„Krimi schauen ist wie Achterbahn fahren“

von Ricarda Dietrich

„Krimi schauen ist wie Achterbahn fahren“

(Borwin Brandelow, Psychiater aus Göttingen)

 

Es ist ein deutsches Phänomen: Sonntagsabends um 20.15 Uhr sitzt die gesamte Republik vor dem Fernseher und schaut verschiedenen Ermittler-Teams beim Aufklären von Fällen zu. Woher kommt diese Faszination mit Mord und Geheimnissen? Was gefällt Menschen so an Krimis?

13 der 15 meistgesehenen Filme im deutschen Fernsehen im Jahre 2010 waren „Tatorte“. Diese Zahlen zeigen vor allem eins: Wir lieben Spannung. Krimis sind eines der beliebtesten Fernseh-Formate und der „Tatort“ speziell läuft seit 1970, also nun seit 45 Jahren sehr erfolgreich. Um noch ein paar weitere überzeugende Zahlen zu liefern: insgesamt wurden in diesen 45 Jahren 962 Folgen des „Tatorts“ ausgestrahlt. Es gibt etwa 35 neue Folgen jedes Jahr, die beliebtesten davon sind laut Einschaltquoten die, in denen das Münsteraner Ermittler-Team sich auf die Fährte von Verbrechern und Mördern begibt. Am 08. November 2015 zum Beispiel, schalteten 13,63 Millionen Zuschauer den Fernseher ein, um Boerne und Thiel in der neuen Folge „Schwanensee“ beim Ermitteln über die Schulter zu schauen. Woher kommt dieser wahnsinnige Erfolg von Krimis? Wohl nicht nur von unterhaltsamen Ermittler-Teams, auch wenn diese sicherlich eine große Rolle im internen „Tatort“-Ranking spielen.

Gruseln zur Bedürnisbefriedigung

1477203892_0b11668f81_zKrimis befriedigen drei Bedürfnisse des Menschen. Zum einen besitzen wir ein Grundbedürfnis nach Gerechtigkeit. In Krimis, die in den meisten Fällen den Kampf des Guten gegen das Böse darstellen, wird genau dieses Bedürfnis befriedigt. Der Mörder ist am Ende der Folge gefasst, die Ermittler haben gesiegt.

Ein weiteres Bedürfnis, das Krimis befriedigen, ist das nach Spannungsabbau. Der durch eine spannende Handlung aufgebaute Nervenkitzel wird von uns als angenehm empfunden. Die Spannung weckt Urinstinkte in uns, die dafür sorgen, dass wir uns im Notfall verteidigen oder flüchten. Sehen wir jedoch einen Krimi im Fernsehen, dann wissen wir, dass wir sicher sind, im Wohnzimmer auf der Couch. Wir können also diese Spannung erleben ohne selber in Gefahr zu sein. Nachdem die Schreckensmomente vorbei sind, schüttet der Körper Glückshormone aus – ein angenehmer Nebeneffekt. Durch die Bestätigung, dass am Ende alles gut ausgeht, können wir wieder entspannen und von dieser Erfahrung etwas mit in unseren Alltag nehmen; es wird am Ende alles gut. Der erwünschte Spannungsabbau ist erreicht.

Außerdem ist der Mensch, so einfach es klingen mag, ein neugieriges Lebewesen. Wir mögen Geheimnisse und rätseln gerne mit, wer der Täter gewesen sein könnte. Zudem führt es uns immer wieder vor Augen, wie profan unsere Geheimnisse oder Probleme doch sind im Vergleich zu den schweren Verbrechen, die im Fernsehen geschehen. Da kann man auch schon mal darüber hinwegsehen, dass die Aufklärungsquote in Krimis äußerst unrealistisch ist. Laut polizeilicher Kriminalstatistik werden 54% aller Fälle im echten Leben aufgeklärt. Im Krimi sind es etwa 99%. Aber ein unaufgeklärter Fall wäre für die Zuschauer nicht befriedigend, da er mit einem mulmigen Gefühl den Fernseher ausschalten würde, dass manche Verbrecher nicht gefasst werden, sondern mitten unter uns leben. Um etwas über diese Realität zu erfahren schaut man Nachrichten und kein Unterhaltungsfernsehen.

Aktualität und gesellschaftlicher Diskurs

Die gesellschaftliche Relevanz von Krimis darf nicht unterschätzt werden. Krimis beschäftigen sich unausweichlich mit Moralüberschreitungen und -verletzungen. Sie führen dazu, zu hinterfragen, was richtig und was falsch ist und ob etwas Falsches in manchen Situationen nicht auch vertretbar sein kann. So geben sie nicht nur die Möglichkeit, sich mit den Ermittlern zu identifizieren, die immer auch ihr eigenes Gepäck mit in den Fall bringen, sondern bisweilen findet der Zuschauer sich auch in der Position, sich mit dem Opfer oder sogar dem Täter verbunden zu fühlen. Außerdem kann der Krimi auch Milieus und Kreise beleuchten und zugänglich machen, mit denen der Durchschnitts-Bürger sonst nicht in Berührung kommt.

Die Deutschen und ihr „Tatort“

14214570902_ce4a8f229a_zBesonders der Lieblings-Krimi der Deutschen, der „Tatort“, übt diese Funktion verstärkt aus. Wie bei den meisten Krimis, die im Fernsehen zu sehen sind, ist der „Tatort“ eher im Alltag angesiedelt – der Fall ebenso wie die Sendezeit. Krimis, die für die große Leinwand produziert werden gehen häufiger in die Genre-Richtung des Thrillers und decken größere Komplotte, Verstrickungen und Skandale auf, als es sie in Münster oder Ludwigshafen wohl geben wird. Doch gerade der manchmal kleinstädtische, aber vor allem der regionale Bezug ist das, was jeden Sonntag tausende Menschen vor die Fernseher lockt. Regionale Besonderheiten sind bewusst eingebaut, man kennt die Orte, an denen die Ermittler ihre Curry-Wurst essen und identifiziert sich so mit der Krimi-Reihe. Zudem werden im „Tatort“ häufig aktuelle Themen, die die Bevölkerung beschäftigen, behandelt. Sei es Stuttgart 21 oder das Thema des Bleiberechts. Der Zuschauer hat im „Tatort“ häufig noch einmal die Chance, sich mit diesen Themen auf eine andere Art und mit einer anderen Perspektive auseinander zu setzen, als wenn er nur die Nachrichten schaut.

Genau diese zwei Punkte sind die wichtigsten Argumente, um den „Tatort“ einzuschalten. Zudem hat er sich inzwischen zum neuen Wochenendritual in vielen Familien oder Wohnungen gemausert. Das was früher einmal „Wetten, dass…?“ war, ist heute der „Tatort“. Auch wenn vielleicht nicht mehr unbedingt die Kinder mitschauen, man schaut ihn doch häufig im Kollektiv. Es gibt viele Kneipen, die Sonntagsabends ein „Tatort“-Schauen anbieten. Er ist aber auch ein gutes Beispiel für die Neigung zur Routine der Deutschen. Der Krimi am Sonntagabend gehört zur Woche dazu und wenn der Fall um 21:40 geklärt ist, dann kann die Zuschauerschaft zufrieden in die Woche entlassen werden. Und sollte jemandem der Sonntagabend nicht genügen, so ist an jedem anderen Abend der Woche ein alter „Tatort“ auf einem der dritten Programme zu finden.

Fotos: flickr.com/Eva Freude (CC BY-NC-SA 2.0); flickr.com/seagers (CC BY-NC-SA 2.0); flickr.com/Tim Reckmann (CC BY-NC-SA 2.0)

Wenn aus apokalyptischem Ernst Spiel wird

Von Philipp Mang

Computerspiele erfreuen sich in unserer Gesellschaft immer größerer Beliebtheit. Nicht nur bei Kindern und Jugendlichen, sondern längst auch bei Erwachsenen aus unterschiedlichsten Bildungsniveaus – dies geht aus einer Untersuchung des Bundesverbands Interaktive Unterhaltungssoftware hervor. So konsumiert in Deutschland mittlerweile jeder zweite Bundesbürger regelmäßig digitale Spiele – Tendenz steigend. Und auch die internationale Spielebranche erfreut sich zunehmend an Umsatzzahlen, die sich hinter Hollywoods Filmindustrie nicht länger verstecken müssen. Wie ist diese Faszination aber zu erklären?

Immersion als Schlüsselmerkmal

Zur Beantwortung dieser Frage, ist zunächst einmal der Begriff der Immersion heranzuziehen, der das metaphorische Eintauchen in fiktionale Welten bezeichnet. Dieser Wirkungseffekt ist in Videospielen besonders stark zu beobachten. Anders als bei Filmen, Serien oder Comics – die allesamt nur eine passive Rezeption ermöglichen – kann der Konsument die Erzählung hier nämlich aktiv durch seine Entscheidungen beeinflussen. Er interagiert dabei mit einer künstlich geschaffenen Umgebung und betrachtet die Protagonisten im Spiel gewissermaßen als eine Erweiterung seiner selbst. Das Ausmaß seiner emotionalen Involvierung wird auf diese Weise beträchtlich gesteigert. Insbesondere in transmedialen Welten kommt digitalen Spielen damit eine entscheidende Rolle zu.

