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2016 – Satire, Comics und totes Fernsehen?

In ihrem Artikel „Slut-Shaming: Wenn sich der Mob zur Moralpolizei erheb“ thematisiert Lara Luttenschlager die Machtwellen sozialer Netzwerke. Der 2016 erschienene Artikel zeichnet die Geschichte der Australierin Olivia Melville nach, deren Tinder Profil von einem Nutzer als zu vulgär empfunden, gescreenshotet und auf Facebook veröffentlicht wurde. Das Profil fanden andere Nutzer*innen ebenfalls zu anrüchig und so waren unter dem Post bald Kommentare zu lesen wie „It’s people like you who make it clear women should never have been given rights“.  Olivias Name steht auch heute noch mit diesem Vorfall in Verbindung – denn das Internet vergisst nicht. Mit ihrem Artikel macht Lara auf das Phänomen der Internet-Moralpolizei, dem digitalen Anprangern und die Folgen für betroffene Personen aufmerksam.

Medienperspektiven à la francaise_Titelbild

Medienperspektiven à la française: eine Schlussbetrachtung

von Sonja Sartor

Einen Blick nach Frankreich zu werfen, lohnt sich. Diese Artikelreihe hat in den letzten Wochen versucht, an einzelnen Aspekten die Vielfalt der französischen Medienlandschaft widerzuspiegeln und dabei auch Themen zu betrachten, die man aus der deutschen Tagespresse weniger kennt. Wir blicken zurück auf die fabelhafte Welt der Medienperspektiven à la française.

Frankreich im Fokus

Die Artikelreihe begann mit zwei großen Medienevents: Die Filmfestspiele von Cannes zeigen jedes Jahr im Mai, das Frankreich immer noch zu den großen Playern der Cineastik gehört. Die Bedeutung des Festivals für das Autorenkino ist immens und die goldene Palme kann als wichtigster Filmpreis nach dem Oscar gesehen werden. In Cannes wird nicht nur bereits gefilmtes Material geehrt, sondern den Weg für die Filme von morgen geebnet.

Der medial weltweit verfolgte Eurovision Song Contest verbreitete Hoffnung in dem von Terror gebeutelten Land. Frankreichs Kandidat Amir landete unter den Top Ten und gab seiner Heimat ein Stück des Nationalstolzes zurück.

Frankreich auf der Leinwand

schluss2Vom französischen Volk anerkannt und verehrt ist nicht nur Amir, sondern vor allem einer der großen Charakterspieler der Grande Nation: Gérard Depardieu. Er kann auf ein turbulentes Leben und herausragende Schauspielleistungen in jeglichen Rollen und Filmgenres zurückblicken. Dass er privat öfters über die Stränge geschlagen hat, wird ihm angesichts des Ruhms, den er über die französischen Grenzen hinaus trägt, großzügig verziehen. Bleibt nur zu hoffen, dass der hünenhafte Tausendsassa mit der sanften Stimme uns noch lange mit neuen Filmen oder Fernsehserien beschenken kann.

In einer kleinen Rückschau wurden die Tabubrüche analysiert, die für das französische Kino so typisch sind. Jean-Jacques Beineix‘ Betty Blue – 37,2 Grad am Morgen (1986) stellte sich als Meisterwerk des Cinéma du look heraus, das dem Zuschauer so eindringlich wie kaum ein anderer Film vor Augen führt, welche extremen Wege ein Liebespaar gehen kann, von dem eine Person an einer ausgeprägten Persönlichkeitsstörung leidet. Der Kontrast zwischen den impulsiven, wutgeladenen und den zärtlichen, zerbrechlichen Momenten Bettys zeugt von großer Filmkunst.

