„Ich bin dagegen – vielleicht.“ Das Phänomen Slacktivism
von Sebastian Luther
Prätentiös, heuchlerisch, herablassend. Die Idee von den „Slacktivists“ hat keine besonders gute Konnotation. Menschen, die auf Facebook ihren Avatar mit Protestbuttons versehen, Aufrufe zu Demonstrationen posten und Videos von PETA oder Greenpeace teilen, geraten schnell in den Ruf, ein Slacktivist zu sein. Wo jedoch gerne mal vorschnell pauschalisiert und verunglimpft wird, hilft ein zweiter Blick.
The revolution will not be tweeted.
Beispiele hat das WWW wie immer in Hülle und Fülle zu bieten: K 21 „Oben Bleiben“, „Atomkraft? Nein, danke.“, Tankstellenboykott, Protestvideos. Das sind nur ein paar Erscheinungsformen des Internetprotests, dessen Autorität oft mit der Anzahl der Ausrufezeichen im Titel gesteigert werden soll. Derartige Aufrufe oder politische Statute finden sich auch auf anderen Social Media Seiten wie Twitter oder Google+. Es ist ein weit verbreitetes und sehr beliebtes Phänomen, seinen Willen für oder gegen etwas auszudrücken, indem man die korrespondierende Seite aufsucht und sein virtuelles Gefallen ausdrückt, auf die ein oder andere Weise. Eine Protestform, die die Gemüter wohlstandsverwöhnter, pseudopolitischer Bürger der Industrieländer beruhigen soll, die an sogenannten „first world problems“ seelisch scheitern und ihr Innenleben dann stripteaseartig auf Blogs ausbreiten. Slacktivists eben, Salonmarxisten, die von der Revolution schwärmen und die von einer Wolke des Nachhaltigkeitsgefasels umgeben sind, wie Fischkutter von Möven, auf der anderen Seite jedoch zu sehr vom aktuellen, unfairen Status der Welt profitieren, als dass sie ihn ernsthaft ändern wollten. Maßnahmen, die im Spenden per SMS gipfeln und eine kognitive Konsonanz herstellen sollen, die der Überhöhung dient, um sich in umgekehrter Weise von ‚denen‘ im soziokulturellen Diskurs abzugrenzen, die nichts unternehmen. So, oder so ähnlich, sieht zumindest die eine Seite der Medallie aus.
„Art won’t save the world…“
Worüber sich viele aufregen, muss ja nicht zwangsläufig schlecht sein. Denn Massen können viel bewegen, das gilt in Web 2.0 Zeiten noch viel eher, als in anderen. Und wenn in Indien auf ein Mal 500.000 Menschen eine Petition im Netz unterzeichnen, dass Korruption besser bekämpft werden soll, dann ist das eine Zahl, die Politiker nicht ohne weiteres ignorieren können. AVAAZ, ein Kampagnennetzwerk, das durch Petitionen weltweit politische Entscheidungen zu beeinflussen sucht, listet unter ‚highlights‘ diesen und andere eindrucksvolle Fälle auf, für die alle das selbe gilt: Es ist egal, wie sehr die einzelnen Personen davon überzeugt sind, oder ob sie weitere Maßnahmen ergreifen, zu sehen ist nur ihre absolute Willensmarkierung. Darüber hinaus hat der oftmals gescholtene Slacktivism noch mehr positive Effekte. Wie die Infografik von sortable.com zeigt, wirkt sich der vermeintliche Aktivismus auch auf Mitmenschen aus, ‚Slacktivists‘ sind eher bereit zu spenden und sich für eine Sache freiwillig zu melden, also Dinge zu tun, die über das hinausgehen, was weitläufig als Slacktivism bezeichnet wird. Auch aus der Sicht von Hilfbedürftigen oder Hilfsorganisationen wird die Thematik in ein anderes Licht gerückt. Für sie ist es schließlich nur von peripherem Interesse, warum Personen spenden, solange sie es tun.
„… go volunteer at a soup kitchen, you pretentious fuck.“
Diejenige Person, die die Zettel mit eben jener Aussage aufgehangen hat, mag nicht ganz unrecht haben. Denn selbst wenn Menschen spontan anfangen, zu spenden, oder eine Sache im Netz zu verbreiten, so ist es immer noch erschreckend, wie leicht sie sich von etwas überzeugen lassen, nur um es vorsichtig auszudrücken. Es dauerte eine Weile, bevor die ersten kritischen Stimmen zu KONY 2012 laut wurden (media-bubble.de berichtete) und die Unterstützung war dennoch überwältigend. Es stellt sich hier die Frage, ob User im Allgemeinen überhaupt bereit sind für eine derartige Politisierung ihres Habitats. Denn der Computer, bzw. das Internet, sind und bleiben für viele ein Spielplatz, ein Ort der Selbstfindung gewissermaßen, wenn sich disparate Teilöffentlichkeiten auf special interest Foren austauschen, oder andere Formen der Gemeinschaft zelebrieren. Es ist ein schwieriger und gefährlicher Prozess, wenn Virtualität und Realität enger verwachsen und Aktionen in der einen Welt immer höhere Wellen in der anderen schlagen können, ohne dass man sich dieser Relationen bewusst ist. Es ist eine Form der Konvergenz, deren Regeln und Ergebnis wir nicht kennen und die uns trotzdem in unverminderter Härte treffen wird.
Foto: flickr/Johannesen (CC BY-NC-SA 2.0), flickr/Shandi-lee (CC BY-NC-ND 2.0)
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