Die Young Adult Dystopie – nur noch Kitsch?

Wie der Film Divergent gesellschaftliche Ängste porträtiert

Von Antje Günther

Die Dystopie war in ihrem Kern immer ein kritisches Genre. Mit dem Beginn der 2000er und der Young Adult Dystopie kamen aber neue Themen hinzu: Liebe, Pubertät, Erwachsenwerden, die die Botschaft der Werke doch teilweise überschatten. Es wird mehr darüber diskutiert, ob Katniss doch Gale hätte nehmen sollen, als über die in den Hunger Games enthaltene Medienkritik. Ist die moderne Dystopie endgültig zahnlos geworden?

Sie ist es nicht. Auch wenn anderen Aspekten mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird, so ist in den dystopischen Geschichten der Gegenwart doch immer noch der kritische Urimpuls enthalten. Einige Szenen aus dem Film Divergent dienen hier als Beispiel um zu zeigen, wie auch ein scheinbar reiner Unterhaltungsfilm, ausgerichtet vor allem an das junge weibliche Publikum, dennoch gesellschaftliche Ängste porträtiert.

Janine als Terroristin

Artikel 7 (3)Die Angst vor Terroranschlägen ist eine der am weitesten verbreiteten Ängste unserer Zeit, ein Thema, dass der Film durch die Figur Janine aufgreift. Fanatismus ist das rigorose, unduldsame Eintreten für eine Sache oder Idee als Ziel, das kompromisslos durchzusetzen versucht wird[1]. Und nicht anderes macht Janine, wenn sie für ihr Ziel, ein System ohne Divergent, im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen geht. Wie ernst es ihr ist, wird klar, als sie Tris und Four kidnappen lässt und ihnen ihre Pläne erklärt. Sie will einen Großteil der Abnegation Faction umbringen, um wie sie sagt, den Frieden wiederherzustellen.[2] Auch Tris wird durch ihre Verletzung für Janines Zwecke unbrauchbar und soll eliminiert werden. Visuell unterstützt wird Janines Fanatismus nicht nur in dieser Szene durch die Schauspielleistung von Kate Winslet: Ihre Mimik ist kalt und überheblich. Die Szene kombiniert die Aktion einer Entführung mit einer fanatischen Rede der Anführerin; ein Szenario, das stark an Terrorakte erinnert.

Technophobia in Divergent

Neben dem Terrorismus wird aber auch die Angst vor Technologie aufgegriffen. Sind es aktuell insbesondere Diskussionen um Big Data und Datenschutz im Internet, so porträtiert Divergent eine andere Art von Technophobia, dargestellt durch das Neuroserum. Hergestellt von der Erudite Faction, welche Wissenschaft und Technik repräsentieren, kontrolliert es das Gehirn der Injizierten und macht sie zu willenlosen Robotern. Janine setzt das Serum ein, um die Dauntless für ihre Zwecke zu nutzen und sie zu Killermaschinen zu machen. Diese Wirkung des Serums zeigt sich, als Tris mitten in der Nacht aufwacht und feststellt, dass alle anderen Dauntless Mitglieder sich sehr mechanisch anziehen.[3] Darunter ist auch ihre Freundin Christina, die sie versucht anzusprechen. Doch deren Gesichtsausdruck ist leer und sie antwortet nicht. So wird für Tris und den Zuschauer klar, dass Christina keine Ahnung hat, was sie tut; sie und alle anderen Dauntless werden durch Technologie kontrolliert. Die bedrohliche Atmosphäre dieser Szene entsteht auch durch die blau-grüne Farbgebung, welche die Haut der Schauspieler grünlich erscheinen lässt, sowie durch die Musik, ein dumpfes Dröhnen. Die Szene spiegelt eindrucksvoll unsere Angst vor dem wissenschaftlichen Fortschritt wider; unsere Angst davor, zu was wir in Zukunft fähig sein werden.