Die Zombies erobern Smartphones & Tablets

9497139020_1d37d428b6_zEs ist also keine Überraschung, dass sich auch die Macher von TWD dazu entschlossen haben, das Franchise um digitale Erzählstücke zu erweitern. Absoluten Kultstatus unter Fans genießt dabei das so genannte Point-and-Click-Adventure der Marke Telltale, das sich in ästhetischer Hinsicht stark an den Comics orientiert. Dieses ist seit dem Jahr 2012 über den Appstore für mobile Endgeräte verfügbar und tut genau das, was Spiele am besten können: Es macht den Spieler selbst zu einem aktiven Teil der Zombie-Apokalypse, in dessen Verlauf er nicht nur Original-Schauplätze aus dem Comic (wie z.B. Hershels Farm), sondern auch beliebte Charaktere aus der Serie (u.a. Glenn) trifft.

Eine Waise kämpft ums Überleben

Die bislang zehn Episoden umfassende Geschichte ist dabei in der gleichen fiktionalen Welt angesiedelt wie die Comics, rückt jedoch völlig neue Charaktere in den Mittelpunkt. So wird anfangs vor allem das Schicksal des verurteilten Straftäters Lee Everett beleuchtet. Dieser rettet nach Ausbruch der Zombie-Seuche der jungen Clementine in ihrem verlassenen Elternhaus das Leben und nimmt die Waisin fortan unter seine Fittiche. Der Spieler begleitet die beiden im Laufe der Handlung auf der Suche nach einem sicheren Zufluchtsort und wird somit Zeuge, wie sich das junge Mädchen von einer Schutzbedürftigen selbst zur toughen Überlebenskünstlerin entwickelt.

Zwickmühlen soweit das Auge reicht

Ähnlich wie der Comic oder die Serie dreht sich also auch das Videospiel in erster Linie nicht um die Untoten, sondern die Beziehungen der Figuren untereinander. Immer wieder wird das ungleiche Duo Lee und Clem auf seinem Überlebenskampf vor moralische Dilemmata gestellt: Wem kann man vertrauen? Wer erhält eine Extra-Ration der ohnehin schon knappen Nahrungsvorräte? Und wem rettet man bei einem Zombieangriff das Leben? All diese Fragen müssen stellvertretend vom Spieler beantwortet werden – und das oft innerhalb weniger Sekunden, während ein Timer bedingungslos abläuft. Ist eine Entscheidung erst einmal getroffen kann dies einen langfristigen Effekt auf die Geschichte haben. Das Videospiel vermittelt einem damit das Gefühl, die Handlung durch das eigene Tun verändern zu können. Als Clou erweist sich außerdem, dass ein Server von Telltale im Anschluss an jede Episode berechnet, wie viele andere Spieler ebenfalls eine bestimmte Handlungsoption gewählt haben. Dadurch wird eine kritische Reflexion des eigenen Verhaltens in der digitalen Welt ermöglicht.

Shoot The Walking Dead

Gänzlich andere Schwerpunkte setzt dagegen das Konsolenspiel Survival Instict aus dem Jahr 2013, das die Vorgeschichte der beiden Dixon-Brüder erzählt. Hierbei handelt es sich um einen recht klassischen First-Person-Shooter, in dem man mit Schusswaffen aus der Ego-Perspektive heraus computergesteuerte Zombies bekämpft. Deshalb finden sich hier auch keine komplexen Figuren, emotionale Hintergrundgeschichten oder ethische Zwickmühlen. Stattdessen zeichnet sich der Ego-Shooter durch die genretypischen Gewaltdarstellungen aus. Da werden Messer durch Augenhöhlen gebohrt. Gliedmaßen abgetrennt. Oder ein Zombie-Schädel so lange mit dem Gewehr malträtiert bis dieser rot spritzend zerplatz. Diese exzessive Brutalität wird jedoch – anders als in der Serie oder dem Comic – zu keinem Zeitpunkt von den Charakteren moralisch hinterfragt.

Ernst & Spiel – zwei unvereinbare Gegensätze?

9412521708_22acdda5d7_zAngesichts einer so unreflektierten Lust an der Gewalt darf also durchaus bezweifelt werden, ob aus apokalyptischem Ernst wirklich immer bedenkenlos Spiel werden sollte. Point-and Click-Adventures wie das aus dem Hause Telltale beweisen jedoch, dass Ernst und Spiel nicht zwingend unvereinbare Gegensätze darstellen müssen. In einigen Fällen können beide Elemente sogar durchaus produktive Symbiosen miteinander eingehen, durch die moralische Lehrstücke entstehen. So führt das erste TWD-Game dem Konsumenten beispielsweise eindrucksvoll vor Augen, wie schwierig es sein kann in Extremsituationen überlebenswichtige Entscheidungen zu treffen. Es ist damit fast schon als so genanntes „serious game“ zu bezeichnen, da hier nicht allein der Spielspaß im Vordergrund steht, sondern zusätzlich ein Lerneffekt beim Rezipient erzielt wird. Ein Lehrer aus Norwegen setzt das Spiel deshalb nicht ohne Grund bereits als praktisches Anschauungsmaterial im Ethik-Unterricht ein.

Fotos: flickr.com/Anothy Jauneaud (CC BY-NC 2.0), flickr.com/Anothy Jauneaud (CC BY-NC 2.0), flickr.com/Óscar Velázquez (CC BY-NC-ND 2.0)


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Feindbilder in den Medien

Von Lara Luttenschlager

„Es ist leichter, ein Atom zu spalten als ein Vorurteil“, soll Einstein einmal gesagt haben. Und tatsächlich: Vorurteile, darunter deren negativste und wohl hartnäckigste Form – die Feindbilder – begegnen uns nahezu immer und überall. Auch in den Medien.

Wer bin ich – und wenn ja, gegen wen?

Das passiert aus gutem Grund: Denn die Definition dessen, was gut ist und was wir selbst sein wollen, beginnt paradoxerweise mit der Erfindung des Feindes. Erst durch die Abgrenzung der eigenen Gruppe von einer anderen, sei es durch Nationalität, Ethnizität oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht, wissen wir, was uns scheinbar auszeichnet. Als Schwarz-Weiß-Denkmuster weisen Feindbilder bestimmten Personengruppen schlechte, unerwünschte Eigenschaften zu. Sie reduzieren unsere komplexe Umgebung und geben uns so Orientierung und Identität. Unser Feind ist unser Gegenstück. Gleichzeitig wird unser eigenes Selbstwertgefühl enorm gesteigert, wenn wir uns vom bösen und niederträchtigen „Anderen“ distanzieren können. Besser noch: Wir halten angesichts des auserkorenen Feindes auch noch stärker zusammen.

Ein berühmtes Beispiel für diese Art der Ab- und Ausgrenzung zur Festigung der eigenen Identität ist die Erfindung des Orients im 19. Jahrhundert. Als Orientalismus beschreibt Literaturtheoretiker Edward Said die Schaffung des Konzeptes des bedrohlichen, mysteriösen Orients durch die europäischen Kolonialmächte als negatives Spiegelbild zur eigenen, westlichen und „zivilisierten“ Gesellschaft. Ein Bild, das sich bis heute wacker zu halten scheint.

Ein ewiger Kassenschlager

6989367511_9b77fdb8b0_oFür Medien bietet das Feindbild ein ewiges Erfolgskonzept: Wie kann man den Helden eines Films besser definieren als das schillernde Gegenstück zum unverbesserlichen, hässlichen Bösewicht? Was macht eine Geschichte spannender als die Bekämpfung eines bedrohlichen Feindes? Auch in Zeiten auflebender Islam- und Fremdenfeindlichkeit zeigt sich wohl, dass sich kaum ein Thema besser verkauft als eine gesellschaftliche Debatte, die durch ein gutes Feindbild unterfüttert ist. Medien gestalten dabei unsere Wahrnehmung und Weltbilder entscheidend mit. Ihren großen Einfluss auf die ursprüngliche Entstehung und Verbreitung von Feindbildern zeigen nicht zuletzt die Auswirkungen erfolgreicher Propagandamaschinerien in vergangenen Kriegen.

