Tag 4: Warum Sofort-Überweisungen SOFORT-Überweisungen heißen

von Caroline Wahl

Donnerstag. Zehn Uhr zehn. Ich sitze in der Bib und lerne. Beziehungsweise drucke ich bevor ich richtig anfange zu lernen die Texte aus, die ich in weniger als vierundzwanzig Stunden intus haben muss. Ich schreibe morgen eine Klausur, meine erste Online-Klausur.

Donnerstag. Elf Uhr. Ich beschließe mir eine kleine Lern-Auszeit zu gönnen und suche im Netz nach Zugverbindungen. Ich habe zu der Party in meiner Heimatstadt zugesagt, auf der auch der auch der ominöse Herr Ian erscheinen wird. Einundfünfzig Euro? Die Deutsche Bahn spinnt doch. Ich muss umdisponieren.

Donnerstag. Elf Uhr dreiundfünfzig Nach einem Umweg über mitfahrgelegenheit.de und blablacar.de finde ich zum Glück einen um einiges preiswerteren Fernbus. Bezahlung per Kreditkartenzahlung (VISA oder MasterCard), PayPal, SofortÜberweisung oder iDeal. Verdammt. Zu keiner der angegebenen Zahlungsarten fühle ich mich in der Lage. Ich besitze keine Kreditkarte, bin auch nicht bei PayPal und weiß nicht was eine Sofort-Überweisung, geschweige denn was iDeal ist. Bei meiner Mama anzurufen und darum zu betteln, dass sie mir den Fernbus bezahlt, weil ich, einundzwanzigeinhalb Jahre alt, noch darüber hinaus Medienwissenschaft-Studentin, mit der Transaktion überfordert bin, ist selbst für meine Verhältnisse zu armselig. Also google ich „Sofort-Überweisung“ und bin begeistert. Das schaffe sogar ich! Man muss lediglich Name, ein paar Zahlenkombinationen eingeben, die auf der EC-Karte stehen und dann noch den PIN und TAN eingeben und schwuppdiwupp habe ich ein Bus-Ticket. Das ist ja easy. Ha Mama, was sagst du jetzt?

Donnerstag. Zwölf Uhr neun. Zu meiner Freude habe ich gerade festgestellt, dass sowohl bei Ikea als auch bei Snipes Sofort-Überweisungen möglich sind. Ich überlege, was ich mir bei Ikea bestellen könnte. Neue Bettwäsche könnte ich wirklich gebrauchen. Gekauft. In meiner Euphorie erwerbe ich noch trendige Adidas-Sneaker bei Snipes. Und lustige Socken mit Käfern bestickt. Gekauft. Und ich habe gar nicht das Gefühl zu viel Geld ausgegeben zu haben. Das ging so schnell. Da hat man gar keine Zeit ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Klick. Klick. Schöne neue Schuhe. Und Socken. Und Bettwäsche.

Donnerstag Zwölf Uhr zehn. Jetzt habe ich doch ein schlechtes Gewissen. Die Schuhe waren echt teuer. Die haben mehr gekostet als einundfünfzig Euro. Die Deutsche Bahn ist schuld an meinem Kaufrausch. Die Deutsche Bahn ist an allem schuld. Wieso kommen die Züge auch immer so unpünktlich? Scheiß Deutsche Bahn.

Donnerstag. Zweiundzwanzig Uhr neunundzwanzig. Inzwischen bin ich in meiner Wohnung. Ich habe noch nicht einmal die Hälfte der Texte gelesen und meine Augen zucken aufgrund der neunten Tasse Kaffee, die ich inzwischen im Akkord geleert habe. Ständig anwesend: mein schlechtes Gewissen. Ich hätte früher anfangen sollen zu lernen. Ich hätte mir nicht einen halben Tag darüber Gedanken machen sollen, ob es sich für mich lohnen würde die Youtuber-Karriere anzustreben um mich am Ende doch dagegen zu entscheiden. Ich hätte mich einfach für eine überteuerte Zugverbindung entscheiden sollen. Dann hätte ich die wertvolle Zeit zum Lesen von klausurrelevanten Texten genutzt, anstatt eine unfassbar schnelle und einfach scheinende Zahlungsmodalität für mich zu entdecken und unüberlegt, weil SOFORT, Bettwäsche und Schuhe zu kaufen. Und Socken. Ich brauche gar keine Bettwäsche. Und Schuhe habe ich auch genug. Aber Socken könnte ich schon mal wieder gebrauchen. Das ging mir einfach zu schnell. Hoffentlich war das alles sicher. Nicht, dass ich jetzt ausgeraubt werde. Ich kenne mich mit sowas überhaupt nicht aus. Wieso habe ich mich davor nicht richtig informiert. Zum Glück strebt mein Kontostand nach dem heutigen Tag sowieso gegen Null. Ist also nicht viel zu holen. Aber trotzdem. Irgendwie habe ich ein mulmiges Gefühl. Anderseits macht das heutzutage sowieso jeder. Warum soll es dann also bei mir schiefgehen? Und als ob sich da jeder informiert, bevor er Geld per Sofort-Überweisung versendet. Als ob. Ich konzentriere mich jetzt auf die Klausur.

Donnerstag. Dreiundzwanzig Uhr sieben. Ich trinke die zehnte Tasse Kaffee.

Foto: flickr.com/Graham Richardson (CC BY 2.0)

Tag 3: Löst eine Karriere als Youtuberin vielleicht alle meine Probleme?

von Caroline Wahl

Mittwoch. Siebzehn Uhr siebenundvierzig. Uni war scheiße. Ich schreibe nicht gerne Essays. Wie soll ich anfangen? Zunächst google ich einmal „Essay“ weil ich vergessen habe, was das genau ist. Ich weiß nur noch, dass ich das nicht gerne schreibe. Auf Wikipedia steht: „Der Essay (seltener das Essay; Plural: Essays), auch: Essai, ist eine geistreiche Abhandlung in der wissenschaftliche, kulturelle oder gesellschaftliche Phänomene betrachtet werden. Im Mittelpunkt steht die persönliche Auseinandersetzung des Autors mit seinem jeweiligen Thema. Die Kriterien wissenschaftlicher Methodik können dabei vernachlässigt werden; der Autor hat also relativ große Freiheiten.“ Und genau diese „relativ großen Freiheiten“ sind der Grund für meine Abneigung gegenüber solch „geistreicher Abhandlungen“. Wenn ich keine explizite Fragestellung zu beantworten habe, dann verzettle ich mich immer so, drifte total vom eigentlichen Thema ab und am Ende lande ich bei Wikingern oder Gemüseeintöpfen und kann noch mal von vorne anfangen. Vielleicht hätte ich doch Youtuberin werden sollen. Der „Beruf“ hat viele Vorteile. Ich müsste keine Essays schreiben und würde vielleicht reich werden.

Mittwoch. Achtzehn Uhr zweiundfünfzig. Ich klicke mich durch Videos und überlege in welche Richtung mein Kanal gehen könnte. Es ist schließlich nie zu spät für ein „new beginning“. Was passt zu mir und erreicht zudem ein großes Publikum? Es sollte natürlich ein lukratives Geschäft werden. Zum einen sind da Schminktutorials. Ich müsste mich im Prinzip nur dabei filmen, wie ich mich schminke. Leider kommt sowas am wenigstens in Frage. Ich kann mich überhaupt nicht schminken. Wenn ich abends ausgehe und dem Anlass entsprechend einen schmalen Eyeliner-Strich ziehen möchte, endet das immer damit, dass ich am Ende viel zu spät, mit vom Abschminken völlig entzündeten, tränenden Augen und dann doch ohne Lidstrich aufbreche. Oh Gott Marie, was ist passiert? Nichts, ich habe mich nur geschminkt. Ich überlege, wie ein Schminktutorial, von mir aussehen würde: „Jetzt nehme ich ein Stück Klopapier und tupfe es in Nivea-Creme. Nein das ist natürlich keine Produktplatzierung. Ich habe leider gerade keine Abschminktücher hier. Jetzt reibe ich damit den viel zu dicken, versauten Lidstrich von Pulli, Auge, Backe und Kinn.“ Eher nicht. Dann sind da noch Vlogs. Die sind glaube ich echt dankbar, weil man nichts vorbereiten muss. Man muss eben nur den ganzen Tag, überall eine Kamera rumschleppen. Man kann ja die Hand wechseln, wenn es zu schmerzhaft wird. „Ich bin jetzt aufgestanden und gucke Frühstücksfernsehen. Jetzt gehe ich in die Uni. Ich muss jetzt leider aufhören zu filmen, weil mich der Dozent und meine Kommilitonen irritiert anschauen. Bis nachher. Jetzt bin ich zu Hause. Ich esse Pizza und schaue Fernsehen. Danke fürs Zuschauen. Wenn euch das Video gefallen hat, gibt einen Daumen nach oben und vergesst nicht, mich zu abonnieren! Bis zum nächsten Vlog! Hab euch lieb!“ Ok Vlogs sind leider auch aussichtslos. Mein Leben ist schlichtweg zu langweilig. Das ist echt traurig. Hm was gibt es noch? Ich könnte einen Gaming-Channel eröffnen. Solche Videos, wo man einfach nur spielt und das Ganze filmt, scheinen echt gut anzukommen. Dann müsste ich mir aber Computerspiele kaufen, weil ich nie am Computer spiele. Und ein CD-Laufwerk. Kann man mit meinem Laptop überhaupt spielen? Ich hasse Computerspiele. Also kein Gaming-Channel. Wie wäre es mit Comedy-Videos? Eher nicht. Die sind im Vergleich zu den anderen Videos viel aufwändiger. Außerdem bin ich nicht lustig. Wobei unter dem Titel „10 Dinge, die man nicht tun sollte, wenn man Student ist“ fällt mir mindestens ein „Ding“ ein. Man sollte zum Beispiel nicht in ein Seminar gehen, wenn man den Text nicht gelesen hat und der Dozent böse ist. Das kann nämlich dazu führen, dass der Dozent dich als Nichtleser enttarnt und du dummerweise, und in die Enge gedrängt ohne nachzudenken deine Nachlässigkeit damit begründest, dass du ja noch die Pfandflaschen wegbringen musstest. Und jetzt muss ich so ein doofes, dreiseitiges Essay über den Text schreiben. Und das ist nicht lustig! Ich habe ja gesagt, dass ich nicht lustig bin!

