Fans & Fiktionen – Ein Treffen unter Fans

von Sanja Döttling

Das Internet bietet mit seinen zahlreichen Vernetzungsmöglichkeiten alles, was das Fan-Herz begehrt. Moment mal – wirklich alles? Denn hin und wieder brechen auch noch die Digital Natives zu realen Treffen mit gleichgesinnten Fans auf. media-bubble.de ist live dabei – Auf der „Queer as Folk“-Convention in Köln!


Sieben Jahre ist es her, seit die letzte Folge der amerikanisch-kanadischen Serie „Queer as Folk“ ausgestrahlt wurde. Die Serie drehte sich um das Leben und Lieben einer homosexuellen Clique in Pittsburgh. Das Remake der englischen Serie war schnell erfolgreicher als das Original und wurde fünf Jahre lang ausgestrahlt. Die Serie bekam gemischte Kritik: Auf der einen Seite lobten viele die Serie als die erste mit schwul-lesbischen Lebensgefühl, andere sehen die klischeehafte Darstellung der schwulen Feier-Mentalität und die Übertragung von heterosexuellen Männer- und Frauenrollen auf homosexuelle Beziehungen kritisch.

Trotz allem ist „Queer as Folk“ ein Meilenstein der Fernsehgeschichte. Es ist die erste Serie, die fast den gesamten Hauptcast aus homosexuellen Charakteren aufstellt. Sie beschäftigt sich auch mit sozial relevanten Themen wie Homophobie, HIV und AIDS, Coming-Out, und Regenbogenfamilien.

 

Doch die fünf Staffeln der Serie sind den Fans nicht genug: Nächstes Wochenende startet in Köln die „Rise’n Shine“-Convention zur Serie. Es werden sich aber nicht nur Fans aus Deutschland  im Maritim-Hotel treffen, auch die Schauspieler werden kommen. Dabei hält sich die Veranstaltung auch an den zweigeteilten Grundton der Serie. Zum einen wird gefeiert, es gibt Autogramme, Fotogelegenheiten und Q&As (Fragerunden) mit den Stars. Auf der anderen Seite wird „Rise’n Shine“ auch einen ernsteren Unterton haben. Wie in der Serie werden Themen wie Mobbing, der Umgang mit Vorurteilen und Homophobie aufgegriffen.

Unter Gleichgesinnten

Zu den Teilnehmern der Convention gehört auch Faina. Sie geht in Lingen zur Schule und hat von der Convention über die Social Network-Plattform vk.com erfahren. Sie ist seit über einem Jahr Fan der Serie Queer as Folk. „Es ist einfach so mitreißend, man ist da irgendwie mittendrin vom Anfang an.“ Es ist die erste Serie, die sie sich durchgängig anschaute. „Hier sind die Story und die Charaktere ein Meisterwerk an sich. Außerdem ist die Serie doch recht ungewöhnlich und sehr spannend“, sagt sie.

Auf der Convention hat man die einzigartige Möglichkeit, die Schauspieler und Idole einmal hautnah zu erleben. Das hat natürlich auch seinen Preis: 200 Euro kostet eine der billigsten Varianten für zwei Tage, mit einem Schauspielerfoto. Wer zusätzlich noch Autogramme von den Schauspielern oder eine Partynacht mitbuchen will, zahlt extra.  Für 850 Euro gibt’s die Luxusvariante mit allen erdenklichen Vorteilen.

Viel Geld, auch für die Schülerin Faina. „Tja,und die Frage mit dem Preis ist schon etwas ’schmerzhaft'“, sagt sie, „aber dafür ist es einmalig und Köln ist ja so nah. Ich meine, die hätten die Convention auch gut in Los Angeles veranstalten können. Und da sie hier ist, möchte ich schon dabei sein.“

Auf welchen Teil der Veranstaltung sie sich am meisten freut? „Ich glaube, das Orga-Team hat seine Arbeit so gut geleistet, dass man sich auf die Con als Ganzes freuen kann. Und ein Stück weit lassen wir uns ja auch gern überraschen!“ sagt sie.

Zusammen Fan sein

Conventions haben seit jeher einen sozialen Faktor. Sie bieten die Möglichkeit, sich mit anderen Fans auszutauschen und Ansichten zu teilen. Seit der ersten „World Science-Fiction Convention“ 1939 sind solche Treffen fester Bestandteil der Fan-Communities. In den 60er Jahren kamen die ersten Star Trek Conventions hinzu, heute gibt des die Treffen zu allen Filmen und Serien, wie zum Beispiel My little Pony und Doctor Who.

Auch für Faina wird nächstes Wochenende das Treffen mit Gleichgesinnten eine Rolle spielen. „Man lernt ja auch neue Leute kennen durch so was, das ist ja auch nicht gerade unwichtig“, sagt sie. Faina wird alleine zur Convention gehen – es dort aber nicht lange bleiben. Sie sagt: „Wir haben vor, uns als russische Gruppe irgendwo zu treffen und dann gemeinsam unterwegs zu sein, aber ich weiß nicht so genau inwieweit das bei der Menge an Leuten umsetzbar sein wird.“

Was sonst noch auf der Rise’n Shine-Convention in Köln passieren wird, erfahrt ihr live ab Donnerstag hier auf media-bubble.de!

Neuer Blickwinkel mit Megafon

von Sandra Fuhrmann

Im Grunde sind wir alle Beobachter. Ich selbst beobachte Tübingen, seit ich vor einem Dreivierteljahr in die Stadt gezogen bin – und die Stadt hat sicher ihre Eigenheiten. Heute bin ich weniger gekommen um zu beobachten, als um zuzuhören. Auf der kleinen Terrasse des Tübinger Landestheaters (LTT) warte ich auf Maria Viktoria Linke, die leitenden Dramaturgin des LTT, und die Autorin Sandra Hoffmann. Sie haben mich eingeladen, um mir von „Megafon“, ihrem gemeinsamen Projekt, zu erzählen. Während ich dort so sitze, fällt mir auf, dass ich die einzige Studentin im Restaurant zu sein scheine. Ein in Tübingen eher seltenes Erlebnis. Ich bin gespannt, welche Perspektive auf die Stadt meine beiden Gesprächspartnerinnen bei ihren Beobachtungen gewonnen haben.

„Megafon – Tübingen hallt und schallt“, so das Motto des Projekts. Seit September des vergangenen Jahres haben Maria Viktoria Linke und Sandra Hoffmann Stimmen gesammelt oder diese aus der Stadt „herausgelockt„. Sie haben sich in Tübingen umgeschaut und vor allem umgehört. Dann haben sie das, was sie zusammengetragen haben, „umgewälzt“ und  dabei ganz unterschiedliche Perspektiven entdeckt.

 Auf der anderen Seite des Neckars

An diesem Tag nehme ich selbst einmal eine andere Perspektive ein. Ich bin auf der anderen Seite des Neckars. „Hierhin verirren sich die Studenten eher selten“, sagen die beiden Organisatorinnen und bestätigen damit meine eigenen Beobachtungen. Während ich mir einen Kaffee bestelle, reden wir über das Megafon-Projekt. Und während die beiden erzählen, spüre ich, wie viel sie sich in den vergangenen Monaten durch das Projekt mit der Stadt und ihren Bewohnern auseinandergesetzt haben.