Frankreich hat jedoch auch aktuell interessante und einzigartige Filme anzubieten: In einer Kritik wurde der Dokumentarfilm Tomorrow – die Welt ist voller Lösungen unter die Lupe genommen. Filmemacher Mélanie Laurent und Cyril Dion stellen darin kreative Konzepte vor, die sich gegen den prognostizierten Zusammenbruch der Zivilisation stellen und dazu anregen, selbst Hand anzulegen, damit die Kinder von morgen in einer genauso gut oder sogar besser funktionierenden Welt leben können. Der Film ist ein gelungener Gegenentwurf zu Horrorszenarien rund um den Weltuntergang und ist nicht nur unterhaltend, sondern spendet auch viel Hoffnung, was die Zukunft dieser Erde betrifft.

Frankreich streitet, leidet und steht wieder auf

Weiter ging es mit einem Exkurs zur Debatte rund um das Gesetz Loi Evin. Es setzt seit 1991 relativ strenge Maßstäbe zu Werbung für Alkohol und Tabak. Jedoch ist es französischen Abgeordneten gelungen, das Gesetz im Herbst 2015 aufzuweichen. Wo Medien vorher in Beiträgen aus Vorsicht vor keinen Bezug zu Alkohol erwähnten, ist es jetzt legal, über Wein und andere alkoholische Getränke zu „informieren“. Diese Gesetzesänderung soll den Weintourismus und damit die ins Schwanken geratene französische Wirtschaft fördern. Mitunter zeigt die Debatte, dass Wein trotz aller Warnungen seitens gesundheitlicher Behörden zum französischen Leben dazugehört.

Der Artikel über französische Internettrends räumte mit dem Vorurteil auf, dass Franzosen arrogant sind und nicht über sich selbst lachen können. Anhand der Erfolgs-Webseite Viedemerde.fr wurde festgestellt, dass Internetnutzer heute die peinlichen und frustrierenden Aufreger des Tages mit Tausenden von Leuten teilen, die man früher nur dem engsten Freundeskreis erzählt hätte.

Über ein Jahr nach dem Terroranschlag auf Charlie Hebdo war es Zeit, den Status quo von französischer Satire aufzuarbeiten. Basierend auf einer langen Tradition von Karikaturen und Pamphleten, die bis in die Aufklärung zurückreicht, hat sich in Frankreich eine besonders scharfzüngige Satire ausgebildet. Kein Blatt vor den Mund nehmen, Problematiken überspitzen und Persönlichkeiten und Institutionen lächerlich machen – dies ist essenziell für die funktionierende Demokratie der französischen Republik. Charlie Hebdo hat durch das Attentat Kollegen und damit viel künstlerisches Potenzial verloren und versucht heute, eindeutigere Botschaften zu vermitteln. Aufgeben ist keine Lösung: Frankreich bleibt Charlie.

Abschließend ist zu betonen, dass diese Artikelreihe keinen Anspruch auf die vollständige Abbildung der französischen Medienlandschaft gelegt hat. Ziel war es vielmehr, den Lesern von media-bubble.de einen Einblick in interessante und wichtige französische Medienthematiken zu geben. Frankreich und Deutschland lassen sich im Hinblick auf Medien nur schwer vergleichen. Jede Medienlandschaft ist einzigartig. Einzigartig ist an der französischen Medienlandschaft die große Rolle, die Satire einnimmt. In Zeiten der permanenten Terrorangst ist es bewundernswert, welch standfeste Haltung Frankreich einnimmt, die sich auch in den Medien widerspiegelt. Im Kino hat Frankreich immer wieder neue Maßstäbe gesetzt, Filmgeschichte geschrieben und bringt auch aktuell mit neuen Konzepten frischen Wind in die Kinosäle. Internettrends zeigen, dass sich das französische Volk nicht den Humor und vor allem die Lust am Leben nimmt. Medien aus Frankreich sind besonders und vielfältig – und es wird sich auch in Zukunft lohnen, ab und zu in die französische Medienwelt einzutauchen.

