Daily Soaps – „Wenn man verliebt ist, ist man immer 14!“

von Ricarda Dietrich

„Wenn man verliebt ist, ist man immer 14!“

                                            (Rufus Sturm, Unter Uns)

„Unter Uns“, „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“, „Alles was zählt“, „Sturm der Liebe“, „Berlin Tag und Nacht“, „Rote Rosen“, „Julia, Wege zum Glück“ und die Liste könnte lange weiter geführt werden. Hinter all diesen Namen verbergen sich: Daily Soaps oder Telenovelas.

Unendlichkeit vs. festgelegtes Happy End

Daily Soaps zeichnen sich dadurch aus, dass sie jeden Tag ausgestrahlt werden („daily“) und mehrere Handlungsstränge gleichzeitig verfolgen. Häufig laufen so genannte Drei-Strang-Soaps mit drei gleichberechtigten Handlungssträngen, die sich parallel abspielen. Hier unterscheidet sich die Telenovela von der Soap: Telenovelas haben eine Haupthandlung, mit der alle anderen Nebenhandlungen verknüpft sind. Hier wird ein Multiplot möglich, eine Erzählung mit vielen Nebenschauplätzen, die aber durch ihre Verbindung zur Haupthandlung übersichtlich bleiben. Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden Serien-Formaten ist, dass Soaps auf Unendlichkeit ausgelegt sind. Sie sind so konzipiert, dass sie unbegrenzt weiterlaufen können, solange die Quoten stimmen. Telenovelas wiederum zielen von Beginn an auf ein Happy End ab, das nach einigen Monaten Laufzeit erreicht wird. Gemeinsam ist der Soap und der Telenovela, dass jede Folge mit einem Cliffhanger endet, damit die Zuschauerschaft auch am nächsten Tag wieder gespannt den Fernseher einschaltet.

Der Name der „Seifenopern“ stammt daher, dass die ersten Soaps tagsüber im Radio ausgestrahlt wurden. Der Tageszeit zufolge war die Zielgruppe in erster Linie die der Hausfrauen. Die Werbeblöcke während der Soaps wurden zielgruppengerecht von Werbung für Waschmittel dominiert und teilweise wurden sogar die ganzen Soaps von Waschmittelherstellern produziert. Obwohl sich das Publikum wandelte, blieb der Name.

Seit 21 Jahren in der Schillerallee

Aber wer gehört zu dieser Zuschauerschaft? Fragt man ein bisschen rum, dann gibt kaum jemand freiwillig zu, Soaps gerne und täglich zu schauen. „Früher, als Teenager habe ich jeden Tag „Alles was zählt“ geschaut“ bekommt man schon mal als Antwort. Aber das war dann ja aus sozialen Gründen, man wollte am nächsten Tag in der Schule mitreden können. Doch obwohl es offenbar ein belächeltes und verleugnetes Format zu sein scheint, erfreuen sich die Soaps im Fernsehen, wohlgemerkt sowohl auf den öffentlichen als auch auf den privaten Sendern, größter Beliebtheit. Ein bisschen wie bei der BILD-Zeitung. Keiner liest sie und doch ist sie eine der meistgelesen Tageszeitungen Deutschlands.

Aber zurück zu den Serien. Schauen wir einmal auf „Unter Uns“ als Beispiel. Von dieser Soap um die Familie Weigel aus Köln liefen in den letzten 21 Jahren immerhin schon über 5200 Folgen, die Facebook-Seite der Soap hat mehr als 411.000 Likes und es gibt einmal im Jahr ein Fan-Treffen in der Originalkulisse mit dem Cast. Woher kommt der Erfolg des Formats? Wieso hat eine Sendung wie „Unter Uns“ so viele Fans, wenn es doch fast niemand einfach so zugeben will, dass er sie schaut? Sind Soaps so etwas wie ein „Guilty Pleasure“, etwas was wir heimlich konsumieren, aber nicht gerne zugeben, wie abhängig wir davon sind?

Gewohnheit, Identifikation und Eskapismus

In den verschiedensten Foren liest man unterschiedliche Gründe, warum die Fans Soaps anschauen. Manch einer hat irgendwann einmal angefangen und kann gar nicht mehr ohne. Man ist so an die Handlung gefesselt, dass man unbedingt wissen muss, wie es weiter geht. Andere sehen in den Soaps ein Stück Heimat, einen Teil ihres Alltags. Hier kommt ein wichtiger Punkt zur Sprache: Zuschauer, die wirklich jeden Tag zur selben Uhrzeit vor dem Fernseher sitzen und schauen, was in der Schillerallee 10 heute passiert, tun dies häufig schlicht aus Gewohnheit. Soaps sind inhaltlich nicht sonderlich anspruchsvoll und können gut auch der Entspannung nach der Arbeit dienen, sie lassen sich somit wunderbar in den Tagesablauf einbauen.

Andere User geben in Foren auch zu, sich mit der Handlung und den Charakteren gut identifizieren zu können. Die Geschichten seien so aufgebaut, wie sie teilweise auch im echten Leben passieren können und in manchen Situationen findet man sich als Zuschauer selbst wieder. Grade für Jugendliche haben Soaps daher einen hohen Identifikationscharakter.

Und auch für Soaps gilt, was für Serien und Filme genauso wahr ist: Die Menschen leben gerne in einer Traumwelt, sie fliehen aus ihrer eigenen Realität in das Leben anderer und sei es nur für ein paar Stunden. Soaps und Serien eignen sich dafür besonders gut, da sie das Leben der Charaktere durch die längere Zeitspanne noch ausführlicher darstellen können als Filme dies tun.

Allerdings liest man natürlich auch Beiträge, die zugeben, Soaps hauptsächlich zu schauen, um sich über die schlechte Schauspielleistung und die flache und vorhersehbare Handlung lustig machen zu können. Ob das aber wirklich der einzige Grund ist, warum sie jeden Tag vor dem Fernseher sitzen oder ob sich auch dabei nicht irgendwann eine gewisse Abhängigkeit und Neugier etabliert, können wohl nur die Betroffenen selber beantworten.

Nur 13-jährige Teenager?

Neben der flachen Handlung und den schlechten Schauspielern herrscht außerdem das Vorurteil, dass Soaps hauptsächlich von Mädchen im Teenager-Alter geschaut werden. Diese Gruppe mag auch durchaus einen großen Teil der Zuschauerschaft ausmachen, liest man allerdings mal ein bisschen auf der Facebook-Seite von „Unter Uns“, so fällt auf, dass viele Posts von Männern stammen, die ihrem Profilbild nach zu urteilen so etwa um die 40 sind. Telenovelas in der ARD hingegen scheinen vornehmlich von älteren Menschen rezipiert zu werden. Es lässt sich also keine homogene Zuschauermasse für Daily Soaps festmachen. Auch die Möglichkeit, die Folgen im Internet zu jeder Uhrzeit nachschauen zu können, erweitert die Zielgruppe, da somit auch Berufstätige oder Menschen, die nicht um 17.30 Uhr vor dem Fernseher sitzen können, die Möglichkeit haben, die Soaps zu rezipieren.

Und ob man es nun glaubt oder nicht – es gibt sogar eine Award-Verleihung in der Soap-Welt. Seit 2011 werden die „German Soap Awards“ verliehen und zwar auf der Grundlage von Zuschauerabstimmungen im Internet. Da kommt ja fast schon ein bisschen Oscar-Stimmung auf….

Foto: flickr.com/Dosionair (CC BY 2.0)

Pubertätsnöte und Regimekämpfe – Die Teenager erobern die Dystopie

Von Antje Günther

Die ersten Young Adult Dystopien, also Dystopien für das jüngere Publikum, angesiedelt irgendwo zwischen 11 und 30, gab es bereits in den 70er Jahren. Doch Werke wie Lois Lowrys „The Giver“ (1993) waren ihrer Zeit voraus. Der große Boom der Young Adult Dystopie kam erst in den 2000ern, klar angeführt von Suzanne Collins Hunger Games Trilogie (2008 – 2010). Die Dystopie, ursprünglich ein düsteres Genre klar für Erwachsene, erfährt in dieser Zeit eine erneute Wandlung, eine Wandlung hin zum Thema der Bildung, der Entwicklung.

Die Young Adult Dystopie und der Bildungsroman

Literatur für Teenager und junge Erwachsene steht in der Regel zwischen zwei Polen: Unterhaltung und Bildung. Die Jugend soll erzogen werden und dies am besten gar nicht mitbekommen. In der Dystopie ist diese Balance besonders ausgeprägt: Durch die Zeichnung einer düsteren Zukunft, in der gewisse Aspekte der eigenen Realität des Lesers überspitzt dargestellt werden, erfährt der junge Leser automatisch mehr über seine Welt. Damit es dann im wahren Leben nicht so weit kommt, liefern diese neuen Dystopien meist eine klarere Lösung als ihre Vorgänger. Die Young Adult Dystopie endet in der Regel nicht mit dem Versagen des Protagonisten oder lässt deren Schicksal komplett offen, sondern gibt ihren Helden zumeist ein Happy End unter Vorbehalt.

