Kindheit reloaded: Das Internet als Gedächtnis

von Alexander Karl

Fernab kaputtgetretener Sandburgen war die Kindheit doch eine schöne Zeit, an die man sich gerne erinnert. Wenn man sich überhaupt erinnern kann. Denn abseits von Ausflügen in Freizeitparks und Schulaufführungen gab es eine Vielzahl von kleinen Momenten, welche die Jugend auszeichneten. Dazu gehören auch Erinnerungen an Musik und Filme, die man schemenhaft vor seinem inneren Auge hört oder sieht, aber nicht so recht in Worte fassen kann. Aber glücklicherweise gibt es dieses Internet, das in solchen Momenten eine große Hilfe ist – so auch bei mir.

Captain Planet und die Coversongs der Schlümpfe

Mir ging es vor ein paar Jahren schon einmal so. Damals war ich auf der Suche nach einer Fernseherserie, die ich als Kind geschaut hatte. Ich erinnerte mich, dass die Zeichentrick-Protagonisten bestimmte Elemente – Erde, Feuer, Wasser, Wind, Liebe – darstellten. Aber den Namen der Serie? Keine Ahnung. Wahrscheinlich wäre ich in einer internetlosen Welt ohne die Antwort gestorben oder verrückt geworden. Doch dank des Internets erfuhr ich nach intensiver Recherche: Die Serie heißt Captain Planet. Das bedeutet zwar nicht, dass ich sie mir seitdem jemals wieder wirklich angesehen hätte, aber es tat gut eine Antwort auf meine Frage zu bekommen.

Ähnlich ging es mir kürzlich, als ich in den Annalen der Musikgeschichte stöberte und auf den Song „No Limit“ von 2 Unlimeted stieß. So eine schmissige Eurodance-Nummer, die in grauer Vorzeit mal echt cool war. Und irgendwie kam mir in den Sinn, dass Die Schlümpfe den Song mal gecovert hatten. DennMitte der 1990iger Jahre interpretierten Die Schlümpfe aktuelle Hits mit eigenen Texten für Kinder neu. In der Schlumpf-Version hieß „No Limit“ dann „Keine Schule“, hatte aber auch den stampfenden Beat des Originals. Tatsächlich gibt es die alten CDs der Schlümpfe bei Amazon zum Reinhören und Kaufen. Also hörte ich mich durch die CDs und durch meine (schlumpfigen) Kindheitserinnerungen und stellte außerdem fest: Die Schlümpfe covern auch heute noch Songs, diesmal beispielsweise den Eurovision Songcontest-Siegerhit „Euphoria“ (bei den Schlümpfen: „Ein Schlumpfentag“).

Google und das Gehirn

Dass es für die Merkfähigkeit unseres Gehirns nicht toll ist, sich nur auf Google und dessen Ergebnisse zu verlassen, habe ich schon einmal auf media-bubble.de berichtet. Aber manchmal ist es doch schön, wenn es Antworten auf lange offene Fragen liefert – denn nicht immer kann man seinen Gehirnschmalz so sehr anstrengen, als dass das Problem sich von selbst beantworten ließe. Und da das Internet selbst wohl die größte Chronik aller Zeiten ist, eröffnet sie die Möglichkeit, längst Vergessenes wieder hervorzuholen. Das kann bei Skandalen und Peinlichkeiten natürlich eine schlimme Sache sein – immer wieder hört man ja den Spruch „Das Internet vergisst nichts“. Aber oftmals hat das auch seine guten Seiten. Nämlich dann, wenn man für einen Abend noch mal ein Dreikäsehoch sein und Die Schlümpfe hören kann.

 

Bilder: flickr/otis0329; flickr/Izcreations

400 Zeichen-Journalismus

von Lina Heitmann

Vor ein paar Tagen kaufte Yahoo Summly, eine App, die Nachrichtenartikel zusammenfasst und mithilfe eines Algorithmus kürzt. Yahoo hat vor, den Algorithmus in eigenen Apps zu benutzen und gezielt an Smartphone-Nutzer zu vermarkten. Die Internetfirma, die schon lange nicht mehr als “hip” gilt, will durch die gezielte Vermarktung an Smartphone-Nutzer versuchen, den Technologiemarkt zurückzuerobern.

Kurze Artikel

Viel berichtet wurde darüber, dass Nick D’Aloisio, der siebzehnjährige Erfinder der Startup-Firma, durch den Verkauf plötzlich Multimillionär wurde. Aber was bedeutet die hohe Wertschätzung von Summly (angeblich zahlte Yahoo 30 Millionen US Dollar) für den Journalismus? Summly steht für gleich zwei Entwicklungen: einerseits die der immer kürzer werdenden Nachrichten, und andererseits die eines automatisierten Journalismus.

Neu ist die Verkürzung von Nachrichtenartikeln nicht – Time hat als resümierende Zeitschrift für Geschäftsmänner, die nicht viel Zeit haben, angefangen, und The Week arbeitet auch heute noch auf Basis der Zusammenfassung. Aber auf Smartphones wird die Verkürzung exponentiell vorangetrieben. Was sich verändert ist auf jeden Fall, wie wir unsere Zeit nutzen. Dadurch, dass wir ständig vernetzt sind, ist es beispielsweise möglich und durchaus üblich an der Bushaltestelle oder vor Seminarbeginn die letzten Neuigkeiten zu lesen – jedoch meist nur in Überschriften- oder Tweetformat, wobei Letzteres bekanntlich auf 140 Zeichen beschränkt ist.

Summly-Artikel sind 400 Zeichen lang. Die Gefahr besteht wohl darin, dass man sich mit diesen kurzen Zusammenfassungen zufriedengibt. Aber die Zeit für längere Artikel haben wir ja weiterhin: am Frühstückstisch, am Wochenende, auf längeren Bahnfahrten, etc. Und Platz für lange Reportagen ist im Internet ja genug! Oftmals ist im Internet eine Tiefe möglich, die selten gedruckt wird.

Mit Hyperlinks zum Hintergrundbericht

Nimmt man Twitter als Beispiel, so gelangt man über kurze Tweets tatsächlich oftmals auf längere Artikel – entweder durch die Tweets einer Zeitung selbst oder über Empfehlungen. Ein Beispiel: folgender Tweet führt zu diesem fünf Seiten langen Artikel über Londons zentrale Rolle in der internationalen Geldwäsche.

Die Studie The State of the News Media 2013 bestätigt diese Erfahrung: Wer hauptsächlich über soziale Medien Nachrichten liest, verfolgt mit hoher Wahrscheinlichkeit (77%) die Geschichte über den geteilten Link. Das heißt: Überschriften und kurze Zusammenfassungen reichen nicht aus, und die Nutzer wissen das auch.

Für einen Konsumenten ist das breite Journalismusangebot im Internet zur Zeit ideal, schreibt bei Slate Matthew Yglesias. Tatsächlich ist es einfacher denn je die Nachrichten in verschiedensten Zeitungen, Onlinemagazinen und Blogs aus dem In- und Ausland zu verfolgen. (Dieses Überangebot ist aber wohl auch genau das, was einen Nachrichtenaggregator wie Summly wertvoll macht – wer hat regelmäßig Zeit, das ganze Internet zu lesen?) Aber die Realität des Journalismus sieht trotzdem nicht gut aus. Mit weniger Ressourcen kann weniger Berichterstattung und weniger Spezialisierung finanziert werden, sodass sowohl die Breite als auch die Tiefe des Journalismus leidet. Wenn dieser Trend weiter bergab geht, gibt es für einen Nachrichtenaggregator – und für Nachrichtenleser, die Menschen am Frühstückstisch – einfach weniger (gutes) Material.

Denn richtigen Journalismus ersetzen kann eine App nicht. Der Journalismus muss finanziert und geschätzt werden. Inzwischen haben Zeitungen auch begriffen, dass ihr Inhalt nicht nur in gedruckter Form einen Wert hat, sodass auch im Internet verschiedene Bezahlmöglichkeiten existieren. Die New York Times, Die Welt und das Hamburger Abendblatt benutzen beispielsweise Bezahlschranken (allerdings mit unterschiedlichem Erfolg). Wenn Konsumenten den Journalismus auch in seiner Online-Form genug wertschätzen um für ihn zu bezahlen, gibt es noch einen Schimmer Hoffnung – vorausgesetzt der Journalismus ist von einer Qualität, für die man gerne zahlt.

Automatisierter Journalismus

Yahoo hat sich mit Summly nicht nur Kürze gekauft. Die andere Seite des Dienstes ist die Automatisierung durch den Algorithmus. Tatsächlich ist automatisierter Journalismus nicht ganz neu. Beispielsweise nutzt das Wirtschaftsmagazin Forbes in seinem Onlineauftritt einen Dienst, der sich “Narrative Science” nennt. Hier werden Datenbanken zu kleinen Artikeln und Geschichten zusammengefasst. Doch auch das automatisierte Herstellen von Geschichten dürfte den Journalismus nicht ersetzen, egal wie geschickt – denn zum wirklichen Journalismus gehört mehr. Trotzdem können Zusammenfassungen von Datenbanken so auch ganz ohne körperliche Nachrichtenschreiber gemacht werden – beispielsweise bei der Finanzberichterstattung, wenn es vor allem darum geht Datenbanken und Statistiken in Textform zu bringen.

