„Medien durchdringen den politischen Alltag“

von Sanja Döttling

Herr Prof. Bernhard Pörksen hat zusammen mit 23 Studenten der Medienwissenschaft das Buch „Die gehetzte Politik“ auf den Markt gebracht. Es stellt in Interviews an Politiker und Journalisten die Frage: Wie funktioniert die Machtverteilung zwischen Politik und Medien?

Ein Interview mit Herr Prof. Pörksen und der Medienwissenschafts-Studentin Ildiko Mannsperger, die im Rahmen dieses Projektes unter anderem Sahra Wagenknecht und Walter Kohl interviewte.

 

media-bubble.de: Das Buch „Die gehetzte Politik“ ist, wie schon einige Bücher davor, in Kooperation mit Studentinnen und Studenten des Studiengangs Medienwissenschaft entstanden. Herr Pörksen, wie beschreiben Sie Ihre Rolle im Entstehungsprozess des Buches?

Pörksen: Ich glaube, dass sich ein solches Projekt nur stemmen lässt, wenn man in ganz verschiedenen Rollen unterwegs ist. Als Organisator, als jemand, der die nötigen Gelder einwirbt und natürlich in der Rolle eines Menschen, der früher einmal als Journalist gearbeitet hat und sich Gedanken darüber macht, wie Journalismus funktioniert. Aber auch in der Rolle eines Menschen, der andere Leute anregt, sie herausfordert, so dass sie in Kontakt kommen mit ihrer eigenen Kraft und ihren Begabungen.

Sie haben das Interviewtraining als „mit bewusster Schärfe inszeniert“ und „gelegentlich sicher sehr hart“ bezeichnet. Ildiko, wie ging es dir dabei?

Ildiko: Es wurde schnell deutlich, dass wir selbst eine gewisse Schärfe entwickeln sollen. Es wurde kein Kuschelkurs gefahren, sondern es wurde von uns erwartet, dass wir uns engagieren. Das war gut: Man lernte seine eigenen Grenzen kennen.

Wo waren deine persönlichen Grenzen?

Ildiko: Es war spannend, aber auch schwierig, sich in ein Feld einzuarbeiten, das man sonst nicht so kennt und das nicht mein Expertengebiet ist. Und es gab ein Interviewmit Walter Kohl in dem das Aufnahmegerät nicht funktioniert hat und ich alles aus dem Gedächtnis rekonstruieren musste. Dann musste ich Walter Kohl anrufen und ihm das gestehen. Das war für mich eine große Überwindung. Aber nun kann ich jedes Telefongespräch führen.

Was hat das Interviewtraining für dich für den Ernstfall gebracht?

Ildiko: Es hat mir geholfen, mich nicht aus dem Konzept bringen zu lassen. Du lernst, dass du das Gespräch als Interviewer in der Hand hast und die Fragen stellst. Wenn dann mal eine Gegenfrage kommt, dann lässt du dich nicht mehr verunsichern und bleibst in der Rolle. Auch die angesprochene Schärfe haben wir gelernt, dass man sich auch traut und nicht zu nett, sondern kritisch hinterfragt.

Wenn jetzt ein Kommilitone morgen Angela Merkel interviewen müsste, welchen Tipp würdest du geben?

Ildiko: Ich würde sie nicht als Angela Merkel, sondern als Mensch sehen. Und Ruhe bewahren, das ist das Wichtigste. Und vielleicht nicht so viel zu planen.So war es bei unserem Interview mit Sahra Wagenknecht, die den Interviewtermin mehrmals verschoben hat und dann nur noch die Hälfte der geplanten Zeit für uns hatte.

Wie lief die Themenwahl? „Die gehetzte Politik“ stellt die Beschleunigung der Berichterstattung durchs Internet, die Verknüpfung von Medien und Politik dar.