5. Artikel 1Ein solches findet sich beispielsweise in den Hunger Games, in denen Katniss zwar am Ende siegt und zusammen mit Peeta lebt, aber deutliche Traumata von ihrem Kampf zurückbehält. Die Narration der Young Adult Dystopie orientiert sich insgesamt stark am Bildungsroman, einer Gattung, die vor allem Romane aus dem 18. und 19. Jahrhundert bezeichnet, die sich durch einen starken Fokus auf Bildung auszeichnen. In Werken wie „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ von Goethe (1795) wird die Lebensgeschichte eines jungen, zumeist männlichen Protagonisten mit all ihren Irrtümern und Enttäuschungen geschildert. Am Ende steht dabei die Selbstfindung des Helden und dessen Eingliederung in die Gesellschaft. Er muss seinen eigenen Platz in der Welt finden und durchlebt viele Auseinandersetzungen mit Eltern, Arbeitgebern und Freunden. Dieses narrative Muster findet sich auch in vielen Young Adult Dystopien wieder. Nun sind es vor allem weibliche Teenager, die diesen Weg auf sich nehmen und nach ihrem Platz in der Welt suchen. So gibt es auch Dystopien, in denen das Regime gar nicht überworfen werden muss, um den Protagonisten einen Platz zum Leben zu geben. In Holly Blacks Curse Worker Reihe beispielsweise findet Hauptfigur Cassel einen Weg, sich in die dystopische Gesellschaft einzugliedern, anstatt sie zu überwerfen. In der Regel aber muss das System zerstört werden, um den Teenagern ein gutes Leben zu ermöglichen. Mit diesem Muster ist die Dystopie vor allem zu einer Art Fabel des Erwachsenwerdens geworden.

Liebe und Konformismus im Zeitalter der Apokalypse

Die stereotypische Young Adult Dystopie beschreibt somit, zumeist aus der Ich-Perspektive, eine weibliche, jugendliche Protagonistin in ihrem Kampf gegen das herrschende Regime, der in der Regel erfolgreich verläuft und an dessen Ende sie nicht nur erwachsen geworden ist, sondern auch noch die Liebe gefunden hat. Denn der Romantik-Plot ist integraler Bestandteil vieler Young Adult Dystopien. Sei es das Liebesdreieck um Katniss, Peeta und Gale, das ganze Fangemeinden spaltet oder die Beziehung zwischen Tris und Four, die zwar nicht für ewig hält, aber die Figuren trotzdem stark beeinflusst. Selbst in der Maze Runner Serie, die im Gegensatz zu den meisten Young Adult Dystopien eher an das junge männliche Publikum adressiert ist, spielt das Verhältnis von Thomas zu Theresa eine zentrale Rolle. Die Erfahrungen mit Liebe und der damit verbundenen Schamgefühle, Enttäuschungen und Schmerzen, spielt beim Erwachsenenwerden in der Dystopie eine große Rolle. Ebenfalls ein großes Thema ist der Konformismus, der Wunsch dazu zu gehören, der die meisten Helden antreibt. Am deutlichsten wird dieses Motiv in Divergent porträtiert: Der zentrale Konflikt besteht genau darin, dass Tris sich als Divergent nicht kategorisieren und einordnen lässt; einen Zustand, den nicht nur die Obrigkeit, sondern auch sie selbst als unangenehm empfindet. Die Divergent Trilogie enthält aber noch ein weiteres beliebtes Motiv der neueren Dystopien: die Apokalypse als Ausgangspunkt des Systems. Seien es Naturkatastrophen und Kriege, die aus dem alten Nordamerika das neue Panem machten, ein Virus, der die Menschheit in blutrünstige Zombies verwandelte oder genetische Experimente, durch die sich die Bevölkerung gegenseitig umbrachte – die meisten Dystopien tragen zu Recht den bekannten Zusatz „in a post-apocalyptic world“. Insbesondere Naturkatastrophen haben Einzug in einen Großteil der Dystopien erhalten, sodass neben dem Erwachsenenwerden auch gesellschaftliche Probleme wie der Klimawandel und ökologische Zerstörung thematisiert werden.

Insgesamt zeigt sich die Dystopie in den 2000ern in einem neuen Gewand: Teenager statt Erwachsene, erfolgreiche Selbstfindung anstatt Verzweiflung am System. Mit ihren Großvätern der Klassischen Dystopie haben diese Erzählungen scheinbar nur noch wenig gemein. Dass sich die Dystopie in ihrer recht kurzen Geschichte vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis heute so stark verändert hat, ist aber genau Teil ihres Wesens. Denn sie nimmt die gesellschaftlichen Probleme der jeweiligen Zeit auf und führt sie uns vor Augen. Diese Probleme ändern sich und die Dystopie ändert sich mit. Und so ist die Entwicklung der Dystopie auch noch lange nicht zu Ende.

 

Fotos: flickr.com/Michael Wolf (CC BY-NC 2.0), flickr.com/Ansuz Magazine (CC BY-NC-SA 2.0)


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Der Hype um die Qualitätsserie

Von Philipp Mang

Das traditionelle Fernsehen stirbt. So lautet die düstere Prognose vieler Medienexperten. Die Zukunft der Branche liege stattdessen zunehmend bei Video-On-Demand Dienstleistern wie Netflix oder Amazon Prime. Hier kann der Rezipient aus einem breiten Angebot von Filmen und Serien auswählen und diese anschließend über das Internet streamen – ganz egal wann, wo und wie oft er will. Ein Format, das von dieser Entwicklung profitiert, ist die so genannte Qualitätsserie. Diese erlebt in den letzten Jahren so etwas wie ein goldenes Zeitalter. Ob Game of Thrones, True Detective oder House of Cards – die Liste der High Quality Serien ist lang. Fans anspruchsvoller Fernsehunterhaltung kommen damit voll auf ihre Kosten. Viele von ihnen zählen auch The Walking Dead zum erlesenen Kreis dieser Qualitätsserien, aber ist eine solche Sichtweise wirklich gerechtfertigt?

Quality TV: Was ist das?

3Zur angemessenen Beantwortung dieser Frage ist es zunächst einmal wichtig, den Begriff des Quality TV näher zu definieren. Dieser steht stellvertretend für einen speziellen Typus Serie, der seit Anfang der 90er Jahre auf den amerikanischen Serienmarkt drängt und sich an ein anspruchsvolles, medienkompetentes Publikum richtet. Qualitätsserien werden häufig mit filmähnlichem Aufwand produziert. Sie erzählen keine abgeschlossenen Geschichten, sondern erinnern mit ihren großen Erzählbögen eher an komplexe Romane. Dadurch eignen sich die Stoffe jedoch keinesfalls zur „Nebenbei-Berieselung“ – immer wieder gibt es überraschende Wendungen und Querverweise. Wer einmal mit den ungewöhnlichen Formaten begonnen hat, kann so schnell nicht mehr damit aufhören. Zuschauer greifen deshalb immer häufiger zum so genannten Binge-Watching. Hierbei handelt es sich um ein noch junges Rezeptionsphänomen, bei dem mehrere Folgen einer Serie direkt hintereinander angeschaut werden.

Ein ungewöhnlicher Genre-Mix

Neben dem Publikum hat jedoch auch die Wissenschaft das Serienfieber gepackt. Bereits in den 90er Jahren formulierte der Medienwissenschaftler Robert J. Thompson zwölf Kriterien, wodurch sich Quality TV üblicherweise auszeichnet. Einige davon sollen nun im Folgenden exemplarisch auf TWD angewendet werden: Zu aller erst handelt es sich bei der Zombieserie um hochgradig ungewöhnliches Fernsehen – und das liegt nicht nur an den bereits erwähnten moralischen Kontroversen. Tatsächlich werden hier existierende Genremuster fast beliebig miteinander kombiniert. So finden sich in dem Format nicht nur Elemente des Horror- bzw. Zombiefilms, sondern auch Merkmale des Dramas (Schicksalsschläge, Schwangerschaften & Beziehungsdreiecke). Nicht zu vergessen sind außerdem die zahlreichen Anspielungen auf den Western-Film, die vor allem zu Beginn der Serie häufiger anklingen – etwa wenn Rick auf einem Pferd über die leergefegten Highways von Atlanta reitet. Darüber hinaus zeichnet sich TWD durch ein ungewöhnliches Erzähltempo aus. Während die Handlung in manchen Folgen kaum nennenswert vorangetrieben wird, überschlagen sich die Ereignisse an anderer Stelle geradezu.

Figuren mit Gedächtnis

Ein weiteres charakteristisches Merkmal moderner Qualitätsserien sind große Figurenensembles. So setzt sich beispielsweise auch der Hauptcast von TWD derzeit aus fast zwanzig Charakteren zusammen. Diese stammen aus zum Teil sehr unterschiedlichen sozialen Milieus, ethnischen Gruppen oder Altersklassen. Viele von ihnen – und auch das ist typisch für Quality TV – machen im Verlauf der Serie eine gravierende Veränderung durch. Der Zuschauer erlebt die Ereignisse dabei anfänglich vor allem aus Ricks Perspektive. Es sind die Augen des Deputys, durch die man den Horror der Apokalypse zum ersten Mal wahrnimmt. Nach und nach bricht die Serie jedoch mit diesem eindimensionalen Erzählstil und rückt vermehrt auch andere Charaktere in den Mittelpunkt. In späteren Staffeln finden sich schließlich ganze Folgen, die mit multiplen Erzählsträngen arbeiten. Hier wird zumeist in einer Parallelmontage zwischen verschiedenen Schauplätzen hin und her geschnitten, um den Zuschauer in Atem zu halten.

Hang zum Realismus

Laut Thompson versuchen Qualitätsserien außerdem ein möglichst ungeschminktes Bild des sozialen Alltags der Figuren zu zeichnen. Eine solche Tendenz lässt sich durchaus auch in TWD erkennen. Hierfür bedienen sich die Produzenten einiger kinematografischer Tricks: So wird die Serie etwa auf grobkörnigem 16 mm Filmmaterial gedreht und die Farben in der Nachbearbeitung digital entsättigt. Auf diese Weise erhält das Zombie-Gemetzel einen realistischen Look, der die Hoffnungslosigkeit in der Apokalypse perfekt unterstreicht. Des Weiteren unterliegt die musikalische Untermalung gewissermaßen dem Motto „weniger ist mehr“. Statt eines dominanten Soundtracks setzt die Serie vielmehr auf beinahe erdrückende Passagen von Stille und lauten Geräuschen. Gewalt wird niemals beschönigt, sondern so inszeniert, wie sie ist: grausam und blutig. Das so entstehende Gefühl der Bedrohung wird schließlich noch einmal zusätzlich unterstrichen, indem die Drehbuchautoren nicht davor zurückschrecken, auch beliebte Charaktere das Zeitliche segnen zu lassen.

