Wie man mit sechs Werkzeugen eine dystopische Gesellschaft erschafft

Von Antje Günther

So unterschiedlich die verschiedenen Ausgestaltungen der Dystopie über die Jahre auch waren, die Machtwerkzeuge der Herrschenden scheinen doch überwiegend die gleichen geblieben zu sein. Überwachung, Einschüchterung, ein bisschen Zuckerbrot und noch viel mehr Peitsche, so scheint es zu funktionieren mit dem Herrschen in der Dystopie. Bei näherer Betrachtung kristallisieren sich insbesondere sechs Machtwerkzeuge heraus:

Werkzeug 1 – Das Territorium

6. Artikel (2)Die Wahl des Territoriums ist entscheidend für den Erfolg einer dystopischen Gesellschaft. Das Gelände sollte gut zu überwachen sein und das Errichten von Grenzen vereinfachen. Häufig werden bereits bestehende natürliche Grenzen zum Zwecke der Abschottung instrumentalisiert. So liegt das Kapitol der Hunger Games Trilogie beispielsweise hinter den Rocky Mountains, die somit eine natürliche Abwehrbarriere schaffen. Andere „natürliche“ Grenzziehungen entstehen durch Naturkatastrophen oder weitere apokalyptische Szenarien. In der Regel werden diese Grenzen durch den Bau einer Mauer dann noch zusätzlich visualisiert, zu sehen beispielsweise in der Divergent Reihe oder in Lowrys The Giver. Die Abschottung nach außen ist dabei das wichtigste Werkzeug der Dystopie: Sie verhindert den Informationsfluss von und nach außen und schafft eine Gesellschaft, die kontrollierbar wird.

Werkzeug 2 – Überwachung und Bedrohung

Neben dem abgeschotteten Territorium ist insbesondere der allgegenwärtige Überwachungsapparat Teil einer jeden Dystopie. Der Staat muss dabei gar nicht immer überall sein, sondern vor allem das Gefühl der Omnipräsenz erwecken. Das berühmteste Beispiel bleibt dabei der Große Bruder, der in seiner Detailliertheit und Reichweite unerreicht bleibt. Die ständige Überwachung durch die Teleschirme inspirierte zahllose nachfolgende Visionen der Überwachung durch Technik. Neben der technologischen Überwachung gibt es aber auch Dystopien, die überwiegend analog arbeiten. In der französischen Jugendbuchreihe Méto werden die Kinder des Hauses beispielsweise von eingeschleusten Spitzeln überwacht. Bei einer Übertretung der Hausregeln werden sie an die Cäsaren verraten und erhalten eine Bestrafung, die in der Regel aus dem Einsperren in den Kühlraum besteht. Diese Androhung oder Durchführung von körperlichen Strafen ist ebenfalls ein wichtiges Werkzeug der Dystopie. So entsteht ein Klima der Bedrohung, das die Bürger davon abhält, sich gegen das Regime aufzulehnen.

Werkzeug 3 – Einschleusen von Spionen und das Schaffen von Misstrauen

Das Einschleusen von Informanten und Spionen hat aber noch eine weitere Funktion: Es schafft Misstrauen unter den Bürgern. Durch die Omnipräsenz des Staates und der Möglichkeit von Spitzeln kann sich niemand sicher sein, ob er nicht gerade mit einem Informanten spricht. So überwacht sich die Gesellschaft des dystopischen Staates in vielen Teilen selbst, aus Angst verraten zu werden. Dieser Mechanismus ist klar zu sehen in Orwells 1984 aber auch in neueren Dystopien wie in Rick Yanceys Fifth Wave Reihe, in der genau dieses Misstrauen auf die Spitze getrieben wird. So erschießt Protagonistin Cassie einen Soldaten, der sich später als menschlich herausstellt, einfach weil sie sich nicht sicher sein kann, ob er nicht doch ein Alien ist.

Werkzeug 4 – Kontrolle von Vergangenheit und Erinnerung

Ebenfalls ein wichtiges Werkzeug ist die Kontrolle von Vergangenheit und Erinnerung. Winstons Job im Ministerium der Wahrheit (aka Minitrue) stellt hier wiederum die bekannteste Realisierung dar. Angestellt dazu, um sogenannte „Unpersons“ aus den Geschichtsbüchern und allen anderen Aufzeichnungen zu entfernen, verdreht er die Geschichte zugunsten des Staates. Dieses Motiv findet sich auch in Lowrys Roman The Giver (1993) wieder, in dem Erinnerungen eine zentrale Rolle spielen. Lediglich der Geber und der neue Hüter der Erinnerungen können sich an die Vergangenheit erinnern und der Geber hat die Kontrolle darüber, welche Erinnerungen er weitergibt. Das Verdrehen oder Vergessen der Geschichte und insbesondere der Entstehung der eigenen Gesellschaft ist ein weitreichender Tropus der sich sowohl in der klassischen Dystopie bei 1984, Brave New World und Fahrenheit 451 finden lässt, als auch in neueren Erzählungen wie The Giver, den Hunger Games und Divergent vorhanden ist.

Werkzeug 5 – Die Beherrschung der Sprache

Ebenso wie bei der Kontrolle der Vergangenheit teilen viele Dystopien den Drang, die Sprache ihrer Bewohner zu kontrollieren. Dies beginnt meist im Kleinen mit dem Herausbilden einzelner Unwörter. In Brave New World sind beispielsweise die Ausdrücke „Vater“ und „Mutter“ verpönt, da Kinder nur noch künstlich erschaffen werden und diese Wörter somit eine rückständige Zeit symbolisieren. Darüber hinaus spielen viele Dystopien mit Euphemismen; insbesondere für Tötungsakte lassen sie sich beschönigende Worte wie befreien (The Giver) oder vaporisieren (1984) einfallen. Die umfassendste Sprachkontrolle stellt aber wiederum Orwells Newspeak dar. Newspeak vereinfacht das Standardenglisch, streicht Synonyme und Antonyme und reduziert damit den Wortschatz drastisch, sodass alternative Gedanken nicht mehr ausgedrückt werden können. Die Kontrolle der Sprache ist somit letztendlich die Kontrolle der Gedanken und des Geistes. Aus diesem Grund spielen Sprache und Literatur häufig eine große Rolle bei der Rebellion gegen das Regime.

Werkzeug 6 – Das Zuckerbrot bzw. die utopische Idee

Neben den ganzen Repressalien braucht die Dystopie aber auch einen Lichtblick, eine utopische Idee mit der sich die Strapazen der Bürger erklären und rechtfertigen lassen. Hinter jeder dystopischen Gesellschaft stand zunächst der Wunsch, eine bessere Welt zu erschaffen, sei es durch die vollkommende Gleichheit aller Bürger oder dem Auslöschen von Gewalt und Tod. Ohne diese Idee wird das System sinnlos und die Position des Protagonisten in seiner anfänglichen Unwissenheit unglaubwürdig. Über diese Grundidee hinaus bieten viele Dystopien ihren Bürgern aber noch weitere Annehmlichkeiten wie technologischen Luxus oder die Erfüllung sexueller Vorlieben. Die Dystopie muss somit gewisse Grundbedürfnisse erfüllen, um funktionieren zu können. Denn die beste Dystopie ist immer noch diejenige, in der sich die Mehrzahl der Bürger gar nicht bewusst ist, dass sie in einer solchen lebt.

Fotos: flickr.com/Jason Ilagan (CC BY-ND 2.0), flickr.com/US Geological Survey (CC BY 2.0)


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Die Queen of blues lebt!

Von Maya Morlock

Die Dokumentation „Janis – little girl blue“ von Regisseurin Amy J. Berg zeigt das Leben der Blues- und Rocklegende Janis Joplin. Der Zuschauer begleitet sie von der Geburt an in Port Arthur 1943 bis zu ihrem verfrühten Tod im Alter von nur 27 Jahren. Interviews von Familienmitgliedern, Freunden und Bandmitgliedern, persönliche Briefe von Joplin selbst und das authentische Filmmaterial von Liveauftritten und Interviews stellen Joplins Leben und ihre Person lebensnah dar.

Wie sie leibt und lebt

Zu Beginn sieht man die erwachsene Janis Joplin auf der Bühne, an dem Ort, an dem sie sich wohl und sicher fühlt. Im Rampenlicht ist sie jemand. Dort gibt sie alles, dort geht sie völlig auf und lebt jede Note, jedes Wort. Der Text kommt ihr über die Lippen, als sei er ihr gerade erst in den Sinn gekommen, kein bisschen gekünstelt. Sie versprüht eine Energie, die fasziniert, die ansteckt und man erwischt sich beim Mitwippen zum Takt. Schnell ist alles herum vergessen, Joplin schafft es einen mit wenigen Zeilen in den Bann zu ziehen, ihre Präsenz und Ausstrahlung sind ergreifend. Man bewundert dieses energiegeladene Bündel voller Leben und fragt sich: Was ist nur geschehen, was ist so schrecklich schief gelaufen?

