"Wer rettet Dina Foxx?" im Netz

ZDF erneut auf crossmedialen Pfaden

von Pascal Thiel

Im letzten Moment konnte Dina Foxx im Jahr 2011 gerettet werden. Doch das ZDF bringt seine Heldin erneut in Gefahr. Wieder geht der, im Volksmund als „Rentnerfernsehen“ verspottete, Sender crossmediale Wege: Das erfolgreiche Projekt „Wer rettet Dina Foxx?“ soll fortgeführt werden. Für die Medienwissenschaft in Foxx interessant: Sie ist ein großes Konglomerat aktueller medienwissenschaftlicher Ideen.

Wer..?

Dina Foxx ist Protagonistin eines crossmedialen Projekts vom ZDF namens „Wer rettet Dina Foxx?“– entstanden in einer Kooperation der „ZDF-Zentralredaktion Neue Medien“ mit „Das kleine Fernsehspiel“, Teamworx und dem UFA Lab.

"Wer rettet Dina Foxx?" im Netz

In einem TV-Krimi werden die Zuschauer Zeugen einer Verschwörung gegen Dina, gespielt von Jessica Richter. Als „datagirl“ klärt sie im Auftrag der Organisation freidaten.org die Menschen über die Gefahren staatlicher und wirtschaftlicher Datensammlung auf. Doch ihr Leben gerät völlig aus den Fugen, als sie verdächtigt wird, ihren Ex-Freund umgebracht zu haben. Unter mysteriösen Umständen starb dieser kurz nachdem er sich von Dina getrennt hatte. Sie beginnt selbst zu ermitteln, doch schnell wird sie festgenommen. Bis dato sind 50 Minuten vergangen – völlig unerwartet bricht der Film dann ab. Nun müssen die Zuschauer selber ran: Mit einer Meldung werden die Zuschauer aufgefordert, Dina zu helfen, den wahren Mörder zu finden. So werden aus Zuschauern Ermittler, die, ausgehend vom TV, auf verschiedenen medialen Plattformen interagieren.

Medienwissenschaftliche Relevanz

Aus medienwissenschaftlicher Sicht liegt das Besondere bei „Wer rettet Dina Foxx?“ in der Kombination mehrerer medialer „Elemente“ in einem Projekt.

Neben den Besonderheiten der einzelnen Teilbereiche (Pre-TV-, TV- und Post-TV-Phase) erfolgt die Handlungsdarstellung über mehrere Medien hinweg: Man spricht von „transmedia storytelling“. In seinem Buch „Convergence Culture – Where old and new media collide“ aus dem Jahre 2006 beschreibt der MIT-Professor Henry Jenkins, dass transmediale Erzählungen „unfold across multiple media platforms, with each new text making a distinctive and valuable contribution to the whole.“. Bei „Wer rettet Dina Foxx?“ sind zum Beispiel das Fernsehen, Internetseiten, Blogs, Social Media, Video Channels – sogar unsere Realität.

Betrachtet man die Besonderheiten der Teilbereiche, so ist zum Beispiel das „virale Marketing“ zu nennen – ein Begriff aus der Werbeforschung. Jiesi Cheng, Aaron Sun and Daniel Zeng (2010) beschreiben virales Marketing als „a new interpretation of WOM-advertising in the internet era.“ WOM (word-of-mouth) advertising bezieht sich laut der drei Wissenschaftlern wiederum auf die „informal communication between two or more persons concerning a product or service on a non-commercial basis“. Vereinfacht kann man unter viralem also Marketing das „Weitersagen“ oder „Weiterempfehlen“ von Produkten, Marken etc. verstehen.

Und genau diesem Phänomen bediente sich das ZDF bei „Wer rettet Dina Foxx?“. Im Vorfeld der Ausstrahlung des Films (in der Pre-TV-Phase) wurden alle Charaktere in Social Media und Blogs wie richtige Personen etabliert, diverse Internetseiten bereiteten die Handlung vor. Außerdem führte die fiktive Datenschutzorganisation „freidaten.org“ sogenannte „Guerilla-Marketing-Aktionen“ durch, um über die fiktive Organisation auf das Projekt aufmerksam zu machen.

Guerilla-Marketing – ein weiteres Element aus der Werbeforschung – umfasst laut Katharina Hutter und Stefan Hoffmann (2011) „verschiedene kommunikationspolitische Instrumente, die darauf abzielen, mit vergleichsweise geringen Kosten bei einer möglichst großen Anzahl von Personen einen Überraschungseffekt zu erzielen, um so einen sehr hohen Guerilla-Effekt (Verhältnis von Werbenutzen und -kosten) zu erzielen.“

In der TV-Phase folgte die fünfzigminütige Ausstrahlung des Films. Unmittelbar danach begann in der Post-TV-Phase das bisher wohl umfassendste „Alternate-Reality-Game“, das Deutschland je gesehen hatte. Alternate-Reality-Games (ARG) „leave clues for potential players to follow: a subtle image on a poster, perhaps, or a cryptic message on a website. Fans must piece together the narrative – that’s the “alternate reality” – on their own“, so „The Economist“.

Bei „Wer rettet Dina Foxx?“ konnten sich die ermittelnden User über eine Homepage täglich durch die Videobotschaft eines Freundes von Dina über den „aktuellen Stand der Ermittlungen“ informieren und „live“ in Dinas Zimmer ermitteln. Zudem waren auf freidaten.org jeden Tag neue knifflige Aufgaben zu lösen, um weitere Details an die Oberfläche zu bringen, über Live-Interaktionen konnten die „Ermittler“ aktiv in das Geschehen eingreifen und kamen nach einem Geocaching-Event schließlich ans Ziel: Der Mörder war gefunden.

Fortsetzung folgt…!

Insgesamt wurden für die Internet-Phase 60 Video-Clips, 30 Audio-Clips, 20 fiktive Internetseiten, 30 Social Media-Profile produziert. Gerechtfertigt wurde der gewaltige Aufwand durch den immensen Erfolg: 2 Mio. Seitenabrufe, etwa 200.000 Videosichtungen und 14.000 Kommentare sprechen eine deutliche Sprache.

Auszeichnungen folgten prompt: Beim BANFF World Media Festival gewann das ZDF den Preis für die beste crossmediale Plattform und den „Best Interactive Award“, außerdem den UFA Innovation Award 2011 und Gold beim Annual Multimedia Award 2012 – um nur einige zu nennen.

Da ist es einleuchtend, wenn die Chefredakteurin des „Kleinen Fernsehspiels“ Mitte 2012 eine
Fortsetzung bekannt gibt. Dies bestätigt auch Burkhard Althoff, ihr Stellvertreter, gegenüber media-bubble.de: „Wir befinden uns mitten in der Entwicklung“. Konkrete Details über die Fortsetzung wollte er nicht nennen, jedoch werde ein Aspekt des Projekts sein, die „Zuschauer überraschen [zu] wollen.“ Man darf gespannt sein.

Bilder: Screenshot von dinafoxx.zdf.de (Stand: 31.08.12), Screenshot von freidaten.org (Stand: 31.08.12)

Kultur im Netz – Ein Spannungsfeld: „Die Medienindustrie braucht eine Fair-Trade-Debatte.“

von Stefan Reuter

Mirko Gläser betreut mit seiner im vergangenen Jahr gegründeten Plattenfirma Uncle M vor allem Bands aus dem Punkrock-Bereich. Zu seinen Klienten gehören unter anderem die Folk-Punker Flogging Molly und die Urgesteine von Hot Water Music. Mit media-bubble.de sprach er über das Musikbusiness im digitalen Zeitalter.

media-bubble.de: Warum gründet man heutzutage noch ein neues Plattenlabel? Das tägliche Brot ließe sich doch sicherlich einfacher finanzieren.

Mirko Gläser: Das stimmt. Wenn ich den ganzen Tag nur als Berater oder Kreativdirektor in einer Werbeagentur arbeiten würde, dann würde ich mehr verdienen. Aber im Leben zählen für mich auch Dinge wie berufliche Freiheiten,  sein Hobby zum Beruf zu machen oder einfach die Liebe zur Musik. Daher die Labelarbeit, bei der ich viele meiner Kenntnisse einbringen kann und die mich dennoch Tag für Tag immer wieder vor aufregende neue Herausforderungen stellt. Das hält jung! Das Label habe ich ganz bewusst „im Angesicht der Krise“ gegründet, da ich den herrschenden medialen Umbruch als Chance verstehe, mit neuen Ideen und einer anderen Arbeitsweise überleben zu können und in den kommenden Jahren aus dieser Ausgangsposition heraus weiter an Boden gut machen zu können. Die herrschende Digitalisierung der Musikindustrie wird in fünf Jahren endgültig abgeschlossen sein, wenn Cloud-Computing vollständig etabliert ist – im Grunde arbeite ich aber auch heute schon so, als wäre dieser Punkt bereits erreicht.

Könntest du kurz skizzieren, wie der Vertrieb von Musik in der Cloud funktioniert? Die Kunden zahlen eine Abogebühr und können dann von jedem Endgerät aus auf Musik zugreifen. Und Künstler und Labels erhalten dann Entgelt pro Zugriff?