TWD – ein Paradebeispiel einer Qualitätsserie?

Abschließend soll jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass TWD nicht alle der zwölf Kriterien von Thompson uneingeschränkt erfüllen kann. So hat die Zombieserie weder mit ernsthaften Quotenproblemen, noch mit dem Widerstand des Mainstream-Publikums zu kämpfen. Außerdem richtet sie sich nicht ausschließlich an ein gehobenes Publikum, sondern vielmehr an die breite Masse der Gesellschaft. Dennoch scheint es durchaus gerechtfertigt, TWD als ein Produkt des High Quality TV zu bezeichnen. Die dystopische Horrorserie verbindet sowohl verschiedene Figuren- als auch unterschiedliche Genre-Typen. Damit schafft sie vielfältige Identifikations- und Anknüpfungspunkte für den Zuschauer. Dies kann möglicherweise als weiterer Erklärungsansatz für die große Popularität der Serie dienen. Ob TWD damit aber wirklich eine höhere Qualität aufweist, als andere Formate, kann letztlich jeder Zuschauer nur für sich selbst beantworten.

Fotos: flickr.com/Daniel Sempértegui (CC BY-NC-ND 2.0), flickr.com/Shardayyy (CC BY 2.0)


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„Der Film hat keine Zukunft“ (Louis Lumière, 1901)

8083141718_bbc0220e34_zWie falsch Louis Lumière mit diesem Zitat lag, lässt sich heute eindeutig erkennen. Film ist inzwischen in fast jeden Bereich unseres Lebens eingedrungen, wir können uns ihm nicht mehr entziehen. Die Filmlandschaft ist seit den Anfängen stetig gewachsen und bietet heute ein sehr breites Angebot, das wir auf unterschiedliche Weise und aus verschiedenen Gründen nutzen.

Jeder, der sich mal mit den Anfängen des Films beschäftigt hat, kennt die Legende: Als 1896 der Kurzfilm „L“Arrivee d“un train en gare de La Ciotat“ („Die Ankunft eines Eisenbahnzuges im Bahnhof La Ciotat“) der Lumière-Brüder zum ersten Mal vor Publikum gezeigt wurde, sind die Besucher panisch aufgesprungen und vor der riesigen Lok davongelaufen. Sie waren nicht an das bewegte Bild auf der Leinwand gewöhnt und hatten Angst von einer realen Lok, die durch den Raum fährt, überfahren zu werden.

Heute belächeln wir diese Reaktion. Kinder werden heute schon von Geburt an mit Bewegtbild konfroniert und auch die ältere Generation ist mit Film in jeglicher Form vertraut. Film ist inzwischen in fast jeden Teil unseres Lebens eingedrungen. Seine Erfindung vor 130 Jahren hat die Menschheit nachhaltig und unwiderrufbar verändert.

130 Jahre Film

9414002494_5c6917207f_zBis dahin hat der Film allerdings eine lange Strecke zurückgelegt. Technischer Fortschritt führte zu einer stetigen Entwicklung und man kann nur rätseln, ob irgendwann einmal alles erfunden sein wird, was das Erleben einer Handlung noch realistischer macht. So gab es die Schritte von Stummfilm zu Tonfilm, von schwarz-weißen Bildern zum Farbfilm. Bildformate änderten sich, Soundsysteme wurden verbessert und inzwischen kann man Filme in 3D oder sogar 4D erleben. Doch nicht nur der Film selbst, auch die Aufnahme- und Abspielmöglichkeiten haben eine lange Entwicklung hinter sich und sind noch lange nicht am Limit angekommen. Dass es in den 50er Jahren eine Sensation war, ein Fernsehgerät im Haus zu haben, können wir uns heute nur noch schwer vorstellen. Jedes Smartphone, jeder Laptop und jedes Tablet können inzwischen mühelos Filme abspielen. Man ist nicht mehr ans Kino als Ort, sowie an das Programm, was grade gezeigt wird, gebunden, sondern kann auf Streaming-Seiten und Video-Plattformen wie Youtube jederzeit und an jedem beliebigen Ort anschauen, was einen wirklich interessiert und nicht das, was nun einmal gerade gezeigt wird. Genauso ist es inzwischen jedem Individuum möglich, selbst Filme herzustellen und zu verbreiten. Dabei sollte man sich hin und wieder vor Augen führen, wie komplex, aufwändig und teuer die Produktion von Filmen vor einigen Jahrzenten noch war.

„Die Simpsons“ oder doch eher „A Clockwork Orange?“

Warum wenden wir uns welchem Format des Films zu? Es kommen schnell die offensichtlichen Gründe in den Sinn. In allererster Linie wollen wir unterhalten werden, wenn wir den Fernseher einschalten. Es bedeutet, wir haben nun Freizeit, was jetzt folgt soll nichts mehr mit Arbeit zu tun haben. Je nach Situation suchen wir dann einen Film, eine Serie oder Show aus, die uns hilft zu entspannen, die uns unterhält oder uns informiert. Manchmal will man auch einfach für eine Weile in eine andere Welt eintauchen, die aufregender ist als unsere eigene oder in der es ganz andere Probleme gibt als in unserem eigenen Leben.

Ein wichtiger Begriff bei der Wahl des Mediums und Formats ist das „Mood-Management“. Diese Theorie wurde 1988 von Dilf Zillmann erstmals formuliert und besagt, dass Medien nicht nur Informationen vermitteln, sondern auch Gefühle stimulieren. Der Rezipient versucht daher mit der Wahl des zu rezipierenden Formats den eigenen Stimmungszustand zu manipulieren. Es wird davon ausgegangen, dass sich die Stimmung des Rezipienten an die Stimmung des Films anpasst. Ziel der Rezeption von Film ist dabei ein innerer Spannungsausgleich. Ist man also schlecht gelaunt, da man Langeweile hat, dann sucht man einen Film oder eine Serie mit spannendem Inhalt aus. Kommt man gestresst von der Arbeit, sucht man ein beruhigendes Format, das entspannend wirkt. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Zuwendung zu bestimmten Formaten gut erklären.

Vorschau auf die nächsten Folgen

Die folgenden Artikel sollen die unterschiedlichen Formate, in denen wir Bewegtbild rezipieren, beleuchten. Sie sollen einen kurzen Blick auf die Geschichte der Formate werfen und heute, im digitalen Zeitalter, nach der Bedeutung für die Zuschauerschaft fragen. An diesem Punkt kommt, unter anderem, das Mood-Management ins Spiel: Mit all den Angeboten, mit denen sich der Mensch heute konfrontiert sieht, wie schaffen es die verschiedenen Formate nebeneinander zu existieren? Es gibt Serien, Blockbuster, Vines, Polit-Shows, Katzenvideos und vieles mehr, denn sie bedienen alle andere Bedürfnisse. Diese sollen in den nächsten Wochen ein bisschen näher betrachtet werden. Jeder Leser wird sich und seine Verhaltensweisen irgendwo wiederfinden, denn das ist das Schöne an dem Thema: Es gibt niemanden mehr in Deutschland, der sich dem Film, in welcher Form auch immer, entziehen kann. Das hat einen einfachen Grund: Bilder lassen sich kognitiv besser verarbeiten als Worte. Daher findet man mittlerweile zum Beispiel auf der Internetseite vieler Unternehmen einen Kurzfilm, der die Firma vorstellt. Warum einen langen Text schreiben, wenn man auch mit einem Zweiminüter alles sagen kann? Und wir wissen ja alle: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte!

Dennoch natürlich viel Spaß beim Lesen!

Fotos: flickr.com/ynetbot (CC BY-NC-SA 2.0), flickr.com/Marko Kudjerski (CC BY 2.0)

Geist der Vergangenheit

von Maya Morlock

Im Sinne des englischen Sprichworts „What goes around comes around“ holt Simons (Jason Bateman) Vergangenheit ihn im Psychothriller „The Gift“ (Regie Joel Edgerton) unerwartet ein. Das lauernde Katz-und-Maus-Spiel beginnt, in dem die schlichte Trennung in Gut und Böse immer undurchsichtiger wird. Filmstart ist der 26. November.

Ein Schatten

Er taucht aus dem Nichts auf. Er weiß, wo sie wohnen und es scheint, als sei er immer da. Wie ein Geist ist er immer präsent – als schwirre er durch das geräumige Haus, unsichtbar, sodass man ihn nur erahnen kann. Lauernd, bereit zum Angriff. Robyn (Rebecca Hall, Simons Ehefrau) hört ein Knacken. Vor lauter Furcht fällt ihr die Flasche mit dem isotonischen Getränk um und ergießt sich auf den hellen Fußboden. „Ist er das? Lauert er mir auf?“ sagt ihr angsterfülltes Gesicht, als sie dem Geräusch auf den Grund geht…

Bröckelnde Harmonie

Simon (Jason Bateman) ist mit seiner Frau Robyn (Rebecca Hall) in ein Vorzeigehaus nahe Los Angeles gezogen, um einen Neuanfang zu starten. Das Ehepaar wirkt harmonisch, es besitzt alles, wovon andere Paare nur träumen können – das Einzige, das ihnen zur Vollendung ihre Glücks fehlt, ist ein Baby. Bereits zu Beginn betritt Gordon Mosley (Joel Edgerton) die Bildfläche – der alte Bekannte aus Simons High-Schoolzeiten scheint nett und freundlich. Er überhäuft das Paar mit teuren Geschenken und taucht ständig ungebeten zu Besuch auf – allmählich weist er Züge eines Stalkers auf. Nun steht die Frage im Raum: Wie wird man ihn wieder los? Der anfänglich perfekt inszenierte Antagonist Gordon, früher boshaft „Weirdo“ genannt, bringt Robyn dazu in Simons Vergangenheit zu wühlen – denn dieser verbirgt ein dunkles Geheimnis, das er jahrelang unter Verschluss hielt.

