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SocialMedia

Wer hat hier Social Media Marketing nicht kapiert?

Social Media Marketing kann auch mal ganz anders funktionieren. Dafür braucht man keine teuren Seminare buchen. Und keine Agentur nach ihren Standardrezepten fragen. Wie das geht, zeigt der analytische Blick auf die Auseinandersetzung zwischen dem irischen Hotel- und Cafébesitzer Paul Stenson und Elle Darby, Social Media Influencer im Bereich Fashion und Beauty. Spoiler: Der Cat Fight hatte einen eindeutigen Sieger.

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Bike Bridge – eine Audioslideshow

In einer Zeit, in denen uns Medienangebote regelrecht überfluten, ist die Frage, wie man einen journalistischen Beitrag aufbereitet, ganz besonders wichtig. Denn nicht jedes Thema eignet sich für jedes Format. Wie lässt sich zum Beispiel ein Integrationsprojekt anschaulich porträtieren?

Schreibmaschine

Lösungsansätze für die Krise des Journalismus

Die aktuelle Krise des Journalismus bei den etablierten Medienunternehmen wie ARD, ZDF oder der TAZ zu beleuchten und analysieren war ein Ziel für die beiden Medienwissenschaftler aus Tübingen, Panagiotis Fotiadis und Thanh Mai Tran. Mit ihrer Reportage „Journalisten unter Druck – Eine Krise ohne Ausweg“ zeigen die beiden Studierenden mit ihrem Bachelor-Abschlussfilm auch interessante Lösungswege: Wie man mit individuellen digitalen Ideen journalistisch arbeiten und Geld verdienen kann: Handmade digital Journalism.

„Das Fernsehen ist tot!“

Pierre M. Krause war an der Uni Tübingen als Workshop Coach zu Gast. Was er über die Zukunft des Fernsehens denkt, welche Geheimnisse er rund um das Fernseh-Business verraten hat und wofür eigentlich das M steht, lest ihr hier. 

Medienperspektiven à la francaise_Titelbild

Medienperspektiven à la française: eine Schlussbetrachtung

von Sonja Sartor

Einen Blick nach Frankreich zu werfen, lohnt sich. Diese Artikelreihe hat in den letzten Wochen versucht, an einzelnen Aspekten die Vielfalt der französischen Medienlandschaft widerzuspiegeln und dabei auch Themen zu betrachten, die man aus der deutschen Tagespresse weniger kennt. Wir blicken zurück auf die fabelhafte Welt der Medienperspektiven à la française.

Frankreich im Fokus

Die Artikelreihe begann mit zwei großen Medienevents: Die Filmfestspiele von Cannes zeigen jedes Jahr im Mai, das Frankreich immer noch zu den großen Playern der Cineastik gehört. Die Bedeutung des Festivals für das Autorenkino ist immens und die goldene Palme kann als wichtigster Filmpreis nach dem Oscar gesehen werden. In Cannes wird nicht nur bereits gefilmtes Material geehrt, sondern den Weg für die Filme von morgen geebnet.

Der medial weltweit verfolgte Eurovision Song Contest verbreitete Hoffnung in dem von Terror gebeutelten Land. Frankreichs Kandidat Amir landete unter den Top Ten und gab seiner Heimat ein Stück des Nationalstolzes zurück.

Frankreich auf der Leinwand

schluss2Vom französischen Volk anerkannt und verehrt ist nicht nur Amir, sondern vor allem einer der großen Charakterspieler der Grande Nation: Gérard Depardieu. Er kann auf ein turbulentes Leben und herausragende Schauspielleistungen in jeglichen Rollen und Filmgenres zurückblicken. Dass er privat öfters über die Stränge geschlagen hat, wird ihm angesichts des Ruhms, den er über die französischen Grenzen hinaus trägt, großzügig verziehen. Bleibt nur zu hoffen, dass der hünenhafte Tausendsassa mit der sanften Stimme uns noch lange mit neuen Filmen oder Fernsehserien beschenken kann.

In einer kleinen Rückschau wurden die Tabubrüche analysiert, die für das französische Kino so typisch sind. Jean-Jacques Beineix‘ Betty Blue – 37,2 Grad am Morgen (1986) stellte sich als Meisterwerk des Cinéma du look heraus, das dem Zuschauer so eindringlich wie kaum ein anderer Film vor Augen führt, welche extremen Wege ein Liebespaar gehen kann, von dem eine Person an einer ausgeprägten Persönlichkeitsstörung leidet. Der Kontrast zwischen den impulsiven, wutgeladenen und den zärtlichen, zerbrechlichen Momenten Bettys zeugt von großer Filmkunst.

Frankreich hat jedoch auch aktuell interessante und einzigartige Filme anzubieten: In einer Kritik wurde der Dokumentarfilm Tomorrow – die Welt ist voller Lösungen unter die Lupe genommen. Filmemacher Mélanie Laurent und Cyril Dion stellen darin kreative Konzepte vor, die sich gegen den prognostizierten Zusammenbruch der Zivilisation stellen und dazu anregen, selbst Hand anzulegen, damit die Kinder von morgen in einer genauso gut oder sogar besser funktionierenden Welt leben können. Der Film ist ein gelungener Gegenentwurf zu Horrorszenarien rund um den Weltuntergang und ist nicht nur unterhaltend, sondern spendet auch viel Hoffnung, was die Zukunft dieser Erde betrifft.

Frankreich streitet, leidet und steht wieder auf

Weiter ging es mit einem Exkurs zur Debatte rund um das Gesetz Loi Evin. Es setzt seit 1991 relativ strenge Maßstäbe zu Werbung für Alkohol und Tabak. Jedoch ist es französischen Abgeordneten gelungen, das Gesetz im Herbst 2015 aufzuweichen. Wo Medien vorher in Beiträgen aus Vorsicht vor keinen Bezug zu Alkohol erwähnten, ist es jetzt legal, über Wein und andere alkoholische Getränke zu „informieren“. Diese Gesetzesänderung soll den Weintourismus und damit die ins Schwanken geratene französische Wirtschaft fördern. Mitunter zeigt die Debatte, dass Wein trotz aller Warnungen seitens gesundheitlicher Behörden zum französischen Leben dazugehört.