Dabei gibt es aber Gefahren, die darüber hinausgehen, dass weniger Menschen gebraucht werden um die Datensätze zu Nachrichten zusammenzufassen. Die automatisch erstellten Berichte können an verschiedene User angepasst werden. Das Onlinemagazin Slate beschreibt die Gefahr dabei folgendermaßen: Man stelle sich zwei Nachrichtenleser mit unterschiedlichen Interessen, Einstellungen und Leseniveaus vor – der eine liest, sagen wir mal, vor allem Die Zeit, und der andere Bild, und Google kennt diese und weitere Präferenzen ja ganz gut. Erhalten die beiden dann verschiedene Artikel? Die Gefahr ist nicht nur, dass sie unterschiedliche Artikel empfohlen bekommen, sondern dass für die beiden Leser vom Niveau und Inhalt her ungleiche Artikel erstellt werden – jeder fühlt sich gleich informiert aber sieht nur eine auf sich persönlich zugeschnittene Berichterstattung.

Noch sind wir nicht so weit. Um sich zu retten, muss sich der Journalismus von solchen Angeboten differenzieren und das tun, was er am besten kann: originell, investigativ und kritisch berichten. Gleichzeitig müssen die Nutzer sich aktiv tiefgehend informieren und außerdem eine Kompetenz zur kritischen Selektion beweisen, die im digitalen Zeitalter wertvoller ist als jemals zuvor.

Foto: flickr.com/Andy Field (CC BY-NC-SA 2.0), flickr.com/401(K) 2013, (CC BY-SA 2.0)

 

ZDF: 50 Jahre und noch immer frisch?

Eine Mini-Serie von Pascal Thiel

„Es ist soweit: Ohne feierliche Eröffnung, ganz aus dem Alltag der Arbeit, geht nunmehr das Zweite Deutsche Fernsehen auf den Schirm.“ Mit diesen Worten des ersten ZDF-Intendanten Karl Holzamer, begann die Erfolgsgeschichte des ZDF, das in diesen Tagen seinen 50. Geburtstag feiert.

Dies ist der erste Teil einer Miniserie zum 50. Geburtstag des Zweiten Deutschen Fernsehens. Das Thema: Wie frisch ist das ZDF heute? Doch zuvor: Wie kam es überhaupt zur Gründung des ZDF?

Kind der Länder

Deutschland 1961: Bundeskanzler Konrad Adenauer sieht sich mit zunehmend regierungskritischer Berichterstattung vonseiten der ARD konfrontiert. Er geht in die Offensive: Ein zweites, vom Bund kontrolliertes, regierungsfreundlicheres Fernsehen soll etabliert werden. Doch er scheitert. Das Bundesverfassungsgericht stoppt seinen Vorstoß und spricht hingegen den Ländern die volle Rundfunkkompetenz zu. Diese beschließen in den Folgemonaten die Gründung einer zweiten öffentlich-rechtlichen, gemeinnützigen, aber von den bisherigen Rundfunkanstalten unabhängigen Fernsehanstalt – das ZDF ward geboren. Am 1. April 1963 war es dann so weit: Der Sender mit den Matschaugen nahm den Fernsehbetrieb auf.

Mittlerweile hat sich das ZDF fest in den Fernsehgewohnheiten der Menschen in Deutschland etabliert. Es hat gelernt, zu informieren und zu unterhalten – und innovativ zu sein. Die größte Show Europas thront wohl über allen Innovationen, aber auch das heute-journal und zahlreiche andere Sendungen sind nicht zu vernachlässigen.

Das ZDF heute

Keine Frage, das ZDF hat zweifellos beispiellose 50 Jahre hinter sich. Doch: Wo steht das ZDF heute? Und wo wird es in 50 Jahren stehen?

Auf Goethe lugend stellte Karl Holzamer vor 50 Jahren seine Idee des Fernsehens vor:

„Wie machen wir’s, dass alles frisch und neu und mit Bedeutung auch gefällig sei?“ 

Später erklärte er:

„Frisch heißt eben möglichst live, direkt, in einer unmittelbaren Zwiesprache mit dem Zuschauer. Neu, die Aktualität, selbstverständlich. Mit Bedeutung, möglichst kein Quatsch. Und gefällig, unterhaltend. Das wären so die vier Momente gewesen, die heute noch gültig sind meines Erachtens.“

Frisch, direkt, aktuell, kein Quatsch, unterhaltend. Wir sieht das heute aus?

Frisch?

Zweifellos hat sich das ZDF seit 2009 eine Verjüngungskur auferlegt. Die etwas überholt wirkenden Spartenkanäle zdf.dokukanal, zdf.infokanal und zdf.theaterkanal wurden der Reihe nach mit einem neuen Konzept und Design überzogen. So entstanden: ZDFneo (2009), ZDFinfo und ZDFkultur (beide 2011).

ZDFneo richtet sich speziell an die älteren der jüngeren und an die jüngeren der älteren Zuschauer – konzipiert ist es für Menschen von 25 bis 49, auf der Suche nach Spaß und „Unterhaltung mit Anspruch“. Auf dem, quotenbezogen, wohl erfolgreichsten der drei digitalen Spartenprogramme des ZDF, treffen amerikanische Serien auf spacige Dokus wie Wild Germany oder DWMÜ, aber auch auf jede Menge Wiederholungen aus dem Hauptprogramm. Und hätte man seine Late-Night-Show nicht zu Tele 5 ziehen lassen, so bließe Benjamin von Stuckrad-Barre im Hause des ZDF noch heute so demonstrativ affrontiv den, über ihr stressiges Leben parlierenden Politikern den Qualm billiger Zigaretten in die Schnute.

So neo das eine, so brav zu mancher Sendezeit das andere: ZDFinfo. Neben jede Menge Wiederholungen gesellen sich immer wieder neue Formate, wie etwa das interaktive heute plus, dessen Zuschauer parallel zur Live-Ausstrahlung Fragen äußern können. Oder Berlin PolitiX, das gleichsam ernsthafte wie ungewöhnlich kuriose Themen im politischen Berlin behandelt. Und natürlich nicht zu vergessen, der Elektrische Reporter: 15 Minuten Netzkultur, E-Politik, Web-Trends und digitale Visionen.

ZDFkultur lebt wie kein anderer deutscher Sender die digitale Popkultur. Mit Anleihen an MTV und VIVA brachte der Hipster unter den deutschen Fernsehprogrammen die wohl innovativsten Formate der Gegenwart hervor. Nirgendwo konnte man das Scheitern so grandios begaffen wie bei Roche und Böhmermann, der Ohrfeige an den deutschen Abendtalk. Nirgendwo wirkten Interviews so herzlich wie ungezwungene Dates als bei Kathrin Bauerfeind. Klassenkameraden: Pixelmacher, On Tape. OpenAir. ZDFkultur ist der lang ersehnte Experimentalkanal im deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Etwas, worauf das ZDF stolz sein müsste – doch in einer durch Quoten regierten Fernsehwelt denkt man anders.

Und dann ist da ja noch das Hauptprogramm. Allen voran die heute-show, die mit ihrer satirischen Berichterstattung garniert mit einem herrlichen Leck-mich-doch-am-Arsch-Slang so ziemlich alles abräumt, was es zu gewinnen gibt. Aber auch ZDFzoom, unter dessen Namen modernste TV-Dokus ausgestrahlt werden. Und nicht zuletzt die manchertags futuristisch anmutenden heute– und heute-journal-Nachrichten aus der „grünen Hölle“ auf dem Lerchenberg.

Frisch? Ja!

Das ZDF entfernt sich zusehends von seinem Image als Rentnerfernsehen: Es ist jünger, innovativ und frisch geworden – zumindest in den letzten vier Jahren. Doch die Absetzung von ZDFkultur, die Abwanderung von Formaten wie Stuckrad-Late-Night oder NeoParadise birgt die Gefahr, gewonnene junge Publika, im Besonderen die hippe Mitte-20-Generation, wieder an die Privaten zu verlieren.

 

Das ZDF ist frisch, aber ist es auch direkt, aktuell, kein Quatsch und unterhaltend? Mehr dazu im zweiten Teil dieser Miniserie.

 

Bilder: flickr: GeraldS (CC BY-NC 2.0); flickr: Videopunk (CC BY-NC-SA 2.0)

BBC versus ARD

von Sanja Döttling

Semesterferien sind Reisezeit. Weit reicht die Studentenkasse nicht, deshalb ging es nach England. Und da es dort bekanntlich viel regnet, verbrachte die reisende Medienwissenschaftsstudentin ihren Urlaub großteilig vor der Glotze. Gedanken zu den kleinen und großen Unterschieden zwischen dem englischen Hauptprogramm BBC und der deutschen öffentlich-rechtlichen Bastion ARD.

Ein Tag vor dem Fernseher

Sowohl BBC One als auch das Erste beginnen den Tag mit den unvermeidbaren Morgenmagazinen. Da wird gekocht, gebastelt und geredet. Um neun, wenn der normale Student langsam aus den Federn kommt, beginnt das Programm sich aber zu unterscheiden. Bis um eins mittags sendet die BBC One verschiedene Dokumentationen. Da geht es um Häuser, die renoviert werden, verschwundene Erben und Rettungsdienste. Das Erste hält mit den Daily-Soaps des vorherigen Tages dagegen, unterbrochen von fast stündlichen Tagesschau-Ausgaben. Ab ein Uhr ist in beiden Programmen Nachrichtenzeit, dann folgen im Ersten die neuen Folgen der Daily-Soaps „Sturm der Liebe“ und „Rote Rosen“. Dann ab in den Zoo, gefolgt von einer weiteren Dialy Soap. Den Vorabend schließt die leichte Krimi-Serie „Heiter bis tödlich“, in der es selten humorvoll zugeht. In der BBC wird der Nachmittag mit Spielesendungen auf dem Flohmarkt und Antiqutäten, einer Doku über Leute, die auf das Land ziehen, und Quizshows totgeschlagen.