Das schwarze Schaf

Joplin ist ein kleiner Streithahn, immer auf Krawall aus. Sie ist ein untypisches Mädchen, keine Schönheit, die man auf einem Modemagazin erwarten würde: Kräftige und nahezu männliche Züge zeichnen ihr Gesicht, an dem struppige Haare, weder glatt noch lockig, herunterhängen. Sie hat kräftige Beine und ist etwas mollig an den Hüften. In der Schule wird sie gemobbt, ihre erste Flucht in die große weite Welt scheitert und ihr Verlobter hintergeht sie. Es ist wohl eine Interpretationssache, doch allein die erste halbe Stunde des Films zeichnet eine tief verletzte Person, die ihr Leben lang nach Anerkennung und Liebe sucht. Immer wieder wird das schon angekratzte Selbstvertrauen zerstört, beispielsweise als die junge Sängerin Joplin zum hässlichsten Mann gewählt wird. Joplin fängt sich, doch Drogen und Alkohol sind ständige Wegbegleiter. Mehrmals versucht sie clean zu werden, doch richtig los kommt sie nie.

„Take another little piece of my heart, baby“

Der Film begleitet sie in ihrer Zeit bei der ersten Band „Big Brother and the Holding Company“ und auch bei ihrem zweiten Projekt „Kozmic Blues“. Die Musik kommt neben dem erstaunlichen Leben Joplins natürlich nicht zu kurz: Liveaufnahmen von zum Beispiel „Piece of my heart“ und auch die Entstehungsgeschichte von Joplins größtem Erfolg „Me and Bobby McGee“ werden gezeigt. Ihre Vorbilder und Inspirationsquellen bekommen Raum; eine Wolke aus Blues, Folk und Rock´n Roll vermischt sich zu einem gigantischen Klangerlebnis.

Do you know Janis?

Viele mosaikartige Einzelteile aus Interviews, dem Filmmaterial und den sehr persönlichen Briefen von Janis an ihre Eltern setzten nach und nach das Puzzle des Lebens und der Person Joplins zusammen. Unglaublich plastisch und sogleich respektvoll schafft es Berg ein facettenreiches Dasein in weniger als zwei Stunden darzustellen. Am Ende hat man das Gefühl Joplin wirklich zu kennen und zu verstehen, als habe man sie tatsächlich getroffen. Unglaublich bewegend ist diese Dokumentation, von der so einige Liebesschnulzen noch etwas lernen könnten – unglaublich authentisch und zuletzt untröstlich traurig.

Eine Hommage an eine wunderschöne Frau mit einem riesigen Talent. Ich wage es kaum zu sagen, doch dieser Film lässt Janis ein Stück weit weiterleben. Sie lebt in den Köpfen der jungen Generation, die sie dadurch wiederentdeckt, bevor sie vergessen werden konnte.

Foto: flickr.com/Winston Vargas (CC BY-NC 2.0)

Das Serienhäppchen für zwischendurch

Von Philipp Mang

Fans transmedialer Franchises kommen aktuell voll auf ihre Kosten. Im Netz werden die leidenschaftlichen Anhänger immer öfter mit digitalen Extras überhäuft. So auch im Fall von The Walking Dead: Um die Wartezeit zwischen den ersten beiden TV-Staffeln zu verkürzen, entschied sich der verantwortliche Kabelsender AMC im Jahr 2011 erstmals, eine Reihe so genannter Webisodes zu produzieren. Unter dem Titel Torn Apart wurde schließlich eine eigenständige Mini-Serie geschaffen, die ausschließlich über die Webseite des Senders abrufbar war. Für die Regie des knapp 20 minütigen Erzählstücks zeigte sich dabei kein geringerer als Greg Nicotero, der Special-Effects-Experte der Mutterserie, verantwortlich.

Wer ist das Bycicle Girl?

1_Daniel SemInhaltlich knüpft die sechsteilige Reihe dabei an ein Ereignis aus der TV-Pilotfolge an. Hier wird Rick in seinem Heimatort King County wie aus dem Nichts von einer Beißerin ohne Unterleib angegriffen, als er auf der Suche nach seiner Familie ein am Boden liegendes Fahrrad aufheben möchte. In einer emotionalen Szene setzt er dem Monster später den Gnadenschuss. Torn Apart erzählt nun gewissermaßen die Vorgeschichte dieser faszinierenden Figur, die in Fankreisen als so genanntes Bycicle Girl bekannt ist. Ähnlich wie der Deputy wird auch Hannah zu Beginn der Webserie vollkommen abrupt mit der neuen Welt konfrontiert, als sie am Steuer ihres Unfallwagens zu sich kommt. Auf der Stirn der blonden Frau klafft eine Platzwunde. Im Hintergrund dröhnt eine Alarmanlage. Und die Kinder sind spurlos vom Rücksitz verschwunden. Der Zuschauer begleitet die Protagonistin fortan auf der Suche nach ihrer Familie – bis zu der Stelle, an der sie sich für das Leben ihrer Söhne opfert und schließlich von Rick erlöst wird.

Eine spannende Inszenierung …

Inszeniert ist dieses Web-Prequel derart schnell und hektisch, dass man als TV-Zuschauer leicht den Überblick verlieren kann. So beinhaltet praktisch jede Einstellung der ohnehin nur rund dreiminütigen Episoden eine für den Plot entscheidende Wendung. Damit wird eine höchstmögliche Dichte innerhalb der Narration erreicht. Diese ist angesichts der Schnelllebigkeit des Mediums von den Produzenten aber durchaus beabsichtigt. Für gewöhnlich verbringt ein Internetuser nämlich nur wenige Minuten auf einer Homepage. Nirgendwo sonst ist das Angebot konkurrierender Unterhaltungsangebote außerdem größer. Torn Apart versucht deshalb bewusst, die Spannungskurve hoch zu halten. Während die TV-Serie ihren Handlungssträngen und Figuren stellenweise fast schon zu viel Raum zur Entfaltung gönnt, lässt das Netz-Pendant den Zuschauer kaum zu Atem kommen. Schnelle Schnittfrequenzen, dramatische Musik und der Einsatz effektvoller Hintergrundgeräusche (u.a. Pulsschläge) sorgen hier für ein kontinuierliches Suspense-Gefühl.

… mit qualitativen Mängeln

Dadurch wird jedoch die Ausarbeitung der Figuren zum Teil sträflich vernachlässigt. Tatsächlich bleiben viele der Charaktere, mit Ausnahme von Hannah, auch nach Ablauf der Sendezeit nicht viel mehr als blutleere, austauschbare Hüllen. Dies macht es schwierig als Zuschauer eine echte Beziehung zu ihnen aufzubauen. Und auch sonst offenbart die Mini-Serie teils deutliche Qualitätsunterschiede zum Mutter-Format. So wurde ein Großteil der Szenen beispielsweise ausschließlich in geschlossenen Räumen gedreht. Apokalyptische Landschaftstotalen oder riesige Zombieherden sucht man in Torn Apart damit praktisch vergebens. Diese Tatsache ist vor allem dem deutlich geringeren Produktionsbudget geschuldet.

Der Reiz der Webserie

Trotz dieser qualitativen Mängel entfaltet die Webserie aber praktisch von der ersten Sekunde an eine fast unheimliche Sogwirkung. Und das obwohl Torn Apart nicht einmal mit einem so genannten Origami Unicorn – also einem überraschenden Plot-Twist, der die gesamte Lesart umkrempelt – aufwarten kann. Worin besteht also der besondere Reiz des Formats? Nun zunächst einmal lässt sich die Faszination zu einem großen Teil durch die Protagonistin selbst erklären. So hat das Bycicle Girl seinen Ursprung bereits in Kirkmans Comicreihe und avancierte dort als erster Zombie mit Leidensweg schnell zur Kultfigur. Darüber hinaus bietet die Webserie dem Zuschauer die einzigartige Möglichkeit, weitere Teile der dystopischen Welt von TWD außerhalb von Ricks Perspektive kennenzulernen. So bekommen Fans in Torn Apart etwa zum ersten Mal einen Einblick in die Frühphase der Zombieapokalypse – also in die Zeit, zu der sich Rick in der TV-Serie eigentlich noch im Koma befindet. Bezeichnenderweise wird jedoch auch hier keinerlei stichhaltige Erklärung über den Ursprung der Zombieapokalypse geliefert und damit eine erzähllogische Ungereimtheit verursacht. Stattdessen bekommt der Zuschauer lediglich die vage Verschwörungstheorie eines verwirrten Mannes zu hören, wonach Terroristen für das Chaos verantwortlich seien. Damit bleibt nicht nur eine zentrale narrative Leerstelle des Originals erhalten, sondern auch eine der wichtigsten Regeln des transmedialen Kosmos unverletzt.