Gefährliche Feindschaften: Warum Feindbilder hinterfragt werden müssen

Doch gerade hier liegen auch die Gefahren: Da Feindbilder sich meist auf Randgruppen oder Minderheiten konzentrieren, ziehen sie in Krisenzeiten Stigmatisierung und Diskriminierung nach sich, dienen als Ventil für angestaute Aggressionen und werden schnell instrumentalisiert. Sie beinhalten moralisch und meist emotional aufgeladene negative Bewertungen von anderen Menschen, die, einmal verinnerlicht, kaum mehr hinterfragt werden und eine richtige Beschäftigung mit dem „Feind“ nahezu ersetzen. Folgen sind generelles Misstrauen, Schuldzuschreibungen und Empathieverweigerung. Der psychologische Wissenschaftler Louis Oppenheimer sieht in Feindbildern gar die Gefahr einer selbsterfüllenden Prophezeiung, da durch die andauernde Stigmatisierung der „out-group“ durch die „in-group“ frustrierte Reaktionen hervorgerufen werden können, die dem Feindbild letztendlich tatsächlich entsprechen.

In den nächsten Wochen wird die neue Artikelreihe Feindbilder in den Medien daher einigen unserer Lieblingsfeinde auf den Leib rücken und neue Einblicke in Phänomene der Feindbildkonstruktion gewähren. Wie sieht eigentlich der perfekte Film-Bösewicht aus? Wie werden in politischen Konflikten Feindbilder durch Handyvideos geschaffen? Und was hat es eigentlich mit Shitstorms und Bashing in den sozialen Netzwerken auf sich?

Fotos: flickr.com/sm0re (CC BY 2.0), flickr.com/Michael Caroe Andersen (CC BY-NC 2.0)

Wie man mit sechs Werkzeugen eine dystopische Gesellschaft erschafft

Von Antje Günther

So unterschiedlich die verschiedenen Ausgestaltungen der Dystopie über die Jahre auch waren, die Machtwerkzeuge der Herrschenden scheinen doch überwiegend die gleichen geblieben zu sein. Überwachung, Einschüchterung, ein bisschen Zuckerbrot und noch viel mehr Peitsche, so scheint es zu funktionieren mit dem Herrschen in der Dystopie. Bei näherer Betrachtung kristallisieren sich insbesondere sechs Machtwerkzeuge heraus:

Werkzeug 1 – Das Territorium

6. Artikel (2)Die Wahl des Territoriums ist entscheidend für den Erfolg einer dystopischen Gesellschaft. Das Gelände sollte gut zu überwachen sein und das Errichten von Grenzen vereinfachen. Häufig werden bereits bestehende natürliche Grenzen zum Zwecke der Abschottung instrumentalisiert. So liegt das Kapitol der Hunger Games Trilogie beispielsweise hinter den Rocky Mountains, die somit eine natürliche Abwehrbarriere schaffen. Andere „natürliche“ Grenzziehungen entstehen durch Naturkatastrophen oder weitere apokalyptische Szenarien. In der Regel werden diese Grenzen durch den Bau einer Mauer dann noch zusätzlich visualisiert, zu sehen beispielsweise in der Divergent Reihe oder in Lowrys The Giver. Die Abschottung nach außen ist dabei das wichtigste Werkzeug der Dystopie: Sie verhindert den Informationsfluss von und nach außen und schafft eine Gesellschaft, die kontrollierbar wird.

Werkzeug 2 – Überwachung und Bedrohung

Neben dem abgeschotteten Territorium ist insbesondere der allgegenwärtige Überwachungsapparat Teil einer jeden Dystopie. Der Staat muss dabei gar nicht immer überall sein, sondern vor allem das Gefühl der Omnipräsenz erwecken. Das berühmteste Beispiel bleibt dabei der Große Bruder, der in seiner Detailliertheit und Reichweite unerreicht bleibt. Die ständige Überwachung durch die Teleschirme inspirierte zahllose nachfolgende Visionen der Überwachung durch Technik. Neben der technologischen Überwachung gibt es aber auch Dystopien, die überwiegend analog arbeiten. In der französischen Jugendbuchreihe Méto werden die Kinder des Hauses beispielsweise von eingeschleusten Spitzeln überwacht. Bei einer Übertretung der Hausregeln werden sie an die Cäsaren verraten und erhalten eine Bestrafung, die in der Regel aus dem Einsperren in den Kühlraum besteht. Diese Androhung oder Durchführung von körperlichen Strafen ist ebenfalls ein wichtiges Werkzeug der Dystopie. So entsteht ein Klima der Bedrohung, das die Bürger davon abhält, sich gegen das Regime aufzulehnen.

Werkzeug 3 – Einschleusen von Spionen und das Schaffen von Misstrauen

Das Einschleusen von Informanten und Spionen hat aber noch eine weitere Funktion: Es schafft Misstrauen unter den Bürgern. Durch die Omnipräsenz des Staates und der Möglichkeit von Spitzeln kann sich niemand sicher sein, ob er nicht gerade mit einem Informanten spricht. So überwacht sich die Gesellschaft des dystopischen Staates in vielen Teilen selbst, aus Angst verraten zu werden. Dieser Mechanismus ist klar zu sehen in Orwells 1984 aber auch in neueren Dystopien wie in Rick Yanceys Fifth Wave Reihe, in der genau dieses Misstrauen auf die Spitze getrieben wird. So erschießt Protagonistin Cassie einen Soldaten, der sich später als menschlich herausstellt, einfach weil sie sich nicht sicher sein kann, ob er nicht doch ein Alien ist.

Werkzeug 4 – Kontrolle von Vergangenheit und Erinnerung

Ebenfalls ein wichtiges Werkzeug ist die Kontrolle von Vergangenheit und Erinnerung. Winstons Job im Ministerium der Wahrheit (aka Minitrue) stellt hier wiederum die bekannteste Realisierung dar. Angestellt dazu, um sogenannte „Unpersons“ aus den Geschichtsbüchern und allen anderen Aufzeichnungen zu entfernen, verdreht er die Geschichte zugunsten des Staates. Dieses Motiv findet sich auch in Lowrys Roman The Giver (1993) wieder, in dem Erinnerungen eine zentrale Rolle spielen. Lediglich der Geber und der neue Hüter der Erinnerungen können sich an die Vergangenheit erinnern und der Geber hat die Kontrolle darüber, welche Erinnerungen er weitergibt. Das Verdrehen oder Vergessen der Geschichte und insbesondere der Entstehung der eigenen Gesellschaft ist ein weitreichender Tropus der sich sowohl in der klassischen Dystopie bei 1984, Brave New World und Fahrenheit 451 finden lässt, als auch in neueren Erzählungen wie The Giver, den Hunger Games und Divergent vorhanden ist.

Werkzeug 5 – Die Beherrschung der Sprache

Ebenso wie bei der Kontrolle der Vergangenheit teilen viele Dystopien den Drang, die Sprache ihrer Bewohner zu kontrollieren. Dies beginnt meist im Kleinen mit dem Herausbilden einzelner Unwörter. In Brave New World sind beispielsweise die Ausdrücke „Vater“ und „Mutter“ verpönt, da Kinder nur noch künstlich erschaffen werden und diese Wörter somit eine rückständige Zeit symbolisieren. Darüber hinaus spielen viele Dystopien mit Euphemismen; insbesondere für Tötungsakte lassen sie sich beschönigende Worte wie befreien (The Giver) oder vaporisieren (1984) einfallen. Die umfassendste Sprachkontrolle stellt aber wiederum Orwells Newspeak dar. Newspeak vereinfacht das Standardenglisch, streicht Synonyme und Antonyme und reduziert damit den Wortschatz drastisch, sodass alternative Gedanken nicht mehr ausgedrückt werden können. Die Kontrolle der Sprache ist somit letztendlich die Kontrolle der Gedanken und des Geistes. Aus diesem Grund spielen Sprache und Literatur häufig eine große Rolle bei der Rebellion gegen das Regime.

Werkzeug 6 – Das Zuckerbrot bzw. die utopische Idee

Neben den ganzen Repressalien braucht die Dystopie aber auch einen Lichtblick, eine utopische Idee mit der sich die Strapazen der Bürger erklären und rechtfertigen lassen. Hinter jeder dystopischen Gesellschaft stand zunächst der Wunsch, eine bessere Welt zu erschaffen, sei es durch die vollkommende Gleichheit aller Bürger oder dem Auslöschen von Gewalt und Tod. Ohne diese Idee wird das System sinnlos und die Position des Protagonisten in seiner anfänglichen Unwissenheit unglaubwürdig. Über diese Grundidee hinaus bieten viele Dystopien ihren Bürgern aber noch weitere Annehmlichkeiten wie technologischen Luxus oder die Erfüllung sexueller Vorlieben. Die Dystopie muss somit gewisse Grundbedürfnisse erfüllen, um funktionieren zu können. Denn die beste Dystopie ist immer noch diejenige, in der sich die Mehrzahl der Bürger gar nicht bewusst ist, dass sie in einer solchen lebt.

Fotos: flickr.com/Jason Ilagan (CC BY-ND 2.0), flickr.com/US Geological Survey (CC BY 2.0)


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Die Queen of blues lebt!