In den Abend startet das Erste mit der deutschen Bastion Tagesschau ab acht, die bis heute das gesamte Abendprogramm in allen Sendern diktiert. Danach der Mittwochs-Film, dieses mal geht es um das Internet. Genau so gut könnte hier aber auch Volksmusik gesendet werden. Zum Schluss diskutiert noch Anne Will. In der BBC geht es abends weniger gehoben zu: Nach einer Koch-Castingshow gibt es eine Doku über Pompeji, danach ist Lachen bei einer Comedy-Sendung angesagt.

Wer hat’s erfunden?

Die BBC steht kurz für die British Broadcasting Corporation, die 1922 als Radiosender gegründet wurde. Er sollte von Staat und Werbung unabhängig sein, und wurde 1927 offiziell in den Dienst der Öffentlichkeit gestellt. Damit ist die BBC die erste öffentlich-rechtlich organisierte Rundfunkanstalt in Europa, auch wenn viele andere Länder sich nach ihrem Vorbild ebenfalls für dieses Modell entschieden haben. Seit 1936 werden auch Fernsehsendungen ausgestrahlt. Inzwischen umfasst das Programm die Hauptsender BBC One und BBC Two, sowie zusätzliche digitale Sender, Radiosender und internationale Angebote, die ihre Wurzeln noch in der Kolonialzeit von England haben.

Die BBC diente Deutschland nach Kriegsende als Vorbild für den Aufbau eines staatsunabhängigen Rundfunksystems, welches anfangs ausschließlich aus öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten bestand. Im Jahr 1945 gründete der Brite Hugh Greene den NWDR (Nordwestdeutschen Rundfunk) als ersten deutschen öffentlich-rechtlichen Radiosender. In den 50ern wurde aus ihm das Gemeinschafts-Fenrsehprogramm der Landesrundfunkanstalten, das bekannte „Erste deutsche Fernsehen“. Der Name ARD ist dabei eigentlich umgangssprachlich, der steht nämlich für die „Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland“, also für den Verbund aller öffentlich-rechtlicher Sender.

Wie funktioniert’s?

Die BBC sowie die ARD wollen von Werbung und Regierung unabhängig sein, werden deshalb weitestgehend über Rundfunkgebühren finanziert. Allerdings spielen heutzutage auch geringe Werbeeinnahmen eine Rolle, um die Gebühren niedrig zu halten. Doch da hören die Gemeinsamkeiten in der Organisation der beiden Sender auch schon wieder auf.

Die ARD ist eine Gemeinschaftproduktion der Landesrundfunkanstalten. Deren Größe bestimmt, wie viele Stunden sie im Ersten senden dürfen. Die Liste führt der WDR mit über vier Sendestunden an, gefolgt vom SWR an zweiter Stelle. Doch das Erste ist nur das erste Programm in einer langen Liste deutscher Fernsehsender. Auf der öffentlich-rechtlichen Seite kommt neben den Teilen der ARD (die Landesrundfunkanstalten und die digitalen Sender wie Eins Plus) auch noch das ZDF dazu. Es sollte das Programm der ARD ergänzen und erweitern, ist von der ARD aber eigentlich unabhängig. Weitere Konkurrenz erhält das Erste von den zahlreichen privat finanzieren Sendern.

Noch heute ist die BBC in England ungeschlagener Platzhirsch. Das kommt auch daher, dass die Konkurrenz durch Privatsender viel geringer ist als in Deutschland.

Das Programm

Die BBC legt ihr Hauptaugenmerk auf die Bildung der Zuschauer. Vielleicht wird der eine oder andere Student schon auf die synchronisierten Fassungen der BBC-Dokumentationen im  Fernsehen gestoßen sein. Doch es sind nicht nur die Dokumentationen, die um die Welt gehen. Die BBC ist in Großbritannien führend bei den Nachrichtensendungen, bringt Magazine zum aktuellen Geschehen und lässt sich auch bei der Produktion von Serien nicht lumpen. Im Hauptsender BBC One wird seit 1963 die Science-Fiction-Serie „Doctor Who“ ausgestrahlt, die in England Kultstatus erreicht hat. 2010 kam die Serie „Sherlock“ hinzu. Die Soap „EastEnders“ bereichert seit 1985 das Programm und stellt vier der fünf Zuschauerrekorde der BBC One. BBC One ist als Massenunterhaltung konzipiert, BBC Two als anspruchsvollerer Schwerpunkt dagegen gehalten. Insgesamt zeichnet sich die BBC aber vor allem durch aufwendige Dokumentationen, vielerlei innovative Serienformate und unzählige Comedy-Sendungen und Sitcoms aus.

Das erste Deutsche Fernsehen konzetriert sich nicht auf Massenunterhaltung wie der Sender BBC One. Hier geht es vor allem um harte Information. Nachrichtensendungen wie die Tagesschau, Magazine wie Monitor und Zapp sowie zahllose Talkshows mit unterschiedlichem Wert sorgen für die Infromation der Zuschauer. Dafür ist das Programm in Deutschland auch noch immer die erste Wahl. Doch im Unterhaltungssektor sieht das Programm des Ersten nicht mehr ganz so spitzenmäßig aus – vor allem, wenn es um junge Zuschauergruppen geht. Die humorvollen 20-Minuten-Sendeschnipsel sind entweder tief in die Nacht oder in die digitalen Sender verbannt worden, die Musiksendungen sind großteilig volksmusikgeprägt und die Dokumentationen wurden allesamt in den Zoo verlegt. Allerdings: Einige gute Serien hat das Erste zu bieten, man denke da an den Sonntagabend-Hit „Tatort“ oder das solide „Großstadtrevier“. Auch Soaps wie „Verbotene Liebe“, „Sturm der Liebe“ oder die „Lindenstraße“ sind fest im Programm verankert.

Dennoch wirkt das Programm des ersten deutschen Fernsehens im Vergleich doch eher eingestaubt. Wo sich die Briten ihren alten Hit „Doctor Who“ nehmen und völlig neu erfinden, dümpelt der Tatort seit Jahrzehnten vor sich hin, mit hohem Buget und oft unterdurchschnittlichen Fällen (Ausnahme: Münster). Und überhaupt wirkt das deutsche Prgramm eher angestaubt – und humorlos. Liegt das an der langen Gewöhnung oder doch an dem kleinen Vorsprung, den die BBC in der Programmkonzeption inne hat? Ein Lichtblick: Immerhin hat das Erste die Sendung „Sherlock“ von der BBC gekauft und in Deutschland ausgestrahlt.

Foto: flickr.com/Daniel Y. Go (CC BY-NC 2.0)

KLARTEXT: Was nun? Die Publikumsforschung am Scheideweg

von Pascal Thiel

Die Publikumsforschung ist am Scheideweg – zumindest, wenn man Sonia Livingstone Glauben schenkt. 1998 erschien ihr wissenschaftlicher Artikel „Audience research at the crossroads – The implied audience in media and cultural theory“, im European Journal of Cultural Studies. Dort warnt die international renommierte Kommunikationswissenschaftlerin vor einer negativen Entwicklung der Publikumsforschung.

Zur Autorin

Sonia Livingstone ist Professorin für Sozialpsychologie am Departement of Media and Communications der London School of Economics and Political Science. Zudem hat sie Gastlehrstühle in Kopenhagen, Stockholm, Bergen, Illinois, Mailand und an der Universität Panthéon-Assas in Paris. 17 Bücher und weit über 100 wissenschaftliche Artikel hat Livingstone in ihrer Karriere bereits publiziert. 2007 bis 2008 war sie Präsidentin der International Communication Association (ICA).

Sonia Livingstone hat sich mit einer weiten Palette kommunikationswissenschaftlicher Forschungsgebiete befasst. Zentral sind etwa ihre Untersuchungen der Beziehungen von Kindern und Jugendlichen zum Internet, Forschungen zu Internetnutzung und -politik und schließlich mediale Publika.

Mediale Publika

Sonia Livingstone schreibt medialen Publika eine zentrale gesellschaftliche Bedeutung zu. Jedoch muss im Voraus auf eine wichtige Voraussetzung der Bildung medialer Publika hingewiesen werden: die Massenkommunikation. Sie ermöglicht zum Ersten, so Livingstone, entgegen dem Begriff der Massenkommunikation durch Maletzke, Interaktion und Teilhabe, zum Zweiten schafft sie gesellschaftliche Bedeutungen. Zum Dritten erzeugt sie, daraus resultierend,  mediale Publika.

Die zentrale gesellschaftliche Bedeutung medialer Publika resultiert nun aus der Tatsache, dass die Positionierung, also der Status der Personen in medialen Publika, ihre Teilhabe und  Teilnahme and der Gesellschaft bestimmt. Konkret bedeutet das: Je mehr eine Person medial interagiert, desto besser ist sie in mediale Publika und somit in die Gesellschaft eingebunden.

Sonia Livingstone spricht häufig von dem „implied audience“. Darunter ist kein reales Publikum, sondern eher eine theoretische Konzeption eines Publikums zu verstehen, die als Rezipient medialer Texte und Codes vorausgesetzt wird.