Zum Programm: Megafon – was ist das eigentlich? „Ein offenes Sprachrohr“, könnte man antworten. Beim Projekt „Megafon“ wird ganz Tübingen zu einem Sprachrohr. Hoffmann hatte die Idee, die Leserbriefe des Tübinger Tagblatts als eine Art „Seismograf“ für das zu verwenden „was Tübingen ist“. Teilweise sei es ein richtiggehender Kampf, der in diesen Briefen ausgefochten werde und das zeige spannende Seiten der Stadt. „Die Stadt hat interessant reagiert“, berichtet die Autorin, „es gab viele Fragen und enormen Einspruch und Zorn. Zorn darüber, dass wir die Stadt beobachten, dass wir diese Leserbriefe lesen und dass wir sie möglicherweise theatral verwenden.“ Linke vermutet: „Es war die große Angst vor Verarschung.“

Die Ohren gespitzt

Maria Viktoria Linke und Sandra Hoffmann haben ein Dreivierteljahr lang „Tübingen gehört“. Das Gesammelte soll am 22. Und 23. Juni in ein großes Theaterspektakel münden. Die Abende werden je aus zwei Teilen bestehen. Im ersten Teil wird es einen Gang durchs Theater geben, bei dem in Form theatraler Einlagen und verschiedener Lesungen dokumentarisches zu sehen und zu hören sein wird.  Das, was aus dem Gesammelten entstanden ist, wird im zweiten Teil des Abends als eine „Groteske“ oder „Materialkollage“ zu sehen sein. Dabei soll es nicht um eine dokumentarische Darstellung der Stadt gehen. „Theaterstück“ sei auch der falsche Name dafür – zum Beispiel bestehe das Stück nämlich nicht aus einzelnen Akten, so Hoffmann.

Die Straße hinter der Straße

Zum einen geht es bei Megafon darum, eine Stimmenvielfalt der Stadt sichtbar zu machen. Zum anderen hoffen die Organisatorinnen vielleicht etwas „Tübingen-Spezifisches“ zu finden, „das hier ist anders als anderswo“, heißt es auf der Internetseite des Projekts.

Was ist hier denn anders als anderswo? frage ich. „Erzählen Sie doch mal, was anders ist. Das würde uns gleich interessieren.“ lacht Maria Viktoria Linke. Als ich nach Tübingen kam, erinnere ich mich, da kam mir erst einmal vieles „anders“ vor als in anderen Städten. Vielleicht erschien mir dieses „anders“ zu Anfang ein wenig fremd – und bekanntermaßen neigen wir Menschen dazu, Fremdes mit großem Misstrauen zu beäugen. Aber was ist Tübingen denn eigentlich? Schaut man auf das Ortsschild, ist es zuerst einmal eine Universitätsstadt. Es sind die Studenten, die Tübingen zur Stadt mit dem niedrigsten Altersdurchschnitt in ganz Deutschland machen. Tübingen hat keine Universität – Tübingen ist eine Universität.

Hinter Tübingens Kulissen

Und weil ich in meinem Medienwissenschafts-Studiengang stecke, schaue ich auf die vielen verschiedenen Wege, die die Organisatoren in den letzten Monaten gegangen sind, um hinter die Kulissen der Stadt zu blicken. Es wurden Briefe gelesen, Interviews geführt, Radiobeiträge erstellt und eine Website mit einer Hotline extra für das Projekt eingerichtet. Die letzten beiden „knackigen“ Wochen im Juni sollen von einem Blog zum Projekt begleitet werden. Ich frage, welche Rolle diese Multimedialität im Projekt spielt. „Sie ist ein Teil davon, aber nicht unser Hauptaugenmerk“, sagt Linke. „Ich habe auch schon Projekte gemacht, die eindeutig medienbasiert waren. Bei Megafon sind wir eher ein bisschen retro. Vor allem ging es uns um eine große Offenheit.“

Vielleicht könnte in dieser Hinsicht, so haben die beiden gelernt, Tübingen ein bisschen weniger Ernsthaftigkeit und ein bisschen mehr Ironietolleranz nicht schaden. Die Sorge von manch einem „verarscht“ zu werden, sei völlig unbegründet. „Wenn man Leute nicht ernst nimmt, dann beschäftigt man sich auch nicht mit ihnen“, findet Linke. Und mit der Stadt beschäftigt haben die beiden sich in den vergangenen Monaten zur Genüge. 

Tübingen und ich

Während ich den Artikel schreibe, wird mir bewusst, dass tatsächlich viel Wahrheit hinter den Worten der Dramaturgin steckt. Ich glaube, dass Beobachten etwas ist, das man lernen kann. Aber nur, wenn man lernt, bewusst zu beobachten. Vielleicht habe ich während des Schreibens gelernt, „mein Tübingen“ hinter „dem Tübingen“ zu sehen und die Stadt auch ein wenig ernster zu nehmen.

Aber halt! Es ist noch nicht Schluss mit Beobachten. Denn Sandra Hoffmann und Maria Viktoria Linke werden noch ein wenig weiter sammeln – beziehungsweise sammeln lassen. Vom 11. bis zum 16. Juni werden etwa zwöft Tübinger Autoren ihre stillen Kämmerlein verlassen und sich an den sogenannten „Tübinger Schreibtischen“ in der Stadt verteilen, um einfach nur zu sehen und das Gesehene aufzuschreiben. Ich werde losziehen und die eigentlich stummen Beobachter ein wenig zum Quatschen bringen. Vielleicht sind wir am Ende überrascht, auf was sie so stoßen. Das Ergebnis wird wieder auf media-bubble.de zu finden sein.

Die beigefügten Bilder wurden von Jan Andreas Münster speziell für das Megafon-Projekt aufgenommen.

… bis die Blase platzt!

„… bis die Blase platzt!“ ist das Motto von media-bubble.de. Wir haben unseren Slogan beim Wort genommen und drei Videos gedreht, die äußerst sehenswert sind. Viel Spaß!

Geheimnisse der zweiten Dimension

von Sebastian Luther

In Japan Gang und Gäbe, hierzulande noch eine Rarität: QR-Codes. Ursprünglich zur Identifikation von Produktionsteilen in der Autoindustrie entwickelt, haben sie sich in Europa bislang nicht durchsetzen können. Doch wie funktionieren sie? Was kann man damit machen? Und werden sie sich hier noch etablieren?

Wo euch dieser QR-Code wohl hinführt? Einfach einmal einscannen.

Vom Barcode zum QR-Code

QR-Codes gehören zu den sogenannten zweidimensionalen Codes und wurde im Jahr 1994 von der japanischen Firma Denso Wave entwickelt, um die Zulieferarbeit mit dem Autohersteller Toyota zu vereinfachen. QR steht für quick response, womit der Abruf, bzw. die schnelle Anzeige von Informationen gemeint ist, die online gespeichert sind. Im Gegensatz zu eindimensionalen Strichcodes werden Daten hier in zwei Dimensionen, also entlang der horizontalen und der vertikalen Achse, codiert, sodass die Speicherkapazität sich wesentlich erhöht. So können in QR-Codes alle möglichen Daten gespeichert sein, von einfachen Texten, über E-Mail Adressen, Links zu Webseiten, bis hin zu dem Befehl, eine MP3 abzuspielen, oder ein Video zu starten. Besonders praktisch an ihnen ist, dass sie jeder herstellen kann: Alles, was man dazu benötigt, ist ein QR Generator, wie es sie im Internet zur kostenfreien Nutzung gibt. Auslesen kann die Codes jedes Mobiltelefon mit Kamera und der entsprechenden Software – die es auch umsonst im Netz gibt. Dass der QR-Code den gewohnten Strichcode auf Verpackungen demnächst ablösen wird, ist nicht zu erwarten, da letzterer seinen Dienst noch anstandslos erfüllt. QR-Code ist aber nicht QR-Code: So gibt es etwa DataMatrix-Codes, die auf Briefmarken eingesetzt werden, und Aztec-Codes, die auf Bahn- und Flugtickets zum Einsatz kommen.

Für welches Problem war QR noch gleich die Lösung? Museen, Marketing und Safer Sex

Sind QR-Codes die Visitenkarten der Zukunft?

