Kultur im Netz – Ein Spannungsfeld: Willkommen im Tal der Enttäuschungen

von Stefan Reuter

 „In the future everybody will be world-famous for 15 minutes.“ Was Andy Warhol vor mehr als 40 Jahren voraussagte, ist dank des Internets gar nicht mehr so abwegig. Ein Schnappschuss kann den Jungen von nebenan zum Star machen. Auch Musiker können schnell enorme Aufmerksamkeit erlangen. Doch der Sturz vom Gipfel der überzogenen Erwartungen ist meistens unausweichlich.

Mr. Ridiculously Photogenic Guy

Zeddie Little, war erst vor kurzem nach New York gezogen, als er im März diesen Jahres an einem Marathon in seiner Heimatstadt Charleston, South Carolina, teilnimmt. Kurz nach dem Start entdeckt der junge Mann einen Freund, winkt ihm zu und wird zufällig dabei fotografiert. Inmitten der anderen Läufer sticht Mr. Ridiculously Photogenic Guy mit seinem strahlenden Lächeln ohne jegliche Anzeichen von Anstrengung eindeutig heraus. Der Fotograf lädt das Bild auf flickr hoch und macht aus Little so unbewusst einen Internet-Star. Der Schnappschuss wird zu einem Meme, also

an image, video, story or joke that is voluntarily passed from one Internet user to another via e-mail, blogs and social networking sites. Considered a form of art, Internet memes are created to promote individuals, groups, movies, art, music and products, as well as to perpetrate a hoax or just be funny.

Das Bild wird bearbeitet und immer weiter verbreitet, bis es schließlich das Charleston City Paper erreicht. Endlich wird bekannt, wer dieser schöne Mann ist und leider auch, dass er bereits glücklich vergeben ist. Mit einem Interview auf ABC erreicht er dann den Zenit seiner „15 minutes“, seitdem ist es still um ihn geworden.

The Next Big Thing

Während Little diese plötzliche Prominenz zufällig und vollkommen überraschend traf, wollen – und müssen – viele aufstrebende Musiker heutzutage die Möglichkeit nutzen, über das Internet bekannt zu werden. Als das „next big thing“ gehandelt zu werden, also einen Hype zu erfahren, bedeutet, meist bereits vor ersten größeren öffentlichen Auftritten und der Veröffentlichung eines Debütalbums, Thema in sozialen Netzwerken und der Fachpresse zu sein. Jedes „gefällt mir“ bedeutet heute einen kleinen Schritt auf dem Weg zum Durchbruch. Man muss es also schaffen mit wenigen Songs und geschickter Promotion, genug Aufsehen zu erregen, um die Dynamik des Netzes nutzen zu können. Der Stuttgarter Rapper mit Panda-Maske Cro hat seinen Erfolg nicht zuletzt seinem geschickten Umgang mit dem Web 2.0 zu verdanken. Wie es mit ihm weitergeht wird sich noch zeigen, vorerst scheint er vom „Gipfel der überzogenen Erwartungen“ gestürzt zu sein.

Gefangen im Hype-Zyklus

Die IT-Beraterin Jackie Fenn beschreibt mit ihrem Modell eines Hype-Zyklus‘ die Entwicklung der Aufmerksamkeit für eine neue Technologie auf ihrem Weg von der ersten Ankündigung oder „technologischem Auslöser“ bis zu ihrer Etablierung. Dieser Weg ist dabei meist der gleiche: Die Berichterstattung überschlägt sich zu Beginn mit oft unrealistischen Vorstellungen, führt also auf besagten Gipfel der überzogenen Erwartungen. Kommt die Innovation zum ersten Mal in Einsatz, macht sich wegen der nicht zu erfüllenden Erwartungen dann Ernüchterung breit, die Berichterstattung nimmt ab: Willkommen im „Tal der Enttäuschungen“. Auf dem „Pfad der Erleuchtung“ führen nun realistische Einschätzungen auf das „Plateau der Produktivität“, also zur mehr oder minder ausgeprägten Durchsetzung der Technologie. Ein ganz ähnlicher Verlauf lässt sich auch bei Cro beobachten: Mit „Easy“ veröffentlicht der damals 20 Jährige im November 2011 sein drittes Mixtape zum kostenlosen Download. Das Video zum Titeltrack wird fleißig geteilt und der Song ein Hit. Jan Delay sieht in ihm „die zukunft von deutsch-rap“. Cros Bekanntheit nimmt immer weiter zu, egal ob SPIEGEL, Gottschalk oder RTL II News, alle fragen sich: Wer steckt hinter der Panda-Maske? Vor allem auf Facebook versorgt er seine wachsende Fanschar, die ihn bei zahlreichen Konzerten kräftig feiert, mit Eindrücken von seinem Weg zum Popstar.  Gleichzeitig steigen auch die Erwartungen an das offizielle Debüt „Raop“. Als es schließlich am 6. Juli erscheint, schwanken die Meinungen stark, der erwartete große Wurf ist das Album definitiv nicht. Ein Grund könnte darin liegen, dass, um die Aufmerksamkeit zu nutzen bevor das „next next big thing“ zum Thema Nummer Eins wird, wenig Zeit blieb, Nachschub für die Fans zu liefern. In Cros Fall äußert sich das zum Beispiel darin, dass keine Rechte für die Verwendung Lieder anderer Künstler für das Sampling erworben werden konnten. Doch nicht nur bei „Easy“ liegt das Hitpotential zum großen Teil in der cleveren Verarbeitung eines bekannten Hits, auch andere Songs von den Mixtapes setzen darauf.

Don’t believe the Hype!?

„Raop“ verkauft sich zwar sehr gut und die Konzerte sind weiterhin gut besucht, aber Cro ist lange nicht mehr so omnipräsent wie zuvor. Es wird sich zeigen, ob „Easy“ sein einziger großer Hit bleibt, oder ob er sich dauerhaft in der deutschen Musiklandschaft etablieren kann. Der Rapper ist natürlich nicht das einzige Beispiel für solche Hypes, die US-Sängerin Lana del Rey befindet sich gerade auch auf dem Weg auf das Plateau der Produktivität. Eine der großen Herausforderungen für neue Künstler liegt also in Zukunft darin, einen Spagat zwischen medialer Aufmerksamkeit und erfüllbaren Erwartungen zu schaffen, um so einen allzu tiefen Fall ins Tal der Enttäuschungen zu vermeiden.

 

Nächste Woche gibt es exklusives Interview, ebenfalls zum Thema Musik und das Internet.

Fotos: flickr/MarblePlay (CC BY-NC-ND 2.0), flickr/Der Robert (CC BY 2.0), wikicommons/Idotter (CC BY-SA-3.0,2.5,2.0,1.0)

 

Der Rankingwahn

von Alexander Karl

Rankings sind das, nach dem die Menschen lechzen: Es gibt ihnen in einer immer schneller werdenden Welt Halt und Struktur, eine Ordnung, die verloren gegangen zu scheint. Längst finden sich Rankings überall in den Medien – von Amazon bis im TV. Doch die Ergebnisse lassen oft zu wünschen übrig.

Die gefühlte Wertigkeit

Rankings gibt es überall, lassen sich leicht erstellen und werden von den Medien dankend angenommen. Vom beliebsten Arbeitgeber über SUVs, Biermarken bis hin zu Hochschulen wird alles in eine Rangliste gepresst, was nicht bei drei auf dem Baum ist (und selbst die könnten noch gerankt werden). Rankings erheben den Anspruch auf Richtigkeit und Vollständigkeit. Aber wen befragt man, wenn man die beliebtesten Biermarken testen will? Alle zwischen 16 und 99 Jahren? Fragt man lieber gar nicht in Erding oder ausschließlich da? Ermittelt man das Ranking anhand des Verkaufs oder der Produktion? Und so weiter.

