Was gesagt werden musste?
von Pascal Thiel
In einer Zeit, die von audiovisuellen Medien wie vom Internet geprägt ist, da man alle Information dem Fernsehen, dem Radio, dem Internet oder der Zeitung entnimmt, hat ein Gedicht – wenn der Anspruch auf diese Bezeichnung überhaupt zulässig ist – für ein mediales Echo gesorgt, das seinesgleichen sucht. Der Verfasser, hochwürdiger Träger des Literaturnobelpreises, empfand den Drang, zu sagen, „was gesagt werden muss“ – doch musste es das? Doch auch die Frage, wie es ein Gedicht noch heute zu solch Beachtung schafft, man beachte die Schelte, die Günther Grass und seinem Gedicht wiederfahren ist, mit dem Vorwurf, es verkenne die Realität.
„Was gesagt werden muss“ – Ein bemerkenswerter Titel, der Neugier erweckt, mit welch weisen Worten sich der Literaturnobelpreisträger von 1999 an das Volk wenden möchte. Zweifelsohne vermutet man kritische Worte, doch was folgt, ist weniger ein gesellschaftskritisch-philosophischer Appell, denn eine wirre Folge von teils korrekten, dennoch aber zuhauf verzerrten Tatsachen.
Was gesagt wurde
Während Grass in Teilen des Gedichts relativ allgemein bleibt (Warnung vor „brüchigem Weltfrieden“, Aufforderung zum „Verzicht auf Gewalt“), wird er doch in manchen Dingen sehr konkret. Grass spricht vom „behaupteten Recht auf den Erstschlag“ Israels gegenüber dem iranischen Staat und der Gefahr, dass der jüdische Staat dessen Volk „auslöschen“ könne, nur weil dort eine Atombombe vermutet werde.
Die Tatsache, dass Israel einen Präventivschlag gegenüber dem Iran nicht mehr ausschließt, darf nicht die eigentliche Ursache der existenziellen Angst der Führung Israels verdrängen: Die feindliche Haltung des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad, der den Holocaust leugnet die Existenz Israels in Frage stellt. Vielleicht ist es gerade die Strategie des iranischen „Maulhelden“, wie es Grass formuliert, Israel durch eine gezielte Provokation zum Präventivschlag zu drängen und somit einen „legitimen“ Grund für einen – womöglich mit einer ungeahnten Wucht geführten – Gegenangriff vorweisen zu können.
Grass jedenfalls scheitert mit einer realitätsnahen Argumentation bereits in der zweiten „Strophe“; die Annahme der „Unschuld“ des Iran zieht sich durch das gesamte Gedicht. Das wird auch später deutlich, als er Israel als „Verursacher der erkennbaren Gefahr“ darstellt.
Doch ungeachtet all dieser problematischen bis falschen Aussagen, so muss man sich doch zwei Fragen stellen: Warum hat Grass dieses Gedicht veröffentlicht? Und: Warum löst in unserer Zeit, die von Print- und audiovisuellen Medien geprägt ist und Gedichte dem gemeinen Bürger allenfalls in Form von Schulliteratur über den Weg laufen, ein Gedicht ein solch öffentliches Echo aus?
Was gesagt werden sollte
Grass’ eigene Erklärung bezüglich seinem Motiv zur Veröffentlichung eines solchen Gedichts findet sich in diesem selbst: Er spricht aus, was aus seiner Sicht überfällig ist, eben was „gesagt werden muss“: Die intendierte Bitte war wohl, die israelische, auch als konfrontativ zu bezeichnende Politik kritisch zu betrachten. Dies ist legitim und durchaus berechtigt, doch hätte sich gerate der Literat nicht zu einer solch parteiischen Stellungnahme hinreißen lassen dürfen.
Im Gegenteil: Eine objektive Darstellung der Verfehlungen beider Seiten, allerdings mit realitätskonformer Betrachtung der Tatsachen wäre angebrachter gewesen. Argumentiert man mit dem Motiv des Künstlers, der mittels Provokation eine Debatte anstoßen will, so muss man feststellen, dass auch diese Taktik gescheitert wäre. Die Folgen dieses Fehlers sind bekannt: Nicht das Thema, das Grass ins Lichte der politischen Debatte führen wollte, ist omnipräsent, sondern wie schon so oft seine zu lang verschwiegene SS-Mitgliedschaft, seine im Tenor der Öffentlichkeit vermutete israelfeindliche Haltung, seine Unfähigkeit, einem Gedicht ein gedichtartiges Format zu geben. Konkret: Grass hat sich und seine Person – wenn auch womöglich unwillentlich – selbst in den Fokus der Debatte katapultiert.
Prominentes Phänomen
Das Phänomen von „spektakulären“ Veröffentlichungen von Seiten prominenter Persönlichkeiten als Versuch zum Anstoß von Debatten ist im Übrigen nicht neu. Bereits vor zwei Jahren erregte das damalige Deutsche-Bank-Vorstandsmitglied Thilo Sarrazin mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ großes Aufsehen. Auch damals wurde vorrangig über die Person Sarrazin und seine doch etwas eigenwillige Sicht der Dinge geredet, weniger über das eigentliche Thema.
Ungeahnte Beachtung eines vermeintlich alten Formats
Die zweite Frage, wie Gedichte gerade in unserer hochmediatisierten Zeit noch zu solch Beachtung gelangen, obwohl sie doch eine für unsere Information eher unwesentliche Quelle sind, ist schnell beantwortet. Drei Faktoren genügen, um ihnen gewaltige Bedeutung zu verleihen: zum einen der brisante Inhalt, zum zweiten die Prominenz seines Verfassers und zum dritten die Veröffentlichung durch ein relevantes Medium.
Der brisante Inhalt wurde bereits oben angerissen. Die Prominenz des Verfassers bringt eine, manche prominente Personen irritierende, verstärkte Aufmerksamkeit mit sich, konkret: Als Literaturnobelpreisträger ist es gewiss, dass sich auf jede Publikation und Veröffentlichung eine Meute von Kritikern stürzt und jeden Satz auseinandernimmt. Dass das Gedicht von nahezu allen großen deutschen Zeitungen (z.B. SZ, FAZ) abgedruckt wurde, verdankt Grass eben diesem Titel. Ähnlich wie beispielsweise die Vereidigungsrede unseres neuen Bundespräsidenten erfuhr das Gedicht durch diese Prestigemedien eine weite Verbreitung. Von dort ist der Weg ins Internet und somit in die ganze Welt nur noch ein Katzensprung.
Foto: Florian K.
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