Du beschreibst das richtig: Über unseren Digitalvertrieb und einen sogenannten Aggregator wird unsere Musik in die Datenbanken der Cloud- und Streaming-Dienste von iTunes, Rdio, Spotify, Napster, Deezer etc. eingespeist. Dort gibt es dann unterschiedliche Modelle – entweder die Beteiligung an den Monats-Abo-Einkünften auf Basis deiner Abrufzahlen im Vergleich zu den Gesamtabrufzahlen. Andere wiederum bieten eine kleine Beteiligung an den Werbeeinnahmen der Seite an – oder eine Mischung aus beiden Modellen. Aktuell ist das Streaming/Cloud-Modell für Labels jedoch allenfalls ein Witz. Wir erhalten Abrechnungen teilweise mit bis zu 9-monatiger Verspätung und bräuchten zig Millionen Zugriffe auf einen Track, um eine Band einmal zum Essen einladen zu können.

Du arbeitest seit über zehn Jahren im Musikbusiness. Was hat sich seitdem, neben den Vertriebswegen, noch geändert?

Da gibt es mehrere große Unterschiede. Zum einen waren die Kids früher viel aktiver, haben mehrheitlich in Bands gespielt oder waren selbst als Label oder Magazin aktiv. Heutzutage sind viele Fans nur noch Konsumenten. Dann hat sich natürlich das Kauf- und Nutzungsverhalten geändert. Früher musstest du Musikmagazine lesen, um über Neuheiten zu erfahren, dann in Plattenläden rennen, um dir die Platten anzuhören und danach eine Stunde investieren, um dir die Platte mit schlechter Soundqualität mühevoll auf ein Tape zu kopieren. Heute bookmarkst du dir ein paar Blogs und ziehst dir in fünf Minuten hunderte Stunden Musik auf deinen eigenen Rechner. Das Verhältnis „Geld zu Musik“ und „Zeit zu Musik“ ist dramatisch gesunken und damit auch die Wertschätzung einem einzelnen Song oder einem Album gegenüber.

Du hast gerade von Magazinen gesprochen. Deren Aufgaben, Fans über ihre Lieblingsbands auf dem Laufenden zu halten und auf neue Künstler aufmerksam zu machen, wird zunehmend von social media übernommen. Wie wirkt sich das auf deine Arbeit aus?

Facebook ist für mich Himmel und Hölle gleichzeitig. Himmel, weil ich – zumindest theoretisch – die Möglichkeit habe, multimedial und ohne größere technische und  finanzielle Hürden „One to Many“ mit meinen Kunden zu kommunizieren. Wir bereiten unsere News dort mehrfach täglich online-gerecht auf und können unfassbar schnell Feedback erlangen und unsere Botschaften transportieren. Der Nachteil ist der gleiche: Da viele andere dieses Medium inflationär nutzen, ist die Aufmerksamkeitsspanne der User auf einen Bruchteil gesunken. Wir müssen also tagtäglich immer wieder unsere wirklich wichtigen Nachrichten in teils sehr zeitfressende Aktionen aufbereiten und spannend wiedergeben. Dass viele mittlerweile die Empfehlung einer flüchtigen Internetbekanntschaft über die eines studierten Journalisten stellen und sich von Facebook-Tipps ihres Umfeld treiben lassen, ist bedenklich. Man merkt bei vielen Internet-Hypes, dass nicht die inhaltliche Qualität der Musik sondern die gute Verpackung oder Vermarktung für den Erfolg verantwortlich sind. Die Schere zwischen Substanz und Aufmerksamkeit klafft weiter auf als je zuvor.

Um im Kampf um Aufmerksamkeit einen Vorteil zu haben, setzt du auch auf „trojanisches Marketing“. Kannst du kurz erklären, um was es dabei geht?

Die Idee des trojanisches Marketing stammt von Roman Anlanger. Seine Thesen und Beispiele zum unkonventionellen Vermarkten kleinerer Unternehmungen habe ich auf den Musikbereich adaptiert und festgestellt, dass sich mit dieser Denk- und Arbeitsweise viele alltägliche Probleme von Labels lösen lassen. Komme ich nicht direkt zu meinem Ziel, sprich dem Käufer, weil beispielsweise das Mediennutzungsverhalten sich geändert hat, dann muss ich die Musik eben über einen anderen Einfallswinkel trojanisch zum Kunden bringen. Ich muss im Grunde nicht mehr nur die Musik an sich promoten sondern vielmehr immer wieder auftretende, unterschiedliche Aktionen forcieren, mit denen ich den Kunden erreichen möchte. Das funktioniert! Ein Beispiele sind unsere sozialen und politischen Aktivitäten mit Radio Havanna oder Anti-Flag.

„Diese Leute sind in meinen Augen oft einfach nur noch Zombies.“

Ein Song kostet bei gängigen Downloadanbietern meistens 99 Cent, ein Album auf CD oder Vinyl zwischen 10 und 20 Euro und ein Monatsabo für Streaming-Dienste auch etwa 10 Euro. Wie berechnet man den Wert von Musik, insbesondere unter Anbetracht der Tatsache, dass es Mittel und Wege gibt, umsonst an nahezu alles zu kommen?

Der finanzielle Wert von Musik setzt sich aus vielen Faktoren zusammen: Kreativprozess des Urhebers, beziehungsweise Interpreten, Aufnahmekosten, die Verpackung, die Vermarktung, also die Arbeit des Labels und aller damit verbundenen Kreativen wie Fotografen und Videofilmer und schließlich der Weg zum Käufer. Für ein 08/15 Independent-Album laufen schnell Kosten von fünf- bis zehntausend Euro auf – reine Kosten, da ist noch kein Cent mit drin, mit dem sich ein Musiker den Kühlschrank füllen könnte. Lädst du für 10 Euro ein Album bei iTunes runter, dann kommen unterm Strich circa 4 bis 5 Euro netto beim Label und davon circa 1,50 bis 2 Euro beim Interpreten sowie 80 Cent beim Urheber an. Jeder kann für sich also selbst hochrechnen, wie viele Verkäufe nötig würden, um hier eine fünfköpfige Band plus Manager, Label-Manager und Co. auf Harzt4-Niveau durchzufüttern.

Was muss sich also ändern?

Die Medienindustrie braucht meiner Meinung nach bei diesem Thema eine ähnliche öffentliche Fair-Trade-Debatte wie vor zwei Jahren die Milchbauern: Das, was von den Konsumenten am Ende beim Erzeuger ankommt, reicht nicht zum Leben. Es müssen also mehrere Faktoren eintreten, damit Kulturschaffende langfristig eine Überlebensperspektive haben können. Zwei der wichtigsten Faktoren beim Umdenken des Kunden wären dabei: Erstens, die Ausschaltung des Zwischenhandels bei aktiven Kunden! Ein Kauf eines Albums bei Amazon ist gut. Ein Kauf des gleichen Albums zum gleichen Preis direkt beim Label ist besser! Zweitens, mehr Konsumenten müssen wieder zu Käufern werden! Wenn es uns gelingt, weniger illegale Downloads und gleichzeitig mehr günstige, kostenpflichte Streaming-Abos bei Jugendlichen zu erreichen, dann ist ein großes Umdenken passiert! Ein Zehner für ein Spotify-Abo tun keinem weh, aber bieten den künstlerisch Beteiligten wenigstens ein Minimum an Sicherheit und Überlebensmöglichkeit.

Die Website Bandcamp bietet Musikern die Möglichkeit, ihre Musik dort direkt zu verkaufen. Eine Option ist es, den Fan festlegen zu lassen, wie viel er zahlen möchte. Denkst du, dass sich so etwas allgemein durchsetzen kann?

Ich halte Bandcamp für ein nettes Gimmick, aber nicht für die Lösung der Probleme. Man stelle sich Internet-Geschäfte immer metaphorisch als Laden in einer Fußgängerzone vor: Ein Eisladen bietet dort eine Probeverkostungs-Kühltruhe an und bittet um Spenden bei Gefallen. Ein Bruchteil der Kunden nutzt das und wird im Zweifel immer einen Preis zahlen, der unter dem Preis liegt, den der Händler verlangt hätte. Für eine Probe-Aktion geht sowas bestimmt ausnahmsweise mal klar, aber so mündig Kunden auch sind: Für die langfristige und volle Kalkulation, wie vorher beschrieben, fehlt ihnen halt der Einblick hinter die Kulissen. Eine, wie auch immer geartete, technische oder finanzielle Hürde sollte meiner Meinung nach immer gegeben sein, damit man den Kunden auch vor sich selbst schützt.

Wenn du sagst, man müsse den Kunden vor sich selbst schützen, meinst damit, dass, um bei der Eistruhen-Metapher zu bleiben, die sommerliche Kugel Vanille-Eis das Besondere verliert, wenn man sich gratis damit vollstopfen kann?

