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Empowerment durch Social Media

Warum Soziale Netzwerke nicht nur krank machen

Von Smilla Haendel

Die Wissenschaft und der Journalismus scheinen sich einig zu sein: die Nutzung sozialer Netzwerke kann uns auf lange Sicht psychisch und körperlich krank machen. Doch ist das natürlich nur eine Seite der Medaille. Tatsächlich birgt die Nutzung von Instagram, Snapchat und Co. auch das Potenzial, uns auf vielfältige Weise zu stärken, sozusagen zu „empowern“. Wie genau? Einen Überblick darüber gibt es in dieser Artikelreihe.

Von der „Fear of missing out“ (auch FoMO) über Magersucht bis hin zu Angststörungen und Depressionen – laut aktuellen Studien sind all das Auswirkungen der übermäßigen Nutzung von sozialen Netzwerken. Mit diesen Gefahren hat sich auch Media Bubble Autorin Barbara Frick in ihrem Artikel befasst, den ihr hier lesen könnt. Trotzdem müssen die Vorteile von Social Media wohl schwerer wiegen, als die davon ausgehenden Risiken. Schließlich sprechen die globalen Nutzungszahlen für sich: Laut dem Digital 2022 Global Overview Report gibt es weltweit 4,62 Mrd. aktive Social-Media-Nutzende. Das sind (Stand 2019) 58% der Weltbevölkerung. Wem das noch nicht beeindruckend genug klingt, sollte bedenken, dass nur 62,5% aller Menschen überhaupt im Internet unterwegs sind. Dementsprechend ist fast jeder Internet-User (93%) auch in sozialen Netzwerken aktiv. Ist es also allein der Gruppenzwang, der uns dazu veranlasst? Fühlen wir uns ohne soziale Medien einfach vom Rest der Welt abgeschnitten?

Vielleicht – und doch gibt es eine Reihe anderer Gründe, die uns dazu bewegen, durchschnittlich etwa ein Zehntel unseres Tages den sozialen Netzwerken zu widmen. Die britische Wohltätigkeitsorganisation Royal Society for Public Health (RSPH) führte im Jahr 2017 eine Studie zu den Auswirkungen der Social-Media-Nutzung auf die psychische Gesundheit junger Menschen durch. #StatusofMind hieß das Projekt, bei dem im Vereinigten Königreich Personen zwischen 16 und 24 Jahren nach ihren positiven und negativen Empfindungen im Umgang mit den Plattformen Facebook, Twitter, Instagram, Snapchat und YouTube befragt wurden. Bemerkenswert an den Studienergebnissen sind die Erkenntnisse darüber, welche Vorteile Heranwachsende aus sozialen Netzwerken ziehen.

Social Media als Plattform für Gesundheitsdiskurs

Viele Befragte gaben an, dass soziale Netzwerke ihnen den Zugang zu Gesundheitsinformationen erleichtern würden – allen voran YouTube. Besonders Personen mit psychischen Problemen teilten ihre Erfahrungen nämlich zunehmend über Social-Media-Accounts. Auf diese Weise dienten sie anderen Betroffenen z.B. als Anhaltspunkte zum besseren Verständnis ihres gesundheitlichen Zustandes. Auch als Instrument der Selbsttherapie können soziale Netzwerke in diesem Zusammenhang dienen. Erlebtes wird kreativ aufbereitet und Emotionen verarbeitet – in Form von Vlogs, Blogs, Instagram-Posts und weiteren Formaten. Die Thematisierung psychischer Erkrankungen im Netz bricht außerdem Tabus, die sich in der Offline-Kommunikation noch hartnäckig halten. Dafür, dass sich diese Enttabuisierung auch auf den analogen Raum ausweitet, setzen sich inzwischen viele Mental-Health-Influencer*Innen sowie professionelle Gesundheitsdienstleister*Innen in den sozialen Netzwerken ein. Mehr dazu, wie Instagram und Co. auch Positives im Zusammenhang mit psychischer Gesundheit leisten, gibt es in diesem Artikel der Reihe zu lesen. 

