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Social Media und Mental Health

Warum sich soziale Plattformen für den Austausch über psychische Gesundheit eignen

Von Smilla Haendel

Von Aufrufen zu Body Positivity über geteilte Self-Care-Rituale bis hin zu Achtsamkeitsübungen. Themen rund um das psychische Wohlbefinden stehen in den sozialen Netzwerken gerade hoch im Kurs. Warum sich Social Media als Plattform für den Austausch über mentale Gesundheit (oder eben Krankheit) so gut anbietet– hier erfahrt ihr es.

In diesem Artikel geht es darum, wie sich die Nutzung sozialer Netzwerke positiv auf die Psyche auswirken kann. Dass es auch stark negative Effekte gibt, ist offensichtlich und kann u.a. in diesem Media-Bubble-Beitrag nachgelesen werden. 

Welche Anzeichen gehen einem Burnout voraus? Woran erkenne ich, ob ich depressiv bin? Wie gehe ich mit Selbstzweifeln um? Das sind Fragen, die im täglichen Gespräch mit Freund*innen und Kolleg*innen wohl eher selten gestellt werden. Dabei beschäftigen sie in einer zunehmend hektischen, von Leistungsdruck geprägten Welt immer mehr Menschen. Die Sozialen Netzwerke spiegeln dieses Gesprächsbedürfnis auf ihre Weise wider. Hier ist #MentalHealth mittlerweile zu einem Trend mitsamt eigener Ästhetik aufgestiegen.  

Neben Bildern von ausgedehnten „Spa-Days“ oder grafisch ausgestalteten Statements, dass es „okay“ ist, sich mal nicht gut zu fühlen, finden sich auch ernstere Inhalte. Dazu gehören etwa Selfies, auf denen geweint statt gelächelt wird, oder Bilder von selbst zugefügten Narben. Auch weniger emotional aufgeladene Infoposts zu geistiger Gesundheit sind stark repräsentiert. Wie kommt es, dass die menschliche Psyche auf Instagram und Co. so omnipräsent ist, während sie im nicht-virtuellen Alltag kaum thematisiert wird? Offenbar besitzen Soziale Netzwerke einige Qualitäten, die sie zu optimalen digitalen Räumen für den Diskurs über Mental Health machen.

Kreativität als Ventil

Dass die meisten Menschen soziale Medien in erster Linie zur Selbstdarstellung nutzen, ist kein Geheimnis. Was zunächst oberflächlich klingt, kann aber ebenso gut tiefgründig und persönlich sein. Die Bielefelder Studentin und Bloggerin Mandy leidet an einer Sozialphobie. Auf ihrem Instagram-Account @mutsammlerin spricht sie offen über ihre täglichen Erfahrungen mit der Angststörung. Vor dem Hintergrund der Online-Lehre während der Corona-Pandemie postet sie am 03. Januar 2022 ein Foto, das zeigt, wie sie an ihrem Schreibtisch vor dem Laptop sitzt. Dazu schreibt sie:  

Mit Bild und Ton dabei zu sein, ist auf Dauer nicht gerade einfach. Ganz schwierig ist es auch in Meetings, bei denen man einfach reinreden soll, ohne sich vorher zu melden. „Ist in der kleinen Runde doch einfacher“ heißt es dann oft. Für mich macht das dann immer unmöglich, überhaupt etwas zu sagen…

Immer mehr User sozialer Netzwerke weltweit haben es sich zur Aufgabe gemacht, ihren persönlichen Leidens– und Genesungsweg mit Essstörungen, Depressionen oder wiederkehrenden Angstzuständen online mit der Allgemeinheit zu teilen. Das bietet ihnen eine Möglichkeit, ihre Erfahrungen, Erfolge und Rückschläge auf kreative Weise zu verarbeiten. Die Züricher Trendforscherin Angel Schmocker nennt diesen digitalen Trend „Sick Style. Social Media diene in diesem Zusammenhang auch als eine Art digitaler Beichtstuhl, den User nutzen, um sich zu öffnen und ihre Probleme Anderen anzuvertrauen. Für dieses digitale Outing-Verhalten prägt Schmocker die Metapher der „eBeichte“. 

Support von der Community

Was soziale Plattformen darüber hinaus so wertvoll für den Dialog über psychische Gesundheit macht, ist ihre ursprünglichste und namensgebende Funktion: zu verbinden. Facebook, Insta und Co. räumen einem die Möglichkeit ein, per Kommentar, Direktnachricht, etc. auf Inhalte zu reagieren – mehr noch, mit der „Community“ zu interagieren. So kann sich eine Gruppe an derselben Erkrankung leidender Personen zum Beispiel gegenseitig Tipps für Umgangsstrategien geben. Rückfragen und Diskussionen zu Beiträgen sorgen dafür, dass Betroffene ihren gesundheitlichen Zustand besser verstehen.

Online-Communities können in psychischen Krisen als Auffangnetz dienen. Bild: Unsplash

Auf diesem Gemeinschaftsprinzip beruht übrigens auch die neue Gesundheitsapp WEO des Tübinger Entwicklerduos Sagacity, über die in diesem Artikel berichtet wird. 

