasserdampf mit Wärme. Lösungen über Lösungen – die Welt ist voll davon.

Eine Botschaft, die alle betrifft – nicht nur Ökos

Der 118-minütige Dokumentarfilm, der bereits mit einem César ausgezeichnet wurde, setzt neue Maßstäbe. Er wühlt nicht in den unzähligen Problemen, die der Klimawandel mit sich bringt, sondern liefert konkrete und inspirierende Lösungsansätze. Nicht alle Lösungen hauen den deutschen Zuschauer vom Hocker, darunter das ambitionierte Zero-Waste-Projekt aus San Francisco, bei dem Müll vorbildlich getrennt wird. Dennoch sind solche Projekte ein Hoffnungsschimmer, der zeigt, dass auch anderen Ländern bewusst wird, dass Ressourcen kostbar sind und Wiederverwertung ein notwendiger Schritt ist. Außerdem reibt der Film dem Zuschauer nicht belehrend unter die Nase, was er im Moment alles Schlechtes tut, sondern verbreitet von Beginn an eine positive Grundstimmung. Trotz der ernsten Thematik gibt es immer wieder Momente, in denen man lacht, schmunzelt und staunt.

Besonders angenehm ist, wie sehr sich das Filmteam zurücknimmt. Selten sind die Kameraleute und die beiden Regisseure Dion und Laurent im Bild. Sie betonen damit, was wirklich zählt. Denn „Tomorrow – Die Welt ist voller Lösungen“ lebt vor allem von den Personen, die nicht zuschauen, sondern handeln. Und das mit vollem Einsatz und voller Begeisterung für ihr Projekt. Wenn der französische Geschäftsführer einer Briefumschlagfabrik dem Zuschauer erklärt, wie er und seine Mitarbeiter es schaffen, eine umweltfreundliche und nachhaltige Produktion auf die Beine zu stellen, bei der immer weniger Ressourcen verbraucht und in einen ausgeklügelten Kreislauf eingespeist werden, kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus. Gern hätte man mehr davon.

Mélanie Laurent trifft auf den Punkt, was die interviewten Aktivisten auszeichnet: „Die Personen in unserem Film haben nicht darauf gewartet, bis etwas von oben kommt. Sie handeln, da wo sie können. Punkt.“ Schon während man den Film anschaut, beginnt man sich selbst zu fragen, was man im Alltag anders und besser machen könnte. Sollten wir das Auto nicht öfter mal stehen lassen? Und vielleicht auf dem Markt einkaufen anstatt beim Discounter?  Eines lehrt der Film auf eindrucksvolle Weise: Man muss im Kleinen anfangen, damit man Großes bewegen kann.

Fotos: Tomorrow-derfilm.de


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Kampf um den Schrottplatz

von Maya Morlock

In seinem Langfilmdebüt „Schrotten“ nimmt sich der Oscar-nominierte Max Zähle (Kurzfilm RAJU) einer ganz eigenen und traditionellen Kultur an: der des Schrottplatzes. Die Zukunft des Hofes steht auf dem Spiel, die Investoren kreisen wie Aasgeier über ihm – außerdem hat Mirko Talhammer einen ganz eigenen Plan; er muss dringend an Geld kommen. Schrotten ist ab dem 5. Mai in den Kinos!

Geflohen

Erster Absatz_Pressefoto_c_PortAuPrincePicturesMirko Talhammer (Lukas Gregorowicz)lebt in einer lieblos eingerichteten Wohnung in der Innenstadt und trägt einen langweiligen Anzug. Er ist davon überzeugt, dass er Karriere gemacht hat und vollkommen zufrieden mit seinem Leben ist. Der alleinstehende Mann ohne Kinder oder einem Haustier ist der Starverkäufer seiner Versicherungsagentur. Leider hat er sich verzockt und soll einen Berg Schulden begleichen, sonst droht ihm der berufliche Ruin. Zwei schmuddelige Männer betreten die Firma und wollen zu Mirko, der sie sofort aus dem Gebäude jagt. Sie stammen vom familiären Schrottplatz und haben schlechte Nachrichten dabei: Mirkos Vater, der Eigentümer des Hofes, ist gestorben. Taub für jegliche Informationen fängt sich Mirko kurzerhand eine Kopfnuss ein, die sich gewaschen hat und geht zu Boden. Gegen seinen Willen wacht er im Truck der Männer auf, der sich auf dem direkten Weg zum Schrottplatz befindet. Egal wie weit man sich von der Familie wegbewegt, sie holt einen immer wieder ein.