Spiel mit der Atmosphäre

Dieser Film arbeitet mit gekonnt platzierten Effekten. Ganze Sequenzen kommen ohne Filmmusik aus und entfalten genau damit ihr unheimliches Potenzial. Überladene Szenen findet man nicht. Genügend andere Filme zeigen das Negativbeispiel: Musik hier, Effekte dort – einfach nur des Effektes willen. Hier scheint jeder Ton und jede Nuance die Atmosphäre gekonnt zu unterstützen. So hört man die Schritte und das Atmen Robyns, als sie herausfinden möchte, woher die Geräusche kommen; aber keine störende Musik, die der Spannung nur hinderlich wäre. Auch in der ersten Stunde des Films, die im Vergleich zum Ende relativ harmlos wirkt, schafft es Regisseur Edgerton eine Spannung, ein Kribbeln herzustellen, das den Zuschauer in den Bann zieht.

Der zerrissene Ehemann

Jason Bateman macht seine Sache sehr gut: der liebevolle Ehemann, der seine Frau umsorgt, ihr ein wunderschönes Heim ermöglicht und die Karriereleiter steil hinaufklettert. Er schafft es, die Fassade des Simon glaubwürdig zu mimen und stellt unglaublich authentisch dar, wie diese allmählich bröckelt. Abgründe des Menschen, die jeder ein Stück weit in sich selbst nachvollziehen und entdecken kann, sind in dieser Figur vereint und Bateman versteht es, diese anschaulich vor der Kamera zu zeigen. Denn auch im wahren Leben gibt es gute Schauspieler – man weiß nie, wie gut man seine Freunde, Nachbarn und Familienangehörige wirklich kennt.

Empfehlung

Liebhaber eines guten Thrillers sind hier richtig: Dieser Film braucht keine brutalen Szenen, in denen Tonnen an Kunstblut umherspritzen und den Kinobesuchern ein doppeltes Orchester entgegendröhnt. Eine Geschichte mit perfiden Wendungen, die den Zuschauern unerwartet treffen und eine gelungene Inszenierung, die eine schaurige Atmosphäre zeichnet, überzeugen auf ganzer Linie.

Foto: flickr.com/Eric Torrontera (CC BY-ND 2.0)

 

Ethik im Angesicht des Todes

Von Philipp Mang

Hollywoods Serienlandschaft wird von kontroversen Persönlichkeiten geprägt. Da gibt es etwa einen krebskranken Chemielehrer, der mit ehemaligen Schülern Drogen kocht (Breaking Bad); intrigante Adelige, die für ihre Herrschaft über Leichen gehen (Game of Thrones) oder Professorinnen, die ihre Studenten lehren, wie man mit Mord davon kommt (How to get away with Murder). Moderne TV-Serien, so scheint es, wollen nicht länger allein unterhalten – sondern provozieren, zum Nachdenken anregen. Und dieser Plan geht auf: Kein anderes Medienprodukt bringt derzeit seine Anhänger so leidenschaftlich zum Diskutieren, wie die neueste Lieblingsserie.

Unerwartet tiefgründig

1806225034_50df5b8ba4_oAuch der dystopische Horror in The Walking Dead sorgt jede Woche für hitzige Debatten. Das ist insofern überraschend, da die Serie in der Öffentlichkeit häufig nur auf seine exzessiven Gewaltdarstellungen reduziert wird. Tatsächlich werden zwischen den brutalen Splatter-Szenen allerdings überraschend tiefgründige Geschichten erzählt. Nicht selten werden die Charaktere in den ruhigen Zwischensequenzen vor moralische Dilemmata gestellt. Was genau ist aber darunter zu verstehen? Ein moralisches Dilemma (von lat. moralis = „die Sitte betreffend“) bezeichnet zunächst einmal eine komplexe Ausgangssituation, bei der jede Entscheidung unweigerlich zur Verletzung von geltenden Wertvorstellungen führt – das heißt: Egal, wie man es dreht und wendet, eine „richtige“ Lösung gibt es nicht. Der betreffende Charakter steckt damit im wahrsten Sinne des Wortes in der Zwickmühle. Und das geschieht in TWD öfter, als man auf den ersten Blick denkt.

Rassenkonflikt 2.0

Gleich zu Beginn der Serie wird Ricks moralischer Kompass zum ersten Mal auf die Probe gestellt, als der ehemalige Deputy auf einem Hochhausdach in Atlanta auf potentielle Gefährten trifft. Dabei kommt es in der Gruppe zwischen dem afroamerikanischen T-Dog und dem weißen Rassisten Merle zu einer brutalen Auseinandersetzung. Rick entscheidet deshalb Merle angekettet auf dem Dach des Kaufhauses zurück zu lassen. Aber ist es wirklich moralisch vertretbar, einen Menschen nur wegen seiner (falschen) Überzeugungen hilflos seinem Schicksal zu überlassen? Auch Rick beginnt seine Entscheidung in der Folge kritisch zu hinterfragen. Er entschließt sich nach Atlanta zurückzukehren und Merle zu retten – trotz seiner rassistischen Einstellung bleibt dieser nämlich immer noch ein Mitglied der Gruppe, das nicht einfach den blutrünstigen Zombies geopfert werden darf.

Kindheit? Fehlanzeige!

Neben Fremdenhass sorgt aber auch das Thema Erwachsenwerden für reichlich ethischen Zündstoff in der Serie. Anfänglich geht es dabei vor allem um die Frage, ob Ricks Sohn Carl bereits als Teenager im Gebrauch von Schusswaffen ausgebildet werden sollte. Im Laufe der vierten Staffel droht sich dieser schwelende Konflikt schließlich zu einem Flächenbrand auszuweiten, als die Gruppe um Rick im Gefängnis einen sicheren Zufluchtsort findet. Vom Tod der eigenen Tochter immer noch traumatisiert, beschließt Carol hier den Kindern heimlich Unterricht im Töten zu erteilen und stößt damit auf massive Kritik bei ihren Gefährten, die ihre Schützlinge möglichst normal aufwachsen sehen wollen. TWD wirft an dieser Stelle also die Frage auf, inwiefern die Kindheit als schützenswerte Lebensphase in einer Apokalypse noch Bestand hat – in einer Welt voller Untoten, in der man entweder Schlächter oder Schlachtvieh ist, können es sich Kinder da überhaupt noch leisten, verletzlich zu sein?

Das „Beißer“-Dilemma

2757851927_838e959e76_zAls zusätzliche moralische Unruhestifter erweisen sich schließlich die Untoten. Bereits in der Pilotfolge trifft Rick etwa auf den Familienvater Morgan Jones, dessen Frau sich in einen Zombie verwandelt hat und seither beharrlich die Nähe ihrer Familie sucht. Wider besseres Wissen kann Jones nicht aufhören, in dem Walker die Mutter seines Sohnes zu sehen. Selbst mit einem Gewehr bewaffnet schafft er es nicht die Frau, die er einmal geliebt hat, zu töten – obwohl diese Sterbehilfe ethisch gesehen durchaus nachvollziehbar wäre. Dies hat fatale Folgen: Auf der Suche nach Essen wird Morgans Sohn Duane schließlich von seiner eigenen Mutter gebissen.

Heilung für die Kranken

Auch der Farmer Hershel Greene kann sich lange Zeit nicht dazu durchringen, Zombies zu töten. Anders als die Gruppe um Rick glaubt der Farmer nämlich fest an die Heilung der, in seinen Augen, kranken Menschen und an ein Medikament, das die Untoten eines Tages zurück ins Leben holt. Ähnlich wie Morgan kann Hershel die einst menschliche Seite der Monster nicht ignorieren – er sieht in ihnen immer noch ehemalige Nachbarn, Freunde und Verwandte. Deshalb schießt er den Zombies auch nicht einfach ins Gehirn, sobald sie einen Fuß auf das Gelände seiner Farm setzen, sondern sperrt sie lediglich in eine nahegelegene Scheune. Erst als die Gruppe um Rick von diesem Hort erfährt und alle Untoten kurzerhand niederschießt, erkennt Hershel in welche Gefahr er seine Familie gebracht hat. Er begreift, dass sich seine Hoffnung auf ein Heilmittel wohl niemals erfüllen wird.

Anschauungsunterricht aus der Flimmerkiste?

Alles in allem ist TWD also mehr als ein blutiges Zombie-Gemetzel. Für Erfinder Robert Kirkman liefern die Monster gar nur den erzählerischen Rahmen, innerhalb dessen die beteiligten Charaktere mit überraschenden Zwickmühlen zurechtkommen müssen. Der Zuschauer wird dabei immer wieder zur Selbstreflexion gebracht: Wenn alle gesellschaftlichen Regeln zerfallen, wer bist du dann noch – ohne die Unterstützung von Gesetzeshütern, Regierung und Militär? Wie weit bist du bereit zu gehen, um diejenigen zu schützen, die du liebst? Welche gesellschaftlichen Tabus wirst du brechen? Die Serie liefert auf all diese Fragen zwar keine unmittelbare Antwort, doch sie zeigt, dass ein Mensch auch in einer Extremsituation wie der Apokalypse durchaus noch moralischen Standards folgen kann.

