Ist Klimaschutz aus der Mode?

Wie Aktivist*innen mit politischer und gesellschaftlicher Verdrossenheit umgehen

Von Jan Pfretzschner

Die politische Stimmung hat sich in Deutschland und europaweit spürbar verändert. Der Klimaschutz, einst zentrales Thema, verliert an Bedeutung. Die Ergebnisse der Europawahl 2024 sowie der Bundestagswahl 2025 zeigen einen klaren Trend: Klimapolitik hat ihre Priorität eingebüßt, während Migration, wirtschaftliche Stabilität und innere Sicherheit in den Vordergrund rückten. Die im Koalitionsvertrag vereinbarten Klimamaßnahmen enttäuschten. Klimaaktivisten stehen vor einer doppelten Herausforderung – dem politischen Bedeutungsverlust ihrer Anliegen und wachsender gesellschaftlicher Skepsis.

 

Wie Bewegungen wie FFF oder Greenpeace auf diese Klimaschutzverdrossenheit reagieren, welche Perspektiven sie zu den aktuellen Entwicklungen in Berlin und Brüssel vertreten und welche Strategien sie angesichts sinkender Aufmerksamkeit anwenden, beleuchtet der Artikel entlang dreier Ebenen: die politische Einschätzung, die gesellschaftlichen Wahrnehmung und die aktivistischen Zukunftsstrategien. Dabei liegt der Fokus des Artikels auf der Bewegung FFF.

Der Konflikt zwischen Regierung und den Klimabewegungen

Sieht man sich die Ergebnisse der Themenschwerpunkte der Bundestagswahl 2025, ergibt sich folgendes Bild. Für 13% der deutschen Bevölkerung war das Thema Klimaschutz relevant. In der vorausgegangenen Bundestagswahl waren es 22 %, als Scholz sich im Wahlkampf als Klimakanzler präsentierte. Als Ergebnis der Bundestagswahl bildete sich die Koalition von CDU/CSU und SPD unter Kanzler Merz. Für Merz und sein Kabinett scheint Klimaschutz keine tragende Rolle mehr zu spielen.

Im Koalitionsvertrag mit dem Titel „Verantwortung für Deutschland“ wird dem Klimaschutz zwar eine hohe Priorität eingeräumt und Schwarz-Rot bekennt sich zum Ziel der Klimaneutralität bis 2045.
Im Bundestag wie auch außerparlamentarisch gibt es allerdings Kritik. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) kritisiert in einer Bewertung des Koalitionsvertrags, dass Klimaschutz, Biodiversität und Ressourcenschutz nur eine untergeordnete Rolle spielen. Entwicklungen, die als Rückschritt in Sachen Klimaschutz zu verstehen sind, wie die Ersetzung des Heizungsgesetzes, weitere Nutzung fossiler Ressourcen, die Pendlerpauschale sowie das Festhalten an Subventionen, werden kritisiert.

Fridays for Future (FFF) kritisiert den Koalitionsvertrag scharf, vor allem den geplanten Rückgriff auf fossiles Erdgas aus dem In- und Ausland, der die Abhängigkeit Deutschlands verstärke. FFF bezeichnet in einem Statement den Koalitionsvertrag als verlogen und als „Realitätsverweigerung“, bemängelt zudem verfehlte Verkehrspolitik, die Abkehr vom Heizungsgesetz, das fehlende Klimageld und die Einschränkung des Verbandsklagerechts.

Auch aktuelle politische Debatten werden von FFF kritisch begleitet. In einer Pressemitteilung vom 9 Juli. 2025 nimmt die Bewegung Stellung zur Bundestagsdebatte. Besonders der letzte Punkt – der Etat für den Klimaschutz – sorgt für Diskussionen: Die Bundesregierung plant im Laufe des Jahres Rekordinvestitionen in Höhe von 115 Milliarden Euro, von denen 25,7 Milliarden aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) stammen sollen. Opposition und Umweltverbände kritisieren hier eine Zweckentfremdung der Gelder. Konkret geht es um die Pläne, mit Mitteln des KTFs die Gasspeicherumlage zu finanzieren.

Die Haushaltspläne von SPD-Fraktionschef Lars Klingbeil werden als realitätsfern und als Politik auf Kosten anderer bezeichnet. FFF bemängelt, dass der Haushaltsplan dem Ministerium für Klima und Umwelt den kleinsten Anteil zuweist.

In Deutschland wächst der Druck auf den Klimaaktivismus, ein besorgniserregender Trend. Dazu zählen unter anderem die sogenannte Präventivhaft – ein zeitweiliger Freiheitsentzug für Personen, von denen der Staat eine konkrete Gefahr ausgehen sieht – sowie diffamierende politische Äußerungen. Laut einem Bericht zivilgesellschaftlicher Gruppen und wissenschaftlicher Institute waren über 80 Prozent der Klimaaktivist*innen bereits von Repressionen betroffen.

Unterstützung oder Abkehr durch die Bevölkerung?

Doch wie nimmt die Bevölkerung die Bewegung wahr? Seit fünf Jahren demonstriert FFF für mehr Klimaschutz. Schon seit einiger Zeit zeigt sich jedoch eine klare Entwicklung: In einer Umfrage des DeutschlandTrends im ARD-Morgenmagazin ergab sich, dass drei Viertel der Deutschen den FFF-Demonstrationen wenig bis gar keinen Einfluss beimessen. Diese Tendenz hat sich seither nicht verbessert, im Gegenteil.

Im Gegensatz zur Bundestagswahl 2021, bei der das Thema ganz oben auf der Agenda stand, wurde der Klimaschutz im aktuellen Wahlkampf von hitzigen Debatten über Zuwanderung, eine schwächelnde Wirtschaft und dem Aufstieg der extremen Rechten überschattet.

