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Das Identitätsdilemma im digitalen Zeitalter

Von Valerie Heck

Nur noch sehr wenige Menschen sind nicht in mindestens einem sozialen Netzwerk wie Facebook, Instagram oder Twitter angemeldet. Es wird neben der realen eine virtuelle Welt geschaffen, in der der Mensch die Möglichkeit bekommt, sich so zu präsentieren, wie er sein möchte. Doch was bedeutet dies für die eigene Identität? Gibt es noch das eine Ich, wenn im Internet eine Vielzahl virtueller Identitäten aufgebaut werden können?

Ich – Das können viele sein

Daniela Schneider ist Aktionistin für Veganismus, die regelmäßig Beiträge und Artikel zu diesem Thema auf ihrer Facebook-Seite postet. Bei Instagram heißt sie „danispics“, ist Hobbyfotografin und veröffentlicht die schönsten Schnappschüsse aus Alltag und Urlaub. Und bei Tinder ist sie „Daniela“, die gerne kocht und sportlich ist, um mit diesen Eigenschaften die Männer in der Umgebung zu beeindrucken. Es sind drei Namen und drei Identitäten, doch eigentlich steckt nur eine Frau dahinter.

Was im realen Leben nicht denkbar ist, wird in der virtuellen Welt Wirklichkeit, denn das Internet und soziale Netzwerke ermöglichen es, in viele verschiedene Rollen zu schlüpfen oder bestimmte Facetten der Persönlichkeit in den Vordergrund zu stellen. Man spricht von „virtuellen Identitäten“ und meint damit die Art und Weise, wie Menschen sich selbst in der computervermittelten Kommunikation präsentieren. Gründe für den Aufbau von virtuellen Identitäten gibt es viele.

Zum einen geht es darum, bestimmte Eigenschaften zu betonen, um mehr Akzeptanz im virtuellen Umfeld zu erlangen. Wie Daniela, die bei Facebook ihre vegane Lebensart betont, weil viele Freunde Veganer sind. Bei Instagram stellt sie ihre aktive Seite mit Fotos von Reisen und Ausflügen in den Mittelpunkt. Bei Tinder hebt sie Eigenschaften hervor, die bei Männern gut ankommen könnten. In diesem Fall sind die Grenzen zwischen den Identitäten fließend. Zum anderen ist es durch die Anonymität in Chatrooms möglich, seine wirkliche Identität vollkommen zu verbergen und eine Tarnidentität aufzubauen. Die Person macht sich dünner, erfolgreicher oder attraktiver, um befreit von Vorurteilen und sozialem Druck ernst genommen zu werden. In diesem Fall spricht man von „Selbstmaskierung“: Es wird eine virtuelle Identität konstruiert, die sich stark von der Realität unterscheidet, um etwas ausleben zu können, was im realen Leben nicht möglich ist.

Eine selbstidealisierende Maskerade

Identität

In sozialen Medien wie Facebook oder Instagram ist das virtuelle Ich aber nicht länger eine Maske, sondern eng mit dem Offline-Leben verwoben. Die Alltagswelt wird auf den Plattformen geprägt, wo größtenteils Freunde, Familienmitglieder und Kollegen aus der realen Welt durch Fotos, Videos und Kommentare einen Einblick in das eigene Leben bekommen. Das heißt allerdings nicht, dass die „Freunde“ oder „Follower“ in sozialen Netzwerken die eine „echte“ Identität präsentiert bekommen. Die präsentierte Person hat vielleicht Ähnlichkeit mit der Person in der realen Welt, aber heute ist nichts einfacher als sein Selbstbild im Netz mitzubestimmen oder zu idealisieren. Es geht dabei nicht darum zu zeigen, wer ich bin, sondern um die Frage „Wer könnte ich sein?“. Das Selfie wurde in den letzten zwei Jahren zur vorherrschenden Ausdrucksform dieses idealisierten Ichs, denn darin wird das reale Leben häufig wie auf einer Bühne inszeniert. Wer postet schon ein Foto, auf dem er traurig und alleine auf dem Sofa sitzt? Man zeigt sich in Situationen, in denen man etwas Positives aus dem eigenen Leben mitteilen möchte: „Ich habe etwas Leckeres gekocht“ oder „Ich habe eine wunderschöne Zeit im Urlaub“. Der Trend liegt darin, den eigenen Alltag zu überhöhen und so wird im Internet ein „besseres Ich“ bzw. eine idealisierte Identität geschaffen, die sich aus Status Updates, Fotos und Tweets zusammensetzt.

Insbesondere Kevin Systroms Plattform Instagram, bei der Fotos mit schmeichelnden Filtern verschönert und dann hochgeladen werden können, ist zum Sinnbild der öffentlichen positiven Selbstdarstellung geworden. Instagram liefert nämlich kein gnadenlos ehrliches Bild, sondern schmeichelhafte Bilder, die, laut Alex Williams von der NY Times jeden „ein bisschen jünger, hübscher und Cover-würdiger aussehen“ lassen. Nutzer präsentieren sich und ihr Leben „im Layout eines Hochglanzmagazins“. Leute, die durch das Instagram Profil scrollen, sollen wollen, was du hast. Beeindrucken und Selbstreklame ist hierbei vor allen Dingen bei jungen Leuten das Motto, egal wie die Realität dahinter aussieht.

Virtuelle Anerkennung als Existenzbeweis

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Ist der Urlaub eigentlich wirklich passiert, wenn ich kein Foto vom Strand auf meiner Instagram-Seite veröffentlicht und dazu Feedback in Form von Likes und Kommentaren bekommen habe? Hinter den Fotos, Kommentaren und Videos in sozialen Netzwerken steckt der Wunsch nach Aufmerksamkeit und Anerkennung, der eng mit der Identitätsfrage verwoben ist. Zugehörigkeit und soziale Akzeptanz sind im Kollektiv wichtig: Nur wenn ich von meinem sozialen Umfeld akzeptiert werde, bilde ich eine Identität.

Der Alltag wird immer mehr vom Nachrichtenstrom in den sozialen Netzwerken bestimmt. Mit Tweets und Instagram-Fotos wird das eigene Dasein bewiesen, denn wer nicht postet, hört auf, zu existieren. Jürgen Fritz, Professor am Institut für Medienforschung und Medienpädagogik in Köln, schreibt, dass Aufmerksamkeit die Essenz sei, die die virtuelle Welt mit Leben füllt und die Interaktionen ermöglicht. Über Posten wird eine eigene Relevanz geschaffen.

Mit dieser Erkenntnis wird die am Anfang gestellte Frage, ob es überhaupt noch das eine Ich gibt, wenn im Internet eine Vielzahl virtueller Identitäten aufgebaut werden, fast hinfällig. Wer ich bin wird durch das virtuelle Umfeld bestimmt und damit stellt sich die Frage: Gibt es überhaupt noch eine Identität außerhalb der virtuellen Welt?

Fotos: flickr.com/Zlatko Vickovic (CC BY 2.0), flickr.com/Kroejsanka Mediteranka (CC BY-NC-ND 2.0)

Update completed: Sie sind jetzt vollständig vernetzt

Von Valerie Heck, Miriam Lenz und Anita Mäck

Vollständige Vernetzung, permanentes Einspeisen von Daten und selbstständig miteinander kommunizierende Maschinen – das ist längst kein Zukunftsentwurf mehr. Studenten organisieren den Unialltag über Facebook und WhatsApp. Frischgebackene Mütter tauschen sich in Blogs über Erziehungstipps aus. Familien überprüfen im Urlaub über ein Tablet, ob zu Hause die Tür verschlossen ist. Locked-in-Patienten kommunizieren mit Hilfe von Computern. Sportbegeisterte bekommen immer wieder Werbung für Sneakers, für die sie sich zuvor interessiert hatten. Gesundheitsbewusste überprüfen mit Pulsarmbändern ihre Aktivität.