Die Webapokalypse geht weiter

Es ist also keine Überraschung, dass in den folgenden Jahren sogar noch zwei weitere Webserien produziert wurden. Diese unterscheiden sich jedoch teils beträchtlich von ihrem Vorgänger. So zeichnen sich sowohl Cold Storage (2012) als auch The Oath (2013) durch ein deutlich entschleunigtes Erzähltempo aus. Hierfür wurde die Episodenanzahl nicht nur kontinuierlich auf drei herunter geschraubt sondern gleichzeitig die Laufzeit der einzelnen Folgen verlängert. Alles in allem ist es den Machern damit erstmals in der Evolution des Franchise gelungen, das transmediale Universum von TWD um eigenständige Geschichten zu erweitern. Diese können dem Zuschauer jederzeit als Einstiegspunkt in das Franchise dienen und schlagen gekonnt immer wieder erzählerische Brücken zum Mutter-Format.

Fotos: flickr.com/Digitas Photos (CC BY 2.0), flickr.com/Daniel Sempértegui (CC BY-NC-ND 2.0)


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Kino – „Film muss man in einem großen Saal sehen“

von Ricarda Dietrich

„Film muss man in einem großen Saal sehen“

(Georgio Armani)

„Lebende Fotografie“

5593090164_d9eaee3b70_zSeit der Film erfunden wurde, gibt es natürlich auch Orte, an denen er abgespielt wird. Dies ist selbstverständlich, denn, wie wohl allseits bekannt sein sollte, konnte man Film nicht von Anfang an Zuhause im eigenen Wohnzimmer oder gar auf einem mobilen Gerät abspielen. Während in Amerika von Beginn an die so genannten „Nickelodeons“ gebaut und betrieben wurden, wurden in Deutschland zunächst Gasthäuser und Hotels als Vorführungsstätten für Filme genutzt. Außerdem nahmen sogenannte Schaubuden, die allerlei Kurioses zur Unterhaltung der Bevölkerung zeigten, die Neuheit „bewegtes Bild“ in ihr Repertoire auf. Auf dem Land wurden Filme in Wanderkinos gezeigt, die mit dem Equipment von Stadt zu Stadt zogen. Nach und nach wurden dann die ersten Gebäude eröffnet, deren reine Bestimmung es war, Filme zu zeigen. Da die Filme damals maximal 20 Minuten lang waren, bestand das Kinoprogramm, was man für eine Eintrittskarte bekam, aus mehreren kurzen Filmen. Fester Bestandteil neben dem „Hauptfilm“ waren dabei die Wochenschauen, die die Besucher über aktuelle Geschehnisse in der Welt informierten, ein Vorgänger von aktuellen Nachrichtensendungen also. Durch den Wachstum der Filmproduktion, die entstehende Genrevielfalt und die wachsende Zahl an bekannten Schauspielern wurden auch die Kinos immer größer und verbreiteten sich über das ganze Land bis auch die kleineren Städte über ein Kino verfügten. So gab es am Ende des Jahres 1927 4300 Kinos in Deutschland.

Konkurrenz Fernsehen

Für die Menschen der damaligen Zeit war das Kino eine willkommene Alternative zu den klassischen Bühnenkünsten wie Oper, Theater oder Ballett. Gerade in den Anfangsjahrzehnten des Films von 1905 an überzeugten die stetigen Neuerungen und somit die ungewohnten Erfahrungen die Bürger regelmäßig ins Kino zu gehen. Als es in den 50er Jahren möglich wurde, auch Zuhause über den Fernseher bewegtes Bild anzuschauen, fand sich das Kino bald in einer tiefen Krise wieder. In den darauffolgenden Jahrzehnten schloss ein Kino nach dem nächsten, bis es im Jahr 2014 nur noch 1630 Kinos in Deutschland gab. Zwar hat die Kino-Branche durch neue Techniken wie 3D und Breitbandbild sowie soundtechnische Neuerungen seit den 90er Jahren noch einmal etwas Aufschwung erfahren, aber dennoch ist es lange nicht mehr so wichtig, wie es in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts noch war.

Warum gehen wir heute noch ins Kino?

3820788791_575825da1c_zFlachbildfernseher mit 60 Zoll ermöglichen ein Sehen in hoher Auflösung und einer Größe, die ihm Verhältnis zum durchschnittlichen Wohnzimmer vermutlich schon an eine Kino-Erfahrung heranreichen. Außerdem können wir Zuhause den Film stoppen, wann immer wir mögen und es kann kein zwei Meter großer Mensch vor uns sitzen, der die Sicht versperrt. Warum also noch den Weg zum Kino auf sich nehmen, mindestens acht Euro für eine Karte zahlen um dann von Jugendlichen in der letzten Reihe genervt zu werden? Zum einen für das visuelle und auditive Kino-Erlebnis. Denn selbst mit einem großen Fernseher lässt sich das Schauen eines Filmes im Kinosaal nicht rekonstruieren. Um die Größe der Leinwand und den Sound zu imitieren muss man schon eine Villa zur Verfügung haben. Gerade Filme, die sich durch ihre beeindruckenden Landschaftsaufnahmen, große Schlachten oder rasante Verfolgungsjagden auszeichnen, machen sich auf der großen Leinwand und mit dem Soundsystems eines Kinos noch einmal deutlich besser als auf der heimischen Couch. Das lässt sich auch an einer Statistik über die beliebtesten Genres der Deutschen bei Kinofilmen erkennen. Auf Platz eins findet sich hier die Kategorie „Action/Abenteuer“, dicht gefolgt von „Komödie/Satire“, „Krimi/Thriller“ und „Sci-Fi/Fantasy“. Jean Louis Baudry prägte hierzu in den 1970er Jahren den Begriff des „Dispositivs“ im Bezug auf das Kino. Der abgedunkelte Raum, die große Projektion auf einer Leinwand durch einen nicht sichtbaren Apparat und der immobile Zuschauer bilden für ihn einen Rahmen, der den Kinobesuch einem Traum ähnlich werden lässt. Die Dunkelheit hat zusätzlich auch noch den Effekt, dass der Zuschauer seine volle Aufmerksamkeit dem Geschehen auf der Leinwand widmet. Außer den auditiven und visuellen Sinnen wird nichts weiter beansprucht, was die Konzentration noch weiter steigert. All diese Komponenten machen das faszinierende und befriedigende an einem Kinobesuch aus.

Ein weiterer Punkt, der für das Schauen auf der großen Leinwand spricht, ist ein sozialer Aspekt: Man möchte Mitreden können. Wenn man immer erst warten muss bis die DVD auf den Markt kommt, um den Film zu sehen, kann man zu so manchem Gespräch zwischen Kollegen oder Kommilitonen nur das beitragen, was man irgendwo über den Film gelesen hat. Hierfür sprechen auch die Kino-Rankings der letzten Jahre. Die bekannten Franchises wie zum Beispiel „Mission Impossible“, die „Bond“-Filme, alle Filme, die mit „Der Herr der Ringe“ zu tun haben oder „Harry Potter“ finden sich immer ganz oben in den Kino-Charts. Häufig vereinen sie die beiden bisher genannten Punkte. „Der Herr der Ringe“ mit seinen monumentalen Landschaftsaufnahmen wirkt im Kino einfach besser und außerdem möchte man gerade bei so sehnlich erwarteten Filmen möglichst bald mitreden können.

Zudem ist der Kinobesuch selber auch häufig ein soziales Event. John Naisbitt, ein amerikanischer Autor und Prognostiker, hat einmal gesagt: „Man geht nicht bloß ins Kino, um sich Filme anzusehen. Man geht vielmehr ins Kino, um mit zweihundert Menschen zu lachen und zu weinen.“ Man erlebt den Film im Kollektiv, etwas was man im Normalfall im eigenen Wohnzimmer nicht tut. Die wenigsten Menschen gehen alleine ins Kino, im Normalfall verabredet man sich und der Kinobesuch soll ja auch in der heutigen Zeit noch als beliebtes erstes Date genutzt werden.

Wie viele Menschen gehen noch ins Kino?

Die Filmförderungsanstalt veröffentlicht jedes Jahr eine Studie über die Kinobesucher in Deutschland auf Basis des Panels der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). In ihrem Bericht über das Kinojahr 2014 zählt sie einige Fakten auf, die wenig überraschend sind. So gehen die meisten Besucher beispielsweise in der zweiten Hälfte der Woche, also Donnerstag bis Sonntag, ins Kino. Desweiteren ist das Einzige, was in diesen Statistiken ansteigt in den letzten Jahren, der Eintrittspreis. Auch das dürfte jeder bemerkt haben, der ab und zu ins Kino geht. Überraschend ist jedoch, dass mehr Frauen als Männer ins Kino gehen, auch wenn diese Zahlen nicht allzu weit auseinander gehen. Die größten Besucherzahlen haben die Altersgruppen von 30 bis 39 und von 40 bis 49. Daher beträgt das durchschnittliche Alter des deutschen Kinobesuchers 37,5 Jahre.