Die Publikumsforschung

Die Publikumsforschung interessiert sich nach Glogner-Pilz (2012) für ein weites Spektrum publikumsrelevanter Fragen. Etwa für die soziodemografische und -ökonomische Zusammensetzung von Publika, für einstellungs-, motiv- und wirkungsbezogene Fragestellungen oder (statistische) verhaltensbezogene Daten.

In den letzten 50 Jahren erlebte sie einen wahren Hype. Als neue kommunikationswissenschaftliche Ideen um 1960 das einseitige Stimulus-Response-Modell der Massenkommunikation allmählich verdrängten, ahnte wohl noch keiner der beteiligten Forscher, welch beispiellose Entwicklung dieses noch so kleine, unbedeutende Forschungsgebiet machen würde.

Insbesondere in den letzten 20 Jahren hat sich die Publikumsforschung in ein breit gefächertes Forschungsfeld verwandelt. Bezogen auf die theoretische Vielfalt hat sie eine gewaltige theoretische Ausdifferenzierung hinter sich. Zugleich etablierte sie sich als anerkannte wissenschaftliche Disziplin.

Die Probleme

Doch gerade letzteres – so Livingstone – habe in den letzten Jahren zu einer weiteren, jedoch verhängnisvollen, Entwicklung geführt. Die wissenschaftliche Etablierung der Publikumsforschung habe der theoretischen Ausdifferenzierung entgegengewirkt. Die Folge: eine kanonische Publikumsforschung.

Zu der schwindenden theoretischen Vielfalt komme ein weiteres Problem hinzu: In vielen Forschungsgebieten außerhalb der Kommunikationswissenschaft sei nach wie vor ein reges wissenschaftliches Interesse am Publikum zu erkennen. Jedoch seien hier keine Publikumsforscher, sondern andere disziplinexterne Forscher am Werk. Die Gefahr ist eindeutig: Kann die Publikumsforschung diese externe Forschung an Publika nicht in sich integrieren, ist eine Fragmentierung der Publikumsforschung unausweichlich.

Hier kommt der Begriff des „Scheidewegs“ ins Spiel: Über die Grenzen wissenschaftlicher Disziplinen hinweg, scheint man sich verstärkt mit dem Thema „Publika“ zu befassen, die eigentliche Publikumsforschung jedoch sieht sich mit ihrem drohenden Untergang konfrontiert.

Ein Beispiel: Die Cultural Studies

Wie oben erwähnt, greifen viele Forschungsdisziplinen das Thema „Publika“ mit ihren eigenen Forschungsinteressen auf. So auch die Cultural Studies.

Ende der 1980er Jahre entdeckte man in der Kultur die Gewöhnlichkeit. Von da an interessierten sich die Cultural Studies für das alltägliche (gewöhnliche) Leben der Menschen – die Alltagskultur ward geboren. Man fand heraus, dass dominante Kulturen existieren, die andere Kulturen marginalisieren. Man kann sie als Prozesse verstehen, die bestimmte – dominante – Ansichtsweisen anderen vorziehen.

Nun nahm man die Zutat „Publika“ hinzu – zwei Fragen ergaben sich: Wie reagieren gewöhnliche Nutzer auf gewöhnliche Medientexte? Und: Wie äußert sich dieses gewöhnliche Antwortverhalten in Bezug auf bestimmte Prozesse der gesellschaftlichen Bedeutungskonstitution?

Und wieder war eine neue „externe“ Publikumsforschung entstanden.

Doch bald stieß sie an ihre Grenzen: So interessant die Fragen auch sein mochten, so schwer fiel ihre Beantwortung. Zur Schwierigkeit der schwach eingegrenzten, sehr offenen Fragestellung gesellte sich das Problem des Fehlens eines kohärenten Theorierahmens zur angemessenen Interpretation der Antworten.

Was nun?

Auch um solch Fehlentwicklungen zu vermeiden, fordert Sonia Livingstone eine Verstärkung der Beziehungen und des Austauschs zwischen Publikumsforschung  und Cultural Studies sowie Medienwissenschaft. Gleichzeitig – dies wird im Folgenden dargestellt – dürfe man aber unter keinen Umständen Ansätze von Politischer, Technologie-, Wirtschafts- und Sozialer Theorie vernachlässigen.

Das aktive Publikum

Scheidewege sind oft negativ konnotiert. Sie sind verbunden mit Sätzen wie „Wie konnte es nur so weit kommen?“ oder „Wie sind wir nur hier gelandet?“. Doch Scheidewege stellen auch eine letzte Chance dar, einen neuen Weg zu beschreiten.

Dies, so Sonia Livingstone, habe die Publikumsforschung bereits getan. Die Publikumsforscher haben sich vom alten Stimulus-Response-Paradigma ab- und neuen Ideen zugewandt. Theorien medialer Inhalte mit starren Bedeutungen, die linear auf ein passiv-rezipierendes, einheitliches Massenpublikum treffen und absehbare Wirkungen erzeugen, sind Geschichte.

Ein Publikum bestehe nun aus pluralen, kulturabhängig dekodierenden, aktiven Rezipienten. Unter Berufung auf Silverstone (1990) beschreibt Livingstone dieses neue Publikum als „Dreh- und Angelpunkt“ für das Verständnis sozialer und kultureller Prozesse öffentlicher Kommunikation.

Annäherung an Soziale und Politische Theorie

Wissenschaftstheoretisch stellt sich weiterhin die Frage, wie die Publikumsforschung auf die gegenwärtigen negativen Entwicklungen reagieren kann.

Alexander & Jacobs (1998) fordern, die Publikumsforschung näher mit Sozialer und Politischer Theorie zusammenzubringen. Dazu müssten sich aber auch Sozial- und Politische Theorie neuen Ideen öffnen. Konkret sprechen sie von einer Loslösung der Fixierung auf Macht und Entscheidungsfindung als primäre regulative Prozesse hin zu einer Öffnung gegenüber des Aspekts der öffentlichen Debatte, sprich Publika.

Alexander & Jacobs unterstreichen ihre Haltung mit dem Argument, dass die Gesellschaft nicht nur durch ihre Beziehungen zu Staat und Wirtschaft, sondern auch durch die „erfinderische Konstruktion kollektiver Identitäten und Solidaritäten“ konstituiert werde.

Sie sprechen sich gegen die Vorstellung von Medien als bloßem Informationskanal für ein einheitlich rezipierendes Publikum aus. Alexander & Jacobs sprechen von polysemantischen Texten, die unter heterogenen, interessierten Öffentlichkeiten verbreitet werden. Der Einfluss der Menschen, ihre Identitäten und Solidaritäten werden, wie eingangs schon einmal dargestellt, von den Medien, der Teilnahme an der Massenkommunikation bestimmt.

Nur durch diesen Schritt könne eine engere Verbindung und wissenschaftliche Kooperation zwischen Publikumsforschung und Sozialer bzw. Politischer Theorie gelingen.

Das Mikro-Makro-Problem

Zu guter Letzt sei zur Genese der Publikumsforschung ein weiterer Schritt essentiell: Das Überdenken der Beziehungen zwischen Ansätzen der Mikro- und der Makro-Ebene.

Das Publikum als „social and cultural object within the complex reality of everydays life“ spiele auf beiden Analyseebenen eine wichtige Rolle, denn es sei „embedded both in the macro-environment of political economy and in the micro-world of domestic and daily existence“ (Silverstone 1990: 174). Auch bei dieser neuen Reflexion sei die Annäherung der Publikumsforschung, Sozial- und Kulturtheorie ein wichtiges Ziel.

Fazit der Autorin

„There are several things one can do at a crossroads. One is to look back. […] Another possibility is to look forward, even it seems that the problems […] seem insurmountable. But it is also possible to sit and rest awhile, for a little reflection […], the problems may prove manageable after all. If audience researcher want anyone else to notice their journey […] then a pause for reflection may be the best option for the moment“ (Livingstone, 1998, p. 211).

 

Klartextlogo: Copyright Pascal Thiel

Bilder: flickr/go.goflo (CC BY-NC-ND 2.0); flickr/11335395@N06 (CC BY-ND 2.0)

Die Zukunft des Buches

von Alexander Karl

Es ist wieder soweit: Vom 14.-17. März präsentiert sich die Buchbranche auf der Leipziger Buchmesse – und mit dabei ist auch die Münchnerin Karla Paul. Seit 2006 bloggt sie auf buchkolumne.de über Bücher, außerdem arbeitet sie seit 2009 bei der Literaturcommunity LovelyBooks.de im Bereich der Redaktionsleitung und des Social Media Managements. Wenn dann auch noch Anfang 2014 ihr Buch „Das Alphabet der Bücher: Bekenntnisse einer hemmungslosen Leserin“ im Heyne Verlag erscheint, wird wohl allen klar werden – diese Frau liebt Bücher!

Mit media-bubble.de sprach Karla Paul über die Bedeutung der Buchmesse im Internetzeitalter, die Trends des Buchmarkts und Social Media bei Büchern.

Karla, die Buchmessen haben in Deutschland eine lange Tradition. Welche Bedeutung haben sie noch im Zeitalter des Internets?