Fotos: flickr.com/carnagenyc (CC BY-NC 2.0), flickr.com/Paul Downey (CC BY 2.0),  flickr.com/Julia Manzerova (CC BY-ND 2.0)


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Mit den 80er Jahren begann ein neues Stück  dystopischer Genregeschichte. Waren die Bemühungen von Winston & Co. noch zum Scheitern verurteilt, macht sich nun eine neue Hoffnung breit: die Hoffnung auf Besserung. Der Leser ist nicht mehr der Einzige, der auf eine bessere Zukunft hoffen kann, auch die Figuren haben eine Chance auf ihr persönliches Glück. Entstanden in einer Zeit des Rückschritts und der Kommodifizierung, reflektieren die Erzählungen dabei nicht nur ihre Zeit sondern auch sich selbst.

Feminismus, Cyberpunk und die Entstehung der kritischen Dystopie

Dominierte die klassische Dystopie bis in die 50er Jahre das Feld, so kam es mit dem Aufkommen der politischen Gegenkultur der 60er und 70er-Jahre zum Umschwung. Die utopische Literatur erlebte ihr erstes großes Revival seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Autoren wie Ursula Le Guin und Joana Russ formten eine neue Art der Utopie, die sich ihrer Grenzen deutlich bewusst war und  ihren Fokus eher auf den gesellschaftlichen Wandel in Richtung der Utopie, als auf die Utopie als Endprodukt legte. Diese offene, selbstkritische Form der Utopie mit Einflüssen aus der feministischen Bewegung und dem New-Left-Movement, schließlich auch critical utopia genannt, kam in den 80er Jahren zu einem abrupten Ende. Das zunehmend konservative und fundamentalistische Gesellschaftsklima verstärkte die dystopischen Tendenzen in Literatur und Film wieder. Gepaart mit Einflüssen aus dem Cyberpunk entstanden düstere Versionen der Folgen dieser Entwicklungen, zu sehen in Filmen wie Ridley Scotts Blade Runner (1982/1992/2007) oder dem Roman Neuromancer (1984) von William Gibson. Erschienen diese Darstellungen noch nihilistisch und ausweglos, so entstanden gegen Ende der 80er Jahre Erzählungen, die einen Hoffnungsschimmer erkennen ließen. Durch die Weiterentwicklung des Cyberpunk vom männlich-dominierten, fast schon hypermaskulinen Genre hin zum Second Wave oder Feminist Cyberpunk, traten nicht nur vermehrt Frauen als Protagonisten in Erscheinung, auch die Haltung änderte sich. Die Rebellion sowohl gegen die aktuelle gesellschaftliche Situation – insbesondere gegen den Kapitalismus – aber auch gegen Genre Konventionen und Erwartungen trat nun in den Mittelpunkt. Die kritische Dystopie als inhaltlich und formal oppositionelle Erzählung war geboren.

Von Kapitalismus und Frauenrechten: die Themen der kritischen Dystopie

2507405303_4fe4ba6979_zDie Themen der kritischen Dystopie sind natürlicherweise stark vom Cyberpunk beeinflusst: Insbesondere der Kapitalismus und der technische Fortschritt spielen eine besondere Rolle. Künstliche Menschen in allen Variationen –Androiden, Roboter, künstliche Intelligenzen, Supercomputer – bevölkern die Megacities, die in der Regel das Setting bilden und von riesigen Cooperations beherrscht werden. Der Unterschied zwischen Mensch und Maschine und die Frage, was es eigentlich bedeutet ein Mensch zu sein, stehen deutlich im Fokus. War in der klassischen Dystopie noch ganz klar der Staat das Feindbild, so verschwimmt dieses nun und wird nur teilweise durch die brutalen und rücksichtslosen Geschäfte der Cooperations ersetzt. Neben den Einflüssen aus dem Cyberpunk ist auch die feministische Tendenz der Werke klar erkennbar. Die überwiegend von Frauen verfassten Erzählungen der feministischen Dystopie stellten in der Regel eine weibliche Hauptfigur in den Mittelpunkt und zeichneten dystopische Welten, die vor allem für Frauen besonders gefährlich sind. In ihnen ist insbesondere die sexuelle Gewalt gegen Frauen alltäglich. Autoren wie Octavia Butler kombinierten dies zusätzlich mit Szenarien der Rassendiskriminierung und ökonomischer Ungleichheit, wie beispielsweise in ihren Parable-Büchern*.

Die Festlegung auf die Unfestlegbarkeit: die Form der kritischen Dystopie

Genau der Akt der Vermischung ist es letztendlich, der die kritische Dystopie ausmacht. Die Werke lassen sich nicht mehr klar einem Genre zuordnen; sie dehnen und verwischen die Grenzen zwischen den Genres und kombinieren sie zu einer Kritik an der gesellschaftlichen Situation der Gegenwart. Es sind hybride Texte, die selbstreflexiv Konventionen aus verschiedenen Genres verknüpfen und ihre Werke somit nicht nur inhaltlich sondern eben auch formal oppositionell gestalten. So mischen die bereits genannten Parable-Bücher beispielsweise Aspekte des Subgenres Survival-Science-Fiction mit Elementen aus der Sklavenliteratur und präsentieren diese in Tagebuchform. Ihre mannigfaltigen Formen und Themen machen die Festlegung der kritischen Dystopie deshalb so schwierig. Sie ist kein pures, klar umrissenes Genre, wie es die klassische Dystopie mit ihren klaren Strukturen noch war, sondern lebt gerade von ihrer Vagheit, ihrer Unfestlegbarkeit.

So überrascht es vielleicht nicht, dass sich die meisten der Erzählungen doch auf eine Sache festlegen lassen: ihr offenes Ende. Die Werke enden meist weder mit dem Scheitern des Protagonisten noch mit einem Happy End. Sie enthalten vor allem eins: Hoffnung, den utopischen Impuls aus den 70er Jahren, dass es vielleicht doch besser wird, ohne sich aber darauf festzulegen. Sie ermöglichen den unterdrückten Protagonisten der Dystopie Hoffnung und eröffnen damit auch die Möglichkeit der Kritik, beispielsweise für unterdrückte  Minderheiten. So sind sie gleichzeitig beides: Utopie und Dystopie, hoffnungsvoll und pessimistisch. Und eben vor allem eines: kritisch.

*Parable of the Sower (1993); Parable of the Talents (1998), Octavia Butler

Fotos: flickr.com/Torley (CC BY-SA 2.0), flickr.com/Séb (CC BY-NC 2.0)


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Mark auf dem Mars

Von Roman van Genabith

Der Film The Martian – (deutscher Titel „Der Marsianer – Rettet Mark Watney“) nach dem Drehbuch von Drew Goddard und unter Regie von Ridley Scott, versucht in 144 Minuten einen Roman von rund 500 Seiten wiederzugeben; einen komplexen Plott, der eine komplexe Thematik behandelt.

Kann das gelingen?

Die Kollegen von raumfahrer.net betrachten das Werk mit Blick auf die Tradition der Mars-Filme. Im Folgenden sollen in einer vergleichenden Betrachtung von Buchvorlage und Film die erzählerischen Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Buchvorlage und Film beleuchtet werden. Die Romanvorlage ist Reelle Science-Fiction auf Tuchfühlung zum heute Möglichen, etwa vergleichbar mit GRAVITY (2013). Bleibt dieser Umstand im Film  bestehen? Abschließend wird noch kurz auf verschiedene interessante crossmediale Vertiefungen und Anschlussveröffentlichungen eingegangen.

Was passiert?

DF-05028_1400Während einer auf 30 Tage angelegten Mars-Expedition kommt es zu einem heftigen Sandsturm, während die Besatzung gerade dabei ist Bodenproben zu sammeln. Die Kommandantin beschließt die Mission abzubrechen und mit dem Rückkehrmodul (MRM) zu starten, das bei weiter steigenden Windgeschwindigkeiten zu kippen und die Crew somit zum Tode auf dem Mars zu verurteilen droht. Doch auf dem Weg zum Rückkehrmodul wird der Botaniker Mark Watney von umherwirbelnden Trümmern der Antennenanlage getroffen und vom Team getrennt. Dabei wird sein Biomonitor zerstört und seine Kameraden halten ihn für tot. Schließlich sind sie gezwungen zu starten, um nicht selbst getötet zu werden.

Die Geschichte entwickelt sich fortan um den widererwarten nicht ums Leben gekommenen Mark Watney, sowie die Vertreter der Raumfahrtorganisationen und die mediale Öffentlichkeit auf der Erde, die mit der unerwarteten Tragödie umgehen müssen.

Rascher Fortschritt

Schon früh zeigt sich, dass die Filmcrew versucht sich möglichst an der Romanvorlage zu orientieren und dabei auch auf Details achtet. So versucht der Pilot der Mission durch Zündung der Steuerdüsen das Rückkehrmodul zu stabilisieren, als Dieses zu kippen droht und erklärt das auch. Diskrepanzen ergeben sich vor Allem im Tempo. Während der Roman in ausgedehnten Passagen und unter Nutzung verschiedener Zeitsprünge die Zeit nach dem unglücklichen Aufbruch der Crew und die ersten Tage und Wochen danach schildert, ohne dabei anstrengende Längen zu entwickeln, ergibt sich im Film ein gefühlt recht rascher Handlungsfortschritt. Nachdem Mark, vom Antennenstück aufgespießt und in Folge starkem Druckverlusts schon ohnmächtig, durch den Sauerstoffalarm seines Expeditionsanzugs wieder zu sich kommt, wird sein Überlebenskampf und die Rückkehr in die Wohnkuppel recht ausführlich und anschaulich gezeigt. Die Romanvorlage geht hier sehr detailreich auf die Funktion der Anzüge und die Umstände, die Marks sofortigen Tod in dieser Situation verhindern ein, während der Protagonist im Film nach einer eindrücklichen „Operation“ an sich selbst knapp erläutert, dass das verdickte Blut ein weiteres Entweichen von Anzugluft verhinderte.