Richtig verstanden. Aus eigener Erfahrung sieht das bei mir so aus: Ich habe 2001-2005 als freier Musikredakteur gearbeitet und habe Tag für Tag zwischen 10-30 Promo-CDs erhalten. Was anfangs ein Segen war, hat mit der Zeit mein Hobby, also Musik in Ruhe zu hören und zu sammeln zerstört. Ich habe Jahre gebraucht, um wieder ein Gefühl beim Kauf einer Platte oder CD zu erlangen. Genauso ist es doch auch bei Massen-Sammlern. Kein illegaler Mp3 Downloader kann mir ernsthaft erzählen, dass er sich noch auf eine Neuveröffentlichung freut oder sie tiefgründig hört. Diese Leute sind in meinen Augen oft einfach nur noch Zombies.

media-bubble.de dankt für das Interview. Weitere Informationen zu Uncle M gibt es auf Facebook.

Nächsten Freitag geht es darum, wie unzufriedene Videospiel-Fans über das Internet Druck auf die Entwickler ausüben.

Fotos: Uncle M

Sommerlöcher noch und nöcher

von Nicolai Busch

Es ist Sommer. Frau Merkel wandert durch Südtirol, Minister Rösler planscht mit den Kindern ausgelassen an der Ostsee und Claudia Roth genießt im grünen Badeanzug türkische Sonnenuntergänge.  Sommer, das ist die Zeit, da die Hauptdarsteller dieses Landes ruhen und all die Nebendarsteller die einmalige Chance bekommen, die ganz große Spur zu fahren und zur nie vergessenen Rampensau zu mutieren. Wenn alles Pause macht, braucht es Leute in den Medien, die mal ganz dick aufdrehen, die laut, lustig, einzigartig unanstrengend und bereit sind, dem Volk zu zeigen wie der Hase nämlich eigentlich läuft. Und es braucht Leute, wie Claudia Obert, die einfach auch dabei sein wollen.

Frau Obert ist reich und im Fernsehen

Die Selfmade-Millionärin Claudia Obert soll den Fernsehzuschauern mal sagen, wie das denn so ist, wenn man reich ist. Deshalb (und nur deshalb!) sitzt Frau Obert an diesem Abend in einer Talkshow eines großen öffentlich-rechtlichen Senders. Sie trägt ein enges, rotes Kostüm, diamantenbesetzte Ohrringe und Armbänder, eine große Uhr und eine im Licht der Studioscheinwerfer glitzernde Halskette. Wer Frau Obert sieht, der versteht: Reich sein ist super! Wäre da nur nicht die auffällige Angewohnheit Frau Oberts Fragen der Moderatorin nicht sachlich und informativ, sondern im Sinne der eigenen Promotion zu beantworten. Würde Frau Oberts Auftreten doch nur nicht den Anschein vermitteln, Mathias Richling habe sich eine Perücke übergezogen und parodiere den Stereotypus ‚Deutsch- Neureich‘. Ja, hätte Frau Obert doch nur tatsächlich etwas zu sagen – dann könnte man sie auch ernst nehmen. Man würde ihr tatsächlich zuhören wollen und müsste sich das Grinsen nicht verkneifen, wenn die Unternehmerin in so einer ‚Bitte-nehmen-Sie-es-mir-nicht-böse-aber…‘- Körperhaltung angestrengt verharren und eine ihrer unpolitischen Stammtischthesen („Ich bin sowieso der Meinung, dass es in Deutschland keine Arbeitslosen gibt, nur Arbeitsscheue“) unkontrolliert in die endlosen Weiten der Talkshow-Galaxien katapultieren würde.

Dabei sein ist Alles

Claudia Obert ist eine von sechs Gästen bei Maischberger im Ersten. Eigentlich soll in der Sendung vom 21.August mit dem Titel „Der Millionär hat’s schwer. Reiche zur Kasse bitte!“ die Möglichkeit der Versteuerung von Spitzengehältern diskutiert werden, doch dazu kommt es nicht. Denn nach der Eigenpromo von Frau Obert, muss uns der Piraten-Politiker Johannes Ponader zunächst einmal ausführlich seine persönliche Weltsicht am Beispiel seines Lieblingskinderbuchs “Frederick“ erläutern. Das alles plus das linke Gerede von Frau Wagenknecht regt den Gründer der Drogeriekette Rossmann kurze Zeit später derart auf, weshalb er beginnt hysterisch rumzuschreien. Auch Herr Schneider möchte Herrn Köppel scheinbar gerne mal an die Gurgel springen.„Aber schauen Sie sich doch die Zahlen an“; kreischt es da plötzlich von rechts und links, bevor auch Maischberger resigniert und eingesteht: „Wir kommen hier nicht einen Punkt weiter“.

„Ich bin eine Mediensau“; sagt Reiner Calmund

Es ist Sommer und die irrwitzige Ziellosigkeit der Debatte bei Maischberger ist so riesig wie die Themenlosigkeit dieser Tage. Die politische Pause hat mal wieder ein tiefes, schwarzes Loch in die Agenda der Nachrichten- und Presseagenturen gerissen, indem alles verpufft und geräuschlos verhallt. Dieses Loch gilt es zu füllen. Koste es, was es wolle.
Nicht jeder stellt sich dabei so schlecht an, wie Frau Obert und Konsorten in der ARD. Drei Seiten und neunzehn Bilder, davon zwölf Portraits in albernen Posen widmet die ZEIT in der Printausgabe  Reiner Calmund. 160 Kilo schwer, 172 Zentimenter groß und 462 bisherige Beschäftigungen im Sinne der Selbstvermarktung hat der „Calli“ vorzuweisen.  Wie ein mit Helium gefüllter Ballon schwebt Calmund durch mediale Sphären, vorbei an der Buchstabensuppe aus Maischbergers Talkrunde, bis dass man ihn vom Himmel fischt, um höflich anzufragen, ob er sich denn als überdimensionaler Stopfen nicht mit viel Witz und rheinländischem Charme in das sommerliche, kreative Vakuum einer überregionalen Qualitätszeitung pressen könne. Wenn Aktualitäten fehlen, muss Altbekanntes eben reproduziert werden.

Die Krise in der Sommerkrise

Das Konzept geht auf. Der Leser fühlt sich unterhalten. Aus der Not geboren titelt der Spiegel in dieser Woche „Droge Zucker – Die gefährliche Sucht nach dem Süßen“, das politische Magazin Cicero preist aus welchem Anlass auch immer das TV-Phänomen Tatort und die gelangweilte Netzgemeinde lässt sich begeistern von einem alten Mann, der als politisches Maskottchen auf großer Bühne zu einem Stuhl spricht. „Krise hin, Krise her“; sagt Sandra Maischberger ganz zu Beginn einer Diskussion, der an diesem Abend so recht niemand folgen möchte. „Krise hin, Krise her“ – das ist nicht nur der nationale Subton dieses Sommers. „Krise hin, Krise her“ – das symbolisiert auch eine journalistische Substanz, die sich noch bis Ende September an südlichen Stränden sonnt und bis zur Rückkehr der deutschen Lobbyisten und Politiker all denjenigen das Sprachrohr vor die Nase streckt, die schon immer mal was sagen wollten.

Foto: flickr, doubleyou_em (CC BY-NC-ND 2.0) ; flickr, Helga Weber (CC BY-ND 2.0)

„Queer as Folk kann nicht oft genug ausgestrahlt werden“

von Alexander Karl

Elke Kriebel (50) hat das möglich gemacht, von dem nur wenige Fans überhaupt träumten: Ein Treffen mit den Stars der US-Serie Queer as Folk (QaF), das im Juni 2012 in Köln stattfand (media-bubble.de berichtete). Nun erscheint die DVD zur Convention mit vielen Blicken hinter die Kulissen. Auf der DVD enthalten: Die schönsten Bilder und Momente der Convention und zusätzliches Interviewmaterial (siehe Rezension nach dem Beitrag).

media-bubble.de sprach mit Elke Kriebel über die Faszination von Queer as Folk, die Bedeutung der Serie und die kommende Convention in LA.

Elke, du hast die QaF-Convention zusammen mit deinen Partnern von eventqube in Köln initiiert und organisiert. Auffällig war, dass sehr viele weibliche und nur recht wenige männliche Fans vor Ort waren – obwohl sich Queer as Folk vor allem an Schwule richtet. Woher kommt das?

Elke Kriebel: Es ist natürlich auch für Frauen schön, gut aussehende Männer – wobei auch immer – zu betrachten. Was ich aber eher als Grund dafür halte, dass so viele Frauen diese Serie lieben, ist das Gefühl des Zusammenhalts als Familie, das in dieser Serie besonders beachtet und herübergebracht wurde. Alle Schauspieler schaffen es, diese Gefühle zu transportieren und real zu machen. Wir Frauen sind doch eigentlich diejenigen, die auch im realen Leben die Familien zusammen halten und Vertrauen und Stärke an unsere Kinder weiter geben. Für mich kommt speziell in dieser Serie dieser wichtige Punkt selbst in jedem kleinen Detail zum Tragen. Und das spricht meines Erachtens Frauen definitiv mehr an als schwule Männer. Das zeigte sich auch bei der Convention: Von den ungefähr 500 Teilnehmern waren etwa 85 % Frauen und 15 % Männer, davon auch nicht alle schwul.

Natürlich hast du nicht nur organisiert, sondern warst auch bei der Convention vor Ort. Was sind deine schönsten Erinnerungen?