Es sind alltägliche Kommunikationsmittel und Anwendungen, die zusammenhangslos scheinen, aber zur vollständigen Vernetzung und Profilerstellung führen. Die folgende Artikelreihe beschäftigt sich deshalb damit, was mit uns passiert, wenn wir zunehmend online unterwegs sind, unsere Daten preisgeben und uns auf Maschinen verlassen. Es stellen sich politische und ethische Fragen, wie z. B. wie viel Macht wir Maschinen zugestehen, wie sehr wir uns noch auf unsere eigenen Fähigkeiten verlassen, wie sehr wir zum gläsernen, manipulierbaren Bürger werden und wie sich die Definition von Privatsphäre verändert.

In den kommenden neun Tagen wird täglich ein Artikel veröffentlicht, der eine oder mehrere dieser Fragen behandelt. Das sind die Titel:

  1. Das Identitätsdilemma im digitalen Zeitalter
  2. „Ein Freund, ein guter Freund…“?
  3. Eine Frage der Macht
  4. Die Gedanken sind frei?!
  5. Scrollst du noch oder weißt du’s schon?
  6. Das Streben nach Perfektion
  7. Der errechnete Mensch
  8. Smart Home: Vernetztes Wohnen heute und in Zukunft
  9. Silicon Valley: Die Tech-Elite unter sich

Foto: flickr.com/Sacha Fernandez (CC BY-NC-ND 2.0)

Abschied vom Pessimismus – Warum der Journalismus von der digitalen Revolution profitiert

von Sabine Appel

 

Jedes Jahr lädt das Institut für Medienwissenschaft in Kooperation mit dem SWR prominente Persönlichkeiten zu einem Vortrag über aktuelle Themen in der Medienbranche ein. Gast bei der 11. Tübinger Mediendozentur am Montagabend, den 26. Mai 2014, war Dr. Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE. Er sprach über die aktuelle Sinnkrise des Journalismus, die aus der Digitalisierung entstanden ist und vertrat die Meinung, dass man ihr deutlich optimistischer entgegenblicken sollte als bisher. „Plakativer Pessimismus“ sei fehl am Platz, denn eigentlich biete die Digitalisierung genügend Chancen für den Journalismus. Laut Döpfner kann der digitale Journalismus in Zukunft sogar besser werden als der analoge.

Das aktuelle Problem der Verlage ist kurz zusammengefasst: Durch den digitalen Wandel und die kostenlosen Angebote im Internet gehen die traditionellen Printmedien unter. Einzelne Monopolisten (Google, Facebook) bedrohen die Verlage auch online mit ihrer Macht, denn sie kontrollieren die Inhalte im Netz. Die Meinungsvielfalt ist in Gefahr, weil Google und Co durch ihre Algorithmen den von den Nutzern – das sind allein in Deutschland derzeit 91,2% aller Internetnutzer – wahrgenommenen Content diktieren.  Eine weitere Gefahr stelle das „Diktat der Klickzahl“ dar, von dem  Professor Bernhard Pörksen in den Vortrag einleitenden Worten sprach: Dieses könne zum Qualitätsverlust führen, denn im Internet muss bis zu einem gewissen Grad veröffentlicht werden, was der Nutzer lesen will. Wer dies ignoriert, bekommt keine Klicks mehr und wird als Medium nicht mehr gehört. Aber was bedeutet das für den Journalismus?

 

Qualitätsjournalismus vom Papier aufs Tablet bringen

Döpfner stellte im Grunde zwei Thesen auf: Im Verlagswesen ändert sich durch die digitale Revolution letztlich nicht so viel wie ständig befürchtet wird. Aus diesem Grund ist der Journalismus an sich auch nicht dem Untergang geweiht. Außerdem dürfe man als Zeitung entgegen einer landläufigen Meinung eben nicht alles anders machen als bisher, um erfolgreich zu bleiben. Der Schlüssel zum Erfolg sei es, so Döpfner, die klassische „Idee des Journalismus vom Papier zu emanzipieren“. Man müsse sich auf die Grundqualitäten und –fertigkeiten des professionellen Journalismus berufen, um als Verlag bestehen zu bleiben, ganz unabhängig vom Medium.

Der Journalismus dient laut Döpfner nicht mehr als Instrument zur Volksbelehrung, das dem Leser überlegen ist, sondern ist zu einer Dienstleistung geworden, die sich nach dem Nutzer richten und damit auskommen muss, dass der Nutzer selbst auch publiziert – seien es Kommentare oder sogar eigene Blogs. Doch viele sehen in genau dieser Umkehrung die Problematik: Wenn jeder sein eigener Chefredakteur sein und seine Meinung im Internet publizieren kann, sind Profis vielleicht irgendwann überflüssig. Dem widerspricht Döpfner – denn es gebe „nicht nur Schwarmintelligenz, sondern auch Schwarmdummheit“. Zwar sei der kritische Nutzer eine Bereicherung für die Diskussion, aber keine Bedrohung. Denn je größer das Angebot an Informationen sei, desto größer sei auch das bleibende Grundbedürfnis nach Orientierung und Anleitung durch kompetente Meinungsführer. Im digitalen Journalismus ginge es dem Nutzer nicht mehr nur um Informationsbeschaffung, sondern um die Einordnung und Diskussion dieser Information. Davon können Verlage profitieren, indem sie sich auf ihre traditionellen Qualitätsmerkmale berufen.

 

Content is king

Eine weitere interessante These Döpfners ist, dass „elektronisches Papier“ in einigen Jahren so aussehen wird wie heutzutage analoges Papier. Es sei dann dünn und faltbar, habe also alle Qualitäten des bisherigen und sei durch die fortgeschrittene Technologie und ökologische Verträglichkeit noch besser. An dieser Stelle zieht Döpfner eine Parallele zum Journalismus: Mit dem abbildenden Universalmedium könne auch der Journalismus besser werden, da sich die Zeitungen nicht mehr durch Materialmerkmale von den anderen unterscheiden könnten, sondern nur noch durch besser aufbereitete Inhalte. Diese Anforderung sei auch eine Chance. Der Journalismus im Netz sei 1. tiefgründiger, weil er längere Beiträge ermöglicht, 2. aktueller, weil eine sofortige Publikation möglich ist, 3. relevanter, weil es einen größeren Adressatenmarkt gibt und die Inhalte für jeden zugänglich sind, 4. interaktiver und damit klüger, weil Fehler korrigiert werden können und 5. intermedial und deshalb kreativer nutzbar. Der digitale Journalismus fördere damit Qualität wie eh und je. Das Erfolgsrezept für Verlage sei daher, „technisch progressiv, ästhetisch neu und inhaltlich konservativ“ aufzutreten.