Seit ihrer Entwicklung in Japan konnten sie sich vor allem dort und in den USA durchsetzen, wo man sie auf Werbeplakaten, Visitenkarten oder Verpackungen findet. Die japanische Einwanderungsbehörde benutzt die zweidimensionalen Codes sogar für Aufenthaltsgenehmigungen und Visa. Auch in Deutschland sieht man sie immer häufiger, der Anklang ist bisher jedoch eher verhalten. Die FH für angewandte Wissenschaften Schmalkalden mag eine steigende Akzeptanz zwischen 2009 und 2010 beobachtet haben, hat jedoch nicht nach regelmäßiger Benutzung gefragt, sondern ob überhaupt schon einmal ein Code gescannt wurde. Bedingt durch die unglückliche Fragestellung konnten die Zahlen nur steigen, zur Nutzung in Deutschland gibt es bislang kaum verlässliche Daten. An Gebieten, wo sie zur Anwendung kommen könnten, mangelt es dabei nicht. Neben den oben genannten Bereichen, gibt es sehr kreative Möglichkeiten, QR-Codes einzusetzen. Der österreichische Blog viermalvier berichtet von Museen in Cleveland, Ohio, in Stuttgart und in Derby, England, wo die Codes zu Werbe- oder Austellungszwecken zum Einsatz kamen. Ein französischer Bauer bedruckte gar seine Kühe mit riesigen Codes, um Werbung für seine Produkte zu machen. In Stockholm wurde 2011 eine clevere Kampagne gestartet, um für Safer Sex zu werben. Es wurden 50,000 Kondome verteilt, auf deren Packungen ein QR-Code gedruckt war. Mittels dieses Codes konnte man sich eine App herunterladen, die, kurz vor dem Sex gestartet, den Bewegungsverlauf, Lautstärke der Geräusche und natürlich die Dauer aufzeichnete. Auf der dazugehörigen Webseite konnte man ein Nutzerprofil erstellen, anonymisiert versteht sich, und so ergaben sich humorvolle Ergebnisse, wie etwa „Romantische Punks sind am lautesten“ oder „Unruhige Brünette werden immer langsamer“.

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt

Neben solchen harmlosen, kreativen Möglichkeiten lassen sich QR-Codes aber auf für allerlei Unsinn missbrauchen. Einer der einfachsten Möglichkeiten wäre, dass der gespeicherte Link auf eine Phishing-Webseite führt, um sensible Daten abzugreifen – den man sieht einem QR-Code nicht an, was sich dahinter verbirgt. Zudem lassen sich über die programmierten Befehle auch Manipulationen am Gerät vornehmen, damit Nutzerdaten gesammelt, oder Schadprogramme herunterladen werden können, ohne das Wissen des Benutzers. Die Liste möglicher Sicherheitsrisiken ist lang, wie der Professor für Wirtschaftsinformatik Oliver Brendel auf der schweizerischen Webseite netzwoche.ch beschreibt. Entsprechende Maßnahmen sind mittelfristig notwendig, da QR-Codes zwar vielleicht nicht der Weisheit letzter Schluss sind, ein vergleichbares System in Zukunft aber Visitenkarten und Kontaktdaten in gedruckter Form komplett überflüssig machen könnte. Spätestens dann, wenn wir alle im Orwell’schen Sinne erfasst, nummeriert und erkennbar gemacht wurden, sollten wenigstens die Sicherheitslücken gestopft sein.

Foto: flickr/ul_Marga (CC BY-NC-ND 2.0); QR-Code: www.qrcode-generator.de

GEMA vs. Youtube

von Sebastian Seefeldt

Nicht ganz so geil fand es wohl die Band Deickind, als statt ihrem Musikvideo zu ihrer eigenen Single „Leider Geil“ ein trauriger, roter Quadratschädel auf YouTube zu sehen war. Genervte Youtube-Benutzer verschreien die GEMA schon als getarnte Zensurbehörde – woher kommen nun diese ominösen YouTube-Sperren?

Die Kontrahenten

Dass die GEMA die alleinige Schuld an den gesperrten Videos auf YouTube trägt, ist ein urbaner Mythos. Zunächst sperrt nicht die GEMA die Videos, sondern YouTube selbst. Der Grund für den Streit zwischen Google-Tochter und Verwertungsgesellschaft sind 12 Videos, die die GEMA aus dem Netz getilgt sehen möchte, unter anderem „Rivers of Babylon“. Da sich GEMA und Google nicht auf ein Vergütungsmodell einigen konnten, klagte die GEMA zu Beginn des Jahres gegen die Videoplattform. Der Kernpunkt des Streits scheint die Frage zu sein, ob es sich bei der Plattform um einen Content Provider, also einem Service, der auf Abruf multimediale Inhalte zur Nutzung bereitstellt, handelt oder nicht – denn an diese Frage ist die Vergütungsform geknüpft. Interessanterweise wird hier keine Urheberrechtsdebatte im Sinne von ACTA und Co. geführt, letztendlich scheint sich alles um das Geld zu drehen.

Die Streitfrage

Die GEMA sieht die Google-Tochter als klassischen Content Provider und fordert daher eine Vergütung pro abgespielten Clip. YouTube hingegen schlägt ein Modell vor, dass die Künstler prozentual an den Werbeeinnahmen beteiligen würde – ähnlich wie im Rundfunk.

Paradoxerweise hat sich YouTube mit anderen, GEMA ähnlichen Institutionen, wie der PRS in Großbritannien, auf das Vergütungsmodell pro Click geeinigt – also ganz so, wie die GEMA es fordert. Somit gibt Google indirekt selbst die Antwort auf die Frage nach dem Bezahlmodell.

Vergleicht man jedoch die Summen, die die Verwertungsgesellschaft in Großbritannien erhält und den Betrag, den die GEMA – gerüchteweise – fordert, wird auch klar, wieso Google versucht sich als „Rundfunkanstalt“ zu staffieren. Die PRS erhält pro 1 Millionen Klicks im Schnitt 118,50 Euro. Die GEMA fordert, angeblich, das 20-fache. Sie argumentiert dabei mit ihrem rechtlichen Auftrag, den Künstler für die Nutzung ihrer Werke angemessen zu entlohnen. Laut Google sind die Forderungen allerdings übertrieben. Auszahlungen in diesem Ausmaß würden das Geschäftsmodell zerstören – aber ist ein Geschäftsmodell gerechtfertigt, dass zu Lasten der Künstler geht? Laut Gerichtsurteil: nein. YouTube ist daher seit Beginn des Jahres dazu verpflichtet, seine Useruploads zu überwachen  und im Falle, dass der Künstler einen Vertrag mit der GEMA eingegangen ist, das Video für Deutschland zu sperren – auch wenn der Upload von der Band selbst stammt. Doch nicht nur Musikvideos sind im Visier der GEMA, letztendlich soll jeder Clip gesperrt werden, der Inhalt eines „GEMA-Musikers“ enthält.

Die Vergessenen

„Sooo, ‚Leider geil‘ ist jetzt auch gesperrt. Ob Plattenfirma, YouTube oder GEMA, egal wer dafür verantwortlich ist. Wir wollen, dass unsere Videos zu sehen sind. Regelt euren Scheiß jetzt endlich mal und macht eure Hausaufgaben. Ihr seid Evolutionsbremsen und nervt uns alle gewaltig.“

Wenn ein Rechtstreit damit endet, dass den Künstlern die Möglichkeit zur Selbstinszenierung genommen wird, muss eine Lösung her. Schließlich ist die eigene Musik doch die beste Werbung – vor allem für Bands wie Deichkind, die den Großteil ihrer Einnahmen durch Liveauftritte erhalten.

Die Netzgemeinde hat mittlerweile ihren ganz eigenen Weg gefunden, mit dem Debakel umzugehen: Browser Plug-ins wie ProxTube erlauben es, geblockte Videos zu entsperren. Hierzu wird die eigene IP über einen Proxyserver umgeleitet. So wird YouTube glaubhaft gemacht, dass der eigene Rechner in Amerika, also einem „GEMAfreien“ Land, stehen würde.

Die Konsequenz

Das Ergebnis des Zusammentreffens von Verwertungsgesellschaft und Google-Tochter ist ernüchternd: Geld bekommt keiner – nicht einmal 118,50 Euro für 1 Millionen Klicks. Die User sehen sich die Videos trotzdem an und für Künstler wird der Kontakt mit dem Konsumenten unnötig kompliziert. So können wir nur über Umwege ihr Produkt – ihre Kunst – betrachten, die uns eine Kaufentscheidung deutlich erleichtern könnte. YouTube und GEMA streben mittlerweile eine Klärung in letzter gerichtlicher Instanz an, laut Experten werden sich die Verhandlungen über sechs bis zwölf Monate ziehen – sechs bis zwölf Monate in denen die Künstler keinen Cent von YouTube bekommen werden.