Unabhängig von dieser informativen Ebene, bietet das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Leidensgemeinschaft emotionalen Support – quasi wie eine Online-Selbsthilfegruppe. Eine Nutzerin reagiert auf Mandys Post mit den Worten: 

Das kann ich gut verstehen. Reinreden ist ganz schwierig, oft unmöglich für mich. Dahingegen habe ich nur sehr wenig Schwierigkeiten etwas beizutragen, wenn ich mich melden und drangenommen werden kann...

Ein Austausch wie dieser zeigt Betroffenen schlicht, dass sie mit ihren Problemen nicht allein sind. Oder, im Zweifelsfall, dass es sich bei ihren täglichen Einschränkungen überhaupt um die Symptome einer Krankheit handelt. 

Diskretion durch Anonymität

In den sozialen Netzwerken können User außerdem anonym bleiben. Wer möchte, erschafft sich auf Instagram und Co. eine vollkommen neue „Online-Person“, die Außenstehende nicht mit der eigenen „Offline-Person“ in Verbindung bringen. Das nimmt die Hemmschwelle und ermöglicht Diskretion bei Gesprächen über sensible Themen. Schließlich spricht wohl kaum jemand im täglichen Leben ohne Weiteres offen über seine Psyche – ganz zu schweigen etwa von dem Verdacht, an einer Depression zu leiden. In sozialen Netzwerken ist dies möglich, ohne dass die Familie oder der Freundeskreis eingeweiht werden müssen.

Die Macht des Darüber-Redens

Auf Social Media entsteht also ein wahlweise anonymer und einfach vom Smartphone aus zugänglicher virtueller Raum, in dem über Themen gesprochen wird, die in der Offline-Welt noch tabu sind. Wie wichtig das Sprechen (oder eben Posten) über psychische Erkrankungen ist, weiß die Mental-Health-Aktivistin Dominique de Marné. Sie selbst lebt seit vielen Jahren mit Borderline. Anlässlich der Erscheinung ihres Buches Warum normal sein gar nicht so normal ist sagt sie in einem Interview mit dem BR:

„Dadurch, dass wir nicht darüber reden, habe ich zehn Jahre meines Lebens einfach verloren“.

Deswegen trägt sie heute nicht nur in ihrem Blog Mental Health Crowd, sondern auch über Facebook, YouTube und Instagram zur Enttabuisierung psychischer Erkrankungen bei. Mit ihren Inhalten erreicht sie Tausende. Ihr Ziel: eine Wissensbasis zum Thema mentaler Gesundheit in der Gesellschaft zu schaffen, damit im Alltag mehr darüber gesprochen wird – „Mental Health Literacy“ nennt sie das.

Das Smartphone als Reichweiten-Gigant

Neben Privatpersonen erkennen auch Gesundheitsexpert*innen das Aufklärungspotenzial der sozialen Netzwerke. Dass sich über Social Media viele – und besonders junge – Leute erreichen lassen, ist angesichts aktueller Mediennutzungsstudien offensichtlich. Laut der Mobile 360° Studie nutzte im Jahr 2020 über die Hälfte der befragten Heranwachsenden ihr Smartphone länger als zwei Stunden am Tag – und das vorwiegend für Facebook und Co. Umso naheliegender ist es für Anbieter von Beratungsangeboten, die Zielgruppen direkt dort abzuholen, wo sie sich ohnehin jeden Tag aufhalten.  

Anke Glaßmeyer arbeitet als freiberufliche Psychotherapeutin, bietet Online-Beratungen an und betreibt ergänzend dazu den Instagram-Account @diepsychotherapeutin. Hier informiert sie unter anderem über bestimmte Diagnosen und Therapieformen. „Niederschwellige Angebote“ sei hier das entscheidende Stichwort, da Menschen in Krisensituationen oft nicht die Kraft hätten, zum Telefon zu greifen. Insofern dienen über das Web geteilte Inhalte auch als Tor zu weiterführenden Hilfsangeboten in der Offline-Welt. Besonders wichtig ist bei digitalen Informationsangeboten zu gesundheitlichen Themen daher immer eine integrierte „Infobox“ mit Kontaktmöglichkeiten und Links, die die Brücke zu nicht-digitalen Ressourcen schlägt.

Soziale Netzwerke als empowerndes Tool

Dass man im Zeitalter von Fake News nicht jede Gesundheitsinformation, die einem im Social Web begegnet, für bare Münze nehmen sollte, ist selbstredend. Ebenso, dass die Nutzung von sozialen Netzwerken sich negativ auf die Psyche auswirken kann. Fakt ist aber auch, dass der immer größer werdende Diskurs über Mental-Health-Themen auf digitalen Plattformen beweist, dass Bedarf an einer öffentlichen Thematisierung besteht. Soziale Medien als therapeutisch-kreatives Ventil, und empowerndes Tool direkt in der Hosentasche bietet hierfür einen optimalen Startpunkt. 

Es geht dir nicht gut, oder du denkst daran, dir das Leben zu nehmen?

Hilfe erhältst du jederzeit anonym und kostenlos bei der Telefonseelsorge unter 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222. 

Hier gibt es auch einen Hilfe-Chat oder die Möglichkeit der Beratung per E-Mail.

Beides findest du auch hier: https://www.telefonseelsorge.de