Eine kleine, überwindbare Hürde sieht Döpfner in der aktuell vorherrschenden „Gratiskultur“, die generell Informationen und besonders qualitativ hochwertigen Journalismus als kostenlose Güter annimmt. Dies sei viel gefährlicher für den Journalismus als der Wechsel von Print zu Digital. Dennoch ist Döpfner optimistisch, dass Nutzer in Zukunft vermehrt bereit sein werden, für unabhängig recherchierten, professionellen Journalismus zu bezahlen. Verlage müssten sich nun darauf konzentrieren, auch das junge Publikum zu begeistern. Das ginge am Besten, indem sie die drei traditionellen Qualitätskriterien – Neuigkeiten, Meinung und Sprache – charismatisch und mit Zeitgeist vertreten. Nutzer suchen laut Döpfner nicht nur nach Information, sondern nach Haltung – ganz unabhängig davon, ob sie dieser am Ende zustimmen oder nicht. Außerdem sei eine emotionale Note sehr wohl gewünscht – Medien dürften ruhig eine Seele verkörpern, die die Leser bewegt. Durch die gesteigerte Medienkompetenz entstehen hohe Ansprüche an Journalisten, die jedoch auch als Chance wahrgenommen werden können. Abschließend sagte Döpfner, dass unabhängig davon, was sich technisch verändere, doch immer eines bleibe, das man bewahren müsse: Guter Journalismus. Eine sinnvolle Forderung, so simpel sie auf den ersten Blick auch erscheinen mag.

Look Up! – Viral wie ein Katzenbaby

 von Nico Busch

Du glaubst, du bist gesellschaftskritisch? Dir fällt auf, was tausenden Anderen auch schon aufgefallen ist? Dann schreib doch mal ein Gedicht darüber, trag das vor, lass dich dabei filmen und stell das Video ins Internet.

 

Baby, Baby, was ist denn bloß los mit dir?“

Mach es wie Julia Engelmann im Mai letzen Jahres. Der war nämlich aufgefallen, dass es seit 2000 Jahren etwas gibt, dass wir Lethargie nennen. Ein Gefühl der Langeweile und Tatenlosigkeit. Julia Engelmann fühlt das manchmal. Und die weiß, dass du das auch fühlst. Nämlich dann, wenn du daheim auf deiner Couch liegst und plötzlich merkst, dass dein Leben verglichen mit den Lebensentwürfen der Medien oder deiner 600 internationalen Facebook Freunde für immer nur Durchschnitt sein wird. Was die Julia aber nicht verstanden hat, ist, dass dieser Vergleich im Endeffekt bloß konsumgenerierende Einbildung ist. Und deshalb rät sie dir mit ganz viel sprachlichem Pathos in ihrem Video, nochmal so richtig auf die Kacke zu hauen, um am Ende deines Lebens bloß nicht als Langweiler dazustehen. Aus irgendeinem Grund klingt das für dich alles sehr plausibel, was die Julia da sagt. Die ist jetzt immerhin auch schon 21 Jahre alt. Da hat man eben Angst vor der Zukunft. Ja, vor was denn sonst? Du hörst noch irgendwas, das klingt wie „Mal wieder was riskieren“, oder feiern bis die Kühe lila sind, denkst dir YOLO, chillst weiter auf der Couch und fühlst dich bestätigt.

 

 Look Up? Grow up!

Oder dein Name ist Gary Turk. Du bist jung, ambitioniert, schreibst natürlich auch Gedichte (!) und hast auch online einen Namen. Du bist gebildet, aber du hast diesen naiv-optimistischen Forrest Gump-Spirit. Dein sehnlichster Wunsch ist es, irgendwann einmal auf einer Parkbank zu sitzen, Pralinen zu mampfen und glücklich auf dein Leben zurückzublicken, ohne das Gefühl zu spüren etwas verpasst zu haben. Obwohl dir etwa 3300 Menschen auf Twitter folgen, fühlst du dich einsam. Grund genug für dich anzunehmen, dass eine ganze Generation dasselbe Problem hat. Die These von der gemeinsamen Einsamkeit, die die MIT Professorin Sherry Turkle in ihrem Buch Together Alone unserem digitalen Zeitalter schon 2011 unterstellte, machst du unbemerkt zu deiner eigenen, zentralen Thematik deines Gedichts. Melancholische Hintergrundmusik begleitet deinen filmischen Vortrag, der mit einer Liebesgeschichte sein anschauliches Ende findet. Look Up, heißt dein Video und du willst damit sagen: Seht von euren Smartphones auf und stürzt euch ins reale Leben, ihr Langweiler! Deine rhythmischen Reime massieren mehr als 32 Millionen Hirne (Anzahl der Aufrufe des Videos auf YouTube, Stand 09.05.2014). Aber deine Zeilen haben gerade soviel Tiefgang, dass sie die große Masse für vielleicht zwei Wochen in absolute Betroffenheit und Nachdenklichkeit stürzen, ohne durch zuviel Komplexität zu überfordern oder irgendeine Art von Verhaltensänderung zu initiieren. Die Wirkung deines Beitrags ist von jener eines süßen Katzenbabyvideos nicht zu unterscheiden.

 

 

Bei Risiken oder Nebenwirkungen fragen Sie ein virales Video

Egal ob Engelmann oder Turk, was heute an Gesellschaftskritik im Netz viral geht, mutet textlich nicht nur an wie allerfeinster deutscher Pop Schlager à la Unheilig, sondern liest sich auch so: Geboren, um zu leben. Wie wir leben sollen, können Engelmann und Turk so genau auch nicht sagen. Sicher ist scheinbar nur: Überall und in allen Dingen erwartet uns heute das geheimnisvolle Event, die große Herausforderung, die einmalige Chance. Wer sie nicht nutzt, aus dem wird nichts! Was soll einer später im hohen Alter mal erzählen, der in seiner Jugend nichts von Bedeutung erlebt hat? (Engelmann). Und wie soll man die große Liebe finden, wenn man doch ständig auf das Handy starrt? (Turk). Die große Gemeinsamkeit der thematisch unterschiedlichen Beiträge Gary Turks und Julia Engelmanns ist es, dass sie jedem Moment unserer Existenz eine Einzigartigkeit, Gemeinschaftlichkeit und Erlebnisorientierung unterstellen, die wir so tatsächlich weder digital, noch analog erleben und die uns auch in ihrer praktischen Umsetzung schlichtweg überfordern würde.

 

Die mahnende Erinnerung an unser fast vergessenes, romantisch verklärtes, analoges Lebens liegt trotzdem nahe. Sie ist die einfachste und medientauglichste Antwort auf das große Vorurteil der Assozialität durch digitale Kommunikation. Und sie ist alles, was uns technisch-überforderten Hypochondern momentan einfällt, auf unserer panischen Suche nach der großen digitalen Epidemie.

 

 

Fotos: flickr.com/SigfridLundberg  und  flickr.com/Phae (CC BY-NC-SA 2.0)

 

Von der Power-App zur Malware

Von Daniel Fuchs

Die mit Abstand beliebteste Erweiterung für Internetbrowser heißt Adblock Plus. Diese ist in die Schlagzeilen geraten, weil die Entwickler unter einer Decke mit der Werbeindustrie stecken sollen.

Werbung durch die Hintertür

Adblock Plus ist ein kleines, beliebtes, und für viele unverzichtbares Browser-Plugin, das Werbung auf Webseiten ausblendet. Alleine 15 Millionen Firefox-User surfen mit der Erweiterung. Ursprünglich von nur einer Person entwickelt, wird das Programm seit 2011 von der Kölner Firma Eyeo GmbH vermarktet. Kurze Zeit später wurde die Funktion einer Whitelist eingebaut, mit Hilfe derer explizit bestimmte Werbung zugelassen werden kann. Das Ziel war es, unaufdringliche Werbung zuzulassen, die von der Community vorgeschlagen wurde. Es sollten Webseiten animiert werden, unaufdringlichere Werbung einzusetzen, um trotz Adblocker weiterhin Werbeeinnahmen zu generieren. Sozusagen eine Belohnung für nicht störende Werbung. Soweit die Theorie. Diese neue Funktion löste schon bei ihrer Einführung Diskussionen aus. Für die Einen waren die Kriterien für akzeptable Werbung nicht genau genug definiert, die Anderen wollten keine Form von Werbung zulassen. Bei der Diskussion spielt es damals wie heute keine Rolle, dass die Whitelist mit einem Klick deaktiviert werden kann. Der einfache Grund besteht darin, dass die meisten Nutzer die Standardeinstellungen eines Programms nicht ändern, ob aus Unwissen oder aus Bequemlichkeit.