Trotz aller Schwarzmalerei macht die Kino-Branche einen starken Umsatz. So spielte „Fack Ju Göthe 2“ in diesem Jahr sagenhafte 74 Millionen Euro ein. Aus welchem Grund so viele Menschen diesen Film gesehen haben, kann sich ja nun jeder selber überlegen…

Fotos: flickr.com/janwillemsen (CC BY-NC-SA 2.0), flickr.com/magro_kr (CC BY-NC-ND 2.0)

Videoplattformen – „Ich bin das neue Fernsehen“

von Ricarda Dietrich

„Ich bin das neue Fernsehen“

                                   (Dagi Bee, deutscher YouTube-Star)

Seit die Videoplattform YouTube 2005 online ging, hat sie sich unsere Medienrezeption grundlegend geändert. YouTube hat sich soweit in unserem Alltag etabliert, dass es wohl nur noch wenige Menschen unter 60 geben sollte, die mit diesem Namen nichts anfangen können. Was damals besonders war und heute selbstverständlich für jede Videoplattform ist: Der Nutzer ist nicht mehr passiv. YouTube ist als Netzwerk gedacht, das aus Menschen besteht, die Videos hochladen, anschauen und die Möglichkeit eines Rückkandels, über die Bewertung oder den Kommentarhaben. Diese Möglichkeiten verändern das Verständnis von Film und öffnen neue Möglichkeiten. Sie erfordern aber auch eine gründliche und aufmerksame Kontrolle von Seiten der Betreiber.

Ersatz für Musiksender

5352333173_9e2c81b0bc_zIch habe eine kleine Umfrage in meinem Bekanntenkreis gestartet und mich mal umgehört, wofür die Menschen YouTube eigentlich nutzen. Das kam dabei heraus. Einige rufen YouTube aus genau den gleichen Gründen auf wie ich: Hauptsächlich um Trailer, Musikvideos oder lustige, unterhaltsame Videos anzuschauen. Die Trailer reichen von der Vorschau auf die nächste Folge Grey’s Anatomy bis hin zur aktiven Suche nach einem Film für den Abend. Musikvideos sind in Deutschland eine Glückssache, da YouTube sich bis heute nicht offiziell mit der Gema geeinigt hat und viele Videos somit gesperrt sind. Dennoch merkt man deutlich, dass YouTube den Platz der früheren Musiksender im Fernsehen eingenommen hat. Hier überzeugt der Vorteil der Selbstbestimmung: Man muss nicht schauen, was MTV oder Viva grade an Musikclips zeigt, sondern man kann seine Lieblinge suchen, anschauen und wenn einem grade danach ist, auch in Dauerschleife hören.

Auf die lustigen kleinen Videos mit Katzen, tollpatschigen Kleinkindern oder filmisch festgehaltenen Jugend-Sünden wird man häufig von anderen Leuten über die sozialen Netzwerke aufmerksam gemacht. Hier rezipiert man also auf die Empfehlung von sozialen Kontakten hin. Hat man eines dieser Videos angeschaut, dann wird es schwierig wieder aufzuhören. Schuld daran sind die vorgeschlagenen Videos, genauso wie die vor einiger Zeit eingeführte Funktion des automatischen Startens vom nächsten Video. Man findet immer neue Videos, die lustig oder interessant scheinen und schnell hat man eine halbe Stunde lang Videos mit lustigen Hochzeitstänzen angeschaut. In diesem Fall kann man, muss man aber nicht, selber entscheiden, welches Video als nächstes abgespielt wird. Man kann sich, genau wie vor dem Fernseher, auch einfach von dem berieseln lassen, was automatisch als nächstes anläuft.

YouTube hat mir Kochen beigebracht!

Viele meiner Freunde gaben außerdem noch an, häufig Tutorials zu schauen. Von „Wie-binde-ich-eine-Krawatte“ über Back-Videos bis hin zu Excel-Tutorials kann man aus Videos eine Menge lernen. Hier merkt man deutlich, dass das menschliche Hirn Bild besser verarbeiten kann als Wort. Man kann sicherlich auch in einem Text ausformulieren, wie man einen Fischgrätenzopf flicht, aber besonders anschaulich ist das natürlich nicht. Einfacher nachmachen lässt es sich, wenn man jemandem dabei zuschauen kann, wie es gemacht wird. YouTube kann also auch durchaus eine lehrreiche Funktion haben.

Gerne werden außerdem Videos von Formaten aufgerufen, die in Deutschland nicht übertragen werden. So schauen viele Leute amerikanische Talk Shows und Late Night Shows. Diese haben einen hohen Unterhaltungswert, können aber ebenso über politische Themen aufklären und bieten immer einen guten Gesprächsstoff. Der Vorteil an YouTube ist hier wieder: Man kann sich aussuchen, welche Segmente der Sendung man schauen möchte. Man muss nicht die ganze Sendung am Stück schauen, sondern kann schön portionsweise die Interviews mit den Gästen anschauen, die einen interessieren.

Ein weiterer, immer größer werdender Trend auf YouTube sind Gaming-Videos. Neben der Videoplattform twitch.tv, die nur zur Übertragung von Videospielen genutzt wird, gibt es seit diesem Sommer auch von YouTube einen Ableger speziell für Gaming-Videos. Dort kann man, teilweise in Life-Streams, Gamern dabei zuschauen, wie sie ein Videospiel spielen.

Musik und Spiele

PewDiePie

PewDiePie ist der bekannteste Gaming-Star

Und was sagen die Statistiken? Wofür wird den harten Zahlen nach am häufigsten YouTube aufgerufen? Geht man nach reinen Klick-Zahlen der hochgeladenen Videos findet man unter den Top-Ten der erfolgreichsten Chanels sechs Musikchannel, die teilweise die Vevo Chanels von einzelnen Stars wie Justin Bieber, Rihanna oder Taylor Swift sind. Vevo ist eine weitere Videoplattform, mit dem Schwerpunkt Musikvideos, die sich neben der eigenen Website auch über YouTube verbreiten. Den ersten Platz der Klick-Charts belegt allerdings der wohl bekannteste Gaming-Video-Star, PewDiePie. Der gebürtige Schwede ist mit über 40 Millionen Abonnenten der meist abonnierte YouTuber der Welt und verdient Millionen durch Werbeeinnahmen. Somit ist wohl eindeutig, dass Musik und Gaming die erfolgreichsten Inhalte auf YouTube sind. Katzenvideos leider nicht.

YouTube als Job

YouTube bietet neben der frei bestimmbaren Rezeption aber auf der anderen Seite auch ganz neue Möglichkeiten, groß raus zu kommen. So hat so mancher große Musikstar damit begonnen, seine Videos auf YouTube hochzuladen und ist damit bekannt geworden. Justin Bieber oder Lana del Rey sind hier gute Beispiele. Außerdem ist durch YouTube auch eine ganz neue Gruppe von Berühmtheiten entstanden, die so genannten YouTube-Stars. Eine der bekanntesten deutschen YouTuberinnen ist Dagi Bee, die auf ihrem Channel Schmink- und Modetipps gibt, aber auch Comedy macht oder einfach von ihrem Leben berichtet. Dagi hat eine unglaublich große Fan-Gemeinde, die hauptsächlich aus Teenager-Mädchen besteht und für die sie ein großes Vorbild ist. YouTube bietet also auch im Sinne der Identifikation soziale Möglichkeiten; die jungen Mädchen interagieren regelrecht mit ihren Idolen. Dass es sehr gefährlich werden kann, wenn sich diese Idole nicht mehr in der Realität finden lassen, ist selbstredend. Dagi und Co. sind kein Ersatz für reale soziale Kontakte, die Teenager in ihrer Entwicklung begleiten und unterstützen können. Dennoch ist auch dies ein wichtiger Aspekt von YouTube, der nicht zu unterschätzen ist. So wird YouTube nicht nur zum Rezipieren von Filmen genutzt, sondern auch um eine Marke, eine öffentliche Persönlichkeit aufzubauen. Andere YouTube-Stars werden durch Cover von bekannten Songs berühmt (Boyce Avenue, Cimorelli), wieder andere machen Comedy oder drehen Parodien (Coldmirror, Fresh Torge) und einige versuchen sich auch in politischer Satire (Lars Paulsen).

Ob man dies alles nun kritisch sieht oder zum Beispiel die automatische Wiedergabefunktion nervig findet, bleibt jedem Nutzer selbst überlassen. Dennoch ist und bleibt YouTube das führende Videoportal im Internet, was auch einfach an der schier unendlichen Zahl an hochgeladenen Videos und an der einfachen Bedienung der Seite liegt. „Mal eben was auf YouTube anschauen“ macht halt doch fast jeder und das in großer Regelmäßigkeit.

Fotos: flickr.com/Sean MacEntee (CC BY 2.0), flickr.com/camknows (CC BY-NC-SA 2.0)

Breaking Bad

Serien – „Was bisher geschah….“

von Ricarda Dietrich

Diese drei Worte lassen das Herz eines jeden Serien-Liebhabers höher schlagen. Sie kündigen eine Dreiviertelstunde in einer anderen Welt an, die Möglichkeit für 45 Minuten dem eigenen Leben zu entfliehen. Und das Beste ist, dass nach den 45 Minuten nicht Schluss ist, sondern das Abenteuer im Normallfall in einer Woche weitergeht. Dieses Format bietet nicht nur dem Zuschauer die Möglichkeit, sich viel intensiver in die Welt der Serie hineinzudenken, sondern es gibt auch den Autoren, Regisseuren und Schauspielern sehr viel mehr Spielraum, die Geschichte und ihre Akteure sich entfalten zu lassen.