Der Artikel über französische Internettrends räumte mit dem Vorurteil auf, dass Franzosen arrogant sind und nicht über sich selbst lachen können. Anhand der Erfolgs-Webseite Viedemerde.fr wurde festgestellt, dass Internetnutzer heute die peinlichen und frustrierenden Aufreger des Tages mit Tausenden von Leuten teilen, die man früher nur dem engsten Freundeskreis erzählt hätte.

Über ein Jahr nach dem Terroranschlag auf Charlie Hebdo war es Zeit, den Status quo von französischer Satire aufzuarbeiten. Basierend auf einer langen Tradition von Karikaturen und Pamphleten, die bis in die Aufklärung zurückreicht, hat sich in Frankreich eine besonders scharfzüngige Satire ausgebildet. Kein Blatt vor den Mund nehmen, Problematiken überspitzen und Persönlichkeiten und Institutionen lächerlich machen – dies ist essenziell für die funktionierende Demokratie der französischen Republik. Charlie Hebdo hat durch das Attentat Kollegen und damit viel künstlerisches Potenzial verloren und versucht heute, eindeutigere Botschaften zu vermitteln. Aufgeben ist keine Lösung: Frankreich bleibt Charlie.

Abschließend ist zu betonen, dass diese Artikelreihe keinen Anspruch auf die vollständige Abbildung der französischen Medienlandschaft gelegt hat. Ziel war es vielmehr, den Lesern von media-bubble.de einen Einblick in interessante und wichtige französische Medienthematiken zu geben. Frankreich und Deutschland lassen sich im Hinblick auf Medien nur schwer vergleichen. Jede Medienlandschaft ist einzigartig. Einzigartig ist an der französischen Medienlandschaft die große Rolle, die Satire einnimmt. In Zeiten der permanenten Terrorangst ist es bewundernswert, welch standfeste Haltung Frankreich einnimmt, die sich auch in den Medien widerspiegelt. Im Kino hat Frankreich immer wieder neue Maßstäbe gesetzt, Filmgeschichte geschrieben und bringt auch aktuell mit neuen Konzepten frischen Wind in die Kinosäle. Internettrends zeigen, dass sich das französische Volk nicht den Humor und vor allem die Lust am Leben nimmt. Medien aus Frankreich sind besonders und vielfältig – und es wird sich auch in Zukunft lohnen, ab und zu in die französische Medienwelt einzutauchen.

Fotos: Pixabay.com , flickr.com/Becky Lai (CC BY-NC-ND 2.0)


Alle Artikel dieser Reihe:

Wenn Leid zu Glück wird –  Der Eurovision Song Contest 2016

Die Crème de la Crème des Autorenkinos

Gérard Depardieu: „Es hat sich so ergeben“

Ein bisschen Wein muss sein

Filmkritik: Tomorrow – die Welt ist voller Lösungen

Frankreich bleibt Charlie

Der Tabubruch im französischen Film

Französische Webtrends: Mit Humor geht’s besser

Französische Webtrends: Mit Humor geht’s besser

von Sonja Sartor

Es gibt unzählige Internettrends in dieser vernetzten Welt. Die meisten finden ihren Anfang in den sozialen Netzwerken und verbreiten sich wie ein Lauffeuer um den Erdball. Verrückte Ideen, Aktionen und witzige Videos und Fotos, die jeder Nutzer nachahmen kann, erfreuen sich großer Beliebtheit. Unter dem Stichwort Ice-Bucket-Challenge lassen sich Promis und Normalos einen Eimer eiskaltes Wasser über den Kopf gießen, um Spenden für Patienten der Nervenkrankheit ALS zu sammeln. Beim Face-Swap werden durch eine Anwendung zwei Gesichter vertauscht und man kann plötzlich sehen, wie einem beispielsweise das Gesicht der Queen stehen würde. Ganz aktuell erlebt die Facebook-Seite des fiktiven BWL-Studenten Justus einen  großen Hype, denn der schnöselige Pullunderträger verkörpert alle Vorurteile seines Studiengangs und bringt mit seinen arroganten Sprüchen Studenten in ganz Deutschland zum Lachen. Die bekanntesten Internettrends scheinen vor allem aus dem anglo-amerikanischen Raum zu uns herüberzuschwappen.

Woher ein Internettrend ursprünglich stammt, ist eigentlich weniger von Bedeutung, Hauptsache, er macht Spaß. Trotzdem sind gerade französische Internettrends einen Bericht wert, denn sie sagen viel über das französische Volk aus und vervollständigen das Bild der französischen Medienlandschaft, das diese Artikelreihe skizzenhaft abzubilden versucht.

Vie de merde – Was für ein Scheißleben

Franzosen wirft man manchmal vor, arrogant zu sein. Wer der französischen Sprache nicht Herr ist, kommt oft mit Englisch auch nicht weiter in der Grande Nation. Die meisten Franzosen sprechen ungern Englisch, nicht etwa aus Arroganz oder fehlender Bildung, sondern weil sie keine Fehler machen möchten. Das Gesicht zu bewahren, ist überaus wichtig.

Das bedeutet jedoch nicht, dass Franzosen nicht über eigene Malheure des Alltags lachen können, wie ein französischer Internettrend zeigt. Auf der Seite www.viedemerde.fr können User Anekdoten teilen, die beweisen, dass sie ein vie de merde, also ein „Scheißleben“ haben. Ein Beispiel gefällig?