Fotos: Pixabay.com , flickr.com/Becky Lai (CC BY-NC-ND 2.0)


Alle Artikel dieser Reihe:

Wenn Leid zu Glück wird –  Der Eurovision Song Contest 2016

Die Crème de la Crème des Autorenkinos

Gérard Depardieu: „Es hat sich so ergeben“

Ein bisschen Wein muss sein

Filmkritik: Tomorrow – die Welt ist voller Lösungen

Frankreich bleibt Charlie

Der Tabubruch im französischen Film

Französische Webtrends: Mit Humor geht’s besser

Frankreich bleibt Charlie

von Sonja Sartor

Der irische Schriftsteller Jonathan Swift sagte einmal: „Satire ist eine Art Spiegel, in dem das Publikum nur die Gesichter anderer Menschen sieht, aber nicht das eigene.“

In Frankreich nimmt Satire eine zentrale Rolle in der Medienlandschaft ein. Doch wie funktioniert französische Satire überhaupt? Wie ist sie entstanden und was sind ihre Besonderheiten? Diesen Fragen soll in diesem Artikel aus der Reihe Medienperspektiven à la française auf den Grund gegangen werden.

Die schwierigen Anfänge der Satire

Die Tradition französischer Satire reicht bis in die Epoche der Aufklärung zurück. Werke von bekannten Schriftstellern wie Montesquieu und Voltaire werden im  19. Jahrhundert zensiert, weil sich darin satirische Züge über Staat, Gesellschaft und Kirche finden. Durch die Milderung der Zensur infolge der französischen Revolution von 1789 wird eine Flut von Plakaten, Flugblättern und Pamphleten ausgelöst, die dazu dienen, die Bürger in eine öffentliche politische Debatte einzubinden. Die Vorzensur von Schriften wird zwar abgeschafft, jedoch müssen sich Autoren nach Veröffentlichung eines Werkes weiterhin vor der willkürlichen Verfolgung durch die Pariser Polizei fürchten. Unter der Jakobinerdiktatur kann ein einziger Hinweis auf die Treue des Autors gegenüber der Monarchie zur Verhaftung, wenn nicht sogar zum Tod durch die Guillotine führen. Ab 1830 verbreiten sich Karikaturen und satirische Elemente in vielen Zeitungen.

1831 zeichnet der Humorist Honoré Daumier König Louis-Philippe I. als Gargantua, eine saufende und nimmersatte Romanfigur von François Rabelais. Was für ein Affront! Für diese Verunglimpfung des Königs büßt der Karikaturist sechs Monate im Gefängnis ein. Bis zur Presse- und Meinungsfreiheit wie sie Frankreich heute kennt, ist es noch ein langer Weg.

Bissig, bissiger, Charlie Hebdo

Die wichtigsten Satirezeitschriften Frankreichs, die noch heute die französische Medienlandschaft prägen, entstehen im 20. Jahrhundert. Le Canard enchaîné wird bereits während des Ersten Weltkrieges ins Leben gerufen, Charlie Hebdo dagegen erst 1970.

Satire2Der Erfolg der satirischen Wochenzeitung Le Canard enchaîné mit dem witzigen Namen (dt. Die gefesselte Ente) ist ungebrochen. Die Zeitung mit einer Auflage von ca. 700.000 Exemplaren setzt nicht nur auf Satire, sondern auch auf Enthüllungsjournalismus und ist so schon einigen Politikern brandgefährlich geworden. So trat die Außenministerin Michèle Aillot-Marie 2011 zurück, nachdem die Satirezeitung aufgedeckt hatte, dass die Politikerin Kontakte zum tunesischen Ex-Diktator Ben Ali pflegte und während der Unruhen Urlaub in Tunesien machte. Gute Kontakte in höhere Kreise haben der Zeitung schon so manchen Scoop verschafft; man sagt, Le Canard Enchaîné besäße das beste Informantennetzwerk Frankreichs.