Interessen auf beiden Seiten

Der Blogger Sascha Pallenberg berichtete vor kurzem, dass die Eyeo GmbH mit der Werbebranche eng vernetzt sein soll. Der konkrete Vorwurf lautet, die Werbung von bestimmten Firmen gegen Bezahlung in die Whitelist aufzunehmen. Dieser Bericht schlägt nun hohe Wellen; es empören sich Zeitungen wie der Spiegel, die SZ oder die FAZ.

Auf den ersten Blick erscheint es ungewöhnlich, dass sich große Zeitungen so ausgiebig mit einem Browser-Plugin beschäftigen. Das ist es aber nicht mehr, wenn man bedenkt, wie sehr sie von Werbung abhängig sind. Erst im Mai diesen Jahres appellierten sie noch mit großflächigen Anzeigen an ihre Leserinnen und Leser, keinen Werbeblocker zu nutzen. Oder zumindest für ihre Seiten eine Ausnahmeregel zu erstellen. Auch die Empörung der Blogosphäre verwundert nicht, da diese ebenfalls beträchtliche Einnahmen durch Werbung generiert.

Auf der anderen Seite ist es natürlich problematisch, wenn Adblock Plus zuerst die komplette Werbung ausblendet, und dann gegen Bezahlung wieder einblendet. Wer weiterhin Werbeeinnahmen will, wird zum Zahlen gezwungen. Dieses Vorgehen erinnert an Wegelagerei. Ganz nebenbei wird damit auch der eigentliche Sinn eines Werbeblockers konterkariert, wenn sich Unternehmen „frei kaufen“ können.

Die Beteiligung der Community an den Entscheidungen, was akzeptable Werbung ist, hält sich auch sehr in Grenzen, wenn man einen Blick in das offizielle Forum wirft. Fast alle Vorschläge stammen von Mitarbeitern, und diese werden dann nicht einmal diskutiert. Von den fast 30000 angemeldeten Accounts scheinen nur eine Handvoll aktiv zu sein.

Das alles erweckt den Eindruck, es handle sich um ein Geschäftsmodell, dessen eigentlicher Sinn es ist, mit zweifelhaften Methoden Geld zu verdienen.

Eine besonders absurde Entdeckung wird jeder machen, der ohne Werbeblocker unterwegs ist. Früher oder später wird man auf Anzeigen treffen, in denen Google per Adsense tatsächlich Adblock Plus bewirbt.

 

Aber ich will trotzdem keine Werbung!

Da Adblock Plus als Open Source Software entwickelt wird, gibt es zahlreiche Forks (wie Adblock Lite oder  Adblock Edge), die auf dem fast gleichen Quellcode basieren. Diese sind zwar nicht so bekannt, aber problemlos einsetzbar.

Die Allgemeine Problematik wird damit aber auch nicht gelöst. Auf der einen Seite ist es nachvollziehbar, wenn Nutzer die zumeist nervige Werbung nicht ertragen wollen, und sie ausblenden. Auf der anderen Seite trifft es nicht nur die Großen wie Google, Youtube oder Ebay. Sondern auch Verlage, Blogs, oder Testseiten, bei denen die geschaltete Werbung einen großen Anteil der Einnahmen ausmacht.

Wenn aus sinkenden Werbeeinnahmen die Konsequenz Paywall heißt, erscheint die Werbung für viele als das kleinere Übel. Denn bezahlen muss der Nutzer immer. Bei kostenpflichtigen Diensten direkt beim Anbieter. Bei kostenlosen Diensten bezahlt er mit seiner Aufmerksamkeit und unterstützt den Anbieter durch Werbeeinnahmen. Oder er bezahlt mit seinen persönlichen Daten. Schlussendlich wird es auf die Akzeptanz der Nutzer ankommen.

Fotos: flickr.com/o_Charitas (CC BY-NC 2.0)

Müssen wir alle Verschlüsseln lernen?

von Anne-Sophie Krier

Kaum arbeitet das amerikanische Parlament wieder, versucht es klammheimlich das CISPA-Abkommen durchzusetzen. Und seitdem bekannt ist, dass auch das Handy der Bundeskanzlerin überwacht wurde, heizte das hier in Deutschland die Überwachungsdebatte neu an. Nun heißt es Gegenwehr leisten und sich durch Verschlüsselung schützen. Alternative Anbieter und Cryptopartys machen es möglich. Frei nach dem Motto: Wenn sie sowieso mitlesen, dann machen wir es ihnen so schwer wie möglich!

Massentaugliche Verschlüsselung?

Kaum ein Thema ist in den Medien im Moment so stark vertreten wie der Überwachungsskandal rund um NSA, Prism,Tempora und co. Schon über einen Monat ist es her, dass der ehemalige NSA-Mitarbeiter Edward Snowden mit seinen Informationen über den US-Auslandsgeheimdienst an die Öffentlichkeit ging. Er offenbarte uns das Ausmaß der weltweiten systematischen Überwachung und Datensammlung – George Orwell lässt grüßen. Für viele ist der Whistleblower Snowden ein Held, andererseits zählt er aber auch zu den meist gesuchten Personen auf der Welt. Beinahe täglich hören wir von seiner Flucht, Asylanträgen und vermuteten Aufenthaltsorten. Was sich wie ein Thriller liest ist bittere Realität. Der Glaube an den freien Rechtsstaat USA scheint gebrochen und auch die Enthüllungen über die europäischen Geheimdienste und den BND haben das Vertrauen in fremde Nationen und den eigenen Staat erschüttert. Wer liest mit, hört oder sieht mir gerade zu – sei es nun aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen? Und wie kann ich mich davor schützen? Hacker und Aktivisten reagieren mit technischen Lösungen und laden zu sogenannten Cryptopartys ein. Verschlüsselung soll alltäglich, einfach und somit massentauglich werden. Denn: Wer schützt uns, wenn nicht wir selbst?

„Don’t bareback with the internet. Don’t bareback with Big Brother. Use cryptography.“

Am 05.-07. Juli 2013 fand die Sigint-Konferenz des Chaos-Computer-Clubs in Köln statt. Natürlich wurde der Geheimdienstskandal immer wieder Thema der Vorträge und am Wochenende rief man zur Spontan-Demo auf. Doch der Erfolg war, ebenso wie bei weiteren Demos in Berlin und Hannover, eher bescheiden. Der Widerstand findet nicht auf den Straßen sondern vielmehr vor den PCs der Deutschen statt. Alternative Suchmaschinen wie DuckDuckGo oder Ixquick, sowie verschlüsselnde E-Mail-Dienste wie Posteo erfreuen sich wachsendem Interesse und steigender Nutzerzahlen. Durch das Abwenden von den führenden Anbietern entgeht man der Datenspeicherung und Vermarktung und gewinnt wenigstens ein wenig Privatsphäre zurück. Die „Nerds“  scheinen zurzeit einen klaren Vorteil zu genießen, denn in der Szene gilt Verschlüsselung als alter Hut. Doch Ziel ist es, der breiten Masse nun ebenfalls die nötigen Mittel an die Hand zu geben, um sich selbst zu schützen. Eine Möglichkeit dazu sind Cryptopartys. Auf die Idee kam die australische Internet-Aktivistin Asher Wolf schon am 22. September des vergangenen Jahres: Lasst uns eine Party feiern und den Gästen zeigen, wie man E-Mails und Dateien verschlüsselt und anonym im Internet surft. Während die erste Begegnung mit 60 Interessierten startete, wuchs sich die simple Idee innerhalb weniger Wochen zu einer weltweiten Bewegung aus. Die Website crypto.is wartet mit vielen Erklärungen und Tipps für Neueinsteiger auf. Auf der Startseite heißt es: „Crypto.is is an organization designed to assist and encourage anonymity and encryption research, development, and use. As part of this goal, we seek to revitalize the Cypherpunk movement and provide better software, security, and anonymity to individuals worldwide.”