Serien, im Sinne von sich fortsetzenden Geschichten, gibt es schon so lange wie es Medien gibt, die diese Serien tragen können. Die ersten Serien werden wohl die Fortsetzungsromane in Tageszeitungen gewesen sein. Jeden Tag wurden weitere Zeilen eines Buches abgedruckt und dienten den Menschen zur Unterhaltung. Hier greift schon das Konzept einer Serie: Fängt man einmal an zu lesen, möchte man auch wissen, wie die Geschichte weitergeht, also kauft man die Zeitung am nächsten Tag wieder. In den 1920er Jahren breitete sich die Serie dann auf das Radio aus und Ende der 40er Jahre wurden die ersten Fernsehserien ausgestrahlt. Man übernahm die Idee der Serie aus dem Radio, da sich dort gezeigt hatte, dass die Zuhörer dran blieben. Serien waren somit perfekt, um Werbung auszustrahlen, die garantiert gehört und später dann gesehen wurde. Daher sind die Episoden der Serien auf privaten Sendern bis heute noch 44 oder 22 Minuten lang. Diese Minutenzahl lässt sich wunderbar mit Werbung auf eine, beziehungsweise auf eine halbe Stunde aufstocken.

Die Serienlandschaft ist so vielseitige wie die Zuschauerschaft selbst. Von Western über Krimis bis hin zu Krankenhausserien gibt es alles, was das Herz begehrt. Nicht nur das Genre der Serien variiert stark, auch qualitativ unterscheiden sie sich deutlich. So kann man schlecht geskriptete Gerichtsshows genauso im Fernsehprogramm finden, wie Zuschauerlieblinge wie „The Big Bang Theory“ oder so genannte Quality-Serien wie „The Sopranos“.

„The Third Golden Age of Television“

Kevin Spacey, zweifacher Oscar-Gewinner, setzt inzwischen auf genau diese Quality-Serien. In einer Rede beim Edinburgh International Television Festival 2013 spricht er davon, dass inzwischen die „dritte goldene Ära des Fernsehens“ angebrochen sei und man dies an vielen qualitativ hochwertig produzierten Serien mit anspruchsvollen Charakteren und Plots erkennen kann. Er zählt Serien wie „The Sopranos“, „Homeland“, „Six Feet Under“, „Dexter“, „The Wire“, „Mad Men“, „Game of Thrones“, „Breaking Bad“ und natürlich die von ihm produzierte Serie „House of Cards“ auf, in der er selbst auch die Hauptrolle spielt. Quality-Serien zeichnen sich häufig durch zwiegespaltene Charaktere aus, die oftmals skrupellos vorgehen, um an ihr Ziel zu kommen und dabei auch vor Mord nicht zurückschrecken. So lernt man vom Chemie-Lehrer Walter White aus „Breaking Bad“ zum Beispiel wie man am besten Leichen los wird. Frank Underwood aus „House of Cards“ erdrosselt in den ersten fünf Minuten der Serie den Nachbarshund, der ihn schon immer genervt hat und Carrie Mathison riskiert in „Homeland“ mehrmals kalkuliertes Sterben von Menschen, wenn es denn zur Sicherheit der Vereinigten Staaten geschehen muss. Der Zuschauer verzeiht dieses Verhalten immer wieder, da alle diese Charaktere nicht von Grund auf Böse sind. Sie verhalten sich auf diese Art und Weise, weil sie nicht anders können, weil sie vom Schicksal dazu gezwungen werden. Walter White wäre niemals zum Drogendealer geworden, wenn er nicht Krebs im Endstadium hätte und Carrie Mathison sieht Menschen beim Sterben zu, wenn sie dafür einen Terroranschlag auf Amerika verhindern kann.

Sheldon und Co. zum Abschalten

Obwohl es inzwischen eine große Zahl an Quality-Serien gibt, erfreuen sich auch einfacher gestrickte Serien weiterhin großer Beliebtheit. So wird von „Grey’s Anatomy“ grade die zwölfte Staffel ausgestrahlt und auch Serien wie „CSI:Miami“ erreichen weiterhin traumhafte Einschaltquoten, obwohl sie in vieler Hinsicht nicht an Quality-Serien mit ähnlichen Themen heranreichen. Das liegt ganz einfach daran, dass der Mensch mit der Rezeption von Film nicht nur Unterhaltung, sondern auch unbewusst einen inneren Spannungsausgleich sucht. „House of Cards“ schaut man nicht nebenher oder wenn man müde nach Hause kommt und nur ein bisschen abschalten will. Dafür sind die Charaktere und Plots zu komplex, man muss zu sehr am Ball bleiben, damit man noch versteht, was passiert. Seichte Drama-Serien mit dem immer gleichen Aufbau jedoch lassen sich gut während des Bügelns oder einfach nur zum Runterfahren und Entspannen anschauen. Das Gleiche gilt für Sitcoms.

Hier kommt auch ein Unterschied innerhalb der Serien zum Tragen: Man kann zwischen Episodenserien und Fortsetzungsserien unterscheiden. Bei Episodenserien ist jede Folge ähnlich aufgebaut, folgt einem gewissen Muster und es gibt viele Punkte der Wiedererkennung. So erkennt der Zuschauer zum Beispiel sofort McLaren’s Pub aus „How I Met Your Mother“ oder Sheldons Wohnung aus „The Big Bang Theory“. Bei Episodenserien kann man in irgendeine Episode reinschalten und findet sich trotzdem zurecht.

Bei Fortsetzungsserien wiederum ist es wichtig, keine Folge zu verpassen. Es fehlen sonst Informationen, die zum Verstehen der nächsten Episode unentbehrlich sind.

Was der Zuschauer will? Selbstbestimmung!

Also was erwarten wir als Zuschauer, wenn wir eine Serie einschalten? Je nach Serie erwarten wir für eine Dreiviertelstunde in eine andere Welt versetzt zu werden. In eine Welt, die komplexer und herausfordernder ist, als es die eines Filmes jemals sein kann. Wir erwarten zu sehen, was nach dem Happy End passiert, denn eine Serie ist nicht auf zwei Stunden beschränkt wie ein Film, sondern sie läuft über einen deutlich längeren Zeitraum. Wir erwarten Spannung, Drama, Gefühl. Und was noch viel wichtiger ist: Wir erwarten heutzutage selber aussuchen zu können, was davon wir in der Serie unserer Wahl sehen wollen. Es gibt ein breites Angebot aus dem wir wählen können. Aber dieses Angebot wollen wir auch dann rezipieren und dort rezipieren, wo wir wollen. Wir wollen nicht mehr an den Mittwochabend bei Pro7 gebunden sein, um die neueste Folge „Grey’s Anatomy“ zu schauen. Und mit Streaming-Diensten wie Amazon Prime oder Netflix müssen wir das auch nicht mehr. Kevin Spacey sagt in seiner Rede in Edinburgh dazu: „Give people what they want, when they want it, in the form they want it in, at a reasonable price and they are more likely to pay for it.“ Netflix unterstützt das Verlangen der Zuschauer zur Selbstbestimmung sogar so weit, dass es die neuen Staffeln von „House of Cards“ immer komplett auf einmal online stellt. Dann kann der Zuschauer alle Folgen am Stück sehen, das sogenannte „Binge-Watching“. Am Erfolg der Serie lässt sich erkennen, wie beliebt dieses Konzept ist.

Für den klassischen Binge-Watcher ist dann natürlich auch das „Was bisher geschah…“ nicht mehr wichtig, immerhin schaut er die Serie seit Stunden am Stück und weiß sehr genau, was bisher passiert ist…

 

Fotos: AMC Networks

Ein multimediales Franchise

Von Philipp Mang

Das Spiel ist aus. Die letzte Seite des Comics umgeblättert. Und das Serienfinale der Lieblingsserie längst ausgestrahlt. Trotzdem nehmen moderne Erzählungen einfach kein Ende. Ein gedruckter Text, so scheint es, reicht dem anspruchsvollen Rezipient von heute nicht mehr aus. Ebenso wenig wie cineastische Spektakel auf dem Flatscreen. Konsumenten wollen ein Medium nicht länger nur passiv rezipieren, sondern Zusatzinformationen über dessen gesamtes Universum erlangen. Dafür sind sie sogar bereit, sich auf eine medienübergreifende Recherchereise zu begeben. Immer häufiger werden Geschichten deshalb auf andere Medien ausgeweitet – ganz egal ob es sich dabei um die große Leinwand, Webserien oder Applikationen für das Smartphone handelt.