Die Bedeutung digitaler Communities

Die Verbindung mit anderen Personen im Netz kann eine wichtige Rolle bei der Identitätsfindung spielen. Bild: Unsplash

Auf gemeinschaftlichem Austausch und gegenseitiger Motivation basiert die neue Gesundheits-App „Weo“ des Tübinger Entwicklerteams „Sagacity, über die dieser Beitrag berichtet. Aber nicht nur dem Austausch über Gesundheitsthemen bieten soziale Plattformen eine Bühne. Online-Communities rund um die verschiedensten Interessengebiete verbinden Internet-User weltweit. Sie können sich über gemeinsame Hobbies, Berufe oder Vorlieben unterhalten, Wissen teilen und Probleme lösen, zusammen auf Ziele hinarbeiten. Die Motivationen, sich online mit anderen Menschen zu verbünden sind genauso vielseitig wie im Offline-Leben. Besonders für Jugendliche ist eine Motivation oft die Suche nach Identität. Über den Vergleich mit anderen Personen und deren Selbstdarstellung im Social Web sammeln Heranwachsende – wie in einem „Identitätskatalog“ Inspiration für eigene Identitätsentwürfe. Mit diesen experimentieren sie anschließend ebenfalls online und erfahren durch Likes und Kommentare Selbstbestätigung oder Negativfeedback. Welche Rolle soziale Plattformen für die Identitätsentwicklung spielen, könnt ihr hier detaillierter nachlesen. Auch für viele gesellschaftliche Minderheiten sind Online-Communities identitätsrelevant. Neben emotionalem Support erhalten sie durch Plattformen die Möglichkeit, sich zu organisieren und ihre Belange an die Öffentlichkeit zu tragen. Internet-Gemeinschaften sind allerdings auch keine magischen Blasen der gegenseitigen Unterstützung, in denen jegliche Kommunikation respektvoll und friedlich abläuft. Insbesondere in Foren kommt es regelmäßig zu Beleidigungen und Streitigkeiten. Mehr dazu, von welchen Rahmenbedingungen die positive oder negative Verständigung in E-Communities abhängt, erfahrt ihr hier.

Cyberaktivismus: wenn Online-Engagement digitale Grenzen überschreitet

Mit dem Hashtag #MeToo machten Frauen im Zuge des Weinstein-Skandals auf sexuelle Belästigung aufmerksam. Bild: Unsplash

Auch viele politische Bewegungen in der heutigen Zeit haben ihre Wurzeln in Social-Media-Gemeinschaften. Weder die Black-Lives-Matter-Bewegung noch #MeToo oder Fridays for Future hätten ohne die digitalen Möglichkeiten der sozialen Netzwerke dasselbe Maß an Aufmerksamkeit erreicht, das ihnen mithilfe von Facebook und Co. zuteilwurde. Wie sich die Fridays-for-Future Bewegung soziale Netzwerke speziell seit Beginn der Corona-Pandemie zu Nutze gemacht hat, haben die Tübinger Medienwissenschaftsdozentin Dr. Giuliana Sorce und Dr. Delia Dumitrica von der Universität Rotterdam erforscht. Zu welchen Ergebnissen sie im Rahmen der Studie kamen und welche Rolle Online-Aktivismus in der heutigen Politik spielt, behandelt dieser Artikel der Reihe. 

Empowerment – Was ist das?

Im Laufe des bisher Gelesenen sollte eines klar geworden sein: Soziale Netzwerke bieten eine Menge Potenzial, Menschen zu stärken und zu unterstützen – sei es in psychologischer, sozialer oder politischer Hinsicht. Sie geben uns eine Stimme, eine Möglichkeit zur Selbstdarstellung und zum Experimentieren mit Facetten der eigenen Identität. Wir konsultieren Social Media auf der Suche nach Informationen, zur Verarbeitung von Emotionen und zum Knüpfen von Kontakten. Ein Begriff, der diese Phänomene zusammenfasst, stammt aus der Psychologie: der des „Empowerments“. Die hier angeteaserte Artikelreihe beleuchtet verschiedene Facetten dieser (zu Deutsch) Ermächtigung im Rahmen Soziale Netzwerke. Zu den einzelnen Beiträgen gelangt ihr, durch Klick auf die Links oben im Text.

Was bedeutet eigentlich Empowerment?

Der Begriff des Empowerments stammt ursprünglich aus der Gemeindepsychologie, spielt aber inzwischen u.a. auch in der Medienwissenschaft eine Rolle. Auf Deutsch lässt er sich mit „Selbstbefähigung“ oder „Ermächtigung“ übersetzen und meint die Herstellung von Bedingungen, unter denen Menschen eigenverantwortlich und selbstbestimmt leben können. In Bezug auf gesellschaftlich marginalisierte Gruppen geht es oft um gemeinschaftliche Aktionen (auch online), die Ohnmachtsgefühle aufheben und das Selbstbewusstsein stärken. Ein Aspekt von Empowerment ist z.B. der Erwerb von Fähigkeiten, Strategien, Ressourcen und Wissen zum Erreichen von (gemeinschaftlichen) Zielen oder dem besseren Verständnis der eigenen sozialen oder politischen Situation.

Vor dem Hintergrund der sozialen Medien geht es also konkret um die Frage, welche Kommunikationsmöglichkeiten und digitalen Tools diese bieten, um Personen z.B. psychisch, sozial oder politisch zu stärken.