Von Maya Morlock

Die Dokumentation „Janis – little girl blue“ von Regisseurin Amy J. Berg zeigt das Leben der Blues- und Rocklegende Janis Joplin. Der Zuschauer begleitet sie von der Geburt an in Port Arthur 1943 bis zu ihrem verfrühten Tod im Alter von nur 27 Jahren. Interviews von Familienmitgliedern, Freunden und Bandmitgliedern, persönliche Briefe von Joplin selbst und das authentische Filmmaterial von Liveauftritten und Interviews stellen Joplins Leben und ihre Person lebensnah dar.

Wie sie leibt und lebt

Zu Beginn sieht man die erwachsene Janis Joplin auf der Bühne, an dem Ort, an dem sie sich wohl und sicher fühlt. Im Rampenlicht ist sie jemand. Dort gibt sie alles, dort geht sie völlig auf und lebt jede Note, jedes Wort. Der Text kommt ihr über die Lippen, als sei er ihr gerade erst in den Sinn gekommen, kein bisschen gekünstelt. Sie versprüht eine Energie, die fasziniert, die ansteckt und man erwischt sich beim Mitwippen zum Takt. Schnell ist alles herum vergessen, Joplin schafft es einen mit wenigen Zeilen in den Bann zu ziehen, ihre Präsenz und Ausstrahlung sind ergreifend. Man bewundert dieses energiegeladene Bündel voller Leben und fragt sich: Was ist nur geschehen, was ist so schrecklich schief gelaufen?

Das schwarze Schaf

Joplin ist ein kleiner Streithahn, immer auf Krawall aus. Sie ist ein untypisches Mädchen, keine Schönheit, die man auf einem Modemagazin erwarten würde: Kräftige und nahezu männliche Züge zeichnen ihr Gesicht, an dem struppige Haare, weder glatt noch lockig, herunterhängen. Sie hat kräftige Beine und ist etwas mollig an den Hüften. In der Schule wird sie gemobbt, ihre erste Flucht in die große weite Welt scheitert und ihr Verlobter hintergeht sie. Es ist wohl eine Interpretationssache, doch allein die erste halbe Stunde des Films zeichnet eine tief verletzte Person, die ihr Leben lang nach Anerkennung und Liebe sucht. Immer wieder wird das schon angekratzte Selbstvertrauen zerstört, beispielsweise als die junge Sängerin Joplin zum hässlichsten Mann gewählt wird. Joplin fängt sich, doch Drogen und Alkohol sind ständige Wegbegleiter. Mehrmals versucht sie clean zu werden, doch richtig los kommt sie nie.

„Take another little piece of my heart, baby“

Der Film begleitet sie in ihrer Zeit bei der ersten Band „Big Brother and the Holding Company“ und auch bei ihrem zweiten Projekt „Kozmic Blues“. Die Musik kommt neben dem erstaunlichen Leben Joplins natürlich nicht zu kurz: Liveaufnahmen von zum Beispiel „Piece of my heart“ und auch die Entstehungsgeschichte von Joplins größtem Erfolg „Me and Bobby McGee“ werden gezeigt. Ihre Vorbilder und Inspirationsquellen bekommen Raum; eine Wolke aus Blues, Folk und Rock´n Roll vermischt sich zu einem gigantischen Klangerlebnis.

Do you know Janis?

Viele mosaikartige Einzelteile aus Interviews, dem Filmmaterial und den sehr persönlichen Briefen von Janis an ihre Eltern setzten nach und nach das Puzzle des Lebens und der Person Joplins zusammen. Unglaublich plastisch und sogleich respektvoll schafft es Berg ein facettenreiches Dasein in weniger als zwei Stunden darzustellen. Am Ende hat man das Gefühl Joplin wirklich zu kennen und zu verstehen, als habe man sie tatsächlich getroffen. Unglaublich bewegend ist diese Dokumentation, von der so einige Liebesschnulzen noch etwas lernen könnten – unglaublich authentisch und zuletzt untröstlich traurig.

Eine Hommage an eine wunderschöne Frau mit einem riesigen Talent. Ich wage es kaum zu sagen, doch dieser Film lässt Janis ein Stück weit weiterleben. Sie lebt in den Köpfen der jungen Generation, die sie dadurch wiederentdeckt, bevor sie vergessen werden konnte.

Foto: flickr.com/Winston Vargas (CC BY-NC 2.0)

Das Serienhäppchen für zwischendurch

Von Philipp Mang

Fans transmedialer Franchises kommen aktuell voll auf ihre Kosten. Im Netz werden die leidenschaftlichen Anhänger immer öfter mit digitalen Extras überhäuft. So auch im Fall von The Walking Dead: Um die Wartezeit zwischen den ersten beiden TV-Staffeln zu verkürzen, entschied sich der verantwortliche Kabelsender AMC im Jahr 2011 erstmals, eine Reihe so genannter Webisodes zu produzieren. Unter dem Titel Torn Apart wurde schließlich eine eigenständige Mini-Serie geschaffen, die ausschließlich über die Webseite des Senders abrufbar war. Für die Regie des knapp 20 minütigen Erzählstücks zeigte sich dabei kein geringerer als Greg Nicotero, der Special-Effects-Experte der Mutterserie, verantwortlich.

Wer ist das Bycicle Girl?

1_Daniel SemInhaltlich knüpft die sechsteilige Reihe dabei an ein Ereignis aus der TV-Pilotfolge an. Hier wird Rick in seinem Heimatort King County wie aus dem Nichts von einer Beißerin ohne Unterleib angegriffen, als er auf der Suche nach seiner Familie ein am Boden liegendes Fahrrad aufheben möchte. In einer emotionalen Szene setzt er dem Monster später den Gnadenschuss. Torn Apart erzählt nun gewissermaßen die Vorgeschichte dieser faszinierenden Figur, die in Fankreisen als so genanntes Bycicle Girl bekannt ist. Ähnlich wie der Deputy wird auch Hannah zu Beginn der Webserie vollkommen abrupt mit der neuen Welt konfrontiert, als sie am Steuer ihres Unfallwagens zu sich kommt. Auf der Stirn der blonden Frau klafft eine Platzwunde. Im Hintergrund dröhnt eine Alarmanlage. Und die Kinder sind spurlos vom Rücksitz verschwunden. Der Zuschauer begleitet die Protagonistin fortan auf der Suche nach ihrer Familie – bis zu der Stelle, an der sie sich für das Leben ihrer Söhne opfert und schließlich von Rick erlöst wird.

Eine spannende Inszenierung …

Inszeniert ist dieses Web-Prequel derart schnell und hektisch, dass man als TV-Zuschauer leicht den Überblick verlieren kann. So beinhaltet praktisch jede Einstellung der ohnehin nur rund dreiminütigen Episoden eine für den Plot entscheidende Wendung. Damit wird eine höchstmögliche Dichte innerhalb der Narration erreicht. Diese ist angesichts der Schnelllebigkeit des Mediums von den Produzenten aber durchaus beabsichtigt. Für gewöhnlich verbringt ein Internetuser nämlich nur wenige Minuten auf einer Homepage. Nirgendwo sonst ist das Angebot konkurrierender Unterhaltungsangebote außerdem größer. Torn Apart versucht deshalb bewusst, die Spannungskurve hoch zu halten. Während die TV-Serie ihren Handlungssträngen und Figuren stellenweise fast schon zu viel Raum zur Entfaltung gönnt, lässt das Netz-Pendant den Zuschauer kaum zu Atem kommen. Schnelle Schnittfrequenzen, dramatische Musik und der Einsatz effektvoller Hintergrundgeräusche (u.a. Pulsschläge) sorgen hier für ein kontinuierliches Suspense-Gefühl.

… mit qualitativen Mängeln

Dadurch wird jedoch die Ausarbeitung der Figuren zum Teil sträflich vernachlässigt. Tatsächlich bleiben viele der Charaktere, mit Ausnahme von Hannah, auch nach Ablauf der Sendezeit nicht viel mehr als blutleere, austauschbare Hüllen. Dies macht es schwierig als Zuschauer eine echte Beziehung zu ihnen aufzubauen. Und auch sonst offenbart die Mini-Serie teils deutliche Qualitätsunterschiede zum Mutter-Format. So wurde ein Großteil der Szenen beispielsweise ausschließlich in geschlossenen Räumen gedreht. Apokalyptische Landschaftstotalen oder riesige Zombieherden sucht man in Torn Apart damit praktisch vergebens. Diese Tatsache ist vor allem dem deutlich geringeren Produktionsbudget geschuldet.