Der Autor folgender Anekdote hatte richtig Pech: „Nachdem ich wegen der Streiks tagelang ohne Sprit auskommen musste, steht mein Auto nun ein Meter unter Wasser, aber dafür mit vollem Tank. Scheißleben“ (Zum besseren Verständnis: Aktuell werden Tankstellen aus Protest gegen eine Arbeitsreform der Regierung bestreikt, außerdem gab es kürzlich in Teilen Frankreichs Überschwemmungen). Die Nutzer können in Form von kategorisierten Klicks ihre Zustimmung zeigen. So hat der beschriebene Post am 9. Juni 2016 schon über 45.000 Mal die Bestätigung bekommen, dass der Autor ein „Scheißleben“ hat.

Ein Anderer klagt: „Heute hat meine Katze ihr großes Geschäft im Katzenklo gemacht. Dann ist sie auf den Küchentisch gesprungen, um sich den Hintern mit der Spitzentischdecke abzuputzen und ist, als wäre nichts gewesen, wieder hinuntergesprungen. Scheißleben.“

Die Anekdoten sind meistens zwei bis maximal drei Sätze lang und enden mit einer Pointe. Eine Garantie für ihre Wahrheit gibt es nicht, aber sie müssen witzig und dürfen weder rassistisch noch sexistisch sein. Die Themen Tod, Krankheit und Unfälle sind ebenfalls tabu.

Die Seite www.viedemerde.fr ist bis heute noch überaus erfolgreich. Gegründet wurde sie 2008 von dem Programmierer Maxime Valette. In einem anfänglichen Blog schrieb der junge Mann alles nieder, was er täglich an Kuriositäten und Aufregern erlebte. Das Timing war perfekt, denn die Auswirkungen der Finanzkrise traten zu Tage und viele Bürger konnten sich mit dem „Scheißleben“ identifizieren. Laut der Tageszeitung L’Est Républicain erreichte die Seite innerhalb der ersten zwei Monate eine Reichweite von 40.000 Lesern. Eine englische Version der Seite gibt es inzwischen auch, mit dem passenden Namen F my Life.

Internettrends2Was man früher nur dem engsten Kreis erzählt hat, möchte man heute mit so vielen Menschen wie möglich teilen. Die kleinen und großen Aufreger mit der Öffentlichkeit zu teilen, ist eine Art Selbsttherapie, bei der man den Zuspruch und die Anerkennung anderer bekommt. Das Erlebte ist plötzlich weniger dramatisch und wird ins Lustige verkehrt.

Schadenfreude spielt natürlich trotzdem eine Rolle. Wie das Wall Street Journal feststellt, basiert französischer Humor darauf, sich über das Unglück anderer lustig zu machen. Ganz nach dem Motto: Le malheur des uns fait le bonheur des autres“, was dem deutschen Sprichwort „Des einen Freud, des andern Leid“ entspricht. Nicht umsonst gibt es auch auf Viedemerde.fr den Button „Das hast du verdient“

Das ganz normale Stadtleben

Humor mit Augenzwinkern zeichnet auch eine junge Facebook-Seite aus.
Jugendliche, die sich außen an der Straßenbahn festklammern und so eine kostenlose Bahnfahrt einheimsen? Ganz normal in Lyon! Die Facebookseite C’est normal à Lyon (dt. Das ist normal in Lyon) veröffentlicht kuriose Fotos, die zeigen, was scheinbar normal ist in der drittgrößten französischen Stadt. Eigentlich stammt dieses Konzept aus Niort, einer Gemeinde in Poitou-Charentes. Der Facebook-Auftritt über Lyon, der im November 2014 kreiert wurde, hat inzwischen mit 24.000 Likes ingesamt etwa 5000 mehr Likes als die Originalseite über Niort.

Selbst, wenn man so wie ich nur ein paar Monate in Lyon gelebt hat, schaut man sich gerne die Bilder von den ungewöhnlichen Seiten der Stadt an. Man erkennt Situationen wieder, die man selbst erlebt hat und muss schmunzeln. Das Konzept, die typischen Seiten einer Stadt zu zeigen, gibt es natürlich auch in Deutschland. Auf dem Blog „When you live in Berlin“ zeigt eine Engländerin persönliche Stadtmomente, zu denen sie die Filmsequenzen als Gif-Animation einfügt.

Das Schöne an Internettrends ist, egal ob sie aus Frankreich stammen oder nicht, dass jeder Nutzer sie imitieren und daraus etwas Eigenes machen kann. Sie unterhalten und helfen uns, unseren Alltag, so kompliziert und mühsam er auch sein mag,  leichter zu nehmen. Denn Humor ist ja bekanntlich, wenn man trotzdem lacht.

Fotos: flickr.com/joffreydelacour (CC BY-NC-ND 2.0), flickr.com/Duncan Hall (CC BY 2.0)


Weitere Artikel dieser Reihe:

Wenn Leid zu Glück wird –  Der Eurovision Song Contest 2016

Die Crème de la Crème des Autorenkinos

Gérard Depardieu: „Es hat sich so ergeben“

Ein bisschen Wein muss sein

Filmkritik: Tomorrow – die Welt ist voller Lösungen

Frankreich bleibt Charlie

Der Tabubruch im französischen Film

Slut-Shaming: Wenn sich der Mob zur Moralpolizei erhebt

von Lara Luttenschlager

Als sich die Australierin Olivia Melville, 23 Jahre alt, vergangenes Jahr ein Profil auf der allseits gehypten Dating-App Tinder zulegte, hatte sie sich wohl etwas andere Reaktionen erhofft. Denn eigentlich verspricht die App vor allem eins: Den ersten Eindruck auf potentielle Flirts durch ein perfekt inszeniertes Selfie und einen lustigen oder besonders tiefgründigen Spruch bis ins letzte Detail selbst bestimmen zu können. Wem dieser gefällt, ist vielleicht ein „Match“, und wem er nicht zusagt, sieht man sowieso nicht. Abfuhren bleiben so garantiert aus. Olivia, auf ihrem sorgsam ausgewählten Profilbild mit Lippenstift-Lächeln und zwei Freundinnen im Hintergrund ausgestattet, wählte einen vielleicht nicht ganz so romantischen Untertitel für ihr Profil, ein Zitat aus Drakes Song Only: „Type of girl that will suck you dry and then eat some lunch with you“. Für Tinder-Nutzer Chris Hall war dies zwar keinen Match wert – aber einen Screenshot, den er auf Facebook veröffentlichte. Sein Kommentar dazu: „Behaltet Klasse Ladies / Ich bin erstaunt, dass sie immer noch Hunger auf Mittagessen hat“. Der Screenshot ging viral – in Begleitung einer Welle an Beleidigungen über die junge Frau und ihr Profil. Wie so viele andere war Melville soeben „geslutshamed“ worden.

