Farbfilter, Sixpacks und eine Welt der Klischees – Vikings auf dem Prüfstand Part I

Eingerahmt von zahlreichen TV-Dokumentationen über Wikinger präsentiert uns History Channel die Drama-Serie Vikings. Doch haben die Produzenten der Serie die hauseigenen Dokumentationen gesehen? Skizzieren sie auf deren Grundlage ein authentisches Bild des nordeuropäischen Mittelalters? Oder präsentieren sie uns lediglich ein Fantasy-Produkt? Handlungselemente werden kaum aufgegriffen; leichte Spoilergefahr für alle Staffeln.

von Marvin Gedigk

 

In this year fierce, foreboding omens came over the land of the Northumbrians, and the wretched people shook; there were excessive whirlwinds, lightning, and fiery dragons were seen flying in the sky. These signs were followed by great famine, and a little after those, that same year on 6th ides of January, the ravaging of wretched heathen men destroyed God’s church at Lindisfarne .

Manuscript D: Cotton Tiberius B.iv: The Anglo-Saxon Chronicle

Ein Best-of der Zeit

Mit diesen Worten beschreibt die Angelsächsische Chronik den Überfall der Wikinger auf die Insel Lindisfarne samt dem darauf gebauten Kloster. Auch die Serie Vikings zitiert in der ersten Staffel offensichtlich den Angriff, mit dem Historiker die bis ins 11. Jahrhundert reichende Wikingerzeit beginnen lassen – wenngleich es schon vorher vereinzelte Raubzüge gab. Die Produzenten begeben sich damit jedoch auf ein weites Feld, auf dem sie letztlich verloren gehen. 

Denn während der Überfall von Lindisfarne im Jahr 793 stattfand, lassen sich andere von der Serie aufgegriffene Ereignisse auf wesentlich jüngere Jahrzehnte datieren. König Ælle aus dem britischen Königreich Northumbria beispielsweise herrschte erst in den 860er Jahren, taucht aber bereits in der ersten Staffel der Serie auf. Die Angriffe auf Paris, die in den späteren Staffeln zentraler Punkt der Handlung werden, finden etwa ab 845 statt. Rollo, der Bruder des Protagonisten Ragnar, basiert ebenfalls auf einer realen Person, die jedoch erst 846 geboren wird. Unabhängig davon, welches Alter man Ragnar zu Beginn der Serie geben mag, wird man einige Ungenauigkeiten feststellen. Erstens hätte er niemals so alt werden können, um alle aus der historischen Realität aufgegriffenen Ereignisse erlebt zu haben. Zweitens lebte sein Umfeld in verschiedenen Jahrzehnten des 8. bis 10. Jahrhunderts, in Vikings interagieren sie aber dennoch als gestandene Männer miteinander.

Die Autoren der Serie scheinen sich einen Überblick über die Ära der realen Wikinger verschafft zu haben, um in der Folge die wichtigsten Ereignisse herauszunehmen und daraus ein möglichst ansprechendes Gesamtwerk zu komponieren. Zu ihrer Verteidigung muss jedoch angeführt werden, dass die literarische Grundlage von Vikings – die isländische Sage von Ragnar Lothbrok – selbst ein fiktives Werk ist, das erst zwei bis drei Jahrhunderte nach den geschilderten, vermeintlich realen Begebenheiten niedergeschrieben wurde. Betrachtet man die in der Sage Ragnar und seinen Söhnen zugeschriebenen Taten, scheint sich eine ähnliche Vorgehensweise wie bei den Autoren der modernen Vikings abzuzeichnen: Man hat die wichtigsten Ereignisse und beeindruckendsten Taten jener Zeit zusammengenommen und einigen wenigen Männern zugeschrieben. Aus verschiedenen, mündlich tradierten Geschichten entwickelte sich womöglich erst der Sagenstoff um Ragnar. Einer Person, deren historische Existenz höchst umstritten ist und deren Taten für das Leben eines einzelnen Mannes zu groß erscheinen.

Die Welt des Ragnar

Ähnlich wie schon bei Rome ist die Handlung von Vikings fiktiv. Etwas anderes kann man von historischen Serien kaum erwarten – einige der Gründe dafür habe ich in meinen zurückliegenden Beiträgen schon beleuchtet. Nichtsdestotrotz wollen wir im Folgenden noch einen Blick auf die Darstellung der frühmittelalterlichen Lebenswelt werfen, die in der Serie Vikings gezeichnet wird.

Zum einen haben wir da die Heimat von Ragnar und seiner Sippe: In der isländischen Saga ist Ragnar Däne. Entsprechend wunderten sich viele Historiker und Wikinger-Experten, dass in den ersten Staffeln ausschließlich wunderschöne Fjorde und schneebedeckte Berge zu sehen waren.

Vor allem in der ersten Staffel von Vikings wird deutlich, dass mit dem fiktiven Handlungsort Norwegen gemeint ist.