Satire3Zwar ist Le Canard Enchaîné die traditionsreichere der beiden Satiremedien, jedoch ist Charlie Hebdo mindestens genauso bedeutend. Charlie Hebdo fällt auf mit seinen grellen Comics, Fotomontagen und großformatigen provokativen Karikaturen, die keine Rücksicht auf jegliche Institution oder Persönlichkeit nehmen. Die Wochenzeitung ist die bissigste aller französischen Satiremedien und wurde bereits 14 Mal verklagt – und hat dabei keinen einzigen Prozess verloren. Das deutsche Satiremagazin Titanic ist im Vergleich dazu relativ harmlos. Religiöse Satire über Islam, Juden- und Christentum sind ein fester Bestandteil der Zeitung. Charlie Hebdo gehört auch zu den wenigen Zeitungen in Europa, die die Mohammed-Karikaturen 2007 abdruckte und um eigene Persiflagen erweiterte. Die Bedrohung durch Extremisten war schon  vor 2015 reeller, als den Zeichnern lieb war. Das Pariser Büro wurde 2011 durch einen Brandanschlag verwüstet, der bis heute nicht aufgeklärt werden konnte. Einige Karikaturisten standen wegen Morddrohungen unter Polizeischutz. Am 7. Januar 2015 erschossen zwei Terroristen zehn Mitglieder der Redaktion, darunter der berühmte Zeichner Charb alias Stéphane Charbonnier. Medien weltweit zeigten sich tief erschüttert und bekundeten ihre Solidarität mit dem französischen Satireblatt.

Weitermachen, trotz allem

Und wie steht es nun um Charlie Hebdo nach den Anschlägen? In einem Interview mit dem Tagesspiegel beklagt der Chefredakteur Gérard Biard neben den psychischen Auswirkungen auf das Team auch die schwierige Suche nach talentierten Karikaturisten: „Wir versuchen, nicht daran zu denken, was passiert ist. Wir machen weiter, trotz all der Schwierigkeiten. Wir müssen sehr gute Zeichner finden, aber uns wird immer klarer, wie herausragend die getöteten Kollegen Charb, Honoré, Wolinski, Tignous und Cabu waren. Auch wenn es hart klingt: Viele Karikaturen sind nicht gut genug.“

Auch die Arbeitsweise der Redaktion selbst hat sich verändert, so die Zeichnerin Coco Rey gegenüber der Welt: „Wir sind nicht mehr das kleine Käseblatt, das in der Ecke vor sich hin arbeitet und nicht mal 30.000 Abonnenten hat. Wir wissen, dass Charlie jetzt weltweit gelesen wird. Also achten wir darauf, dass die Botschaft unserer Zeichnungen klar und eindeutig ist. Wir können uns nicht das geringste Missverständnis leisten. Wir versuchen natürlich, die Finesse, die Ironie, die Satire beizubehalten, hüten uns aber vor doppeldeutigen Botschaften. Aber ich bedauere es, dass ein so tragisches Ereignis nötig war, um den Leuten klarzumachen, wie wichtig und sogar notwendig Charlie für unsere Demokratie und die Freiheit der Meinungsäußerung ist.“

Frankreich bleibt Charlie. Es braucht Satire als Ausdruck freier Meinungsäußerung. Die Karikatur ist etwas typisch Französisches. Mit der Kraft von Stift und Papier wird gegen Staat, Kirche, Extremisten in allen Bereichen, gegen Missstände in Wirtschaft und Gesellschaft protestiert. Satire schaut den Politikern auf die Finger und hält der Gesellschaft den Spiegel vor. Satire ermöglicht, Dinge aus einer anderen Perspektive als die der klassischen Medien zu sehen. Satire ist vor allem Bestandteil einer funktionierenden Demokratie, in der Kritik am System nicht nur geduldet, sondern willkommen ist.

Fotos: flickr.com/Esther Vargas (CC BY-SA 2.0), flickr.com/Mona Eberhardt (CC BY-SA 2.0), flickr.com/Rob Watling (CC BY-NC-ND 2.0)


Weitere Artikel dieser Reihe:

Wenn Leid zu Glück wird –  Der Eurovision Song Contest 2016

Die Crème de la Crème des Autorenkinos

Gérard Depardieu: „Es hat sich so ergeben“

Ein bisschen Wein muss sein

Filmkritik: Tomorrow – die Welt ist voller Lösungen

„Satire und Aufklärung nach Charlie Hebdo“ mit Martin Sonneborn

Von Andrea Kroner

Martin Sonneborn irritiert durch Versuche der „Weltverbesserung“ und hat auch schon für einige Skandale gesorgt. Doch wofür steht er und was möchte er erreichen? Bei ihm ist das schwer zu sagen, denn keiner weiß, was er wirklich ernst meint!