Die Moralpolizei und ihr digitaler Pranger

erster AbschnittDer öffentliche Pranger, wie er früher etwa in Form öffentlicher Auspeitschungen auf dem Marktplatz stattfand, hat in den Sozialen Medien in Form von Cybermobbing sein großes Comeback erlebt. Wer in den Augen der Öffentlichkeit – oder zumindest einer Teilöffentlichkeit – gesündigt hat, wird zur Schau gestellt, diffamiert, beleidigt. Sogenannte shamer betreiben gezielt public shaming gegen jene, die ihrer Meinung eine Normverletzung begangen haben. Im Fall des immer weiter verbreiteten slut-shaming sind es Frauen, die sich scheinbar zu freizügig zeigen oder ein zu freies Sexualleben haben, über die ein wahrer Shitstorm hereinbricht. Am digitalen Pranger werden sie als „slut“ beleidigt, ein Exempel an ihnen statuiert, ihre Normverletzung viral verbreitet. Hall und seine Freunde kündigten sich selbst als „die Kavallerie“ an, bevor sie in der Kommentarzeile weitere Anfeindungen formulierten, als würden sie sich als Kämpfer im Krieg gegen die Verdorbenheit der Frauen verstehen.

Als besonders engagiertes Mitglied dieser selbsternannten digitalen Moralpolizei erwies sich Halls Facebook-Freund Zane Alchin mit Kommentaren wie: „It’s people like you who make it clear women should never have been given rights“. Die wütenden Antworten einer Freundin Melvilles würdigte er durch Vergewaltigungsdrohungen: „You know the best thing about a feminist they don’t get any action so when you rape them it feels 100 times tighter“. Melvilles Fall ist dabei nur einer von vielen – und auch slut-shaming ist nur ein Beispiel für die Bloßstellung sich nicht „normenkonform“ verhaltender Menschen. So verursachte beispielsweise die PR-Managerin Justine Sacco 2013 eine riesige Empörungswelle, als sie kurz vor ihrem Flug nach Kapstadt twitterte: „Going to Africa. Hope I don’t get AIDS. Just kidding. I’m white!“. Sofort zirkulierten weltweit hasserfüllte Kommentare zu der jungen Frau und ihren rassistischen Tweet unter dem Hashtag #hasjustinelandedyet, wenige Tage später setzte ihr sie Arbeitgeber vor die Tür.

Die Verlockungen der digitalen Experimentierwiese

zweiter AbschnittIm digitalen Zeitalter haben wir einen Raum geschaffen, in dem sich nicht nur immer mehr Aspekte unseres Lebens abspielen, sondern in welchem wir auch eine neue Bühne finden, um uns selbst zu inszenieren. Dabei gehört die Selbstinszenierung zum alltäglichen sozialen Leben des Menschen dazu – nur findet sie im Internet nicht Face-to-Face statt. Im zunächst anonymen oder zumindest entpersonalisierten virtuellen Raum haben wir so die Möglichkeit, mit unserer digitalen Identität zu experimentieren, indem wir in sozialen Netzwerken bestimmte Informationen preisgeben, Bilder von uns veröffentlichen und so gezieltes impression management betreiben, wie Erving Goffman sagen würde. Doch während es in der analogen Welt weitaus schwieriger ist, sich zu verstellen, kann man sich in der digitalen Welt durchaus von seiner wahren Person lösen und sich ein anderes Gesicht geben – manchmal im wahrsten Sinne des Wortes. Wohl deshalb ist die Freizügigkeit und sexualisierte Eigendarstellung junger Frauen im Wettbewerb um Aufmerksamkeit und Anerkennung ein inzwischen wohlbekanntes Phänomen.

Wofür viele jedoch noch kein Bewusstsein besitzen, sind die neuen, theoretisch weltweiten Öffentlichkeiten, in die sie ihre Informationen einspeisen. Dies führt dazu, dass Normverletzungen nicht mehr nur in einem begrenzten, lokalen Rahmen sichtbar werden, sondern völlig fremde, weit entfernt lebende Menschen sich ebenfalls über die Handlungen anderer entrüsten können. Durch den höheren Anonymitätsgrad im Netz und die indirekte Form der Kommunikation verlieren diese jedoch große Teile ihrer Empathiefähigkeit, da sie ihren Opfern nicht direkt ins Gesicht sehen, wenn sie agieren. Das Ergebnis sind enthemmtere, verletzendere Reaktionen auf Menschengruppen, deren Verhalten scheinbar nicht mit vorherrschenden Wertvorstellungen vereinbar ist – im Fall des slut-shaming werden dabei Menschen angegriffen, deren Sexualleben angeblich nicht dem gesellschaftlich anerkannten Vorbild entsprechen.

