An application a day takes the doctor away…

von Svitlana Magazova

Man befürchtet eine Blasenentzündung? Kein Problem – Dr. App fragen! Man braucht nur ein Foto vom Urinteststreifen zu schießen und das Smartphone Display liefert die Diagnose. Ob es sich um Ernährungspläne, Medikamentenverschreibungen oder Krebsdiagnose handelt – die Apps scheinen auf alle Fragen eine Antwort parat zu haben. Über 200 Millionen Medizin-Apps boomen heute auf dem Markt. Experten warnen: Viele sind Schrott!

Eine digital bedingte Revolution?

Am 3. Juni 2013 war es soweit – Die Veranstaltung Medical Apps 2013 öffnete in Stuttgart über zwei Tage ihre Pforten.  Neben einer Konferenz standen diverse Workshops und Ausstellungen im Angebot, die sich alle mit einem Thema befassen – den medizinischen Apps. Es kamen Vertreter aus den verschiedensten Bereichen: Dem Gesundheitswesen, der Industrie, der Forschung und dem IT-Bereich. Ihr Ziel besteht darin, die Verbindung zwischen Informationstechnologie und Gesundheitswesen zu stärken und auszubauen. Es entstehen außerdem immer mehr Medizinportale, wie CrowdMed, dessen Intention es ist, Patienten über den elektronischen Weg zuverlässige Diagnosen zu liefern sodass in Zukunft der Arztbesuch per „Knopfdruck“ erfolgen kann. Es ist nicht mehr zu übersehen – das Gesundheitswesen befindet sich in einer digital bedingten Revolution!

Von Fiebermessung zur Krebsdiagnose

Laut dem Brancheverband Bitkom, gab es bereits im Jahre 2011 um die 15.000 Gesundheitsapps. Jedoch beschränkten sich diese eher auf Angebote, wie Schrittzähler für Jogger oder Trainingsprogramme mit Fitnessübungen. Nun reichen aber die Apps von medizinischen Hilfen, wie Fieber- und Blutzuckermessen, Alkohol- oder Sehtests bis zur Leberfleckenprüfung. Dabei handelt es sich um eine Art Ersatz für die „Blickdiagnose“ des Arztes, welche nun das Kameraauge übernehmen kann. Mittels Algorithmen wird die Wahrscheinlichkeit berechnet, dass ein Fleck bösartig ist. Darüber hinaus gibt es die sogenannte „Pulsmess-Apps“, wobei Licht und Kamera eingesetzt werden können.

Treffsicherer als der Arzt?

Am meisten Anklang auf dem Markt findet eine Vielzahl von Tests- und Diagnose- Apps. Angefangen hat alles mit Webseiten zur Selbstdiagnose, wie was-fehlt-mir.net. Somit konnte zum ersten Mal der Arzt durch eine Maschine ersetzt werden. Heute noch sind viele Apps lediglich mobile Ableger der alten Webseiten. Diagnosewebseiten können jedoch für Hypochonder die reine Hölle bedeuten – auch harmlose Symptome können sich nach unnötig langer Recherche als Anzeichen einer ernsthaften Krankheit entpuppen. Um solche Fehldiagnosen zu vermeiden und die Patienten nicht zu verunsichern, hat sich in jüngster Vergangenheit das US-Startup CrowdMed entwickelt. Im Gegensatz zu herkömmlichen Diagnoseseiten, sind auf dieser Plattform nur Diagnosen eingestellt, die zuvor tatsächlich von Fachärzten erstellt wurden. Für die Information muss der Patient aber zunächst tief in die Tasche greifen – 199 US-Dollar sollen an das Unternehmen gezahlt werden. Ist diese Hürde jedoch genommen, gibt der Kranke zahlreiche Daten über sich und seine Krankheitsgeschichte ein. Anschließend wählt CrowdMed aus seinem Teilnehmerpool rund 100 sogenannte Medical Detectives aus, die den Fall bewerten. Die „Konsensdiagnose“, die aus diesen Bewertungen erstellt wird, kann der Patient dann seinem Arzt vorlegen.