In beiden Fällen wird Mark zum einsamen, aber selten verzweifelten oder tragischen Helden. Während er im Roman recht lange davon überzeugt ist unausweichlich sterben zu müssen, ohne dass dadurch spürbare Verbitterung aufkommt, wirkt es im Film oft wie ein gefährliches, aber letztlich doch fantastisches Abenteuer, ein Road-Movie in ungewohnter Umgebung. Das mag einerseits über den wahren Ernst von Marks Lage hinwegtäuschen, spiegelt aber auch die ungeheure Improvisationsgabe und den eisernen Lebenswillen realer Astronauten wieder.

Die rettenden Kartoffeln, die Mark Watney in beiden Versionen pflanzt und so sein mehrjähriges Überleben auf dem Mars sichert, findet er im Buch erst relativ spät in Form einer Thanksgiving-Überraschung im Missionsgepäck, im regulären Proviant befindet sich nichts biologisch aktives. Im Film tauchen sie dagegen einfach auf, und zwar recht bald nachdem Mark Inventur gemacht hat. Während ihm, ein ordnungsgemäßes Funktionieren der autarken Lebenserhaltung der Station, die nur für 31 Tage konzipiert wurde vorausgesetzt, Luft und Wasser nahezu unbegrenzt zur Verfügung stehen, verhungert er, wenn er keine eigene Nahrung erzeugen kann. Allerdings bleibt ihm, bedingt durch die drastisch gesunkene Anzahl an Stationsbewohnern, ein komfortabler Zeitvorrat. Dieser Umstand ermöglicht es Buch und Film die Handlung nicht als hektischen Wettlauf gegen die Uhr darzustellen.

Unterschiede im Detail

DF-07708sm_1400Mark pflanzt Kartoffeln. Dafür muss er Ackerland urbar machen und benötigt somit Erde. In beiden Versionen holt er Mars-Erde in die Wohnkuppel, ein extrem aufwendiger, Zeit- und Kräftezehrender Prozess. Die häufigen Außeneinsätze verschleißen zudem die Raumanzüge. Deren hat er zwar jetzt Mehrere, trotzdem macht ihm die unumkehrbare Verschmutzung der CO2-Filter im Buch Sorgen. Im Film verläuft diese Phase relativ zügig. Eine gewisse Simplifizierung ist auch zu beobachten, als der Film nicht auf die genaue Prozedur der Erzeugung von Wasser eingeht, das Mark für seine Kartoffelfarm in weit größeren Mengen, als ihm zur Verfügung stehen, benötigt. Die Elektrolytische Reaktion und die durch Marks Unaufmerksamkeit ausgelöste heftige Explosion werden gezeigt, die Notwendigkeit den Sauerstoffanteil im Habitat durch eine komplette Stickstoffatmosphäre zu ersetzen, inklusive des nicht trivialen Kunststücks dies gegen die Lebenserhaltenden Routinen der Elektronik hinzubekommen, entfallen.

Solche Ungenauigkeiten und Vereinfachungen treten immer wieder auf. So verfügt Mark im Buch über zwei funktionierende Rover mit eigener Druckbeaufschlagung, im Film ist es nur noch einer. Dennoch benötigt er für den später notwendigen langen Weg zum Landeplatz der Nachfolgemission im Grunde deren zwei. Mark braucht den zusätzlichen Platz, um dort die Luft- und Wasseraufbereiter unterzubringen, die er zuvor aus der Basis ausbaut. Auch darauf geht der Film nicht ein, obwohl es eine Kernnotwendigkeit für Marks Lebensentscheidende Reise zum Ares IV Landeplatz ist. Schließlich hat Mark eine Art Anhänger für seinen funktionierenden Rover. Als Mark die Pathfinder-Sonde, die 1997 auf dem Mars landete und rasch verstummte, birgt und als Kommunikationsrelay verwendet, wird der im Buch höchst umständliche und herausfordernde Transport der Sonde, als auch deren Unterbringung außen an der Wohnkuppel, deutlich zügiger und glatter durchgebracht.

Diese Simplifizierung zeigt sich besonders krass bei dem Unfall, der die Wohnkuppel dekomprimiert und Marks Kartoffelfarm zerstört. Mark, der gerade die Kuppel verlassen möchte, wird durch die explosive Dekompression hinweggeschleudert, als die Luftschleuse, die er benutzt, aufgrund von Materialermüdung explodiert. Dabei wird in Buch und Film Marks Raumanzug und Helmvisier schwer beschädigt. Im Buch dauert diese Krise für Mark viele Stunden, während denen er im Inneren der dutzende Meter weggeschleuderten Schleuse zwar noch am Leben ist, da der Innendruck noch stabil ist, durch den zerstörten Helm aber zunächst keine Chance hat einen der Rover zu erreichen, die nach dem Verlust der Wohnkuppel seine letzte Chance sind. Sich und seine Schleusenkammer mit akrobatischen Kunststücken zurück zur Wohnkuppel zu rollen, dort unter den Trümmern einen intakten Raumanzug zu finden, nachdem sein Eigener nur äußerst notdürftig und für wenige Minuten zu flicken war, und schließlich einen Rover zu erreichen, um dann den Wiederaufbau der Kuppel zu planen, ist im Buch eine sehr ausgedehnte Episode und wird im Film zwar dramatisch, aber zügig abgehandelt.

Eine weitere, für Mark lebensbedrohliche Krise, entfällt im Film vollständig. Auf seiner über 3000 km langen Reise zum rettenden Fluchtschiff gerät er in einen marsianischen Staubsturm. Anders als die heftigen Sandstürme zu Beginn ist dieses Phänomen zwar für die beobachtenden NASA-Forscher auf den Satellitenbildern klar erkennbar, zeigt sich Mark aber zunächst nicht. Der Effekt wird lediglich in einem langsamen, aber stetigen Verlust an Arbeitsleistung spürbar, die Marks aus der Wohnkuppel ausgebaute Solarpanele erbringen. Das wird durch die sinkende Lichtdurchlässigkeit der Atmosphäre bewirkt und als Mark die richtigen Schlüsse zieht, ist er bereits mehrere Tage in die Ausläufer des Phänomens eingetaucht und es ist im Grunde zu spät für ihn es zu umfahren oder umzukehren. Dennoch findet er einen Weg. Dieser ist zwar nachvollziehbar, zugegebenermaßen aber nur schwer filmisch darstellbar. Diese Episode ist im Buch eine ausgedehnte Krise, die sich viele Tage hinzieht und weniger durch sichtbare Action, als durch analytisches und planvolles Handeln entschärft wird.

Deutliche Diskrepanzen zu Gunsten filmischer Dramatik sind bei der Rettung Marks durch die Hermes, das interplanetare Raumschiff, mit dem die Astronauten des Ares-Programms zwischen Mars und Erde pendeln, zu konstatieren. Während die Demontage des Rückkehrmoduls der Ares IV zwecks Gewichtsersparnis, um einen höheren Orbit erreichen zu können, glaubhaft abläuft und der Film auch beim Start, dem Anpassen von Abfanggeschwindigkeit und Distanz nah am Buch bleibt, weicht er ab, als die Distanz am Ende trotz aller Bemühungen zu groß ist, um Mark einzusammeln. Während das Buch hier eine kühne Idee Marks erwähnt, bei der er seinen Anzug aufschneidet und durch ausströmende Luft am Handschuh Diesen als Schub- und Steuerdüse verwenden möchte, diese Idee von aber der Kommandantin verworfen wird, greift er im Film darauf zurück. Auch geht die Kommandantin statt des Arztes Chris Beck nach draußen, um Mark zu holen. Eine eher zweifelhafte Änderung, da Beck bereits in Position und Zeit ein kritischer Faktor ist.

Gemeinsamkeiten

Obwohl das Drehbuch hier und da vom Roman abweicht und Manches vereinfacht, bleibt es bei Vielem auch nah am Original. So sind zahlreiche Dialogstellen, etwa in Marks Videolog, das in Film und Buch eine zentrale Erzählkomponente darstellt, fast Wortgetreu übernommen worden. Die vertrackten Umstände, durch die die erste Sonde mit Versorgungsgütern in brennenden Trümmern ins Meer stürzte, werden nachvollziehbar präsentiert. Auch der teils extreme Zeitversatz, bedingt durch die doppelten Signallaufzeiten der Botschaften zwischen Mars und Erde, werden akkurat übernommen. Die Gesamtstimmung im Buch findet der Zuschauer im Film ebenfalls wieder. Auf überzogene Dramatik und Emotionalität wird weitgehend verzichtet. Es dominiert fast durchgängig ein Klima zurückhaltender Hoffnung, durchsetzt mit trockenem, aber nicht bitterem Humor.

Interessant: Trotz Beteiligung Chinas, dessen Verhältnis zur westlichen Welt traditionell gespannt ist, schaffen es Buch und Film politische Ränkespiele minimal zu halten. Zu keinem Zeitpunkt wird von einem der beteiligten Akteure erwogen den Einsamen vom Mars einer knappen Budgetpolitik zu opfern. Viel mehr fiebert  am Ende die ganze Welt dem Ausgang der riskanten Aktion entgegen, was sich sehr treffend im Untertitel der deutschen Synchronisierung des Films widerspiegelt: Rettet Mark Watney. Hier hat das filmische Medium einen Vorteil: Die gespannt wartenden Massen, die sich rund um die Welt versammeln, um den Übertragungen der Fernsehstationen zu folgen, können ins Bild gebracht werden.