Die Angst der Außenseiter

Sind mit der Angst vor Terrorismus und Technologie aktuelle Bedenken in Divergent vertreten, so repräsentiert die Grundidee von Divergent, das Factionssystem, eine andere, basalere menschliche Angst: die Angst hervorzustechen, nicht dazuzugehören; die Angst der Außenseiter. Diese Angst ist es, die den gesamten Film antreibt und das System stabilisiert, denn die Divergent sind genau diejenigen, die eben nirgendwo im System dazugehören. Genau dieses Gefühl macht Tris Angst, als sie zu Beginn das Factionssystem per voice-over erklärt.[4] Sie will nicht so enden wie die Factionless, die isoliert von der Gesellschaft in Armut leben, sondern eine Faction finden, die ihrer Persönlichkeit entspricht. Sie will dazugehören, weiß aber nicht wo. Ihr Außenseiterstatus wird auch visuell deutlich: Sie rennt lieber den Dauntless hinterher, obwohl sie in Abnegation geboren ist und lässt in ihrer eigenen Faction unglücklich den Kopf hängen. Ihr verbales Geständnis, dass jeder weiß wo er hingehört, nur nicht sie, wird kombiniert mit dem Bild eines einzelnen Turms, der aus den anderen Gebäuden Chicagos hervorsticht. Die Szene repräsentiert die Angst hervorzustechen damit nicht nur auf der Ebene der Narration, durch die generelle Idee des Factionssystems, sondern auch durch die Bilder, die Tris‘ Erklärung des Systems begleiten.

Der Sprung ins Ungewisse

Artikel 7 (1)Eine weitere Angst, die der Film aufgreift, ist die Angst vor der Ungewissheit. Als eine der grundlegendsten menschlichen Ängste, gibt es viele Szenen in Divergent, welche dieses Gefühl porträtieren. Am deutlichsten visualisiert wird diese Angst jedoch durch die Initiation der Dauntless Bewerber.[5] Sie sollen von einem Hausdach in ein dunkles Loch springen, ohne zu erkennen, was sich am Boden befindet. Auch wenn sie wissen, dass die Dauntless ihnen wahrscheinlich nicht schaden werden – sie sind immerhin deren Zukunft – so traut sich doch keiner, als Erstes zu springen. Tris meldet sich freiwillig und springt nach kurzem Zögern vom Dach und damit auch in ihre neue, noch ungewisse Zukunft bei Dauntless. Visuell wird dieser Übergang unterstützt durch die Lichtverhältnisse. Ist zunächst das Loch schwarz und uneinsehbar, wechselt dies, nachdem Tris das Loch passiert hat. Nun ist ihre Umgebung, der Boden des Lochs, zu sehen und sie schaut nach oben, wo der graue Himmel durch das Loch sichtbar ist. Sie springt vom Licht, dem Bekannten, ins Dunkle, in das Unbekannte; vom Grau von Abnegation in das Schwarz von Dauntless. Die Szene zeigt im wahrsten Sinne des Wortes einen Sprung ins Ungewisse.

Diese kurze Untersuchung einiger ausgewählter Szenen zeigt bereits auf, wie auch Divergent, eine Young Adult Dystopie, gesellschaftlich wichtige Themen und Ängste aufgreift. Ihr Fokus auf eine jugendliche Protagonisten und die Inklusion eines Romantikplots führen somit keineswegs dazu, dass die Dystopie ihren kritischen Charakter verliert.

Fotos: Flickr.com/EyesOnFire89 (CC BY-NC-SA 2.0), Flickr.com/Ansuz Magazine (CC BY-NC-SA 2.0), Flickr.com/EyesOnFire89 (CC BY-NC-SA 2.0)


[1] (duden online, Fanatimus).

[2] Divergent, 2014, 1:50:28

[3] Divergent, 2014, 1:43:21 – 1:43:55

[4] Divergent, 2014, 0:02:33 – 0:04:16

[5] Divergent, 2014, 0:24:47 – 0:26:42


Weiter Artikel dieser Reihe:

Wie man mit sechs Werkzeugen eine dystopische Gesellschaft erschafft

Pubertätsnöte und Regimekämpfe – Die Teenager erobern die Dystopie

Der Silberstreif am Horizont: Die kritische Dystopie

Das große Lied vom Scheitern

Von Unterdrückung und Gedankenkontrolle – Das Genre Dystopie

Big Brother is still watching you – Dystopie in den Medien