15 Prozent solcher Gesundheitsanwendungen werden nun sogar speziell für das Fachpersonal entwickelt. Handys und Tablet-PCs  spielen nämlich auch für Ärzte, Therapeuten und Pflegepersonal eine immer wichtigere Rolle. Seit letztem Jahr dürfen Ärzte in Großbritannien nun Gesundheitsapps an die Patienten verschreiben.

Geburt eines neuen Geschäftszweigs

Aus den vorangegangenen Beispielen wird klar ersichtlich, dass sich nicht nur das Gesundheitswesen in einer Revolution befindet, sondern dass auch das Arzt-Patienten Verhältnis komplett neu definiert und positioniert wird. Lange Wartezeiten beim Arzt sind nicht mehr notwendig – man lässt die Apps ihre Arbeit verrichten!

Die Schattenseiten dieser Methoden liegen jedoch auf der Hand – Menschen können bei Gesundheitsfragen schlichtweg nicht von Maschinen ersetzt werden! Ganz zu schweigen davon, dass sich eine Vielzahl der Gesundheitsapps erst in den Kinderschuhen befinden und zum Teil nichts weiter als ein Gag darstellen.

Trotzdem untermauern Portale, wie CrowdMed, die Idee einer fortschreitenden Digitalisierung des Gesundheitswesens. Führende Mobile Health Anbieter in den USA erreichen bereits mehr als drei Millionen kostenlose Downloads und 300.000 bezahlte Downloads auf der iOS-Plattform. Die Reichweiten verdeutlichen das wachsende Geschäftspotenzial für mobile Gesundheits-Apps, welche wohl schon in naher Zukunft unseren Alltag zum Teil bestimmen werden.

Mensch vs. Maschine

Diese Revolution, die laut Experten schon begonnen hat, lässt einen Punkt stark außer Acht: Die Gesundheit des Menschen darf nicht zu einem Geschäftszweig der digitalen Branche werden. Durchaus können zuverlässige Diagnose-Apps hilfreich sein und den Menschen bei harmlosen Krankheiten vor langen Wartezeiten und Fehldiagnosen bewahren. Auch Anwendungen, die einen Diabetiker durch den Alltag begleiten, können sowohl für Patienten als auch für die Ärzte eine Erleichterung bedeuten. Doch inwieweit lässt sich der zunehmende Ärztemangel durch Applikationen beheben? Werden digitale Geräte in Zukunft tatsächlich einen Arzt komplett ersetzen können, sodass wir nicht mehr von einer Patient-Arzt-Beziehung, sondern von einer Patient-Gerät-Beziehung sprechen werden?

Im Allgemeinen befindet sich diese Entwicklung lediglich im Anfangsstadium und es bleibt abzuwarten, wie sich dieser Zweig entwickelt und in welche Richtung unser Gesundheitswesen gelenkt wird. Nichtsdestotrotz wird eine Maschine niemals die menschliche Präsenz und das Mitgefühl eines Arztes ersetzen können und dürfen.

 

Bilder: flickr/12905355@N05 (CC BY-NC 2.0), flickr/umich-msis (CC BY 2.0)

 

E3 2013: Konsolenkrieg, die achte

von Miriam Gerstenlauer

Dieses Jahr ist ein besonderes Jahr in der Spielebranche: Nachdem Nintendo bereits 2012 ihre neue Wii U Konsole auf den Markt brachte, schicken nun Microsoft und Sony ihre Konsolen ins Rennen und müssen sich den kritischen Augen von Gamern und Presse stellen. Sieben  Jahre liegen die Erstveröffentlichungen der letzten Konsolengenration zurück. Wii U, Xbox One, PS4 sowie die Kickstarter-Konsole Ouya bilden die Vorhut zur achten Generation der Spielekonsolen und könnten sich in ihren Konzepten nicht mehr unterscheiden.

Die neuen Konsolen wurden auf der 19. Electronic Entertainment Expo (E3) in Los Angeles vorgestellt.

