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Von #BLM zu #METOO

Social Media als Werkzeug des Protests

Von Smilla Haendel

Durch die Digitalisierung verschieben sich viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens zunehmend in die Online-Sphäre. Das betrifft auch die Politik, wie virale Hashtags à la #MeToo und #BLM verdeutlichen. Welche politische Bedeutung kommt Sozialen Netzwerken in Zeiten des Cyberaktivismus zu? Ein Einblick.  

Einige Instagram-User dürften sich wohl an das schwarze Quadrat erinnern, das am 2. Juni 2020 die Timeline prägte. Das war nicht etwa ein Totalausfall der Plattform, sondern eine politische Protestaktion, mit der die Online-Welt auf die rassistisch motivierten Morde an den Afroamerikaner*innen George Floyd, Breonna Taylor und Ahmaud Arbery reagierte. Alle drei waren in der ersten Hälfte des Jahres 2020 Opfer von Polizeibrutalität in den USA geworden. Die weltweite Aktion, die unter dem Hashtag #blackouttuesday in die Geschichte der sozialen Netzwerke (überwiegend Instagram) einging, war ursprünglich von zwei Mitarbeiterinnen des Plattenlabels Atlantic Records ins Leben gerufen worden. Sie wollten damit zeigen, welchen wichtigen Beitrag People of Color zur Musik- und Kulturindustrie beitragen. Weitere Labels und später auch Celebrities und Privatpersonen schlossen sich der digitalen Aktion an und posteten einen Tag lang keine Inhalte auf Social Media mit Ausnahme einer schwarzen Kachel. Diese Form des digitalen Aktivismus zeigt eine der vielen Möglichkeiten, wie soziale Netzwerke in Verbindung mit politischen Bewegungen genutzt werden können. 

Online-Aktivismus: Was ist das eigentlich?

Eine Black-Lives-Matter-Demo in Los Angeles wird mit dem Smartphone für die Sozialen Netzwerke festgehalten. Bild: Unsplash

Cyberaktivismus, Online-Aktivismus, Digital Activism – allesamt Begriffe für diese neue Art des politischen Aktivseins. Die Online-Enzyklopädie Britannica definiert den Begriff als eine „Form des Aktivismus, die das Internet und die digitalen Medien als wichtige Plattformen für die Massenmobilisierung und politische Aktionen nutzt“. Neben dem Blackout Tuesday gehören zu den wohl prominentesten Beispielen der vergangenen Jahre Aktionen der Fridays-for-Future und Black-Lives-Matter-Bewegungen. Aber auch der Hashtag #MeToo, mit dem Frauen seit dem Weinstein-Skandal im Jahr 2017 hauptsächlich über Twitter und Facebook auf sexuelle Belästigung und Übergriffe aufmerksam machen, stellt eine Form des digitalen Aktivismus dar. Zusätzlichen Aufschwung erfuhr der Online-Aktivismus durch die Corona-Pandemie. Durch sie waren Massenversammlungen auf der Straße vielerorts zeitweilig verboten oder wurden aus Angst vor Ansteckung gemieden.

FACEBOOK FOR FUTURE – FRIDAYS FOR FUTURE WIRD DIGITAL(ER) 

Soziale Plattformen nutzt die Fridays-for-Future-Bewegung schon seit ihrer Entstehung im Sommer 2018. Das macht Sinn, denn die Community ist dezentral organisiert und zugehörige Ortsgruppen sind auf der ganzen Welt verteilt. Auch die wöchentlichen Schulstreiks, mit denen alles anfing, wurden über die sozialen Medien koordiniert. Durch die hohen Corona-Fallzahlen zu Beginn des Jahres 2020 verschob sich der Protest dann fast vollständig ins Netz. 

Diese Digitalisierung der Fridays for Future-Bewegung veranlasste die Medienforscherinnen Giuliana Sorce und Delia Dumitrica zum Durchführen einer Studie. Diese basiert auf 800 Facebook-Posts von 27 Accounts der europäischen FFF-Community. Ziel war es, eine Übersicht der Online-Praktiken zu erstellen, die die Bewegung zum Vorantreiben ihrer politischen Ziele nutzt. Das digitale Repertoire der FFF-Aktivist*innen lasse sich laut den Forscherinnen unter vier übergeordneten Zielen zusammenfassen. Dazu gehören Protestaktionen (im Original „contentious actions“), Beziehungsaufbau, Information bzw. Aufklärung sowie Community-Engagement.  

DIE MISCHUNG MACHT’S – WIE SICH ONLINE- UND OFFLINE-PROTEST ERGÄNZEN

Die digitalen Protestaktionen der FFF sind so vielfältig wie kreativ. Um die klassischen Freitags-Streiks zu Zeiten der Versammlungsverbote zu ersetzen, riefen nationale und regionale Gruppen über Facebook Anhänger*innen dazu auf, sich mit selbst gebastelten Protestschildern zu fotografieren und diese Fotos als Profilbilder einzustellen. Über den Hashtag #NetzstreikFürsKlima sollten Nutzer*innen ihre Fotos zusätzlich in den sozialen Netzwerken teilen und sich gleichzeitig mit der Bewegung solidarisieren.