Ein spezieller Unterschied zum Buch ergibt sich über dies zum Schluss. Während häufig Filme nach der finalen Schlusskrise und der Erfüllung, oder dem Tod Aller, zu Ende sind und Bücher noch einen Epilog aufweisen, ist es hier anders herum. Das Buch endet mit der Rettung Marks im Orbit des Mars. Im Film wird er als Lehrer für Astronautenanwerter gezeigt, den Abschluss bildet der Start einer weiteren bemannten Mission des Raumfahrtprogramms; eine schöne Botschaft: Die Reise geht weiter.

Implikationen

Der Marsianer ist Real-Science-Fiction, die sich in weiten Teilen an existierender Technologie und Organisationsstrukturen orientiert. Die Mission liegt wenige Jahrzehnte in der Zukunft. Sie greift zum Teil auf Technologie zurück, die noch nicht gebaut wurde, die aber in der Theorie plausibel durchgerechnet und machbar ist. Im Speziellen zu nennen ist hier das interplanetare Raumschiff, das in dieser Form mit Nuklearer Energieversorgung, Ionenantrieb und durch Rotation erzeugter künstlicher Schwerkraft zwar denkbar ist, jedoch noch nie gebaut wurde.

Kritiker vergleichen den Film mit dem SF-Blockbuster Interstellar, doch auf den zweiten Blick greift dieser Vergleich nicht. Einerseits kommt Der Marsianer ohne die Notwendigkeit zur Brechung physikalischer Gesetze aus, durch den einfachen Umstand, dass eine zentrale Zutat der meisten Science-Fictionwerke, Reisen mit Überlichtgeschwindigkeit, hier nicht vorkommt. Warpantriebe oder Wurmloch, obgleich Bestandteil zahlreicher großartiger Filme und Serien, sind hier nicht nötig, um eine spannungsgeladene, aber weitgehend realistische Handlung zu schaffen. Auch gibt es bei Der Marsianer nicht den Bruch, den viele Filme dieses Genres im letzten Drittel ihrer Laufzeit aufweisen. Ein Solcher bleibt auch bei Interstellar nicht aus, dessen Plot gegen Ende zunehmend ins Absurde abgleitet und nicht mehr nachvollziehbar ist.

Fazit

Auch ein anderes viel bemühtes Klischee speziell der Mars-Filme kann Der Marsianer vermeiden: Es ist auf absehbare Zeit weder wünschenswert, noch angestrebt, dauerhafte Kolonien auf dem Mars oder einem anderen Himmelskörper im Sonnensystem zu errichten. Während die Initiative Mars One einen Plan zur Gründung von Mars-Kolonien betreibt, zeigt das vorliegende verfilmte Buch eindeutig die Unsinnigkeit dieser Idee. Der Mars ist wissenschaftlich ein spannendes Ziel für Generationen, das rechtfertigt dessen Erforschung, vielleicht zukünftig auch unter Beteiligung von Menschen. Aber seine Umwelt ist beinahe so tödlich wie der Weltraum. Und auch Mark Watney ist die ganze Zeit des Films über bestrebt zu seiner Heimat zurückzukehren. Er ist somit ein Terraner.

Crossmediale Rezeption

Der Film, der überwiegend wohlwollende bis eindeutig positive Kritiken erhalten hat, brachte inzwischen einige intermediale Ergänzungen hervor. So veröffentlichten verschiedene Raumfahrtagenturen, darunter das zur ESA gehörende Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) Aufnahmen, die Handlungsorte des Films auf Basis von Aufnahmen zeigen, die heutige Mars-Sonden geliefert haben. Dazu zählt unter anderem ein Überflugvideo, das von deutschen Planetenforschern erstellt wurde und Marks Weg von seiner Wohnkuppel zum Landeplatz der Nachfolgemission zeigt, wo er sein Rettungsgefährt besteigt. Der Mars wirkt in diesem Video noch ein Stück unfreundlicher, viele Felsen, weniger Sand, weniger rot. Kein Ort zum Bleiben.

In einem für iPhone- und iPad erschienen Spiel müsst ihr Mark am Leben halten und durch seine Mission führen. Der Marsianer profitiert von Handlungsorten, die zwar hinter dem irdischen Horizont liegen, aber dennoch nicht aus der Welt sind.

Fotos: © 2015 20th Century of Fox

Roman van Genabith ist freier Journalist und unter Anderem Autor für das Astronomieportal raumfahrer.net.  Ferner schreibt er für ein Apple-Magazin und ein ostwestfälisches Nachrichtenangebot.

Silicon Valley: Die Tech-Elite unter sich

Von Valerie Heck

In den vorherigen Kapiteln war immer wieder die Rede von Google, Facebook oder Apple und all diese Firmen haben eine Gemeinsamkeit: Sie haben ihren Sitz in Silicon Valley, einer kleinen Industrieregion in der Nähe von San Francisco. Dort sind viele der weltgrößten Hightech-Firmen der Telekommunikations-, Computerhardware- und insbesondere der Softwareindustrie angesiedelt. Andrew Keen bezeichnet das Silicon Valley in seinem Buch „Das digitale Debakel“ als „Epizentrum des 21. Jahrhunderts“. Wer als Ingenieur oder Informatiker dort arbeitet, hat es geschafft. Nicht nur aufgrund der exklusiven Job- und Weiterbildungsmöglichkeiten, sondern auch wegen der einzigartigen Arbeitsbedingungen in Silicon Valley. Der Arbeitgeber bietet seinen Angestellten von Freizeitangebot bis Steuererklärung jeden Service an, damit diese ihre gesamte Zeit und Mühe der Arbeit widmen können. Doch das Ganze hat auch eine negative Seite: Die Tech-Elite sondert sich von dem Rest der Gesellschaft ab. Darüber sind in Silicon Valley und San Francisco nicht alle glücklich.

„Ein exklusiver Privatclub“

Silicon Valley2Das Problem der Region ist ein immer größer werdendes wirtschaftliches Gefälle zwischen den Mitarbeitern von Technologieunternehmen und den restlichen Bewohnern. Denn inmitten des wirtschaftlichen Aufschwungs, der steigenden Unternehmensgewinne und der Rekordbörsenzahlen wurden über 40.000 Arbeitsplätze seit 2000 abgebaut; die Zahl der Obdachlosen ist um 20% gestiegen und es mussten immer mehr Lebensmittelmarken verteilt werden. Auch die Mieten von durchschnittlich 3250 Dollar in San Francisco kann sich kein Normalverdiener mehr leisten. Vermieter kündigen ihren Mietern die Wohnung mit Anspruch auf Eigenbedarf und bieten sie dann Firmen teurer an. Die quirligen Viertel von San Francisco werden für die Mitarbeiter der Hightech-Firmen gentrifiziert.

Kurz: Es findet ein „tech takeover“ statt, wie die unglücklichen Bewohner es bezeichnen. Die Leute kommen von überall nach San Francisco, zahlen die teuren Mieten und verdrängen die Alteingesessenen. Dabei bringen sie den Händlern in den Vierteln mit ihrem Geld nicht einmal ein gutes Geschäft. Sie werden fast rundum von ihrer Firma versorgt und wenn sie doch einmal etwas brauchen, gehen sie dort einkaufen, wo es schnell und effektiv geht – in Ketten. Händler verlieren ihre Kundschaft, Schriftsteller und Künstler werden verdrängt, kleine Läden werden geschlossen und auch Lehrer, Automechaniker oder Feuerwehrleute können sich das Leben dort nicht mehr leisten und gehen.

Die Stadt ist in von Arbeitslosigkeit, Armut und Kriminalität zerrüttete Ortsteile und reiche, autarke Technologiezentren gespalten. Google, Apple und Facebook haben sich von der physischen Realität der verarmten Gemeinden abgekoppelt und machen die Stadt San Francisco fast zu einem „exklusiven Privatclub“, wie es Andrew Keen in „Das digitale Debakel“ schreibt. Gourmetkantinen, Babysitter, Fitnessstudios, Waschsalons, medizinische Versorgung und sogar Wohnräume werden den Mitarbeitern von Hightech-Unternehmen kostenlos angeboten, während der Rest der Stadt immer ärmer wird.

Ein Symbol für das wirtschaftliche Gefälle

Silicon Valley (1)Das sichtbarste Symbol für den wirtschaftlichen Graben zwischen der Tech-Elite und dem Rest der Gesellschaft ist der „Google-Bus“, wie er von Rebecca Solnit bezeichnet wird. Während die „normalen“ Bewohner von San Francisco gegen einen bescheidenen Fahrpreis mit den alten so genannten Muni-Bussen mit orangefarbenen Logos zur Arbeit fahren, werden die Mitarbeiter des Silicon Valleys kostenlos mit luxuriösen Bussen mit verspiegelten Scheiben und Internetanschluss abgeholt und zur Arbeit gebracht. Und obwohl die „Google-Busse“ nicht für alle, sondern eine private Dienstleistung privater Unternehmen sind, fahren sie ebenso wie die Muni-Busse öffentliche Haltestellen an und nutzen städtische Infrastruktur, die dadurch abgenutzt wird, ohne, dass sich die Unternehmen an deren Instandhaltung beteiligen müssen.

Silicon Valley (2)Durch die „Google-Busse“ wird nicht nur das wirtschaftliche Gefälle, sondern auch die Wut der altansässigen Bewohner sichtbar. Fast jeden Tag gibt es Demonstrationen gegen und Angriffe auf die Busse. Es wurden sogar private Sicherheitsdienste von den Firmen eingestellt, um die Fahrgäste vor den aufgebrachten Anwohnern zu schützen. Mittlerweile konnte erzielt werden, dass die Firmen bescheidene Gebühren für das Halten an öffentlichen Haltestellen zahlen müssen, doch das Problem ist nicht aus der Welt.