Eine Hetzjagd mit Folgen

Welche Folgen diese digitale Hetzjagd auf die Opfer haben kann, dessen sind sich die shamer meist nicht bewusst. Das wohl bekannteste Beispiel für die Auswirkungen des slut-shamings ist der Selbstmord der 15-jährigen Amanda Todd im Jahr 2012, deren Nacktfoto auf einem Facebook-Profil veröffentlicht wurde und trotz mehrmaliger Wohnortswechsel immer wieder zu Mobbing im Internet und durch ihre Mitschüler führte. Philosoph Burkhard Liebsch spricht im Zusammenhang mit Cybermobbing von einer virtuellen symbolischen Gewalt, durch die gezielt das moralische Gesicht, das Ansehen einer Person zerstört wird. Und da das Internet ja bekanntlich nicht vergisst, ist dieses Gesicht auf lange Sicht kaum wiederherstellbar. Wer heute Olivia Melvilles Namen auf Google eingibt, findet sofort die Spuren ihrer Bloßstellung, die sich auch in  Zukunft wahrscheinlich nicht mehr löschen lassen werden. Wenigstens hatte der Vorfall dieses Mal auch für die shamer Folgen: Chris Hall verlor seinen Job und Zane Alchin muss sich im Juni 2016 vor Gericht verantworten.

Fotos: flickr.com/Delete (CC BY-NC 2.0), flickr.com/Helga Weber (CC BY-ND 2.0), flickr.com/_eWalter_  (CC BY-NC 2.0)


Weitere Artikel dieser Reihe:

Wenn Aladdin zum Feind wird

Feindbilder in den Medien

Skrupellos, gerissen, unentbehrlich: Filmfeinde

Künstliche Intelligenz: Unsere Angst vor der „Robokratie“

Die Zukunft des Journalismus

Von Jasmin Gerst

Der promovierte Politikwissenschaftler Dominik Wichmann referierte am 14. Dezember im Kupferbau der Universität Tübingen über Veränderungen des Verhältnisses zwischen Publikum und Medien sowie dessen Auswirkungen auf den Journalismus wie wir ihn kennen. Wichmann war Chefredakteur des SZ-Magazins und beim STERN, außerdem hat er vor kurzem zusammen mit Guido Westerwelle dessen Biografie „Zwischen zwei Leben: Von Liebe, Tod und Zuversicht“ realisiert.

Geizige Digital Natives?

DominikWichmannWichmann stellt zu Beginn klar, dass der Journalismus noch nie besser war – die Qualität der Inhalte steigt, trotzdem sind immer wenige Konsumenten bereit für diese Qualität Geld zu bezahlen. Eine offensichtliche Veränderung stellt das Leseverhalten der Konsumenten dar. Fakt ist, dass viel weniger Menschen eine Tageszeitung abonniert haben als früher. Und warum? Weil mittlerweile fast alles kostenlos im Netz zu finden ist. Der Kampf, den die Journalisten führen müssen, lässt an der Zukunft des Journalismus zweifeln. Wichmann ist sich jedoch sicher, dass es ihn immer geben wird, allerdings in veränderter Form und mit qualitätsvolleren Inhalten. Die jüngere Generation der Journalisten, die Digital Natives, sind sich ihrer Zukunft zwar ungewiss, bringen jedoch gewisse Vorteile mit sich: Sie können das Neue leichter adaptieren und dabei spielt das Alter eine wichtige Rolle. Da sie bereits in jungen Jahren den Umgang in der digitalen Welt erlernt haben, sind sie der älteren Generation um Längen voraus. Denn Kommunikation allein reicht nicht mehr aus: Die Konsumenten fordern mehr Expertise, aber gerade die Digital Natives sind nicht bereit für diese Expertise zu bezahlen.

Akzeptieren und Umdenken

Fakt ist also, dass sich die Zeiten geändert haben und man sich dieser neuen Zeit anpassen muss. Dazu gehört nicht nur diesen Wandel zu akzeptieren, sondern ihn auch zu „wollen“. Denn die unendlichen Möglichkeiten, die es nun auf dem Markt gibt, müssen optimiert werden. Es ist also von großer Wichtigkeit, dass der Journalismus diese Angebote wahrnimmt und sich heute viel mehr vermarkten muss als früher. Dazu gehört unter anderem stets präsent zu sein, Expertise zu erlangen, Unvoreingenommenheit sowie Form und Inhalt in Einklang zu bringen. Wichmann stellt außerdem fest, dass dieser Umbruch auch viele Widersprüche mit sich bringt. Ein Journalist muss zwei wichtige Parameter vereinen: möglichst aktuell und möglichst zeitnah sein. Das bedeutet, was die Aktualität betrifft, im digitalen Zeitalter angekommen zu sein (Stichwort Liveticker oder Twitter), sowie möglichst schnellen und guten Journalismus zu präsentieren. Dass die Qualität dadurch auf der Strecke bleibt, ist nur allzu verständlich. Nur ein wirklich guter Journalist kann diese beiden Kräfte vereinen, aber dadurch steigt ein weiterer Druck – die Möglichkeit des Scheiterns.

Präsent sein

Ein weiteres Problem ist, dass die Leser nicht nach bestimmten Nachrichten suchen. Die Daten kommen zum Leser und nicht der Leser zu den Daten. Diese werden aufgrund von den Spuren, die der Nutzer tagtäglich hinterlässt, angepasst. Wichtig sei außerdem, dass die Inhalte dort zu finden sein müssen, wo der Leser sich aufhält (z.B. Werbung bei Facebook / Twitter / Instagram etc.). Deshalb wird es immer wichtiger auf Facebook, YouTube, Twitter usw. präsent zu sein. Dass der mediale Wandel begonnen hat, zeigt sich auch dadurch, dass hochkomplexe Themen mittlerweile über mehrere Stunden (z.B. Serie Mad Men) ausdiskutiert werden können. Problem dabei ist jedoch, dass nicht jeder Sender kooperiert und weiterhin ein „spießiges und biederes“ TV-Programm bietet. Die Digitalität ermöglicht revolutionäre Umbrüche sowie eine enorme Verfügbarkeit der Daten.