Definitiv die Begeisterung der Fans für die Veranstaltung. Für viele war es die erste Gelegenheit, die Schauspieler persönlich kennenzulernen, live und in Farbe zu sehen. Viele haben die Serie auch erst vor kurzem kennengelernt und nie damit gerechnet, die Schauspieler zu treffen – immerhin ist Queer as Folk schon seit 7 Jahren abgedreht. Die Freude und Dankbarkeit in den Augen der Fans, das ist für mich die schönste Erinnerung. Zudem die Begeisterung und unbezahlbare Hingabe der Helfer, die dieses Event erst ermöglicht haben.

Bei der Convention hast du die Darsteller auch privat erlebt, warst sogar mit ihnen abends essen. Stehst du mit den Schauspielern noch weiterhin im Kontakt?

Mit manchen Schauspielern, ja. Etwa mit Scott Lowell, der in der Serie Ted spielt, mit Justin-Schauspieler Randy Harrison und Thea Gill, die bei QaF Lindsay verkörpert. Von den Stars habe ich auch positive Rückmeldungen über den Verlauf  der rise’n’shine-Convention in Köln bekommen.

Wie ist es eigentlich um die Deutschkenntnisse der Schauspieler bestellt?

Die Schauspieler haben im Vorfeld versucht, einige Worte Deutsch zu lernen um für das Wochenende gerüstet zu sein. Das ging von „Wo ist die Toilette, bitte?“ bis zu „Wo ist ein gutes Restaurant?“.

Realität in Fiktion verpackt

Was glaubst du ist der Reiz von Queer as Folk? Warum fasziniert die Serie noch heute, sieben Jahre nach dem Dreh der letzten Episode?

Der Reiz der Serie besteht in der (leider) immer noch bestehenden Aktualität ihrer angesprochenen Themen. In einer „Fiktion“ verpackte Realitäten, wie jeder sie schon einmal in irgendeiner Form erlebt hat. Sei es als junger Schwuler im „coming out“, sei es als alleinerziehende „Übermutter“, seien es alltägliche Beziehungsprobleme, oder Beziehungen die durch die Erkrankung eines Partners beeinflusst wird. Es wird nichts beschönt oder ausgelassen, und in irgendeiner Form findet sich jeder in der Serie wieder. Und gerade in der heutigen Zeit, in der es in vielen Staaten immer noch massive Repressionen gegen LGBT gibt, selbst in „zivilisierten“ Ecken der Welt. Deshalb finde ich: Queer as Folk kann nicht oft genug ausgestrahlt werden. Auch die Leistung der Schauspieler darf man nicht vergessen, die ihr Herzblut in die Erstellung dieser Serie gesteckt haben, und durchaus die eine oder andere Erfahrung in die Dreharbeiten eingebracht haben. Das macht die Serie umso wichtiger und reizvoller.

In Deutschland wird derzeit diskutiert, ob Homosexuelle heiraten dürfen. Glaubst du, dass Serien wie Queer as Folk auch einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft und die Akzeptanz von Schwulen und Lesben haben?

Ehrlich gesagt, kann ich das nicht beurteilen. Das Problem ist ja, dass die Leute, die grundsätzlich gegen homosexuelle Beziehungen sind, sich diese Serie natürlich auch nicht anschauen, sprich, sich dann auch nicht vom Gegenteil ihrer Einstellung überzeugen lassen. Eltern, die diese Serie gesehen haben, und grundsätzlich offen gegenüber „Anderssein“ sind, werden es vielleicht einfacher haben, ihre(n) Sohn/Tochter als homosexuell zu akzeptieren. Andere, die vom Grunde ihres Herzens her einen Hass auf LGBT haben, werden diese Serie nicht schauen und sich daher auch nicht ändern.

Derzeit wird auch eine QaF-Convention in den USA geplant. Gibt es dazu schon etwas Konkretes? Und wirst du auch mit von der Partie sein?

Es wird wohl Ende Mai oder Anfang Juni wieder eine Rise’n Shine Convention in Los Angeles geben. Die Schauspieler sind angesprochen worden und die Vertragsverhandlungen laufen. Ich werde mit von der Partie sein und gerne mit Rat und Tat zur Seite stehen. Allerdings ohne das finanzielle Risiko, was wir hier in Köln auf uns genommen haben. „Less risk, more fun“. Stolz bin ich darauf, mit Rise’n Shine Cologne einen Stein ins Rollen gebracht zu haben, der sich jetzt weiterbewegt und auch auf einem anderen Kontinent den Fans die Gelegenheit gibt, ihre Stars hautnah zu erleben. Etwas, wovon vor einem Jahr noch niemand gedacht hat, dass es überhaupt je passieren würde.

 

Rezension: Rise’n Shine „Impressions: The official fan-convention DVD“

Rise’n Shine „Impressions: The official fan-convention DVD“ hält das, was sie verspricht: Die schönsten Momente der Convention wurden zusammengefasst. Darunter auch die Highlights der Pressekonferenz, der Besuch im Café Morgenstern oder Partyabende mit den Stars, die für die teilnehmenden Fans nicht zugänglichen waren oder teuer bezahlen werden mussten. Wer also nicht im Venue-Club oder bei der Babylon-Party war, kann sich auf der DVD zumindest ansehen, was dort vor sich ging. Weitere Zusammenfassungen der Question and Answer-Runden und der Meet and Greets gibt es ebenso auf der DVD. Zusätzlich gibt es zahlreiche Interviews mit allen Stars der Serie, die nicht öffentlich waren. Natürlich war es aber nicht möglich, etwa die komplette Pressekonferenz auf die DVD zu bringen (aber die gibt es auch im Video von media-bubble.de).

Ein Anspieltipp ist sicherlich die Question and Answer-Runde, in der Thea Gill mit unglaublichem Pathos über gleichgeschlechtliche Liebe und Akzeptanz spricht. Es gelingt der DVD den O-Ton der dreitägigen Convention wiederzugeben: Wir sind hier, wir sind queer – und wir haben Spaß dabei. Wenn die Stars betonen, wie wichtig ihnen die Botschaft der Serie ist, dann merkt man schnell: Sie meinen es ernst. Für alle war die Serie ein großes Wagnis, ihre zumeist homosexuellen Rollen zu spielen. Doch die Thematiken der Serie, die weit über Sex hinausgehen, behandeln Herzensangelegenheiten. Und genau das kommt auch so rüber.

Natürlich kommt die Aufzeichnung nicht an die vielen Gänsehaut-Szenen der Convention selbst heran, lässt aber Teilnehmer wieder in Erinnerungen schwelgen. Und wer nicht mit von der Partie war, kann zumindest ein wenig nachvollziehen, wie für drei Tage im Juni der Regenbogen über Köln noch ein wenig mehr funkelte.

180 Minuten Queer as Folk vergehen wie im Fluge. Ein kleiner Wermutstropfen ist höchstens das Fehlen von Untertiteln, denn die Sprache der DVD ist Englisch. Die DVD der Convention kostet im Onlineshop 36 Euro, mit den Autogrammen der neun Stars 60 Euro.

 

Foto: Rise’n Shine; Sandra Meier

Kultur im Netz – Ein Spannungsfeld: Willkommen im Tal der Enttäuschungen

von Stefan Reuter

 „In the future everybody will be world-famous for 15 minutes.“ Was Andy Warhol vor mehr als 40 Jahren voraussagte, ist dank des Internets gar nicht mehr so abwegig. Ein Schnappschuss kann den Jungen von nebenan zum Star machen. Auch Musiker können schnell enorme Aufmerksamkeit erlangen. Doch der Sturz vom Gipfel der überzogenen Erwartungen ist meistens unausweichlich.

Mr. Ridiculously Photogenic Guy

Zeddie Little, war erst vor kurzem nach New York gezogen, als er im März diesen Jahres an einem Marathon in seiner Heimatstadt Charleston, South Carolina, teilnimmt. Kurz nach dem Start entdeckt der junge Mann einen Freund, winkt ihm zu und wird zufällig dabei fotografiert. Inmitten der anderen Läufer sticht Mr. Ridiculously Photogenic Guy mit seinem strahlenden Lächeln ohne jegliche Anzeichen von Anstrengung eindeutig heraus. Der Fotograf lädt das Bild auf flickr hoch und macht aus Little so unbewusst einen Internet-Star. Der Schnappschuss wird zu einem Meme, also

an image, video, story or joke that is voluntarily passed from one Internet user to another via e-mail, blogs and social networking sites. Considered a form of art, Internet memes are created to promote individuals, groups, movies, art, music and products, as well as to perpetrate a hoax or just be funny.

Das Bild wird bearbeitet und immer weiter verbreitet, bis es schließlich das Charleston City Paper erreicht. Endlich wird bekannt, wer dieser schöne Mann ist und leider auch, dass er bereits glücklich vergeben ist. Mit einem Interview auf ABC erreicht er dann den Zenit seiner „15 minutes“, seitdem ist es still um ihn geworden.