Ein gutes Ranking sagt, wie es zustande kam, doch zumeist bleibt Raum zum Zweifeln, denn auch Rankings sind leicht zu beeinflussen. 2005 wurden Manipulationsvorwürfe der deutschen Musikcharts laut, da der Produzent David Brandes Platten seiner Schützlinge – etwa der Eurovision Songcontest-Teilnehmerin Gracia – gekauft haben soll. Das Ziel hinter solchen Aktionen, die angelich branchenüblich ist: Eine bessere Chartplatzierung, denn ein Top 20 Hit verkauft sich wiederum besser als ein Top 60 Hit.

„Schließlich zündet ab dieser Positionierung die zweite Marketing-Stufe: MTV, Viva und die Radio-Playlists greifen das Stück auf und bewerben es so kostenlos“, schreibt der Focus dazu. Dieses Prinzip lässt sich auf alle Bereiche übertragen: Ein Ranking zum beliebtesten Bier sorgt für die Möglichkeit, sich als Produzent genau das auf die Fahne zu schreiben. Die Platzierung eines Buches auf einer Bestsellerliste macht aus einem Titel schnell einen Top-Titel – selbst wenn das Buch nur kurz Chartluft schnuppern durfte. In jeder Buchhandlung liegen diese Bücher dann aus, um alleine durch ihre physische Präsenz und dem Prädikat Bestseller erneut gekauft zu werden – ein Teufelskreis.

Das Bewerben von Spitzentiteln ist natürlich der richtige Schritt des Produzenten und gängige Praxis – man denke nur an all die erfolgreich von Stiftung Warentest getesteten Produkte. Und für den Konsumenten scheint es ein guter Hinweis zu sein: Jeder möchte doch den Marktführer konsumieren und kein vermeintlich schlechteres Produkt. Das Ergebnis ist eine geringe Fluktuation von Spitzentiteln.

Doch Ranking ist nicht gleich Ranking. Recht schnell können sie skurile Formen annehmen, wie Amazon beweist, wenn es Titel in den unmöglichsten Kategorien rankt. Oder eben bewusst Käufe getätigt werden, um aus einem Produkt ein Spitzenprodukt zu machen. Vielleicht sollte man nur dem Ranking trauen, das man auch selbst gefälscht hat.

Doch Skurilität ist das Stichwort, wenn es um die Königsdisziplin des Rankings geht: Der TV-Rankingshow. Selten geht es dort um die harte Rankingware wie Unis und Autos, außer sie beweisen sich als sonderlich „skuril“.

Der Rankingwahn im Fernsehen

Die 25 unglaublichsten TV-Auftritte der Welt, Unsere Besten – Die größten Deutschen, 32Eins! – Die größten Beautyschocker, die unglaublichsten Tiere der Hessen, die erfolgreichsten Überraschungshits – die Rubrikenvielfalt einer TV-Ranking-Show scheint unendlich groß und reicht längst von den privaten Sendern bis zu den öffentlich-rechtlichen. Das Vorgehen – gerade bei den Privaten – ist zumeist gleich: Man finde zunächst eine Kategorie für ein interessantes Ranking, das zum Senderformat passt. Dann setze man ein wertendes Adjektiv à la unglaublich oder spektakulär hinzu. Weiterhin nehme man kostengünstiges Archivmaterial und schnibbele es wild zusammen. Im letzten Schritt lasse man einige Stars und Sternchen, die sich bereits im Sender bei anderen Formaten bewährt haben, Senf zu dem Gezeigen abgeben. Fertig.

Soweit, so gut. Doch mittlerweile nimmt der Rankingwahn absurde Formen an: Da tritt der gerade gerankte Beitrag hinter den meist uninformativen Beiträgen der Kommentatoren zurück, die im Idealfall das kommentieren, was man als Zuschauer gerne selbst sehen würde, wenn man denn könnte. Denn was die Prominenten da von sich geben, enthält zumeist das Motto der Sendung und unterstreicht, wie unglaublich dieser TV-Auftritt wirklich (!) ist. Oder wie vollkommen überraschend dieser Hit wirklich (!) ist. Oder wie vollkommen toll/grandios/ekelig/bäh/sinnfrei dieses oder jenes ist.

Vielleicht ist die Idee solcher Shows, durch die Willkürlichkeit der Zusammenstellung wenigstens nichts fälschen zu müssen. Vielleicht ist es auch nur kostengünstige Unterhaltung, die die Zuschauer in Erinnerung schwelgen lassen kann. Denn das was gerankt wirkt, muss existieren und in der Vergangenheit da gewesen sein. Rankingsshows sind letztendlich gerangordnete Rückblicke, nicht mehr und nicht weniger – nur die Art ihrer Seriösität und Ernsthaftigkeit variiert. Man warte auf den Tag, an dem es ein eine Rankingshow der unglaublichsten Rankings gibt.

Fotos: flickr/pete_pick (CC BY-NC-SA 2.0) , flickr/Funky64 (www.lucarossato.com) (CC BY-NC-ND 2.0)

Wie der Vampire zum Mensch wurde

von Sanja Döttling

Vor Graf Dracula hatte man noch Angst – im Stummfilm Nosferatu ist er eine Schreckensgestalt. Doch weniger als ein Jahrhundert später belustigt Edward Cullen die moderne Popliteratur. Wie konnte es dazu kommen, dass die albtraumhafte Gestalt zu einem vegetarisch lebenden Familienvampir verkam?

Vampire – es gibt sie nicht erst seit der Erfindung von Film und Fernsehen. Schon seit Jahrhunderten treiben sie ihr Unwesen in Mythen und Geschichten. Am bekanntesten ist aber bis heute der „abendländische Vampir“, der nachts auszieht, um seinen Opfern das Blut auszusaugen und tagsüber im Grab ruht.

Doch warum ist diese Figur nach Jahrhunderten noch immer so faszinierend? Der Vampir ist immer ein Spiegel des Menschen und der Gesellschaft selbst und wurde oft dazu verwendet, tabuisierte Konflikte zu bewältigen und das andere, unbeschreibliche, auszudrücken. Außerdem ist der so dauerhaft in unseren Geschichten verankert, weil er sich im Laufe der Zeit so sehr geändert hat.

Die ersten Vampire waren Frauen

In der Novelle Carmilla, die 1872 erschien und damit älter ist als der Bekannte Dracula-Roman von Bram Stoker von 1897, wird die weibliche Protagonistin von einer Vampirin umgarnt. Das Tabuthema der weiblichen Sexualität ist hier im mythologischen Gewand beschrieben; ebenso die imminenten homosexuellen Tendenzen. Der Biss in den Hals – nicht nur eine Metapher für Sexualität, sondern vollmundig eine für die orale Sexualität. Der Vampir als Ausdruck dessen, was damals nicht besprochen werden konnte.

Vom Schreck zur Liebe

Ganz anders Dracula; auch wenn hier eine gewisse Erotik des Bisses nicht abgestritten werden kann, so nageln doch die ersten Verfilmungen von Stokers Bestseller den Vampir auf seine Monsterhaftigkeit hin fest. Max Schreck als schrecklicher Dracula in der Verfilmung Nosferatu (1922), mit überlangen Fingernägeln, einem krummen Rücken und eine langen Nase, die an die Totengräbermasken der Pestzeit erinnert, bildet wohl kaum das Bild des perfekten Ehemanns, wie es heute ein Edward Cullen tun wird. Doch schon 1958 im Film Horror of Dracula mit Chrisopher Lee als aristoraktischem Vampir verliert der Blutsauger seine Triebhaftigkeit – er wird rationaler. Die Vermenschlichung der ehemals so unfassbaren Figur beginnt, er wird vom Albtraum zum Exoten. Und damit einher geht auch sein gesteigerter Sexappeal, der Frauen (wenn auch nicht ganz freiwillig) in seine Arme zwingt. Am Schluss der Entwicklung dieser Figur steht Francis Ford Coppolas Liebesdrama um Dracula und seine wiedergeborene Frau; Das ehemalige Monster krank 100 Jahre nach seinem Entstehen an unsterblicher Liebe. Menschlicher geht es wohl kaum.