Ein heikler Plan

Zweiter Absatz_c_PortAuPrincePicturesFür die Talhammers, die in kleinen Häuschen oder Wohnwägen auf dem Hof leben, ist klar, dass Mirkos kleiner Bruder Letscho (Frederick Lau) den Schrottplatz weiterführen wird. Doch Schrott ist nicht mehr rentabel und das Recyclingunternehmen Wolfgang Kercher macht ein großzügiges Angebot, um den Platz zu erwerben. Das kommt für die Familie gar nicht in Frage, seit Generationen leben sie auf dem Hof. Mirko steckt in der Klemme: Einerseits möchte er einfach nur sein Maklerleben weiterführen und braucht dafür dringend Geld, das ihm sein Teil des Erbes verschaffen würde. Andererseits möchte er seine Familie nicht entwurzeln und findet sogar noch Gefallen an Luzi (Anna Bederke), einer Schweißerin auf dem Hof. Die Talhammers versichern Mirko, ihn auszahlen zu können, trotz der schlecht laufenden Geschäfte. Dieser kommt schlussendlich hinter den hirnrissigen Plan: Talhammers wollen 40 Tonnen Kupfer, einen gesamten Zugwagon, stehlen. Mirko, der als einziger studiert hat, kann nur den Kopf schütteln; die Planung ist vollkommen falsch, Parameter sind unzureichend berechnet und die Naivität der Bewohner sperrt Verbesserungsvorschläge. Der Plan ist zum Scheitern verurteilt und der Hof, samt Mirkos Erbe scheint verloren…

Ganz nett – mehr aber auch nicht

Dritter Absatz_c_PortAuPrincePictures„Schrotten“ ist ein leichtlebiger Film für zwischendurch. Nichts Großes und nichts Atemberaubendes – aber unterhaltsam. Der Kulturcrash innerhalb einer Familie ist gut inszeniert. Während Mirko dem heutigen Arbeiter und Karrieretyp entspricht, kommen die Talhammers etwas einfältig und minderintelligent daher. Es ist bei ihnen schon eine Leistung, einen Schulabschluss vorweisen zu können. Bei ihnen herrschen noch die Gesetze der Starken. Zwar entwickeln sich die Charaktere innerhalb des Filmes, doch den Stempel der „Hinterwäldler“ bekommen sie nicht los. Das riskante Spiel mit Vorurteilen glückt nicht, da Menschen aus Dörfern und Provinzen als „dumm“ dargestellt werden und nur mit der Hilfe Studierter Ziele, die außerhalb ihres Kenntnisgebietes liegen, bewältigen können. Wenn man diesen Aspekt nicht allzu ernst nimmt, macht das westernartige Schauspiel Spaß und ist ideal für einen Fernsehfilm.

Fotos: © Port Au Prince Pictures

CINELATINO – Wo, wenn nicht im Schwabenland?

Von Valerie Heck

Foto: Alexander Gonschior

Bei der Eröffnung des CINELATINO 2016 am 13. April begrüßten nicht nur die Festivalleitung, bestehend aus Paulo de Carvalho, Kathrin Frenz und Pola Hahn, die zahlreichen Besucher, sondern auch der mexikanische Konsul Dr. Horacio Aarón Saavedra Archundia. Er erzählte, dass er vom Präsidenten Enrique Peña Nieto bei dessen Staatsbesuch in Hamburg den Auftrag bekommen habe, einen Ort zu finden, wo die mexikanisch-deutsche Beziehung gestärkt werden konnte. Wo, wenn nicht im Schwabenland war die Antwort von Dr. Saavedra Archundia und so besuchte er das nun schon zum 23. Mal als CineLatino und zum 13. Mal als CineEspañol stattfindende Festival in Tübingen.