Der Hügel Himmelbjerget in Dänemark

Dieses Landschaftsbild passt nämlich eben nicht zu Dänemark , sondern entspricht mehr dem Erscheinungsbild Norwegens. In der fünften Staffel hat man diese Problematik aufgegriffen und verortet Ragnars Heimat Kattegat nach Norwegen. Den Ort Kattegat wird man dennoch weiterhin verzweifelt suchen, da der Name lediglich das Seegebiet  zwischen Dänemark und Schweden beschreibt.

Beschränkte Nordmänner? Keineswegs!

Zum anderen wird das Weltbild der Wikinger aufgezeigt und gerade hier möchte ich insistieren. Denn während die topografischen Eigenschaften Skandinaviens hier noch verdreht wurden, um dem Zuschauer eine stimmige – das heißt den Sehgewohnheiten und Erwartungen entsprechende – Welt zu präsentieren, verkürzt Vikings den Horizont seiner realen Vorbilder radikal und prägt damit das moderne Bild unterentwickelter Vorgängerkulturen weiter. Ragnar wird uns als Visionär und Entdecker präsentiert, der es wagt, in den unbekannten Westen zu segeln, um dort neue Länder zu finden – Länder, von denen sein Jarl und sein Dorf nicht glauben, dass sie existieren. Die wollen stattdessen weiterhin nach Osten segeln und das Baltikum plündern. Die Serie kämmt hier vieles über einen Kamm und verdreht die Fakten sehr beliebig:

Ragnar offenbart dem Dorf, dass er nach Westen segeln möchte, was für Aufsehen und Verwunderung sorgt. Nicht authentisch!

Ein Volk? Ein Beruf? Ein Stand?

Erstens gingen primär die schwedischen Volksgruppen, nicht Ragnars Dänen, im östlich gelegenen Baltikum auf wiking (=Raubzug), handelten hier aber auch mit den Einheimischen und bildeten Handelsrouten aus, die bis zum Schwarzen Meer und Konstantinopel (heute Istanbul) reichten. Das könnt ihr in einem Artikel über diese ‚Wikinger des Ostens‘ in der DAMALS 02/2018 nachlesen, an dem ich redaktionell mitgewirkt habe.

Das ‚Volk‘ der Wikinger war also zweitens lange nicht so homogen, wie es die Serie annimmt. Die einzelnen Volksgruppen Skandinaviens ließen sich auch im achten und neunten Jahrhundert klar voneinander unterscheiden. Die Bewohner Skandinaviens waren durch ihren Wohnsitz auch nicht automatisch Wikinger, sondern Dänen, Svear oder Samen.

In der fünften Staffel verbünden sich Lagertha und Björn mit den Samen. Erstmalig wird damit in der Serie ein skandinavisches Volk von der großen Wikingervolksgruppe abgegrenzt, nachdem zuvor alle Gruppen in einen Topf geworfen wurden.

Wikinger war nur derjenige, der an den Raubzügen teilnahm – eben auf wiking ging. Hier wird von Seiten der Vikings-Produzenten wohl bewusst reduziert, um den Zuschauer nicht mit allzu vielen Stammesnamen zu überfordern. Überspitzt ausgedrückt wird nicht die dramatis personae (die Personen der Handlung) – wie bei Rome –, sondern die dramatis gentis (die Stämme/Völker der Handlung) auf ein Minimum reduziert.

Die ersten in Amerika, nicht die ersten in England

Eine Rekonstruktion des Helmes von Sutton Hoo.

Drittens und abschließend ist es abstrus anzunehmen, die Dänen, die in diesen Jahrhunderten auch an der Südküste Norwegens siedelten, hätten die britischen Inseln nicht gekannt. Tatsächlich liegen bereits aus vorchristlicher Zeit Belege für Handelsrouten in der gesamten Nordsee vor. Konkreter wird das Wissen der Wikinger um die westlichen Inseln mit dem britischen Grabfund von Sutton Hoo  (7. Jahrhundert), dessen Artefakte eindeutig skandinavische Einflüsse aufweisen. Zudem plünderten Skandinavier bereits im Jahr 742 n. Chr. die vor Schottland gelegene Insel Burghead Fort – 50 Jahre vor dem Überfall von Lindisfarne, 50 Jahre vor Ragnar.

Doch damit nicht genug: Im nächsten Teil unserer Suche nach dem großen A widme ich mich noch einigen weiteren Aspekten der Vikings, unter anderem der Ausrüstung unserer Helden und der Rolle der Frauen in der Serie. Bis dahin habt ihr die Möglichkeit, in die weiteren Beiträge auf media-bubble.de zu schauen und/oder mir auf Facebook Feedback zu meinen Analysen zu geben.

Valete! – und bis nächste Woche zum zweiten Teil des Vikings-Checks.