Vielleicht eine Antwort auf die jetzige Lage. Auch auf der Sigint-Konferenz wurden die Menschen ermutigt, das Angebot wahrzunehmen. Alleine im Juli sind sieben Cryptopartys im Raum Bayreuth bis Berlin angekündigt worden. Laien können lernen ihre IP-Adresse zu verschleiern sowie Mails, Chats und Festplatten zu verschlüsseln. Gerade diejenigen scheinen angesprochen, welche glauben sie hätten nichts zu verbergen. Es geht um das Prinzip, der Wahrung der Grundrechte und Privatsphäre. Nadim Kobeissi, Chefentwickler des Chatprogramms CryptoCat, meint, verschlüsselte Chats sollten so einfach gestaltet sein, dass der Benutzer nichts von ihnen merkt. Es ist immer noch schwierig den  Spagat zwischen Sicherheit und Benutzerfreundlichkeit zu finden. Auch CryptoCat hat noch einige Hürden zu bewältigen und steckt in der Entwicklung.

Lösung unserer Probleme?

Doch inwieweit sind technische Lösungen für ein gesellschaftliches Problem geeignet, um den Geheimdiensten etwas entgegenzusetzen? Wie Karig Friedmann kritisch feststellt, könnte sich die individuelle Verschlüsselung eher kontraproduktiv auswirken. Die Geheimdienste denken, wer verschlüsselt, hat etwas zu verbergen. Gerade die geschützten Mails stechen plötzlich aus dem Datenwust hervor und erregen die Aufmerksamkeit des Geheimdienstes. Geheime Militär- und Geheimdiensteinrichtungen auf Google Maps findet man nach einem ähnlichem Prinzip: „Es sind die verpixelten Flecken in der sonst unverpixelten Landschaft.“ Je geheimer die weltweite Kommunikation wird, desto mehr Überwachung braucht es, um informiert und „sicher“ zu bleiben. Je größer die Überwachung, desto besser wollen sich die Bürger schützen, usw.. Abgesehen von der Tatsache, dass eine Verschlüsselung aufgrund der technischen Entwicklung letztendlich sicherlich leicht von einem Geheimdienst zu knacken ist. Überspitzt ausgedrückt können wir uns in einem solchen Fall von einem freien Netz verabschieden, gefangen zwischen Überwachung und Verschlüsselung. Die Kryptographie bietet vielleicht vorläufige individuelle Sicherheit, doch sie bietet nicht die Lösung für das Kernproblem: Politische Ungerechtigkeit und Bespitzelung unter Missachtung der Menschenrechte.

 

Fotos: flickr.com/alpuerto & jeyulio_(CC BY-NC 2.0)


Hausparty im Internet

von Raphael Adam

„86% der Internetnutzer haben noch nie einen Post oder Tweet verfasst“. Das will das neue soziale Netzwerk Potluck ändern. Aber was kann es anders machen, was nicht schon Facebook und Twitter gemacht haben?

Seit Juni gibt es im Web ein neues soziales Netzwerk, den Link-Sharing Dienst Potluck. Um sich von etablierten Größen wie Facebook und Twitter abzusetzen, will der Newcomer mit Minimalismus und einer Konzentration auf die geteilten Inhalte punkten. Die Macher wollen auch diejenigen zum Mitmachen bewegen, die sonst nur eine passive Rolle in den Netzwerken eingenommen haben. Außerdem sollen leichter Kontakte außerhalb des eigenen Freundeskreises geknüpft werden können. Als Vorlage diente dem Konzept die soziale Interaktion bei einer Hausparty. Aber kann Potluck die Nutzer von sozialen Netzwerken in Feierlaune versetzen?

 

Ausschließlich Links teilen

Ein „Potluck“ beschreibt in den Vereinigten Staaten ein Treffen, bei dem jeder eine Speise mitbringt, die dann mit allen geteilt wird. Das soll auch der Zweck des neuen Dienstes sein, der von dem Startup Branch ins Leben gerufen wurde und Unterstützung von den Twitter-Gründern Evan Williams und Biz Stone erhält. Die einzige Funktion, die das soziale Netzwerk bietet, ist das Teilen von Links, welche dann kommentiert werden können. Die Aufmachung der Webseite kommt ebenso spartanisch daher. Nach der Registrierung sieht der Nutzer zwei Spalten, links den Friend-Feed mit Links von Freunden und Links bei denen Freunde diskutieren, rechts den Inhalt zum Link und die Kommentare.

Die Links müssen ohne jede Beschreibung geteilt werden. Bei Facebook oder Twitter ist das zwar auch möglich, aber oft werden die Links in einen kurzen Text eingebettet. Zudem wird im Friend-Feed nicht angezeigt, von wem ein Link stammt. Erst wenn man auf den Eintrag klickt, somit also wahrscheinlich am Inhalt des Links interessiert ist, lässt sich der Urheber erkennen. Damit soll bei Potluck der Druck vermieden werden, sich selbst darstellen zu müssen. Josh Miller, CEO von Branch, schreibt, dass Potluck die 86% der Internetnutzer ansprechen will, die noch nie einen Blog, Post oder Tweet veröffentlicht haben.

 

Ungezwungen kommunizieren

Von den Gründern wird Potluck als „eine Hausparty im Internet“ beschrieben. Bei einer solchen Party lassen sich neue Leute kennen lernen, die einem aber nicht völlig fremd sind, da man meistens gemeinsame Freunde oder Bekannte hat. Es finden lebhafte Gespräche statt an denen gleichzeitig Freunde und Fremde teilnehmen. Man steigt in die verschiedenartigen Gespräche ein und findet Themen, von denen man noch gar nicht wusste, dass sie einen interessieren. Das ist die Idealvorstellung der Macher wie Potluck funktionieren soll.

Bei Facebook, zum Beispiel, findet eine Kommunikation fast ausschließlich mit den eigenen Freunden statt. Diese werden offline kennengelernt und dann bei Facebook hinzugefügt. Das soziale Netzwerk selber bietet kaum Möglichkeiten neue Kontakte zu knüpfen. Bei Potluck soll das anders sein. Um das zu erreichen, sollen Gespräche nicht einer Person „gehören“. Auch deshalb ist nicht direkt ersichtlich, wer einen Link geteilt hat. Der Inhalt, das Gesprächsthema, soll im Vordergrund stehen. Zudem sollen die Nutzer keinen Druck verspüren jemanden darstellen zu müssen, sondern sollen ungezwungen miteinander kommunizieren. Aus diesem Grund können Kommentare nicht bearbeitet werden und werden direkt mit der Enter-Taste abgeschickt. Die Profile der Nutzer sind außerdem auf ein Minimum beschränkt und müssen nicht aufwendig gestaltet werden.