Pörksen: Es ist das fünfte Projekt dieser Art. Die letzten Bücher haben vergleichbare Themen behandelt. Schlüsselfragen waren: Wie funktioniert die Selbst- und Fremdinszenierung unter den aktuellen Medienbedingungen? Wie gestaltet sich das Verhältnis von Medien und Prominenz? Wie funktioniert die Logik der Skandalisierung? Bei diesem Projekt lautet die Frage: Wie stellen sich Politiker dar? Wie werden sie von den Medien, getrieben, behandelt, misshandelt? Wenn Sie so wollen, ist das Buch Teil einer Serie, die sich dem Nachdenken über die Macht der Medien widmet.

„Die gehetzte Politik“ ist der Titel des Buches. Gehetzt wird die Politik von den Medien. Sind sie also an allem schuld?

Pörksen: Es wäre schön, wenn es so einfach wäre! Aber in der Tat ist die Frage: Wer regiert eigentlich wen? Wer ist mächtiger, Politik oder Medien? Ich würde sagen: Das ist in der Tendenz entschieden. Medien sind einflussreicher, Medien durchdringen den politischen Alltag in einer derart massiven Weise, dass man sagen kann, die medialen Einflüsse sind an erster Stelle zu setzen.

Können Politiker anders handeln?

Pörksen: Sie sind in jedem Fall aufgerufen, auf ihre eigene Autonomie, Ideen, Konzepte zu bestehen, abseits und jenseits der Medienlogik. Es ist eine Aufgabe von Politik heutzutage, ein Stück Medienverweigerung zu betreiben. Zu registrieren, dass die Zeit, die politische Entscheidungsfindung braucht, eine andere ist als die Zeit der Medien. Die Online-Schlagzeilen online wechseln im Extremfall alle halbe Stunde – das simuliert ein Tempo und eine Hektik von Politik, die es nicht geben kann. Auch der Zwang, dauernd Stellung zu nehmen, verändert Politik massiv.

Ist das ein Teufelskreis?

Pörksen: Man kann es als Teufelskreis und als einen in zweifacher Hinsicht gefährlichen Prozess. Zum einen ist die Beschleunigung zu massiv; sie passt nicht zu der Eigenzeit des Politischen und führt nach meinem Dafürhalten zu einem ständigen inneren Alarmzustand des Politikers. Zum zweiten gibt es auch eine zunehmende Angst vor der Sofort-Skandalisierung in der Politik.

Das führt dann du dem „Politiker-Deutsch“, so dass eigentlich gar nichts mehr gesagt wird.

Pörksen: Dann haben Sie Leute, die eine völlig distanzierte, rundgeschliffene Sprache verwenden, genau.

Gibt es noch eine Heilung für die Politik?

Pörksen: Es gibt da kein Rezept. Sicher ist nötig, dass wir klar machen, wie die aktuelle Mediengesellschaft funktioniert, und nach welchen Inszenierungsmustern gearbeitet wird. Das ist auch das Ziel der Bücher: Sie wollen die Hinterbühne medialer Inszenierung sichtbar machen und deutlich machen, wie ein ein womöglich auch ungesunder Wettlauf um dem nächsten neuen Skandal entsteht. Darüber aufzuklären, ist kein Allheilmittel, aber es ist ein Anfang des Bewusstmachens, wie massiv die Medien in den politischen Prozess eingreifen.

Das ist also das Ziel des Buches?

Pörksen: Ich würde sagen: Es gibt zwei Ziele. Zum einen gilt es, die Selbstaufklärung der Mediengesellschaft voranzutreiben. Zum anderen ist es auch ein Versuch, engagierten Studenten eine journalistische Visitenkarte zu verschaffen, sie vielleicht auch in Situationen zu bringen, die eine Herausforderung darstellen. Sie lernen ein gutes Interview mit jemandem zu führen, den man vielleicht erst wieder interviewt, wenn man Ressortleiter oder Chefredakteur ist. Es ist für mich sehr schön zu sehen, was aus diesen Projekten erwächst. Ich habe inzwischen ein Regal voll mit Büchern, die ehemalige Studierende selbst geschrieben haben – im Anschluss an derartige Seminare.

 

Das Buch „Die gehetzte Politik“ ist seit gestern im Handel erhältlich.

Foto: Copyright, Sanja Döttling

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