Aus Real-Time wird Before-Time

Ist es also ein Ende des Journalismus wie wir ihn kennen? Das Berufsbild wird zwar nie verschwinden, so Wichmann, aber der Journalist muss umdenken und sich deutlich mehr nach seinen Lesern richten. Außerdem wird er es deutlich schwerer haben als früher. Denn der Redakteur der Zukunft übernimmt die Rolle als Chefredakteur der Gegenwart. D.h. die Transparenz der Daten führt dazu, dass er oder sie entscheiden.

Durch diese Verfügbarkeit der Daten wird der Journalismus zu einem ganz anderen, so gravierend wird er sich verändern. Sein retrospektiver Charakter wird erweitert und eine neue Erzählform wird entstehen: aus Real-Time wird Before-Time. Um erfolgreich zu sein, fügt Wichmann hinzu, muss man das Rad nicht neu erfinden, es reicht lediglich es als erster zu importieren. Innovation wird ein großes Stichwort sein, diese ist jedoch mühsam und anstrengend. Deshalb ein weiterer Tipp von Wichmann: bestehendes Optimieren!

Foto: © Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

Das Streben nach Perfektion

Von Valerie Heck

Schlauer, aktiver, fitter – dank Technik ist das jetzt möglich. Denn immer mehr Apps und Gadgets werden entwickelt, um den Menschen in seinem Streben nach Optimierung und Perfektion zu unterstützen. Vor allen Dingen im Bereich der Gesundheit und Fitness kann der Mensch immer mehr auf die Unterstützung von Technik bauen. Aber auch die Grenzen des menschlichen Gedächtnisses können beispielsweise mit Kameras, die alle paar Sekunden ein Foto schießen, überwunden werden. Lifelogging heißt der Trend, sein Leben in all seinen Facetten aufzuzeichnen.

„Ein Stück irdische Unsterblichkeit“

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Gordon Bell mit SenseCam

Was als neuster Trend des digitalen Zeitalters gilt, macht Gordon Bell schon seit Jahrzehnten. Dabei trägt der Microsoft-Ingenieur nicht nur bei jedem Schritt, den er macht, eine so genannte SenseCam um den Hals, die alle 20 Sekunden automatisch ein Bild von seiner Umgebung macht. Er speichert auch Artikel, Bücher, CDs, Briefe, Mitteilungen, Präsentationen, private Filme, besuchte Websites, tägliche Aktivitäten und sogar Transkripte von Telefongesprächen und Chats. Sein Ziel ist es, eine lückenlose Enzyklopädie seines Lebens zu erstellen. Das Ganze begann 1998 mit dem Projekt „MyLifeBits“, doch auch nach der Beendung des Projekts 2007 machte Bell mit dem Lifelogging weiter. Nach all den Jahren findet es Bell praktisch, sein digitales Gedächtnis aufrufen zu können

In seinem Buch „Your life, uploaded“ beschreibt Bell die Vorzüge des Lifeloggings: „Man gewinnt mehr Einsicht in sich selbst, die Fähigkeit, die eigene Lebensgeschichte mit proust‘scher[1] Detailtreue nachzuerleben, die Freiheit, weniger im Gedächtnis zu behalten und mehr kreativ zu denken, und sogar ein Stück irdische Unsterblichkeit, weil das Leben im Cyberspace bewahrt wird.“ (Morozov: „Smarte neue Welt“) Für Bell ist das Archivieren seiner Lebensgeschichte ein Versuch, die Grenzen des menschlichen Gedächtnisses zu überwinden.

Auch Software-Pionier Stephen Wolfram protokolliert seinen gesamten Tagesablauf und hat mittlerweile ziemlich verlässliche Daten über sein Verhalten der letzten 25 Jahre gesammelt. Seine Prämisse dabei ist allerdings: Es darf kein Aufwand dahinter stecken, die Daten zu erfassen; das Ganze muss im Hintergrund ablaufen. Technik macht dies möglich: Eine Uhr überwacht seine Herzfrequenz und seine Schritte, sein Computer macht alle 15 Sekunden einen Screenshot, seine Tastatur erfasst jeden Tastendruck, ein Mikrofon nimmt die Geräusche um ihn herum auf und eine kleine Ansteckkamera schießt alle 30 Sekunden ein Bild.

Alle Zeichen stehen auf Optimierung

Tatsächlich spielt die Technik bei dem Drang nach Optimierung eine große Rolle. Es werden Fitnessarmbänder, Smartphone Apps und immer kleinere Ansteckkameras entwickelt, damit die Menschen möglichst alle ihre Daten aufzeichnen und diese zur Optimierung der körperlichen und geistigen Leistung nutzen können.

Und die neuen Gadgets werden von den Leuten angenommen: Sie versehen ihren Körper mit Sensoren, die körperliche Parameter wie Körpertemperatur, Schritte und Herzfrequenz aufzeichnen, tragen nachts Stirnbänder zur Messung der Gehirnaktivität beim Schlaf und lassen sich von Apps vorschreiben, wie viele Kalorien sie heute noch zu sich nehmen dürfen. Kurz: Die Menschen vermessen sich selbst. Dabei ist ihr Ziel häufig die Optimierung des eigenen Lebens – man will mit  Hilfe von Technik fitter, gesünder oder sogar weniger gestresst werden. Seit 2007 wird dieser Trend mit dem Begriff „Quantified-Self“ zusammengefasst. Dabei werden zwei Tendenzen der Zeit vereint: Der Wunsch nach menschlicher Perfektion und der Glaube an die Segnungen digitaler Technologie.