Fotos: flickr/muskelberg (CC BY-NC-SA 2.0)

„Ich hätte Nemo in einer Popcorntüte versteckt.“

von Sandra Fuhrmann und Sebastian Seefeldt

Werbung – das ist Verführung, Persuasion und Belästigung. Zumindest für einen ist sie jedoch noch etwas anderes – nämlich Faszination.

Prof. Guido Zurstiege sagt: „Werbung ist und bleibt Beihilfe zur Selbsttäuschung.“

Guido Zurstiege (Jahrgang 1968) ist Professor am Tübinger Institut für Medienwissenschaft mit dem Forschungsschwerpunkt empirische Medienforschung. Mit media-bubble.de sprach er über neue Dimensionen der Verführung und darüber, was Nemo in einer Popcorntüte zu suchen hat.

Herr Zurstiege, Sie erforschen Werbung wissenschaftlich. Beißt sich die Werbeindustrie an Ihnen die Zähne aus?

Nein. Ich bin vor Werbung nicht gefeit.

Die von Ihnen organisierte Ringvorlesung in diesem Semester hat aber das Thema „neue Werbung“. Was ist das neue an der neuen Werbung?

„Neue Werbung“ ist zunächst einmal das alte und immer wiederkehrende Versprechen der Werbung sich täglich neu zu erfinden. Darüber hinaus haben sich aber natürlich in den vergangenen Jahren auch Dinge grundsätzlich geändert , die es rechtfertigen, von neuer Werbung zu sprechen. Neue Werbung begegnet uns in Neuen Medien, sie produziert neue Daten und hat es mit neuen Rezipienten zu tun.

Stichwort Personalisierung: Der Onlineaktivist Eli Pariser zeichnet in seinem Buch „The Filter Bubble“ eine Zukunft, in der Menschen durch Gesichtserkennung auf sie zugeschnittene Werbung präsentiert bekommen. Leben wir schon in dieser Zukunft?

Technisch ist das absolut möglich – juristisch nicht in dem uneingeschränkten Maße, wie es uns die Feuilletons nahelegen. Im Hinblick auf den gläsernen Konsumenten bewegen wir uns aber auf ein ähnliches Szenario zu. Man muss ja gar nicht erst sein Gesicht scannen lassen, um „durchleuchtet“ zu werden. Josef Turow beschreibt in seinen Buch „The Daily You“ das Vorgehen der professionellen Datensammlungsindustrie: Daten, die Sie auf Facebook hinterlassen oder Daten, die Sie mit Ihrer persönlichen Signatur versehen, werden gesammelt und verknüpft – überall hier werden wir durchleuchtet und gescannt, wenn Sie so wollen.

Fühlen sie sich selbst als gläserner Konsument?

Mehr jedenfalls, als mir lieb ist.

Besonders im Internet spielt Personalisierung eine große Rolle – sehen sie eine Verknüpfung zwischen neuer Werbung und Personalisierung?

Die Werbekommunikation strebt seit dem 19. Jahrhundert Personalisierung  als Leitwert ihrer Kommunikation an – heute hat sie aber viel mehr Mittel als früher, dieses Ziel zu erreichen.

Neben der Personalisierung, die uns ja nahezu verfolgt, gibt es aber auch neue Werbeformen, die von uns ganz gezielt gesucht werden …

Die Angst vor dem digitalen Videorekorder, der Werbung herausfiltern sollte hat die Werbeindustrie geradezu angestachelt, nach neuen Werbewegen zu suchen  – Werbung, die sich nicht aufdrängt, sondern gesucht wird. Anfang der 2000er erzeugte besonders eine Kampagne Aufmerksamkeit: „The Hire“ von BMW. Hier wurden in Kooperation mit renommierten Regisseuren und Stars Kurzfilme gedreht und online gestellt. Denken Sie aber auch an dem Spot „The  Force“ von Volkswagen. Der wurde rund 53. Mio mal gesehen – auf YouTube!

Hier hätten wir eine Form von Branded Entertainment – aber in letzter Zeit kursieren immer mehr Videos im Internet die die Sensationslust der Menschen ansprechen indem sie beispielsweise unterhaltsame Geschichten erzählen. Diese Kampagnen haben oft extreme Klickzahlen – das Zauberwort lautet Virales Marketing.

Virale Kampagnen sind radikaler, krasser, lauter, als alles, was wir aus anderen Medienumgebungen kennen. Fernsehwerbung musste lustig sein, damit die Leute hingeschaut haben, ok. Virale Kampagnen aber müssen weitergeschickt werden, um ihre Wirkung zu entfalten und damit das geschieht müssen sie viel, viel „lauter“ sein als herkömmliche Spots oder Anzeigen.

Radikal, krass und aufsehenerregend geht aber auch mit günstigeren Mitteln. Wir haben dazu ein Beispiel mitgebracht. Was fällt Ihnen spontan zu dieser Form von Werbung ein (siehe Foto)?

Ich mag Sushi sehr gerne, aber das würde ich niemals essen.

Schlechte Werbung für den Sushi-Koch also. Aber wie sieht es für die Kinos oder die Filmproduzenten aus? Es soll ja in erster Linie eine Werbung für „Findet Nemo 2“ sein.

Ich hätte Nemo in einer Popkorntüte versteckt – nanu, da ist ja ein Fisch drin!

„Werbung ist und bleibt Beihilfe zur Selbsttäuschung.“

Diese neuen Formen sind dadurch, dass wir sie selbst suchen, eine besonders heimtückische Art von Werbung. Die Wahrscheinlichkeit, dass man vergisst, dass man als Rezipient manipuliert werden soll, ist hier sehr hoch.

Werbung ist und bleibt Beihilfe zur Selbsttäuschung. Wer manipuliert hier eigentlich wen?

Dieses Wissen um die Selbsttäuschung haben wir als Erwachsene. Aber wie gehen Sie als Vater mit dem Problem um? Lassen Sie ihre Kinder jede Art von Werbung ansehen oder selektieren Sie und überwachen das Rezeptionsverhalten Ihrer Kinder?

 Meine Kinder sind noch jung – viereinhalb und anderthalb Jahre. Aber ich sehe schon jetzt, welche enorme Faszinationskraft Medien für sie haben. Ich versuche natürlich, meine Kinder von den Medien der Erwachsenen so weit wie möglich fernzuhalten – dazu gehört für mich auch Werbung. Obwohl ich mir große Mühe gebe, sehe ich aber, wie mein Sohn, wann immer er einen Playmobilkatalog zu fassen bekommt, ihn wie einen Schatz zu sich nimmt und richtig ließt.

 

 


Foto: Uni Tübingen

Fans & Fiktionen – Bromance, Slash und andere schwule Geschichten

von Sanja Döttling 

Sherlock Holmes und Dr. Watson, Starsky und Hutch, Captain Kirk und Spock  – sie alle tun es. Zumindest, wenn frau den Fans Glauben schenkt.

Erzählungen und Serien aus den letzten 50 Jahren haben einen Haufen männliche Hauptcharaktere. Was sich aus unserer männlich geprägten Gesellschaft ergibt, bietet den Fans (oder: Faninnen) umso mehr Zündstoff für ausufernde Kreativität: Den weiblichen Fans dieser Serien/Bücher/Medienprodukte stellte sich im Angesicht der übermäßigen Männlichkeit auf der Leinwand schnell die Frage: Sind die schwul?

Von Mann zu Mann

Wie in vorigem Artikel „Es war einmal…“ schon angesprochen, gab es im der Fan-Community um Star Trek die ersten explizit schwulen Fanfiction, in denen männliche Charaktere (Kirk/Spock) „verkuppelt“ wurden. (Wir reden in diesem Zusammenhang wirklich aussließlich von schwulen Liebesgeschichten. Lesbische Geschichten, unter „fem slash“ bekannt, gab es erst später und erreichten nie ein großes Publikum.) Oder, um es mit den Worten Joan Martins zu sagen: „It offers detailed and loving descriptions of beautiful men making love lovingly“ (Joan Martin in Jenkins, S.188). Henry Jenkins bietet die pragmatische Erklärung für ein solches Tun:

„The media simply does not provide the autonomous female characters needed to create a heterosexual romance between equals; fan writers have chosen the path of least resistance in borrowing ready-made figures, such as Kirk and Spock, to express their utopian visions of romantic bliss.“ (Henry Jenkins, S.196)

Doch die Fans blieben nicht bei dem Dreieck Bones/Krik/Spock. Die Slash-Bewegung breitete sich über andere Fandoms aus, bis sie heute überall zu finden ist – obwohl die Zahl er starken weiblichen Charaktere sicherlich (leicht) gestiegen ist.