The Next Big Thing

Während Little diese plötzliche Prominenz zufällig und vollkommen überraschend traf, wollen – und müssen – viele aufstrebende Musiker heutzutage die Möglichkeit nutzen, über das Internet bekannt zu werden. Als das „next big thing“ gehandelt zu werden, also einen Hype zu erfahren, bedeutet, meist bereits vor ersten größeren öffentlichen Auftritten und der Veröffentlichung eines Debütalbums, Thema in sozialen Netzwerken und der Fachpresse zu sein. Jedes „gefällt mir“ bedeutet heute einen kleinen Schritt auf dem Weg zum Durchbruch. Man muss es also schaffen mit wenigen Songs und geschickter Promotion, genug Aufsehen zu erregen, um die Dynamik des Netzes nutzen zu können. Der Stuttgarter Rapper mit Panda-Maske Cro hat seinen Erfolg nicht zuletzt seinem geschickten Umgang mit dem Web 2.0 zu verdanken. Wie es mit ihm weitergeht wird sich noch zeigen, vorerst scheint er vom „Gipfel der überzogenen Erwartungen“ gestürzt zu sein.

Gefangen im Hype-Zyklus

Die IT-Beraterin Jackie Fenn beschreibt mit ihrem Modell eines Hype-Zyklus‘ die Entwicklung der Aufmerksamkeit für eine neue Technologie auf ihrem Weg von der ersten Ankündigung oder „technologischem Auslöser“ bis zu ihrer Etablierung. Dieser Weg ist dabei meist der gleiche: Die Berichterstattung überschlägt sich zu Beginn mit oft unrealistischen Vorstellungen, führt also auf besagten Gipfel der überzogenen Erwartungen. Kommt die Innovation zum ersten Mal in Einsatz, macht sich wegen der nicht zu erfüllenden Erwartungen dann Ernüchterung breit, die Berichterstattung nimmt ab: Willkommen im „Tal der Enttäuschungen“. Auf dem „Pfad der Erleuchtung“ führen nun realistische Einschätzungen auf das „Plateau der Produktivität“, also zur mehr oder minder ausgeprägten Durchsetzung der Technologie. Ein ganz ähnlicher Verlauf lässt sich auch bei Cro beobachten: Mit „Easy“ veröffentlicht der damals 20 Jährige im November 2011 sein drittes Mixtape zum kostenlosen Download. Das Video zum Titeltrack wird fleißig geteilt und der Song ein Hit. Jan Delay sieht in ihm „die zukunft von deutsch-rap“. Cros Bekanntheit nimmt immer weiter zu, egal ob SPIEGEL, Gottschalk oder RTL II News, alle fragen sich: Wer steckt hinter der Panda-Maske? Vor allem auf Facebook versorgt er seine wachsende Fanschar, die ihn bei zahlreichen Konzerten kräftig feiert, mit Eindrücken von seinem Weg zum Popstar.  Gleichzeitig steigen auch die Erwartungen an das offizielle Debüt „Raop“. Als es schließlich am 6. Juli erscheint, schwanken die Meinungen stark, der erwartete große Wurf ist das Album definitiv nicht. Ein Grund könnte darin liegen, dass, um die Aufmerksamkeit zu nutzen bevor das „next next big thing“ zum Thema Nummer Eins wird, wenig Zeit blieb, Nachschub für die Fans zu liefern. In Cros Fall äußert sich das zum Beispiel darin, dass keine Rechte für die Verwendung Lieder anderer Künstler für das Sampling erworben werden konnten. Doch nicht nur bei „Easy“ liegt das Hitpotential zum großen Teil in der cleveren Verarbeitung eines bekannten Hits, auch andere Songs von den Mixtapes setzen darauf.

Don’t believe the Hype!?

„Raop“ verkauft sich zwar sehr gut und die Konzerte sind weiterhin gut besucht, aber Cro ist lange nicht mehr so omnipräsent wie zuvor. Es wird sich zeigen, ob „Easy“ sein einziger großer Hit bleibt, oder ob er sich dauerhaft in der deutschen Musiklandschaft etablieren kann. Der Rapper ist natürlich nicht das einzige Beispiel für solche Hypes, die US-Sängerin Lana del Rey befindet sich gerade auch auf dem Weg auf das Plateau der Produktivität. Eine der großen Herausforderungen für neue Künstler liegt also in Zukunft darin, einen Spagat zwischen medialer Aufmerksamkeit und erfüllbaren Erwartungen zu schaffen, um so einen allzu tiefen Fall ins Tal der Enttäuschungen zu vermeiden.

 

Nächste Woche gibt es exklusives Interview, ebenfalls zum Thema Musik und das Internet.

Fotos: flickr/MarblePlay (CC BY-NC-ND 2.0), flickr/Der Robert (CC BY 2.0), wikicommons/Idotter (CC BY-SA-3.0,2.5,2.0,1.0)

 

Der Rankingwahn

von Alexander Karl

Rankings sind das, nach dem die Menschen lechzen: Es gibt ihnen in einer immer schneller werdenden Welt Halt und Struktur, eine Ordnung, die verloren gegangen zu scheint. Längst finden sich Rankings überall in den Medien – von Amazon bis im TV. Doch die Ergebnisse lassen oft zu wünschen übrig.

Die gefühlte Wertigkeit

Rankings gibt es überall, lassen sich leicht erstellen und werden von den Medien dankend angenommen. Vom beliebsten Arbeitgeber über SUVs, Biermarken bis hin zu Hochschulen wird alles in eine Rangliste gepresst, was nicht bei drei auf dem Baum ist (und selbst die könnten noch gerankt werden). Rankings erheben den Anspruch auf Richtigkeit und Vollständigkeit. Aber wen befragt man, wenn man die beliebtesten Biermarken testen will? Alle zwischen 16 und 99 Jahren? Fragt man lieber gar nicht in Erding oder ausschließlich da? Ermittelt man das Ranking anhand des Verkaufs oder der Produktion? Und so weiter.

Ein gutes Ranking sagt, wie es zustande kam, doch zumeist bleibt Raum zum Zweifeln, denn auch Rankings sind leicht zu beeinflussen. 2005 wurden Manipulationsvorwürfe der deutschen Musikcharts laut, da der Produzent David Brandes Platten seiner Schützlinge – etwa der Eurovision Songcontest-Teilnehmerin Gracia – gekauft haben soll. Das Ziel hinter solchen Aktionen, die angelich branchenüblich ist: Eine bessere Chartplatzierung, denn ein Top 20 Hit verkauft sich wiederum besser als ein Top 60 Hit.

„Schließlich zündet ab dieser Positionierung die zweite Marketing-Stufe: MTV, Viva und die Radio-Playlists greifen das Stück auf und bewerben es so kostenlos“, schreibt der Focus dazu. Dieses Prinzip lässt sich auf alle Bereiche übertragen: Ein Ranking zum beliebtesten Bier sorgt für die Möglichkeit, sich als Produzent genau das auf die Fahne zu schreiben. Die Platzierung eines Buches auf einer Bestsellerliste macht aus einem Titel schnell einen Top-Titel – selbst wenn das Buch nur kurz Chartluft schnuppern durfte. In jeder Buchhandlung liegen diese Bücher dann aus, um alleine durch ihre physische Präsenz und dem Prädikat Bestseller erneut gekauft zu werden – ein Teufelskreis.

Das Bewerben von Spitzentiteln ist natürlich der richtige Schritt des Produzenten und gängige Praxis – man denke nur an all die erfolgreich von Stiftung Warentest getesteten Produkte. Und für den Konsumenten scheint es ein guter Hinweis zu sein: Jeder möchte doch den Marktführer konsumieren und kein vermeintlich schlechteres Produkt. Das Ergebnis ist eine geringe Fluktuation von Spitzentiteln.

Doch Ranking ist nicht gleich Ranking. Recht schnell können sie skurile Formen annehmen, wie Amazon beweist, wenn es Titel in den unmöglichsten Kategorien rankt. Oder eben bewusst Käufe getätigt werden, um aus einem Produkt ein Spitzenprodukt zu machen. Vielleicht sollte man nur dem Ranking trauen, das man auch selbst gefälscht hat.

Doch Skurilität ist das Stichwort, wenn es um die Königsdisziplin des Rankings geht: Der TV-Rankingshow. Selten geht es dort um die harte Rankingware wie Unis und Autos, außer sie beweisen sich als sonderlich „skuril“.

Der Rankingwahn im Fernsehen

Die 25 unglaublichsten TV-Auftritte der Welt, Unsere Besten – Die größten Deutschen, 32Eins! – Die größten Beautyschocker, die unglaublichsten Tiere der Hessen, die erfolgreichsten Überraschungshits – die Rubrikenvielfalt einer TV-Ranking-Show scheint unendlich groß und reicht längst von den privaten Sendern bis zu den öffentlich-rechtlichen. Das Vorgehen – gerade bei den Privaten – ist zumeist gleich: Man finde zunächst eine Kategorie für ein interessantes Ranking, das zum Senderformat passt. Dann setze man ein wertendes Adjektiv à la unglaublich oder spektakulär hinzu. Weiterhin nehme man kostengünstiges Archivmaterial und schnibbele es wild zusammen. Im letzten Schritt lasse man einige Stars und Sternchen, die sich bereits im Sender bei anderen Formaten bewährt haben, Senf zu dem Gezeigen abgeben. Fertig.