Die Unternehmen freuen sich…

„Alles wird verschlüsselt sein, elektronische Erinnerungen werden in Schweizer Datenbanken lagern, man wird vorsichtig und begrenzt Informationen mit anderen teilen.“ (Morozov: „Smarte neue Welt“) So spricht Gordon Bell vom Speichern der gesammelten Daten – als eine private Angelegenheit. Doch die Wirklichkeit sieht ganz anders aus: Lifelogging findet in der Öffentlichkeit statt. Damit ist nicht nur gemeint, dass Lifelogger die Fotos, die alle 20 Sekunden automatisch geschossen werden, auf verschiedenen Plattformen veröffentlichen, egal wie trivial die Situationen und unscharf die Bilder auch sind, wie diese Aufnahmen mit dem Narrativ Clip zeigen:

Lifelogging (3) Lifelogging (5) Lifelogging (4)

Sondern es ist vor allen Dingen gemeint, dass die Unternehmen durch Apps, Fitnessarmbänder und andere Anwendungen an die Daten ihrer Kunden gelangen und mit Daten lässt sich bekanntlich Geld verdienen. So gibt Travis Bogard von Jawbone, dem Hersteller von Fitnessarmbändern und –apps ganz offiziell zu, dass sein Unternehmen in Zukunft mit Daten und nicht mehr mit Hardware Geld verdienen wolle. Auch das kleine Unternehmen Exist profitiert von den Daten verschiedener Quantified-Self-Anwendungen, indem es diese nach Trends und Korrelationen durchsucht und die Ergebnisse der Analysen an die User verkauft.

Für Stefan Selke, Professor für Soziologie und gesellschaftlichen Wandel an der Hochschule Furtwangen, ist das kommerzielle Interesse an Lifelogging entscheidend für die Verbreitung des Trends und auch der Grund dafür, dass Lifelogging in Zukunft eine immer größere Rolle spielen wird. Unternehmen verdienen an den Daten und an den neuen Geschäftsideen, die sich daraus entwickeln. Denn in Zukunft sollen noch mehr Messungen als Schritt zählen und Puls kontrollieren möglich sein. Google hat bereits ein Patent für ein Armband angemeldet, das Krebszellen erkennen, zählen und am besten noch zerstören soll und wer weiß, was sonst noch in der Zukunft möglich sein wird.

Sinnloser Solutionismus?

Genau diesen kommerziellen Nutzen kritisiert der Autor des Buches „Smarte neue Welt“ Evegny Morozov: „Technologie ist ständig auf der Suche nach Problemen, die sie lösen kann, ohne dass sie einer Lösung bedürfen.“ Diese Tendenz fasst Morozov als „Solutionismus“ zusammen.

Nehmen wir das Beispiel des menschlichen Gedächtnisses, dessen natürliche Lücken für Menschen wie Gordon Bell und andere Lifelogger ein Problem darstellen, das es durch Techniken wie SenseCams, Archivierung und Lifelogging-Apps zu überwinden gilt. Sind die Lücken im Gedächtnis wirklich ein Problem oder manchmal nicht sogar nützlich, wenn man zum Beispiel ein schreckliches Ereignis aus der Vergangenheit verarbeiten möchte. Das Gedächtnis trifft eine Auswahl aus Auslöschen und Bewahren, während der Computer einfach nur speichert. Und wenn man wirklich darüber nachdenkt, braucht man auch Anwendungen wie Fitnessarmbänder oder „Schlafrhythmusüberwacher“ nicht. Doch es werden Probleme wie zu geringe Aktivität oder nicht ideale Tageseinteilung kommuniziert, die die neuste Technik überwinden kann. Und irgendwie ist es auch interessant, die Aktivität des Körpers zu überprüfen und lustig, eine unübersichtliche Menge an Fotos, die automatisch geschossen wurden, zu durchforsten und sich so an Momente zu erinnern, die man sonst wahrscheinlich vergessen hätte.

Es zeigt sich, dass durch die geschaffenen Probleme und die dadurch entwickelte Technik Trends entstehen. Daher werden auch in Zukunft „sinnlose“ Gadgets zur Optimierung des Lebens verwendet werden. Einfach, weil es sie gibt.


Literatur: Morozov, E. (2013). Smarte neue Welt: digitale Technik und die Freiheit des Menschen: Karl Blessing Verlag.

Fotos: flickr.com/N i c o l a (CC BY 2.0), flickr.com/JulianBleecker (CC BY-NC-ND 2.0), flickr.com/Roland Tanglao (CC BY 2.0), flickr.com/Roland Tanglao (CC BY 2.0), flickr.com/Roland Tanglao (CC BY 2.0)

 

[1] In seiner fiktiven Autobiographie „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ versucht der französische Schriftsteller Marcel Proust vergeblich, sich an seine Kindheit und Jugend zu erinnern. Es helfen ihm schließlich eine Reihe von „unwillkürlichen Erinnerungen“ oder Sinnesassoziationen, die Erlebnisse der Vergangenheit auf intensive Weise vergegenwärtigen und damit erinnerbar machen.

Scrollst du noch oder weißt du’s schon?

Von Anita Mäck

Kommunikation funktioniert in unserer Welt längst global. Wir rufen Informationen ab oder stellen sie ein und teilen unser Wissen mit allen Menschen, die einen Zugang zum Netz haben und danach suchen. Währenddessen wächst das Internet kontinuierlich. Sowohl die Anzahl der Server, die Informationen bereitstellen, als auch die Zahl der Nutzer sowie die Intensität der Interaktionen erhöhen sich.

Unsere Erdkunde-Lehrerin in der Schule sagte damals, es sei nicht wichtig alles zu wissen, man müsse nur wissen, wo es steht. Recht hat sie, dachten wir. Ihre Aussage nahm einen gewissen Druck von uns. Das Gefühl, es sei nicht schlimm etwas nicht zu wissen, bezog sich also auf unser Erdkunde-Buch. Heute steht uns eine viel größere Quelle zur Verfügung, das Internet. Das Scrollen auf unseren Smartphones und Tablets ist zur alltäglichen Bewegung geworden. Vergessen wir sie einmal zu Hause, fühlen wir uns nackt. Wie lebt es sich in unserer Informationsgesellschaft? Wie gehen wir mit der Bandbreite an Inhalten um?