Auch in den „großen“ Fandoms, wie Herr der Ringe oder Harry Potter, haben sie ihren Stammplatz. Obwohl bestimmte Vorraussetzungen für ein „perfektes Slash-Paar“ gegeben sind (sie müssen Problemlöser sein, außerhalb der Mainstream-Gesellschaft stehen und voneinander abhängig sein, siehe hier)  gibt es heute keine Begrenzungen mehr, wer mit wem was tut. Das rief und ruft bis heute auch innerhalb der Community Gegner hervor: Nicht jeder will lesen, wie Harry Potter und Draco Sex haben. Deshalb hat sich der Spruch „Don’t like, don’t read“ unter den Slashern eingebürgert.

Slash ist viel mehr als nur ein Randphänomen. Obwohl es keine verlässlichen Zahlen gibt,  machen sie einen großen Teil der Fan-Communities aus.

Inzwischen hat das Hausfiltern schwuler Untertöne in Medien auch auf die Mainstream-Kultur übergegriffen.

 

Frauen, die auf (küssende) Männer starren

Doch was ist der Grund für die weibliche Faszination für schwule Paare? In der Einleitung ihres Buches „Fan Fiction and Fan Communities in the Age of the Inernet“ tragen Karen Hellekson und Kristina Busse den Forschungsstand zu dieser Frage zusammen (S. 17-24).

Joanna Russ, Teil er feministischen Debatte über Pornografie in den 80er Jahren, schlägt vor, Slash als weibliche Pornografie zu lesen. Sie unterscheidet aber klar von „männlicher“ Pornografie, denn Frauen legen mehr Wert auf Charaktere und Hingabe.

Patricia Frazer Lamb und Diane Veith dagegen kommen zu dem Schluss, dass selbst explizit sexueller (Slash-) Inhalt für Frauen ein Weg darstellt, um ihren Wunsch nach eine gleichberechtigeten Partnerschaft auszudrücken. Durch gleichgeschlechtliche Partner ist sichergestellt, dass Geschlechts-Hierarchie in der Beziehung keine Rolle spielt. Für sie ist Slash also nicht anderes als der Ausdruck einer idealisierten heterosexuellen Beziehung.

April Selley konzentrierte sich auf das Pairing Kirk/Slash und analysierte am Text, dass Slash nicht anderes ist als „explorations of this obvious textual tension“.

In den 90er Jahren kamen weitere Theorien zu diesem Feld dazu. Constance Penley stellte die Theorie auf, dass Slash heterosexuellen Leserinnen erlauben würde, beide Charaktere „zu haben und zu sein“. Es ging ihr also hauptsächlich um die Identifikation mit den Charakteren.

Catherine Salmon und Don Symons wollten beweisen, dass Slash nicht anderes wäre als eine Weiterentwicklung von „Woman’s Erotic Fiction“, in der es hauptsächlich um die Schaffung einer monogamen und langen Partnerschaft geht, die nicht (so sehr) auf Sex beschränkt ist.

Susanne Jung sagt von sich selbst, dass ihre Slash-Fiction politischen und gesellschaftskritischen Hintergrund hat. Ob und in wie weit Slash auf die reale Ungleichbehandlung von Homosexuellen hindeuten soll, ist aber in der Wissenschaft ungeklärt.

In seinem Buch „Textual Poachers“ versucht auch Henry Jenkins, Slash wissenschaftlich in den Griff zu bekommen. Er empfindet Slash als eine Reaktion auf das Männerbild, das Porno und Medien uns vorschreiben wollen und sieht „a refusal of fixed-objects choices in favor of a fluidity of erotic identification, a refusal of predetermined gender charactersitics in favor of a play with androynous possiblity“ (S.189).

Allerdings ist Slash nicht etwa der Vorreiter einer hierarchielosen Welt, in der wir uns alle liebhaben (wortwörtlich). „Slash also runs the risk of celebrating gay male experience (and more traditional forms of male bonding) at the expense of developing alternative feminine identities“ (S.190), kritisiert er. Mit der Mystifizierung männlicher Sexualität machen sich Frauen eigentlich keine Freude, sondern unterstützen die männliche Überlegenheit weiterhin. Auf der anderen Seite argumentiert Joana Russ, dass Slash Frauen erlaubt, das von der Gesellschaft geprägte Frauenbild in Slash-Fiction zu vergessen und zu verneinen.

Bromance – schwule Heterosexuelle

Slash ist längst mehr als unterschätze Untergrund-Literatur. „Die neue Liebe unter Männern“ betitelte ein Artikel in der Zeit das Phänomen, dass inzwischen als „Bromance“ bekannt ist. Die Wortneuschöpfung aus „Brother“ und „Romance“ bezeichnet eine tiefe, aber bitte bloß nicht sexuelle(!) Liebe zwischen ganz klar(!) heterosexuellen Männern. In den neuen Buddy-Filmen wird diese Art der Liebe à la Platon oft dargestellt: In den amerikanischen Neuverfilmungen von „Starsky und Hutch“ oder auch „Sherlock Holmes“ zum Beispiel.

Zwei Schlüsse lassen sich ziehen: Zum einen gibt es eine Entwicklung hin zum sensiblen Mann, der auch Gefühle zeigen kann – zum anderen gelten, vor allem in Hollywood, noch immer harte Standards, was gesellschaftlich anerkannt ist (Männer, die zusammen Frauen abschleppen gehen) und was nicht (Männer, die Sex mit Männern haben): Die Anti-Schwulen-Komödie „Chuck and Larry“ zieht diese Linie genauso konsequent wie hinterwäldlerisch.

Das ganze lässt sich aber viel besser besingen als beschreiben.

 

People will talk – Intertextualität

Inzwischen ist vielen Autoren bewusst, dass es eine große und vielfältige Slash-Gemeinde gibt, die nach homoerotischen Untertönen sucht. Nach dem Motto: „Gib ihnen, was sie wollen, aber nie genug“ bauen sie in die Serien/Filme selbst genug Anspielungen (oder „Hints“) ein, um die Fan-Community zum diskutieren zu animieren. So ist heute ein Dialog zwischen Original und Fans an der Tagesordnung. Die Verweise von Original auf Fanfiction auf das Original lässt sich mit dem medienwissenschaftlichen Begriff „Intertextualität“ beschreiben; beide Texte verweisen aufeinander.

Ein Beispiel ist die britische Serie „Sherlock“ (BBC, 2010). Missverständliche Flirtversuche, unglaubwürdige Beteuerungen zu der einen oder anderen sexuellen Orientierung und augenzwinkernde Verweise auf die Slash-Community sind fester Bestandteil der Serie.

Hier geht’s zur Serie: Fans und Fiktionen – wir machen’s uns selbst!

Fotos: Anki, Cosmic Bath und Sherlock BBC Wallpaper (Rechte liegen bei den Inhabern)

 

Innovation? Die BR Rundshow

von Nicolai Busch und Sebastian Luther

Es ist etwas faul im Staate Fernsehen. Die Quoten der Öffentlich-Rechtlichen sind rückläufig, gleichzeitig wird eine GEZ Pauschale beschlossen, die an Schröders Basta-Politikstil erinnert und viele auf die Palme bringt (media-bubble.de berichtete). Mittlerweile beklagen sich nicht nur Leute wie Roger Willemsen über Niveauverfall aller ortens, Innovationen Fehlanzeige. Tatsächlich? Aus dem sonst immer als konservativ gebrandmarkten Bayern kommt eine neue, progressive Sendung, deren Konzept Schule machen könnte. Könnte. media-bubble.de hat die Rundshow kritisch unter die Lupe genommen. Ein Gespräch zweier media-bubble.de-Autoren über die BR Rundshow, den Medienwandel und den Willen des Zuschauers.