Mittwoch. Neunzehn Uhr dreißig. Food-Diaries. Die finde ich echt interessant und sie werden total oft angeklickt. Da werden einfach nur die Mahlzeiten gefilmt und manchmal noch die Zubereitung erklärt. Bedauerlicherweise ist meine Küche viel zu klein, ich habe noch nicht einmal einen Backofen und meistens esse ich entweder in der Mensa, hole mir einen Döner, gehe zu Subway oder bestelle mir irgendwas. Die größten kulinarischen Wunder, die ich in meiner Küche zaubere sind Spaghetti Arrabbiata von Mirácoli. Die sind aber echt gut! Vielleicht werde ich doch keine Youtuberin. Ich bin einfach zu langweilig und kann nichts.

Mittwoch. Einundzwanzig Uhr. Ich habe etwas gefunden, was ich machen könnte. Ich könnte so genannte „Hauls“ drehen. Das ist wirklich total easy und man muss wirklich rein gar nichts dafür können und ein aufregendes Leben wird auch nicht benötigt! Man geht irgendwo einkaufen, bei dm oder H&M, und zeigt dann hinterher was man erworben hat. Nach dem elften Haul den ich mir anschaue, wird mir jedoch bewusst, dass auch diese Art von Videos bei mir schwierig werden würde. Die meistens weiblichen Internet-Stars ziehen T-Shirts, Ohrringe und Schuhe aus riesigen, gefüllten, mehreren (!) Tüten heraus. Ich bin Studentin. Ich habe keinen Nebenjob. Meine Eltern zahlen meine Wohnung. Ich stehe sogar im Aldi eine viertel Stunde vor einem Regal und überlege mir ob ich mir Studentenfutter kaufen soll oder nicht. Dazu muss man sagen, dass Studentenfutter wirklich überteuert ist! Wieso heißt das eigentlich Studentenfutter? Der Name passt überhaupt nicht. Ich google es und mein stets treuer Freund Wikipedia klärt mich auf: „Studentenfutter (auch Studentenhaber, Pfaffenfutter, schweizerisch auch Tutti-Frutti) ist eine seit dem 17. Jahrhundert bekannte Bezeichnung für eine Mischung, die ursprünglich aus Rosinen und Mandeln bestand (amygdala cum uvis passis mixta). Später wurde auch anderes Trockenobst und andere ungesalzene Nüsse zugefügt, darunter Cashewkerne, Erdnüsse, Paranüsse, Walnüsse oder Haselnüsse. Diese ‚Schleckerey deutscher Gymnasiasten und Burschen’ war durch die Verwendung der damals verhältnismäßig teuren Mandeln eher für finanziell gutgestellte Personenkreise zugänglich, woher die Bezeichnung Studenten- oder Pfaffenfutter herrührt. In Studentenkreisen nahm man an, dass insbesondere die Mandeln gegen einen Alkoholrausch oder Kater wirksam seien.“ Letzteres merke ich mir.

Zweiundzwanzig Uhr fünf. Ich werde keine Youtuberin. Ich bleibe eine arme, bedauernswerte, unfassbar langweilige Studentin, die viel zu große Freiheiten bei dem Erfassen einer geistreichen Abhandlung gegeben werden. Aber bevor ich beim Abhandeln abdrifte, lese ich erstmal den Text. Das wird eine lange Nacht.

Foto: flickr.com/Zufall2010 (CC BY 2.0)

Tag 2: Warum To-Do-Listen abgeschafft werden sollten

von Caroline Wahl

Dienstag. Sieben Uhr. Ich drücke nicht auf den Schlummer-Button. Nein. Heute wird ein guter Tag. Ich habe den Montag ohne bleibende Schäden überstanden und jetzt wird alles besser. Meine Tante hat Recht: „Remember, as long as you are breathing it’s never too late to start a new beginning“. Dienstag ist ein guter Tag für ein „new beginning“.

Dienstag. Sieben Uhr vierunddreißig. In mein Handy tippe ich eine ToDo-Liste: „Gute Fitness-App runterladen. Fitness-App gleich heute benutzen!!! Text lesen. Lernen. Lernen. Lernen.“ Am Freitag schreibe ich eine Online-Klausur und ich habe meinen Lernplan nicht eingehalten. Ok, ich habe keinen Lernplan erstellt. Aber nicht, weil ich zu faul war. Nein, ganz im Gegenteil: Planen in Form von Erstellen von ToDo-Listen oder Setzen von Deadlines führen bei mir zu einer narkotisierenden Faulheit. Wenn ich es schwarz auf weiß vor mir stehen habe, was ich alles erledigen muss und wenn ich dann miterlebe, wie der Lernstoff-Berg zu wachsen scheint, während die Tage vor der Klausur einfach so verschwinden, dann führt das nicht dazu, dass ich zu Hochtouren auflaufe und entgegen der düsteren Prognose optimistisch und ehrgeizig zum Ziel sprinte und einen Punkt nach dem anderen abhake. Nein, leider nicht. Vielmehr erwecken die langen, hakenlosen ToDo-Listen und der sich als Utopie erwiesene Lernplan den Prokrastinator schlechthin in mir. Ich schiebe dann alles vor mir her, weiß nicht wo ich anfangen soll und entschließe mich dazu morgen die Liste konsequent abzuarbeiten und endlich die Pfandflaschen wegzubringen oder mir von morgens bis abends, nein bis nachts, den Lernstoff reinzuhauen. Und derselbe Entschluss fällt an dem darauffolgenden Tag und wiederum an dem darauffolgenden. Irgendwann, meistens einen Tag vor der Klausur, liege ich dann einfach nur noch im Bett, lasse mich von klugen, wortgewandten Youtubern (haha) berieseln oder ziehe mir marathonartig mehrere Staffeln einer Serie rein bis ich fest daran glaube, mit Drachen sprechen zu können und im Königreich von Westeros besser aufgehoben zu sein. Wenn mir dann nur noch die Vorschau auf die kommende Staffel bleibt und ich realisiere, dass ich viele wertvolle Stunden, den ganzen Tag, in Westeros verloren habe und John Schnee „tatsächlich“ in der letzten Minute gestorben ist, gibt es nur noch eine Sache, zu der ich in der Lage bin: ein mehr oder weniger tränennasser Anruf bei meiner Mama. Hinterher heule ich dann noch mehr. Ich solle mich nicht so anstellen und einfach anfangen zu lernen. Sie versteht mich nicht. Ich kann nicht anfangen. Warum? Ich habe mich beim Erstellen des Lernplans verkalkuliert. Die hat gut reden. Die hat keinen Lernplan.

Dienstag. Acht Uhr elf. Heute wird die Liste abgehakt. Nicht morgen. Ich will mich bessern. Mich besser organisieren. Ich lese mir auf diversen Vergleichsportalen die Bewertungen von Fitness-Apps durch. Ich finde eine Bauchmuskel-App, bei der man jeden Abend ein Bild von seinem Bauch hochladen kann, nachdem man dessen Umfang gemessen hat. Wer macht denn sowas? Vielleicht Lena. „7 Minuten Workout“. Das hört sich doch vielversprechender an. Diese App erinnert mich sogar mit einem Tonsignal daran, wenn das nächste Training ansteht. Super!

Dienstag. Zwölf Uhr elf. Letztendlich habe ich jetzt elf Fitness-Apps auf meinem iPhone. Ich konnte mich einfach nicht entscheiden. Jede scheint ihre Vorzüge zu haben. Unter ihnen findet sich auch eine Lauf-App, die mir die Kilometeranzahl, die verbrannten Kalorien, die Strecke und noch zahlreiche andere Werte und Statistiken meiner Läufe anzeigt. Darüber hinaus kann ich mich sogar mit anderen Läufern vergleichen. Und das I-Tüpfelchen: Die App bringt sogar die empfohlene Flüssigkeitsaufnahme je nach Aktivität aufs Display. Cool oder? Naja, eigentlich hasse ich joggen. Ich gehe nie joggen. Von Joggen bekomme ich Kopfweh. Allein der Gedanke, iiih. Aber vielleicht macht mir Laufen ja Spaß, wenn ich genau die richtige Menge Flüssigkeit intus habe und ich sehe wie viel schneller und mehr meine „Mitläufer“ rennen.