Der Reiz der Webserie

Trotz dieser qualitativen Mängel entfaltet die Webserie aber praktisch von der ersten Sekunde an eine fast unheimliche Sogwirkung. Und das obwohl Torn Apart nicht einmal mit einem so genannten Origami Unicorn – also einem überraschenden Plot-Twist, der die gesamte Lesart umkrempelt – aufwarten kann. Worin besteht also der besondere Reiz des Formats? Nun zunächst einmal lässt sich die Faszination zu einem großen Teil durch die Protagonistin selbst erklären. So hat das Bycicle Girl seinen Ursprung bereits in Kirkmans Comicreihe und avancierte dort als erster Zombie mit Leidensweg schnell zur Kultfigur. Darüber hinaus bietet die Webserie dem Zuschauer die einzigartige Möglichkeit, weitere Teile der dystopischen Welt von TWD außerhalb von Ricks Perspektive kennenzulernen. So bekommen Fans in Torn Apart etwa zum ersten Mal einen Einblick in die Frühphase der Zombieapokalypse – also in die Zeit, zu der sich Rick in der TV-Serie eigentlich noch im Koma befindet. Bezeichnenderweise wird jedoch auch hier keinerlei stichhaltige Erklärung über den Ursprung der Zombieapokalypse geliefert und damit eine erzähllogische Ungereimtheit verursacht. Stattdessen bekommt der Zuschauer lediglich die vage Verschwörungstheorie eines verwirrten Mannes zu hören, wonach Terroristen für das Chaos verantwortlich seien. Damit bleibt nicht nur eine zentrale narrative Leerstelle des Originals erhalten, sondern auch eine der wichtigsten Regeln des transmedialen Kosmos unverletzt.

Die Webapokalypse geht weiter

Es ist also keine Überraschung, dass in den folgenden Jahren sogar noch zwei weitere Webserien produziert wurden. Diese unterscheiden sich jedoch teils beträchtlich von ihrem Vorgänger. So zeichnen sich sowohl Cold Storage (2012) als auch The Oath (2013) durch ein deutlich entschleunigtes Erzähltempo aus. Hierfür wurde die Episodenanzahl nicht nur kontinuierlich auf drei herunter geschraubt sondern gleichzeitig die Laufzeit der einzelnen Folgen verlängert. Alles in allem ist es den Machern damit erstmals in der Evolution des Franchise gelungen, das transmediale Universum von TWD um eigenständige Geschichten zu erweitern. Diese können dem Zuschauer jederzeit als Einstiegspunkt in das Franchise dienen und schlagen gekonnt immer wieder erzählerische Brücken zum Mutter-Format.

Fotos: flickr.com/Digitas Photos (CC BY 2.0), flickr.com/Daniel Sempértegui (CC BY-NC-ND 2.0)


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Kino – „Film muss man in einem großen Saal sehen“

von Ricarda Dietrich

„Film muss man in einem großen Saal sehen“

(Georgio Armani)

„Lebende Fotografie“

5593090164_d9eaee3b70_zSeit der Film erfunden wurde, gibt es natürlich auch Orte, an denen er abgespielt wird. Dies ist selbstverständlich, denn, wie wohl allseits bekannt sein sollte, konnte man Film nicht von Anfang an Zuhause im eigenen Wohnzimmer oder gar auf einem mobilen Gerät abspielen. Während in Amerika von Beginn an die so genannten „Nickelodeons“ gebaut und betrieben wurden, wurden in Deutschland zunächst Gasthäuser und Hotels als Vorführungsstätten für Filme genutzt. Außerdem nahmen sogenannte Schaubuden, die allerlei Kurioses zur Unterhaltung der Bevölkerung zeigten, die Neuheit „bewegtes Bild“ in ihr Repertoire auf. Auf dem Land wurden Filme in Wanderkinos gezeigt, die mit dem Equipment von Stadt zu Stadt zogen. Nach und nach wurden dann die ersten Gebäude eröffnet, deren reine Bestimmung es war, Filme zu zeigen. Da die Filme damals maximal 20 Minuten lang waren, bestand das Kinoprogramm, was man für eine Eintrittskarte bekam, aus mehreren kurzen Filmen. Fester Bestandteil neben dem „Hauptfilm“ waren dabei die Wochenschauen, die die Besucher über aktuelle Geschehnisse in der Welt informierten, ein Vorgänger von aktuellen Nachrichtensendungen also. Durch den Wachstum der Filmproduktion, die entstehende Genrevielfalt und die wachsende Zahl an bekannten Schauspielern wurden auch die Kinos immer größer und verbreiteten sich über das ganze Land bis auch die kleineren Städte über ein Kino verfügten. So gab es am Ende des Jahres 1927 4300 Kinos in Deutschland.

Konkurrenz Fernsehen

Für die Menschen der damaligen Zeit war das Kino eine willkommene Alternative zu den klassischen Bühnenkünsten wie Oper, Theater oder Ballett. Gerade in den Anfangsjahrzehnten des Films von 1905 an überzeugten die stetigen Neuerungen und somit die ungewohnten Erfahrungen die Bürger regelmäßig ins Kino zu gehen. Als es in den 50er Jahren möglich wurde, auch Zuhause über den Fernseher bewegtes Bild anzuschauen, fand sich das Kino bald in einer tiefen Krise wieder. In den darauffolgenden Jahrzehnten schloss ein Kino nach dem nächsten, bis es im Jahr 2014 nur noch 1630 Kinos in Deutschland gab. Zwar hat die Kino-Branche durch neue Techniken wie 3D und Breitbandbild sowie soundtechnische Neuerungen seit den 90er Jahren noch einmal etwas Aufschwung erfahren, aber dennoch ist es lange nicht mehr so wichtig, wie es in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts noch war.

Warum gehen wir heute noch ins Kino?

3820788791_575825da1c_zFlachbildfernseher mit 60 Zoll ermöglichen ein Sehen in hoher Auflösung und einer Größe, die ihm Verhältnis zum durchschnittlichen Wohnzimmer vermutlich schon an eine Kino-Erfahrung heranreichen. Außerdem können wir Zuhause den Film stoppen, wann immer wir mögen und es kann kein zwei Meter großer Mensch vor uns sitzen, der die Sicht versperrt. Warum also noch den Weg zum Kino auf sich nehmen, mindestens acht Euro für eine Karte zahlen um dann von Jugendlichen in der letzten Reihe genervt zu werden? Zum einen für das visuelle und auditive Kino-Erlebnis. Denn selbst mit einem großen Fernseher lässt sich das Schauen eines Filmes im Kinosaal nicht rekonstruieren. Um die Größe der Leinwand und den Sound zu imitieren muss man schon eine Villa zur Verfügung haben. Gerade Filme, die sich durch ihre beeindruckenden Landschaftsaufnahmen, große Schlachten oder rasante Verfolgungsjagden auszeichnen, machen sich auf der großen Leinwand und mit dem Soundsystems eines Kinos noch einmal deutlich besser als auf der heimischen Couch. Das lässt sich auch an einer Statistik über die beliebtesten Genres der Deutschen bei Kinofilmen erkennen. Auf Platz eins findet sich hier die Kategorie „Action/Abenteuer“, dicht gefolgt von „Komödie/Satire“, „Krimi/Thriller“ und „Sci-Fi/Fantasy“. Jean Louis Baudry prägte hierzu in den 1970er Jahren den Begriff des „Dispositivs“ im Bezug auf das Kino. Der abgedunkelte Raum, die große Projektion auf einer Leinwand durch einen nicht sichtbaren Apparat und der immobile Zuschauer bilden für ihn einen Rahmen, der den Kinobesuch einem Traum ähnlich werden lässt. Die Dunkelheit hat zusätzlich auch noch den Effekt, dass der Zuschauer seine volle Aufmerksamkeit dem Geschehen auf der Leinwand widmet. Außer den auditiven und visuellen Sinnen wird nichts weiter beansprucht, was die Konzentration noch weiter steigert. All diese Komponenten machen das faszinierende und befriedigende an einem Kinobesuch aus.

Ein weiterer Punkt, der für das Schauen auf der großen Leinwand spricht, ist ein sozialer Aspekt: Man möchte Mitreden können. Wenn man immer erst warten muss bis die DVD auf den Markt kommt, um den Film zu sehen, kann man zu so manchem Gespräch zwischen Kollegen oder Kommilitonen nur das beitragen, was man irgendwo über den Film gelesen hat. Hierfür sprechen auch die Kino-Rankings der letzten Jahre. Die bekannten Franchises wie zum Beispiel „Mission Impossible“, die „Bond“-Filme, alle Filme, die mit „Der Herr der Ringe“ zu tun haben oder „Harry Potter“ finden sich immer ganz oben in den Kino-Charts. Häufig vereinen sie die beiden bisher genannten Punkte. „Der Herr der Ringe“ mit seinen monumentalen Landschaftsaufnahmen wirkt im Kino einfach besser und außerdem möchte man gerade bei so sehnlich erwarteten Filmen möglichst bald mitreden können.