Vampire als Grenzgänger zwischen den Genres

Natürlich – nicht alle neuen Vampirfilme sind Liebesdramen. So wie Vampire immer Grenzgänger zwischen Leben und Tod waren, sind sie es heute über Genre-Grenzen hinweg.

Noch immer ist die übermenschlich strake Figur im Action und Horrorfilm verhaftet – das blutsaugende Monster ist nicht verloren. Doch dort bleibt der Vampir nicht aleine: Er bekommt neue Gegner und Mitstreiter, aber auch eine komplexe Hintergrundgeschichte, die den ersten Vampiren verwehrt war.

Van Helsing kämpft im gleichnamigen Film gegen ein ganzes Sammelsurium viktorianischer Schreckensgestalten; in der Filmserie Underworld treten die Vampire gegen ihre Erzfeinde, die Werwölfe, an und der historische Abraham Lincoln muss ebenfalls bald gegen Vampire in den Kampf ziehen. Auch Vampirjägerin Buffy muss in der gleichnamigen Serie gegen höllische Gegner in den Kampf ziehen. Und obwohl sie nebenberuflich Vampire jagt, hat sie doch auch welche zum Freund. Noch einmal sei auf die Gender-Frage zurückzukommen;,denn die Serie überrascht bis heute mit einem (einigermaßen) emanzipierten Frauenbild.

Alles in allem lässt sich nicht bestreiten, dass die Vampire ihren Schrekcne verloren haben und langsam immer besiegbarer wurden. 1967 drehte Roman Planski den Musik-Slapstick-Film Tanz der Vampire, in denen inzwischen etablierte Motive verwendet und parodiert werden. Der homosexuelle Subtext, der sich durch die Vampirmystik zieht, wird sichtbar, als Vampirsohn Herbert den naiven Alfred verführen will. Folgerichtig wurde aus dem satirischen Film ein deutsches Musical mit großem Herzschmerz-Feeling, dessen Erfolg in Deutschland mit seinem Misserfolg am Broadway ausgeglichen wurde.

Der Vampir und die Gesellschaft

Waren die ersten Draculas noch eigenbrödlerische Burgherren, die nur zum Essen nach England ausgingen, so rückte der Vampir im Laufe des folgenden Jahrhunderts immer mehr in die Mitte der Gesellschaft. Mit dem Film britischen The Hunger begann sich das Image des Vampirs als leidender Künstler zu formen und am Rande der Gesellschaft niederzulassen. In schwarzen Lederklamotten und zu den Klängen klassischer Musik wird in Musikvideo-Optik gefeiert, getrunken und gehurt. Und dennoch stehen auch hier so menschliche Themen im Vordergrund: Das Vampir-Pärchen Miriam und John versuchen, den Alterungsprozess des Letzteren zu stoppen. Unsterblichkeit ist passé – spätere Vampire fordern ihretwegen eher Mitleid als Bewunderung.

Auf die Spitze treibt das Künstlertum Autorin Anne Rice mit ihrem Vampir-Zyklus. Vor allem die Filme Interview mit einem Vampir und Königin der Verdammten nehmen die Künstlerthematik auf; Lestat erschafft Louis als Begleiter und Kunstwerk und ist somit schaffender Künstler;  Louis selbst findet seine Muse in der puppenhaften Claudia, die in ihrer kindlichen Gestalt gefangen ist. Im nächsten Film dann erklimmt Lestat den Himmel der Rockstars.

Auch untereinander werden die Beziehungsgeflechte der Vampire immer menschlicher. Aus dem einzelgängerischen Draclua, der sich zum Vergnügen ein dreiköpfigen Harem hielt, werden Pärchen- und Familienstrukturen. Später finden sich Vampire dann auch in größeren Gruppen zusammen und etablieren eine eigene Gesellschaft.

In der Serie True Blood geben sich die Vampire mit diesem Randsatus nicht mehr zufrieden. Nachdem das synthetisch hergestellte Blut „Tru Blood“ den Menschenbiss nicht mehr notwendig macht, drängen die Vampire in die Mitte der Gesellschaft und wollen sich dort etablieren. Jetzt sind die Vampire eine Minderheit, die sich mit dem Rassismus der Menschen auseinandersetzen müssen.

Und dann kam Twilight

Der Boom um Vampire war nie größer als mit dem aufkommen rund um die Bücher und Filme der Twilight-Saga. Mit der Bilderbuch-Vampirfamilie Cullen wird auf die Spitze getrieben, was nach hundertjähriger Entwicklung aus dem Vampirgenre geworden ist; denn heutige Vampire haben mit Dracula noch so viel zu tun wie der Tiger mit der Wohnungskatze.

Familie Cullen will menschlich sein; die „Kinder“ gehen zur Schule und ans College, Mama und Papa versuchen sogar zu kochen, wenn menschlicher Besuch ins traumhaft moderne Eigenheim kommt. Von der Hässlichkeit eines Dracula ist hier lang nicht mehr die Rede; denn Familie Cullen sieht unglaublich gut aus. Natürlich gibts für die Cullens nur noch vegetarisches Tierblut, dass sie sich besser in die Gesellschaft einfügen können (natürlich – der Vampirpapa ist praktizierender Arzt). Sohn Edward wird mit seiner angetrauten Bella nach der Hochzeit auch noch Vater eines Kindes, mit dem sie in ein eigenes Haus ziehen. Die Cullens sind der Traum einer jeden Vorstadtfamilie.

Während also die Entwicklung des Vampirgenres in die eine Richtung in Twilight konsequent weitergeführt wird, verliert der Vampir dadurch alles, was ihn je als solchen ausgezeichnet hat. Kein Wunder also, dass auch Fans der Serie den Vampir-Aspekt (und den Werwolf-Aspekt) ausklammern: Fanfictions zu Twilight haben auffällig oft den Zusatz „All Human“ – also die Anmerkung, dass alle Protagonisten menschlich sind.

Der Vampir ist eben auch nur ein Mensch.

Fotos: flickr/drurydrama (Len Radin) (CC BY-NC-SA 2.0), flickr/Kid’s Birthday Parties (CC BY-ND 2.0)

Kultur im Netz – Ein Spannungsfeld: Pop, Politik & Parodien

von Stefan Reuter

Barack Obama ist bekannt für seinen lockeren Umgang mit den Medien – aber dass er „Sexy and I know it“ oder „Call me maybe“ öffentlich singt, überrascht dann doch. Tatsächlich handelt es sich bei den YouTube-Videos um bunte Redenzusammenschnitte, die aber zeigen, wie Politik im digitalen Zeitalter interpretiert wird.

Die Geburt eines YouTube-Hits: Ein Mann präsentiert seine Bikini-Sammlung und performt dazu mit „Call Me Maybe“ von Carly Rae Jepsen einen der schlimmsten Ohrwürmer diesen Jahres für ahnungslose Videochat-Nutzer. Dauerschleife im Radio und vor allem unzählige solcher Parodien des Liedes sind daran schuld, dass man ihm kaum entrinnen kann. Neben Zombies und Batman heißt es auch bei Barack Obama: „Hey, I just met you…“

Sorry for Party Baracking

Der US-Präsident „singt“ dank eines Zusammenschnitts einiger seiner Reden den Charthit auf YouTube nach. Es ist nicht das einzige dieser Art, denn Obama ist sexy und weiß das (siehe unten).

Der Medienwissenschaftler Henry Jenkins stellt in „Convergence Culture“ die These auf, dass solche Parodien von Politikern eine Möglichkeit darstellen könnten, die Bereitschaft zu politischem Engagement zu stärken, denn sie erlauben einen Zugang zu Politik über die Popkultur. Damit umgehen sie den, gerade für junge Menschen oft abschreckenden, Diskurs in den klassischen Medien.

