Die Crème de la Crème des Autorenkinos
von Sonja Sartor
Wenn Frankreich die großen Namen, aber auch die Newcomer der Filmwelt nach Cannes einlädt, scheinen die Wettbewerberländer in der Hoffnung das Geschehen mitzuverfolgen, dass auch auf sie etwas Glanz abfalle. Am Sonntag, den 22. Mai 2016, gingen die 69. Filmfestspiele von Cannes zu Ende.
Eine hochkarätige Jury
Dieses Jahr bestand die Jury der Spielfilme aus vier weiblichen und fünf männlichen Filmgrößen. George Miller hatte die Rolle des Jurypräsidenten inne. 2006 wurde der australische Regisseur für „Happy Feet“, ein Film über tanzende Pinguine, mit dem Oscar für den besten Animationsfilm geehrt. Seine Filmografie ist beeindruckend: „Mad Max“ (1979), „Ein Schweinchen namens Babe“ (1995) und einige erfolgreiche Mini-Fernsehserien gehen auf seine Kappe. Und als Entdecker des Schauspieltalents Mel Gibson gilt er auch noch.
George Miller tritt in große Fußstapfen: Schon Steven Spielberg, Tim Burton und Isabelle Huppert durften in den Vorjahren die Jury in Cannes leiten.
Teil der Jury 2016 darf sich auch Donald Sutherland nennen, der selbst schon in etwa 150 Filmen mitgewirkt hat und den man u. a. aus „JFK – Tatort Dallas“ (1991) und aus „Stolz und Vorurteil“(2005) kennt. Darüber hinaus wurden George Miller als Jurykollegen Kirsten Dunst, Vanessa Paradis, Mads Mikkelsen, Valeria Golino, die iranische Produzentin Katayoon Shahabi sowie ein französischer und ein ungarischer Regisseur an die Seite gestellt.
Der Sieger der Goldenen Palme – eine gute Wahl?
Im Vorfeld gab es klare Favoriten auf den wichtigsten Preis des Filmfestivals. Dazu zählte Ken Loach nicht. Der britische Regisseur siegte überraschend mit seinem Sozialdrama „I, Daniel Blake“. Für den 79-jährigen Loach ist es bereits das zweite Mal, dass er die begehrte Trophäe sein Eigen nennen darf. „I, Daniel Blake“ erzählt die Geschichte eines Schweißers Ende Fünfzig, der krankheitsbedingt nicht mehr arbeiten kann und verzweifelt um staatliche Unterstützung kämpft. Loach hat ein Faible für die Darstellung von sozialbenachteiligten Schichten. Umso größer muss der Kontrast für den Briten gewirkt haben, als er inmitten dieses Prunks die Goldene Palme für ein Werk erhielt, das sich auf die trostlose Welt von Menschen am Rande der Gesellschaft konzentriert.
Die Dankesrede nutzte der engagierte Brite für einen Appell:
„Wir nähern uns einer Phase der Verzweiflung und durch diese Verzweiflung profitieren Rechts-Extreme. Einige von uns, die älter sind, erinnern sich daran, was Rechts-Extreme angerichtet haben. In dieser Phase der Verzweiflung müssen wir Hoffnung verbreiten und sagen, dass eine andere Art von Welt möglich und sogar nötig ist.“
Dieses Plädoyer gegen extrem-rechte Kräfte erhält an einem Ort wie Cannes doppelte Bedeutung. Denn die Filmfestspiele von Cannes wurden 1939 als antifaschistisches Zeichen gegen die von Hitler und Mussolini geprägten Filmfestspiele in Venedig gegründet. Die USA und Großbritannien unterstützten den Plan von Beginn an und man einigte sich schließlich auf den Austragungsort Cannes. Die mondäne Stadt an der Côte d‘Azur schien einerseits genug Prestige zu besitzen, um mit Venedig mithalten zu können und entsprach andererseits den Anforderungen, ein derart großes Filmfestival in kurzer Zeit auf die Beine stellen zu können. Heute gehören die Filmfestspiele von Cannes zu den bedeutendsten dieser Welt.
Neben der Goldenen Palme wurden weitere Preise vergeben: Der Große Preis ging an den gefühlvollen Film „Einfach das Ende der Welt“ des Kanadiers Xavier Dolan, der sich mit zittriger Stimme und unter Tränen bei Familie, Freunden und allen Mitwirkenden der Filmproduktion bedankte. Andrea Arnolds Werk „American Honey“ wurde mit dem Preis der Jury gewürdigt. Die Wahl der Jury kam jedoch nicht überall gut an: Der deutsche Wettbewerbsbeitrag „Toni Erdmann“, eine Tragikomödie von Regisseurin Maren Ade, ging entgegen aller Erwartungen leer aus. Die französische Zeitung „Le Monde“ spricht von einer „schlechten Wahl“ und prangert an, dass originelle Beiträge zur Seite geschoben wurden und mit „I, Daniel Blake“ ein eher konventioneller Film gewählt worden sei.
Die Zukunft des Films entscheidet sich auf französischem Boden
Frankreich selbst war dieses Jahr mit vier Beiträgen vertreten, schien aber ein schwaches Filmjahr erwischt zu haben. Einzig der Franzose Olivier Assayas konnte mit dem Horrorstreifen „Personal Shopper“ überzeugen, in dem Kristen Stewart die Hauptrolle spielt.
Das Filmfestival in Cannes ist jedoch mehr als nur eine glamouröse Preisverleihung. Es bedeutet vor allem harte Arbeit. Rund um die Wettbewerbe finden zahlreiche Meetings zwischen Filmemachern und potentiellen Sponsoren statt. Eine anstrengende, aber sicherlich auch fruchtbare Zeit, in der Filmteams mit ihrem Konzept und Drehbuch überzeugen müssen. Auf dem Marché du Film, einer Art Filmmesse, treffen sich laut der offiziellen Webseite des Festivals rund 11.000 Professionelle der Filmbranche, um sich über neue Marketing- und Finanzmodelle, Inhalte und Technologien wie dieses Jahr die Virtuelle Realität auszutauschen. Man könnte sagen, dass hier die Weichen für die Filme der Zukunft gestellt werden.
Die Zukunft des Kinos ist auch für Preisträger Ken Loach ein wichtiges Stichwort. In seiner Dankesrede, die er auf Französisch und Englisch vortrug, hob er die Wichtigkeit der Filmfestspiele für die Zukunft des Kinos hervor und sagte: „Restez forts“ – „Bleiben Sie stark“.
Sicherlich wäre die Filmwelt ohne dieses großartige Filmfestival ein Stück ärmer. Schon jetzt kann man auf die Nominierungen und Auszeichnungen im nächsten Jahr gespannt sein.
Fotos: flickr.com/plb06 (CC BY-NC-ND 2.0), wikimedia.org/Georges Biard (CC BY-SA 3.0)
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