Soweit, so gut. Doch mittlerweile nimmt der Rankingwahn absurde Formen an: Da tritt der gerade gerankte Beitrag hinter den meist uninformativen Beiträgen der Kommentatoren zurück, die im Idealfall das kommentieren, was man als Zuschauer gerne selbst sehen würde, wenn man denn könnte. Denn was die Prominenten da von sich geben, enthält zumeist das Motto der Sendung und unterstreicht, wie unglaublich dieser TV-Auftritt wirklich (!) ist. Oder wie vollkommen überraschend dieser Hit wirklich (!) ist. Oder wie vollkommen toll/grandios/ekelig/bäh/sinnfrei dieses oder jenes ist.

Vielleicht ist die Idee solcher Shows, durch die Willkürlichkeit der Zusammenstellung wenigstens nichts fälschen zu müssen. Vielleicht ist es auch nur kostengünstige Unterhaltung, die die Zuschauer in Erinnerung schwelgen lassen kann. Denn das was gerankt wirkt, muss existieren und in der Vergangenheit da gewesen sein. Rankingsshows sind letztendlich gerangordnete Rückblicke, nicht mehr und nicht weniger – nur die Art ihrer Seriösität und Ernsthaftigkeit variiert. Man warte auf den Tag, an dem es ein eine Rankingshow der unglaublichsten Rankings gibt.

Fotos: flickr/pete_pick (CC BY-NC-SA 2.0) , flickr/Funky64 (www.lucarossato.com) (CC BY-NC-ND 2.0)

Wie der Vampire zum Mensch wurde

von Sanja Döttling

Vor Graf Dracula hatte man noch Angst – im Stummfilm Nosferatu ist er eine Schreckensgestalt. Doch weniger als ein Jahrhundert später belustigt Edward Cullen die moderne Popliteratur. Wie konnte es dazu kommen, dass die albtraumhafte Gestalt zu einem vegetarisch lebenden Familienvampir verkam?

Vampire – es gibt sie nicht erst seit der Erfindung von Film und Fernsehen. Schon seit Jahrhunderten treiben sie ihr Unwesen in Mythen und Geschichten. Am bekanntesten ist aber bis heute der „abendländische Vampir“, der nachts auszieht, um seinen Opfern das Blut auszusaugen und tagsüber im Grab ruht.

Doch warum ist diese Figur nach Jahrhunderten noch immer so faszinierend? Der Vampir ist immer ein Spiegel des Menschen und der Gesellschaft selbst und wurde oft dazu verwendet, tabuisierte Konflikte zu bewältigen und das andere, unbeschreibliche, auszudrücken. Außerdem ist der so dauerhaft in unseren Geschichten verankert, weil er sich im Laufe der Zeit so sehr geändert hat.

Die ersten Vampire waren Frauen

In der Novelle Carmilla, die 1872 erschien und damit älter ist als der Bekannte Dracula-Roman von Bram Stoker von 1897, wird die weibliche Protagonistin von einer Vampirin umgarnt. Das Tabuthema der weiblichen Sexualität ist hier im mythologischen Gewand beschrieben; ebenso die imminenten homosexuellen Tendenzen. Der Biss in den Hals – nicht nur eine Metapher für Sexualität, sondern vollmundig eine für die orale Sexualität. Der Vampir als Ausdruck dessen, was damals nicht besprochen werden konnte.

Vom Schreck zur Liebe

Ganz anders Dracula; auch wenn hier eine gewisse Erotik des Bisses nicht abgestritten werden kann, so nageln doch die ersten Verfilmungen von Stokers Bestseller den Vampir auf seine Monsterhaftigkeit hin fest. Max Schreck als schrecklicher Dracula in der Verfilmung Nosferatu (1922), mit überlangen Fingernägeln, einem krummen Rücken und eine langen Nase, die an die Totengräbermasken der Pestzeit erinnert, bildet wohl kaum das Bild des perfekten Ehemanns, wie es heute ein Edward Cullen tun wird. Doch schon 1958 im Film Horror of Dracula mit Chrisopher Lee als aristoraktischem Vampir verliert der Blutsauger seine Triebhaftigkeit – er wird rationaler. Die Vermenschlichung der ehemals so unfassbaren Figur beginnt, er wird vom Albtraum zum Exoten. Und damit einher geht auch sein gesteigerter Sexappeal, der Frauen (wenn auch nicht ganz freiwillig) in seine Arme zwingt. Am Schluss der Entwicklung dieser Figur steht Francis Ford Coppolas Liebesdrama um Dracula und seine wiedergeborene Frau; Das ehemalige Monster krank 100 Jahre nach seinem Entstehen an unsterblicher Liebe. Menschlicher geht es wohl kaum.

Vampire als Grenzgänger zwischen den Genres

Natürlich – nicht alle neuen Vampirfilme sind Liebesdramen. So wie Vampire immer Grenzgänger zwischen Leben und Tod waren, sind sie es heute über Genre-Grenzen hinweg.

Noch immer ist die übermenschlich strake Figur im Action und Horrorfilm verhaftet – das blutsaugende Monster ist nicht verloren. Doch dort bleibt der Vampir nicht aleine: Er bekommt neue Gegner und Mitstreiter, aber auch eine komplexe Hintergrundgeschichte, die den ersten Vampiren verwehrt war.

Van Helsing kämpft im gleichnamigen Film gegen ein ganzes Sammelsurium viktorianischer Schreckensgestalten; in der Filmserie Underworld treten die Vampire gegen ihre Erzfeinde, die Werwölfe, an und der historische Abraham Lincoln muss ebenfalls bald gegen Vampire in den Kampf ziehen. Auch Vampirjägerin Buffy muss in der gleichnamigen Serie gegen höllische Gegner in den Kampf ziehen. Und obwohl sie nebenberuflich Vampire jagt, hat sie doch auch welche zum Freund. Noch einmal sei auf die Gender-Frage zurückzukommen;,denn die Serie überrascht bis heute mit einem (einigermaßen) emanzipierten Frauenbild.

Alles in allem lässt sich nicht bestreiten, dass die Vampire ihren Schrekcne verloren haben und langsam immer besiegbarer wurden. 1967 drehte Roman Planski den Musik-Slapstick-Film Tanz der Vampire, in denen inzwischen etablierte Motive verwendet und parodiert werden. Der homosexuelle Subtext, der sich durch die Vampirmystik zieht, wird sichtbar, als Vampirsohn Herbert den naiven Alfred verführen will. Folgerichtig wurde aus dem satirischen Film ein deutsches Musical mit großem Herzschmerz-Feeling, dessen Erfolg in Deutschland mit seinem Misserfolg am Broadway ausgeglichen wurde.

Der Vampir und die Gesellschaft

Waren die ersten Draculas noch eigenbrödlerische Burgherren, die nur zum Essen nach England ausgingen, so rückte der Vampir im Laufe des folgenden Jahrhunderts immer mehr in die Mitte der Gesellschaft. Mit dem Film britischen The Hunger begann sich das Image des Vampirs als leidender Künstler zu formen und am Rande der Gesellschaft niederzulassen. In schwarzen Lederklamotten und zu den Klängen klassischer Musik wird in Musikvideo-Optik gefeiert, getrunken und gehurt. Und dennoch stehen auch hier so menschliche Themen im Vordergrund: Das Vampir-Pärchen Miriam und John versuchen, den Alterungsprozess des Letzteren zu stoppen. Unsterblichkeit ist passé – spätere Vampire fordern ihretwegen eher Mitleid als Bewunderung.

Auf die Spitze treibt das Künstlertum Autorin Anne Rice mit ihrem Vampir-Zyklus. Vor allem die Filme Interview mit einem Vampir und Königin der Verdammten nehmen die Künstlerthematik auf; Lestat erschafft Louis als Begleiter und Kunstwerk und ist somit schaffender Künstler;  Louis selbst findet seine Muse in der puppenhaften Claudia, die in ihrer kindlichen Gestalt gefangen ist. Im nächsten Film dann erklimmt Lestat den Himmel der Rockstars.

Auch untereinander werden die Beziehungsgeflechte der Vampire immer menschlicher. Aus dem einzelgängerischen Draclua, der sich zum Vergnügen ein dreiköpfigen Harem hielt, werden Pärchen- und Familienstrukturen. Später finden sich Vampire dann auch in größeren Gruppen zusammen und etablieren eine eigene Gesellschaft.

In der Serie True Blood geben sich die Vampire mit diesem Randsatus nicht mehr zufrieden. Nachdem das synthetisch hergestellte Blut „Tru Blood“ den Menschenbiss nicht mehr notwendig macht, drängen die Vampire in die Mitte der Gesellschaft und wollen sich dort etablieren. Jetzt sind die Vampire eine Minderheit, die sich mit dem Rassismus der Menschen auseinandersetzen müssen.

Und dann kam Twilight

Der Boom um Vampire war nie größer als mit dem aufkommen rund um die Bücher und Filme der Twilight-Saga. Mit der Bilderbuch-Vampirfamilie Cullen wird auf die Spitze getrieben, was nach hundertjähriger Entwicklung aus dem Vampirgenre geworden ist; denn heutige Vampire haben mit Dracula noch so viel zu tun wie der Tiger mit der Wohnungskatze.

