
Macht Social Media uns krank? Auswirkungen des digitalen Selbstdarstellungswahns
Von Barbara Frick
Die sozialen Netzwerke haben das Phänomen einer fast krankhaften Zurschaustellung der eigenen Person mit sich gebracht. Diese Tatsache stellt vor allem eine jüngere Generation vor neue Herausforderungen. Der Körper wird zum Schauplatz der Inszenierung, während der Druck ein „perfektes Leben“ führen zu müssen steigt. Wie versucht Instagram Magertrends und die Sucht nach immer mehr Likes zu unterbinden?
Nachdem sogar unsere Oma auf Facebook oder WhatsApp angemeldet ist, lässt sich der unaufhaltsame Vormarsch von Social Media-Plattformen aller Art nicht mehr leugnen. Manche Plattformen dienen hauptsächlich der Kommunikation, andere der Unterhaltung, aber ein Großteil von Ihnen vor allem einem: der Selbstdarstellung. Wer bin ich, wer will ich sein, wer sieht mich.
Doch welche Auswirkungen hat die konstante Selbstinszenierung in den sozialen Netzwerken für jeden Einzelnen von uns? Nicht umsonst haben sich in den letzten Jahren immer mehr Forscher*innen auf den Zusammenhang zwischen psychischen Problemen und Social Media- Nutzung konzentriert.
Von Gruppenzwang, Körpertrends und Essstörungen
Fear of missing out
Stelle dir einmal folgendes Szenario vor: Nach einer anstrengenden Woche liegst du am Samstagabend endlich gemütlich mit einer Packung Chips auf dem Sofa und schaust deine Lieblingsserie. Eigentlich bist du völlig entspannt und zufrieden. Doch langsam beschleicht dich ein unruhiges Gefühl. Was machen deine Freunde eigentlich heute Abend? Könnte es sein, dass du gerade die Party des Jahres verpasst? Warum bist du nicht eingeladen? Und läufst du Gefahr, zu einer langweiligen Couchpotato zu mutieren?
Solche Gedanken und Ängste fassen Wissenschaftler*innen unter dem Begriff „Fear Of Missing Out“, kurz FOMO, zusammen. Es geht also um die Angst, etwas zu verpassen. Psycholog*innen sind sich einig, dass FOMO und Social Media-Nutzung zusammengehören und sich gegenseitig begünstigen.
Unbegrenzte Möglichkeiten
Der Wunsch nach Gruppenzugehörigkeit und die Angst vor sozialer Ausgrenzung sind uralte Probleme, die durch die Selbstinszenierung in Sozialen Netzwerken im letzten Jahrzehnt deutlich verstärkt wurden. Wir wissen ständig, was unsere Freunde machen und werden bombardiert mit den Highlights fremder Leben, sei es auf Instagram, YouTube, Facebook oder Snapchat. Die Möglichkeiten scheinen unbegrenzt, und das eigene Leben wirkt dagegen langweilig, eintönig und spießig. Der ständige Vergleich mit anderen kann schnell zu Unzufriedenheit und Komplexen führen. Was wir dabei häufig vergessen: Social Media bildet in keiner Weise die Realität ab. Was wir zu Gesicht bekommen sind Highlights; winzige Ausschnitte, die sorgsam ausgewählt und präpariert wurden.
Neben der Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben kann FOMO außerdem eine schlechtere Konzentration und innerer Unruhe zur Folge haben. Wir müssen immer up to date sein und können den Augenblick nicht mehr genießen. Alles muss festgehalten werden, um uns selbst und den anderen zu beweisen, dass wir doch kein langweiliges Leben führen.
Inszenierungsobjekte Körper
Doch nicht nur unser tolles Freizeitprogramm, unsere Urlaube und unseren Lifestyle stellen wir auf Social Media stolz zur Schau. Auch der perfekte Körper darf bei der Selbstinszenierung nicht fehlen.
Seht her, wie dünn ich bin!
In den letzten Jahren sind einige sehr fragwürde Trends im Netz kursiert, die für viel Aufsehen gesorgt haben. Das Ziel dieser „Bewegungen“, auch Challenges genannt, lag darin, zu „beweisen“ besonders dünn zu sein. Junge Leute luden ihre „Beweisfotos“ größtenteils auf Instagram hoch.
Bei der #A4waistchallenge hielten sich junge Frauen ein Blatt Papier im DIN A4-Format senkrecht vor den Bauch. Die Taille soll hinter der 21 Zentimeter breiten Seite des Papiers verschwinden. Ein ähnlich erschreckendes Schönheitsideal vermittelt die Collarbone Challenge, bei der so viele Münzen wie möglich auf dem herausstehenden Knochen des Schlüsselbeins balanciert werden sollen. Bei anderen Challenges geht es darum, so schlanke Oberschenkel zu haben, dass eine Lücke zwischen den Beinen entsteht, oder, dass die Hüftknochen hervorstehen.
Gefahren der Körpertrends
Forscher sind der Ansicht, dass durch die Sozialen Netzwerke und die damit einhergehende Selbstinszenierung, das Schönheitsideal extremer geworden ist. Besonders Instagram spiele hier eine entscheidende Rolle. Immer häufiger lässt sich ein Zusammenhang zwischen Körpertrends auf Instagram und Essstörungen feststellen. Während früher an Anorexie erkrankte Mädchen versucht hätten, ihren Körper zu verstecken, komme es nun nicht selten zu einem bewussten Präsentieren des abgemagerten Körpers, meint Psychologe Andreas Schnebel.
