Ein multimediales Franchise

Von Philipp Mang

Das Spiel ist aus. Die letzte Seite des Comics umgeblättert. Und das Serienfinale der Lieblingsserie längst ausgestrahlt. Trotzdem nehmen moderne Erzählungen einfach kein Ende. Ein gedruckter Text, so scheint es, reicht dem anspruchsvollen Rezipient von heute nicht mehr aus. Ebenso wenig wie cineastische Spektakel auf dem Flatscreen. Konsumenten wollen ein Medium nicht länger nur passiv rezipieren, sondern Zusatzinformationen über dessen gesamtes Universum erlangen. Dafür sind sie sogar bereit, sich auf eine medienübergreifende Recherchereise zu begeben. Immer häufiger werden Geschichten deshalb auf andere Medien ausgeweitet – ganz egal ob es sich dabei um die große Leinwand, Webserien oder Applikationen für das Smartphone handelt.

Ein Buzzword & was dahinter steckt

Häufig wird dieses Phänomen als Transmediales Storytelling bezeichnet. Hierbei handelt es sich um ein mediales Buzzword, das durch die Arbeiten des Medienwissenschaftlers Henry Jenkins entscheidend geprägt wurde. Es bezeichnet eine spezielle Form der Narration, bei der eine Geschichte über verschiedene Medien-Plattformen hinweg erzählt wird und jedes Produkt seinen eigenen wertvollen Beitrag zur Gesamtgeschichte leistet. Transmediales Erzählen ist damit mehr als eine bloße Vermarktungsstrategie. Durch geschickte Erweiterungen des Universums soll dem Konsument vielmehr ein neuer Blickwinkel auf die Geschichte eröffnet werden. Man rezipiert gewissermaßen ein mediales Puzzle, das sich erst am Ende zu einem großen Ganzen zusammensetzt. Dieses komplexe Erzählkonzept findet bei Fans großen Anklang – so sehr, dass auch Hollywood damit immer häufiger seine Umsätze ankurbelt. Die Matrix- oder Star Wars-Sagen gelten dabei bist heute als Paradebeispiele für plattformübergreifendes Erzählen.

Vom Comic zur Serie

4_Walt Jabsco3_Walt JabscoAuch Robert Kirkmans TWD-Franchise ist ein solch multimediales Massenphänomen. Was im Jahr 2003 mit einer Comic-Serie recht unscheinbar begann, hat sich seither zu einer gigantischen Erfolgsgeschichte entwickelt. Mittlerweile sind mehr als 100 Ausgaben der beliebten Zombie-Dystopie erschienen – und ein Ende ist immer noch nicht in Sicht. Erst kürzlich brach die Jubiläumsausgabe des Comics in den Vereinigten Staaten Verkaufsrekorde. Außerdem wurde die Reihe mit einem der begehrtesten Preise für Comic-Schaffende ausgezeichnet: dem Eisner Award. Diese Auszeichnung gebührt in erster Linie Kirkman, der sich als Autor und kreatives Hirn für so manch überraschende Wendung verantwortlich zeigt. Nicht zu verachten ist aber auch die Rolle des Zeichners Charlie Adlard, der die Panels seit der siebten Ausgabe in schnörkelloser Schwarz-Weiß-Optik illustriert.

Kopie oder Transmediale Erweiterung?

Von diesem Erfolg beflügelt, folgte im Jahr 2010 schließlich wenig überraschend die Adaption zur Fernsehserie. Damit konnten die Verkaufszahlen der Comics nicht nur beträchtlich gesteigert, sondern die Reihe auch insgesamt ihres gesellschaftlichen Nischendaseins enthoben werden. Es ist die Geburtsstunde eines globalen Franchise. Ob man hierbei allerdings tatsächlich von einer ersten transmedialen Erweiterung des Universums im Sinne von Jenkins Theorie sprechen kann – darüber gibt es in Expertenkreisen durchaus unterschiedliche Ansichten.

Vorlage vs. Adaption

photo by Scott Beale / Laughing Squid This photo is licensed under a Creative Commons license. If you use this photo within the terms of the license or make special arrangements to use the photo, please list the photo credit as "Scott Beale / Laughing Squid" and link the credit to http://laughingsquid.com.Ein kurzer Vergleich zwischen Comic und Serie soll deshalb Licht ins Dunkel bringen: Tatsächlich wird die Handlung der Vorlage hier nicht einfach nur strikt in das neue Medium Fernsehen übertragen. Stattdessen werden dem Zuschauer sogar vereinzelt neue Handlungsstränge präsentiert. So taucht das Seuchenzentrum, das die Gruppe um Rick am Ende der ersten Staffel des TV-Formats erreicht, in den Comics etwa gar nicht erst auf. Die Serienmacher führen außerdem immer wieder vereinzelt Figuren ein, die in der graphischen Vorlage überhaupt nicht existieren. Prominentestes Beispiel hierfür ist sicherlich Serienliebling Daryl Dixon. Als ebenso interessant erweist sich, dass das Schicksal der Charaktere niemals in Stein gemeißelt ist. Wer im Comic das Zeitliche segnet, muss das nicht zwingend auch in der Fernsehserie – und umgekehrt. Genau hierin liegt der Reiz für Kenner der Bildergeschichte: In Onlineforen können sich die so genannten „fan scholars“ über Änderungen mit Gleichgesinnten austauschen.

Zwischen Eigenständigkeit und Redundanz

Nichtsdestotrotz fungiert der Comic bei der Adaption unverkennbar als Blaupause. So hält sich die Serie nicht nur an die dort festgesetzten Grenzen (z.B. dass der Ursprung der Zombie-Seuche niemals verraten wird), sondern folgt auch dessen Mythologie, den Schauplätzen (Atlanta, Hershels Farm, Gefängnis usw.) und groben Handlungssträngen. Eine wirklich eigenständige Geschichte, die narrative Leerstellen füllt, wird nicht erzählt. Stattdessen finden sich in der Serie zahlreiche für Comicfans redundante Informationen. Von einer transmedialen Adaption kann deshalb nur bedingt die Rede sein.

Big Business Zombie

Als erste echte Erweiterung des TWD-Universums gelten vielmehr die so genannten Webisodes, auf die im folgenden Artikel noch einmal näher eingegangen werden soll. Mit ihrer Produktion nahm der Siegeszug des Zombie-Franchise endgültig seinen Lauf: Es folgten unzählige Videospiele, Applikationen für mobile Endgeräte, Onlineforen und Hörspiele. Mittlerweile sind sogar zahlreiche Romane erschienen, die die Hintergrundgeschichte verschiedener Charaktere beleuchten. Mit The Walking Dead Escape findet außerdem ein jährliches Event statt, bei dem Fans die Möglichkeit haben, sich wie die Protagonisten durch Schauplätze der Serie zu kämpfen. Entstanden ist damit eine Art dreidimensionale Welt. Diese kann von Fans durch nahezu jedes erdenkliche Medium betreten werden, um tiefer in die Geschichte einzutauchen. Die Verantwortlichen haben es also perfekt verstanden, ihre Marke über ein transmediales Mosaik clever zu vermarkten.

Fotos: flickr.com/Flood G. (CC BY-NC-ND 2.0), flickr.com/Walt Jabsco (CC BY-NC-ND 2.0), flickr.com/Walt Jabsco (CC BY-NC-ND 2.0), flickr.com/Scott Beale (CC BY-NC-ND 2.0)


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