Dienstag. Dreizehn Uhr vierzehn. Ich lösche die Lauf-App und stöbere noch ein bisschen im App-Store. Ich lade mir das Spiel „Candy Crush Saga“ runter, nach welchem meine kleine Schwester seit einiger Zeit verrückt ist. Dann stoße ich noch auf die Dating-App „tinder“, von der alle reden. Ich bin zurzeit zwar nicht auf der Suche, aber sie kann ja nicht schaden. Außerdem haben die alle meine Kommilitonen und ich will ja mitreden. Im Prinzip ist sie ein sehr unterhaltsamer Zeitvertreiber: Man sieht Fotos von anderen Benutzern. Wenn einem die Person auf dem Bild attraktiv/interessant/lustig erscheint schiebt man das Foto nach rechts, „hot“. Wenn das „not“ der Fall ist, schiebt man es in die andere Richtung. Falls die nach rechtsgeschobene Person dich nun auch nach rechts schiebt dann, und nur dann, sind die Flirtlustigen „matched“ und können eine mehr oder weniger gehaltvolle Konversation starten. Ich finde viele ansehnliche Männer, schiebe sie, schon die gemeinsame Zukunft ausmalend, nach rechts. Leider schieben die mich aber in die andere Richtung. Doofe App.

Dienstag. Siebzehn Uhr fünfundzwanzig. Verdammt. „Candy Crush Saga“ macht wirklich süchtig. Ich bin richtig gut, werde immer besser und schneller und steige von Level zu Level. Da geht noch was. Wieso offenbaren sich meine konsequenten, zielbewussten, leistungswilligen Streber-Gene immer nur in Sachen, die mir nichts für meine Zukunft bringen.

Dienstag. Zwanzig Uhr vierzig. Level 65. Eigentlich wollte ich noch die neuen Fitness-Apps ausprobieren. Aber mit welcher soll ich anfangen? Die sind schließlich alle so gut. Eigentlich muss ich auch noch was für das Seminar morgen lesen. Das geht natürlich vor. Sport kann ich auch morgen machen.

Dienstag. Zwanzig Uhr fünfzig. Nach langem Abwägen und nach einem Blick in den leeren Kühlschrank bin ich mit einem Sack Pfandflaschen auf dem Weg zum Rewe. Gut, dass die Pfandflaschen nicht auf einer ToDo-Liste standen. Morgen mache ich Bauchmuskel-Training.

 

Foto: flickr.com/Albert Hsieh (CC BY-NC 2.0)

Tag 1: Der beste Freund des Bruders des Verlobten der Schwester der Freundin Fab Ians

von Caroline Wahl

Montag. Sieben Uhr einundzwanzig. Ich liege im warmen Bett und drücke zum dritten Mal auf den Schlummer-Button meines mich wecken wollenden iPhones. Noch sieben Minuten, dann stehe ich wirklich auf. Versprochen.

Montag. Neun Uhr sechs. Verdammt. Eigentlich wollte ich vor der Uni in die Bib gehen, um noch ein paar Texte zu lesen. Ich stelle den iPhone-Wecker aus. Erstmal Facebook. Ich scrolle die Neuigkeiten runter, muss lachen als ich ein Video von einer tanzenden Omi sehe, höre auf zu lachen als ich die gestern hochgeladenen Partybilder von Lena, Kati und Marc sehe. Den Samstagabend habe ich damit verbracht mir schlecht gelaunt Videos von Youtubern reinzuziehen, die einem unter dem Motto „DIY“ (Do it yourself) zeigen wie man eine Banane in ein mit Nutella bestrichenen Tortilla einwickelt oder wie sie einen total aufregenden, „crazy“ Tag mit ihren Youtube-Freunden erleben. Diese jeden Pups dokumentierenden Videos, in denen alles, wirklich alles (keine Banalität ist hier zu banal) festgehalten wird, nennen sie „Vlogs“ (Video-Blog). Ich bezweifle ja, dass man so viel Spaß haben kann, wenn man die ganze Zeit eine Kamera rumtragen muss. Tut da nicht irgendwann die rechte Hand weh? Bestimmt. Und trotzdem müssen sie die ganze Zeit in die Kameras der anderen Youtuber lächeln, die selbstverständlich auch coole Vlogs drehen. Man könnte sie fast ein bisschen bemitleiden. Ich schätze diesen Kindern war genau so langweilig wie mir und dann haben sie sich eine Banane, Nutella, eine Kamera und ein Tortilla genommen und ihnen war nicht mehr langweilig und sie hatten Geld. Ich schreibe Kati im Facebook-Chat: „Hi :)“ und hoffe, dass der Smiley ihr schlechtes Gewissen, das sie zerfrisst, weil sie mich nicht gefragt hat, ob ich Samstag mitkommen möchte, ins Unermessliche steigern wird. Ja, ich hätte Samstagabend Zeit gehabt. Ein Häkchen. Gesehen. Zwanzig Sekunden warte ich. Keine Antwort. OK. Kati, du hast es nicht anders gewollt. Dein Profilbild gefällt mir nicht mehr und dein Titelbild auch nicht mehr. Scheiß Sonnenuntergang. Aber das neue Bild von deinem Freund Marc gefällt mir. Ha.

Montag. Zehn Uhr achtundfünfzig. Sonja hat mich am Samstag zu einer Party in meiner Heimatstadt eingeladen. Eigentlich habe ich schon hier zu einer Veranstaltung zugesagt. Ich scrolle durch die Leute, die zugesagt haben. Einige kenne ich. Die meisten nicht. Fab Ian hat ein sehr cooles Profilbild, auch wenn er sich bei der Zerlegung seines Namens vielleicht ein bisschen zu viel Mühe gegeben hat. Ich stöbere durch sein Profil. Er studiert in Mannheim und verdammt. Fabian ist in einer Beziehung. Seine Freundin heißt Jana und ist sehr hübsch. Die Fotos sind hübsch. Sie ist wahrscheinlich potthässlich. Eh alles bearbeitet.

Montag. Elf Uhr neunundfünfzig. Als ich letztendlich bei dem Profil von dem besten Freund des Bruders des Verlobten der Schwester der Freundin Fabians angekommen bin, beschließe ich, dass es Zeit ist, das Bett zu verlassen. Ich stehe auf, bin noch schlechter gelaunt als Samstagabend und überlege, ob eine in einen Tortilla eingewickelte Banane zum Frühstück meine Laune verbessern würde. Eigentlich mag ich gar keine Bananen. Und Tortilla habe ich auch nicht da, geschweige denn Nutella.

Montag. Dreiundzwanzig Uhr vierzehn. Ich liege mit einer Pizza Hawaii und Laptop im Bett. Lena hat ein neues Foto auf Instagram hochgeladen. Es zeigt sie in einer grauen Sportleggins und einem hautengen, bauchfreien Oberteil. In der linken Hand ein Proteinshake in der rechten das Smartphone, welches die Erfolge im Fitnessstudio dokumentiert. Ein Spiegel-Selfie. Dein Ernst Lena? Vor einer Woche saßt du noch mit mir hier, einen eigenen Pizzakarton auf dem Schoß und wir machten uns über Spiegel-Selfies lustig. Jetzt hast du den Pizzakarton gegen so ein doofen, pinken Fitnessbecher ausgetauscht und machst peinliche Fotos. Ok ich muss zugeben, dass sie sich und insbesondere ihre Bauchmuskeln zeigen lassen kann. Aber trotzdem, es ist und bleibt ein Spiegel-Selfie. Ich schaue mir weitere Fotos auf Instagram an. Aber ich finde nicht das, was ich unbewusst – eher bewusst – suche. Ich finde keine Bestätigung meiner Lebensweise. Keine neuen Foodporn-Bilder von schmelzender Schokolade, keine tanzenden Omis. Nein ganz im Gegenteil. Stattdessen alles voller perfekt durchtrainierter Körper in knappen Bikinis oder Crop Tops und High-Waist-Shorts. Sogar meine Tante zeigt sich mindestens zehn Kilo leichter in einem meines Erachtens für ihr Alter viel zu kurzem Sommerkleid mit der Bildunterschrift: „Remember, as long as you are breathing it’s never too late to start a new beginning“. Seit wann hat sie überhaupt Instagram? Die trainierten Körper und gesunden, grünen mit Chia-Samen und Blaubeeren verzierten Smoothie-Boles verfolgen mich nahezu. Schluss mit Instagram. Facebook. Aber was springt mir da ins Gesicht? Über einer Werbung eines Abnehm-Programms von Detlef Soost steht in grauen, kleinen aber sehr gut lesbaren Buchstaben „Empfohlen“. Wer zur Hölle empfiehlt mir das? Auf welchen meiner Daten beruht diese Empfehlung? Ja mir gefällt „Das Perfekte Dinner“ und ich veröffentliche auch keine Spiegel-Selfies. Aber das ist noch lange kein Grund, mir einen Lebenswandel zu empfehlen. Noch dazu einen solch mühsamen.

Montag. Dreiundzwanzig Uhr fünfunddreißig. Meine Laune hat sich in ein tiefes Loch im Keller vergraben. Nein Detlef you won`t make me sexy. Ich schlage den Laptop zu, schmeiße den leeren Karton in den Müll und verabschiede mich von diesem Arschloch namens Montag. Ich hasse Montage und ich hasse Detlef. Detlef und Lena lieben Montage. Meine Tante nicht zu vergessen. Da bin ich mir sicher.

