Die tagesWEBschau im Test

von Pascal Thiel

Die Tagesschau will endlich für junge Menschen attraktiv werden. Richtig gelesen, die Tagesschau, die noch immer in einem nicht-virtuellen Studio gedreht wird, die Tagesschau, bei der die Moderatoren noch mit gelben Nachrichtenzetteln hantieren, die Tagesschau, die seit einem halben Jahrhundert den Abend „eingongt“.

Ja, genau diese Tagesschau versucht wieder einmal, das junge Publikum für sich zu interessieren. Wie? Mit der tagesWEBschau. Das bedarf einer medienkritischen Betrachtung.

tagesWEBschau? Was ist denn das?

Die tagesWEBschau ist eine dreiminütige Nachrichtensendung, die seit dem 4. Juni 2012 täglich auf dem digitalen ARD-Nachrichtensender tagesschau24 (ehemals EinsExtra) ausgestrahlt wird. Im Internet ist sie über den tagesWEBschau-Player zu erreichen. Die Sendung wird nicht – wie das Mutterformat Tagesschau – moderiert, sondern setzt sich aus drei kompakten Beiträgen zusammen. Es besteht eine starke Ähnlichkeit zu einem anderen Angebot der ARD, der „Tagesschau in 100 Sekunden“.

Thematisch soll die Sendung vor allem internetaffine Junge ansprechen, so Radio-Bremen-Intendant Jan Metzger:

Die tagesWEBschau ist eine kleine Schwester der Tagesschau. Wir werden die Themen des Tages aufgreifen, aber durch den Blickwinkel des Netzes erzählen […]. Darüber hinaus werden wir Inhalte berücksichtigen, die im Netz aktuell sind und die Gemeinde bewegen, aber für die große Tagesschau und das Publikum um 20 Uhr eher weniger wichtig sind. Das alles mixen wir zu einem Format, das die Informations-Qualität der Tagesschau mit der Lebenswelt der Jungen und der Netzaffinen verbindet.

Dabei soll die Komponente der sozialen Interaktion nicht zu kurz kommen. Der tagesWEBschau-Player ist mit drei sozialen Netzwerken verbunden: Facebook, Google und Twitter.

Premiere im Fernsehen ist täglich um 17 Uhr auf tagesschau24, danach kann man die tagesWEBschau abends auf EinsPlus und Einsfestival sehen. Die Sendung befindet sich aktuell in einer sechsmonatigen Testphase. media-bubble.de hat die tagesWEBschau getestet.

Der Praxis-Test.

Viele euphorische Worte, doch hält die neuste Innovation der ARD auch das, was sie verspricht?

Der tagesWEBschau-Player ist schnell gefunden: Auf tagesschau.de weißt ein gut erkennbarer Kasten auf die neue Sendung hin, der mit sofort zum Ziel leitet. Es öffnet sich eine moderne, übersichtlich gestaltete Seite mit einem großen „Play“-Button in der Mitte.

Erstes Urteil: Interface: top!

Der Button ist gedrückt, die Sendung läuft. Drei Themen kurz, prägnant und verständlich dargestellt. Auf den ersten Blick eine solide Berichterstattung im Internet. Doch hieß es nicht, man wolle die Themen „durch den Blickwinkel des Netzes erzählen“?

Sollte damit das Arrangement einfacher Fernsehbilder zusammengeschnitten mit Screenshots, einigen animierten Grafiken und Skype-Interviews gepaart mit stylischen Google-Earth-Zooms gemeint sein, hat die ARD noch viel Arbeit vor sich. Denn was als bahnbrechende Innovation für Digital Natives verkauft wird, ist doch lediglich eine verkürzte, aufgepimpte Version der 20-Uhr-Tagesschau.

Ebenso „offline“ ist das überschaubare interaktive Angebot. Es ist zwar möglich, sich zu aktuellen Clips vertiefend zu informieren, doch landet man zumeist auf schon bestehenden Seiten des ARD-Netzwerks. Externe Links führen vorhersagbar entweder zu YouTube- oder ARD-Angeboten, neue Informationspfade wird der tagesWEBschau-User wohl kaum beschreiten.

Was die Möglichkeiten der Sozialen Netzwerke betrifft – der Plural sollte da nicht überbetont werden. Der tagesWEBschau-Player gibt dem User lediglich die Möglichkeit, Nachrichten auf Facebook, Google oder Twitter – sogar per Mail – zu teilen. Von neuen, innovativ-sozialen Interaktionsfunktionen keine Spur. Für die Internetgeneration doch ein bisschen mager.

Zweites Urteil: Format: Flop!

Stichwort Themen. Über was wird eigentlich berichtet? Beispiel erster Tag: Facebook-Abstimmung, Gaming-Messe und Occupy musikalisch: Die ARD hat tatsächlich Themen gefunden, die Junge interessieren könnten. Doch lediglich Ersteres hat mit dem Internet zu tun. Ob das wirklich dem Interesse der „Netzgemeinde“, der eigentlichen Zielgruppe, entspricht? Die wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit weiter anderweitig informieren.

Drittes Urteil: Themen: Interessant! Aber: Nur ein Internet-Thema.

Laut RadioBremen sitzt hinter der tagesWEBschau eine Redaktion, die täglich alle sozialen Netzwerke nach interessanten und relevanten Themen durchforstet. Hinzukommen die „Internetaspekte“ der „normalen“ Nachrichten. Aus diesem Pott werden dann drei Themen herausgegriffen. Bedeutet dies, dass das ursprüngliche Tagesschau-Nachrichtenspektrum frei nach dem Motto „Ist das Internet drin? Her damit!“ durchkämmt wird? Andere „nerdigere“ Themen, also Nachrichten direkt aus den Weiten des Netzes, werden dann vernachlässigt. Und so rennt die ARD völlig am eigentlichen Ziel vorbei – der Information über Spezialthemen aus der Welt des Internets.

Viel interessanter und vor allem interaktiver wäre es, die Zuschauer selbst online über Mail, Facebook, Twitter, Skype, Google und co. über die Themenagenda entscheiden zu lassen. Der Bayrischen Rundfunk macht’s vor: Die Rundshow feierte ein Debüt, das für Aufsehen sorgte (media-bubble.de berichtete). Doch dies ist nach jetzigem Stand der Dinge nicht geplant.

Viertes Urteil: Themenfindung: Outdated!

Das Fazit:

Die tagesWEBschau ist ein schönes neues Spielzeug im Spektrum der Nachrichtenangebote der ARD, jedoch nicht wirklich mehr als das. Nach dem Tatort via Twitter und  Gottschalk mit Facebook am Vorabend stolpert die ARD wohl auch beim dritten Anlauf zum jungen Publikum. Es wird sich zeigen, ob sich eine Sendung wie die Tagesschau mit diesem neuen Angebot dauerhaft bei den Jungen etablieren kann.

 

Foto: Screenshot.

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