Die Kommunikation findet meistens das ganze Jahr über auf digitalem Weg bzw. telefonisch statt – umso schöner ist es dann, wenn man sich in Leipzig und Frankfurt auch einmal persönlich trifft, wenn man das Zwischenmenschliche pflegen und die Kontakte auch mal bei einem Kaffee vertiefen kann. Hier kann man in kurzer Zeit viele Menschen aus der Branche treffen, sich miteinander vernetzen, Insiderwissen austauschen und was tatsächlich für mich eine große Rolle spielt: Verlage, Autoren und auch die LovelyBooks.de Mitglieder haben ein besseres Gefühl, wenn sie den Menschen, mit dem sie tagtäglich zu tun haben, auch einmal im echten Leben gesehen und kurz mit ihm geredet haben. Man macht sich eben, trotz all der Möglichkeiten via sozialer Netzwerke und Email miteinander in Kontakt zu bleiben, gern auch von Mensch zu Mensch ein richtiges Bild voneinander. Also bleibt die Bedeutung weiterhin sehr wichtig.

Welche Trends gibt es aktuell auf dem Buchmarkt?

Social Reading, Book Discoverability, E-Reader, Epub 3, Selfpublishing – all diese Schlagworte geistern schon seit einigen Jahren bzw. Monaten durch den Raum und es ist ganz klar: alles wird sich verändern. Der Buchmarkt ist im Aufbruch und die Teilnehmer suchen stets nach neuen Möglichkeiten um Literatur an Leser zu vermitteln und sich den Veränderungen anzupassen, sie wenn möglich voranzutreiben. Wir haben uns bei unserem Relaunch auf LovelyBooks.de dem Problem angenommen, wie der Leser in Zukunft online durch Stöbermöglichkeiten neue Bücher für sich entdecken kann, anstatt den Vorgaben und Empfehlungen der Shops zu folgen. Leser wollen wieder mehr entdecken, Geheimtipps (egal ob nun als gebundene Ausgabe oder als E-Book) weitergeben und den Empfehlungen ihrer Freunde folgen – dies wird auf der umgewandelten Plattform alles neu umgesetzt und wir sind sehr gespannt auf die ersten Reaktionen der Branche. Ansonsten wird sicher der neue E-Reader „Tolino“ eine Menge Presse bekommen – ob verdient, das muss sich erst noch zeigen und auch weitere Entwicklungen werden sicherlich erst auf der Messe präsentiert.

Welche Rolle wird Amazon in Zukunft auf dem Buchmarkt – gerade auch im Bereich des E-Books – spielen?

Amazon ist bereits der größte Player auf dem Markt und sorgt für steigende Umsätze im Online-Versandbuchhandel. Trotz der scharfen Kritik aufgrund der Arbeitssituationen bei Amazon wird sich gerade hier wahrscheinlich in den kommenden Monaten noch viel in Richtung des amerikanischen Riesen tun, sollten nicht gerade die Leser hier wieder mehr in Richtung „buy local“ denken. Es gibt zwar mit der Kampagne des Deutschen Buchhandels bzw. des Börsenvereins sowie den Gegengrößen Thalia und Weltbild mit ihrem Tolino Bestrebungen hier wieder mehr Raum einzunehmen, aber ob dies gelingt, dies bleibt abzuwarten. Eins ist sicher – die ersten Leidtragenden sind die kleinen Buchhandlungen vor Ort, denen Amazon Stück für Stück auch aufgrund des wachsenden Ebook-Markts die Existenzgrundlage entzieht.

Wie wichtig sind Internet und Social Media für Bücher? Gibt es da aktuelle Beispiele?

Inzwischen finden die meisten Einkäufe online aufgrund von Empfehlungen statt – d.h. zum Beispiel meine Freunde auf Facebook oder Twitter reden dort über ein Buch und schreiben eine Rezension und da ich diesen vertraue, kaufe ich das Buch eher als wenn es mir über eine Werbung sozusagen aufgedrängt wurde. Wir sehen dies über unsere Facebook-Integration, d.h. wenn ein Mitglied eine Rezension schreibt, dann wird diese automatisch auf Facebook geteilt und so gelangen wiederum dessen Freunde auf unsere Plattform. Aktuell sind auch circa 80-90 Prozent aller Verlage auf den größten sozialen Netzwerken zu finden und auch die Autoren ziehen mehr und mehr nach und suchen dort den Kontakt zum Leser und damit zum Endkunden.

Für wen ist Social Media insgesamt wichtiger: Für Autoren oder Verleger?

Da beide am gleichen Produkt verdienen, ist es auch für beide Gruppen wichtig. Inzwischen wird oft behauptet, dass die Verlage gar dank Selfpublishing ihre Existenzgrundlage verlieren würden, dem muss ich widersprechen. Das was Verlage leisten, d.h. vom Tragen des Risikos, dem Druck, der Verbreitung im flächendeckenden Buchhandel, Presse und Marketing, Qualitätskontrolle und vieles mehr, das ist nur schwer allein zu meistern und ich weiß auch so gut wie kein Beispiel, wo dies nachweislich so geklappt hat, wie es oft und gern in den Medien gehyped wird. Also sollten sich beide online und offline ergänzen und unterstützen und an einem Strang ziehen, damit man mit vereinten Möglichkeiten dem jeweiligen Buch zu einem noch besseren Start bzw. Verkauf verhelfen kann. Inzwischen sind nur Autoren mehr eingebunden und nutzen den direkten Kontakt zum Leser ja auch nicht nur aus Marketinggründen, sondern auch um sich direktes Feedback zum Buch zu holen – was vorher ja nur bei Lesungen vor Ort möglich war. Viele genießen den Austausch sehr und bleiben deswegen auch in veröffentlichungsarmen Zeiten jederzeit gern mit dem Leser in Kontakt.

Welche Tipps hast du für die Nutzung von Social Media bei Büchern?

Das kann man schwer verallgemeinern, oft erarbeiten wir mit den Verlagen zu den jeweiligen Büchern und deren Grundthemen passende Konzepte. Grundsätzlich sollte man als Autor oder Verlag alle Möglichkeiten anbieten, damit die Inhalte möglichst breit und einfach geteilt werden können – z.B. Einbau der Sharing-Buttons auf allen Autoren- und Buchseiten, Integrierung des Social-Reading-Streams im Ebook, die Social Media Accounts des Verlags und Autors überall einbinden und so für den Leser auf allen Netzwerken erreichbar sein. Und dann noch stets authentisch bleiben – auch online entwickelt man ein recht feines Gespür für den Menschen hinter dem Account und trotz aller Bemühungen von Firmen und Marken sich möglichst neutral und glatt zu geben, damit man unangreifbar ist – Kommunikation, d.h. der Dialog funktioniert nur zwischen Menschen und dies sollte man stets bedenken. Wer dann noch die gleichen Regeln für die Offline-Kommunikation d.h. eine sogenannte Netiquette verwendet, der kann eigentlich wenig falsch machen. Und falls es doch noch Fragen gibt – einfach her damit, da ich auch Autoren und Verlage im Auftrag von LovelyBooks.de in Workshops und Seminaren berate und dafür auch jederzeit online zur Verfügung stehe.

 

Foto: Privat

Bild: flickr/photomequickbooth (CC BY-ND 2.0)

Willkommen im „Tatort“

von Sebastian Luther

Unterschiedliche Erwartungen sind mit das Schlimmste, das es gibt. Paula geht mit Erik auf ein Date, einer will mehr, einer nicht. In Berlin wird ein milliardenschwerer Großflughafen errichtet, die Bauherren wollen eröffnen, der Flughafen will nicht. Nur, was hat man zu erwarten, wenn Feuilleton-Schreck Til Schweiger auf einmal das scheinbar größte Heiligtum des deutschen Unterhaltungsfernsehens antastet?

Die einen sehen ‚Scheiße’…

 … und das von Anfang an. Der unter der Regie von Christian Alvart geführte Tatort beginnt nämlich mit einem Filmzitat des bekanntesten Tatortkommissars überhaupt. “Scheiße” war 1981 das erste Wort Götz Georges in seinem neuen Auftritt als Horst Schimanski. Nur, dass Schweigers Charakter Nick Tschiller an dieser Stelle das englische Wort “Fuck” sagt. An den Bedeutungsinhalt beider Wörter dürften viele Kritiker gedacht haben, als sie den neuen Tatort “Willkommen in Hamburg” das erste Mal gesehen haben. Denn die Liste an Fehlern, Mängeln und Ausrutschern, die dem Film ausgestellt wurde, ist relativ einstimmig medienübergreifend. An der einen Stelle werden die mangelnden schauspielerischen Fähigkeiten der Familie Schweiger kritisiert, wenn Tschillers Tochter Lenny, gespielt von Schweigers Tocher Luna, mit leidend-lustlosem Blick in die Linse schaut. An anderer Stelle zieht man über missglückte Versuche her, Actionszenen von amerikanischem Format zu produzieren und darüber, dass der Film in Wahrheit irgendwo in deutscher Mittelmäßigkeit versackt. Spiegel Online liefert gleich ein ganzes Psychogramm des neuen Kommissars, das das Bild eines “sexuell Gekränkten” zeichnet und Tschiller “Penisangst” attestiert, weil er am Pissoir vom Anblick des Geschlechtsteils eines Kollegen, gespielt von Wotan Wilke Möhring, irritiert ist. Eine Diagnose, die laut SPON aber auch auf Schweiger selbst zutrifft, abzulesen an den entsprechenden Witzen in seinen Kinofilmen.

… und die anderen sehen ‚Fuck’. 