Qualifiziertes Personal kostet seinen Preis

Nun stellt sich die Frage, wie dieser „exklusive Privatclub“ der Tech-Elite in Silicon Valley und San Francisco entstehen konnte? Warum bekommen die Technologiekonzernmitarbeiter dort alles und sondern sich so vom Rest der Gesellschaft ab?

Einer der wichtigsten Gründe ist wahrscheinlich, dass nur in Kalifornien Mitarbeiter die Firma nach Belieben wechseln können, wenn anderswo mehr Geld, Aktienoptionen oder Kopfprämien locken. Denn nur dort wird die Klausel um Konkurrenzausschluss nicht anerkannt. Das macht den Druck für die Firmen auf das Werben um neue Mitarbeiter und das Halten von alten Mitarbeitern größer. Sie müssen mit einem durchschnittlich um 20% höherem Gehalt als in der Branche in den USA üblich und einem Rundum-sorglos Paket locken. Google hat mit diesem Trend angefangen. Das Management versucht bei harter Konkurrenz die Mitarbeiter mit 30 Kantinen, Fahrrädern, Sporteinrichtungen, Massagesesseln und den „Google-Bussen“ bei Laune zu halten . Und da müssen andere Unternehmen natürlich mithalten. Es ist ein Werben um qualifiziertes Personal, unter dem der Rest der Region leidet.

Die Zukunft des Silicon Valleys

Doch nicht nur in Silicon Valley haben die Hightech-Unternehmen viel Macht, auch der Rest der Welt ist in vielen Bereichen von der Tech-Elite abhängig. Marktbeherrschende Suchmaschinen, Betriebssysteme und soziale Netzwerke, die, wie die vorherigen Artikel dieser Reihe zeigten, Alltag und Arbeit der Menschen beeinflussen, kommen aus Silicon Valley. Und nicht nur private Nutzer, auch große Firmen und Staaten sind den Hightech-Konzernen ausgeliefert. Deswegen plädieren Politiker wie Günther Oettinger für europäische Alternativen.

Aber wird das wirklich immer so weiter gehen? Wird Silicon Valley seine Macht immer weiter ausdehnen? Der US-amerikanische Ökonom und Gesellschaftskritiker Jeremy Rifkin ist skeptisch. Er sagt: „Die digitalen Innovationen der Zukunft werden sich um erneuerbare Energien, Internet of Things und vernetzte Logistik drehen und nicht mehr um Plattformen und Services.“ Wenn die Digitalisierung von analogen Inhalten ausgeschöpft ist und die Produktion und Manufaktur wieder eine größere Rolle spielen, liegen seine Hoffnungen auf Europa und China, da die USA technologisch und infrastrukturell eher rückständig sei. Doch auch das Silicon Valley hat diese langfristige Veränderung des Marktes schon bemerkt und startet neue, analoge Projekte. So plant Google zum Beispiel die Entwicklung eines selbstfahrenden Autos und macht deutschen Großunternehmen wie VW Konkurrenz. Es zeigt sich, „Silicon Valley kann mehr als nur Internet“ und wenn die Entwicklung es verlangt, werden auch die Unternehmen dort neu ausgerichtet. Daher wird die Tech-Elite wahrscheinlich auch in Zukunft ihre Vorzüge genießen und sich vom Rest der Gesellschaft abspalten können.


Fotos: flickr.com/Patrick Nouhailler (CC BY-SA 2.0), flickr.com/Maria Ly (CC BY 2.0), flickr.com/Paul Sullivan (CC BY-ND 2.0), flickr.com/Chris Martin (CC BY 2.0)

Smart Home: Vernetztes Wohnen heute und in Zukunft

Von Anita Mäck

Das Internet der Dinge ist inzwischen fast überall. Der Personal Computer wird zunehmend durch kleine, intelligente Computersysteme ersetzt. z.B. smarte Uhren, Datenbrillen oder Fitnessmessgeräte. Wir vernetzen nicht nur uns selbst, sondern auch Umgebungen, in denen wir uns regelmäßig aufhalten, wie unser Auto oder das Zuhause. Seitdem ein Australier im Urlaub auf Mauritius 2011über eine Smartphone-App einen Einbrecher in seinem Haus in Sydney entdeckt hatte und die Polizei informieren konnte, ist beispielsweise das Thema intelligente Sicherheitstechnik im eigenen Heim von großem Interesse.

Sicherheit ist neben Energie, Multimedia und Haushaltsgeräten nur ein Bereich von vielen, die zur intelligenten Haussteuerung, dem Smart Home, beitragen. Die Vorstellung vom vollständig vernetzten Haus, in dem sich verschiedene Vorgänge per Klick über ein Tablet oder Smartphone steuern lassen, klingt zugegebenermaßen verlockend. Welche Marktentwicklung wird künftig zu beobachten sein? Wie steht es um die Netzwerksicherheit? Um auf diese Fragen einzugehen, stellt sich zuerst die grundlegende Frage, was der Begriff Smart Home eigentlich bedeutet.

Das selbstständige Haus

Verschiedene Branchenverbände, deren Mitgliedsunternehmen gemeinsam den Smart-Home-Markt gestalten, haben sich zu der Fokusgruppe Connected Home vereint. Daraus entstand folgende Definition: „Smart Home dient als Oberbegriff für technische Verfahren und Systeme in Wohnräumen und -häusern, in deren Mittelpunkt eine Erhöhung von Wohn- und Lebensqualität, Sicherheit und effizienter Energienutzung auf Basis vernetzter und fernsteuerbarer Geräte und Installationen sowie automatisierbarer Abläufe steht.“

Wie kann man sich die Anwendung dieser Installationen im Alltag vorstellen? In der Küche ist z.B. ein großes Display angebracht, das anzeigt, mit welcher Drehzahl die Waschmaschine im Keller gerade den Schleudervorgang leistet und zu welcher Tages- oder Nachtzeit es sich anbieten würde, die nächste Ladung Geschirr stromsparend reinigen zu lassen. Jalousien, Lüftung und Heizung lassen sich etwa über Sensoren so aufeinander abstimmen, dass stets ein angenehmes Klima herrscht. Ein Raum wird gezielt geheizt wenn er benutzt wird, z.B. morgens das Bad. Ist niemand im Haus, wechselt die Heizung in einen Ruhemodus, bis ein Bewohner über das Smartphone seine Rückkehr kommuniziert. Allerdings erfordern Smart Home Appliances wie diese mehrere Tausend Euro an Investitionen – eine bislang teure Angelegenheit.

Die multimediale Vernetzung gestaltet sich im Vergleich dazu einfacher und günstiger. Über das Computernetzwerk können digitale Inhalte im ganzen Wohnraum verteilt werden. Musik, Filme oder Bilder lassen sich so von einem zentralen Server auf jedem Bildschirm wiedergeben und übertragen, z.B. vom Wohnzimmer ins Schlafzimmer. Ein weiterer Anwendungsbereich im vernetzten Haus ist Sicherheit. Eine Abwesenheitssteuerung täuscht durch wechselnde Beleuchtung und dem Öffnen und Schließen der Jalousien die Anwesenheit der Bewohner vor. Von der Videoüberwachung bis zur automatischen Alarmierung externer Sicherheitsdienste lässt sich das Haus je nach Bedarf absichern. Ein weiterer Aspekt ist die altersgerechte Unterstützung von Senioren, z.B. durch intelligente Medikamentenschränke, die Arzneimittel richtig dosieren und automatisch eine Nachbestellung an die Apotheke senden, bevor eine Tablettenschachtel leer wird. Intelligente Haussteuerung bringt also zahlreiche Vorteile mit sich. Einige davon werden hier noch einmal anschaulich erklärt.

Zwar sei der Smart-Home-Markt bislang eine Nische, da die Etablierung der Technik aufgrund bisher fehlender Übertragungsstandards und Schnittstellen erschwert sei, so Ralph Niederdrenk von PwC. Anhand einer Studie zu diesem Thema prognostiziert er jedoch ein exponentielles Marktwachstum in den kommenden zwei bis fünf Jahren. Bis 2030 soll Smart Home dann ein reifer Markt sein. Auf dem Weg dorthin muss jedoch noch einiges geschehen.

Technologie der Zukunft: clever, aber noch nicht ausgereift

In Filmen werden intelligente Häuser über ein einziges System bequem vom Tablet aus gesteuert. Das ist in der Gegenwart aber noch nicht der Fall. Computer, Haushaltsgeräte, Heizung und Fernseher verwenden bislang unterschiedliche Sprachen und sind verbunden, aber doch getrennt. Nutzer haben zudem Bedenken, dass ihre Daten im vernetzten Heim nicht ausreichend gegen Hacker-Angriffe geschützt sind. Verschafft sich ein Fremder Zugang zum WLAN, kann er alle Abläufe im Haus einsehen und kontrollieren. So schaut er den Bewohnern etwa beim Homebanking zu. Ist die Haustür mit der Steuerung vernetzt, könnte er sie öffnen. Des Weiteren bleibt im Sinne des Datenschutzes zu klären, inwiefern eine Überwachung von hilfebedürftigen Menschen mit ihrer Würde vereinbar ist, aber im Notfall so effektiv wie möglich hilft. Das Partnernetzwerk Connected Home beschäftigt sich daher intensiv mit der technologischen Weiterentwicklung sämtlicher Smart Home Appliances und den entsprechenden Sicherheitsfragen. Ziel sei es, Geräte über Anwendungsgrenzen hinweg miteinander zu verbinden, einheitliche Bedienstrukturen zu schaffen und Einzelfunktionen zu einer Gesamtlösung zu vereinen. Laut BITKOM (Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V.) überschreitet das Wachstum der Smart-Home-Haushalte in Deutschland selbst bei moderater Schätzung im Jahr 2020 die Millionengrenze. Eine vielversprechende und vor allem spannende Prognose.


Foto: flickr.com/ebayink (CC BY-NC-ND 2.0)