Ernährungstherapeut Sven Bach kritisiert, dass es durch die vielen körperbezogenen Challenges in den sozialen Netzwerken zu einer immer größeren Verfremdung des normalen Körperbildes kommt. Jugendliche würden Gefahr laufen, eine Körperwahrnehmungsstörung zu entwickeln. Das führe dazu, dass Betroffene ihren gesunden und natürlichen Körperbau verzerrt wahrnehmen und sich im Spiegel als deutlich breiter und fülliger empfinden als sie es tatsächlich sind. Es wird krampfhaft versucht, den Vorbildern in den Sozialen Medien nachzueifern.
Falls du wissen möchtest, ob du auch unter FOMO leidest: Dieser kurze Test basiert auf der FOMO Scale des Psychologen Andrew Przybylski.
https://psychcentral.com/quizzes/fomo-quiz/
Psychische Erkrankungen und Selbstdarstellungswahn
Rund um die Uhr mit scheinbar perfekten Körpern konfrontiert zu werden, löst insbesondere bei Jugendlichen oft Minderwertigkeitskomplexe aus. Doch kann diese Inszenierung eines Ideals bis hin zu psychischen Erkrankungen wie Magersucht führen?
„Schönheitsideale holen junge Menschen sich aus den Medien“, sagt Stephan Herpertz, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Essstörungen (Quelle: F.A.Z, Social Magerwahn). Bei der Selbstdarstellung auf Social Media- Plattformen gehe es den Mädchen vor allem um Bestätigung. Dies liege unter anderem daran, dass das Jugendalter oft mit einem problematischen Selbstwertgefühl einher gehe.
Vor allem Magersucht und Bulimie sind weit verbreitete Essstörungen. Christiane Friedrich, Leiterin von amIDon II, einer Einrichtung für Menschen mit Essstörungen, sieht den Grund dafür in einem unrealistischen Schönheitsideal, das in den Medien verbreitet wird. Ohne den gesellschaftlichen Schlankheitswahn würde es diese Erkrankungen in der Form nicht geben. Trotzdem liegen die eigentlichen Ursprünge einer Essstörung viel tiefer: „Die Mädchen haben Lebensprobleme. Das ist doch auch wenn wir uns selbst fragen, nicht so einfach mit dem Leben zurecht zu kommen.“ Ein Faktor, der bei der Entwicklung einer Essstörung häufig eine Rolle spiele, ist beispielsweise der empfundene Kontrollverlust im realen Leben.
Bilder von extrem dünnen Frauen können aber Auslöser einer Essstörung sein, da sich die Betroffenen nach Anerkennung und Zugehörigkeit sehnen. Der mediale Zuspruch, den dünne Frauen auf das Präsentieren ihres Körpers bekommen – in Form von Likes, Kommentaren oder Followern – erweckt den Eindruck von Beliebtheit, Erfolg und Glück.
* Natürlich erkranken nicht nur Mädchen und Frauen an Essstörungen, auch Männer sind betroffen. Da es sich allerdings prozentual gesehen deutlich häufiger um Frauen handelt, vor allem in Verbindung mit dem Einfluss von Social Media, ist hier von Mädchen die Rede.
Instagram reagiert

Die Anzahl der Likes auf ein Bild spielt für viele Instagram – User*innen eine große Rolle. Foto: Daria Nepriakhina/ Unsplash
Die Social Media Plattform Instagram hat auf einige Körpertrends reagiert, und Sammelsuchen (Hashtags genannt) gesperrt, mit deren Hilfe man auf die Bilder stoßen kann. Es bilden sich allerdings immer wieder neue Begriffe, um das Verbot aufzuheben und die Bilder trotz allem öffentlich zugänglich zu machen.
Außerdem experimentiert Instagram gerade in einigen Ländern damit, die Gefällt mir-Funktion abzuschaffen. Nur noch der Nutzer, der das Foto hochgeladen hat, soll sehen können, wie viele User das Gefällt mir-Herz geklickt haben. Diese Maßnahme soll den Druck nehmen, so viele Likes wie möglich auf ein Bild zu bekommen und dazu führen, dass weniger verglichen wird. Dadurch soll der Fokus wieder mehr auf die Inhalte gelegt werden und zusätzlich Psyche und Selbstwertgefühl geschont werden.
Benutzung auf eigene Gefahr
Wie sehr Social Media unser Wohlbefinden und unsere Psyche beeinflussen kann, ist uns im Alltag oft nicht bewusst. Das bedeutet natürlich nicht, dass dadurch jede*r Komplexe und Essstörungen entwickelt. Trotzdem lohnt es sich, das eigene Nutzungsverhalten hin und wieder zu hinterfragen. Mehr dazu erfahrt ihr in den nächsten Artikeln dieser Reihe!
Wenn dich das Thema interessiert, lese gerne auch den Artikel unserer Autorin Lucy, die sich für mehr Authentizität und weniger Perfektionismus auf Instagram einsetzt.
Quellen
https://www.welt.de/vermischtes/article157713223/Dieses-Foto-zeigt-fragwuerdige-Koerpertrends.html
https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gesundheit/wie-soziale-medien-magerwahn-unterstuetzen-koennen-13858121.html
https://www.sueddeutsche.de/digital/instagram-likes-abschaffung-social-media-gefaellt-mir-kultur-1.4533567
https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.koerperbild-in-sozialen-netzwerken-wie-gefaehrlich-ist-der-koerperwahn.39dcf4e5-7f2a-4655-8fef-34e5ea40141a.html
https://www.az-online.de/uelzen/stadt-uelzen/kampf-gegen-bulimie-staendige-blick-masse-kann-zwanghaft-werden-uelzener-netzwerk-3148558.html
https://www.bento.de/style/paper-waist-challenge-neuer-schoenheits-trend-auf-instagram-a-00000000-0003-0001-0000-000000439685https://de.wikipedia.org/wiki/Fear_of_missing_out