 

Noch ausbaufähig

Es ist dem Dienst anzumerken, dass er sich noch im Anfangsstadium befindet. Bisher kann Potluck nur über die eigene Webseite erreicht werden, für iOS soll aber eine App in Arbeit sein. Auch viele grundlegende Funktionen, wie eine Suche oder Filter für die Links, werden wahrscheinlich von den Nutzern vermisst werden. Wegen des geringen Bekanntheitsgrades könnte es auch vielen schwer fallen, Freunde zu finden. Um das zu erleichtern, können diese über Twitter, Facebook und Google Mail gesucht werden.

Bisher ist Potluck wohl hauptsächlich für Early-Adopter geeignet. Jedoch könnte der Dienst in Zukunft seine Nische unter den sozialen Netzwerken finden. Obwohl er auf den ersten Blick keine Neuerungen mit sich bringt, scheint doch die minimalistische Umsetzung ihren Charme zu haben. Das Veröffentlichen von Inhalten könnte hier so einfach und ungezwungen sein wie noch nie. Für einen Erfolg müssten aber bald Apps für iOS und Android verfügbar sein, da hier wahrscheinlich der primäre Ort der Anwendung liegen dürfte.

 

 

Fotos:

flickr/StockMonkeys.com: 3D Social Networking (CC BY 2.0)

flickr/StockMonkeys.com: 3D Green Energy (CC BY 2.0)

DJ Jedermann – legal Musikhören im Internet

von Sanja Döttling

Früher wühlten sammelwütige Studenten in verstaubten Plattenläden, bis sie ihren Schatz gefunden hatten. Heutzutage nimmt die persönliche Musiksammlung oft nicht einmal mehr realen Platz ein – sie befindet sich auf der Festplatte und ihre Maßeinheit heißt Gigabyte. Inzwischen gibt es im Internet sogar schlaue Angebote, die die Musiksammlung hinfällig machen. 8tracks.com oder Spotify bieten endlose Musikauswahl – zum Teil auch kostenlos.

Altmodisch-International: Das Radio

Obwohl das eingeschaltete Radio heutzutage meist nur noch als Hintergrundrauschen dient, ist die unrsprüngliche Idee hinter dem Radio lange nicht tot. Sie hat sich nur den Gegebenheiten des Internets angepasst. In der Medienwissenschaft spricht man vom Rieplschen Gesetz: Alte Medien werden niemals vollständig von neueren Medien verdrängt, sondern werden von ihnen aufgegriffen.

Das Internet erweitert den Rahmen des Radios: Heute kann man zum Beispiel auf Seiten wie radio.de Radiosender der ganzen Welt hören – je nach Gusto gibts hier Nachrichten oder Musik – teilweise mit überaschend wenig Werbung. Auch auf den Seiten der Sender selbst ist oft ein Livestream angeboten. Zum Beispiel SWR3 bietet außerdem die Möglichkeit, ausgewählte Sendungen nachzuhören.

Doch in dieser hochindivudualisierten Zeit des Internets sind solche Angebote nicht mehr ganz befriedigend: Denn kommt mal ein Song, den man nicht mag, hat man nicht die Chance, ihn einfach wegzuklicken. Und obwohl das Angebot an Radiosender fast unendlich ist, kann man die Musikauswahl als Rezipient nicht beeinflussen. Deshalb haben sich andere Angebote entwickelt, bei welchen der Rezipient mehr Selbstbestimmung hat.

 Genregebunden-Sozial: Die Playlist

Im Internet hat sich das Radio weiterentwickelt. Am bekanntesten ist Last.fm, die Seite bietet mehr als konventionelles Radio. Ist man dort angemeldet, bewertet das Programm den eigenen Musikgeschmack und schlägt neue Titel vor, die den eigenen Lieblingstitel entsprechen. So stellt Last.fm einen ganz individuellen Radiosender zusammen. Das Schöne: Der Rezipient ist mit neuen Titeln konfrontiert, die er selbst vielleicht nicht gefunden hätte. Nutzer werden hier auch in die soziale Community eingebunden, „musikalische Nachbarn“ mit ähnlichem Geschmack miteinander bekannt gemacht. Im Amerika, Großbritannien und Deutschland ist das Programm kostenlos – in anderen Ländern müssen die Nutzer einen bestimmten Betrag im Monat zahlen. Ähnlich funktionieren auch andere Programme, zum Beispiel Grooveshark oder deezer.com. Die Playlist wird persönlicher und trifft den eigenen Geschmack – das heißt aber auch, dass der Rezipient nicht mehr mit ihm völlig Unbekannten konfrontiert wird.

Ein anderes Beispiel für ein soziales Musikangebot bildet die Seite 8tracks.com. Sie bietet den Nutzern an, selbst Playlists zu erstellen – mit den Lieder aus der Lieblingssendung, in einer besttimmten Musikrichtung oder einen Mix für die nächste WG-Party. Die Playlists lassen sich auswählen und anhören – allerdings können die Lieder hier nicht einzeln angewählt werden. Das Springen zum nächsten Lied ist auch nur begrenzt verfügbar. Diese Einschränkungen erlauben es der Seite, als „Webradio“ zu gelten, während andere Streaming-Plattformen andere Verträge mit den Rechteinhabern der Musik aushandeln müssen.

Individuell-konsumorientiert: Streaming-Bibliotheken mit Flatrate

Vor fast einem Jahr ist der Streamingdienst Spotify auch in Deutschland angekommen. Spotify ist eine Bibliothek mit über 16 Millionen Songs, die nach Download und Anmeldung kostenlos angehört werden können.

Anders als bei Amazon oder iTunes werden die Lieder vom Rezipienten hier nicht gekauft, und sie gehören ihm auch nicht. In der kostenlosen Version von Spotify sind sie verfügbar, solange der Computer mit dem Internet verbunden ist. Manchmal werden sie durch Werbung unterbrochen, denn so finanziert sich das Programm. Nach einem halben Jahr wird die kostenlose Nutzung auf 10 Stunden im Monat beschränkt.

Im Premium-Paket zahlt der Rezipient 9,99 Euro monatlich – und kann Musik unendlich lang, offline und auf mobilen Geräten hören. Eine Flatrate für Musik, das ist die Idee hinter Spotify. Mit ihrem Preis unterbietet die Plattform das alte Modell – ein Lied für durchschnittlich Einen Euro.

Das Angebot klingt atemberaubend und deshalb fragt sich der ein oder andere: Ist das denn auch legal? Überraschende Antwort: Ja, ist es! Spotify hat es, im Gegensatz zu youtube, geschafft, mit der GEMA einen Vertrag auszuhandeln. Wie viel Geld Spotify der GEMA zahlt, ist nicht bekannt.

Doch Spofity ist mehr als nur eine riesige Musikbibliothek auf Abruf. Spotify macht Musikhören zum virtuell-sozialen Ereignis: Über das facebook-Konto angemeldet, kann man sämtliche gehörte Songs seinen Freunden mitteilen. Wer mehr will, kann sein eigener (und anderer Leute) DJ werden, indem er Playlists erstellt. Die können geteilt und von anderen Usern angehört werden.

Auch andere Musik-Streming-Anbieter locken. So zum Beispiel Simfy, Napster oder Rdio. Ihre Preise sind genauso hoch wie die von Spotify – zwischen fünf und zehn Euro im Monat – doch bei ihnen gibt es kein kostenloses Angebot.

