Punktsieg für die Internetfreiheit
von Pascal Thiel
2012 war es soweit: Gefühlt ein halbes Jahrhundert nach Erfindung des Internets planten auch die Vereinten Nationen ihre Regularien der Telekommunikation an das digitale Zeitalter anzupassen. Eine Große Debatte – auch die Internetfreiheit sollte Teil von ihr sein. Doch einige Mitgliedsstaaten drängten in Richtung Internetkontrolle. Ist das Internet, wie wir es kennen, in Gefahr?
Das institutionelle Setting: Die ITU
Bereits 1856 als „International Telegraph Union“ gegründet, ist die „International Telecommunication Union“, kurz ITU, seit 1947 fester Bestandteil der Vereinten Nationen. Seitdem haben sich unter ihrem Dach Delegierte fast aller UN-Mitgliedsstaaten zur einzigen UN-Sonderorganisation im Informations- und Kommunikationssektor konstituiert. Zu ihren zentralen Aufgaben gehören die globale Organisation des Funksektors (Radio, TV, etc.), die Festlegung von weltweiten Standards im Zuge der Globalisierung der Telekommunikationsmedien und Entwicklungshilfe, um den „digital divide“, die digitale Kluft zwischen Industrienationen und Entwicklungsländern, zu überwinden.
Hinsichtlich ihres neuen Arbeitsbereichs „Internet“ blickt die ITU auf eine recht spärliche Historie zurück. 2003 und 2005 traf man sich zum „Weltgipfel zur Informationsgesellschaft Teil 1 und 2“ , wobei grundlegende Prinzipien und Handlungsabsichten bezüglich neuer technologischer und gesellschaftlicher Entwicklungen in der digitalen Informationsgesellschaft verabschiedet wurden. Diese zwei Konferenzen können als erste Gehversuche der Vereinten Nationen hinsichtlich des Internets gewertet werden.
Internet Governance – ein Streitthema…
Beim zentralen Thema dieses Artikels, der „Internet Governance“, fallen den Vereinten Nationen Entscheidungen schwer. Um trotz verschiedener Ansichten auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, rief der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan die „Working Group on Internet Governance“ (WGIG) ins Leben. Eine ihrer diversen Aufgaben ist die Definition des Ausdrucks „Internet Governance“:
Internet governance is the development and application by Governments, the private sector and civil society, in their respective roles, of shared principles, norms, rules, decision-making procedures, and programmes that shape the evolution and use of the Internet.
Im Zuge der Weltgipfels 2003 gegründet, stellte sie bei der Nachfolgekonferenz 2005 einen umfassenden Empfehlungskatalog hinsichtlich der Internet Governance vor. Dessen politische Umsetzung scheiterte aber an der Kompromissunfähigkeit der Verfechter des Status Quo auf der einen Seite und den progressiven, mehr Internetkontrolle fordernden Staaten auf der anderen Seite. Das ebenfalls 2005 gegründete „Internet Governance Forum“ (IGF), zur Konsensfindung geschaffen, indes brachte – abgesehen großer Reden – auch keinen Fortschritt.
Die Hoffnung auf eine Pfadänderung war groß, als Delegierte aller ITU-Mitgliedsstaaten Anfang Dezember 2012 nach Dubai reisten. Auf der „World Conference on International Telecommunications“ (WCIT) sollte endlich der große Durchbruch erreicht werden.
… auch auf der WCIT 2012
1988 wurden in Montreal auf der „World Administrative Telegraph and Telephone Conference“ (WATTC-88) mit den „International Telecommunications Regulations“ (ITR) erstmals grundlegende Regeln für den Betrieb moderner, internationaler Telekommunikationsdienste festgeschrieben. Mit der Anpassung dieser an die gegenwärtigen Entwicklungen und Herausforderungen des digitalen Zeitalters, wollte die ITU auf der WCIT 2012 das Bild der fortschrittslahmen UN-Unterorganisation endlich vergessen machen.
Doch die ITU verfiel in alte Muster: Wieder kristallisierte sich die gewohnte Konstellation aus Befürwortern und Gegnern einer verstärkten Internet Governance heraus. Während sich allen voran vier arabische Staaten mit ambitionierten Vorschlägen in den Mittelpunkt katapultierten, rieten „ITR-Minimalisten“ (heise.de)wie die USA, oder die EU zur Mäßigung.