YouTube stellt für Jenkins eine ideale Plattform dar, um den Austausch zwischen verschiedenen politischen Lagern, Amateuren, Profis, alten und neuen Medien zu fördern: Erstens kann jeder darauf zugreifen und auch selber Videos hochladen und seinen Ansichten Gehör verschaffen. Zweitens steht damit ein gigantisches Archiv von Videoschnippseln zur Rezeption und Verarbeitung zur Verfügung. Drittens können Videos ganz einfach über Verlinkungen in Blogs und sozialen Netzwerken schnell weit verbreitet werden. Im besten Fall könnten es so wenig beachtete Themen und Anliegen von Minderheiten auf die öffentliche Agenda schaffen – Stichwort Viralität. Parodien sind dabei oft besonders gut geeignet, da sie primär wegen ihres Humors und dem Bezug zur Popkultur verbreitet werden, so aber auch Anstoß zu Diskussionen liefern können. Zwei aktuelle Beispiele aus dem US-Wahlkampf verdeutlichen, wie Politik mit den Mitteln des Pop verarbeitet wird.

„99 Problems, but a Mitt ain’t one“

Obama, oder besser der Obama-Imitator Iman Crosson, steht am Rednerpult und rappt eine klare Ansage für die anwesende Presse: Mitt Romney hat, trotz der Kritik, die gegen mich geübt wird, keine Chance! Er parodiert dabei den Song „99 Problems“ des Rappers Jay-Z und übernimmt dessen Selbstüberzeugung und klassische Motive des Hip-Hop. Zwischen den Szenen im weißen Haus zieht der Präsident mit seiner Gang aus Leibwächtern durch die Straßen, in der Hand einen Baseball-Schläger. Auf diesem steht: „Walk Soft…“, was eine Anspielung auf ein oft falsch verwendetes Zitat Theodore Roosevelts ist: „Speak softly and carry a big stick.“ Diese „big stick policy“ bezieht sich auf die Außenpolitik und fordert dazu auf, bedächtig zu handeln, bei Bedarf aber die Keule zum Einsatz zu bringen. Crosson verwendet diese Referenz im übertagenen, um klarzustellen, dass Obama von seinem Gegner nicht unterschätzt werden sollte: „Got two choices y’all keep it diplomatic or mop the floor with him. Straight treat him like a chore.“

Dieser zuversichtlichen Aussage steht eine Parodie des zweitschlimmsten Ohrwurms des Jahres gegenüber: „Now you’re not Obama that I used to know.“ Die beiden College-Absolventen Justin Monticello und Ryan Newbrough nahmen sich Gotyes Song vor, um ihre Enttäuschung über die erste Amtszeit und die nicht eingehaltenen Wahlversprechen Obamas zu artikulieren. Während im Original der nackte Körper des Sängers nach und mit geometrischen Formen angemalt wird, um zu illustrieren, wie ein einst geliebter Menschen als ein weiterer „somebody that i used to know“ Teil unseres „Lebensgemäldes“ wird, entsteht bei der Parodie das Konterfei des Präsidenten. Ihre Intention verdeutlichen Monticello und Newbrough in einem Interview mit CNN: „Everybody can find something in this video that they I think they can find truthful. That was really our goal, to be post-partisan in the spirit of the Obama that we used to know.”

Ein möglicher Weg

Im selben Interview geben die beiden allerdings zu, dass sie selbst 2008 nicht gewählt hatten, worauf die Moderatorin zurecht erwidert: “Some people might say listen, the better way to let your voice be heard, with all due respect, is to cast your ballot.”

Auch Jenkins ist nicht so naiv zu glauben, dass Parodien unweigerlich zu mehr Beschäftigung mit Politik führen müssen. Er weist aber darauf hin, dass sie das Potential dazu haben, weil sie Diskussionen anregen können. Und weil es einfacher ist, auf seine Ansichten aufmerksam machen kann, wenn man Politik und Pop verbindet.

Nächste Woche geht es um die berühmten „15 Minutes of Fame“ und Musik-Hypes.

Übrigens: Hier ’singt‘ Obama „Sexy and I know it“

Fotos: www.youtube.comwww.whitehouse.gov (CC BY 3.0)

Video-Portal gestoppt! Warum es kein deutsches hulu.com gibt

von Sandra Fuhrmann

Es hätte so schön werden können: Eine Internetplattform, auf der Filme, Serien und Shows kostenlos angeschaut werden können. Was erst einmal ein bisschen nach kinox.to klingt, ist ein von RTL und der ProSiebenSat.1 geplantes Projekt. Finanziert werden sollte die Video-on-Demand Plattform mit Werbung. Die Betonung liegt auf sollte. Am 8. August erklärte das Oberlandesgericht Düsseldorf die vorausgehende Entscheidungdes Bundeskartellamts, die Plattform fördere das marktbeherrschende Duopol der beiden Sender im Bereich Fernsehwerbung, für bestandskräftig.

Das jähe Ende einer Idee

Schon seit Jahren planen die beiden Sendergruppen eine gemeinsame Online-Video-Plattform. Im August 2010 kündigten sie das Projekt erstmals an. Die Shows, Filme und Serien sollten dabei aus dem eigenen Sendeprogramm kommen. Umstritten war jedoch besonders die Frage, wie offen die Plattform auch für andere Sender sowie fremde Video-on-Demand-Angebote sein sollte. Eigentlich war die Idee der beiden Sendergruppen, dass auch noch andere Anbieter das Angebot nutzen und somit ebenfalls von der Werbung profitieren können. Einen Anteil an den Werbeeinnahmen der fremden Anbieter würden die Konzerne nicht beanspruchen. Lediglich die Kosten, für technische Dienstleistungen auf der Plattform, hätten die anderen Anbieter an die Konzerne entrichten müssen. Doch die Forderung des Bundeskartellamts lautete schon im März 2011, die Konzerne dürften anderen Anbietern auf der eigenen Plattform keine „einschränkenden Vorgaben zu Verfügbarkeitsdauer, -zeitpunkt und zur Qualität der Angebote“ machen. RTL und ProSiebenSat.1 legten damals Beschwerde ein – welche nun vom Oberlandesgericht abgewiesen wurde.

Die Begründung: Mit der Gründung der Plattform würden RTL und ProSiebenSat.1 ihr Duopol in Sachen Fernsehwerbung weiter ausbauen. Gemeinsam haben die drei großen Privatsender einen Marktanteil von 30 bis 50 Prozent – das aber auch nur im engen Bereich der In-Stream-Video-Werbung, also bei der Werbung, die in das Video an sich eingebunden ist. Doch die Probleme, so schreibt Prof. Dr. Thomas Hoeren von der WWU Münster, der auch Direktor des Instituts für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht ist, liegen noch woanders: „Bis heute ist es nicht richtig gelungen, empirisch haltbar verschiedene Märkte im Fernsehwerbungsbereich sauber herauszuarbeiten. Einen einheitlichen Markt für Fernsehwerbung gibt es nicht.“

Prof. Dr. Thomas Hoeren schreibt weiter:

Die Gerichte tun sich schwer, das Internet als technischen Raum für unterschiedlichste Märkte überzeugend wahrzunehmen. Gespannt sein darf man auch auf die Begründung der Richter, warum sie in der Zusammenarbeit von RTL und Pro7Sat1 ein Duopol sehen; denn zwischen den beiden Unternehmen herrscht ein heftiger Wettbewerb im Fernsehgeschäft.

Andere Ländere, andere Videoportale

Andere Länder scheinen in dieser Hinsicht weit liberaler als Deutschland. Hulu nennt sich das amerikanische Vorbild für die Video-on-Demand Plattform. Viele Anbieter aus der TV- und Filmbranche liefern die Inhalte für die Webseite, die schon im März 2007 an den Start ging. Zum Team gehören namhafte Konzerne wie die Walt-Disney-Company, FOX oder NBCUniversal. Dumm nur, dass sich die Inhalte auf Hulu lediglich für US-amerikanische IP-Aderessen zugänglich sind. Aber schließlich ist allgemein bekannt, dass solche Hindernisse im Internet nur zu existieren scheinen, um einen Weg zu finden sie zu umgehen und diesen wiederum im Internet zur freien Verfügung zu stellen. Der Grund, dass das Portal der großen weiten Welt der Film- und Serienliebhaber nicht zur Verfügung steht, sondern eben nur der amerikanischen, liegt an den Lizenzen für die Filme und Serien, die an die Sender weltweit vergeben werden. Eben diesen Sendern wollen die Anbieter von Hulu nicht in die Quere kommen.