Mexiko zu Gast in Tübingen

Alex Gonschior 2Und tatsächlich stellte sich das Festival, das neben Tübingen auch in Stuttgart, Freiburg und Rottenburg zahlreiche Besucher anlockte, als sehr guter Ort für die Entwicklung einer Freundschaft zwischen der deutschen und der mexikanischen Kultur heraus, denn in diesem Jahr bildete Mexiko den Länderschwerpunkt. Nachdem bereits das dritte Mal in Folge der mexikanische Regisseur Alejandro G. Iñarritu einen Oscar gewann, wurde es Zeit, dass in Deutschland auch andere mexikanische Filmtalente in den Fokus rückten. Einer von ihnen ist der Regisseur Fernando Eimbcke, der mit seinem Film „Club sándwich“ das Festival besuchte und die Sources of Inspiration Lecture im Rahmen des Sources 2 Script Development Workshops hielt. Auch Cutter Omar Guzmán Castro alias Julia Pastrana kam extra aus Mexiko zu Besuch, um den Film „Navajazo“ vorzustellen. Dieser handelt von Prostituierten, Drogendealern und einem Pornofilmregisseur, die an der Grenze zu den USA ums Überleben kämpfen. Das Besondere an dem Film: Er zeigt das echte Leben von Menschen in Tijuana zwischen Obdachlosigkeit, Drogenabhängigkeit und Sexualität – schonungslos und brutal. Ein weiterer mexikanischer Film füllte nicht zuletzt wegen der Anwesenheit der Regisseurin Tatiana Huezo den Tübinger Kinosaal am Dienstagabend, den 19.04. In „Tempestad“ wird in beeindruckenden Bildern das Schicksal der „Pagadores“, die unschuldig des Menschenhandels beschuldigt wurden, beleuchtet.

Von Spanien bis Ecuador

Das diesjährige Festival zeichnete sich neben einem herausragendem Rahmenprogramm mit Open Festival Space in der Tübinger Innenstadt, einer Hommage an Frida Kahlo im Club Voltaire und der Vernissage zur Ausstellung „Streetart Colombia“ im Blauen Salon vor allen Dingen durch seine zahlreichen Gäste aus. Neben den bereits erwähnten mexikanischen Filmemachern waren zehn weitere Regisseure, Cutter, Produzenten und Experten aus dem spanischsprachigen Raum von Madrid bis Ecuador zu Besuch und bereicherten das Festival mit interessanten Publikumsgesprächen und guter Stimmung

Foto: Alexander Gonschior

Aus Spanien war unter anderem Regisseur Zoe Berriatúa mit dem Film „Los heróes del mal“ zu Gast. Beim Publikumsgespräch im Anschluss an die Filmvorführung ließ es sich der Spanier nicht nehmen, die spanische Filmförderung, die mit Bestechungen Zensur betreibe, zu kritisieren. Laut Berriatúa werden dort nur Filme unterstützt, die positiv ausgehen – eine Vorgabe, die er mit seinen Filmen nicht einhalten mag. Doch mit Álex de la Iglesia als Produzenten am Bord konnte er, nachdem er zehn Jahre am Drehbuch saß und kein Geld bekam, den Film doch noch verwirklichen. Ergebnis ist ein Film, der zum Nachdenken über den Ursprung von Gewalt anregt. Vom Sohn des Oscarpreisträgers Fernando Trueba wurde der Film „Los exiliados románticos“ gezeigt. Fast ohne Drehbuch gedreht, zeigt er besonders authentisch und realitätsnah, wie sich drei Freunde mit einem Bulli von Madrid auf den Weg nach Paris machen und dabei die ein oder andere romantische Begegnung haben. Der Festivalgast Ángel Santos stellte sein Werk „Las altas presiones“ vor – ein Film über verpasste Chancen und die lähmende Angst, vermeintlich falsche Schritte zu tun.

Beendet wurde das Festival am Mittwochabend, 20.04., mit dem spanischen Film „El apóstata“ von Federico Veiroj. Hauptdarsteller und Drehbuchautor Álvaro Ogalla war anwesend, um von den Dreharbeiten des Films, der sich um den Atheisten Gonzalo dreht, der mit Mitte dreißig noch keine großen Erfolge in seinem Leben verbuchen kann und beschließt mit dem Austritt aus der katholischen Kirche etwas zu ändern, zu berichten. Ein angemessener Abschluss für eine solch erfolgreiche und aufschlussreiche Festivalwoche.

Fotos: Alexander Gonschior