 

Fotos: flickr.com/Radio von Fernando Candeias(CC BY-NC-ND 2.0); flickr.com/Jukebox von phphoto2010 (CC BY-ND 2.0)

Punktsieg für die Internetfreiheit

von Pascal Thiel

2012 war es soweit: Gefühlt ein halbes Jahrhundert nach Erfindung des Internets planten auch die Vereinten Nationen ihre Regularien der Telekommunikation an das digitale Zeitalter anzupassen. Eine Große Debatte – auch die Internetfreiheit sollte Teil von ihr sein. Doch einige Mitgliedsstaaten drängten in Richtung Internetkontrolle. Ist das Internet, wie wir es kennen, in Gefahr?

Das institutionelle Setting: Die ITU

Bereits 1856 als „International Telegraph Union“ gegründet, ist die „International Telecommunication Union“, kurz ITU, seit 1947 fester Bestandteil der Vereinten Nationen. Seitdem haben sich unter ihrem Dach Delegierte fast aller UN-Mitgliedsstaaten zur einzigen UN-Sonderorganisation im Informations- und Kommunikationssektor konstituiert. Zu ihren zentralen Aufgaben gehören die globale Organisation des Funksektors (Radio, TV, etc.), die Festlegung von weltweiten Standards im Zuge der Globalisierung der Telekommunikationsmedien und Entwicklungshilfe, um den „digital divide“, die digitale Kluft zwischen Industrienationen und Entwicklungsländern, zu überwinden.

Hinsichtlich ihres neuen Arbeitsbereichs „Internet“ blickt die ITU auf eine recht spärliche Historie zurück. 2003 und 2005 traf man sich zum „Weltgipfel zur Informationsgesellschaft Teil 1 und 2“ , wobei grundlegende Prinzipien und Handlungsabsichten bezüglich neuer technologischer und gesellschaftlicher Entwicklungen in der digitalen Informationsgesellschaft verabschiedet wurden. Diese zwei Konferenzen können als erste Gehversuche der Vereinten Nationen hinsichtlich des Internets gewertet werden.

Internet Governance – ein Streitthema…

Beim zentralen Thema dieses Artikels, der „Internet Governance“, fallen den Vereinten Nationen Entscheidungen schwer. Um trotz verschiedener Ansichten auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, rief der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan die „Working Group on Internet Governance“ (WGIG) ins Leben. Eine ihrer diversen Aufgaben ist die Definition des Ausdrucks „Internet Governance“:

Internet governance is the development and application by Governments, the private sector and civil society, in their respective roles, of shared principles, norms, rules, decision-making procedures, and programmes that shape the evolution and use of the Internet.

Im Zuge der Weltgipfels 2003 gegründet, stellte sie bei der Nachfolgekonferenz 2005 einen umfassenden Empfehlungskatalog hinsichtlich der Internet Governance vor. Dessen politische Umsetzung scheiterte aber an der Kompromissunfähigkeit der Verfechter des Status Quo auf der einen Seite und den progressiven, mehr Internetkontrolle fordernden Staaten auf der anderen Seite. Das ebenfalls 2005 gegründete „Internet Governance Forum“ (IGF), zur Konsensfindung geschaffen, indes brachte – abgesehen großer Reden – auch keinen Fortschritt.

Die Hoffnung auf eine Pfadänderung war groß, als Delegierte aller ITU-Mitgliedsstaaten Anfang Dezember 2012 nach Dubai reisten. Auf der „World Conference on International Telecommunications“ (WCIT) sollte endlich der große Durchbruch erreicht werden.

… auch auf der WCIT 2012

1988 wurden in Montreal auf der „World Administrative Telegraph and Telephone Conference“ (WATTC-88) mit den „International Telecommunications Regulations“ (ITR) erstmals grundlegende Regeln für den Betrieb moderner, internationaler Telekommunikationsdienste festgeschrieben. Mit der Anpassung dieser an die gegenwärtigen Entwicklungen und Herausforderungen des digitalen Zeitalters, wollte die ITU auf der WCIT 2012 das Bild der fortschrittslahmen UN-Unterorganisation endlich vergessen machen.

Doch die ITU verfiel in alte Muster: Wieder kristallisierte sich die gewohnte Konstellation aus Befürwortern und Gegnern einer verstärkten Internet Governance heraus. Während sich allen voran vier arabische Staaten mit ambitionierten Vorschlägen in den Mittelpunkt katapultierten, rieten „ITR-Minimalisten“ (heise.de)wie die USA, oder die EU zur Mäßigung.

Besonders ein von Russland, den VAE, China, Saudi Arabien, Algerien, Sudan and Ägypten eingebrachter Ergänzungsantrag (siehe Seite 6 des Dokuments)  zu den ITR wurde heftig diskutiert. Bei Verabschiedung hätte dieser Staaten das „souveräne Recht“ gegeben,

„öffentliche und internationale Policies, Angelegenheiten der Internet Governance betreffend, festzulegen und zu implementieren sowie das nationale Internetsegment zu regulieren.“.

Ein gewaltiger Eingriff in die Internetfreiheit – mit stimmengewaltigen Reaktionen. Nichtregierungsorganisationen liefen Sturm, allen voran Access. Würde das Mandat der ITU sowie die ITR bezüglich des Internets erweitert, befürchtet die NGO eine

„old-school top-down government-centred organization replacing the open, bottom-up-governance that made the internet so world-changing.“

Google stellte sich mit einer Kampagne zur Internetfreiheit gegen den Antrag. Gegenwind kam auch von der Bundesregierung:

„Für die Bundesregierung sind die Ziele Offenheit, Transparenz und Freiheit des Internets Voraussetzungen dafür, dass das Internet seine herausragende Rolle als Motor gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklungen behält. Grund- und Menschenrechte wie Meinungs-, Rede- und Versammlungsfreiheit müssen im Internet genau so geschützt sein wie in der offline-Welt. Eine Regulierung des Internets ist nach Auffassung der Bundesregierung nicht Gegenstand der ITRs und soll es auch nicht werden. Die Bundesregierung wird bei der World Conference on International Telecommunications keinesfalls Vorschläge unterstützen, die die vorgenannten Grundfreiheiten gefährden könnten.“

Weiter heißt es:

„Bestrebungen, das Mandat der ITU zu erweitern, tritt die Bundesregierung entgegen. Insbesondere lehnt die Bundesregierung Bestrebungen ab, in den ITRs Regelungen zur Internetkriminalität, zu Internetinhalten, zur Netzneutralität oder zu Fragen der Besteuerung von Telekommunikationsdienstleistungen zu treffen.

Wohl zuletzt aufgrund dieser massiven Kritik wurde der Antrag im Laufe der Konferenz zurückgezogen. Während sich vereinzelte Befürworter tapfer dem gewaltigen Offline-Shitstorm stellten, zogen China und Russland distanzierend ihre Unterschriften zurück.

Was bleibt?

Bezüglich der Internet Governance konnte zwischen den ITR-Hardlinern und- Minimalisten erneut kein Konsens erreicht werden – das Problem ist bis auf Weiteres vertagt. Wo zwei sich streiten, freut sich der Dritte – in diesem Fall der Internetnutzer. Zudem hat sich die Befürchtung, die ITR könnten auf das Internet ausgeweitet werden, nicht bewahrheitet.

Mehr noch: Das Abschlusspapier, eine weiterentwickelte Version des ITR-Papiers aus dem Jahre 1988, wendet sich dem Internet erst gar nicht explizit zu – lediglich eine Resolution im Anhang des Papiers. Hier wird das Internet als „central element of the infrastructure of the information society“ beschrieben, die Wichtigkeit seiner Ausweitung erklärt und allen Staaten eine

„equal role and responsibility for international Internet governance and for ensuring the stability, security and continuity of the existing Internet and its future development and of the future internet“

zugesprochen.