 Die Arbeit eines Abgeordneten

„Vorsicht Satire!“, müsste man fast rufen, bevor er den Mund öffnet, denn selbst als Abgeordneter des Europaparlaments sind die meisten seiner Aussagen keinesfalls ernst gemeint, eher das Gegenteil ist die Regel. Das wird besonders deutlich, als er seine Arbeit weiterempfiehlt, weil er für 33.000€ im Monat erst um 12 Uhr zu den Abstimmungen erscheinen muss. Die Arbeit selbst als Fraktionsloser sei nicht immer einfach, denn Sonneborn ist dort in den Reihen bei Weitem nicht der Verhaltensauffälligste. Bei den Fraktionslosen sitzen alle, die zu extrem sind, um in eine bestehende Fraktion zu passen oder gar nicht aufgenommen werden wollen. Viele von ihnen sind rechtsradikal, nationalsozialistisch oder judenfeindlich eingestellt. Sein Antrag auf einen anderen Platz wurde jedoch leider abgelehnt.

 Einmal im Monat gibt es einen Ortswechsel, wenn alle Abgeordneten für Abstimmungen nach Straßburg gebracht werden. Ob wohl auch alle Limousinen der Abgeordneten von Brüssel dorthin gefahren werden? Darauf hat Sonneborn leider nie eine Antwort bekommen. Die Abstimmungen selbst werden jedoch so schnell durchgeführt, dass sich ein einzelner Abgeordneter nicht mit allen Themen befassen kann. Aber als „Kleiner“ kann Sonneborn sowieso nichts erreichen, da es feste Fraktionen mit genügend Stimmen gibt.

Was Satire ändern kann                                                                                                               

In seiner Magisterarbeit hatte Sonneborn noch geschrieben, dass es in der heutigen Zeit für die Satire keine Möglichkeit mehr gäbe, etwas zu verändern. Während seiner Zeit als Redakteur des Satiremagazins „Titanic“ wurde er jedoch eines Besseren belehrt und hat gemerkt, dass Satire viel Potenzial zur „Weltverbesserung“ habe. Deshalb glaubt er auch nicht, dass er es eines Tages leid sein könne, die Schwachstellen seiner Gegenüber satirisch aufzuarbeiten.

 Anders als viele andere glaubt er nicht, dass Satire Grenzen hat, im Gegenteil: Er bekräftigt sogar, dass es der Auftrag der „Titanic“ sei, monatlich die Grenzen der Satire neu auszuloten. Das gilt auch für Gleichberechtigung in der Satire. Es sei diskriminierend, eine Gruppe nicht satirisch zu behandeln. Und viele in den betreffenden Gruppen wollen auch gar nicht ausgespart werden, so stammen die besten Karikaturen über Behinderte seiner Meinung nach von einem britischen Rollstuhlfahrer. Deshalb findet Sonneborn auch, dass man nicht grundsätzlich sagen kann, was für Satire erlaubt ist und was nicht. Daran anknüpfend stellte sich die Frage, ob er überhaupt zur Empathie fähig sei und Mitleid für seine Opfer empfinden könne. Für ihn hat diese Eigenschaft jedoch nichts mit seiner Arbeit zu tun, denn sein Ziel sei es nicht, andere Menschen zu verletzen, sondern zum Nachdenken zu provozieren.