Ein Buzzword & was dahinter steckt

Häufig wird dieses Phänomen als Transmediales Storytelling bezeichnet. Hierbei handelt es sich um ein mediales Buzzword, das durch die Arbeiten des Medienwissenschaftlers Henry Jenkins entscheidend geprägt wurde. Es bezeichnet eine spezielle Form der Narration, bei der eine Geschichte über verschiedene Medien-Plattformen hinweg erzählt wird und jedes Produkt seinen eigenen wertvollen Beitrag zur Gesamtgeschichte leistet. Transmediales Erzählen ist damit mehr als eine bloße Vermarktungsstrategie. Durch geschickte Erweiterungen des Universums soll dem Konsument vielmehr ein neuer Blickwinkel auf die Geschichte eröffnet werden. Man rezipiert gewissermaßen ein mediales Puzzle, das sich erst am Ende zu einem großen Ganzen zusammensetzt. Dieses komplexe Erzählkonzept findet bei Fans großen Anklang – so sehr, dass auch Hollywood damit immer häufiger seine Umsätze ankurbelt. Die Matrix- oder Star Wars-Sagen gelten dabei bist heute als Paradebeispiele für plattformübergreifendes Erzählen.

Vom Comic zur Serie

4_Walt Jabsco3_Walt JabscoAuch Robert Kirkmans TWD-Franchise ist ein solch multimediales Massenphänomen. Was im Jahr 2003 mit einer Comic-Serie recht unscheinbar begann, hat sich seither zu einer gigantischen Erfolgsgeschichte entwickelt. Mittlerweile sind mehr als 100 Ausgaben der beliebten Zombie-Dystopie erschienen – und ein Ende ist immer noch nicht in Sicht. Erst kürzlich brach die Jubiläumsausgabe des Comics in den Vereinigten Staaten Verkaufsrekorde. Außerdem wurde die Reihe mit einem der begehrtesten Preise für Comic-Schaffende ausgezeichnet: dem Eisner Award. Diese Auszeichnung gebührt in erster Linie Kirkman, der sich als Autor und kreatives Hirn für so manch überraschende Wendung verantwortlich zeigt. Nicht zu verachten ist aber auch die Rolle des Zeichners Charlie Adlard, der die Panels seit der siebten Ausgabe in schnörkelloser Schwarz-Weiß-Optik illustriert.

Kopie oder Transmediale Erweiterung?

Von diesem Erfolg beflügelt, folgte im Jahr 2010 schließlich wenig überraschend die Adaption zur Fernsehserie. Damit konnten die Verkaufszahlen der Comics nicht nur beträchtlich gesteigert, sondern die Reihe auch insgesamt ihres gesellschaftlichen Nischendaseins enthoben werden. Es ist die Geburtsstunde eines globalen Franchise. Ob man hierbei allerdings tatsächlich von einer ersten transmedialen Erweiterung des Universums im Sinne von Jenkins Theorie sprechen kann – darüber gibt es in Expertenkreisen durchaus unterschiedliche Ansichten.

Vorlage vs. Adaption

photo by Scott Beale / Laughing Squid This photo is licensed under a Creative Commons license. If you use this photo within the terms of the license or make special arrangements to use the photo, please list the photo credit as "Scott Beale / Laughing Squid" and link the credit to http://laughingsquid.com.Ein kurzer Vergleich zwischen Comic und Serie soll deshalb Licht ins Dunkel bringen: Tatsächlich wird die Handlung der Vorlage hier nicht einfach nur strikt in das neue Medium Fernsehen übertragen. Stattdessen werden dem Zuschauer sogar vereinzelt neue Handlungsstränge präsentiert. So taucht das Seuchenzentrum, das die Gruppe um Rick am Ende der ersten Staffel des TV-Formats erreicht, in den Comics etwa gar nicht erst auf. Die Serienmacher führen außerdem immer wieder vereinzelt Figuren ein, die in der graphischen Vorlage überhaupt nicht existieren. Prominentestes Beispiel hierfür ist sicherlich Serienliebling Daryl Dixon. Als ebenso interessant erweist sich, dass das Schicksal der Charaktere niemals in Stein gemeißelt ist. Wer im Comic das Zeitliche segnet, muss das nicht zwingend auch in der Fernsehserie – und umgekehrt. Genau hierin liegt der Reiz für Kenner der Bildergeschichte: In Onlineforen können sich die so genannten „fan scholars“ über Änderungen mit Gleichgesinnten austauschen.

Zwischen Eigenständigkeit und Redundanz

Nichtsdestotrotz fungiert der Comic bei der Adaption unverkennbar als Blaupause. So hält sich die Serie nicht nur an die dort festgesetzten Grenzen (z.B. dass der Ursprung der Zombie-Seuche niemals verraten wird), sondern folgt auch dessen Mythologie, den Schauplätzen (Atlanta, Hershels Farm, Gefängnis usw.) und groben Handlungssträngen. Eine wirklich eigenständige Geschichte, die narrative Leerstellen füllt, wird nicht erzählt. Stattdessen finden sich in der Serie zahlreiche für Comicfans redundante Informationen. Von einer transmedialen Adaption kann deshalb nur bedingt die Rede sein.

Big Business Zombie

Als erste echte Erweiterung des TWD-Universums gelten vielmehr die so genannten Webisodes, auf die im folgenden Artikel noch einmal näher eingegangen werden soll. Mit ihrer Produktion nahm der Siegeszug des Zombie-Franchise endgültig seinen Lauf: Es folgten unzählige Videospiele, Applikationen für mobile Endgeräte, Onlineforen und Hörspiele. Mittlerweile sind sogar zahlreiche Romane erschienen, die die Hintergrundgeschichte verschiedener Charaktere beleuchten. Mit The Walking Dead Escape findet außerdem ein jährliches Event statt, bei dem Fans die Möglichkeit haben, sich wie die Protagonisten durch Schauplätze der Serie zu kämpfen. Entstanden ist damit eine Art dreidimensionale Welt. Diese kann von Fans durch nahezu jedes erdenkliche Medium betreten werden, um tiefer in die Geschichte einzutauchen. Die Verantwortlichen haben es also perfekt verstanden, ihre Marke über ein transmediales Mosaik clever zu vermarkten.

Fotos: flickr.com/Flood G. (CC BY-NC-ND 2.0), flickr.com/Walt Jabsco (CC BY-NC-ND 2.0), flickr.com/Walt Jabsco (CC BY-NC-ND 2.0), flickr.com/Scott Beale (CC BY-NC-ND 2.0)


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Daily Soaps – „Wenn man verliebt ist, ist man immer 14!“

von Ricarda Dietrich

„Wenn man verliebt ist, ist man immer 14!“

                                            (Rufus Sturm, Unter Uns)

„Unter Uns“, „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“, „Alles was zählt“, „Sturm der Liebe“, „Berlin Tag und Nacht“, „Rote Rosen“, „Julia, Wege zum Glück“ und die Liste könnte lange weiter geführt werden. Hinter all diesen Namen verbergen sich: Daily Soaps oder Telenovelas.

Unendlichkeit vs. festgelegtes Happy End

Daily Soaps zeichnen sich dadurch aus, dass sie jeden Tag ausgestrahlt werden („daily“) und mehrere Handlungsstränge gleichzeitig verfolgen. Häufig laufen so genannte Drei-Strang-Soaps mit drei gleichberechtigten Handlungssträngen, die sich parallel abspielen. Hier unterscheidet sich die Telenovela von der Soap: Telenovelas haben eine Haupthandlung, mit der alle anderen Nebenhandlungen verknüpft sind. Hier wird ein Multiplot möglich, eine Erzählung mit vielen Nebenschauplätzen, die aber durch ihre Verbindung zur Haupthandlung übersichtlich bleiben. Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden Serien-Formaten ist, dass Soaps auf Unendlichkeit ausgelegt sind. Sie sind so konzipiert, dass sie unbegrenzt weiterlaufen können, solange die Quoten stimmen. Telenovelas wiederum zielen von Beginn an auf ein Happy End ab, das nach einigen Monaten Laufzeit erreicht wird. Gemeinsam ist der Soap und der Telenovela, dass jede Folge mit einem Cliffhanger endet, damit die Zuschauerschaft auch am nächsten Tag wieder gespannt den Fernseher einschaltet.

Der Name der „Seifenopern“ stammt daher, dass die ersten Soaps tagsüber im Radio ausgestrahlt wurden. Der Tageszeit zufolge war die Zielgruppe in erster Linie die der Hausfrauen. Die Werbeblöcke während der Soaps wurden zielgruppengerecht von Werbung für Waschmittel dominiert und teilweise wurden sogar die ganzen Soaps von Waschmittelherstellern produziert. Obwohl sich das Publikum wandelte, blieb der Name.

Seit 21 Jahren in der Schillerallee

Aber wer gehört zu dieser Zuschauerschaft? Fragt man ein bisschen rum, dann gibt kaum jemand freiwillig zu, Soaps gerne und täglich zu schauen. „Früher, als Teenager habe ich jeden Tag „Alles was zählt“ geschaut“ bekommt man schon mal als Antwort. Aber das war dann ja aus sozialen Gründen, man wollte am nächsten Tag in der Schule mitreden können. Doch obwohl es offenbar ein belächeltes und verleugnetes Format zu sein scheint, erfreuen sich die Soaps im Fernsehen, wohlgemerkt sowohl auf den öffentlichen als auch auf den privaten Sendern, größter Beliebtheit. Ein bisschen wie bei der BILD-Zeitung. Keiner liest sie und doch ist sie eine der meistgelesen Tageszeitungen Deutschlands.

