Kultur im Netz – Ein Spannungsfeld: Willkommen im Tal der Enttäuschungen
von Stefan Reuter
„In the future everybody will be world-famous for 15 minutes.“ Was Andy Warhol vor mehr als 40 Jahren voraussagte, ist dank des Internets gar nicht mehr so abwegig. Ein Schnappschuss kann den Jungen von nebenan zum Star machen. Auch Musiker können schnell enorme Aufmerksamkeit erlangen. Doch der Sturz vom Gipfel der überzogenen Erwartungen ist meistens unausweichlich.
Mr. Ridiculously Photogenic Guy
Zeddie Little, war erst vor kurzem nach New York gezogen, als er im März diesen Jahres an einem Marathon in seiner Heimatstadt Charleston, South Carolina, teilnimmt. Kurz nach dem Start entdeckt der junge Mann einen Freund, winkt ihm zu und wird zufällig dabei fotografiert. Inmitten der anderen Läufer sticht Mr. Ridiculously Photogenic Guy mit seinem strahlenden Lächeln ohne jegliche Anzeichen von Anstrengung eindeutig heraus. Der Fotograf lädt das Bild auf flickr hoch und macht aus Little so unbewusst einen Internet-Star. Der Schnappschuss wird zu einem Meme, also
an image, video, story or joke that is voluntarily passed from one Internet user to another via e-mail, blogs and social networking sites. Considered a form of art, Internet memes are created to promote individuals, groups, movies, art, music and products, as well as to perpetrate a hoax or just be funny.
Das Bild wird bearbeitet und immer weiter verbreitet, bis es schließlich das Charleston City Paper erreicht. Endlich wird bekannt, wer dieser schöne Mann ist und leider auch, dass er bereits glücklich vergeben ist. Mit einem Interview auf ABC erreicht er dann den Zenit seiner „15 minutes“, seitdem ist es still um ihn geworden.
The Next Big Thing
Während Little diese plötzliche Prominenz zufällig und vollkommen überraschend traf, wollen – und müssen – viele aufstrebende Musiker heutzutage die Möglichkeit nutzen, über das Internet bekannt zu werden. Als das „next big thing“ gehandelt zu werden, also einen Hype zu erfahren, bedeutet, meist bereits vor ersten größeren öffentlichen Auftritten und der Veröffentlichung eines Debütalbums, Thema in sozialen Netzwerken und der Fachpresse zu sein. Jedes „gefällt mir“ bedeutet heute einen kleinen Schritt auf dem Weg zum Durchbruch. Man muss es also schaffen mit wenigen Songs und geschickter Promotion, genug Aufsehen zu erregen, um die Dynamik des Netzes nutzen zu können. Der Stuttgarter Rapper mit Panda-Maske Cro hat seinen Erfolg nicht zuletzt seinem geschickten Umgang mit dem Web 2.0 zu verdanken. Wie es mit ihm weitergeht wird sich noch zeigen, vorerst scheint er vom „Gipfel der überzogenen Erwartungen“ gestürzt zu sein.
Gefangen im Hype-Zyklus
Die IT-Beraterin Jackie Fenn beschreibt mit ihrem Modell eines Hype-Zyklus‘ die Entwicklung der Aufmerksamkeit für eine neue Technologie auf ihrem Weg von der ersten Ankündigung oder „technologischem Auslöser“ bis zu ihrer Etablierung. Dieser Weg ist dabei meist der gleiche: Die Berichterstattung überschlägt sich zu Beginn mit oft unrealistischen Vorstellungen, führt also auf besagten Gipfel der überzogenen Erwartungen. Kommt die Innovation zum ersten Mal in Einsatz, macht sich wegen der nicht zu erfüllenden Erwartungen dann Ernüchterung breit, die Berichterstattung nimmt ab: Willkommen im „Tal der Enttäuschungen“. Auf dem „Pfad der Erleuchtung“ führen nun realistische Einschätzungen auf das „Plateau der Produktivität“, also zur mehr oder minder ausgeprägten Durchsetzung der Technologie. Ein ganz ähnlicher Verlauf lässt sich auch bei Cro beobachten: Mit „Easy“ veröffentlicht der damals 20 Jährige im November 2011 sein drittes Mixtape zum kostenlosen Download. Das Video zum Titeltrack wird fleißig geteilt und der Song ein Hit. Jan Delay sieht in ihm „die zukunft von deutsch-rap“. Cros Bekanntheit nimmt immer weiter zu, egal ob SPIEGEL, Gottschalk oder RTL II News, alle fragen sich: Wer steckt hinter der Panda-Maske? Vor allem auf Facebook versorgt er seine wachsende Fanschar, die ihn bei zahlreichen Konzerten kräftig feiert, mit Eindrücken von seinem Weg zum Popstar. Gleichzeitig steigen auch die Erwartungen an das offizielle Debüt „Raop“. Als es schließlich am 6. Juli erscheint, schwanken die Meinungen stark, der erwartete große Wurf ist das Album definitiv nicht. Ein Grund könnte darin liegen, dass, um die Aufmerksamkeit zu nutzen bevor das „next next big thing“ zum Thema Nummer Eins wird, wenig Zeit blieb, Nachschub für die Fans zu liefern. In Cros Fall äußert sich das zum Beispiel darin, dass keine Rechte für die Verwendung Lieder anderer Künstler für das Sampling erworben werden konnten. Doch nicht nur bei „Easy“ liegt das Hitpotential zum großen Teil in der cleveren Verarbeitung eines bekannten Hits, auch andere Songs von den Mixtapes setzen darauf.
Don’t believe the Hype!?
„Raop“ verkauft sich zwar sehr gut und die Konzerte sind weiterhin gut besucht, aber Cro ist lange nicht mehr so omnipräsent wie zuvor. Es wird sich zeigen, ob „Easy“ sein einziger großer Hit bleibt, oder ob er sich dauerhaft in der deutschen Musiklandschaft etablieren kann. Der Rapper ist natürlich nicht das einzige Beispiel für solche Hypes, die US-Sängerin Lana del Rey befindet sich gerade auch auf dem Weg auf das Plateau der Produktivität. Eine der großen Herausforderungen für neue Künstler liegt also in Zukunft darin, einen Spagat zwischen medialer Aufmerksamkeit und erfüllbaren Erwartungen zu schaffen, um so einen allzu tiefen Fall ins Tal der Enttäuschungen zu vermeiden.
Nächste Woche gibt es exklusives Interview, ebenfalls zum Thema Musik und das Internet.
Fotos: flickr/MarblePlay (CC BY-NC-ND 2.0), flickr/Der Robert (CC BY 2.0), wikicommons/Idotter (CC BY-SA-3.0,2.5,2.0,1.0)
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