Familie Cullen will menschlich sein; die „Kinder“ gehen zur Schule und ans College, Mama und Papa versuchen sogar zu kochen, wenn menschlicher Besuch ins traumhaft moderne Eigenheim kommt. Von der Hässlichkeit eines Dracula ist hier lang nicht mehr die Rede; denn Familie Cullen sieht unglaublich gut aus. Natürlich gibts für die Cullens nur noch vegetarisches Tierblut, dass sie sich besser in die Gesellschaft einfügen können (natürlich – der Vampirpapa ist praktizierender Arzt). Sohn Edward wird mit seiner angetrauten Bella nach der Hochzeit auch noch Vater eines Kindes, mit dem sie in ein eigenes Haus ziehen. Die Cullens sind der Traum einer jeden Vorstadtfamilie.

Während also die Entwicklung des Vampirgenres in die eine Richtung in Twilight konsequent weitergeführt wird, verliert der Vampir dadurch alles, was ihn je als solchen ausgezeichnet hat. Kein Wunder also, dass auch Fans der Serie den Vampir-Aspekt (und den Werwolf-Aspekt) ausklammern: Fanfictions zu Twilight haben auffällig oft den Zusatz „All Human“ – also die Anmerkung, dass alle Protagonisten menschlich sind.

Der Vampir ist eben auch nur ein Mensch.

Fotos: flickr/drurydrama (Len Radin) (CC BY-NC-SA 2.0), flickr/Kid’s Birthday Parties (CC BY-ND 2.0)

Kultur im Netz – Ein Spannungsfeld: Pop, Politik & Parodien

von Stefan Reuter

Barack Obama ist bekannt für seinen lockeren Umgang mit den Medien – aber dass er „Sexy and I know it“ oder „Call me maybe“ öffentlich singt, überrascht dann doch. Tatsächlich handelt es sich bei den YouTube-Videos um bunte Redenzusammenschnitte, die aber zeigen, wie Politik im digitalen Zeitalter interpretiert wird.

Die Geburt eines YouTube-Hits: Ein Mann präsentiert seine Bikini-Sammlung und performt dazu mit „Call Me Maybe“ von Carly Rae Jepsen einen der schlimmsten Ohrwürmer diesen Jahres für ahnungslose Videochat-Nutzer. Dauerschleife im Radio und vor allem unzählige solcher Parodien des Liedes sind daran schuld, dass man ihm kaum entrinnen kann. Neben Zombies und Batman heißt es auch bei Barack Obama: „Hey, I just met you…“

Sorry for Party Baracking

Der US-Präsident „singt“ dank eines Zusammenschnitts einiger seiner Reden den Charthit auf YouTube nach. Es ist nicht das einzige dieser Art, denn Obama ist sexy und weiß das (siehe unten).

Der Medienwissenschaftler Henry Jenkins stellt in „Convergence Culture“ die These auf, dass solche Parodien von Politikern eine Möglichkeit darstellen könnten, die Bereitschaft zu politischem Engagement zu stärken, denn sie erlauben einen Zugang zu Politik über die Popkultur. Damit umgehen sie den, gerade für junge Menschen oft abschreckenden, Diskurs in den klassischen Medien.

YouTube stellt für Jenkins eine ideale Plattform dar, um den Austausch zwischen verschiedenen politischen Lagern, Amateuren, Profis, alten und neuen Medien zu fördern: Erstens kann jeder darauf zugreifen und auch selber Videos hochladen und seinen Ansichten Gehör verschaffen. Zweitens steht damit ein gigantisches Archiv von Videoschnippseln zur Rezeption und Verarbeitung zur Verfügung. Drittens können Videos ganz einfach über Verlinkungen in Blogs und sozialen Netzwerken schnell weit verbreitet werden. Im besten Fall könnten es so wenig beachtete Themen und Anliegen von Minderheiten auf die öffentliche Agenda schaffen – Stichwort Viralität. Parodien sind dabei oft besonders gut geeignet, da sie primär wegen ihres Humors und dem Bezug zur Popkultur verbreitet werden, so aber auch Anstoß zu Diskussionen liefern können. Zwei aktuelle Beispiele aus dem US-Wahlkampf verdeutlichen, wie Politik mit den Mitteln des Pop verarbeitet wird.

„99 Problems, but a Mitt ain’t one“

Obama, oder besser der Obama-Imitator Iman Crosson, steht am Rednerpult und rappt eine klare Ansage für die anwesende Presse: Mitt Romney hat, trotz der Kritik, die gegen mich geübt wird, keine Chance! Er parodiert dabei den Song „99 Problems“ des Rappers Jay-Z und übernimmt dessen Selbstüberzeugung und klassische Motive des Hip-Hop. Zwischen den Szenen im weißen Haus zieht der Präsident mit seiner Gang aus Leibwächtern durch die Straßen, in der Hand einen Baseball-Schläger. Auf diesem steht: „Walk Soft…“, was eine Anspielung auf ein oft falsch verwendetes Zitat Theodore Roosevelts ist: „Speak softly and carry a big stick.“ Diese „big stick policy“ bezieht sich auf die Außenpolitik und fordert dazu auf, bedächtig zu handeln, bei Bedarf aber die Keule zum Einsatz zu bringen. Crosson verwendet diese Referenz im übertagenen, um klarzustellen, dass Obama von seinem Gegner nicht unterschätzt werden sollte: „Got two choices y’all keep it diplomatic or mop the floor with him. Straight treat him like a chore.“

Dieser zuversichtlichen Aussage steht eine Parodie des zweitschlimmsten Ohrwurms des Jahres gegenüber: „Now you’re not Obama that I used to know.“ Die beiden College-Absolventen Justin Monticello und Ryan Newbrough nahmen sich Gotyes Song vor, um ihre Enttäuschung über die erste Amtszeit und die nicht eingehaltenen Wahlversprechen Obamas zu artikulieren. Während im Original der nackte Körper des Sängers nach und mit geometrischen Formen angemalt wird, um zu illustrieren, wie ein einst geliebter Menschen als ein weiterer „somebody that i used to know“ Teil unseres „Lebensgemäldes“ wird, entsteht bei der Parodie das Konterfei des Präsidenten. Ihre Intention verdeutlichen Monticello und Newbrough in einem Interview mit CNN: „Everybody can find something in this video that they I think they can find truthful. That was really our goal, to be post-partisan in the spirit of the Obama that we used to know.”

Ein möglicher Weg

Im selben Interview geben die beiden allerdings zu, dass sie selbst 2008 nicht gewählt hatten, worauf die Moderatorin zurecht erwidert: “Some people might say listen, the better way to let your voice be heard, with all due respect, is to cast your ballot.”

Auch Jenkins ist nicht so naiv zu glauben, dass Parodien unweigerlich zu mehr Beschäftigung mit Politik führen müssen. Er weist aber darauf hin, dass sie das Potential dazu haben, weil sie Diskussionen anregen können. Und weil es einfacher ist, auf seine Ansichten aufmerksam machen kann, wenn man Politik und Pop verbindet.

Nächste Woche geht es um die berühmten „15 Minutes of Fame“ und Musik-Hypes.

Übrigens: Hier ’singt‘ Obama „Sexy and I know it“

Fotos: www.youtube.comwww.whitehouse.gov (CC BY 3.0)

Video-Portal gestoppt! Warum es kein deutsches hulu.com gibt

von Sandra Fuhrmann

Es hätte so schön werden können: Eine Internetplattform, auf der Filme, Serien und Shows kostenlos angeschaut werden können. Was erst einmal ein bisschen nach kinox.to klingt, ist ein von RTL und der ProSiebenSat.1 geplantes Projekt. Finanziert werden sollte die Video-on-Demand Plattform mit Werbung. Die Betonung liegt auf sollte. Am 8. August erklärte das Oberlandesgericht Düsseldorf die vorausgehende Entscheidungdes Bundeskartellamts, die Plattform fördere das marktbeherrschende Duopol der beiden Sender im Bereich Fernsehwerbung, für bestandskräftig.

Das jähe Ende einer Idee

Schon seit Jahren planen die beiden Sendergruppen eine gemeinsame Online-Video-Plattform. Im August 2010 kündigten sie das Projekt erstmals an. Die Shows, Filme und Serien sollten dabei aus dem eigenen Sendeprogramm kommen. Umstritten war jedoch besonders die Frage, wie offen die Plattform auch für andere Sender sowie fremde Video-on-Demand-Angebote sein sollte. Eigentlich war die Idee der beiden Sendergruppen, dass auch noch andere Anbieter das Angebot nutzen und somit ebenfalls von der Werbung profitieren können. Einen Anteil an den Werbeeinnahmen der fremden Anbieter würden die Konzerne nicht beanspruchen. Lediglich die Kosten, für technische Dienstleistungen auf der Plattform, hätten die anderen Anbieter an die Konzerne entrichten müssen. Doch die Forderung des Bundeskartellamts lautete schon im März 2011, die Konzerne dürften anderen Anbietern auf der eigenen Plattform keine „einschränkenden Vorgaben zu Verfügbarkeitsdauer, -zeitpunkt und zur Qualität der Angebote“ machen. RTL und ProSiebenSat.1 legten damals Beschwerde ein – welche nun vom Oberlandesgericht abgewiesen wurde.