Aber zurück zu den Serien. Schauen wir einmal auf „Unter Uns“ als Beispiel. Von dieser Soap um die Familie Weigel aus Köln liefen in den letzten 21 Jahren immerhin schon über 5200 Folgen, die Facebook-Seite der Soap hat mehr als 411.000 Likes und es gibt einmal im Jahr ein Fan-Treffen in der Originalkulisse mit dem Cast. Woher kommt der Erfolg des Formats? Wieso hat eine Sendung wie „Unter Uns“ so viele Fans, wenn es doch fast niemand einfach so zugeben will, dass er sie schaut? Sind Soaps so etwas wie ein „Guilty Pleasure“, etwas was wir heimlich konsumieren, aber nicht gerne zugeben, wie abhängig wir davon sind?

Gewohnheit, Identifikation und Eskapismus

In den verschiedensten Foren liest man unterschiedliche Gründe, warum die Fans Soaps anschauen. Manch einer hat irgendwann einmal angefangen und kann gar nicht mehr ohne. Man ist so an die Handlung gefesselt, dass man unbedingt wissen muss, wie es weiter geht. Andere sehen in den Soaps ein Stück Heimat, einen Teil ihres Alltags. Hier kommt ein wichtiger Punkt zur Sprache: Zuschauer, die wirklich jeden Tag zur selben Uhrzeit vor dem Fernseher sitzen und schauen, was in der Schillerallee 10 heute passiert, tun dies häufig schlicht aus Gewohnheit. Soaps sind inhaltlich nicht sonderlich anspruchsvoll und können gut auch der Entspannung nach der Arbeit dienen, sie lassen sich somit wunderbar in den Tagesablauf einbauen.

Andere User geben in Foren auch zu, sich mit der Handlung und den Charakteren gut identifizieren zu können. Die Geschichten seien so aufgebaut, wie sie teilweise auch im echten Leben passieren können und in manchen Situationen findet man sich als Zuschauer selbst wieder. Grade für Jugendliche haben Soaps daher einen hohen Identifikationscharakter.

Und auch für Soaps gilt, was für Serien und Filme genauso wahr ist: Die Menschen leben gerne in einer Traumwelt, sie fliehen aus ihrer eigenen Realität in das Leben anderer und sei es nur für ein paar Stunden. Soaps und Serien eignen sich dafür besonders gut, da sie das Leben der Charaktere durch die längere Zeitspanne noch ausführlicher darstellen können als Filme dies tun.

Allerdings liest man natürlich auch Beiträge, die zugeben, Soaps hauptsächlich zu schauen, um sich über die schlechte Schauspielleistung und die flache und vorhersehbare Handlung lustig machen zu können. Ob das aber wirklich der einzige Grund ist, warum sie jeden Tag vor dem Fernseher sitzen oder ob sich auch dabei nicht irgendwann eine gewisse Abhängigkeit und Neugier etabliert, können wohl nur die Betroffenen selber beantworten.

Nur 13-jährige Teenager?

Neben der flachen Handlung und den schlechten Schauspielern herrscht außerdem das Vorurteil, dass Soaps hauptsächlich von Mädchen im Teenager-Alter geschaut werden. Diese Gruppe mag auch durchaus einen großen Teil der Zuschauerschaft ausmachen, liest man allerdings mal ein bisschen auf der Facebook-Seite von „Unter Uns“, so fällt auf, dass viele Posts von Männern stammen, die ihrem Profilbild nach zu urteilen so etwa um die 40 sind. Telenovelas in der ARD hingegen scheinen vornehmlich von älteren Menschen rezipiert zu werden. Es lässt sich also keine homogene Zuschauermasse für Daily Soaps festmachen. Auch die Möglichkeit, die Folgen im Internet zu jeder Uhrzeit nachschauen zu können, erweitert die Zielgruppe, da somit auch Berufstätige oder Menschen, die nicht um 17.30 Uhr vor dem Fernseher sitzen können, die Möglichkeit haben, die Soaps zu rezipieren.

Und ob man es nun glaubt oder nicht – es gibt sogar eine Award-Verleihung in der Soap-Welt. Seit 2011 werden die „German Soap Awards“ verliehen und zwar auf der Grundlage von Zuschauerabstimmungen im Internet. Da kommt ja fast schon ein bisschen Oscar-Stimmung auf….

Foto: flickr.com/Dosionair (CC BY 2.0)

Pubertätsnöte und Regimekämpfe – Die Teenager erobern die Dystopie

Von Antje Günther

Die ersten Young Adult Dystopien, also Dystopien für das jüngere Publikum, angesiedelt irgendwo zwischen 11 und 30, gab es bereits in den 70er Jahren. Doch Werke wie Lois Lowrys „The Giver“ (1993) waren ihrer Zeit voraus. Der große Boom der Young Adult Dystopie kam erst in den 2000ern, klar angeführt von Suzanne Collins Hunger Games Trilogie (2008 – 2010). Die Dystopie, ursprünglich ein düsteres Genre klar für Erwachsene, erfährt in dieser Zeit eine erneute Wandlung, eine Wandlung hin zum Thema der Bildung, der Entwicklung.

Die Young Adult Dystopie und der Bildungsroman

Literatur für Teenager und junge Erwachsene steht in der Regel zwischen zwei Polen: Unterhaltung und Bildung. Die Jugend soll erzogen werden und dies am besten gar nicht mitbekommen. In der Dystopie ist diese Balance besonders ausgeprägt: Durch die Zeichnung einer düsteren Zukunft, in der gewisse Aspekte der eigenen Realität des Lesers überspitzt dargestellt werden, erfährt der junge Leser automatisch mehr über seine Welt. Damit es dann im wahren Leben nicht so weit kommt, liefern diese neuen Dystopien meist eine klarere Lösung als ihre Vorgänger. Die Young Adult Dystopie endet in der Regel nicht mit dem Versagen des Protagonisten oder lässt deren Schicksal komplett offen, sondern gibt ihren Helden zumeist ein Happy End unter Vorbehalt.

5. Artikel 1Ein solches findet sich beispielsweise in den Hunger Games, in denen Katniss zwar am Ende siegt und zusammen mit Peeta lebt, aber deutliche Traumata von ihrem Kampf zurückbehält. Die Narration der Young Adult Dystopie orientiert sich insgesamt stark am Bildungsroman, einer Gattung, die vor allem Romane aus dem 18. und 19. Jahrhundert bezeichnet, die sich durch einen starken Fokus auf Bildung auszeichnen. In Werken wie „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ von Goethe (1795) wird die Lebensgeschichte eines jungen, zumeist männlichen Protagonisten mit all ihren Irrtümern und Enttäuschungen geschildert. Am Ende steht dabei die Selbstfindung des Helden und dessen Eingliederung in die Gesellschaft. Er muss seinen eigenen Platz in der Welt finden und durchlebt viele Auseinandersetzungen mit Eltern, Arbeitgebern und Freunden. Dieses narrative Muster findet sich auch in vielen Young Adult Dystopien wieder. Nun sind es vor allem weibliche Teenager, die diesen Weg auf sich nehmen und nach ihrem Platz in der Welt suchen. So gibt es auch Dystopien, in denen das Regime gar nicht überworfen werden muss, um den Protagonisten einen Platz zum Leben zu geben. In Holly Blacks Curse Worker Reihe beispielsweise findet Hauptfigur Cassel einen Weg, sich in die dystopische Gesellschaft einzugliedern, anstatt sie zu überwerfen. In der Regel aber muss das System zerstört werden, um den Teenagern ein gutes Leben zu ermöglichen. Mit diesem Muster ist die Dystopie vor allem zu einer Art Fabel des Erwachsenwerdens geworden.

Liebe und Konformismus im Zeitalter der Apokalypse

Die stereotypische Young Adult Dystopie beschreibt somit, zumeist aus der Ich-Perspektive, eine weibliche, jugendliche Protagonistin in ihrem Kampf gegen das herrschende Regime, der in der Regel erfolgreich verläuft und an dessen Ende sie nicht nur erwachsen geworden ist, sondern auch noch die Liebe gefunden hat. Denn der Romantik-Plot ist integraler Bestandteil vieler Young Adult Dystopien. Sei es das Liebesdreieck um Katniss, Peeta und Gale, das ganze Fangemeinden spaltet oder die Beziehung zwischen Tris und Four, die zwar nicht für ewig hält, aber die Figuren trotzdem stark beeinflusst. Selbst in der Maze Runner Serie, die im Gegensatz zu den meisten Young Adult Dystopien eher an das junge männliche Publikum adressiert ist, spielt das Verhältnis von Thomas zu Theresa eine zentrale Rolle. Die Erfahrungen mit Liebe und der damit verbundenen Schamgefühle, Enttäuschungen und Schmerzen, spielt beim Erwachsenenwerden in der Dystopie eine große Rolle. Ebenfalls ein großes Thema ist der Konformismus, der Wunsch dazu zu gehören, der die meisten Helden antreibt. Am deutlichsten wird dieses Motiv in Divergent porträtiert: Der zentrale Konflikt besteht genau darin, dass Tris sich als Divergent nicht kategorisieren und einordnen lässt; einen Zustand, den nicht nur die Obrigkeit, sondern auch sie selbst als unangenehm empfindet. Die Divergent Trilogie enthält aber noch ein weiteres beliebtes Motiv der neueren Dystopien: die Apokalypse als Ausgangspunkt des Systems. Seien es Naturkatastrophen und Kriege, die aus dem alten Nordamerika das neue Panem machten, ein Virus, der die Menschheit in blutrünstige Zombies verwandelte oder genetische Experimente, durch die sich die Bevölkerung gegenseitig umbrachte – die meisten Dystopien tragen zu Recht den bekannten Zusatz „in a post-apocalyptic world“. Insbesondere Naturkatastrophen haben Einzug in einen Großteil der Dystopien erhalten, sodass neben dem Erwachsenenwerden auch gesellschaftliche Probleme wie der Klimawandel und ökologische Zerstörung thematisiert werden.

