Amazon auf Kriegsfuß mit Verlegern
von Anton Semerikow
Lange Wartezeit
Wie die Wirtschaftszeitschrift Forbes bekannt gab, verlangsamt Amazon Buchlieferungen des amerikanischen Verlags Hachette absichtlich, um Druck bei Verhandlungen zu erhöhen. Diese Taktik kommt in Europa scheinbar ebenfalls zur Anwendung. Berichten der FAZ zufolge werden Lieferungen der Schwedischen Verlagsgruppe Bonnier, zu denen auch deutsche Verlage wie Ullstein und Carlsen gehören, blockiert. Anstatt der üblichen ein bis zwei Werktage würden Bücher mit ein bis zwei Wochen Wartezeit ausgeliefert.
Ursache sind Preisverhandlungen über E-Book-Rabatte, die Amazon den Verlagen abtrotzen will: Bisher üblich sind 30 Prozent, Amazon fordert 40 bis 50 Prozent. Gut für die Kunden, denn E-Books sind im Vergleich mit gedruckten Ausgaben immer noch zu teuer. Vor allem wenn man sie, wie bei Amazon üblich, dank DRM nur auf einem Account nutzen kann.
Das Vorgehen, Lieferzeiten zu verzögern, ist allerdings für ein gewinnorientiertes Unternehmen ungewöhnlich. Denn im Moment heißt es für den Kunden, dass es bei Amazon die gewünschten Bücher weder günstiger noch schneller als anderswo gibt. Der Versandhändler pokert um Gewinne mit der Käufergunst als Einsatz. Amazon scheint überzeugt davon, dass er sich um die Kunden keine Sorge machen muss. In den USA beherrscht Versandriese immerhin ein Drittel des gesamten Buchmarktes. In Deutschland werden für Bücher keine Zahlen veröffentlicht, diese werden im Umsatz unter „Medien“ zusammen mit Cds, DVDs und ähnlichem gelistet. Bei E-Books sprechen die Zahlen aber für sich: über 40 Prozent Marktanteil. Und die Bestellung per Klick, um zwei Uhr morgens, wenn es sein muss, ist schließlich bequemer als der Gang zum Buchladen die Straße runter.
Amazon sucht Autoren
Die Leidtragenden des Rabattkriegs sind laut Börsenblatt vor allem die Autoren: Höhere Rabatte, sei es bei E-Books oder Papierausgaben, bedeuten ein Minus an Tantiemen. Bleibt Bonnier aber auch weiterhin standhaft, knicken dafür die Absatzzahlen ein. Wäre das nicht ein guter Zeitpunkt, als Autor seinen Verlag zu wechseln? Was für ein ausgesprochen günstiger Zufall, dass Amazon mittlerweile auch als Verleger tätig ist und versucht, Autoren einzukaufen. Perfide.
Platzhirsch und Widerstand
Der Online-Grossist diktiert seine Konditionen, wehren können sich besonders kleinere Verlage dagegen kaum – zu hoch ist die Abhängigkeit. Die Verkaufsplattform Amazon macht sichtbar, schafft Präsenz. Die Suche nach Produkten befriedigt durch eine geschickt eingebaute Werbefunktion auch den Stöberdrang – „Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch…“. Ein Buch, das bei Amazon nicht gelistet ist, wird kaum wahrgenommen.
In einer Pressemitteilung des Börsenvereins des deutschen Buchhandels finden sich daher klare Worte: Hauptgeschäftsführer Alexander Skipis fordert ein Einschreiten der Politik und eine Anpassung des Kartellrechts, denn Amazon „missbraucht mittlerweile seine Marktstellung derartig, dass man von Erpressung der Verlage sprechen kann.“
Der Widerstand gegen Amazon ist nicht neu – immerhin haben sich bereits 2013 Deutschlands größte Buchhändler-Club Bertelsmann, Hugendubel, Thalia und Weltbild zusammengeschlossen, um einen eigenen E-Book-Reader auf den Markt zu bringen. Nach der Devise „der Feind meines Feindes ist mein Freund“ schafften es die Einheimischen, Amazons Marktanteile im E-Book-Sektor von knapp 50 Prozent Anfang 2013 auf etwas über 40 Prozent im letzten Quartal 2013 zu drücken.
Normaler Kampf
Vom markwirtschaftlichen Standpunkt aus ist Amazons Verhalten völlig normal und kann als gewöhnlicher Preiskampf zwischen Anbieter und Lieferant gesehen werden. Zumal der Versandgigant seine Stellung am Markt gerade auf diese Art erreicht hat: durch hart kalkulierte Preise und deren Weitergabe an den Endverbraucher. In Deutschland profitierte Amazon gleich doppelt: Dank der Buchpreisbindung müssen Bücher hierzulande zu einem vom Verlag festgesetzten Preis verkauft werden, so bleibt bei geringeren Einkaufskosten mehr Gewinnspanne für den Händler übrig. Und die Europa-Dependance des Unternehmens ist in Luxemburg ansässig, dort musste Amazon bisher nur drei Prozent Mehrwertsteuer auf Bücher abführen – in Deutschland sind es sieben Prozent, auf E-Books gar die „normalen“ 19 Prozent. Das machte einen netten Zusatzgewinn, denn abgeführt wurde nur der luxemburger Steuersatz. Allerdings ist diese Lücke mittlerweile gestopft worden: Ab 2015 muss Amazon für in Deutschland verkaufte Bücher auch deutsche Mehrwertsteuer zahlen.
Streng gucken, nix tun
Ob und wie sich das Säbelrasseln auf Amazons Image auswirkt, muss die Zukunft zeigen. Gut möglich, dass sich Amazon verspekuliert hat und der Shitstorm empörter Autoren und Kunden noch über den Konzern hereinbricht. Idealistisch betrachtet, macht es Sinn, wieder mehr offline zu kaufen. Schließlich trägt der Buchhändler meines Vertrauens seine Scharmützel mit Lieferanten nicht auf meinem Rücken aus. Wahrscheinlicher ist aber, dass der empörte Leser streng guckt, missmutig den Kopf schüttelt und eine Woche später doch wieder beim Onlineversandhaus klickt. Immerhin weigert sich mein Lesestoffhändler bisher beharrlich, um zwei Uhr morgens eine Bestellung für den letzten Terry-Pratchett-Roman im englischen Original entgegenzunehmen.
Foto: flickr.com/Astrid Kopp (CC BY-NC-SA 2.0)