Die Begründung: Mit der Gründung der Plattform würden RTL und ProSiebenSat.1 ihr Duopol in Sachen Fernsehwerbung weiter ausbauen. Gemeinsam haben die drei großen Privatsender einen Marktanteil von 30 bis 50 Prozent – das aber auch nur im engen Bereich der In-Stream-Video-Werbung, also bei der Werbung, die in das Video an sich eingebunden ist. Doch die Probleme, so schreibt Prof. Dr. Thomas Hoeren von der WWU Münster, der auch Direktor des Instituts für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht ist, liegen noch woanders: „Bis heute ist es nicht richtig gelungen, empirisch haltbar verschiedene Märkte im Fernsehwerbungsbereich sauber herauszuarbeiten. Einen einheitlichen Markt für Fernsehwerbung gibt es nicht.“

Prof. Dr. Thomas Hoeren schreibt weiter:

Die Gerichte tun sich schwer, das Internet als technischen Raum für unterschiedlichste Märkte überzeugend wahrzunehmen. Gespannt sein darf man auch auf die Begründung der Richter, warum sie in der Zusammenarbeit von RTL und Pro7Sat1 ein Duopol sehen; denn zwischen den beiden Unternehmen herrscht ein heftiger Wettbewerb im Fernsehgeschäft.

Andere Ländere, andere Videoportale

Andere Länder scheinen in dieser Hinsicht weit liberaler als Deutschland. Hulu nennt sich das amerikanische Vorbild für die Video-on-Demand Plattform. Viele Anbieter aus der TV- und Filmbranche liefern die Inhalte für die Webseite, die schon im März 2007 an den Start ging. Zum Team gehören namhafte Konzerne wie die Walt-Disney-Company, FOX oder NBCUniversal. Dumm nur, dass sich die Inhalte auf Hulu lediglich für US-amerikanische IP-Aderessen zugänglich sind. Aber schließlich ist allgemein bekannt, dass solche Hindernisse im Internet nur zu existieren scheinen, um einen Weg zu finden sie zu umgehen und diesen wiederum im Internet zur freien Verfügung zu stellen. Der Grund, dass das Portal der großen weiten Welt der Film- und Serienliebhaber nicht zur Verfügung steht, sondern eben nur der amerikanischen, liegt an den Lizenzen für die Filme und Serien, die an die Sender weltweit vergeben werden. Eben diesen Sendern wollen die Anbieter von Hulu nicht in die Quere kommen.

Doch zurück zum deutschen Markt. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts und die Mängel, die die Begründung des Urteils aufweisen, zeigt zumindest wieder einmal eines: Die Hüter des Rechts scheinen nach wie vor Probleme zu haben, die Gesetzeslandschaft richtig auf das Internet anzuwenden und auch anzupassen. Was das Düsseldorfer Urteil für die ganz ähnliche Plattform Germany’s Gold von ARD und ZDF, die eigentlich Ende des Jahres online gehen soll, bedeutet, wird sich zeigen. RTL und ProSiebenSat.1 bezeichnen das Urteil jedenfalls als eine Entscheidung gegen die deutsche Medienwirtschaft. Ob die beiden Sender gegen das Urteil vorgehen wollen, blieb zunächst noch offen.

Foto: flickr/Funky64 (www.lucarossato.com) (CC BY-NC-ND 2.0), flickr/sugu (CC BY-NC-ND 2.0)

Kultur im Netz – Ein Spannungsfeld: Von Hobbytänzern, WoW und indischem Pop

von Stefan Reuter

Was haben zwei euphorisch tanzende junge Männer, das Online-Rollenspiel „World of Warcraft“ und ein indischer Popstar miteinander zu tun? Nicht viel könnte man auf den ersten Blick meinen. Doch der zweite Blick entführt in das Spannungsfeld der Kultur im Netz.

„Tunak Tunak Tun“

Zwei tanzende Männer mit freiem Oberkörper und bunten Badeshorts sind derzeit ein großer Hit auf YouTube. Sie tanzen – wenn man das so nennen möchte – zu dem Song „Tunak Tunak Tun“ des indischen Popsänger Daler Menhdi aus dem Jahr 1998. Den Song, den die beiden Männer in ihrem Video betanzen, ist auf verschiedenen Portalen im Netz zu finden und erfreut sich nicht nur in Indien großer Beliebtheit, denn der Song hat – trotz Sprachbarriere – definitiv Hitpotential.

Für die meisten Aufrufer aus dem westlichen Kulturkreis dürften aber auch der trashige Charme des Orginalvideos (es war das erste indische Musikvideo, das vor einem Bluescreen gedreht wurde) und vor allem die Choreografie die größten Spaßfaktoren ausmachen. Konsequenterweise verraten die Statistiken des Videos der beiden Jungs, dass viele Aufrufe aus Indien stammen, was vermuten lässt, dass die Menschen dort besonders daran interessiert sind, wie andere Kulturen auf ihre Popmusik reagieren.

Henry Jenkins und die „Convergence Culture“

Indische Musik mit westlichem Tanzstil – ein kultureller Zusammenstoß. Der amerikanische Medienwissenschaftler Henry Jenkins beschreibt in seinem Buch „Convergence Culture: Where Old and New Media Collide“ aus dem Jahr 2006 eine Vielzahl von Veränderungen, die die moderne Medienlandschaft maßgeblich prägen. Konvergenz bedeutet für ihn dabei vor allem, dass Inhalte heutzutage durch die unterschiedlichsten Medien wandern und dabei von verschiedenen Publika unterschiedlich aufgenommen werden – auch über Kulturkreise hinweg.

Die modernen Mediennutzer sind dabei für Jenkins nicht mehr rein passive Konsumenten, sondern machen sich Inhalte zu eigen und lassen ihrer eigenen Kreativität und Begeisterung freien Lauf, was sich natürlich sehr deutlich in Fan-Communities zeigt. Aber Konvergenz ist keine Einbahnstraße, auch die Produzenten von kommerziellen Kulturgütern bedienen sich fleißig am kulturenübergreifenden Buffet im Internet – so schnappten sich die Entwickler von World of Warcraft das Häppchen „Tunak Tunak Tun“.

Everybody Dance Now!

World of Warcraft (kurz: WoW) ist wohl das populärste aller Online-Rollenspiele, die gerne auch MMORPG für Massively Multiplayer Online Roleplaying Game genannt werden. WoW, dass 2005 in Europa startete und weltweit Millionen von Fans hat, erfuhr 2007 mit „The Burning Crusade“ seine erste große Erweiterung. Diese führte mit den Draenei eine neue Rasse ein, die von nun an den Spielern, neben den altbekannten Menschen, Zwergen, Orks und Co. als mögliche Alter Egos für die Abenteuer in der fiktiven Welt Azeroth zur Verfügung standen.

In nahezu allen MMORPGs können die Spieler neben der Kommunikation über Chats oder Headset auch per Tastendruck ihren Avatar eingebaute Animationen (sogenannte „Emotes“) ausführen lassen, um so nonverbal mit ihren Mitstreitern zu interagieren. Neben Gesten wie Verbeugungen, Drohgebärden oder Winken stehen meist auch Tänze zur Verfügung – beispielsweise um einen triumphalen Sieg über einen schweren Gegner gebührend zu feiern. Für WoW ließ sich der Entwickler Blizzard Entertainment dabei unter anderem von Michael Jackson, den Bee Gees oder MC Hammer inspirieren. Im Gegensatz zu diesen aus dem westlichen Kulturkreis übernommenen Tänzen wurde für die Draenei die Choreografie von Daler Mehndi ausgewählt. Damit sollte vielleicht die Exotik dieses Volkes inmitten von klassischen westlichen Fantasy-Figuren betont werden, vermutlich in Verbindung mit einem Gruß an die indischen Spieler.

In einer zunehmend konvergenten Medienumgebung ist es daher auch nicht verwunderlich, dass Mehndis Video wiederum mehrfach mit Hilfe von WoW-Aufnahmen nachgestellt wurde.

Kultur im Netz – Ein Spannungsfeld

Das Internet verbindet – auch die Kulturen. Die neue Artikelreihe „Kultur im Netz – Ein Spannungsfeld“ auf media-bubble.de wird sich mit weiteren kulturellen Phänomenen im Internet beschäftigen. Neben den neuen Interaktionsformen mit Medieninhaltenwird es auch darum gehen, wie schon länger gängige Kulturpraktiken online ausgeübt werden, wie sich Machtverhältnisse verlagern und welche Auswirkungen das Web 2.0 auf die Produktion von Kulturgütern hat. Wie hängen diese Entwicklungen zusammen? Und wo entstehen dabei Konflikte?

Nächste Woche geht es zunächst um einen Mann, der gerne Bikinis trägt. Und Barrack Obama.

Kultur im Netz – Ein Spannungsfeld: Ab jetzt jeden Freitag auf www.media-bubble.de

 

Foto: flickr/bravesheng (CC BY-NC-ND 2.0)