Wissen auf dem Silbertablett serviert

Der Begriff der Informationsgesellschaft ist bislang nicht allgemein definiert und wird häufig mit dem der Wissensgesellschaft gleichgesetzt. Er steht für eine Gesellschaftsform, die Informationsverarbeitung, insbesondere über Computer und Internet, nutzt, um Wissen zu teilen. Dies können wir stets erweitern und wiederum anderen Menschen, einschließlich der Ursprungsquelle, zur Verfügung stellen. Durch dieses Verhalten entstand z.B. Wikipedia, die größte Wissensdatenbank der Welt. Der mittlerweile einfache Zugang zu einer mächtigen Bandbreite an Wissen verführt dazu, unmittelbar zum Smartphone zu greifen, wenn man etwas nicht weiß. Im Internet trifft man dann auf Menschen, denen man im realen Leben normalerweise nicht begegnen würde. Oldtimer-Fans etwa tauschen sich in Foren über ihre geliebten Autos aus. Dabei spielt es keine Rolle, dass sie quer über den Globus verteilt wohnen, solange sie über dasselbe Automodell sprechen. So vielfältig und weit unsere Welt durch das breite Angebot an Informationen wird, so eng rückt sie dadurch auch zusammen.

Intelligenter Umgang mit Wissen als Schlüsselkompetenz

„If I have seen further it is by standing on the shoulders of giants. “ Mit diesem Satz wollte Isaac Newton ausdrücken, wie wichtig es vor allem in der Wissenschaft sei, Informationen zu teilen, um Dinge nicht permanent ein weiteres Mal erfinden zu müssen. Gemeint ist also die Möglichkeit, die eigene Forschung auf den Ergebnissen anderer „Giganten“ aufbauen zu können. Doch nicht nur die Menge an Wissen vergrößert sich, auch die Verfügbarkeit erhöht sich kontinuierlich. Informationen bereitzustellen kostet vergleichsweise wenig. Das „virtuelle Bücherregal“ ist also günstiger als ein echtes, lässt sich einfacher aufbauen und mit ein paar gezielten Klicks intelligent durchsuchen. Wer sich nicht auf unseren rasanten technologischen Wandel einstellt, läuft Gefahr, zum sogenannten Analphabit zu werden. Ja, der Begriff ist richtig geschrieben. Er beschreibt diejenigen, die den Umgang mit Computern und digitalen Informationen scheuen. Wer nicht fähig ist, das Internet geschickt zu verwenden, bekommt früher oder später berufliche und gesellschaftliche Nachteile zu spüren.

Sich im komplexen Informationsdschungel zurechtzufinden und Wissen intelligent zu nutzen, erfordert wiederum Kenntnisse über die Vorzüge und Tücken des Internets. Hier sind u.a. Medienkompetenz, Recherchekompetenz und Urteilungsvermögen über die Qualität von Quellen gefragt. Genauer gesagt sollten sich Nutzer mit internetfähigen Geräten auskennen und wissen, mit welchen Schlagworten sie etwa zu ihrer gewünschten Information gelangen. Darüber hinaus sollte man Quellen kritisch auf ihre Richtigkeit prüfen, da im Netz jeder alles veröffentlichen und miteinander verlinken kann. Durch den einfachen Zugang zum Internet hinterfragen wir Inhalte häufig nicht näher, vor allem, wenn wir sie schnell benötigen. Warum sollten wir uns auch die Mühe machen, selbst nachzudenken, wenn wir die Information nach ein paar Klicks auf dem Silbertablett serviert bekommen? Vielen Nutzern fällt daher falsches Wissen nicht auf, welches sie dann weitertragen.

Doch wir beziehen nicht nur Informationen, wir liefern sie auch. Inzwischen ist es keine Neuigkeit mehr, was William Gibson, ein US-amerikanischer Science-Fiction-Autor, auf den Punkt bringt: „Wir leben in einer Informationsgesellschaft. Das lernt man schon in der Schule. Was man dabei nicht lernt, ist, dass man dabei auf Schritt und Tritt Spuren hinterlässt, immer und überall, winzige Bruchstücke, scheinbar bedeutungslose Datensplitter, die wieder aufgefunden und neu zusammengesetzt werden können.“ *

Immer schneller, immer weiter, immer mehr – was ist das richtige Maß?

Unsere Welt gestaltet sich durch rapiden Wissenszuwachs zunehmend komplexer. Umso wichtiger ist es, sich ihr anzupassen, um sie zu verstehen. Sowohl im Berufsleben als auch bei der privaten Nutzung ist es von Bedeutung, sich den Möglichkeiten des Internets zu öffnen und den entsprechend richtigen Umgang mit Informationen zu erlernen. Jedoch sollte man sich trauen selbst zu denken, Inhalte kritisch zu hinterfragen und nicht alles sofort glauben, was im Internet und über andere Medien vermittelt wird.

Wie schnell unsere Welt noch werden kann, ist nicht abzusehen. Oben noch als Empfehlung formuliert, stellt sich am Ende durchaus die philosophische Gegenfrage, ob der technologische und gesellschaftliche Wandel neben Anpassung auch Raum für etwas Abstand lässt? Wir definieren einen unzureichenden Wissensstand bei uns selbst als Auslöser für die Suche nach Information. Doch was genau bedeutet unzureichend für uns im digitalen Zeitalter? Wir haben rund um die Uhr die Möglichkeit Suchmaschinen zu befragen, aber sollten wir uns deshalb bei jeder noch so kleinen Wissenslücke „unnormal“ fühlen?

 

Foto: flickr.com/Ewa Rozkosz (CC BY-SA 2.0)


*Dieses Thema wird in anderen Teilen der Artikelreihe genauer beleuchtet, weshalb es hier nur der Vollständigkeit halber angedeutet ist.