Montag. Dreiundzwanzig Uhr siebenundfünfzig. Morgen lade ich mir eine Fitness-App runter. Und ich garantiere nicht dafür, dass man von mir nicht bald auch ein sexy Spiegel-Selfie sehen wird. Ha.

 

Foto: flickr.com/JJ (CC BY-NC-ND 2.0)

Eine Woche im Spinnennetz

von Caroline Wahl

„Das Leben wird [der Persönlichkeit] einerseits unendlich leicht gemacht indem Anregungen, Interessen, Ausfüllungen von Zeit und Bewusstsein sich ihr von allen Seiten anbieten und sie wie in einem Strome tragen, indem es kaum noch eigener Schwimmbewegungen bedarf. Andererseits aber setzt sich das Leben doch mehr aus diesen unpersönlichen Inhalten und Darbietungen zusammen, die die eigentlich persönlichen Färbungen und Unvergleichlichkeit verdrängen wollen; so daß nun gerade, damit dieses Persönlichste sich rette, es ein Äußerstes an Eigenart und Besonderung aufbieten muß“[1]

Es ist erstaunlich, wie aktuell die Worte Georg Simmels zu sein scheinen, die aus dem Jahre 1903 stammen und sich damals auf die aufkommenden Großstädte bezogen. Befinden wir uns 113 Jahre später nicht auch alle in einer riesigen digitalen Großstadt? Werden wir nicht auch von allen Seiten überhäuft mit Informationen? Wir verbringen einen Großteil unserer Zeit im Netz. Und dieses Netz wird gesponnen um die ganze Welt, jeden Tag ein bisschen dichter. Jeden Tag wird ein bisschen mehr eingesponnen. Inzwischen ist auch die schnucklige Bäckerei von nebenan im Netz. Und wir sind die Spinnen, die fleißig spinnen. Und gleichzeitig sind wir die Fliegen, die eingesponnen, die eingefangen werden, ohne richtig zu begreifen, was da mit uns passiert. Denn eigentlich ist ja alles super. Alles wird so unendlich leicht gemacht. Wir müssen nicht mehr in die Stadt gehen, um Weihnachtsgeschenke zu besorgen oder in die Bibliothek rennen, um uns Bücher auszuleihen. Stattdessen müssen wir coole Fotos hochladen, uns selbst möglichst individuell darstellen und wehe, wir sind einmal nicht erreichbar. Auch Marie spinnt fleißig mit. Ihr Tag beginnt und endet mit ihrem iPhone. Anstatt aufzustehen, landet sie bei dem Profil des besten Freundes des Bruders des Verlobten der Schwester der Freundin Fabians, einem Jungen, der zu einer Veranstaltung auf Facebook zugesagt hat. Sie versucht ihre Freunde mit Gefällt mir-Däumchen zu verletzen, anstatt mit ihnen zu reden. In dem Strom der Möglichkeiten lässt Marie sich treiben, verliert immer wieder den Kurs in Flirt- oder Spiel-Apps. Aufs Lernen kann sich die Studentin auch nicht konzentrieren. Viel zu viele spannende Ablenkungen lauern überall. So entdeckt sie Sofort-Überweisungen für sich und träumt von der Karriere als Youtuberin, anstatt ein Essay zu schreiben. Aber auch Marie merkt, dass sie nicht einfach offline sein kann, dass sie ganz im Gegenteil immer online sein muss. Denn sonst verpasst sie auf Lernplattformen hochgeladene Probeklausuren oder beleidigt Freunde, indem sie nicht auf unzählige WhatsApp-Nachrichten reagiert. Begleiten wir Marie eine Woche. Sieben Tage, in denen Marie spinnt und sich langsam bewusst wird, wie sehr sie sich selbst einspinnt in das riesige Netz. Begleiten wir Marie eine Woche und nehmen vielleicht auch einfach mal ein Buch in die Hand, anstatt das Smartphone.

Foto: flickr.com/Lukas Litz Obb (CC BY-NC 2.0)


[1] Georg Simmel: Die Großstädte und das Geistesleben. In: Rüdiger Kramte (Hg.): Georg Simmel. Aufsätze und Abhandlungen. Frankfurt 1995, S. 130.

Filmtipp: Das Tagebuch der Anne Frank

Von Maya Morlock

Hans Steinbichler (Regie) und Fred Breinersdorfer (Drehbuch) wagen sich an eine deutsche Verfilmung des Tagebuchs von der Jüdin Anne Frank. Durch die Veröffentlichung ihres Tagebuchs nach dem Krieg durch ihren Vater Otto (im Original: „Het Achterhuis“ – zu Deutsch „Das Hinterhaus“) wird Anne zu einem Symbol der Opfer des Holocausts. Die eindrucksvolle Geschichte der wohl berühmtesten Zeitzeugin erstaunt auch noch im Jahre 2015. Ab dem 3. März ist die hervorragende deutsche Produktion im Kino zu bewundern.

Samstag, 15. Juli 1944

Bild_057-0385„Das ist das Schwierige in dieser Zeit: Ideale, Träume, schöne Erwartungen kommen nicht auf, oder sie werden von der grauenhaften Wirklichkeit getroffen und vollständig zerstört. Es ist ein Wunder, dass ich nicht alle Erwartungen aufgegeben habe, denn sie scheinen absurd und unausführbar. Trotzdem halte ich an ihnen fest, trotz allem, weil ich noch immer an das Gute im Menschen glaube.

Es ist mir nun mal unmöglich, alles auf der Basis von Tod, Elend und Verwirrung aufzubauen. Ich sehe, wie die Welt langsam immer mehr in eine Wüste verwandelt wird, ich höre den anrollenden Donner immer lauter, der auch uns töten wird, ich fühle das Leid von Millionen Menschen mit. Und doch, wenn ich zum Himmel schaue, denke ich, dass sich alles wieder zum Guten wenden wird, dass auch diese Härte aufhören wird, dass wieder Ruhe und Frieden in die Weltordnung kommen werden.

Inzwischen muss ich meine Vorstellungen hochhalten, in den Zeiten, die kommen, sind die vielleicht doch noch auszuführen!“, schrieb Anne Frank 20 Tage bevor sie und die anderen Bewohner des Hinterhauses verraten und verhaftet wurden. Ende Februar/Anfang März 1945 stirbt sie an einer Krankheit im Konzentrationslager Bergen-Belsen.

Das Hinterhaus

Die jüdiBild_060-5304sche Familie flieht von Frankfurt nach Amsterdam, um dem Nationalsozialismus zu entkommen. Die jüngste Tochter Annelise Marie, genannt „Anne“, (Lea Van Acken) bekommt zu ihrem 13. Geburtstag ein Notizbuch geschenkt, welches sie in den folgenden zwei Jahren als Tagebuch nutzt. Denn nur kurz nach ihrem Ehrentag bricht auch in den Niederlanden Alarmstufe rot für alle Juden aus – es heißt fliehen oder einen sicheren Unterschlupf finden. Annes vorausschauender Vater (Ulrich Noethen) hat schon vor Wochen damit begonnen eine etwa 50 Quadratmeter große Wohnung in der Prinsengracht 263 (Haus seiner Firma) zu möblieren und den Eingang hinter einem großen Bücherregal zu verstecken. Dort leben die Franks (Anne, ihre große Schwester Margot, die Mutter Edith und der Vater Otto) mit einer weiteren jüdischen Familie (Peter, Petronella und Hans Van Daan) und dem einsamen Doktor Fritz Pfeffer über zwei Jahre auf engstem Raum. Die Wohnung dürfen sie nicht verlassen und die Fenster müssen stets geschlossen bleiben. Zwischen Bombenangriffen und misstrauischen Arbeitern, die hin und wieder meinen Geräusche gehört zu haben, leben die Bewohner des Hinterhauses in ständiger Angst. Doch auch ein Alltagsleben mit Streit, Trauer, Liebe und der großen Hoffnung auf das Kriegsende sind ständige Wegbegleiter.

Kitty – die beste Freundin

Bild_039-6196In dieser Zeit ist das Tagebuch Annes beste Freundin. Das eher in sich gekehrte Mädchen personifiziert es und fängt an Briefe an die „neue beste Freundin und engste Vertraute“ Kitty zu schreiben, in denen sie sich völlig öffnen kann. Dem Tagebuch (Kitty) vertraut sie ihre intimsten Gedanken, ihre scharfsinnigen Beobachtungen der Hausbewohner, ihre erschütterte Beziehung zu ihrer Mutter und ihre Träume für die Zukunft an. Schriftstellerin möchte sie werden – eine berühmte Schriftstellerin!