Besonders ein von Russland, den VAE, China, Saudi Arabien, Algerien, Sudan and Ägypten eingebrachter Ergänzungsantrag (siehe Seite 6 des Dokuments) zu den ITR wurde heftig diskutiert. Bei Verabschiedung hätte dieser Staaten das „souveräne Recht“ gegeben,
„öffentliche und internationale Policies, Angelegenheiten der Internet Governance betreffend, festzulegen und zu implementieren sowie das nationale Internetsegment zu regulieren.“.
Ein gewaltiger Eingriff in die Internetfreiheit – mit stimmengewaltigen Reaktionen. Nichtregierungsorganisationen liefen Sturm, allen voran Access. Würde das Mandat der ITU sowie die ITR bezüglich des Internets erweitert, befürchtet die NGO eine
„old-school top-down government-centred organization replacing the open, bottom-up-governance that made the internet so world-changing.“
Google stellte sich mit einer Kampagne zur Internetfreiheit gegen den Antrag. Gegenwind kam auch von der Bundesregierung:
„Für die Bundesregierung sind die Ziele Offenheit, Transparenz und Freiheit des Internets Voraussetzungen dafür, dass das Internet seine herausragende Rolle als Motor gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklungen behält. Grund- und Menschenrechte wie Meinungs-, Rede- und Versammlungsfreiheit müssen im Internet genau so geschützt sein wie in der offline-Welt. Eine Regulierung des Internets ist nach Auffassung der Bundesregierung nicht Gegenstand der ITRs und soll es auch nicht werden. Die Bundesregierung wird bei der World Conference on International Telecommunications keinesfalls Vorschläge unterstützen, die die vorgenannten Grundfreiheiten gefährden könnten.“
Weiter heißt es:
„Bestrebungen, das Mandat der ITU zu erweitern, tritt die Bundesregierung entgegen. Insbesondere lehnt die Bundesregierung Bestrebungen ab, in den ITRs Regelungen zur Internetkriminalität, zu Internetinhalten, zur Netzneutralität oder zu Fragen der Besteuerung von Telekommunikationsdienstleistungen zu treffen.
Wohl zuletzt aufgrund dieser massiven Kritik wurde der Antrag im Laufe der Konferenz zurückgezogen. Während sich vereinzelte Befürworter tapfer dem gewaltigen Offline-Shitstorm stellten, zogen China und Russland distanzierend ihre Unterschriften zurück.
Was bleibt?
Bezüglich der Internet Governance konnte zwischen den ITR-Hardlinern und- Minimalisten erneut kein Konsens erreicht werden – das Problem ist bis auf Weiteres vertagt. Wo zwei sich streiten, freut sich der Dritte – in diesem Fall der Internetnutzer. Zudem hat sich die Befürchtung, die ITR könnten auf das Internet ausgeweitet werden, nicht bewahrheitet.
Mehr noch: Das Abschlusspapier, eine weiterentwickelte Version des ITR-Papiers aus dem Jahre 1988, wendet sich dem Internet erst gar nicht explizit zu – lediglich eine Resolution im Anhang des Papiers. Hier wird das Internet als „central element of the infrastructure of the information society“ beschrieben, die Wichtigkeit seiner Ausweitung erklärt und allen Staaten eine
„equal role and responsibility for international Internet governance and for ensuring the stability, security and continuity of the existing Internet and its future development and of the future internet“
zugesprochen.
Vor dem Hintergrund der Ablehnung einer Diskussion über Internet Governance durch ITU-Generalsekretär Hamadoun Touré in seiner Eröffnungsrede, kommt dieser Absatz doch etwas überraschend. Dennoch: Ist Internet Governance im WCIT-12-Abschlusspapier auch explizit festgeschrieben, bedeutet dies lediglich den Erhalt des Status Quo. Die Kontinuität des bestehenden Internets wird betont.
Somit hat die WCIT 2012 vorerst keine Auswirkungen auf die Internetfreiheit. Der Worst Case ist abgewendet. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie sich die Dinge entwickeln.
Fotos: flickr/23743211@N07 (CC BY-NC-ND 2.0); flickr/itupictures (CC BY 2.0); Foto von Pascal Thiel
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