Der Anfang des Tatorts ist zwar eine Hommage an Götz George, gleichwohl aber keine sklavische Kopie. Der Fehlschluss besteht genau darin, den Vergleich zu George über die erste Minute hinaus zu ziehen. So bleibt es nicht bei simplen Vorwürfen an Qualität und Regie, sondern es schwingt ein trotziges „Bei-ihm-war-es-nicht-so“ im Subtext mit. Schlecht gedrehte Actioneinlagen? Hätte man wohl lieber bleiben lassen. Frustrierter Charakter? Damals war das noch anders. Löst man sich von einer derartigen Einstellung, so sieht man einen Tatort, der zunächst vieles anders macht.  Alvart weiß sehr wohl den Zuschauer in besagte Schusswechsel und Verfolgungsjagden mitzunehmen, was durch genretypische Kamerafahrten und -einstellungen erreicht wird, die für andere Tatortfolgen ganz und gar untypisch sind. Ebenso präsentiert sich der Rest des Films optisch ansprechend. Auch wenn die Handlung (ein brutaler Mädchenhändlerring soll zur Strecke gebracht werde) teilweise Löcher aufweist, so muss man doch erkennen, dass ein Film mit Til Schweiger auch ein Film von Til Schweiger ist und seine Handschrift entsprechend unverkennbar. Und wer einen Schweiger-Film guckt, der sollte nicht einen Thriller erwarten, der die Intelligenz eines Paul Greengrass, gepaart mit tiefgründigen Figuren eines Michael Haneke, besitzt. In diesem Fall bleibt aber dennoch zu hoffen, dass bei der Besetzung der Rolle von Tschillers Tochter familiäre Bande großen Einfluss hatten. Andernfalls wirft es nämlich ein mehr als fragliches Licht auf das zuständige Casting.

„Tatort“-Jagd als Feuilletonsport 

Da es für Feuilletonisten mancher Zeitungen in Deutschland zum Sport avanciert zu scheint, neue Tatortfolgen abzuschießen, ist es schon fast bemerkenswert, wie die Meinungsführer SZ und FAZ zwar gemischte, aber dennoch tendenziell positive Kritiken ausstellen, während SPON sich mit boulevardesken Unterstellungen und typisch sexualisiertem Aufmacher gänzlich ins Abseits schießt. Es zeigt sich, dass „Tatort“ ähnlich wie „Wetten, dass…?“ immer noch eine Vormachtstellung in der deutschen Fernsehunterhaltungslandschaft besitzt, deren Schicksal allerorts die Gemüter erregt. Und es scheint, dass es um dieses Schicksal, wider aller Erwarten, doch nicht so schlecht bestellt ist.

 

Bilder: flickr/evafreude (CC BY-NC-SA 2.0); flickr/mtlin (CC BY-NC-ND 2.0)

KLARTEXT: Film als Kunstform? Béla Balázs und die frühe Theorie des Films

ein Gastbeitrag von Daniele Martella 

Dass der Film heutzutage als Kunstform etabliert ist, steht außer Frage. Die Pioniere früher Filmtheorien aber mussten um den Status Kunst mit aller Härte kämpfen. Dabei stellen sich noch heute aktuelle Fragen: Was ist das eigentlich Kunsthafte am Film und wie unterscheidet er sich von anderen Disziplinen? Auf den Spuren des frühen Filmtheoretikers Béla Balázs finden sich Antworten…

Cinephilie: Die Liebe zum Kino

Samstagabend, man betritt mit Freunden die altbekannte Eingangshalle und bewegt sich instinktiv an den Ticketschalter, wo eine leger gekleidete Person bereits routiniert auf nur zwei Informationen wartet: „Welcher Film und wie viele Personen?“ Die Tickets in der Hand, geht es dann der Nase nach zum Popcorn-Schalter.  Einen Blick auf die Platzkarte und nur wenige Minuten später sitzt man in einem gemütlichen Sessel inmitten eines abgedunkelten Saales. Die einzige Lichtquelle ist eine angestrahlte Leinwand, der sich nun alle Blicke erwartungsvoll zuwenden. Es sind nämlich die Lichtspiele auf genau diesem Flecken, die die Zuschauer für die nächsten zwei, drei Stunden in ihren Bann ziehen werden. Es geht um das Erzählen einer Geschichte. Zwar wäre diese in Worten meist sehr schnell erzählt, aber es geht hier um etwas anderes:

Das  Wie?

Nämlich genau um das, was den Film und das Kino, so Béla Balázs, letztlich zur eigenständigen Kunstform mache: Es ginge um das Wie?. Genauer: Wie werden der eigentliche Inhalt und das Anliegen der Erzählung rübergebracht? Die Frage zum Verhältnis zwischen Form und Inhalt spielt also auch hier, wie in jeder anderen Kunst auch, eine bedeutende Rolle. Was das  Wie? des Filmes betrifft, so sind es u.a. das fast mystische Zusammenspiel von Licht und Schatten, die charakteristischen Zusammensetzungen und die Bezüge von Gegenständen und Erscheinungsformen innerhalb eines filmischen Raumes, die eine einzigartige Atmosphäre schafften. Mehr aber noch sei es die Physiognomie der Schauspieler, deren Gesichter zu autonomen und variablen Ausdrucksflächen würden, die oft nonverbal Auskunft gäben über mehrere, sich prozesshaft überlappende, innere Zustände. Balázs nennt dies Gefühlakkorde. Das Gesicht in der Großaufnahme wird im Film somit das Haupterzählinstrument; es ist der eigentliche Semaphor, der Zeichengeber, der eine Antwort auf das wie wird der Inhalt erzählt? gibt. Wir können diese Zeichen nicht nur lesen und deuten, sondern, wie die moderne Forschung zeigt, durch sogenannte Spiegelneuronen nachfühlen.

Es werde Ton!

Bezieht sich Balázs in den 20er Jahren noch auf den Stummfilm, so kommen heute noch weitere Faktoren, wie gesprochene Dialoge, genauestens komponierte und inszenierte Filmmusik und atmosphärische Klanggebäude hinzu. Das Kino wird somit zum multimodalen, innerlichen Ereignis und fasziniert uns deshalb immer wieder aufs Neue.

Dass die Kunstartigkeit des Films in Frage stehen könnte, ist für unsere Gesellschaft, in der Film heute Alltag ist und in der wir jährlich unzählige Filmpreise vergeben und fördern, undenkbar. Dass es in der Kunstform Film allerdings auch nach wie vor viel Trash gibt, wiederspricht dem grundsätzlichen Charakter nicht.

Ein ideologischer Kampf

Der 1884 in Ungarn geborene Filmgelehrte Béla Balázs führte 1924 mit dem Erscheinen seines Werkes „Der sichtbare Mensch“ noch einen regelrecht ideologischen Kampf gegen die damals rückwärtsgewandten Hüter der klassischen Kunstformen, wie zum Beispiel Literatur, Theater, Bildhauerei und Malerei. Er wollte den Film als gleichwertige, aber andersartige Kunst neben den Bestehenden definieren. Es verwundert daher nicht, dass Balázs in seinem Werk eine der ersten umfassenden Filmtheorien entwickelt. Der Film galt zu jener Zeit zwar als ein Sozialphänomen, jedoch ordnete man ihn in qualitativer Hinsicht eher den flachen  Unterhaltungsformen zu; er war noch nicht etabliert. Film als Zeitvertreib: ja; aber ein wortgewaltiger Goethe, Schiller oder Hesse war zum Film konkurrenzlos. Dabei, so Balázs, erzählten auch die Klassiker der Literatur für sich genommen ebenso relativ einfache Geschichten. Was diese so einzigartig mache, sei ebenfalls nur die Frage nach dem Wie?. Die  Zusammenführung der Worte und ihren Sinnkonstruktionen in Versen und Reimformen ergäben, wie die Komposition eines Filmes, einen emotional-erzählerischen Gesamteindruck. Prinzipiell hätten Literatur und Kino also ein ähnliches Anliegen: eine Art Poetisierung der Wirklichkeit nur mit jeweils anderen Mitteln. Dies eben mache sie beide zu wertreichen Kunstformen.

Body Talk

Die Literatur versage im Gegensatz zum Film aber an einem entscheidenden Punkt: Sie sei köperfeindlich. Die Reduktion der relevanten Seelenteile auf das Geistige nehme ihren Anfang bei Platon und setze sich sodann mit dem Buchdruck bis in die moderne Welt fort. Das Wort, so zugespitzt, vergewaltigte den Körper, wodurch wir die Sprache des Körpers in der zivilisierten Welt schon längst verlernt hätten, argumentiert Balázs. Der Film gäbe uns im Erlernen dieser Sprache Nachhilfe. Einer Sprache, die wir heute, wenn wir mal wieder einen Kinoabend mit Freunden erleben, wieder kennen dürften.

 

Rahmendaten:

Béla Balázs

1884 (Szegedin) – 1949 (Budapest)

Balázs, Béla (2001): Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films, Suhrkamp Verlag: FFM.

 

Klartextlogo: Copyright Pascal Thiel

Bilder: upload.wikimedia/Sipos_András (CC-BY-SA-3.0); flickr/kjano (CC BY-NC-ND 2.0)

Suhrkamp-Verlag versinkt im Rechtsstreit

von Sabine Appel

Ein Drama ohne Showdown

Im Streit um den Suhrkamp-Verlag ist kein Ende in Sicht – außer das Ende des traditionsreichen Unternehmens. Seit Jahren sind Geschäftsführung und Gesellschafter zerstritten, 2012 spitzte sich der Konflikt zu. Der Minderheitsgesellschafter Hans Barlach verklagt die Geschäftsführung auf Ausschluss – sie tut es ihm mit einer Gegenklage gleich.