Die BR Rundshow: Innovation oder sinnfreie Technikverliebtheit? 

Nicolai Busch (nb): Bevor wir in medias res gehen, klären wir doch am Besten, worum es in der Sendung geht, wie sie überhaupt aufgebaut ist.

Sebastian Luther (sl): Das Prinzip ist schnell erklärt. Die Rundshow ist eine Kombination aus verschiedenen Dingen. Es gibt Politik, Talk, ein bisschen Late-Night-Flair und vor allem Social-Media Elemente, die die Einbindung der User live ermöglichen sollen. Moderiert wird die Sendung von Daniel Fiene und Richard Gutjahr, mit Gastauftritten von Sascha Lobo ist noch zu rechnen. Während der etwa halbstündigen Sendung werden zu einem vorgegebenen Thema gleichsam Experten wie Ottonormalverbraucher befragt, die via Skype, Twitter, Facebook, E-Mail oder Telefon live zu Wort kommen. Insgesamt ein innovatives Konzept

nb: Wirklich so innovativ? Skype, Twitter und Facebook mag man zur Einbindung von Zuschauern im Fernsehen tatsächlich zuvor noch nicht verwendet haben. Der Versuch der Fusion von Web und TV ist aber ganz sicher so alt wie das Netz selbst. Man denke nur an Telefonzuschaltungen im Musikfernsehen, in Talkshows etc. Natürlich ist es heute die Regel, während des Fernsehens online zu sein. Den  wöchentlichen Tatort kann man heute im Sekundentakt auf Twitter verfolgen. Vielleicht ist die Rundshow eine Show für Menschen, die parallel zum TV online sind, was immer mehr zur Regel wird. Das ist nun wirklich innovativ.

sl: Eben! Ich möchte ja nur ungern Klischees bedienen, aber ausgerechnet aus Bayern kommt ein Format, dass maßgeschneidert sein soll, und zwar auf die Ansprüche von Rezipienten, Konsumenten oder Usern –  nenne es, wie du willst. Wie ist es denn um die Situation des Fernsehens bestellt? Schlecht. Seine Bedeutung als Infomedium nimmt immer weiter ab. Viele wollen nicht einfach nur von einem stark selektierten Angebot an Informationen abgespeist werden, sondern selbst auswählen, welche Angebote, aus welcher Quelle sie nutzen. Sie selektieren selbst, sie werden gar dazu gezwungen, weil ihnen das Web keine Wahl lässt. Von alleine passiert dort nichts, ich muss wissen, auf welche Seite ich gehen will und dort auswählen, welches Angebot ich mir genauer ansehe. Gleichzeitig tritt aber gewissermaßen ein Paradoxon auf. Denn auch das Web entfernt sich nämlich zunehmend von seinem Dasein als Pull-Medium und wird durch Live-Streams, Pop Up Banner und Ähnliches zum Push-Medium, drückt mir Informationen quasi rein.

„Die Zuschauer haben wirklich ‚Die Macht‘. Innovation!“

nb: Zurück zur Rundshow: Tatsächlich scheitert das Format doch an jenem von dir beschriebenen, paradoxen Informationsflusses des Web. Die Konvergenz von Push und Pull wird immer offensichtlicher. Die Vielzahl an Beiträgen im Web überfordert die weniger medienkompetenen Nutzer und Selektivität verkommt häufig zur seltenen Schlüsselqualifikation. Fast scheint es manchmal, als blende unsere Begeisterung über Innovationen des Web 2.0 über bestehende Möglichkeiten analoger Interaktivität hinweg. Während durch die technische Einbindung von Social Media die Interaktivität der Rezipienten in der Sendung vermeintlich gesteigert wird, verblassen Sinn, Zweck und Folgen dieser Interaktion beinahe vollständig. Im Lichte dieses Technikwahns bleiben prominente Interviewpartner, wie Stephane Hessel, völlig farblos, eine Diskussion scheint via Skype in diesem Falle kaum möglich. Tatsächlich hat es die Sendung auch bisher nicht geschafft, Skype, Twitter und andere digitale Nachrichten und Kommunikationsdienste einzubinden, ohne dass deren Funktion nicht auch durch das gute, alte Telefon bzw. die Zuschauer-E-mail hätte erfüllt werden können. Worin besteht also die einzigartige Partizipationsleistung des Zuschauers und Interviewpartners in dieser Sendung?

sl: Mit dieser Argumentation würde ein Dienst wie Skype allerdings völlig hinfällig werden. Worin bestünde denn dann noch der Vorteil darin, es ist ja nicht mal kostenlos, weil ich immer noch Anschlussgebühren zahlen muss. Offensichtlich sind wir Menschen doch von face-to-face Kommunikation, wenn auch nur per Web Cam, mehr begeistert, als von einer blechernen, mehr oder minder anonymen Stimme aus einem Lautsprecher. Um auf das Thema zurückzukommen: Es macht einen wesentlich persönlicheren, freundlicheren und vor allem menschlicheren Eindruck, wenn ich Interviewpartner überhaupt sehen kann, und zwar auch diejenigen, die nicht explizit in die Sendung gebeten wurden. Man gewährt solchen Gesprächspartnern also fast den gleichen Zugang zum Publikum wie dem eingeladenen Talk-Gast. Die von dir beschriebene Gruppe der „weniger medienkompetenten Nutzer“ ist außerdem nicht die Zielgruppe der rundshow, mal abgesehen davon, dass diese Gruppe auch immer kleiner wird. Rosamunde Pilcher Verfilmungen werden doch auch nicht für ein 18-24 jähriges Publikum produziert. Die Sendung hat Potential, sie lässt mehr Menschen zu Wort kommen und das auf einer demokratischen Ebene, wie sie vorher im Fernsehen noch nicht vorhanden war. Allein schon durch ihre App „Die Macht“! Auf ein Mal kann das Gesagte von allen Zuschauern live kommentiert werden, und nicht mehr nur durch den Applaus, bzw. dessen Ausbleiben, der Gäste im Studio. Die Zuschauer haben wirklich ‚Die Macht‘. Innovation!

 „Was will ich und was will ich nicht?“

nb: Nun, über den Begriff der „Medienkompetenz“ , sowie darüber, ob die Gruppe der weniger medienkompetenten Nutzer tatsächlich kleiner wird, ließe sich wirklich sehr ausgiebig streiten. Gerne möchte ich an dieser Stelle den Kommunikationswissenschaftler Christoph Neuberger zitieren, der die grundlegenden Probleme sozialen Handelns, nämlich die der „Kontingenz“ und „Interdependenz“, also der Nicht-Berechenbarkeit und gegenseitigen Abhängigkeit, im Netz verschärft vertreten sieht. Die entscheidenden Fragen unserer Generation im Netz sind doch noch immer: Was will ich und was will ich nicht? Was wollen die Anderen und wie stimme ich mein Handeln mit den Andern ab? Nach Neuberger wächst mit der Zahl der Handlungsoptionen im Netz auch gleichsam das Misstrauen der Nutzer gegenüber den Erwartungen der Masse. Die Schwierigkeit im Umgang mit der Multioptionalität im Internet belegen uns Phänomene, wie jenes des inflationären Hypes, einer sekundenschnellen Überhitzung und Abkühlung der Inhalte.

sl: Du meinst also, wir brauchen Orientierung?

nb: Ja. Die Chance der Rundshow, denke ich, liegt deshalb darin, eine Orientierung zu schaffen, die zur Integration und nicht zur Fragmentierung der Inhalte im Netz beiträgt. Orientierung kann geschaffen werden, indem jene zu Wort kommen, die Ideen haben und nicht jene, die ausschließlich „empört“ sind. Orientierung kann die Sendung vor allem schaffen, indem sie die Partizipation ihrer Zuschauer nicht nur vorgaukelt, sondern tatsächlich praktiziert. Die Einbindung von Social Media darf nicht das Ventil verbildlichen, dass die Netzgemeinde regelmäßig ausrasten lässt, um sie dann wieder ruhig zu stellen. Die Innovation des Formats muss doch darin liegen, dem häufig orientierungslosen Diskurs des Internets eine Richtung zuzuweisen, um diesen erst dann mit Rezipienten sachlich, tiefgründig und interaktiv weiterführen zu können.

sl: In diesem Punkt gebe ich dir Recht. Man wird abwarten müssen, wie de Sendung angenommen wird und sich ein derartiges Konzept mittelfristig sogar etablieren kann. Insgesamt zeigt sich im Fernsehen ja ein Trend hin zur aktiveren Einbindung von Nutzern, bzw. Rezipienten, egal über welchen Kanal. Und für die Zukunft wünsche ich Gutjahr und Fiene auf jeden Fall alles Gute!