Satire ist in

In letzter Zeit hat die Satire stark an Popularität gewonnen: Im Internet wird man zwangsweise mit ihr konfrontiert und Ironie ist für viele ein Schlüssel zum Erfolg geworden. Deshalb möchte Sonneborn mit seiner Arbeit zu einer neuen Ernsthaftigkeit zurückfinden und Satire nur mit einem überdachten Ansatz und aufklärerischen Moment machen. Ihm geht es dabei weniger um den Witz, als vielmehr um das Offenlegen von Ereignissen, die in anderen, seriösen Formaten nicht gezeigt oder gesagt werden dürfen. So hat er in „Sonneborn rettet die Welt“ ein Interview mit der Deutschen Bank geführt, welches ihm „drehbuchähnlich“ vorgegeben war – sowohl die Fragen, als auch die Antworten wurden ihm im Vorfeld zugeschickt. Trotz dieser Einschränkungen ist er zu dem Termin erschienen und hat gezeigt, wie sich „seriöse“ Medien ihre „freie“ Berichterstattung diktieren lassen. Bei solchen Aktionen profitiert er stets von seiner überwältigenden Glaubwürdigkeit, denn augenscheinlich tritt er immer so seriös auf, wie sein Gegenüber.

Sein Einsatz für die kleinen Dinge

Nach einem donnernden Applaus und vielen Lachern beendete Sonneborn seinen gelungenen Auftritt. Zum Abschluss ließ er es sich jedoch nicht nehmen, noch anzukündigen, dass er sich als Abgeordneter im Europaparlament für die Anliegen einsetzen möchte, die sonst wenig interessieren. Darunter fallen beispielsweise die Idee, dass man in Zukunft Geld für die Nutzung von Google bekommen solle oder die Wiedereinführung der Gurkenkrümmungsverordnung. Dadurch möchte er seine Politikerkollegen in Bedrängnis bringen und zeigen, wie sinnlos so manche politische Entscheidung ist. Was er damit wirklich erreichen kann, wird die Zukunft zeigen.

Foto: Wikimedia.org

Hashtag-Solidarität

Ein Kommentar von Marius Lang und Sanja Döttling

„Je suis Charlie“: diese Worte kennzeichnen Solidarität mit Charlie Hebdo. Die Pariser Satirezeitung machte schon in der Vergangenheit Schlagzeilen, als sie Karikaturen von Mohammed, dem Propheten des Islam, zeigte. Letzte Woche drangen zwei Attentäter mit radikal-islamischem Hintergrund in die Redaktion ein und töteten dort und auf ihrer darauffolgenden Flucht zwölf Menschen, ein dritter Terrorist tötete später fünf weitere Personen. In Paris wurde die höchste Terrorwarnstufe ausgerufen.

Mit einem Mal wird wieder diskutiert: Über die Freiheit von Satire und Rede, sowie die Notwendigkeit einer furchtlosen Presse. Der Hashtag „Je suis Charlie“ ging um die Welt, war auf der Gala der Golden Globes zu sehen und erschien in den Simpsons. Die Welt fordert Mut, von Satire und Presse. Und bekommt bedruckte T-Shirts und Kaffeetassen.

Anschlags-Merchandise

Anteilnahme und Betroffenheit sind nicht daran gebunden, wie gut man Betroffene kennt. Schlimm wird es, wenn diese Solidarität für eigene Zwecke verwendet wird. Denn ein Terroranschlag kann Kassen füllen. Die erste Ausgabe von Charlie Hebdo nach dem Anschlag wird auf ebay für viel Geld verkauft, Gebote übersteigen 100 Euro. Dazu gibt es passendes Merchandise: Cappies and Plakate. Sie alle verkünden: „Je suis Charlie“. Die Solidaritätsbekundung verkommt zur Modeerscheinung. Der Künstler, der den Satz weiß auf schwarz gestaltete, bereut seine Entscheidung jetzt. Die Frage ist: geht es den Verkäufern um die Botschaft? Oder den Profit?

Das ‚Ich‘ in Charlie

Doch „Je suis Charlie“ ist vor allem eines: ein persönliches Statement. ICH bin Charlie. Seht her, ich unterstütze die Freiheit, ich bin gegen den Terror! Seht, denn ich habe es auf Facebook gepostet. Und auf Twitter. Es steht sogar auf meiner Kaffeetasse! So einfach ist es heutzutage, seine Anteilnahme am Weltgeschehen zu zeigen, sie jedem zu zeigen, der gerade zuhört oder auch nicht.