Unvergänglich – unvergessen

Bild_152-1022Dieser Film erzählt nichts Neues – das muss er aber auch nicht! Es gibt Lieder und Geschichten, die unvergänglich sind, die den Nerv der Zeit immer zu treffen scheinen. Die Persönlichkeit der Anne Frank, die durch die historische Überlieferung ihres Tagebuches weiterlebt, ist wohl ein Paradebeispiel. Auch wenn speziell diese Geschichte nicht neu ist, so spiegelt sie den allgegenwärtigen Fremdenhass wieder, der sich derzeit auch in unserer Generation verbreitet. Nun mag wohl so mancher genervt die Augenbrauchen Richtung decke ziehen und laut stöhnen: „Schön, ein weiterer Film, bei dem alle Welt mit erhobenem Finger auf den bösen, bösen Deutschen zeigt, so langsam ist aber auch mal gut! Diesen Zweiflern sei zu sagen, dass es dieser Film durch eine authentische Art schafft, ganz nah am Geschehen und an der Gedankenwelt der Anne Frank zu sein. Diese ist, wohl gemerkt trotz der Verbrechen der Nazis nicht voll mit Hass. Diese zwei Stunden sollen nicht verurteilen, vielmehr ist man daran interessiert das Leben im Hinterhaus zu rekonstruieren, den Zuschauer nah an der Situation, aber auch am klugen Geist eines jungen Mädchens, sein zu lassen. Die nachgebildete Wohnung samt der ganzen Utensilien aus dieser Zeit, die enge Anlehnung an die Buchvorlage, die Kleidung und Maske der Schauspieler und die überwältigend passende Musik tragen dazu bei, dass dieses Ziel geglückt ist.

Lea Van Acken

Bild_052-2822Merkt euch diesen Namen! – Lea Van Acken! Zunächst etwas verwirrt erkennt man nicht allzu viele Ähnlichkeiten zwischen ihr und der wahrhaftigen Anne Frank. Doch zu einem Großteil ist es ihre schauspielerische Darbietung, die diesem Film einen neuen Glanz verleiht. Die Wandlung vom unbeschwerten Kind, bis hin zu einer jungen Frau, die durch das tagtägliche Leid viel zu schnell erwachsen werden musste, bekommt Van Acken vortrefflich hin. Wenn sie lacht, so scheint sie tatsächlich unbeschwert, und wenn sie weint, dann kullern echt Tränen. Eine kindliche Stimme aus dem Off, die Tagbucheinträge vorliest, die tiefsinnig und voller Lebenserfahrung sind. Zeilen voller Beobachtungen aus ihrem mittlerweile kleinen Umfeld und Worte der Hoffnung. Und zuletzt ein markdurchdringender Blick des Gebrochen-Seins – die Gewissheit verloren zu haben. Zutiefst beeindruckt von der Leistung der gerade erst 16-jährigen Jungschauspielerin ziehe ich meinen Hut vor Lea Van Acken!

Fazit

Ohne Ausnahme ist dieser Film ein Muss. Fröhlichkeit, Anspruch, beste szenische Techniken, Ernsthaftigkeit. Ein Stoff, der einen ein paar Tage nicht mehr loslässt, da man der Anne Frank näher ist als zuvor. Ein imposantes Werk, das die Balance zwischen der Bewunderung und Wut über den Nationalsozialismus hält. Das tragische Ende ist nicht zu leugnen und ihr Gedenken macht die Verbrechen der Massenvernichtung keineswegs besser – es ist eine warnende Instanz, sowie das Festhalten an etwas Gutes. Nach dem Motto: „Es ist schön, eine solch kluges und tapferes Mädchen gekannt zu haben“.

„Trotzdem halte ich an ihnen fest, trotz allem, weil ich noch immer an das Gute im Menschen glaube“, schrieb Anne kurz vor ihrer Verhaftung. Wenn eine junge Frau, der so viel Leid angetan wurde das kann, so sollte so manch anderer tief in sich gehen und darüber nachdenken, ob er das nicht auch kann!

Fotos: © 2015 Zeitsprung Pictures, AVE & Universal Pictures Productions

And the Oscar goes to…

Es ist nun schon Tradition, dass unsere Redakteure ihre Oscar-Favoriten präsentieren. Auch dieses Jahr waren Jasmin und Marius bereit sich dieser Aufgabe zu stellen und ihre Tipps abzugeben.

Wie immer gilt: Wer am häufigsten danebenliegt, muss zur Strafe den schlechtesten Film 2015 anschauen. Diese Wahl überlassen wir wieder dem Komitee der Goldenen Himbeere. Diese ernennen traditionell am Vorabend der Oscars ihre Favoriten in schlechtester Leistung.

Jasmin M. Gerst Marius Lang

Favorit

© 2015 Twentieth Century Fox

© 2015 Twentieth Century Fox

Der diesjährige Favorit ist keine Überraschung. Mit zwölf Nominierungen steht THE REVENANT von Alejandro G. Iñárritu ganz oben auf der Liste, dicht gefolgt von Mad Max mit zehn und DER MARSIANER – RETTET MARK WATNEY mit sieben Nominierungen. Ich war unter anderem noch von Spotlight richtig begeistert, der sich mit dem leider immer noch aktuellen Thema des Kindesmissbrauchs unter katholischen Priestern auseinandersetzt – ein sehr ehrlicher und bewegender Film.

Dennoch wird THE REVENANT der große Abräumer des Abends werden: Sowohl bei den Golden Globes als auch beim British Academy Film Award konnte er viele Nominierungen in Auszeichnungen verwandeln.

 Puffer

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© 2016 Warner Bros. Entertainment Inc.

© 2016 Warner Bros. Entertainment Inc.

Nachdem Alejandro González Iñárritu bereits im letzten Jahr groß abräumen konnte, und unter anderem die Preise als bester Regisseur und für den besten Film mit nach Hause genommen hat, gilt sein neuer Film THE REVENANT auch in diesem Jahr und mit 13 Nominierungen als einer der großen Favoriten des Abends. Der packende Rachewestern im verschneiten Ödland überzeugt durch starke Darstellungen und fantastische Bilder. Dicht auf den Fersen sind ihm Ridley Scotts erster guter Film seit Jahren, THE MARTIAN und mein persönlicher Favorit des Abends und meines Erachtens nach der beste Film des Jahres, MAD MAX: FURY ROAD, mit jeweils sieben, respektive zehn Nominierungen. Beides Sci-Fi-Filme mit verschiedenen Herangehensweisen, einmal als optimistischer Weltraumeroberungsfilm und einmal als grelle Postapokalypse. Alle drei Filme können sich gute Aussichten auf die technischen wie auch die ganz großen Kategorien machen.

Generell sind fast alle Filme, die nominiert sind, nicht zu verachten. gerade in der wichtigsten Kategorie könnte es doch noch eine Überraschung geben, wenn beispielsweise THE BIG SHORT oder SPOTLIGHT die begehrteste STATUE abholen. Ich meinerseits drücke MAD MAX die Daumen etwas fester als den anderen Filmen.

 

Verlierer

© 2015 20th Century of Fox

© 2015 20th Century of Fox

Wie auch schon letztes Jahr sind unter den nominierten Schauspielern nur Weiße und unter den Regisseuren keine Frau. Aus diesen Gründen musste die Academy erneut viel Kritik bereits nach der Bekanntgabe der Nominierungen einstecken.

Es dürfte also spannend werden, da deshalb einige Prominente den Oscars fernbleiben wollen. Darunter zum Beispiel Will Smith, der mit seinem Film ERSCHÜTTERNDE WAHRHEIT nicht ein einziges Mal nominiert wurde. Haben sie vielleicht deshalb Chris Rock mit der Moderation beauftragt?

Und nun zum Wesentlichen: Mit ganzen zehn Nominierungen startet der Actionfilm MAD MAX: FURY ROAD von George Miller. Für mich ein paar Nominierungen zu viel, SPOTLIGHT oder ROOM hätten dafür ein paar mehr verdient. Für MAD MAX: FURY ROAD, aber auch für DER MARSIANER – RETTET MARK WATNEY wird es schwer werden, da die Konkurrenz meines Erachtens einfach zu groß ist.

 

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© Universal Pictures

© Universal Pictures

Alle Jahre wieder und bereits im Vorjahr kritisiert ist der große Verlierer leider erneut die Diversität in den nominierten Filmen. Großartige Filme, die eine deutlich diverseres Team hatten, wie etwa der brillante BEASTS OF NO NATION sind gar nicht oder nur in geringerem Maße nominiert. Unter den Schauspielern und Regisseuren ist nicht ein einziger Schwarzer und in letzterem Fall auch keine Frau zu finden. Die Sache ist symptomatisch für die Academy, die zum Großteil aus alten, weißen Männern besteht. Viele afroamerikanische Gäste wollen nun die Verleihung boykottieren.

Wirklich schräg ist allerdings, dass einige große, afroamerikanische Filme des Jahres zwar nominiert sind, aber nur in den Kategorien in denen die Preisträger dann weiß wären. CREED, ein Meisterwerk schaffte es tatsächlich nur eine Nominierung zu erhalten, für Sylvester Stallone, als Nebendarsteller und die beiden nominierten Drehbuchautoren von STRAIGHT OUTTA COMPTON sind, Überraschung, auch weiß.

Ungeachtet dieses schweren Fauxpas der Academy werden wohl auch einige der großen Filme des letzten Jahres leer ausgehen. THE DANISH GIRL hat zwar ein wichtiges Thema, geht daran jedoch wieder auf völlig klischeehafte Weise heran und ist auch sonst kein guter Film. Verdientermaßen wird es hier keine Preise geben. Auch BRIDGE OF SPIES, Stephen Spielbergs Spionagethriller, macht sich Hoffnungen auf die großen Kategorien, wird dabei jedoch wohl auch leer ausgehen.