Doch zurück zum deutschen Markt. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts und die Mängel, die die Begründung des Urteils aufweisen, zeigt zumindest wieder einmal eines: Die Hüter des Rechts scheinen nach wie vor Probleme zu haben, die Gesetzeslandschaft richtig auf das Internet anzuwenden und auch anzupassen. Was das Düsseldorfer Urteil für die ganz ähnliche Plattform Germany’s Gold von ARD und ZDF, die eigentlich Ende des Jahres online gehen soll, bedeutet, wird sich zeigen. RTL und ProSiebenSat.1 bezeichnen das Urteil jedenfalls als eine Entscheidung gegen die deutsche Medienwirtschaft. Ob die beiden Sender gegen das Urteil vorgehen wollen, blieb zunächst noch offen.

Foto: flickr/Funky64 (www.lucarossato.com) (CC BY-NC-ND 2.0), flickr/sugu (CC BY-NC-ND 2.0)

Kultur im Netz – Ein Spannungsfeld: Von Hobbytänzern, WoW und indischem Pop

von Stefan Reuter

Was haben zwei euphorisch tanzende junge Männer, das Online-Rollenspiel „World of Warcraft“ und ein indischer Popstar miteinander zu tun? Nicht viel könnte man auf den ersten Blick meinen. Doch der zweite Blick entführt in das Spannungsfeld der Kultur im Netz.

„Tunak Tunak Tun“

Zwei tanzende Männer mit freiem Oberkörper und bunten Badeshorts sind derzeit ein großer Hit auf YouTube. Sie tanzen – wenn man das so nennen möchte – zu dem Song „Tunak Tunak Tun“ des indischen Popsänger Daler Menhdi aus dem Jahr 1998. Den Song, den die beiden Männer in ihrem Video betanzen, ist auf verschiedenen Portalen im Netz zu finden und erfreut sich nicht nur in Indien großer Beliebtheit, denn der Song hat – trotz Sprachbarriere – definitiv Hitpotential.

Für die meisten Aufrufer aus dem westlichen Kulturkreis dürften aber auch der trashige Charme des Orginalvideos (es war das erste indische Musikvideo, das vor einem Bluescreen gedreht wurde) und vor allem die Choreografie die größten Spaßfaktoren ausmachen. Konsequenterweise verraten die Statistiken des Videos der beiden Jungs, dass viele Aufrufe aus Indien stammen, was vermuten lässt, dass die Menschen dort besonders daran interessiert sind, wie andere Kulturen auf ihre Popmusik reagieren.

Henry Jenkins und die „Convergence Culture“

Indische Musik mit westlichem Tanzstil – ein kultureller Zusammenstoß. Der amerikanische Medienwissenschaftler Henry Jenkins beschreibt in seinem Buch „Convergence Culture: Where Old and New Media Collide“ aus dem Jahr 2006 eine Vielzahl von Veränderungen, die die moderne Medienlandschaft maßgeblich prägen. Konvergenz bedeutet für ihn dabei vor allem, dass Inhalte heutzutage durch die unterschiedlichsten Medien wandern und dabei von verschiedenen Publika unterschiedlich aufgenommen werden – auch über Kulturkreise hinweg.

Die modernen Mediennutzer sind dabei für Jenkins nicht mehr rein passive Konsumenten, sondern machen sich Inhalte zu eigen und lassen ihrer eigenen Kreativität und Begeisterung freien Lauf, was sich natürlich sehr deutlich in Fan-Communities zeigt. Aber Konvergenz ist keine Einbahnstraße, auch die Produzenten von kommerziellen Kulturgütern bedienen sich fleißig am kulturenübergreifenden Buffet im Internet – so schnappten sich die Entwickler von World of Warcraft das Häppchen „Tunak Tunak Tun“.

Everybody Dance Now!

World of Warcraft (kurz: WoW) ist wohl das populärste aller Online-Rollenspiele, die gerne auch MMORPG für Massively Multiplayer Online Roleplaying Game genannt werden. WoW, dass 2005 in Europa startete und weltweit Millionen von Fans hat, erfuhr 2007 mit „The Burning Crusade“ seine erste große Erweiterung. Diese führte mit den Draenei eine neue Rasse ein, die von nun an den Spielern, neben den altbekannten Menschen, Zwergen, Orks und Co. als mögliche Alter Egos für die Abenteuer in der fiktiven Welt Azeroth zur Verfügung standen.

In nahezu allen MMORPGs können die Spieler neben der Kommunikation über Chats oder Headset auch per Tastendruck ihren Avatar eingebaute Animationen (sogenannte „Emotes“) ausführen lassen, um so nonverbal mit ihren Mitstreitern zu interagieren. Neben Gesten wie Verbeugungen, Drohgebärden oder Winken stehen meist auch Tänze zur Verfügung – beispielsweise um einen triumphalen Sieg über einen schweren Gegner gebührend zu feiern. Für WoW ließ sich der Entwickler Blizzard Entertainment dabei unter anderem von Michael Jackson, den Bee Gees oder MC Hammer inspirieren. Im Gegensatz zu diesen aus dem westlichen Kulturkreis übernommenen Tänzen wurde für die Draenei die Choreografie von Daler Mehndi ausgewählt. Damit sollte vielleicht die Exotik dieses Volkes inmitten von klassischen westlichen Fantasy-Figuren betont werden, vermutlich in Verbindung mit einem Gruß an die indischen Spieler.

In einer zunehmend konvergenten Medienumgebung ist es daher auch nicht verwunderlich, dass Mehndis Video wiederum mehrfach mit Hilfe von WoW-Aufnahmen nachgestellt wurde.

Kultur im Netz – Ein Spannungsfeld

Das Internet verbindet – auch die Kulturen. Die neue Artikelreihe „Kultur im Netz – Ein Spannungsfeld“ auf media-bubble.de wird sich mit weiteren kulturellen Phänomenen im Internet beschäftigen. Neben den neuen Interaktionsformen mit Medieninhaltenwird es auch darum gehen, wie schon länger gängige Kulturpraktiken online ausgeübt werden, wie sich Machtverhältnisse verlagern und welche Auswirkungen das Web 2.0 auf die Produktion von Kulturgütern hat. Wie hängen diese Entwicklungen zusammen? Und wo entstehen dabei Konflikte?

Nächste Woche geht es zunächst um einen Mann, der gerne Bikinis trägt. Und Barrack Obama.

Kultur im Netz – Ein Spannungsfeld: Ab jetzt jeden Freitag auf www.media-bubble.de

 

Foto: flickr/bravesheng (CC BY-NC-ND 2.0)

Kaviar statt Fast-Food: Quality-TV

von Alexander Karl

Es war einmal vor langer, langer Zeit, da schaute man Serien einfach mal nebenbei. Beim Bügeln, stummgeschaltet beim Telefonieren, zum Einschlafen. Heute ist das anders: Quality-TV-Serien ziehen den Zuschauer förmlich in ihren Bann und lassen keinen Platz für eine andere Beschäftigung.