Die deutsche Klimabewegung erzielte in der Vergangenheit Erfolge, etwa mit dem Klimaschutzgesetz. Die Gruppe erreichte 2021 mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, dass die Regelungen des damals bestehenden Klimaschutzgesetzes nachgebessert werden mussten. Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass das damalige Klimagesetz unvereinbar mit dem Grundgesetz sei und erkennt, an, dass es für zukünftige Generationen wichtig ist, das 1,5-Grad-Limit politisch einzuhalten. Das heißt, Deutschland ist zu einer Treibhausgasreduktion von 65 Prozent bis 2035 verpflichtet. Dennoch scheint die Unterstützung für die Klimabewegungen nachzulassen. Laut Umfragen hat sich die Zustimmung zu FFF zwischen 2021 und 2023 in Deutschland sogar halbiert. Die Klimabewegungen stehen vor einem Mobilisierungsproblem – ausgerechnet in einer Zeit, in der die Folgen des Klimawandels immer deutlicher werden, etwa durch die Überflutungen in Texas oder die Hitzewelle in Europa.

Ein möglicher Erklärungsansatz ist, dass sich viele Menschen angesichts der Vielzahl gleichzeitig auftretender globaler Krisen und Konflikte überfordert fühlen – Stichwort „Polykrise“: der Krieg in der Ukraine, der Krieg im Gazastreifen sowie die erratische Trump-Politik.

Die Psychologin Lea Dohm hat in einem Interview mit der ARD erklärt, dass es kein mangelndes Interesse gibt, sondern „Viele Menschen sind durch alle Krisen überlastet und wissen gar nicht mehr, wo sie ihre Aufmerksamkeit hinwenden sollen. Und dann tritt etwas ein wie Nachrichtenvermeidung oder ein Rückzug ins Private.“

Dennoch zeigt eine Umfrage des ARD-DeutschlandTrend, dass 70 Prozent der Deutschen überzeugt sind, der Klimawandel lasse sich ohne tiefgreifende Veränderungen unseres Lebensstils nicht stoppen. Das wirkt widersprüchlich.

In der Psychologie lässt sich dieses Verhalten u. a. durch Festingers kognitive Dissonanztheorie erklären. Menschen streben nach innerer Konsistenz zwischen Überzeugungen, Einstellungen und Verhalten. Der Widerspruch besteht hier zwischen der Anerkennung der Folgen des Klimawandels und dem Widerwillen, den eigenen Lebensstil einzuschränken. Obwohl die Fakten bekannt sind, fühlen sich viele überfordert oder wollen sich nicht einschränken. Um den psychologisch unangenehmen Zustand der Dissonanz zu lösen, ändern sie entweder ihre Einstellung oder greifen zu Abwehrmechanismen wie Verdrängung oder Rechtfertigung, wie „Die Politik muss das Lösen“ oder „Mein Beitrag ist zu klein“.

Viele blenden den Klimawandel innerlich aus. Forschende beobachten, dass die Krise zunehmend abstrakt wahrgenommen wird. Psychologin Dohm sieht darin einen normalen Schutzmechanismus gegen Überforderung, warnt jedoch: „Wenn wir jedoch Krisen verdrängen, die eigentlich schnelles Handeln erfordern, riskieren wir, dass sich die Probleme am Ende weiter verschärfen.“

Quellen:

• Themenschwerpunkt Bundestagswahl 2025: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/670815/umfrage/umfrage-zu-den-wichtigsten-themen-im-wahlkampf-zur-bundestagswahl-in-deutschland/
• Welche Themen entschieden die Wahl 2025. https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2021-09-26-BT-DE/umfrage-wahlentscheidend.shtml
• Analyse Koalitionsvertrag: https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/bundintern/mitmachen/2025-Bundestagswahl/Bewertung-KoaV-20250506_01.pdf
• DW: Deutschland wie geht es weiter mit der Klimabewegung: https://www.dw.com/de/deutschland-wie-geht-es-weiter-mit-der-klimabewegung/a-71607427
• Statement FFF Koalitionsvertrag: https://fridaysforfuture.de/klima-im-koalitionsvertrag-fehlanzeige/
• Statement FFF zu Haushaltsdebatte: https://fridaysforfuture.de/statement-fridays-for-future-kritisiert-plaene-der-bundesregierung-fuer-den-neuen-haushalt/
• Präventivhaft Bayern: https://www.spiegel.de/politik/muenchen-vor-der-iaa-immer-mehr-klimaaktivisten-in-bayerischer-praeventivhaft-a-88743eda-2066-4df4-b949-bae7ebdb5e11
• FFF Beeinflusst Deutsche Kaum: https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend/deutschlandtrend-moma-100.html
• Sturzflut Texas: https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/usa-texas-hochwasser-100.html
• Hitzetote Europa: https://www.tagesschau.de/wissen/klima/bilanz-hitzetote-europa-100.html
• Ist Klimaschutz out?: https://www.tagesschau.de/wissen/klima/klimaschutz-psychologie-100.html
• Umfragen zum Klimaschutz: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1427817/umfrage/umfrage-zu-einstellungen-zum-klimaschutz/
• Kognitive Dissonanztheorie: https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/dissonanztheorie/3529
• Radikal für das Klima: https://www.swr.de/unternehmen/kommunikation/ard-story-radikal-fuers-klima-2023-presse-100.html
• Untersuchung der Uni Erfurt: https://projekte.uni-erfurt.de/pace/summary/14/
• Radikale Flanke Definition: https://en.wikipedia.org/wiki/Radical_flank_effect
• Nova-Funk Deutschland: https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/klimaaktivismus-radikaler-protest-fuehrt-zu-mehr-akzeptanz-gemaessigter-forderungen