Goorakel

 von Sebastian Luther

 Jeder hat es schon einmal erlebt. Die Reihen der Schulkameraden, Freunde, Kommilitonen oder Kollegen dünnen sich langsam aus, in die alltägliche Geräuschkulisse mischt sich ein Schnupfen, Nießen und Schnäuzen. Die Grippe legt jedes Jahr ihren fiebrigen Atem in Schüben über das Land und zwingt dabei tausende vorübergehend in die Knie. Was für sehr viele aber vergleichsweise glimpflich verläuft, endet für andere auch tödlich. Und was eine potenzielle Gefahr birgt, darüber wollen die Menschen informiert sein. Google liest mit und lernt…

„Symptome + Grippe“

Google als Grippevorsage

Es sind Zahlen, die eine erschreckende Grausamkeit maskieren, an die wir uns scheinbar gewöhnt haben. Zwischen 5 000 und 15 000 Menschen sterben jährlich in Deutschland an den Folgen einer Grippeerkrankung, schätzt das Robert-Koch-Institut. Oft sind es Kranke, Senioren oder Kinder, deren Immunabwehr nicht ausreichend auf die Influenza reagieren kann. Um das Kabinett der Grausamkeiten um einen Vergleich zu erweitern: 2011 starben auf Deutschlands Straßen 3 991 Menschen. Information und Aufklärung dient in vielen Fällen der Prävention, ein Umstand, den Google sich mittlerweile zu Nutze gemacht hat. Der Konzern entdeckte, dass sich die Zahl der Grippeerkrankungen, bzw. -symptome, erstaunlich genau mit der Zahl der grippebezogenen Suchanfragen deckt. Betrachtet man hier die Daten für Deutschland, so erkennt man die grafische Gemeinsamkeit. Weiß man, dass Warnsysteme einzelner Staaten, wie etwa das des Center of Disease Control (CDC) in den USA, oder das European Influenza Surveillance Scheme (EISS), Grippewellen nur mit ein bis zwei Wochen Verzögerung vorhersagen können, liegt die Operationalisierbarkeit auf der Hand. Mittels der Algorithmen, die hier zum Einsatz kommen, kann Google Grippewellen innerhalb eines Tages aufzeichnen und sogar die betroffene Region lokalisieren. „Because the relative frequency of certain queries is highly correlated with the percentage of physicians visits in which a person presents influenza like symptoms, we can accurately estimate the current level of weekly influenza activity […]“, schreibt die zuständige Forschergruppe in ihrem Report, der in der Zeitschrift „Nature“ erschienen ist. Googles Arbeit soll eine Ergänzung zu den bestehenden Überwachungssystemen sein, damit Epidemiologen schneller auf Grippewellen reagieren können. Insbesondere wenn ein neuer Stamm von Grippeviren auftritt, der eine Pandemie mit Millionen von Toten hervorrufen könnte (so geschehen 1918), soll das System zum Einsatz kommen, damit effektive Maßnahmen schnell eingesetzt werden können.

 Share The Moment, Epic Sax Guy und Öknophysik

Google – die sechs Buchstaben, die fast jeden unserer Wünsche erhören, den wir hinunter in den Kaninchenbau des WWW rufen. Die Fähigkeit, anhand von Suchanfragen, -begriffen und deren geografischen Ursprung, Berechnungen und Korrelanzen zu analysieren, beschränkt sich nicht nur auf ernstzunehmende Probleme, wie die Grippe. Google konnte auf die gleiche Art und Weise die Gewinner des Eurovision Song Contests 2009 und 2010 vorhersagen. 2011 lag der Konzern dann falsch, 2012 wird es keine Prognose mehr geben.

Glücksrad oder richtiger Riecher?

Der ESC soll für andere Dinge genutzt werden, Zusammenarbeit mit google+ etwa, Googles sozialem Netzwerk. Das Prinzip bleibt das gleiche: Aus der Häufigkeit bestimmter Suchbegriffe werden Prognosen für die betroffenen Sachverhalte errechnet. 2010 fand der deutsche Wissenschaftler Dr. Tobias Preis heraus, dass sich so auch Börsenaktivitäten vorhersagen lassen. „In seiner Arbeit hat er verglichen, wie das Handelsvolumen der 500 US-Unternehmen, die in dem Börsenindex S&P 500 vertreten sind, mit der Google-Suche nach dem entsprechenden Unternehmensnamen zusammenhängt. Für die Jahre 2004-2010 zeigte sich, so das Ergebnis, eine enge Korrelation zwischen den beiden Größen“, so eine offizielle Mitteilung der Univeristät Mainz, an der Preis forscht. Anhand dieser Daten lässt sich also feststellen, welches Unternehmen gerade beliebt ist und demnächst eine Kurssteigerung erleben könnte.

Auch Googles Licht wirft Schatten

Dieses vergleichsweise junge Forschungsfeld der „Öknophysik“ lässt der Fantasie quasi freien Lauf. Suchanfragen könnten so in Zukunft nicht nur zur ohnehin schon problematischen Berechnung von Börsenkursen genutzt werden, was dem illegalen Handel mit Insiderinfomationen ähnelt. Auch Wahlen könnten so beeinflusst werden, wie jedes andere Ereignis auch, das auf Abstimmung beruht. Wenn bereits früh Trends bekannt werden, orientieren sich Wähler möglicherweise nicht mehr am zur Disposition stehenden Thema, bzw. ihrer Überzeugung diesbezüglich, sondern an eben diesen Trends. Noch fataler wird dieser Umstand, wenn Google schlicht und ergreifend falsch liegt. Im Falle der falschen Vorhersage des ESC Gewinners 2011 mag das ohne drastische Folgen geblieben sein. Aus diesem Grund verweigern deutsche Epidemiologen jedoch Google Flu Trends als reliable Quelle für ihre Arbeit. In einen Bericht von Spiegel Online sagt Udo Buchholz vom Robert-Koch-Institut, dass die Zahlen zu unspezifisch seien was Alter, Geschlecht und Symptomatik angeht, ebenso seien diese Trends zu anfällig für tagesaktuelle Berichterstattung in den Medien, was salopp gesagt „Panikmache“ bedeutet. In diesem Fall würde also eine Grippewelle vorhergesagt werden, weil viele Menschen nach den Symptomen suchen, allerdings ohne wirklich erkrankt zu sein, was Google nicht feststellen kann. Oder nur noch nicht? An dieser Stelle „Quo vadis, Google?“ zu fragen, wäre die gedankliche Mühe einer halbwegs fundierten Antwort nicht wert, weil man die technologische Entwicklung nicht vorhersehen kann, auch Google nicht. Es ist jedoch eine Entwicklung, die man langfristig im Auge behalten muss, damit auf den Impfdosen, die uns vor der nächsten oder übernächsten Grippewelle schützen sollen, nicht eben jene sechs Buchstaben stehen.

Foto: flickr, Y (CC BY 2.0), flickr, anneohirsch (CC BY-NC-SA 2.0)

„Der Skandal macht vor niemandem halt!“

von Alexander Karl

Wann wird ein Skandal zum Skandal?

Das fragen sich Hanne Detel und Prof. Bernhard Pörksen in ihrem Buch „Der entfesselte Skandal“. Im Gespräch mit media-bubble.de sprach Hanne Detel, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Prof. Pörksen, über Voyeurismus, die Entstehung von Skandalen und eine mögliche Rückkehr von Guttenberg.

