Tag 3: Löst eine Karriere als Youtuberin vielleicht alle meine Probleme?

von Caroline Wahl

Mittwoch. Siebzehn Uhr siebenundvierzig. Uni war scheiße. Ich schreibe nicht gerne Essays. Wie soll ich anfangen? Zunächst google ich einmal „Essay“ weil ich vergessen habe, was das genau ist. Ich weiß nur noch, dass ich das nicht gerne schreibe. Auf Wikipedia steht: „Der Essay (seltener das Essay; Plural: Essays), auch: Essai, ist eine geistreiche Abhandlung in der wissenschaftliche, kulturelle oder gesellschaftliche Phänomene betrachtet werden. Im Mittelpunkt steht die persönliche Auseinandersetzung des Autors mit seinem jeweiligen Thema. Die Kriterien wissenschaftlicher Methodik können dabei vernachlässigt werden; der Autor hat also relativ große Freiheiten.“ Und genau diese „relativ großen Freiheiten“ sind der Grund für meine Abneigung gegenüber solch „geistreicher Abhandlungen“. Wenn ich keine explizite Fragestellung zu beantworten habe, dann verzettle ich mich immer so, drifte total vom eigentlichen Thema ab und am Ende lande ich bei Wikingern oder Gemüseeintöpfen und kann noch mal von vorne anfangen. Vielleicht hätte ich doch Youtuberin werden sollen. Der „Beruf“ hat viele Vorteile. Ich müsste keine Essays schreiben und würde vielleicht reich werden.

Mittwoch. Achtzehn Uhr zweiundfünfzig. Ich klicke mich durch Videos und überlege in welche Richtung mein Kanal gehen könnte. Es ist schließlich nie zu spät für ein „new beginning“. Was passt zu mir und erreicht zudem ein großes Publikum? Es sollte natürlich ein lukratives Geschäft werden. Zum einen sind da Schminktutorials. Ich müsste mich im Prinzip nur dabei filmen, wie ich mich schminke. Leider kommt sowas am wenigstens in Frage. Ich kann mich überhaupt nicht schminken. Wenn ich abends ausgehe und dem Anlass entsprechend einen schmalen Eyeliner-Strich ziehen möchte, endet das immer damit, dass ich am Ende viel zu spät, mit vom Abschminken völlig entzündeten, tränenden Augen und dann doch ohne Lidstrich aufbreche. Oh Gott Marie, was ist passiert? Nichts, ich habe mich nur geschminkt. Ich überlege, wie ein Schminktutorial, von mir aussehen würde: „Jetzt nehme ich ein Stück Klopapier und tupfe es in Nivea-Creme. Nein das ist natürlich keine Produktplatzierung. Ich habe leider gerade keine Abschminktücher hier. Jetzt reibe ich damit den viel zu dicken, versauten Lidstrich von Pulli, Auge, Backe und Kinn.“ Eher nicht. Dann sind da noch Vlogs. Die sind glaube ich echt dankbar, weil man nichts vorbereiten muss. Man muss eben nur den ganzen Tag, überall eine Kamera rumschleppen. Man kann ja die Hand wechseln, wenn es zu schmerzhaft wird. „Ich bin jetzt aufgestanden und gucke Frühstücksfernsehen. Jetzt gehe ich in die Uni. Ich muss jetzt leider aufhören zu filmen, weil mich der Dozent und meine Kommilitonen irritiert anschauen. Bis nachher. Jetzt bin ich zu Hause. Ich esse Pizza und schaue Fernsehen. Danke fürs Zuschauen. Wenn euch das Video gefallen hat, gibt einen Daumen nach oben und vergesst nicht, mich zu abonnieren! Bis zum nächsten Vlog! Hab euch lieb!“ Ok Vlogs sind leider auch aussichtslos. Mein Leben ist schlichtweg zu langweilig. Das ist echt traurig. Hm was gibt es noch? Ich könnte einen Gaming-Channel eröffnen. Solche Videos, wo man einfach nur spielt und das Ganze filmt, scheinen echt gut anzukommen. Dann müsste ich mir aber Computerspiele kaufen, weil ich nie am Computer spiele. Und ein CD-Laufwerk. Kann man mit meinem Laptop überhaupt spielen? Ich hasse Computerspiele. Also kein Gaming-Channel. Wie wäre es mit Comedy-Videos? Eher nicht. Die sind im Vergleich zu den anderen Videos viel aufwändiger. Außerdem bin ich nicht lustig. Wobei unter dem Titel „10 Dinge, die man nicht tun sollte, wenn man Student ist“ fällt mir mindestens ein „Ding“ ein. Man sollte zum Beispiel nicht in ein Seminar gehen, wenn man den Text nicht gelesen hat und der Dozent böse ist. Das kann nämlich dazu führen, dass der Dozent dich als Nichtleser enttarnt und du dummerweise, und in die Enge gedrängt ohne nachzudenken deine Nachlässigkeit damit begründest, dass du ja noch die Pfandflaschen wegbringen musstest. Und jetzt muss ich so ein doofes, dreiseitiges Essay über den Text schreiben. Und das ist nicht lustig! Ich habe ja gesagt, dass ich nicht lustig bin!

