von Sonja Sartor
Der irische Schriftsteller Jonathan Swift sagte einmal: „Satire ist eine Art Spiegel, in dem das Publikum nur die Gesichter anderer Menschen sieht, aber nicht das eigene.“
In Frankreich nimmt Satire eine zentrale Rolle in der Medienlandschaft ein. Doch wie funktioniert französische Satire überhaupt? Wie ist sie entstanden und was sind ihre Besonderheiten? Diesen Fragen soll in diesem Artikel aus der Reihe Medienperspektiven à la française auf den Grund gegangen werden.
Die schwierigen Anfänge der Satire
Die Tradition französischer Satire reicht bis in die Epoche der Aufklärung zurück. Werke von bekannten Schriftstellern wie Montesquieu und Voltaire werden im 19. Jahrhundert zensiert, weil sich darin satirische Züge über Staat, Gesellschaft und Kirche finden. Durch die Milderung der Zensur infolge der französischen Revolution von 1789 wird eine Flut von Plakaten, Flugblättern und Pamphleten ausgelöst, die dazu dienen, die Bürger in eine öffentliche politische Debatte einzubinden. Die Vorzensur von Schriften wird zwar abgeschafft, jedoch müssen sich Autoren nach Veröffentlichung eines Werkes weiterhin vor der willkürlichen Verfolgung durch die Pariser Polizei fürchten. Unter der Jakobinerdiktatur kann ein einziger Hinweis auf die Treue des Autors gegenüber der Monarchie zur Verhaftung, wenn nicht sogar zum Tod durch die Guillotine führen. Ab 1830 verbreiten sich Karikaturen und satirische Elemente in vielen Zeitungen.
1831 zeichnet der Humorist Honoré Daumier König Louis-Philippe I. als Gargantua, eine saufende und nimmersatte Romanfigur von François Rabelais. Was für ein Affront! Für diese Verunglimpfung des Königs büßt der Karikaturist sechs Monate im Gefängnis ein. Bis zur Presse- und Meinungsfreiheit wie sie Frankreich heute kennt, ist es noch ein langer Weg.
Bissig, bissiger, Charlie Hebdo
Die wichtigsten Satirezeitschriften Frankreichs, die noch heute die französische Medienlandschaft prägen, entstehen im 20. Jahrhundert. Le Canard enchaîné wird bereits während des Ersten Weltkrieges ins Leben gerufen, Charlie Hebdo dagegen erst 1970.
Der Erfolg der satirischen Wochenzeitung Le Canard enchaîné mit dem witzigen Namen (dt. Die gefesselte Ente) ist ungebrochen. Die Zeitung mit einer Auflage von ca. 700.000 Exemplaren setzt nicht nur auf Satire, sondern auch auf Enthüllungsjournalismus und ist so schon einigen Politikern brandgefährlich geworden. So trat die Außenministerin Michèle Aillot-Marie 2011 zurück, nachdem die Satirezeitung aufgedeckt hatte, dass die Politikerin Kontakte zum tunesischen Ex-Diktator Ben Ali pflegte und während der Unruhen Urlaub in Tunesien machte. Gute Kontakte in höhere Kreise haben der Zeitung schon so manchen Scoop verschafft; man sagt, Le Canard Enchaîné besäße das beste Informantennetzwerk Frankreichs.
Zwar ist Le Canard Enchaîné die traditionsreichere der beiden Satiremedien, jedoch ist Charlie Hebdo mindestens genauso bedeutend. Charlie Hebdo fällt auf mit seinen grellen Comics, Fotomontagen und großformatigen provokativen Karikaturen, die keine Rücksicht auf jegliche Institution oder Persönlichkeit nehmen. Die Wochenzeitung ist die bissigste aller französischen Satiremedien und wurde bereits 14 Mal verklagt – und hat dabei keinen einzigen Prozess verloren. Das deutsche Satiremagazin Titanic ist im Vergleich dazu relativ harmlos. Religiöse Satire über Islam, Juden- und Christentum sind ein fester Bestandteil der Zeitung. Charlie Hebdo gehört auch zu den wenigen Zeitungen in Europa, die die Mohammed-Karikaturen 2007 abdruckte und um eigene Persiflagen erweiterte. Die Bedrohung durch Extremisten war schon vor 2015 reeller, als den Zeichnern lieb war. Das Pariser Büro wurde 2011 durch einen Brandanschlag verwüstet, der bis heute nicht aufgeklärt werden konnte. Einige Karikaturisten standen wegen Morddrohungen unter Polizeischutz. Am 7. Januar 2015 erschossen zwei Terroristen zehn Mitglieder der Redaktion, darunter der berühmte Zeichner Charb alias Stéphane Charbonnier. Medien weltweit zeigten sich tief erschüttert und bekundeten ihre Solidarität mit dem französischen Satireblatt.
Weitermachen, trotz allem
Und wie steht es nun um Charlie Hebdo nach den Anschlägen? In einem Interview mit dem Tagesspiegel beklagt der Chefredakteur Gérard Biard neben den psychischen Auswirkungen auf das Team auch die schwierige Suche nach talentierten Karikaturisten: „Wir versuchen, nicht daran zu denken, was passiert ist. Wir machen weiter, trotz all der Schwierigkeiten. Wir müssen sehr gute Zeichner finden, aber uns wird immer klarer, wie herausragend die getöteten Kollegen Charb, Honoré, Wolinski, Tignous und Cabu waren. Auch wenn es hart klingt: Viele Karikaturen sind nicht gut genug.“
Auch die Arbeitsweise der Redaktion selbst hat sich verändert, so die Zeichnerin Coco Rey gegenüber der Welt: „Wir sind nicht mehr das kleine Käseblatt, das in der Ecke vor sich hin arbeitet und nicht mal 30.000 Abonnenten hat. Wir wissen, dass Charlie jetzt weltweit gelesen wird. Also achten wir darauf, dass die Botschaft unserer Zeichnungen klar und eindeutig ist. Wir können uns nicht das geringste Missverständnis leisten. Wir versuchen natürlich, die Finesse, die Ironie, die Satire beizubehalten, hüten uns aber vor doppeldeutigen Botschaften. Aber ich bedauere es, dass ein so tragisches Ereignis nötig war, um den Leuten klarzumachen, wie wichtig und sogar notwendig Charlie für unsere Demokratie und die Freiheit der Meinungsäußerung ist.“
Frankreich bleibt Charlie. Es braucht Satire als Ausdruck freier Meinungsäußerung. Die Karikatur ist etwas typisch Französisches. Mit der Kraft von Stift und Papier wird gegen Staat, Kirche, Extremisten in allen Bereichen, gegen Missstände in Wirtschaft und Gesellschaft protestiert. Satire schaut den Politikern auf die Finger und hält der Gesellschaft den Spiegel vor. Satire ermöglicht, Dinge aus einer anderen Perspektive als die der klassischen Medien zu sehen. Satire ist vor allem Bestandteil einer funktionierenden Demokratie, in der Kritik am System nicht nur geduldet, sondern willkommen ist.
Fotos: flickr.com/Esther Vargas (CC BY-SA 2.0), flickr.com/Mona Eberhardt (CC BY-SA 2.0), flickr.com/Rob Watling (CC BY-NC-ND 2.0)
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