Zudem ist der Kinobesuch selber auch häufig ein soziales Event. John Naisbitt, ein amerikanischer Autor und Prognostiker, hat einmal gesagt: „Man geht nicht bloß ins Kino, um sich Filme anzusehen. Man geht vielmehr ins Kino, um mit zweihundert Menschen zu lachen und zu weinen.“ Man erlebt den Film im Kollektiv, etwas was man im Normalfall im eigenen Wohnzimmer nicht tut. Die wenigsten Menschen gehen alleine ins Kino, im Normalfall verabredet man sich und der Kinobesuch soll ja auch in der heutigen Zeit noch als beliebtes erstes Date genutzt werden.

Wie viele Menschen gehen noch ins Kino?

Die Filmförderungsanstalt veröffentlicht jedes Jahr eine Studie über die Kinobesucher in Deutschland auf Basis des Panels der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). In ihrem Bericht über das Kinojahr 2014 zählt sie einige Fakten auf, die wenig überraschend sind. So gehen die meisten Besucher beispielsweise in der zweiten Hälfte der Woche, also Donnerstag bis Sonntag, ins Kino. Desweiteren ist das Einzige, was in diesen Statistiken ansteigt in den letzten Jahren, der Eintrittspreis. Auch das dürfte jeder bemerkt haben, der ab und zu ins Kino geht. Überraschend ist jedoch, dass mehr Frauen als Männer ins Kino gehen, auch wenn diese Zahlen nicht allzu weit auseinander gehen. Die größten Besucherzahlen haben die Altersgruppen von 30 bis 39 und von 40 bis 49. Daher beträgt das durchschnittliche Alter des deutschen Kinobesuchers 37,5 Jahre.

Trotz aller Schwarzmalerei macht die Kino-Branche einen starken Umsatz. So spielte „Fack Ju Göthe 2“ in diesem Jahr sagenhafte 74 Millionen Euro ein. Aus welchem Grund so viele Menschen diesen Film gesehen haben, kann sich ja nun jeder selber überlegen…

Fotos: flickr.com/janwillemsen (CC BY-NC-SA 2.0), flickr.com/magro_kr (CC BY-NC-ND 2.0)

Videoplattformen – „Ich bin das neue Fernsehen“

von Ricarda Dietrich

„Ich bin das neue Fernsehen“

                                   (Dagi Bee, deutscher YouTube-Star)

Seit die Videoplattform YouTube 2005 online ging, hat sie sich unsere Medienrezeption grundlegend geändert. YouTube hat sich soweit in unserem Alltag etabliert, dass es wohl nur noch wenige Menschen unter 60 geben sollte, die mit diesem Namen nichts anfangen können. Was damals besonders war und heute selbstverständlich für jede Videoplattform ist: Der Nutzer ist nicht mehr passiv. YouTube ist als Netzwerk gedacht, das aus Menschen besteht, die Videos hochladen, anschauen und die Möglichkeit eines Rückkandels, über die Bewertung oder den Kommentarhaben. Diese Möglichkeiten verändern das Verständnis von Film und öffnen neue Möglichkeiten. Sie erfordern aber auch eine gründliche und aufmerksame Kontrolle von Seiten der Betreiber.

Ersatz für Musiksender

5352333173_9e2c81b0bc_zIch habe eine kleine Umfrage in meinem Bekanntenkreis gestartet und mich mal umgehört, wofür die Menschen YouTube eigentlich nutzen. Das kam dabei heraus. Einige rufen YouTube aus genau den gleichen Gründen auf wie ich: Hauptsächlich um Trailer, Musikvideos oder lustige, unterhaltsame Videos anzuschauen. Die Trailer reichen von der Vorschau auf die nächste Folge Grey’s Anatomy bis hin zur aktiven Suche nach einem Film für den Abend. Musikvideos sind in Deutschland eine Glückssache, da YouTube sich bis heute nicht offiziell mit der Gema geeinigt hat und viele Videos somit gesperrt sind. Dennoch merkt man deutlich, dass YouTube den Platz der früheren Musiksender im Fernsehen eingenommen hat. Hier überzeugt der Vorteil der Selbstbestimmung: Man muss nicht schauen, was MTV oder Viva grade an Musikclips zeigt, sondern man kann seine Lieblinge suchen, anschauen und wenn einem grade danach ist, auch in Dauerschleife hören.

Auf die lustigen kleinen Videos mit Katzen, tollpatschigen Kleinkindern oder filmisch festgehaltenen Jugend-Sünden wird man häufig von anderen Leuten über die sozialen Netzwerke aufmerksam gemacht. Hier rezipiert man also auf die Empfehlung von sozialen Kontakten hin. Hat man eines dieser Videos angeschaut, dann wird es schwierig wieder aufzuhören. Schuld daran sind die vorgeschlagenen Videos, genauso wie die vor einiger Zeit eingeführte Funktion des automatischen Startens vom nächsten Video. Man findet immer neue Videos, die lustig oder interessant scheinen und schnell hat man eine halbe Stunde lang Videos mit lustigen Hochzeitstänzen angeschaut. In diesem Fall kann man, muss man aber nicht, selber entscheiden, welches Video als nächstes abgespielt wird. Man kann sich, genau wie vor dem Fernseher, auch einfach von dem berieseln lassen, was automatisch als nächstes anläuft.

YouTube hat mir Kochen beigebracht!

Viele meiner Freunde gaben außerdem noch an, häufig Tutorials zu schauen. Von „Wie-binde-ich-eine-Krawatte“ über Back-Videos bis hin zu Excel-Tutorials kann man aus Videos eine Menge lernen. Hier merkt man deutlich, dass das menschliche Hirn Bild besser verarbeiten kann als Wort. Man kann sicherlich auch in einem Text ausformulieren, wie man einen Fischgrätenzopf flicht, aber besonders anschaulich ist das natürlich nicht. Einfacher nachmachen lässt es sich, wenn man jemandem dabei zuschauen kann, wie es gemacht wird. YouTube kann also auch durchaus eine lehrreiche Funktion haben.

Gerne werden außerdem Videos von Formaten aufgerufen, die in Deutschland nicht übertragen werden. So schauen viele Leute amerikanische Talk Shows und Late Night Shows. Diese haben einen hohen Unterhaltungswert, können aber ebenso über politische Themen aufklären und bieten immer einen guten Gesprächsstoff. Der Vorteil an YouTube ist hier wieder: Man kann sich aussuchen, welche Segmente der Sendung man schauen möchte. Man muss nicht die ganze Sendung am Stück schauen, sondern kann schön portionsweise die Interviews mit den Gästen anschauen, die einen interessieren.

Ein weiterer, immer größer werdender Trend auf YouTube sind Gaming-Videos. Neben der Videoplattform twitch.tv, die nur zur Übertragung von Videospielen genutzt wird, gibt es seit diesem Sommer auch von YouTube einen Ableger speziell für Gaming-Videos. Dort kann man, teilweise in Life-Streams, Gamern dabei zuschauen, wie sie ein Videospiel spielen.

Musik und Spiele

PewDiePie

PewDiePie ist der bekannteste Gaming-Star

Und was sagen die Statistiken? Wofür wird den harten Zahlen nach am häufigsten YouTube aufgerufen? Geht man nach reinen Klick-Zahlen der hochgeladenen Videos findet man unter den Top-Ten der erfolgreichsten Chanels sechs Musikchannel, die teilweise die Vevo Chanels von einzelnen Stars wie Justin Bieber, Rihanna oder Taylor Swift sind. Vevo ist eine weitere Videoplattform, mit dem Schwerpunkt Musikvideos, die sich neben der eigenen Website auch über YouTube verbreiten. Den ersten Platz der Klick-Charts belegt allerdings der wohl bekannteste Gaming-Video-Star, PewDiePie. Der gebürtige Schwede ist mit über 40 Millionen Abonnenten der meist abonnierte YouTuber der Welt und verdient Millionen durch Werbeeinnahmen. Somit ist wohl eindeutig, dass Musik und Gaming die erfolgreichsten Inhalte auf YouTube sind. Katzenvideos leider nicht.