Der Verlag, einst Zentrum des deutschen Geisteslebens, steht durch den ewigen Streit kurz vor dem Ruin. Der Medienunternehmer Barlach kündigt an, das Traditionshaus übernehmen und verändern zu wollen. Für Kritiker und Autoren wäre dieses Szenario fast noch schlimmer als ein abruptes Ende des Verlags. Am 13. Februar sollte vor Gericht die Entscheidung über Suhrkamps Zukunft getroffen werden, doch erneut schoben die Richter das Urteil auf.

 

Ein Traditionsverlag im Konflikt

„Das wichtigste Forum des deutschen Geisteslebens“, so bezeichnet die FAZ den Suhrkamp Verlag. Er besitzt nicht nur die Rechte an Texten von Brecht und Hesse, auch namhafte Wissenschaftler wie Jacques Derrida, Claude Lévi-Strauss, Jürgen Habermas und Niklas Luhmann haben Suhrkamp die Veröffentlichung ihres Gedankenguts anvertraut.

Doch der Suhrkamp Verlag ist nicht nur ein Haus mit Geistes- und Erfolgstradition. Eine Tradition findet sich auch im wiederkehrenden Muster von zahlreichen inneren Konflikten. Momentan kommen die Konflikte zu einem Höhepunkt. Der Mitgesellschafter Hans Barlach, dessen Medienholding AG Winterthur momentan mit 39% am Suhrkamp Verlag beteiligt ist, klagt gegen die Unseld-Familienstiftung, die mit 61% den Hauptanteil besitzt.

Die Vorsitzende, Ulla-Unseld Berkewicz, hat ohne Wissen des Mitgesellschafters mit Firmengeldern Räumlichkeiten in ihrer privaten Villa für Lesungen angemietet. „Wir sehen in dem Vorgang eine Untreue“, erklärte Barlach im Dezember die Sicht der Mitgesellschafter gegenüber der FAZ. Er forderte daraufhin die Abberufung der Geschäftsführung und bekam vor dem Berliner Landgericht recht. Unseld-Berkewicz ging jedoch in Berufung und ist somit nach wie vor im Amt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Die Witwe des ehemaligen Geschäftsführers Siegfried Unseld ist der Meinung, dass Barlach sie von Anfang an gezielt diskreditieren und aus dem Verlag drängen wollte, um ihn selbst mit seiner Medienholding AG aufzukaufen und zu leiten. Dafür hat der Medienunternehmer schon konkrete Pläne im Sinn, wie er im Dezember beim Focus anklingen ließ.

Inzwischen haben beide Parteien auf gegenseitigen Ausschluss geklagt. Hans Barlach verlangt eine neue Geschäftsführung – falls Ulla Unseld-Berkewicz nicht zurücktritt, fordert er die Auflösung des Zusammenschlusses der Teilhaber Barlach und der Familienstiftung. Beide würden in diesem Fall ihre Anteile am Verlag verlieren und Suhrkamp stünde frei zum Verkauf. Barlach könnte dann nach eigenen Angaben die Hauptanteile aufkaufen. „Mir würde schon viel einfallen, was man in so einem Verlag anders machen könnte“, tönt er bereits im Dezember gegenüber der FAZ und bestätigt dabei für viele die Befürchtung, dass eine Übernahme seinerseits die alte Suhrkamp-Kultur zerstören könnte.

Über 70 Schriftsteller schlagen sich daher mittels einer Petition auf die Seite der Geschäftsführerin: Einige Suhrkamp-Autoren, unter ihnen Uwe Tellkamp, drohen gar mit einem Verlagswechsel, sollte Barlach die Geschäftsführung übernehmen. Auch die Wissenschaftsautoren von Suhrkamp fordern eine gütliche Lösung.

 

Verhinderter Showdown in Frankfurt

Die Entscheidung darüber, ob einer der beiden Gesellschafter, Barlach oder die Familienstiftung, ausgeschlossen wird, sollte eigentlich am 13. Februar fallen, doch sie wurde erneut vertagt. Das Frankfurter Landgericht berief sich auf die außergerichtlichen Vermittlungsbemühungen, nach denen Hans Barlach schon ein Abfindungsvorschlag von der Familienstiftung vorgelegt wurde. Dieser zeigte sich bisher jedoch nicht kompromissbereit und scheint damit seine Übernahmestrategie weiterzuverfolgen. Keiner der beiden Parteien erschien vor Gericht.

Sollte Suhrkamp nun tatsächlich vor dem Ende stehen, verlieren angesehene Autoren und Wissenschaftler ein renommiertes Verlagshaus für die Publikation ihres Gedankenguts. In ihrem Aufruf sprechen die Wissenschaftsautoren, unter ihnen Jürgen Habermas, vom drohenden Verlust eines „einzigartigen Gebildes“. Suhrkamp sei ein Verlag, der trotz des Nationalsozialismus die Tradition deutscher Geistes- und Sozialwissenschaften aufrecht erhalten und darüber hinaus auch fremdsprachige Theorien und Ansätze gefördert habe. Ein solches Traditionshaus könne nicht ausschließlich der „Logik der Gewinnmaximierung“ folgen. Letzteres ist vermutlich als Seitenhieb auf Hans Barlach zu werten, der den Verlag in Zukunft mit seiner Medienholding leiten will.

Doch wie gefährdet ist Suhrkamp wirklich? Man kann nur Vermutungen anstellen. Würde ein Gericht dem Minderheitsgesellschafter Barlach recht geben, wenn eine Auflösung der Gesellschaft kein Weiterbestehen, sondern unter Umständen gar die Liquidierung des Traditionsunternehmens bedeutet? Die größte finanzielle Basis bilden die Urheberrechte, die der Verlag besitzt und durch die er über die Backlist über die Hälfte des Gesamtumsatzes einnimmt. Es ist zu bezweifeln, dass die Gesellschafter sich die Urheberrechte auf diese Weise ausbezahlen lassen könnten, da in Härtefällen ein Rückzug der Rechte seitens der Autoren möglich ist. Diese passen nicht nur auf ihre Werke auf, sondern stehen auch hinter der Geschäftsführung.

Trotz der breit gefächerten Berichterstattung dreht sich der Konflikt um sich selbst, solange keine alternative Lösung zur Diskussion gestellt wird. Letztendlich bleibt abzuwarten, ob es wirklich so kompliziert ist, wie es klingt. Die Auflösung folgt entweder außergerichtlich im massenmedialen Spektakel oder beim nächsten Gerichtstermin am 25. September – hoffentlich, denn ein derart abwechslungsloses Drama würde im verlegten Buch keiner aushalten.

 

 

Fotos: Thomas Pusch[CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons; Shannon [GFDL oder CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons

 

The Winner Will Be…. Das Oscar-Horoskop

von Marius Lang und Selina Juliana Sauskojus

Heute abend steigt die große Oscar-Verleihung. Unsere beiden Filmfanatiker Marius und Selina wagen schon jetzt eine Prognose: Wer wird die meisten Goldjungs mit nach Hause nehmen? Wer brilliert in den großen Kategorien? Wer fiel bei der Academy durch?

Und um die Wette noch spannender zu machen: Derjenige, der am Ende mehr Kategorien falsch vorausgesagt hat, muss zur Strafe den mit Abstand schlechtesten Film des Jahres schauen. Twilight: Breaking Dawn, Teil 2. Bei der Verleihung der Goldenen Himbeere hat der Abschluss der Vampir-Liebesschnulze gleich sieben Trophäen abgesahnt und stellt somit die gerechte Strafe für unseren schlechtesten Hobby-Filmwahrsager dar.

Heute abend sind wir von media-bubble.de live vor dem Bildschirm und teilen die neuesten Entwicklungen auf facebook und twitter. Doch bevor es soweit ist, sagen wir:

And the Winner Will Be…..

Favorit

Ben Afflecks bisweilen bissiger Thriller Argo kann getrost als der große Favorit des Abends gewertet werden. Und das zu Recht. Die Geschichte um die Befreiung von sechs US-Amerikanern aus Teheran, indem man sie als Team eines fingierten Hollywoodfilms tarnt, weiß gleichermaßen zu fesseln und eine Hommage an Hollywood selbst darzustellen. Auch Stephen Spielbergs Historienfilm Lincoln kann als Favorit gesehen werden, alleine weil er das Leben von Amerikas Lieblingspräsident sympathisch und glaubwürdig auf die Leinwand bannte. Amerika liebt bekanntlich diese Form des Patriotismus.

Favorit

Die großen Favoriten in diesem Jahr sind definitiv Argo, Life of Pi und Lincoln. Nachdem Hollywood im vergangenen Jahr vor allem den französisch-produzierten Film The Artist mit Preisen überhäufte, ist es in diesem Jahr wieder an der Zeit, sich und seine eigene Filmindustrie zu feiern. Deswegen werden vor allem Argo und Lincoln die Nase vorhaben. Argo wird, der Gewinner des Abends werden. Vier von sieben Preisen müssten für das Werk eigentlich drin sein.

Verlierer

Verlierer des Abends werden Quentin Tarantinos jüngster Film Django Unchained und Kathryn Bigelows „Let’s kill Osama“-Actionfilm Zero Dark Thirty. Vor allem letzterer ist wesentlich schwächer als man es von Bigelow gewöhnt ist und verdient den Sieg in den Königskategorien nicht. So manch einer würde auch Benh Zeitlin Indie-Perle Beasts of the Southern Wild zu den Verlierern zählen, doch der wunderschöne Low-Budget-Film gilt als derartiger Außenseiter, dass allein seine Nominierungen in den großen Kategorien wie „Bester Film“ oder „Beste Hauptdarstellerin“ schon als Sieg zu werten sind.