Die neue Serienwelt

Die beste und härteste Serie der Welt?“ fragt bild.de und meint damit The Wire. Von 2002 bis 2008 entstand der Epos, der düstere Einblicke in das Leben in Baltimore ermöglicht: So werden etwa zu Beginn der ersten Staffel Drogendelikte abwechselnd aus den Augen der Polizei, dann wieder der Drogendealer erzählt. Klingt nicht sonderlich spannend? Das finden die Kritiker von bild.de bis zum Guardian nicht – sie loben die Serie in den höchsten Tönen. Denn was bild.de mit einem Fragezeichen ziert, wird bei anderen Medien fast schon mit einem Ausrufezeichen versehen. Auf dem TV-und Radio-Blog des Guardian werden neun Gründe genannt, warum The Wire „the greatest ever television drama“ ist und Schauspieler, Autoren, na ja, eigentlich alles, überschwänglich gelobt. Und auch die FAZ ist von The Wire fasziniert: „Kein Roman hat mich so beschäftigt wie „The Wire“ – das ist auch so zu verstehen: „The Wire“ ist ein Roman. Einer der besten.“

Trotz des (deutschen) Kritikerlobs werden hochwertige Serien in der deutschen Free-TV-Fernsehlandschaft stiefmütterlich behandelt. Ja, vereinzelt finden sie ihren Weg ins deutsche TV, vornehmlich bei Privatsendern. Vereinzelt meint aber in diesem Fall: Sehr selten. So fragte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung im Jahr 2010 – also zwei Jahre, nachdem The Wire abgedreht wurde – bei den deutschen Free-TV-Sendern nach, warum die Serie nicht hierzulande läuft oder lief. Ergebnis: Dem Zuschauer gefällt’s nicht – vermutet man zumindest bei den Sendern. Einzig das ZDF hatte überlegt, die Serie in den Programmkanon aufzunehmen – und ließ es schlussendlich bleiben. Hierzulande setzt man bei den US-Importen dann doch lieber auf Comedy (wie etwa How I met your mother, Two and a half men) oder klassische Polizei-Serien wie der CSI-Reihe.

Ob die Quality-TV-Serien dem deutschen Konsumenten allgemein nicht schmecken, darf aber bezweifelt werden – denn als DVDs werden sie gekauft und sicherlich auch online konsumiert. Die Free-TV-Tauglichkeit ist tatsächlich noch eine andere Frage, denn auch die in Deutschland komplett ausgestrahlte Serie Lost verschwand von ihrem vormaligen 20.15 Uhr-Sendeplatz auf Pro7 zunehmend in den späten Abend – und wurde schlussendlich aufgrund stetig sinkender Quoten an kabel eins weitergereicht.

Serien und Wissenschaft

The Wire, Mad Men, Six feet under, Lost, Breaking Bad – diese Serien werden gerne als Quality TV bezeichnet, also qualitativ hochwertig gestaltete Serien, die eigentlich mehr sind als ihre Genrezugehörigkeit erwarten lässt. Diese Serien erzählen nicht nur fesselnd, sie spielen mit dem Rezipienten, schüren seine Aufmerksamkeit – und sind von Interesse für die Wissenschaft. In ihrem Aufsatz über Quality TV beschreibt Jane Feuer am Beispiel der Serie Six feet under, was solche Serien ausmacht. Sie sieht die neuen TV-Lieblinge in der Tradition des europäischen art cinema und des Theaters, weist auf die hohe Bedeutung von Musik und die Transzendenz zwischen Traum und Realität hin, was gerade auch den Charme von Six feet under ausmacht – und vieles mehr.

Vereinfacht ausgedrückt: Quality-TV-Serien sind mit oftmals filmähnlichem Aufwand gestaltete Serien, die hintergründiger, fesselnder und nachdenklicher sind, als man es sonst von Telenovelas, Soaps und anderen Serien kennt. Eben keine leichte Kost, keine Nebenbei-Berieselung.

Genau deshalb verwundern aber hochwertige Serien wie Six feet under oder The Wire im ersten Moment, verstören vielleicht sogar: In der Fast-Food-Serienwelt ist kein Platz für lange Entwicklungen der Charaktere oder Mehrdimensionalität. Sicher ist: Der Konsument muss sich umgewöhnen. Und: Ihm muss der Kaviar schmackhaft gemacht werden, auch wenn er anstregend zu löffeln sein mag. Kleine Hinweise, Anspielungen, Metaphern und Querverweise, die für die weitere Handlung wichtig sind, sorgen dafür, dass man genau zuhören und aufpassen muss.

Zudem gibt es viel zu interpretieren, egal ob auf medienwissenschaftlicher oder soziologischer Ebene. Dem trägt seit März 2012 auch der diaphanes Verlag Rechnung, der mit seiner booklet-Reihe nach eigenen Aussagen das nachliefert, „was in den DVD-Boxen fehlt: Lektüren zur Serie.“ Die Essays über The Sopranos, The Wire und The West Wing machen deutlich, dass es sich lohnt, über Serien nachzudenken. Dem Filmkritiker Daniel Eschkötter etwa gelingt es, dem The Wire-Fan einen Blick hinter die Kulisse zu ermöglichen, zu zeigen, wie etwa Montagetechniken zwischen Bewegtbild, Überwachungsvideos und Fotos verwendet werden, um The Wire als Epos zu inszenieren. Querverweise zwischen den anderen Serien des The Wire-Autors David Simon werden aufgezeigt und mit Hintergrundwissen in einen Kontext gesetzt, der deutlich macht, dass diese Serie nicht am Reißbrett entstanden ist, sondern vielmehr ein eigener Kanon – oder „Visual novel“, wie Simon es nennt – ist. Denn die booklet-Reihe zeigt auch: Längst ist der Zuschauer einer Serie nicht nur Fan und Konsument, sondern Interpretierer einer Welt, die er nicht geschaffen hat, aber in der er sich auskennt oder auskennen möchte wie in seiner Westentasche.

Serien sind – und das zeigt nicht zuletzt die booklet-Reihe – längst kein kurzlebiges Konsumgut einer Wegwerfgesellschaft mehr, sonden durch die hochwertige Produktion ein qualitativ anspruchsvolles Medium, das Aufmerksamkeit verdient. Und sie auch bekommt.

Fotos: Tita Totaltoll / photocase.com, kaibieler / photocase.com

Falsche Rezensionen – Manipulation bei Amazon & Co.

von Pascal Thiel

Peter Glaser ist ein angesehener Schriftsteller und Ehrenmitglied des Chaos-Computer-Clubs. Und für kurze Zeit war er ein berühmter Amazon-Rezensent. Wenn auch unfreiwillig. Am 23. September 2010 erschien auf dem Online-Shopping-Portal Amazon unter seinem Namen eine Rezension zu dem neuen Tablet „WeTab“:

[…] Das WeTab ist nicht gut sondern sehr sehr gut. 

– Hab gerade in Facebook Farmville gepsielt, macht richtig Spass auf nem TouchScreen

– Heute kam ein Update. Ist alles noch flüssiger geworden. Hab meine Email Konten (bei Google und Web.de) eingerichtet, funktioniert super

– Der Browser ist scheinbar auch schneller geworden – was will man mehr.

– Neu scheint auch das USB-Menü zu sein. Macht richtig Spass jetzt!

Insgesamt macht das WeTab einen sehr sehr guten Eindruck. Ich kann das Teil nur empfehlen und warte sehr gespannt auf die Android App Unterstützung!

Vg, Peter

Als der Blogger Richard Gutjahr nach einigen Tagen darauf stieß, verwunderte es ihn wohl so stark, dass er der Sache auf den Grund ging. Und was er herausfand, entwickelte sich zu einem handfesten Skandal: Der Geschäftsführer von WeTab GmbH Helmut Hoffer von Ankershoffen selbst hatte die Bewertung erstellt – unter dem Pseudonym Peter Glaser. Während daraufhin der echte Peter Glaser rechtliche Schritte prüfen ließ, trat von Ankershoffen von seinem Chefposten zurück.

Unternehmen und Rezensenten: Wer faket?

Falsche Rezensionen – bei Amazon, aber auch bei anderen Shopping-Portalen – sind ein großes Problem. Zum einen können sie simplem Egoismus folgen. Manchmal sind es die Unternehmensmitarbeiter, die ihre Produkte hochschreiben, wie bei dem WeTab geschehen. Doch selbst Historiker können nicht widerstehen und schreiben ihre Bücher in den Himmel, die der Konkurrenz aber in den Boden.