 

Missachtet

Mir blutet das Herz, wenn ich die wenigen Nominierungen bei CAROL (6) oder THE DANISH GIRL (4) sehe. Beide Filme sind wirklich genial: schauspielerische Leistung, Kamera, Kostüme und Szenenbild. Für die so prüde Academy ein bisschen zu viel Sexualität auf einmal, wie es mir scheint. Dennoch sehr sehenswerte Filme mit ausgezeichneten Schauspielern. Diese Entscheidung der Academy wirft zudem kein besseres Licht auf die kommende Verleihung.

 

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Ganz klar, einer meiner liebsten Filme des Jahres, CREED, wurde völlig missachtet, mit Ausnahme von Stallone als bestem Nebendarsteller gab es keine Nominierungen und in den wichtigen Kategorien hätte er fast immer eine verdient gehabt. Ryan Coogler hätte durchaus als bester Regisseur neben den anderen genannt werden müssen und Michael B. Jordan wäre meines Erachtens die einzige ernstzunehmende Konkurrenz im Feld des besten Darstellers gewesen. Auch der Harte Thriller SICARIO hätte seinen Platz in den großen Kategorien verdient gehabt und auch Schauspieler Idris Elba hätte für seine gewaltige Darstellung in BEASTS OF NO NATION eigentlich in einer der Darsteller-Kategorien Beachtung finden müssen.

Bester Film

THE REVENANT räumte schon bei den bisherigen Verleihungen ordentlich ab und das auch verdient. Großartiger und mitreißender Film, der nicht nur die Nominierung sondern auch den Oscar verdient hat. Nicht nur visuell überragend, sondern auch überzeugend gespielt – für mich ein gelungenes Westen-Drama!

Hoch im Kurs stehen bei mir außerdem noch ROOM und SPOTLIGHT – die beide sehr aktuelle Themen behandeln und mich in ihren Bann ziehen konnten. Gegen THE REVENANT werden sie sich allerdings nicht durchsetzen können.

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Kurioserweise ist dies die Kategorie, in der man noch am ehesten überrascht werden könnte. Der brutale Western THE REVENANT gilt als die wahrscheinlichste Wahl, doch auch alle anderen Filme haben ihre Anhänger und Chancen. Einzig BROOKLYN scheint, als eher langweilige, zu sichere Alternative ganz aus dem Spiel zu sein. Da fragt es sich eher, warum dieser Film überhaupt in dieser Kategorie zur Debatte steht. Eine Möglichkeit ist, dass sich THE REVENANT und MAD MAX: FURY ROAD die Kategorien als bester Film und beste Regie teilen. Hierbei muss ich allerdings mit meinem Herzen gehen und als besten Film MAD MAX in den Raum stellen, einen der kompromisslosesten und härtesten Filme seit langem. Allerdings würde ich mich auch für die anderen nominierten Filme freuen.

Beste Regie

© 2015 Twentieth Century Fox

© 2015 Twentieth Century Fox

Wow, Alejandro G. Iñárritu haut schon wieder einen Film mit phänomenalen Kritiken raus. Letztes Jahr gewann er vier Oscars mit BIRDMAN und auch dieses Jahr hat der mexikanische Regisseur gute Chancen. Iñárritu überzeugt mit seiner technischen Affinität zur Kamera und hat meiner Meinung nach auch die Academy ein weiteres Mal überzeugt. Er schafft es, dem Zuschauer die Natur in einer Weise zu zeigen, dass man sich wie mittendrin fühlt und mitleidet.

Wie bereits erwähnt ist THE REVENANT visuell einfach nur genial und kaum zu toppen, deshalb auch ein verdienter Oscar an Alejandro G. Iñárritu.

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Flickr.com/Eva Rinaldi (CC BY-SA 2.0)

Flickr.com/Eva Rinaldi (CC BY-SA 2.0)

Auch hier ist das Rennen eng. Adam McKay liefert seine bisher beste Arbeit mit THE BIG SHORT, ein Film über Finanzkrise und einen Haufen unsympathischen Typen, die darin Gewinne machen und auch Lenny Abrahamson konnte mit ROOM eine solide Arbeit einreichen, wenngleich auch eine furchtbar deprimierende. Doch auch hier sind die Favoriten Alejandro González Iñárritu für THE REVENANT und George Miller für MAD MAX: FURY ROAD. Einziger ernsthafter Konkurrent ist hierbei wohl Tom McCarthy, der mit SPOTLIGHT einen der besten Filme des Jahres lieferte, eine packende Geschichte um Journalisten, die tiefgehenden Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche von Boston aufdecken. Auch hier wäre der Preis gegönnt. Doch wie zuvor muss ich auch dieses Mal mit meinem Herzen gehen und fordern, dass George Miller den Oscar mit nach Hause nehmen darf.

Bester Haupt-/Nebendarsteller

© 2016 Twentieth Century Fox Film Corporation

© 2016 Twentieth Century Fox Film Corporation

Obwohl es für Leonardo DiCaprio bereits die vierte Nominierung ist, blieb der Platz für die goldene Trophäe auf seinem Kaminsims bisher leer. Aber mit seinem neusten Film THE REVENANT hat das Warten meiner Meinung nach nun ein Ende. Für diese schauspielerische Leistung muss er ihn einfach bekommen – ich habe ihm mit ihm gelitten und mit ihm gekämpft und diese harte Arbeit sollte endlich mal belohnt werden. Er hat sich mal wieder selbst übertroffen und wieder einmal alles aus sich rausgeholt! Grandios!

Auch Tom Hardy hat einen guten Job in THE REVENANT gemacht, aber für ihn wird es eng werden. Mark Ruffalo (SPOTLIGHT) und Mark Rylance (BRIDGE OF SPIES) kämpfen unter anderem gegen ihn an. Dennoch denke ich, dass Mark Rylance in seiner Rolle in BRIDGE OF SPIES das Rennen machen wird. Dieser war nämlich so gut, dass er Tom Hanks fast die Show gestohlen hat!

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© 2016 Warner Bros. Entertainment Inc.

Die Kategorie des besten Hauptdarstellers ist vermutlich die, die mich am unzufriedensten gestimmt hat, da weder Michael Fassbender noch Eddie Redmayne (der überschätzteste Schauspieler der vergangenen Jahre) hier zu Recht stehen. Stattdessen fehlt vor allem Michael B. Jordan, der in dem fabelhaften Sportdrama CREED so grandios spielte, hier völlig. Wie dem allerdings auch sei, dieses Jahr ist es soweit. Leonardo DiCaprio nimmt seinen Oscar für THE REVENANT nach Hause und verdient diesen auch. In der Rolle des Trappers Hugh Glass lieferte DiCaprio eine der besten Darstellungen seiner Laufbahn ab und der Preis für eine derartige Leistung kann nicht mehr lange warten lassen.

In der Kategorie des besten Nebendarstellers sind auch in diesem Jahr wieder eine Reihe großer Leistungen vertreten. Am meisten stechen jedoch Tom Hardy, wiederum für THE REVENANT, und Sylvester Stallone für seine bislang beste Filmleistung in CREED heraus. Hier tritt Stallone erneut in die Rolle des alten Boxers Rocky Balboa der den Sohn eines alten Freundes trainiert. Eine fantastische Leistung und mein Favorit in dieser Kategorie.

Beste Haupt-/Nebendarstellerin

© Universal Pictures Room

© Universal Pictures Room

Mit ihrer Leistung in ROOM hat Brie Larson viele überrascht. Sie spielt eine junge Mutter, die gemeinsam mit ihrem kleinen Sohn festgehalten wird und dann versuchen sie zusammen zu fliehen. Die Romanverfilmung basiert auf dem Fall Fritzl, der seine eigene Tochter jahrelang im Keller gefangen hielt. Als Vorbereitung auf ihre Rolle soll sich Larson für einen Monat abgeschottet haben. Für dieses Engagement und ihre überzeugende Leistung ist sie für mich die Siegerin dieser Kategorie.

Bei den weiblichen Nebendarstellerinnen wird es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Kate Winslet in STEVE JOBS und Alicia Vikander in THE DANISH GIRL werden.

Vikander spielt an der Seite von Eddie Redmayne die Frau des transsexuellen Malers Einar Wegener. Sie zeigt uns die Welt einer starken Frau in den zwanziger Jahren. Jeder der den Film gesehen hat, wird mir zustimmen, dass Alicia Vikander absolut beeindruckt hat – mit einem schauspielerisch hervorragenden und gefühlvollen Drama.

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© Wilson Webb  DCM

© Wilson Webb DCM

Einer meiner liebsten Filme des letzten Jahres, CAROL, handelte von einer Liebe zwischen zwei Frauen. Allerdings nicht auf die klischeehafte „Oh, die sind homosexuell und deswegen ist ihr Leben schwer“-Art, die Hollywood so oft darstellt, sondern ganz normal als gefühlvolle Liebesgeschichte zwischen zwei liebenswerten Menschen, die zufällig beide Frauen sind. Dieser Film hatte zwei Hauptdarstellerinnen. Nur eine davon ist allerdings hier als Hauptdarstellerin nominiert. Cate Blanchett wird diesen Preis auch mit nach Hause nehmen, allerdings hätte auch ihr Gegenpart, gespielt von Rooney Mara in dieser Kategorie nominiert werden sollen. Denn so ist die einzige ernsthafte Konkurrenz für Blanchett Brie Larson, aus ROOM, wo sie eine Mutter spielt, die mit ihrem Kind nach jahrelanger Gefangenschaft endlich in die Freiheit kommt.