Hanne Detel sagt: „Der Skandal macht vor niemandem halt!“

media-bubble.de: Frau Detel, Sie haben mit Prof. Pörksen das Buch „Der entfesselte Skandal“ geschrieben. Welche Skandale findet man im Netz über Sie?

Hanne Detel: Hoffentlich keine (lacht). Im Zeitalter der digitalen Überallmedien – also Handys mit Kamera und Internetverbindung – bin aber auch ich nicht davor gefeit, in ungünstigen Situationen fotografiert oder gefilmt zu werden. Daher bin ich aufmerksamer geworden und versuche darauf zu achten, welche Bilder oder Videos man wo von mir macht.

Vom Dioxin-Skandal bis zum Sex-Skandal von Tiger Woods wird so ziemlich alles als Skandal betitelt. Was versteht man wissenschaftlich darunter?

Jeder Skandal – egal ob Dioxin im Hühnerei oder Tiger Woods Affären – hat drei Merkmale: zum einen die Normverletzung, also ein Verhalten entgegen gesellschaftlicher Konventionen. Zweitens die Enthüllung, sodass Menschen davon erfahren. Und drittens die kollektive Empörung der Masse. Umgangssprachlich wird das Wort Skandal viel öfter genutzt, auch wenn nicht alle drei Merkmale vorliegen.

Gibt es denn einen Unterschied zwischen Lebensmittel- und Promi-Skandalen?

Bei einem Lebensmittelskandal ist theoretisch jedermann betroffen, daher ist die Empörung meist größer. Bei den Promis geht es vielmehr um den Voyeurismus von außen. Niemand von uns ist wirklich betroffen, wenn Tiger Woods seiner Frau fremdgeht.

„Der Skandal macht vor niemandem halt – heute kann er jeden treffen.“

Und was ‚entfesselt‘ einen Skandal?

Jeder kann jetzt durch das Internet an die Öffentlichkeit treten und Skandale provozieren. Längst geht es nicht mehr nur um Prominente, die mit Enthüllungen rechnen müssen. Der Skandal macht vor niemandem halt – heute kann er jeden treffen.

Sie und Herr Pörksen stellen in Ihrem Buch die Frage: „Kann man über den entfesselten Skandal in einer Weise schreiben, die sich nicht von der allgegenwärtig gewordenen Neigung zur Skandalisierung forttragen lässt?“ Ja, kann man das?

Ob uns das gelungen ist, müssen letztlich die Leser entscheiden. Beim Schreiben des Buches haben wir versucht, unbekannte Fälle zu anonymisieren, um die betroffenen Personen zu schützen. Einige heikle Fälle haben wir bewusst ausgespart. Und wir bitten die Leser, die Skandale im Kontext des Buches zu belassen und nicht wieder medial aufzukochen. Denn schnell entsteht dann ein Voyeurismus zweiter Ordnung, also gewissermaßen ein Voyeurismus, der unter dem Deckmantel eines Aufklärungsinteresses einen Skandal aufwärmt.

Nicht mehr nur die Mächtigen und Prominenten werden heutzutage im Web bloßgestellt, sondern auch der Junge von nebenan. Sind klassische Medientheorien – z.B. die Nachrichtenwerttheorie – im digitalen Zeitalter noch korrekt?

Früher hatten allein Journalisten – als sogenannte Gatekeeper – die Möglichkeit, sich an die breite Öffentlichkeit zu wenden. Heute ist das anders: Jedermann kann publizieren und veröffentlichen. Und so erweitert sich das Themenspektrum der Skandalgeschichten, die enthüllt werden, denn Blogger, Twitterer und Co. schreiben Nachrichten oftmals einen anderen Nachrichtenwert zu als die klassischen Journalisten. Doch damit ein Netzskandal zu einem großen Skandal wird, braucht es nach wie vor die klassischen Medien. Für sie spielen die bekannten Nachrichtenfaktoren noch immer eine zentrale Rolle.

Sind also die Journalisten die Skandal-Gatekeeper?

Nicht unbedingt, die klassischen Journalisten übernehmen eher die Rolle des Analytikers und des Chronisten. Sie recherchieren die Hintergründe und zeigen Entwicklungen auf. Vor allem aber verstärken Zeitungen und Co. die öffentliche Empörung. Das hat der Fall von Ex-Bundespräsident Horst Köhler gezeigt, dessen kritisierte Aussage über die Auslandseinsätze der Bundeswehr ja auch von Bloggern entdeckt wurde, bevor die großen Medien darüber berichteten.

Und die Qualitätsmedien nehmen jeden Skandal dankbar auf.

Nicht immer, allerdings kann man beobachten, dass Journalisten immer öfter Skandale aufgreifen, die im Netz große Aufmerksamkeit erhalten – dazu gehören auch Geschichten, die eher dem Klatsch und Tratsch zuzuordnen sind, denn immerhin lassen sich so effektiv Zuschauer und Leser locken.

Skandal ist Ansichtssache

Aber gibt es nicht auch verschiedene Lesarten eines Skandals? Der Soziologe Roland Hitzler sagt: Skandal ist Ansichtssache.

In der Tat. Während sich früher in den klassischen Medien recht schnell eine einheitliche Sicht auf den Skandal durchsetzte, können heute verschiedene Meinungsstränge nebeneinander existieren. Beispiel Ariane Friedrich: Manche verurteilten den mutmaßlichen Absender der anzüglichen Facebook-Nachricht, andere die Hochspringerin für die Veröffentlichung des Textes mitsamt Namen und Wohnort des Mannes. Streng genommen waren das zwei Skandale in einem.

In Ihrem Buch untersuchen Sie verschiedene skandalöse Einzelfälle, darunter auch den des Politikers Anthony Weiner, der aufgrund seiner Cybersex-Affäre zurücktreten musste. Darf man in Zeiten des Internets überhaupt ein Privat- und Sexualleben haben, ohne Angst zu haben, dass es einmal gegen einen verwendet wird?

Natürlich kann man es haben, aber je berühmter man ist, desto größer ist die Gefahr, dass Berichte über Affären oder uneheliche Kinder enthüllt werden. Denn überall lauern im digitalen Zeitalter indiskrete Technologien wie Smartphone und Digitalkamera, die es leicht machen, Intimes und Privates zu dokumentieren und ins Netz zu stellen. Der Fall Weiner lief etwas anders ab: Hier war er es selbst, der versehentlich ein Bild von sich in Unterhose durch einen falschen Klick bei Twitter für alle Welt öffentlich machte – und damit die Sache ins Rollen brachte.

Im Buch heißt es, dass bei Weiner zunächst ein Ritual der Reuebekundung fehle – nämlich der Rücktritt. Wann reichen Worte nicht mehr und Taten müssen folgen?

Das ist sehr individuell, hängt aber unter anderem von der Fallhöhe des Skandalisierten ab. Wenn man sich wie Horst Seehofer als konservativen Familienvater inszeniert und dann eine Affäre hat, ist das schon grenzwertig. Bei Karl-Theodor zu Guttenberg war die Fallhöhe noch größer, reklamierte er für seine Politik doch eine besondere Werteorientierung. So musste er in der Plagiatsaffäre Worten Taten folgen lassen und schlussendlich zurücktreten.

Und eine Rückkehr ist dann nicht mehr möglich, quasi ein Gang nach Canossa?

Auch hier gilt: Das ist abhängig vom Vergehen. Beispiele, bei denen es geklappt hat, sind Cem Özdemir oder Wolfgang Schäuble. Aber wenn das Vertrauen einmal angeknackst ist, ist es schwer, es wieder herzustellen. Guttenberg hat zwar auch heute noch viele Befürworter, aber ich glaube nicht, dass er jemals wieder ein so hohes Amt innehaben wird.

Das Buch zum Interview: Hanne Detel und Bernhard Pörksen zeigen in ihrem Buch „Der entfesselte Skandal. Das Ende der Kontrolle im digitalen Zeitalter“ am Beispiel von zahlreichen Fallgeschichten, dass die Reputation von Einzelnen, aber auch von Unternehmen und Staaten blitzschnell zerstört werden kann. Erschienen im Herbert von Halem Verlag (Köln), 19,80 Euro.

Foto: Verlag; Sophie Kröher