Verlierer

Obwohl Liebe von Michael Haneke und Silver Linings Playbook von David O. Russell wohl kaum die Abräumer des Abends sein werden, haben sie im Vorfeld schon gewonnen. Diese im Vergleich kleinen Produktionen werden es verschmerzen können, vielleicht nur einen oder zwei Preise mitzunehmen. Enttäuschend wird die Ausbeute von Les Misérables von Tom Hooper und Life of Pi. Für letzteren werden maximal drei Preise in den Nebenkategorien anfallen.

Missachtet

Man kann der Academy dieses Jahr nicht vorwerfen, eine schlechte Auswahl getroffen zu haben. Ja, The Hobbit hätte mehr Nominierungen verdient, ja, Leonardo DiCaprio (der ewig missachtete) hätte nicht weniger als Waltz verdient, für Django Unchained nominiert zu sein und ja, fantastische Filme wie Cloud Atlas, The Best Exotic Marigold Hotel oder Hitchcock sucht man vergeblich, aber das alles kann man verzeihen. Alles in allem hat sich die Academy dieses Jahr viel Mühe gegeben, eine vielfältig Auswahl zu treffen.

Missachtet

Obwohl Filme wie Cloud Atlas und Ziemlich beste Freunde als beste Filme des Jahres 2012 gezählt werden können, bei den Oscars wurden sie nicht berücksichtigt. Aber aufgrund der ansonsten guten Auswahl, wird man dieses Manko verschmerzen können.Warum allerdings Jean-Louis Trintignant keine Nominierung für seine herausragende (!!!) Leistung in Liebe erhalten hat, ist ein Rätsel.

Bester Film

Argo wird in dieser Kategorie verdientermaßen wohl das Rennen machen. Dies sei ihm von Herzen gegönnt. Ben Affleck zeigt sein Talent als Regisseur und schuf einen brillanten, zu keiner Sekunde langweiligen Thriller mit hochkarätiger Besetzung. Er schafft es dabei, Hollywood selbst den Spiegel vorzuhalten. Doch ein anderer Film hätte es noch weit mehr verdient in der wichtigsten Kategorie zu gewinnen. Der Independent-Film Beasts of the Southern Wild schafft es mit traumhaften Bildern von einem märchenhaften Ort in den Sümpfen Louisianas und einer großartigen Darstellerin zu trumpfen. Für mich der wirklich beste Film des Jahres und der schönste Film, den ich seit langem gesehen habe.

Bester Film

Mit neun Nominierungen hat es sich die Academy dieses Jahr nicht einfach gemacht. Gönnen würde man es allen, außer Zero Dark Thirty, der in dieser Kategorie der am wenigsten geglückte Beitrag ist. Aber wie bereits erwähnt: das Motto in diesem Jahr ist Patriotismus, weswegen in dieser Kategorie Argo und Lincoln die Nase vorne haben. Die besten Karten hat allerdings Argo, denn dieser streichelt nicht nur das amerikanische Gemüt, sondern insbesondere auch das von Hollywood. Dass die Macht der Filmindustrie nicht nur unterhalten, sondern auch Leben retten kann – das werden Hollywoods Filmschaffende belohnen wollen.

Beste Regie

Es ist eigentlich eine Frechheit, dass Ben Affleck nicht für seine Mitarbeit in Argo nominiert ist, denn auch hier wäre der Preis eindeutig verdient gewesen. Statt dessen werden die Platzhirsche Ang Lee für Life of Pi und Spielberg für Lincoln den Wettkampf unter sich ausmachen. Mein Favorit ist hierbei Spielberg. Michael Haneke (Amour), Benh Zeitlin (Beasts of the Southern Wild) und David O. Russel sind dagegen eher Aussenseiter.

Beste Regie

In dieser Kategorie haben Michael Haneke (Liebe), Benh Zeitlin (Beasts of the Southern Wild) und David O’Russell (Silver Linings Playbook) bestenfalls Außernseiterchancen. Das Rennen wird am Ende Hollywood-Urgestein Spielberg machen. Mit Lincoln gelang ihm einer der besten Filme seiner gesamten Karriere.

Bester Haupt-/Nebendarsteller

Es wird wohl eine Entscheidung zwischen Daniel Day-Lewis für die Darstellung des Abraham Lincoln und Hugh Jackman für seine brillante Leistung als Jean Valjean in Tom Hoopers Musicalfilm Les Misérables. Ersterer wird dabei wohl das Rennen machen. Day-Lewis‘ Abraham Lincoln wirkt durchweg glaubwürdig, was vor allem dem enormen Talent des Darstellers zu verdanken ist.

Bei dem besten Nebendarsteller trifft man auf viele bekannte Gesichter und mit Ausnahme von Phillip Seymour Hoffman sind sie auch schonmal Preisträger als beste Nebendarsteller gewesen. Für Christoph Waltz ist die Konkurrenz groß und ihm diesmal auch weitgehend überlegen. Als Sieger hervorgehen wird wohl Tommy Lee Jones, der einen radikalen Sklavereigegner in Lincoln verkörpert und dabei auch dank seiner gezielten und energiereichen Darstellung nicht nur die besten Sprüche des Films sondern auch die Sympathien des Publikums für sich beanspruchen kann.

Bester Haupt-/Nebendarsteller

Bei den besten Hauptdarstellern wird es in diesem Jahr ein heißer Tanz zwischen Joaquín Phoenix und Daniel Day-Lewis. Day-Lewisspielt „seinen“ Lincoln mit einer solchen Liebe und einer solchen Kraft, dass man meinen will, der Gewinn des Awards wäre ein Selbstläufer. Aber: Joaquín Phoenix hat in seiner Rolle als Weltkriegsveteran und Sektenanhänger die wohl beste Leistung seiner Karriere abgeliefert. Er bringt seine Figur mit einer unglaublichen Intensität auf die Leinwand, wie man es selten erlebt.

Die härteste Kategorie ist die der Besten männlichen Nebendarsteller. Tommy Lee Jones, Philip Seymour Hoffman, Alan Arkin und Christoph Waltz glänzten wahrlich in ihren Rollen. Alles in allem muss man aber sagen: Christoph Waltz hat in Django Unchained wieder mal die Leinwand beherrscht. Er war präsenter als in Inglorious Basterds, konnte mehr Facetten von sich zeigen und seine Kollegen, keine geringeren als Jamie Foxx, Leonardo DiCaprio und Samuel L. Jackson, regelrecht an die Wand spielen. Es wird eine Zitterpartie, aber letztend Endes wird Waltz die Trophäe mit nach Hause nehmen.

Beste Haupt-/Nebendarstellerin

Quvenzhané Wallis hat den Preis schon mit nur neun Jahren mehr als verdient. Sie wirkt so glaubwürdig und liebenswert und beweist ein Talent, das man einem so jungen Mädchen nicht zugetraut hätte. Mehr muss dazu nicht gesagt werden. Einzig echte Konkurrenz für Wallis stellt Emmanuelle Riva dar, die kraftvolle Hauptdarstellerin in Liebe. Die Französin hätte den Oscar ebenfalls verdient, doch ist, anders als Wallis, eine Darstellerin mit jahrzehnten Erfahrung.

Bereits den Golden Globe konnte Anne Hathaway zurecht für sich beanspruchen. Der Oscar als beste Nebendarstellerin wird mit Sicherheit folgen, was nicht an der Konkurrenz liegt, die erwartungsgemäß hochkarätig ist. Anne Hathaways Screentime in Les Misérables ist allerdings wesentlich kürzer als die ihrer Gegner in ihren jeweiligen Filmen. In den knapp 30 Minuten gibt Anne Hathaway jedoch alles und verzaubert das Publikum mit ihrer Darstellung und ihrem musikalischen Talent. Sie stellt das unglaublich tragische Schicksal der Fantine mitreisend und perfekt dar.

Beste Haupt-/Nebendarstellerin

Auch in der Kategorie der besten Hauptdarstellerin kommt es wohl zu einem Duell. Nominiert und favorisiert sind nämlich Quvenzhané Wallis, die jüngste Nominierte in der Oscargeschichte, und Emmanuelle Riva, mit 85 Jahren die älteste Nominierte. Wallis spielte ihre Rolle als kleine Hushpuppy so zauberhaft, so ehrlich, dass man ihr jeden erdenklichen Erfolg gönnen möchte. Emmanuelle Riva allerdings bezauberte mit ihrer Darstellung einer Sterbenden nicht, im Gegenteil: sie entzauberte, entromantisierte das Sterben einer alten Frau. Am 24. Februar, dem Tag der Oscarverleihung, feiert Emmanuelle Riva ihren 85. Geburtstag. Ein Oscar wäre das verdiente Geschenk.

Die Kategorie der Besten Nebendarstellerin ist ausgemachte Sache. Anne Hathaways Auftritt in Les Misérables muss gewinnen. In kurzer Zeit ist sie präsent, singt sich die Seele aus dem Leib und kämpft als Fantine um den Lebensunterhalt für ihre Tochter Cozette. Für ihre Leistung, vor allem im Vergleich zum restlichen Feld, wird ihre Auszeichnung mehr als verdient sein.