Rooney Mara hat es in dieser Kategorie leider schwer, auch wenn ich mich sehr freuen würde, wenn sie hier den Preis gewinnen würde. Doch der Favorit ist ganz klar Jennifer Jason Leigh als die Gefangene Daisy Domergue in THE HATEFUL EIGHT. Leigh spielte sich die Seele aus dem Leib und wird wohl auch dafür ihren Preis erhalten. Erneut ist hier THE DANISH GIRL nominiert, diesmal vertreten durch Alicia Vikander und erneut völlig unverdient. Allerdings wird somit das Feld der Konkurrenz ausgedünnt für Leigh und Mara.

Vorschaubild: flickr.com/lincolnblues (CC BY-NC-ND 2.0)

Zoomania – ein kleiner Hase ganz groß

Von Maya Morlock

Ein Hase als Polizist? Die kleine Häsin Judy Hopps kämpft im neuen Animationsfilm „Zoomania“ von Regisseur Byron Howard und Rich Moore mit Vorurteilen und, so scheint es, unüberbrückbaren Differenzen. Nun hat sie die Chance sich zu beweisen: Der Familienvater und Otter Mr. Otterton wird vermisst. Ob Häsin Judy dem gewachsen ist seht ihr ab dem 3. März 2016!

Eine Hase gegen den Rest

Die kleine Häsin bleibt an der hohen Eiswand hängen und rutscht hinunter, der Sandsturm bläst sie einfach weg und beim Entlanghangeln reichen ihre Pfoten nicht bis zur nächsten Sprosse – Platsch landet sie im Matsch. „Tot!“ – schreit die beinharte Ausbilderin der Polizeischule – „und tot!“.

Hasen werden keine Polizisten, sondern Möhrenbauer, meinen Judys Eltern. Doch die zielstrebige und eigensinnige Häsin hat andere Pläne: Trotz ihrer Niedlichkeit und ihren körperlichen Schwächen den großen Raubtieren gegenüber, packt sie die Polizeischule, sogar als Jahrgangsbeste. In Zoomania angekommen (Name der Hauptstadt, in der jede Tierart in einem bestimmten Terrain leben kann) wird das flauschige Häschen nicht ernst genommen und darf zunächst nur Knöllchen verteilen, die dicken Fälle bekommen Nashörner, Elefanten und Nilpferde. In Zoomania sind einige Tiere spurlos verschwunden, weshalb der Fall des vermissten Otters Mr. Otterton erst einmal unter den Tisch fällt. Judy fühlt sich sofort angesprochen und schafft es den Fall übertragen zu bekommen. Was sie nicht ahnt: Hinter Mr. Ottertons Verschwinden steckt weitaus mehr, als zuvor gedacht!

Von Natur aus Feinde

Dieser Film spielt mit allerlei Vorurteilen, weshalb es nicht verwunderlich erscheint, dass die Häsin Judy den listigen Fuchs Nick Wilde zur Seite gestellt bekommt. Füchse sind die Urfeinde und werden zunächst auch als solche charakterisiert. Ist Judy doch nur durch Nicks miese Tricks auf dessen Spur gekommen und auch nur eine List konnte sie den Fuchs dazu bewegen, ihr zur Seite zu stehen. Es bleibt abzuwarten, ob sich die „Zweckgemeinschaft“ nach dem Fall auflöst, oder ob Vorurteile überwunden werden und eine Freundschaft unter Feinden entstehen kann.

Auf nach Zoomania!

Die Disney-Produktion Zoomania ist auf jeden Fall ein großer Spaß für die ganz Kleinen und auch für ihre erwachsenen Begleiter. Die Jungen amüsieren sich über die Lebendigkeit und den Witz einzelner Charaktere, außerdem gibt es ausreichend rasante Szenen. Dem geschulten Auge fällt die Liebe zum Detail und der enorme Ideenreichtum auf – 18 Monate Recherche stecken hinter diesen eineinhalb Stunden Kinoerlebnis. Die Tiere und ihr Sozialverhalten wurden in freier Wildbahn beobachtet, um den Film authentisch und lebendig zu gestalten. Die Stadt Zoomania hält die Balance zwischen dem realen Lebensraum einzelner Tiere und den menschlichen Technologien und Bräuchen, beispielsweise tragen die Tiere Kleidung und fahren Auto. Das Disney-Team macht es durch einen Wüstenabschnitt, einer Eiswelt, einer Tropenlandschaft, einem Miniaturland für ganz kleine Nager und einem recht menschlichen Stadtzentrum möglich, dass sage und schreibe 50 Tierarten in einer Stadt nebeneinander und organisiert leben können. Eine einfache Komödie bliebe unter dem möglichen Potenzial, das erkannte auch Produzent Clark Spencer, weshalb gesellschaftskritische Themen, wie zum Beispiel die Existenz von Vorurteilen und die Frage nach wahrer Freundschaft, Raum bekommen.

Zusammengefasst ist Zoomania ein exzellenter Film, bei dem man sich beherrschen muss, um nicht Tränen zu lachen. Disney ist es jedoch gelungen noch eine Schippe draufzusetzen: Neben der Komik erkennt man menschliche Neurosen und fängt an diese zu hinterfragen. Zuletzt glänzt Zoomania durch eine hervorragende Animation und die Erschaffung einer komplett neuen und aufregenden Welt.

Fotos: ©2015 Disney. All Rights Reserved.

Die Dystopie auf der Leinwand (2)

Höhepunkte des dystopischen Films von 1984 bis heute

Von Antje Günther

Bereits im letzten Artikel wurden einige Höhepunkte der dystopischen Filmgeschichte vorgestellt. Diese Liste wird hier nun vervollständigt mit Klassikern wie Radfords Nineteen Eighty-Four (1984) und Terry Gilliams Satire Brazil (1985). Den Abschluss bildet ein Sprung in die 2000er, zu Alfonso Cuaróns Children of Men (2006).

4. Nineteen Eighty-Four (1984)

Artikel 9 (2)Keine Betrachtung der Dystopie kommt um George Orwells Klassiker 1984 herum. So überrascht es wenig, dass das Werk auch mehrfach den Weg auf die große Leinwand fand. Die erste Verfilmung fürs Kino – davor war bereits von der BBC eine Fernsehversion veröffentlicht worden – erschien 1956, stieß jedoch auf große Kritik. Zu groß waren die Freiheiten, die sich Regisseur Michael Anderson im Vergleich zur Romanvorlage herausnahm. Eine originalgetreuere Version fand schließlich im Orwell-Jahr 1984 seinen Weg in die britischen Kinos. Michael Radfords Film kleidet das Grauen des totalitären Staates in eindrucksvolle Bilder, dominiert vom allgegenwärtigen Grau: der Häuser, der Straßen, der Menschen. Er schafft eine düstere, bedrückende Atmosphäre, die Orwells Vision des Großen Bruders nicht nur durch den Plot, sondern auch visuell erzählt. Dabei hält sich Radford eng an die Vorlage und scheut sich nicht, die grimmigen Folterszenen des Buches umzusetzen. Insbesondere die „Rattenszene“, in der Winston schließlich Julia verrät, ist bemerkenswert verfilmt. Es wird deutlich, dass es dabei mehr um den psychischen Terror der Gehirnwäsche geht, als um die körperlichen Schmerzen Winstons. Die Gehirnwäsche ist erfolgreich und so endet der Film ebenso wie das Buch mit Winstons Liebesbekenntnis zum Großen Bruder; mit einem geflüsterten „I love you“ des weinenden Winston.

5. Brazil (1985)

Die 80er Jahre waren ein starkes Jahrzehnt für den dystopischen Film. Neben Blade Runner und Nineteen Eighty-Four kam auch Terry Gilliams Brazil (Foto im Header) 1985 ins Kino. Eigentlich eine Satire über Bürokratie und eine Parodie auf die klassische Dystopie, entfaltet der Film selbst ein dystopisches Szenario, in dem bereits der kleinste Fehler drastische Konsequenzen nach sich ziehen kann. So führt ein kleiner Druckfehler dazu, dass statt des „Terroristen“ Tuttle – der in Wahrheit einfach nur ein Heizungsbauer ist, der sich vor dem Papierkram drückt – der Familienvater Buttle verhaftet, gefoltert und schließlich ermordet wird. Sam Lowry, kleiner Angestellter im Archiv des M.O.I. (Ministry of Information), wird beauftragt, der Witwe Buttles einen Scheck über eine „Informationswiedergutmachungszahlung“ zu überbringen. Dabei trifft er die Frau aus seinen Träumen, in denen er sie als geflügelter Held zu retten versucht. Es handelt sich um Buttles Nachbarin, die Lastwagenfahrerin Jill. Lowry beginnt daraufhin seine verzweifelte Suche nach ihr, wobei er erfährt, dass auch das M.O.I. nach ihr fahndet. Als der Versuch, Jill aus den Unterlagen des Ministeriums zu löschen, fehlschlägt, wird Lowry verhaftet und gefoltert. Es scheint zunächst, als könnte er mit Hilfe von Tuttle entkommen und mit Jill in Frieden leben. Dies stellt sich jedoch als Vision Lowrys heraus, der durch die Folter seinen Verstand verloren hat und sich so den Zwängen des Ministeriums entzieht.