Doch wie tiefgehend ist diese Anteilnahme, wie informiert ist die Solidarität? Kaum einer nimmt sich mehr als ein paar Sekunden für einen Facebook-Post oder einen Tweet. Denn genauso schnell, wie die Nachricht von neuem ersetzt wird, genauso schnell gerät der Vorfall in Vergessenheit. In zwei Jahren wird man diesen Slogan für die Pressefreiheit nicht einmal mehr erkennen.

Lügen der Anteilnahme

Doch es geht noch viel schlimmer: wenn Anschläge für anti-muslimische Propaganda misbraucht werden. Die Rechten und Erzkonservativen Europas sehen ihre Gelegenheit und springen fix auf den Trauerzug auf. Ob nun französische Nationalisten oder Pegida, sie alle zeigen nun gespielte Anteilnahme mit Charlie Hebdo, das sie bis vor kurzem als Gegner sahen. Dem Blatt, das ihre Flaggschiffe wie Marie Le Pen und ihre Front National durch den Kakao zog. Nun nutzen sie die Tragödie aus, um weiter gegen Muslime und die angebliche Islamisierung des Abendlandes zu hetzen: Pegida aussi est Charlie!

Satire solidarisch

Ernsthaft bestürzt wirkten dagegen etwa die Mitglieder der deutschen Satirezeitschrift Titanic. Ihre eigene berufliche Nähe zu den französischen Kollegen macht die Solidarität umso glaubhafter. Die Internetpräsenz der Titanic war nach dem Vorfall zunächst in Schwarz gerahmt. Und auch die Anteilnahme von Muslimen in aller Welt, ganz gleich, ob sie die Karikaturen lustig fanden oder nicht, ist stark. In den Zeitungen muslimisch geprägter Länder finden sich Karikaturen, die Redefreiheit, Pressefreiheit und den Mut der Satire bestärken.

Presse muss frei bleiben; allein schon, um weiterhin gegen Hetze und Angstmacherei vorgehen zu können. Doch Solidarität ist kein Trend, kein Hashtag, den man sich einfach auf die Pinnwand postet. Solidarität fängt vielleicht mit einem Slogan an, sollte da aber nicht enden.

 

Foto: flickr.com/Tjebbe van Tijen (CC BY-ND 2.0)

Fernsehen über sich selbst: „Fatal!“

von Sanja Döttling

Sie toben, sie lästern – und ganz oft geben sie einfach jede Hoffnung auf.  Das Fernsehprogramm der Bundesrepublik sorgt nicht nur bei den Zuschauern, sondern auch bei Fernsehmachern für Verzweiflung.

„Warum verdächtigen Sie mich genau?“ fragt der Atomlobby-Vorsitzende. „Weil das den Zuschauern gefällt“, erwidert die Kommissarin trocken. Kurz darauf, Verhörraum. „Blödsinn! Ich kanns gar nicht gewesen sein!“, ruft der Verdächtige. „Wieso?“ fragt die Kommissarin, und er darauf: „Weil wir erst in der Mitte des Tatorts sind.“

Fernsehen über Fernsehen

Walulis sieht fern – und lässt und Glücklicherweise mitschauen. Gerade: Tatort in 123 Sekunden. In zwei Minuten ein Möchtegern-Tatort, der überraschend genau an das Original herankommt: mit „verkrampftem Sozialkritischen Einschlag“, Product Palcement Produktionshilfe und leeren Requisiten.

Walulis macht Satire über Fernsehen. Im Fernsehen. Wie die Medien selbst, so auch ihre Wissenschaft: Die Medien- und Kommunikationswissenschaften reden ebenfalls gerne über sich selbst. Das nennen Wissenschaftler Autologieproblem und bedeutet „Kommunikation über Kommunikation“. Was im Einführungswerk trockentheoretische Schachtelsätze sind, wird im Fernsehen über Fernsehen zu Unterhaltung, für die man sich hinterher nicht zu Schämen braucht.