Mittwoch. Neunzehn Uhr dreißig. Food-Diaries. Die finde ich echt interessant und sie werden total oft angeklickt. Da werden einfach nur die Mahlzeiten gefilmt und manchmal noch die Zubereitung erklärt. Bedauerlicherweise ist meine Küche viel zu klein, ich habe noch nicht einmal einen Backofen und meistens esse ich entweder in der Mensa, hole mir einen Döner, gehe zu Subway oder bestelle mir irgendwas. Die größten kulinarischen Wunder, die ich in meiner Küche zaubere sind Spaghetti Arrabbiata von Mirácoli. Die sind aber echt gut! Vielleicht werde ich doch keine Youtuberin. Ich bin einfach zu langweilig und kann nichts.

Mittwoch. Einundzwanzig Uhr. Ich habe etwas gefunden, was ich machen könnte. Ich könnte so genannte „Hauls“ drehen. Das ist wirklich total easy und man muss wirklich rein gar nichts dafür können und ein aufregendes Leben wird auch nicht benötigt! Man geht irgendwo einkaufen, bei dm oder H&M, und zeigt dann hinterher was man erworben hat. Nach dem elften Haul den ich mir anschaue, wird mir jedoch bewusst, dass auch diese Art von Videos bei mir schwierig werden würde. Die meistens weiblichen Internet-Stars ziehen T-Shirts, Ohrringe und Schuhe aus riesigen, gefüllten, mehreren (!) Tüten heraus. Ich bin Studentin. Ich habe keinen Nebenjob. Meine Eltern zahlen meine Wohnung. Ich stehe sogar im Aldi eine viertel Stunde vor einem Regal und überlege mir ob ich mir Studentenfutter kaufen soll oder nicht. Dazu muss man sagen, dass Studentenfutter wirklich überteuert ist! Wieso heißt das eigentlich Studentenfutter? Der Name passt überhaupt nicht. Ich google es und mein stets treuer Freund Wikipedia klärt mich auf: „Studentenfutter (auch Studentenhaber, Pfaffenfutter, schweizerisch auch Tutti-Frutti) ist eine seit dem 17. Jahrhundert bekannte Bezeichnung für eine Mischung, die ursprünglich aus Rosinen und Mandeln bestand (amygdala cum uvis passis mixta). Später wurde auch anderes Trockenobst und andere ungesalzene Nüsse zugefügt, darunter Cashewkerne, Erdnüsse, Paranüsse, Walnüsse oder Haselnüsse. Diese ‚Schleckerey deutscher Gymnasiasten und Burschen’ war durch die Verwendung der damals verhältnismäßig teuren Mandeln eher für finanziell gutgestellte Personenkreise zugänglich, woher die Bezeichnung Studenten- oder Pfaffenfutter herrührt. In Studentenkreisen nahm man an, dass insbesondere die Mandeln gegen einen Alkoholrausch oder Kater wirksam seien.“ Letzteres merke ich mir.

Zweiundzwanzig Uhr fünf. Ich werde keine Youtuberin. Ich bleibe eine arme, bedauernswerte, unfassbar langweilige Studentin, die viel zu große Freiheiten bei dem Erfassen einer geistreichen Abhandlung gegeben werden. Aber bevor ich beim Abhandeln abdrifte, lese ich erstmal den Text. Das wird eine lange Nacht.

Foto: flickr.com/Zufall2010 (CC BY 2.0)