Gilliam erzählt Lowrys Geschichte mit absurd-groteskem Humor und mischt farbenfrohe Traumsequenzen mit den grauen Bildern der Realität. Er erschafft eine Welt, in der Formulare und Quittungen alles sind und die Menschen wortwörtlich hinter dem Papier verschwinden. Als Parodie auf Orwells Nineteen Eighty-Four enthält der Film auch viele Anspielungen auf das Original: eine ähnliche Stellung des Protagonisten, Jill als die neue Julia, und vieles mehr. Aber auch Kleinigkeiten wie das Kommunikationssystem im M.O.I. erinnern an Radfords Verfilmung, die gerade mal ein Jahr zuvor erschien. So handelt es sich bei Brazil zwar um eine Parodie auf eine Dystopie, die einen durchaus zum Lachen bringt, gleichzeitig wird dadurch die Gesellschaftskritik aber nicht geschmälert. Gerade das absurde Bestehen auf Unterschriften oder Formulare in vielen Szenen des Films regt ebenso zum Lachen wie auch zum Nachdenken an. Es ist wohl eine der ungewöhnlichsten Dystopien überhaupt, aber ihr Humor macht sie nicht weniger gesellschaftskritisch.

6. Children of Men (2006)

Artikel 9 (1)Weniger humorvoll geht es in Alfonso Cuaróns Children of Men zu. Der 2006 erschienene Film zeigt eine Welt ohne Kinder, ohne Zukunft. Seit 18 Jahren wurde kein Kind mehr geboren und niemand weiß wieso. Die ganze Welt ist im Chaos versunken, einzig in Großbritannien scheinen noch geordnete Verhältnisse zu herrschen. Doch die Grenzen sind dicht und „Fugees“ werden abgeschoben oder erschossen. Vor diesem Hintergrund erzählt der Film die Geschichte des desillusionierten Regierungsbeamten Theo, der vor Jahren seinen Sohn in einer Grippeepidemie verlor. Er soll Kee, die erste schwangere Frau seit 18 Jahren und selbst „Fugee“, an die Küste Großbritanniens begleiten. Dort soll ein Boot des Human Project, einer Gruppe Wissenschaftler, welche den Ursprung der weltweiten Sterilität erforschen, auf sie warten. Ihren Weg durch Großbritannien, auf dem sie stets Kees Schwangerschaft und später auch ihr Baby geheim halten müssen, inszeniert Cuarón in klaren Bildern voller Durchschlagskraft. Insbesondere Szenen wie der Stopp in einer verlassenen Grundschule oder die Paralyse aller Kämpfenden als Kees Baby schreit, entfalten eine enorme emotionale Wirkung. Auch das kinderlose London oder das Refugeecamp Bexhill zeichnet der Film in kalten Farben und düsterer Klarheit.

Auch wenn der Film nicht weiter auf die Untersachen der weltweiten Sterilität eingeht, so verdient er dennoch einen Platz in dieser Auszählung: Er nutzt das dystopische Szenario zwar nur als Hintergrund, visualisiert es aber dennoch eindrucksvoll und beklemmend. Somit bildet Children of Men einen würdigen Abschluss dieser Liste der Höhepunkte des dystopischen Films.

Einer solchen Zusammenstellung der Höhepunkte ist es natürlich gemein, dass eine Menge Filme nicht besprochen werden können. Wer also noch nicht genug von der filmischen Dystopie hat, kann hier in den Filmen weiterstöbern, die es qualitativ oder einfach aus Platzgründen nicht auf diese Liste geschafft haben.

Fotos: Flickr.com/Movies in LA (CC BY-NC 2.0), Flickr.com/Hans G (CC BY-SA 2.0), Flickr.com/Phil Gyford (CC BY-NC-ND 2.0)


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Zoolander No. 2 – dümmer als die Polizei erlaubt

Von Maya Morlock

Nachdem sich Derek Zoolander nach einer Vielzahl unglücklicher Ereignisse aus dem Trubel zurückgezogen hat und inkognito unter seinem neuen Namen Eric Toolander in der eisigen Wildnis lebt, wird er in Zoolander No. 2 (von Regisseur und Hauptdarsteller Ben Stiller) rekrutiert. Ab dem 18.02.2016 helfen er und sein ehemaliger Modelkonkurrent Hansel (Owen-Wilson) der italienischen Polizistin Montana Grosso (Penélope Cruz), eine mysteriöse Mordserie aufzuklären und auch der ehemalige Erzfeind und Modezar Mugatu (Will Ferrell) ist natürlich wieder in die kriminellen Machenschaften verwickelt.

Die beste Szene direkt zu Beginn

Er rennt und hetzt – sprintet um sein Leben. Das sollte er auch, da er von zwei Motorradfahrern verfolgt wird, die eindeutig nichts Gutes im Sinn haben. Er wetzt über die gepflasterten Steine. Es ist wohl seinem eisernen Überlebenswillen zuzuschreiben, dass er auch auf gerader Strecke schneller ist als die Motorräder und seinen Verfolgern entwischt. Er wird durch enge Gassen gejagt, die tief ins Gesicht gezogene Kapuze lässt nicht erkennen, wer die Flucht ergreift. Driften können die Jäger auch nicht – unbeholfen humpeln sie um jede Ecke und so gewinnt der Gejagte wertvolle Sekunden im Kampf um Leben und Tod. Es scheint vorbei zu sein, als er sich in einer Sackgasse wiederfindet. Geistesgegenwärtig rennt er direkt auf die Motorradfahrer zu, schafft es durch seine enorme Geschwindigkeit seitlich an der Wand hinaufzurennen und einen Gegner während dieses Manövers sogar das Genick zu brechen. Er rennt zu einem Verbündeten, der leider nicht die Tür öffnet, nun ist auch der noch lebende Verfolger da und zieht seine Schusswaffe. Der Gejagte gibt sich zu erkennen, es ist Justin Bieber! „Du kannst mich vielleicht töten, aber den Auserwählten bekommst du nicht“, kann Bieber noch sagen, bevor er von gefühlt 100 Schuss durchlöchert wird und zu Boden fällt. Mit dem letzten Atemzug schafft er es noch ein Selfie zu schießen, den entsprechenden Filter zu wählen und Zoolanders „Blue-Steel“-Blick (Duckface) zu kopieren.

Warum Zoolander aus seinem Lock kriechen musste

Nachdem Derek Zoolanders Projekt aus Film 1 ein „Zentrum für Kinder, die nicht gut lesen und schreiben können“ gescheitert ist, weil Zoolander dieselben Materialien anordnete, die auch das Modell hatte (Gummi, Papier…), hat er sich zurückgezogen. Als Justin Bieber, Usher und weitere Superstars ermordet werden und den legendären „BlueSteel“-Blick auf dem letzten Foto zeigten ist für Montana Grosso alles klar: Nur einer kann diesen Fall voranbringen – Derek Zoolander – er muss gefunden werden. Als Druckmittel verspricht sie ihn bei der Suche nach seinem Sohn zu unterstützen. Dieser wurde ihm einst weggenommen, als ein kurioses Video aufgetaucht ist, auf dem er seinen Sohn niedermacht, weil dieser nicht wusste, wie man Spaghetti salzig macht.

Geschmacklos

Zoolander-Gallery-07Wer sich diesen Film antut, braucht starke Nerven oder einen primitiven Humor. Wem Teil eins gefallen hat, kann sich auf die Fortsetzung freuen. Eins sei dem Nachfolger zugestanden: Es gibt noch mehr hohle Witze und die Storyline ist aufregender, da sie mehr Windungen enthält. Die meisten Witze kommen nicht an, weil sie schlichtweg zu extrem sind und keinen Sinn haben: Durch eine Unachtsamkeit überschlägt sich Zoolanders Auto 15 Mal und dann? Nichts, er steigt aus ohne jegliche Konsequenz. Er möchte jemanden anrufen, zückt ein etwa 4 cm großes Handy, ein Zuschauer hat zum Vergleich ein Tablet in TV-Größe und macht ein Foto – okay wir haben es verstanden groß vs. klein, doch wo ist der Witz? Und warum ruft Zoolander dann doch keinen mehr an? Zuletzt ist Stillers dauerhaftes und eingefrorenes Duckface nervig und verliert schnell seinen Reiz. Die Figuren Zoolander und auch Hansel sind ausgelutscht – es ist keine Entwicklung zu sehen. Zuletzt schämt man sich nur noch fremd und ärgert sich zum einen über die vergeudete Lebenszeit zum anderen über das rausgeschmissene Geld. Spannung und filmische Kniffe, wie beispielsweise atemberaubende Bilder oder eine außerordentliche Kameraführung sind nicht zu sehen – schade.

Mit diesem Streifen hat Stiller ordentlich ins Klo gegriffen. Ein durchweg nicht zufriedenstellender Film ist das Ergebnis. Zu empfehlen ist Zoolander No. 2 keineswegs, Liebhaber des ersten Teils werden jedoch trotzdem ihren Spaß haben, da auch Teil zwei nach Schema F funktioniert.

 

Fotos: ©2015 PARAMOUNT PICTURES.