YouTube als Job

YouTube bietet neben der frei bestimmbaren Rezeption aber auf der anderen Seite auch ganz neue Möglichkeiten, groß raus zu kommen. So hat so mancher große Musikstar damit begonnen, seine Videos auf YouTube hochzuladen und ist damit bekannt geworden. Justin Bieber oder Lana del Rey sind hier gute Beispiele. Außerdem ist durch YouTube auch eine ganz neue Gruppe von Berühmtheiten entstanden, die so genannten YouTube-Stars. Eine der bekanntesten deutschen YouTuberinnen ist Dagi Bee, die auf ihrem Channel Schmink- und Modetipps gibt, aber auch Comedy macht oder einfach von ihrem Leben berichtet. Dagi hat eine unglaublich große Fan-Gemeinde, die hauptsächlich aus Teenager-Mädchen besteht und für die sie ein großes Vorbild ist. YouTube bietet also auch im Sinne der Identifikation soziale Möglichkeiten; die jungen Mädchen interagieren regelrecht mit ihren Idolen. Dass es sehr gefährlich werden kann, wenn sich diese Idole nicht mehr in der Realität finden lassen, ist selbstredend. Dagi und Co. sind kein Ersatz für reale soziale Kontakte, die Teenager in ihrer Entwicklung begleiten und unterstützen können. Dennoch ist auch dies ein wichtiger Aspekt von YouTube, der nicht zu unterschätzen ist. So wird YouTube nicht nur zum Rezipieren von Filmen genutzt, sondern auch um eine Marke, eine öffentliche Persönlichkeit aufzubauen. Andere YouTube-Stars werden durch Cover von bekannten Songs berühmt (Boyce Avenue, Cimorelli), wieder andere machen Comedy oder drehen Parodien (Coldmirror, Fresh Torge) und einige versuchen sich auch in politischer Satire (Lars Paulsen).

Ob man dies alles nun kritisch sieht oder zum Beispiel die automatische Wiedergabefunktion nervig findet, bleibt jedem Nutzer selbst überlassen. Dennoch ist und bleibt YouTube das führende Videoportal im Internet, was auch einfach an der schier unendlichen Zahl an hochgeladenen Videos und an der einfachen Bedienung der Seite liegt. „Mal eben was auf YouTube anschauen“ macht halt doch fast jeder und das in großer Regelmäßigkeit.

Fotos: flickr.com/Sean MacEntee (CC BY 2.0), flickr.com/camknows (CC BY-NC-SA 2.0)

Breaking Bad

Serien – „Was bisher geschah….“

von Ricarda Dietrich

Diese drei Worte lassen das Herz eines jeden Serien-Liebhabers höher schlagen. Sie kündigen eine Dreiviertelstunde in einer anderen Welt an, die Möglichkeit für 45 Minuten dem eigenen Leben zu entfliehen. Und das Beste ist, dass nach den 45 Minuten nicht Schluss ist, sondern das Abenteuer im Normallfall in einer Woche weitergeht. Dieses Format bietet nicht nur dem Zuschauer die Möglichkeit, sich viel intensiver in die Welt der Serie hineinzudenken, sondern es gibt auch den Autoren, Regisseuren und Schauspielern sehr viel mehr Spielraum, die Geschichte und ihre Akteure sich entfalten zu lassen.

Serien, im Sinne von sich fortsetzenden Geschichten, gibt es schon so lange wie es Medien gibt, die diese Serien tragen können. Die ersten Serien werden wohl die Fortsetzungsromane in Tageszeitungen gewesen sein. Jeden Tag wurden weitere Zeilen eines Buches abgedruckt und dienten den Menschen zur Unterhaltung. Hier greift schon das Konzept einer Serie: Fängt man einmal an zu lesen, möchte man auch wissen, wie die Geschichte weitergeht, also kauft man die Zeitung am nächsten Tag wieder. In den 1920er Jahren breitete sich die Serie dann auf das Radio aus und Ende der 40er Jahre wurden die ersten Fernsehserien ausgestrahlt. Man übernahm die Idee der Serie aus dem Radio, da sich dort gezeigt hatte, dass die Zuhörer dran blieben. Serien waren somit perfekt, um Werbung auszustrahlen, die garantiert gehört und später dann gesehen wurde. Daher sind die Episoden der Serien auf privaten Sendern bis heute noch 44 oder 22 Minuten lang. Diese Minutenzahl lässt sich wunderbar mit Werbung auf eine, beziehungsweise auf eine halbe Stunde aufstocken.

Die Serienlandschaft ist so vielseitige wie die Zuschauerschaft selbst. Von Western über Krimis bis hin zu Krankenhausserien gibt es alles, was das Herz begehrt. Nicht nur das Genre der Serien variiert stark, auch qualitativ unterscheiden sie sich deutlich. So kann man schlecht geskriptete Gerichtsshows genauso im Fernsehprogramm finden, wie Zuschauerlieblinge wie „The Big Bang Theory“ oder so genannte Quality-Serien wie „The Sopranos“.

„The Third Golden Age of Television“

Kevin Spacey, zweifacher Oscar-Gewinner, setzt inzwischen auf genau diese Quality-Serien. In einer Rede beim Edinburgh International Television Festival 2013 spricht er davon, dass inzwischen die „dritte goldene Ära des Fernsehens“ angebrochen sei und man dies an vielen qualitativ hochwertig produzierten Serien mit anspruchsvollen Charakteren und Plots erkennen kann. Er zählt Serien wie „The Sopranos“, „Homeland“, „Six Feet Under“, „Dexter“, „The Wire“, „Mad Men“, „Game of Thrones“, „Breaking Bad“ und natürlich die von ihm produzierte Serie „House of Cards“ auf, in der er selbst auch die Hauptrolle spielt. Quality-Serien zeichnen sich häufig durch zwiegespaltene Charaktere aus, die oftmals skrupellos vorgehen, um an ihr Ziel zu kommen und dabei auch vor Mord nicht zurückschrecken. So lernt man vom Chemie-Lehrer Walter White aus „Breaking Bad“ zum Beispiel wie man am besten Leichen los wird. Frank Underwood aus „House of Cards“ erdrosselt in den ersten fünf Minuten der Serie den Nachbarshund, der ihn schon immer genervt hat und Carrie Mathison riskiert in „Homeland“ mehrmals kalkuliertes Sterben von Menschen, wenn es denn zur Sicherheit der Vereinigten Staaten geschehen muss. Der Zuschauer verzeiht dieses Verhalten immer wieder, da alle diese Charaktere nicht von Grund auf Böse sind. Sie verhalten sich auf diese Art und Weise, weil sie nicht anders können, weil sie vom Schicksal dazu gezwungen werden. Walter White wäre niemals zum Drogendealer geworden, wenn er nicht Krebs im Endstadium hätte und Carrie Mathison sieht Menschen beim Sterben zu, wenn sie dafür einen Terroranschlag auf Amerika verhindern kann.

Sheldon und Co. zum Abschalten

Obwohl es inzwischen eine große Zahl an Quality-Serien gibt, erfreuen sich auch einfacher gestrickte Serien weiterhin großer Beliebtheit. So wird von „Grey’s Anatomy“ grade die zwölfte Staffel ausgestrahlt und auch Serien wie „CSI:Miami“ erreichen weiterhin traumhafte Einschaltquoten, obwohl sie in vieler Hinsicht nicht an Quality-Serien mit ähnlichen Themen heranreichen. Das liegt ganz einfach daran, dass der Mensch mit der Rezeption von Film nicht nur Unterhaltung, sondern auch unbewusst einen inneren Spannungsausgleich sucht. „House of Cards“ schaut man nicht nebenher oder wenn man müde nach Hause kommt und nur ein bisschen abschalten will. Dafür sind die Charaktere und Plots zu komplex, man muss zu sehr am Ball bleiben, damit man noch versteht, was passiert. Seichte Drama-Serien mit dem immer gleichen Aufbau jedoch lassen sich gut während des Bügelns oder einfach nur zum Runterfahren und Entspannen anschauen. Das Gleiche gilt für Sitcoms.

Hier kommt auch ein Unterschied innerhalb der Serien zum Tragen: Man kann zwischen Episodenserien und Fortsetzungsserien unterscheiden. Bei Episodenserien ist jede Folge ähnlich aufgebaut, folgt einem gewissen Muster und es gibt viele Punkte der Wiedererkennung. So erkennt der Zuschauer zum Beispiel sofort McLaren’s Pub aus „How I Met Your Mother“ oder Sheldons Wohnung aus „The Big Bang Theory“. Bei Episodenserien kann man in irgendeine Episode reinschalten und findet sich trotzdem zurecht.

Bei Fortsetzungsserien wiederum ist es wichtig, keine Folge zu verpassen. Es fehlen sonst Informationen, die zum Verstehen der nächsten Episode unentbehrlich sind.

Was der Zuschauer will? Selbstbestimmung!