Zum anderen findet jedoch eine Professionalisierung beim Erstellen von Fake-Rezensionen statt, zumindest wenn man ComputerBILD Glauben schenkt: Laut der Fachzeitschrift haben sich ganze Agenturen auf Fake-Rezensionen – im Fachterminus „Textservices“ – spezialisiert. Mithilfe simpler Internetrecherche spürte die Zeitschrift zwei Agenturen auf und kontaktierte sie. Die Antworten folgten prompt: „Bereits 15 Minuten nach der Anfrage lag das erste unmoralische Angebot im Postfach.“

Neben diesem organisierten, professionalisierten Spiel mit dem Vertrauen der Konsumenten – oder besser, der Rezipienten – gibt es jedoch weitere Akteure, die für eine Verzerrung der produktbezogenen Realität sorgen: die sogenannten „Top-Rezensenten“.

Ein Beispiel: Zehn Jahre schrieb Thorsten Wiedau für Amazon Buchrezensionen. Sieben Jahre war er in der „Hall of Fame“ der „professionellen“ Rezensenten, einige Male stand er auf Platz eins der Liste der Top-Rezensenten – das Ziel vieler Schreiber. Doch genau diese Liste sei das Problem: Viele Rezensenten seien nur noch darauf aus, Platz eins zu erreichen, in die „Rezensenten-Hall-of-Fame“ aufgenommen zu werden. Zudem kritisiert Wiedau den Algorithmus der Rangliste: „Nicht mehr wer die meisten Rezensionen schreibt, steht ganz oben, sondern wer die meisten positiven Rezensionen schreibt.“

Amazon und der Kunde: Wer leidet?

Positiv rezensieren, um Top-Rezensent zu werden – sollte dieser Vorwurf korrekt sein, so sorgt Amazon indirekt selbst für immer neue Fakes in seiner Rezensionslandschaft. Dadurch erreicht die Verzerrung der tatsächlichen Qualität angebotener Produkte ein unüberschaubares Ausmaß. Der Komsument muss sich fragen: Welcher Rezension kann ich trauen? Welcher nicht? Damit wird der eigentliche Sinn der Rezensionen obsolet. Und Amazon selbst schießt sich dabei ein gewaltiges Eigentor. Denn gefälschte Rezensionen können nicht nur die Konsumenten fehlleiten, sondern auch stark die „Karriere“ eines Produkts oder einer Marke negativ beeinflussen. Eigentlich müssten sich Unternehmen zweimal überlegen, ob sie ihr Produkt auch auf Amazon anbieten wollen – aber wer kann es sich schon erleben, beim Monopolisten für Internetshopping zu fehlen? Klar ist jedoch: Langfristig gesehen können falsche Bewertungen auch Amazon selbst schaden.

Die Konsequenzen sind ebenso gigantisch wie dramatisch: Es eröffnet sich ein Markt für Produktbetrügerei, da wahre, verlässliche, auf tatsächlichen Prüfungen basierende, Rezensionen nicht von den gefälschten Bewertungen unterschieden werden können. Der Käufer ist der Dumme, Fehlentscheidungen und Fehlinvestitionen sind die Folge. Eine vertrauensbasierte Orientierung ist nicht mehr möglich. Und all das betrifft Millionen von Internetnutzern.

Nicht nur daher ist die Fälschung einer Rezension laut Christian Oberwetter, Fachanwalt für IT-Recht in Hamburg, kein Kavaliersdelikt:

Die Fälscher verschleiern den Werbecharakter der Fake-Bewertungen. Damit verletzen sie die Interessen von Mitbewerbern und Verbrauchern. Auch ein Verstoß wegen irreführender Angaben kommt in Betracht. Im Einzelfall kann deshalb sogar Betrug vorliegen.

Kann ein Fälscher identifiziert werden, kann das für ihn also ernsthafte Folgen haben. Doch ohne Beweise bleiben sie zumeist unerkannt – daher mahnt nicht nur Oberwetter zur Meldung verdächtiger Rezensionen. Wie man sie erkennt, beschreiben mehrere Internetseiten, unter anderem auch der Fachverlag Galileo Press in einer Erklärung.

 

Foto: flickr/Яick-Harris (CC BY-SA 2.0); Sophie Kröher

Das Geheimnis hinter der Maske

von Nicolai Busch

Es ist sicher kaum möglich, “The Dark Knight Rises“ zu sehen, ohne an Christopher Nolans zweiten Teil der Batman-Triologie zu denken. Wer den 2008 erschienenen Vorgänger erlebt hat, erinnert sich vor allem an eines sehr genau: Ein von tiefen Narben geziertes, weiß-rot geschminktes Gesicht mit grün gefärbten Haaren und gelben Zähnen, flatternde Spielkarten mit Hofnarren darauf und grässlich schallendes Gelächter. In seiner vielleicht brillantesten Rolle als Joker bleibt Heath Ledger für viele unvergessen.

Rückblick – der Joker – das authentische Böse

Auch wer Nolans neuen Batman sieht, wird sich an die Figur des Jokers erinnern müssen. Gerade weil der Joker jenen Typus des bösartigen Widersachers darstellt, den man in “TDKR“ schmerzlich vermisst. Man vermisst den Widerling, der Batman, einen Superhelden, mit durchaus fragwürdigen Motiven und zwiespältiger Identität in den Selbstzweifel treibt. Man vermisst das authentische Böse, das der versnobten Gesellschaft Gothams einen Spiegel vorhält, um sie schließlich ihrer Lügen zu strafen. Und seien wir ehrlich – eine Comic-Geschichte, in der der Held die kriminellen Folgen eines ausufernden kapitalistischen Systems bekämpft, zu welchen er als überaus wohlhabender Unternehmer theoretisch selbst beiträgt, lässt einen Bösewicht vermissen, der diesem Helden seine alberne Maske entreißt. In Erinnerung ist uns Heath Ledger in seiner großartigen Rolle vor allem geblieben, weil wir als Zuschauer erkennen mussten, dass das Böse als lustig geschminkter Psychopath funktioniert, während das Gute Gothams im schwarzen Multifunktionsoverall nur einen halbwegs authentischen Eindruck vermittelt.

Batman – Die irritierende Zwiespältigkeit des Guten

In Nolans aktuellstem Meisterwerk fehlt dieser “Alles-entlarvende-Widersacher“ nicht nur vollständig, er scheint in einer Welt, in der man „nicht mehr neu anfangen kann“, wie Selina Kyle alias Catwoman im Film bald bekennt, auch nicht länger notwendig. Es braucht den entlarvenden Widersacher nicht, weil im letzten Teil der Trilogie die Lüge nicht aus dem Handeln einzelner Personen resultiert. Im neusten Batman-Film ist die Lüge, welche die Gesellschaft vor dem Chaos bewahrt, eine viel größere – ja, eine systemimmanente. Wir erinnern uns, dass es in “TDK“ dem Helden primär darum ging, Verantwortung für das Morden des allerorts geachteten Staatsanwalts Harvey Dent zu übernehmen, um das öffentliche Ansehen und das Moralverständnis der Bürger Gothams nicht zu gefährden. Im aktuellsten Werk Christopher Nolans scheint dieselbe Moral der Menschen nun allein von der Erhaltung eines sich auch außerfilmisch in der Legitimationskrise befindenden Finanzsystems abhängig. In “TDKR“ ist es nicht die Moral und auch nicht das Leben, es ist das kapitalistische System, an das sich der Held und die Bewohner Gothams klammern, während der Bösewicht Bane mit der atomaren Vernichtung Gothams droht. Und es ist der Milliardär Bruce Wayne, der als Märtyrer lieber selbst draufginge, als dass eine bürgerliche Revolution die Welt auslöscht und damit den amerikanischen Liberalismus beendet.

Die Apokalypse als einzige Lösung der Systemkrise im Film

Was die im neuen Batman stattfindende, sozialistische Revolution selbst betrifft, so bedeutet diese scheinbar nicht mehr und nicht weniger als die ultimative Zerstörung Gothams und damit die Zerstörung jeder möglichen Form eines gesellschaftlichem Systems. Schnell wird deutlich: In Nolans letztem Streich ist der Feind nur ein hoffnungsloser, sozialistischer Terrorist, dem die Zerstörung allen Lebens näher liegt, als irgendeine neue, gesellschaftliche Ordnung zu etablieren oder das alte System zu reformieren. Schon der Philosoph und Kulturkritiker Slavoj Zizek hat 2005 darauf aufmerksam gemacht, dass es Hollywood heute näher liegt, den Planeten Erde durch einen fiktiven Kometen oder einen Virus in Schutt und Asche zu legen, als den Weg aus der Systemkrise, oder eine Debatte konträrer politisch-wirtschaftlicher Vorstellungen spannend zu inszenieren. Der seit jeher beliebte Endzeitfilm liegt wieder voll im Trend, auch weil die westliche Bevölkerung kontinuierlich jegliche Hoffnung auf eine politische Lösung der Krise verliert.