Vor dem Hintergrund der Ablehnung einer Diskussion über Internet Governance durch ITU-Generalsekretär Hamadoun Touré in seiner Eröffnungsrede, kommt dieser Absatz doch etwas überraschend. Dennoch: Ist Internet Governance im WCIT-12-Abschlusspapier auch explizit festgeschrieben, bedeutet dies lediglich den Erhalt des Status Quo. Die Kontinuität des bestehenden Internets wird betont.

Somit hat die WCIT 2012 vorerst keine Auswirkungen auf die Internetfreiheit. Der Worst Case ist abgewendet. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie sich die Dinge entwickeln.

 

Fotos: flickr/23743211@N07 (CC BY-NC-ND 2.0); flickr/itupictures (CC BY 2.0); Foto von Pascal Thiel

 

Internet und Meinungsfreiheit im Lichte der UN

von Pascal Thiel

Paris, Palais de Chaillot, am 10. Dezember 1948: Die Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet mit Resolution RES 217 A (III) die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (UDHR). In 30 Artikeln hatte eine Menschenrechtskommission um US-Präsidentenwitwe Eleanor Roosevelt zuvor ein Paket international konsensueller Menschenrechte formuliert. Im Laufe der Jahre durch einige Übereinkommen erweitert, gilt sie als Grundlage der UN-Menschenrechtsarbeit.

In Artikel 19 der Erklärung ist die freie Meinungsäußerung (= Meinungsfreiheit) festgeschrieben. Dort heißt es:

Everyone has the right to freedom of opinion and expression; this right includes freedom to hold opinions without interference and to seek, receive and impart information and ideas through any media and regardless of frontiers.

Im Lichte unserer heutigen Zeit, dem digitalen, dem Internetzeitalter, eine Formulierung mit Weitsicht. Denn der Artikel schreibt Meinungsfreiheit in jedem Kommunikationsmedium vor: Somit auch im Internet.

Freie Meinung im Internet

Dass das Internet ein zweischneidiges Schwert ist, brachte 2011 auf einer Podiumsdiskussion des UN-Menschenrechtsrats Norwegen auf den Punkt. Einerseits bescheinigte der skandinavische Staat dem Internet einen „unglaublichen Mobilisierungseffekt“, andererseits zeigte es sich besorgt vom Potential desselben, „Menschenrechte zu untergraben“.

Ersteres wird vor allem durch drei Säulen ermöglicht: Die Information durch das Internet, der Ausdruck im Internet und die Organisation über das Internet. Die Bündelung dieser Faktoren findet in sozialen Netzwerken statt. Es ergeben sich neue Möglichkeiten zur Wahrnehmung der Äußerungs- und Meinungsfreiheit.

Beispiel Ägypten: Noch in den Wirren der Revolution entsteht der Begriff „Facebookrevolution“. Glaubt man dem Blogger und Journalisten Richard Gutjahr, der Anfang 2011 selbst in Kairo weilte, boten soziale Netzwerke wie Facebook oder MSN vor allem Jugendlichen eine gute Möglichkeit, den jahrzehntelang aufgestauten Unmut zu kanalisieren: „[Die Jugendlichen] lösen sich von der Mundpropaganda und verschieben sich zugunsten digitaler Chaträume und Internet-Netzwerke.“ Zwar fällt die Revolution nicht allein auf soziale Medien zurück, dennoch habe es „die schnelle Ausbreitung der Proteste […] ohne die Netzwerke wohl nicht gegeben.“

Auch die Vereinten Nationen haben diese Entwicklung erkannt. Der UN-Sonderberichterstatter zur Förderung und des Schutzes des Rechts auf freie Meinungsäußerung Frank La Rue beschreibt das Internet in einem Bericht (A/HRC/17/27) vom 16. Mai 2011 vor dem Menschenrechtsrat als „entscheidendes Mittel“ (§ 20) bei der Wahrnehmung des Rechts zur freien Meinung und Meinungsäußerung.

Probleme

Im gleichen Atemzug warnt La Rue doch auch vor zwei zentralen Problemen bezüglich des Internets: vor dem oftmals nicht vorhandenen Zugang zum Internet bzw. die Inexistenz einer Infrastruktur zur Nutzung des Internets und das Problem inhaltsbezogener Restriktionen von staatlicher Seite.

Gerade in Entwicklungsländern seien die Menschen bei der Internetnutzung oftmals mit Hindernissen konfrontiert, so UN-Sonderberichterstatter La Rue. Auch daher bilden die Entwicklungsländer die Kerngruppe der „Feinde des Internets 2012“ von  „Reporter ohne Grenzen“ (ROG). Mit Weißrussland, China, Iran, Saudi Arabien, Syrien, Turkmenistan, Usbekistan und Vietnam sind acht von zehn der „Feinde des Internets“ Entwicklungsländer. Als besonders bedenklich gelten der Iran und China, da in diesen Staaten die Internetüberwachung zusehends intensiviert wird.

Gerade China fiel in der Vergangenheit immer wieder mit Negativschlagzeilen auf – zudem befindet sich das Land seit Jahren mit Google in einem Streit, der seit 2010 durch das einstweilige Zerwürfnis der Volksrepublik mit dem Internetkonzern geprägt ist. Damals hatte Google China vorgeworfen, E-Mail-Konten von Gmail-Nutzern gehackt zu haben.

Während in vielen Ländern die staatliche Regulierung des Internets kontrovers diskutiert wird, ist dies in mindestens ebenso vielen Ländern Realität: Diese inhaltsbezogenen Restriktionen sind  zumeist nicht ausreichend legitimiert, sondern basieren auf willkürlich bis rechtswidrig beschlossenen Gesetzen.

Dies und mehr kritisiert UN-Sonderberichterstatter La Rue in seinem Bericht. Doch auch die oftmals fehlende Transparenz bei der staatlich durchgeführten Sperrung von Internetseiten ist ihm ein Dorn im Auge. Als besorgniserregend erachtet er zudem die Schaffung neuer Gesetze, die einerseits den Ausdruck im Internet nachträglich als kriminell erklären und andererseits „vorsorglich“ die Meinungsfreiheit im Internet einschränken. Außerdem kritisiert er verstärkt stattfindende Eingriffe von Staaten in die Arbeit von Intermediären. Intermediäre sind private, digitale „Organisationen“, die Intermediationsfunktionen wahrnehmen, das heißt ähnlich einer Agentur dem Internetnutzer Dienstleistungen vermitteln.

Weiterhin verurteilt der Sonderberichterstatter die Unterbrechung des Internetzugangs in vielen Staaten als eklatante Verletzung von Art. 19 UDHR. La Rue zeigt sich zudem besorgt über die Zunahme von Cyber-Angriffen: Es sei die Pflicht eines jeden Staates, seine Bürger vor digitalen Angriffen Dritter zu schützen, insbesondere bei Gefährdung der Meinungsfreiheit. Zudem komme es dadurch immer wieder zu Verletzungen des Rechts auf Privatsphäre.

Noch viel zu tun

Zusammenfassend ist festzuhalten: Ist die Internetfreiheit nicht gegeben, so kann keine Meinungsfreiheit über das Internet wahrgenommen werden – und der Mensch ist somit in seiner Handlungsfreiheit nach der UDHR eingeschränkt.

Das Internet Governance Forum (IGF) in Nairobi, Kenia, 2011, bezeichnete das Internet als „Raum mit begrenzter Regulation“. Doch wie das erreicht werden kann, steht weiter in den Sternen: Auf konkrete Lösungswege wartet man bislang noch.

Bilder: flickr/robyoung (CC BY 2.0); flickr/skinner08 (CC BY-NC 2.0)