Also was erwarten wir als Zuschauer, wenn wir eine Serie einschalten? Je nach Serie erwarten wir für eine Dreiviertelstunde in eine andere Welt versetzt zu werden. In eine Welt, die komplexer und herausfordernder ist, als es die eines Filmes jemals sein kann. Wir erwarten zu sehen, was nach dem Happy End passiert, denn eine Serie ist nicht auf zwei Stunden beschränkt wie ein Film, sondern sie läuft über einen deutlich längeren Zeitraum. Wir erwarten Spannung, Drama, Gefühl. Und was noch viel wichtiger ist: Wir erwarten heutzutage selber aussuchen zu können, was davon wir in der Serie unserer Wahl sehen wollen. Es gibt ein breites Angebot aus dem wir wählen können. Aber dieses Angebot wollen wir auch dann rezipieren und dort rezipieren, wo wir wollen. Wir wollen nicht mehr an den Mittwochabend bei Pro7 gebunden sein, um die neueste Folge „Grey’s Anatomy“ zu schauen. Und mit Streaming-Diensten wie Amazon Prime oder Netflix müssen wir das auch nicht mehr. Kevin Spacey sagt in seiner Rede in Edinburgh dazu: „Give people what they want, when they want it, in the form they want it in, at a reasonable price and they are more likely to pay for it.“ Netflix unterstützt das Verlangen der Zuschauer zur Selbstbestimmung sogar so weit, dass es die neuen Staffeln von „House of Cards“ immer komplett auf einmal online stellt. Dann kann der Zuschauer alle Folgen am Stück sehen, das sogenannte „Binge-Watching“. Am Erfolg der Serie lässt sich erkennen, wie beliebt dieses Konzept ist.

Für den klassischen Binge-Watcher ist dann natürlich auch das „Was bisher geschah…“ nicht mehr wichtig, immerhin schaut er die Serie seit Stunden am Stück und weiß sehr genau, was bisher passiert ist…

 

Fotos: AMC Networks

Ein multimediales Franchise

Von Philipp Mang

Das Spiel ist aus. Die letzte Seite des Comics umgeblättert. Und das Serienfinale der Lieblingsserie längst ausgestrahlt. Trotzdem nehmen moderne Erzählungen einfach kein Ende. Ein gedruckter Text, so scheint es, reicht dem anspruchsvollen Rezipient von heute nicht mehr aus. Ebenso wenig wie cineastische Spektakel auf dem Flatscreen. Konsumenten wollen ein Medium nicht länger nur passiv rezipieren, sondern Zusatzinformationen über dessen gesamtes Universum erlangen. Dafür sind sie sogar bereit, sich auf eine medienübergreifende Recherchereise zu begeben. Immer häufiger werden Geschichten deshalb auf andere Medien ausgeweitet – ganz egal ob es sich dabei um die große Leinwand, Webserien oder Applikationen für das Smartphone handelt.

Ein Buzzword & was dahinter steckt

Häufig wird dieses Phänomen als Transmediales Storytelling bezeichnet. Hierbei handelt es sich um ein mediales Buzzword, das durch die Arbeiten des Medienwissenschaftlers Henry Jenkins entscheidend geprägt wurde. Es bezeichnet eine spezielle Form der Narration, bei der eine Geschichte über verschiedene Medien-Plattformen hinweg erzählt wird und jedes Produkt seinen eigenen wertvollen Beitrag zur Gesamtgeschichte leistet. Transmediales Erzählen ist damit mehr als eine bloße Vermarktungsstrategie. Durch geschickte Erweiterungen des Universums soll dem Konsument vielmehr ein neuer Blickwinkel auf die Geschichte eröffnet werden. Man rezipiert gewissermaßen ein mediales Puzzle, das sich erst am Ende zu einem großen Ganzen zusammensetzt. Dieses komplexe Erzählkonzept findet bei Fans großen Anklang – so sehr, dass auch Hollywood damit immer häufiger seine Umsätze ankurbelt. Die Matrix- oder Star Wars-Sagen gelten dabei bist heute als Paradebeispiele für plattformübergreifendes Erzählen.

Vom Comic zur Serie

4_Walt Jabsco3_Walt JabscoAuch Robert Kirkmans TWD-Franchise ist ein solch multimediales Massenphänomen. Was im Jahr 2003 mit einer Comic-Serie recht unscheinbar begann, hat sich seither zu einer gigantischen Erfolgsgeschichte entwickelt. Mittlerweile sind mehr als 100 Ausgaben der beliebten Zombie-Dystopie erschienen – und ein Ende ist immer noch nicht in Sicht. Erst kürzlich brach die Jubiläumsausgabe des Comics in den Vereinigten Staaten Verkaufsrekorde. Außerdem wurde die Reihe mit einem der begehrtesten Preise für Comic-Schaffende ausgezeichnet: dem Eisner Award. Diese Auszeichnung gebührt in erster Linie Kirkman, der sich als Autor und kreatives Hirn für so manch überraschende Wendung verantwortlich zeigt. Nicht zu verachten ist aber auch die Rolle des Zeichners Charlie Adlard, der die Panels seit der siebten Ausgabe in schnörkelloser Schwarz-Weiß-Optik illustriert.

Kopie oder Transmediale Erweiterung?

Von diesem Erfolg beflügelt, folgte im Jahr 2010 schließlich wenig überraschend die Adaption zur Fernsehserie. Damit konnten die Verkaufszahlen der Comics nicht nur beträchtlich gesteigert, sondern die Reihe auch insgesamt ihres gesellschaftlichen Nischendaseins enthoben werden. Es ist die Geburtsstunde eines globalen Franchise. Ob man hierbei allerdings tatsächlich von einer ersten transmedialen Erweiterung des Universums im Sinne von Jenkins Theorie sprechen kann – darüber gibt es in Expertenkreisen durchaus unterschiedliche Ansichten.

Vorlage vs. Adaption

photo by Scott Beale / Laughing Squid This photo is licensed under a Creative Commons license. If you use this photo within the terms of the license or make special arrangements to use the photo, please list the photo credit as "Scott Beale / Laughing Squid" and link the credit to http://laughingsquid.com.Ein kurzer Vergleich zwischen Comic und Serie soll deshalb Licht ins Dunkel bringen: Tatsächlich wird die Handlung der Vorlage hier nicht einfach nur strikt in das neue Medium Fernsehen übertragen. Stattdessen werden dem Zuschauer sogar vereinzelt neue Handlungsstränge präsentiert. So taucht das Seuchenzentrum, das die Gruppe um Rick am Ende der ersten Staffel des TV-Formats erreicht, in den Comics etwa gar nicht erst auf. Die Serienmacher führen außerdem immer wieder vereinzelt Figuren ein, die in der graphischen Vorlage überhaupt nicht existieren. Prominentestes Beispiel hierfür ist sicherlich Serienliebling Daryl Dixon. Als ebenso interessant erweist sich, dass das Schicksal der Charaktere niemals in Stein gemeißelt ist. Wer im Comic das Zeitliche segnet, muss das nicht zwingend auch in der Fernsehserie – und umgekehrt. Genau hierin liegt der Reiz für Kenner der Bildergeschichte: In Onlineforen können sich die so genannten „fan scholars“ über Änderungen mit Gleichgesinnten austauschen.

Zwischen Eigenständigkeit und Redundanz

Nichtsdestotrotz fungiert der Comic bei der Adaption unverkennbar als Blaupause. So hält sich die Serie nicht nur an die dort festgesetzten Grenzen (z.B. dass der Ursprung der Zombie-Seuche niemals verraten wird), sondern folgt auch dessen Mythologie, den Schauplätzen (Atlanta, Hershels Farm, Gefängnis usw.) und groben Handlungssträngen. Eine wirklich eigenständige Geschichte, die narrative Leerstellen füllt, wird nicht erzählt. Stattdessen finden sich in der Serie zahlreiche für Comicfans redundante Informationen. Von einer transmedialen Adaption kann deshalb nur bedingt die Rede sein.

Big Business Zombie

Als erste echte Erweiterung des TWD-Universums gelten vielmehr die so genannten Webisodes, auf die im folgenden Artikel noch einmal näher eingegangen werden soll. Mit ihrer Produktion nahm der Siegeszug des Zombie-Franchise endgültig seinen Lauf: Es folgten unzählige Videospiele, Applikationen für mobile Endgeräte, Onlineforen und Hörspiele. Mittlerweile sind sogar zahlreiche Romane erschienen, die die Hintergrundgeschichte verschiedener Charaktere beleuchten. Mit The Walking Dead Escape findet außerdem ein jährliches Event statt, bei dem Fans die Möglichkeit haben, sich wie die Protagonisten durch Schauplätze der Serie zu kämpfen. Entstanden ist damit eine Art dreidimensionale Welt. Diese kann von Fans durch nahezu jedes erdenkliche Medium betreten werden, um tiefer in die Geschichte einzutauchen. Die Verantwortlichen haben es also perfekt verstanden, ihre Marke über ein transmediales Mosaik clever zu vermarkten.

Fotos: flickr.com/Flood G. (CC BY-NC-ND 2.0), flickr.com/Walt Jabsco (CC BY-NC-ND 2.0), flickr.com/Walt Jabsco (CC BY-NC-ND 2.0), flickr.com/Scott Beale (CC BY-NC-ND 2.0)


Weitere Artikel der Reihe:

Der Hype um die Qualitätsserie

Ethik im Angesicht des Todes

Das transmediale Phänomen „The Walking Dead“

Mythos Zombie

Wenn die Welt untergeht

Gewalt als Attraktion