Insgesamt zeigt sich die Dystopie in den 2000ern in einem neuen Gewand: Teenager statt Erwachsene, erfolgreiche Selbstfindung anstatt Verzweiflung am System. Mit ihren Großvätern der Klassischen Dystopie haben diese Erzählungen scheinbar nur noch wenig gemein. Dass sich die Dystopie in ihrer recht kurzen Geschichte vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis heute so stark verändert hat, ist aber genau Teil ihres Wesens. Denn sie nimmt die gesellschaftlichen Probleme der jeweiligen Zeit auf und führt sie uns vor Augen. Diese Probleme ändern sich und die Dystopie ändert sich mit. Und so ist die Entwicklung der Dystopie auch noch lange nicht zu Ende.

 

Fotos: flickr.com/Michael Wolf (CC BY-NC 2.0), flickr.com/Ansuz Magazine (CC BY-NC-SA 2.0)


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Der Hype um die Qualitätsserie

Von Philipp Mang

Das traditionelle Fernsehen stirbt. So lautet die düstere Prognose vieler Medienexperten. Die Zukunft der Branche liege stattdessen zunehmend bei Video-On-Demand Dienstleistern wie Netflix oder Amazon Prime. Hier kann der Rezipient aus einem breiten Angebot von Filmen und Serien auswählen und diese anschließend über das Internet streamen – ganz egal wann, wo und wie oft er will. Ein Format, das von dieser Entwicklung profitiert, ist die so genannte Qualitätsserie. Diese erlebt in den letzten Jahren so etwas wie ein goldenes Zeitalter. Ob Game of Thrones, True Detective oder House of Cards – die Liste der High Quality Serien ist lang. Fans anspruchsvoller Fernsehunterhaltung kommen damit voll auf ihre Kosten. Viele von ihnen zählen auch The Walking Dead zum erlesenen Kreis dieser Qualitätsserien, aber ist eine solche Sichtweise wirklich gerechtfertigt?

Quality TV: Was ist das?

3Zur angemessenen Beantwortung dieser Frage ist es zunächst einmal wichtig, den Begriff des Quality TV näher zu definieren. Dieser steht stellvertretend für einen speziellen Typus Serie, der seit Anfang der 90er Jahre auf den amerikanischen Serienmarkt drängt und sich an ein anspruchsvolles, medienkompetentes Publikum richtet. Qualitätsserien werden häufig mit filmähnlichem Aufwand produziert. Sie erzählen keine abgeschlossenen Geschichten, sondern erinnern mit ihren großen Erzählbögen eher an komplexe Romane. Dadurch eignen sich die Stoffe jedoch keinesfalls zur „Nebenbei-Berieselung“ – immer wieder gibt es überraschende Wendungen und Querverweise. Wer einmal mit den ungewöhnlichen Formaten begonnen hat, kann so schnell nicht mehr damit aufhören. Zuschauer greifen deshalb immer häufiger zum so genannten Binge-Watching. Hierbei handelt es sich um ein noch junges Rezeptionsphänomen, bei dem mehrere Folgen einer Serie direkt hintereinander angeschaut werden.

Ein ungewöhnlicher Genre-Mix

Neben dem Publikum hat jedoch auch die Wissenschaft das Serienfieber gepackt. Bereits in den 90er Jahren formulierte der Medienwissenschaftler Robert J. Thompson zwölf Kriterien, wodurch sich Quality TV üblicherweise auszeichnet. Einige davon sollen nun im Folgenden exemplarisch auf TWD angewendet werden: Zu aller erst handelt es sich bei der Zombieserie um hochgradig ungewöhnliches Fernsehen – und das liegt nicht nur an den bereits erwähnten moralischen Kontroversen. Tatsächlich werden hier existierende Genremuster fast beliebig miteinander kombiniert. So finden sich in dem Format nicht nur Elemente des Horror- bzw. Zombiefilms, sondern auch Merkmale des Dramas (Schicksalsschläge, Schwangerschaften & Beziehungsdreiecke). Nicht zu vergessen sind außerdem die zahlreichen Anspielungen auf den Western-Film, die vor allem zu Beginn der Serie häufiger anklingen – etwa wenn Rick auf einem Pferd über die leergefegten Highways von Atlanta reitet. Darüber hinaus zeichnet sich TWD durch ein ungewöhnliches Erzähltempo aus. Während die Handlung in manchen Folgen kaum nennenswert vorangetrieben wird, überschlagen sich die Ereignisse an anderer Stelle geradezu.

Figuren mit Gedächtnis

Ein weiteres charakteristisches Merkmal moderner Qualitätsserien sind große Figurenensembles. So setzt sich beispielsweise auch der Hauptcast von TWD derzeit aus fast zwanzig Charakteren zusammen. Diese stammen aus zum Teil sehr unterschiedlichen sozialen Milieus, ethnischen Gruppen oder Altersklassen. Viele von ihnen – und auch das ist typisch für Quality TV – machen im Verlauf der Serie eine gravierende Veränderung durch. Der Zuschauer erlebt die Ereignisse dabei anfänglich vor allem aus Ricks Perspektive. Es sind die Augen des Deputys, durch die man den Horror der Apokalypse zum ersten Mal wahrnimmt. Nach und nach bricht die Serie jedoch mit diesem eindimensionalen Erzählstil und rückt vermehrt auch andere Charaktere in den Mittelpunkt. In späteren Staffeln finden sich schließlich ganze Folgen, die mit multiplen Erzählsträngen arbeiten. Hier wird zumeist in einer Parallelmontage zwischen verschiedenen Schauplätzen hin und her geschnitten, um den Zuschauer in Atem zu halten.

Hang zum Realismus

Laut Thompson versuchen Qualitätsserien außerdem ein möglichst ungeschminktes Bild des sozialen Alltags der Figuren zu zeichnen. Eine solche Tendenz lässt sich durchaus auch in TWD erkennen. Hierfür bedienen sich die Produzenten einiger kinematografischer Tricks: So wird die Serie etwa auf grobkörnigem 16 mm Filmmaterial gedreht und die Farben in der Nachbearbeitung digital entsättigt. Auf diese Weise erhält das Zombie-Gemetzel einen realistischen Look, der die Hoffnungslosigkeit in der Apokalypse perfekt unterstreicht. Des Weiteren unterliegt die musikalische Untermalung gewissermaßen dem Motto „weniger ist mehr“. Statt eines dominanten Soundtracks setzt die Serie vielmehr auf beinahe erdrückende Passagen von Stille und lauten Geräuschen. Gewalt wird niemals beschönigt, sondern so inszeniert, wie sie ist: grausam und blutig. Das so entstehende Gefühl der Bedrohung wird schließlich noch einmal zusätzlich unterstrichen, indem die Drehbuchautoren nicht davor zurückschrecken, auch beliebte Charaktere das Zeitliche segnen zu lassen.

TWD – ein Paradebeispiel einer Qualitätsserie?

Abschließend soll jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass TWD nicht alle der zwölf Kriterien von Thompson uneingeschränkt erfüllen kann. So hat die Zombieserie weder mit ernsthaften Quotenproblemen, noch mit dem Widerstand des Mainstream-Publikums zu kämpfen. Außerdem richtet sie sich nicht ausschließlich an ein gehobenes Publikum, sondern vielmehr an die breite Masse der Gesellschaft. Dennoch scheint es durchaus gerechtfertigt, TWD als ein Produkt des High Quality TV zu bezeichnen. Die dystopische Horrorserie verbindet sowohl verschiedene Figuren- als auch unterschiedliche Genre-Typen. Damit schafft sie vielfältige Identifikations- und Anknüpfungspunkte für den Zuschauer. Dies kann möglicherweise als weiterer Erklärungsansatz für die große Popularität der Serie dienen. Ob TWD damit aber wirklich eine höhere Qualität aufweist, als andere Formate, kann letztlich jeder Zuschauer nur für sich selbst beantworten.

Fotos: flickr.com/Daniel Sempértegui (CC BY-NC-ND 2.0), flickr.com/Shardayyy (CC BY 2.0)


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