Das Motiv der Maske bei Brecht und Nolan

Das war nicht immer so: Vor langer Zeit vertrat einmal ein deutscher Dramatiker die Vorstellung, ein Schauspiel müsse die Zuschauer dazu bewegen, die Gesellschaft zum Besseren zu verändern. Dieser Dramatiker ließ seine Schauspieler bewusst aus der Rolle fallen und veranlasste sie unter anderem dazu Masken zu tragen, was einen kritischen Abstand zwischen Zuschauer und Figur zur Folge haben sollte. Die Rede ist selbstverständlich von Bertolt Brecht und dessen Idee des epischen Theaters. Anders als bei Brecht dient die Maske im Hollywoodfilm nur scheinbar der Verfremdung der Figur und viel eher der Verfremdung einer durch die Figur verinnerlichten Ideologie. Bei Nolan scheint der sympathische Milliardär Bruce Wayne so sehr mit der kapitalistischen Idee verhaftet, dass es für den Zuschauer unmöglich wird, jener Idee noch kritisch entgegenzutreten. Wenn in “TDKR“ der maskierte Held die Welt rettet, verliert sich die kritische Distanz des Zuschauers in der tragischen Darbietung eines in jedem Fall unausweichlichen und unveränderbaren Schicksals. Im Moment da Gotham die Auslöschung droht, spielen auch der soziale Kontext und die wahren Motive des die Menschheit rettenden Finanzjongleurs genauso wenig eine Rolle, wie jene des Widersachers und Revolutionärs Bane. Im Moment des Abspanns zählt allein die Freude über das gerade erlebte, 250 Millionen Dollar teure Actionabenteuer. Und erst wenn im Kinosaal das Licht angeht, kommt dem ein oder anderen vielleicht der Gedanke an eine großartige These des Philosophen Guy Debord: „Das Spektakel ist das Kapital in einem solchen Grad der Anhäufung, dass es zum Bilde wird.“

 

Fotos: flickr/morningmagician (CC BY 2.0) ; flickr/morningmagician (CC BY 2.0)

„Ich bin dagegen – vielleicht.“ Das Phänomen Slacktivism

von Sebastian Luther

Prätentiös, heuchlerisch, herablassend. Die Idee von den „Slacktivists“ hat keine besonders gute Konnotation. Menschen, die auf Facebook ihren Avatar mit Protestbuttons versehen, Aufrufe zu Demonstrationen posten und Videos von PETA oder Greenpeace teilen, geraten schnell in den Ruf, ein Slacktivist zu sein. Wo jedoch gerne mal vorschnell pauschalisiert und verunglimpft wird, hilft ein zweiter Blick.

The revolution will not be tweeted.

Beispiele hat das WWW wie immer in Hülle und Fülle zu bieten: K 21 „Oben Bleiben“, „Atomkraft? Nein, danke.“, Tankstellenboykott, Protestvideos. Das sind nur ein paar Erscheinungsformen des Internetprotests, dessen Autorität oft mit der Anzahl der Ausrufezeichen im Titel gesteigert werden soll. Derartige Aufrufe oder politische Statute finden sich auch auf anderen Social Media Seiten wie Twitter oder Google+. Es ist ein weit verbreitetes und sehr beliebtes Phänomen, seinen Willen für oder gegen etwas auszudrücken, indem man die korrespondierende Seite aufsucht und sein virtuelles Gefallen ausdrückt, auf die ein oder andere Weise. Eine Protestform, die die Gemüter wohlstandsverwöhnter, pseudopolitischer Bürger der Industrieländer beruhigen soll, die an sogenannten „first world problems“ seelisch scheitern und ihr Innenleben dann stripteaseartig auf Blogs ausbreiten. Slacktivists eben, Salonmarxisten, die von der Revolution schwärmen und die von einer Wolke des Nachhaltigkeitsgefasels umgeben sind, wie Fischkutter von Möven, auf der anderen Seite jedoch zu sehr vom aktuellen, unfairen Status der Welt profitieren, als dass sie ihn ernsthaft ändern wollten. Maßnahmen, die im Spenden per SMS gipfeln und eine kognitive Konsonanz herstellen sollen, die der Überhöhung dient, um sich in umgekehrter Weise von ‚denen‘ im soziokulturellen Diskurs abzugrenzen, die nichts unternehmen. So, oder so ähnlich, sieht zumindest die eine Seite der Medallie aus.

„Art won’t save the world…“

Worüber sich viele aufregen, muss ja nicht zwangsläufig schlecht sein. Denn Massen können viel bewegen, das gilt in Web 2.0 Zeiten noch viel eher, als in anderen. Und wenn in Indien auf ein Mal 500.000 Menschen eine Petition im Netz unterzeichnen, dass Korruption besser bekämpft werden soll, dann ist das eine Zahl, die Politiker nicht ohne weiteres ignorieren können. AVAAZ, ein Kampagnennetzwerk, das durch Petitionen weltweit politische Entscheidungen zu beeinflussen sucht, listet unter  ‚highlights‘ diesen und andere eindrucksvolle Fälle auf, für die alle das selbe gilt: Es ist egal, wie sehr die einzelnen Personen davon überzeugt sind, oder ob sie weitere Maßnahmen ergreifen, zu sehen ist nur ihre absolute Willensmarkierung. Darüber hinaus hat der oftmals gescholtene Slacktivism noch mehr positive Effekte. Wie die Infografik von sortable.com zeigt, wirkt sich der vermeintliche Aktivismus auch auf Mitmenschen aus, ‚Slacktivists‘ sind eher bereit zu spenden und sich für eine Sache freiwillig zu melden, also Dinge zu tun, die über das hinausgehen, was  weitläufig als Slacktivism bezeichnet wird. Auch aus der Sicht von Hilfbedürftigen oder Hilfsorganisationen wird die Thematik in ein anderes Licht gerückt. Für sie ist es schließlich nur von peripherem Interesse, warum Personen spenden, solange sie es tun.

„… go volunteer at a soup kitchen, you pretentious fuck.“

Diejenige Person, die die Zettel mit eben jener Aussage aufgehangen hat, mag nicht ganz unrecht haben. Denn selbst wenn Menschen spontan anfangen, zu spenden, oder eine Sache im Netz zu verbreiten, so ist es immer noch erschreckend, wie leicht sie sich von etwas überzeugen lassen, nur um es vorsichtig auszudrücken. Es dauerte eine Weile, bevor die ersten kritischen Stimmen zu KONY 2012 laut wurden (media-bubble.de berichtete) und die Unterstützung war dennoch überwältigend. Es stellt sich hier die Frage, ob User im Allgemeinen überhaupt bereit sind für eine derartige Politisierung ihres Habitats. Denn der Computer, bzw. das Internet, sind und bleiben für viele ein Spielplatz, ein Ort der Selbstfindung gewissermaßen, wenn sich disparate Teilöffentlichkeiten auf special interest Foren austauschen, oder andere Formen der Gemeinschaft zelebrieren. Es ist ein schwieriger und gefährlicher Prozess, wenn Virtualität und Realität enger verwachsen und Aktionen in der einen Welt immer höhere Wellen in der anderen schlagen können, ohne dass man sich dieser Relationen bewusst ist. Es ist eine Form der Konvergenz, deren Regeln und Ergebnis wir nicht kennen und die uns trotzdem in unverminderter Härte treffen wird.

Foto: flickr/Johannesen (CC BY-NC-SA 2.0), flickr/Shandi-lee (CC BY-NC-ND 2.0)