Walulis, der Mann mit dem zungenbrecherischen Namen, ist Fernsehmacher – aber irgendwie auch Medienwissenschaftler. Denn er prüft, analysiert und seziert seinen Berufstand ganz genau. Damit folgt er Sendungen wie Switch (reloaded) und Kalkofes Mattscheibe, die schon seit Mitte der 90er dem täglichen Fernsehwahnsinn auf die Finger klopfen. Was neu ist bei Walulis ist die Verbindung von Sketch-Einlagen, die Sendungen gekonnt auf die Spitze treiben, und spaßigen, gleichzeitig aber interessanten Antworten auf die Frage: „Warum?“ Warum, zum Beispiel, schauen wir Hartz IV-TV schlechte Dokuserien, deren Wirklichkeitsgehalt man stark bezweifeln kann? Walulis gibt uns den Grund: Die Abwärtsversicherung. Wir wollen sehen,  dass andere Menschen ärmer, schussliger und dümmer sind als wir selbst.

Die Sketche brechen gerne die sogenannte Vierte Wand, das heißt, dass sich die Figuren ihrer Fiktionalität bewusst werden. Im Fake-Tatort unterhalten sich die flennende Kommissarin und der verraffte Kommissar über Charakterzeichung im Film: „Ich weiß, es bringt die Handlung nicht voran“, sagt sie, schniefend. „Außerdem nimmt es die Spannung raus“, mault er. Und sie: „Is aber wichtig für die Bindung an den Zuschauer.“ Und so sagt die Moderatorin in der von Walulis und Co. gedrehten, satirischen Dokusoap „Landwirt sucht Liebe“: „Es geht lediglich darum, sich an minderbemittelten Menschen zu ergötzen und – Quote natürlich.“

Die Medienkritik kam aber nicht mit Scripted Reality ins Fernsehen, sondern ist so alt wie die Massenmedien selbst. Bertolt Brecht warnte in Bezug auf das Radio schon vor 70 Jahren: „Man hatte plötzlich die Möglichkeit, allen alles zu sagen, aber man hatte, wenn man es sich überlegte, nichts zu sagen.“

Medienkritik – aber lustig

So unterhaltsam wie mit Walulis, Mattscheibe und Switch ist Medienkritik selten. Witz ist nichts, was es im deutschen Fernsehen zu viel gibt. Wenn Witz und Kritik zusammenkommen, schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe. Philipp Walulis sagt das der Süddeutschen so: „Ich will die Leute unterhalten und ihnen nebenbei ein bisschen Kritik unterjubeln. Nichts ist schrecklicher, als aktiv belehrt zu werden, mit erhobenem Zeigefinger. Eine Sendung muss Spaß machen, sonst bleibt keiner dran.“

Das lehrt uns zweierlei: Erstens: Die Deutschen sind ganz und gar nicht humorlos. Und Zweitens: Der stereotype, dumme Zuschauer ist nicht so weit verbreitet, wie große Fernsehstudios annehmen. Denn wie sonst lassen sich 300,000 Aufrufe des Tatort-Clips und im Schnitt 14 Prozent Marktanteil, also fast zwei Millionen Zuschauer bei der werberelevanten Zielgruppe, für switch reloaded erklären?

Denn satirische Fernsehsendungen, wie switch reloaded machen furchtbares Fernsehen wieder unterhaltsam, denn es gibt auch im Altbekannten viel Neues zu entdecken: Die FAZ schreibt : „Die Hingabe ihrer Macher an das von vielen verachtete, gegen seinen Bedeutungsverlust kämpfende Fernsehen hat durchaus etwas Altmodisches: Sie schauen so genau hin wie sonst fast niemand mehr.“ Denn ja: Fernsehen kann Spaß machen. Nur ernst nehmen sollte man das Programm nicht. Wem bei Diskussionen über den Zuckergehalt von Bioprodukten dennoch die Haare zu Berge stehen, der kann sich an den Kindermoderator Peter Lustig halten, der die beste Lösung für Fernseh-Probleme hatte: „Abschalten„.

Foto: flickr/Thomas Hawk (CC BY-NC 2.0)