Andere nationale FFF-Gruppen verwandelten ihre Straßenproteste prompt in Online-Livestreams. Zudem gibt es weltweit immer wieder Aktionen, die Online- und Offlineaktivitäten verbinden. Das heißt, Organisator*innen rufen zwar über Social Media zu den Aktionen auf, sie finden aber teilweise in der analogen Öffentlichkeit statt. Dazu gehören z.B. Schuhstreiks, bei denen an öffentlichen Orten Schuhpaare aufgestellt werden, um die Protestierenden zu repräsentieren, die ohne Pandemielage anwesend gewesen wären. Balkonstreiks, bei denen Balkone mit Protestschildern dekoriert werden und die Projektion von Fotos früherer Streiks an Regierungsgebäude gehören ebenso zum Repertoire der FFF-Bewegung. Die wohl größte Aktion dieser Art weltweit fand am 24. April 2020 in Berlin statt. Hier legten Aktivist*Innen rund 10.000 vorab eingesammelte Pappschilder mit Protestbotschaften auf der Wiese vor dem Bundestag aus. Begleitet wurde der analoge Teil der Veranstaltung durch einen Livestream, über den auch bekannte Politiker*innen und Musiker*innen zugeschaltet waren. 

Die Community steht im Mittelpunkt

Das digitale Repertoire von Online-Aktivist*innen nach Sorce und Dumitricia (under review) übertragen ins Deutsche. Bild: Smilla Haendel

Unter Community-Engagement verstehen Sorce und Dumitrica Online-Praktiken, die das Gemeinschaftsgefühl in den vielen vernetzten FFF-Gruppen stärken. Dabei gehe es vor allem darum, Teilnehmende an Online-Protestaktionen zu belohnen. Zum Beispiel erstellen die Aufrufenden zu einer Profilbildaktion im Nachhinein eine Collage aus den neu gestalteten Profilbildern der Beteiligten mit ihren gebastelten Schildern. Das stärkt den Zusammenhalt in der Online-Community und macht die Aktionen im Netz noch sichtbarer. Die Vernetztheit der Sozialen Medien nutzt Fridays for Future auch, um bildungsorientierten Inhalt unter den Anhänger*innen zu verbreiten. Neben Livestreams, in denen Expert*innen Hintergründe zum Klimawandel erläutern, gibt es sogar regelmäßig interaktive Webinare, an denen Anhänger*innen der Bewegung teilnehmen können.

Like, Share, Repost – Die politischen Tools des Social Web

Beiträge in den sozialen Netzwerken besitzen bekanntlich ein enormes Verbreitungspotenzial. Auch dieses machen sich Online-Aktivist*innen selbstverständlich zu Nutze. Nicht nur Privatpersonen teilen Inhalte der FFF-Gruppen. Die verschiedenen lokalen und nationalen Gruppen bewerben sich auch gegenseitig, indem sie Inhalte reposten, oder über andere Plattformen auf sie aufmerksam machen. So teilt z.B. die übergeordnete Gruppe Fridays for Future International häufig Posts der nationalen Communities, wie Fridays for Future Deutschland – oder andersherum. Auf diese Weise knüpfen die FFF-Gruppen auch an NGOs, wie Greenpeace, an oder verbinden sich mit lokalen Medienunternehmen, die wiederum über die Aktionen der FFF-Bewegung berichten.

#Landesverrat

Ein informatives Video rund um den Hashtag-Aktivismus hat ZDFinfo unter dem Titel #15minutesoffame ausgestrahlt.

Darin geht es auch um den Fall der Online-Nachrichtenwebsite Netzpolitik.org, gegen die die Bundesanwaltschaft und das BKA 2015 wegen angeblichen Landesverrats ermittelten. Mithilfe des Hashtags #Landesverrat solidarisierten sich damals deutschlandweit Nutzende sozialer Netzwerke mit den Gründern der Plattform.

Das Video gibt es hier zusehen: https://youtu.be/fl4TCMkZdfo. 

Swipen statt Straßenprotest – Potenzial und Gefahren des Klicktivismus

Die Online-Praktiken der Fridays for Future- und Black-Lives-Matter-Bewegungen und die Diskursmacht des Hashtags #MeToo zeigen, wieviel Potenzial soziale Netzwerke für Protestbewegungen bieten. Ein Tool kann dabei zahlreiche Funktionen gleichzeitig erfüllen. Politisch aktive Gruppierungen können Livestreams etwa zur Ankündigung von Veranstaltungen (offline oder online) nutzen, oder im Rahmen von Webinaren über bestimmte Themen aufklären. Dabei wird parallel das Gemeinschaftsgefühl der Anhänger*innen gestärkt.
 
Laut der Bundeszentrale für politische Bildung verleite diese relativ passive Form des politischen Aktivseins jedoch auch zu Faulheit. Mal eben vom heimischen Sofa aus eine online geteilte Petition zu unterschreiben, vermittle schnell das Gefühl, etwas öffentlich Wirksames geleistet zu haben. Dabei komme das intensivere Reflektieren über gesellschaftlich relevante Themen aber oft zu kurz. „Slacktivismus“ heißt dieses Phänomen. Online-Aufmerksamkeit sei zudem meist kurzlebig – ein Hashtag halte sich selten lange genug, um auch in der analogen Welt für Veränderung zu sorgen. Eine Mischung aus Online- und Offline-Praktiken à la FFF scheint hingegen eine effektive Art des Protests zu sein.