Außer Konkurrenz: die Ouya

Ein kleiner, ein paar hundert Gramm schwerer Würfel mit Android-Betriebssystem, auf dem man alle Smartphone-Spiele auf dem Fernseher spielen kann, und das für gerade mal 99 Dollar.Ein scheinbar grandioses Konzept, fanden die über 60.000 Kickstarter-Unterstützer der Ouya.

Erste Tests berichten jedoch von einem unfertigen Produkt, das eine nur geringe Auswahl von grafisch veralteten Spielen zur Verfügung hat und keine externen Speichergeräte erkennt. Laut dem Test scheint  der Controller der Ouya billig verarbeitet, klappert und ermöglicht nur unpräzise Steuerung, kann jedoch durch ein kabelgebundenes Xbox 360 Gamepad ersetzt werden.

Wenn schon nicht mit ihrer Konsole, so erregten die Entwickler auf andere Art Aufsehen auf der E3: Statt einen ordentlichen Stand in den Messehallen zu mieten, errichtete das Ouya-Team kurzerhand einen eigenen Stand auf einem Parkplatz gegenüber des Messegeländes, zum Missfallen der Messeveranstalter ESA.Der offizielle Verkaufsstart der Ouya ist der 25. Juni 2013.

Nintendo

Nach dem Erscheinen der Wii U im November 2012 hat die Konsole bis jetzt vor allem einen Makel: Es gibt kaum Spiele. Und die Spiele, die es gibt, sind alte Bekannte : Super Mario Bros., Monster Hunter, Raymon Raving Rabbits. Bewährte Konzepte, die den Touchscreen-Controller, dem speziellen Feature der Wii U, passend in das Spielkonzept integrieren. Nintendo hätte also genug Potenzial, der lachende Dritte neben Microsoft und Sony im Konsolenkrieg der E3 zu sein. Leider verpasste Nintendo diese einzigartige Gelegenheit: Statt innovativer Neuerscheinungen gab es Ankündigungen zu einem neuen Super Smash Bros. Spiel, einem neuen Donkey Kong und einem neuen Legend of Zelda. Allesamt Spiele aus dem Hause Nintendo selbst, für externe Publisher wie Ubisoft ist die Entwicklung für Wii U exklusive Titel uninteressant, solange sich die Konsole so schlecht verkauft.

Trotz der eher schlechten Aussichten schaffte es Nintendo sich die exklusiven Rechte an Bayonetta 2 zu sichern und die Wii U ist weiterhin mit Multi-Plattform-Titeln im Rennen.

Die Wii U kann man in der Standard-Version für 199€ oder als Premium Edition für 310€ im Fachhandel erwerben.

Microsoft

Bereits Ende Mai hatte Microsoft der Welt zum ersten Mal die Xbox One präsentiert. Bereits ihr Vorgänger, die Xbox 360 zeichnet sich durch ihre Bewegungssteuerung mit Kinect, dem großen Angebot an Indie-Download-Spielen ,ihre exklusiven Sport- und Action-Spiele aus. Das alles und mehr bietet Microsoft nun mit ihrer neuen Konsole: Die Xbox One soll präzisere Sprachsteuerung und Bewegungssensoren haben. Zusätzlich soll sie einen einfachen Zugang zu Filmen und Fernsehserien ermöglichen sowie genug Rechenleistung für neue, grafisch höchst anspruchsvolle Spiele bieten. Doch Microsoft stößt mit seiner Konsole vor allem auf negative Kritik.

Ein „Überwachungsgerät“ sei sie, da die Spracherkennung der Kinect konstant aktiviert sei, welches eine rund-um-die-Uhr Abhörung ermöglicht, so Datenschützer. Außerdem ist eine Breitband-Internetverbindung notwendig, um die großen Datenmengen  in der Cloud abspeichern zu können und die Konsole muss sich mindestens alle 24 Stunden mit dem Microsoft-Server verbinden, damit der User auf seine Spielebibliothek zugreifen kann.

Wer kein Internet hat, so Xbox Chef Don Mattrick, soll einfach bei der Xbox 360 bleiben.
Darüber ob man nun gebrauchte Spiele weiterverkaufen kann, ist sich Microsoft selbst noch nicht im Klaren. Zunächst hieß es, man kann Spiele einfach übertragen, dann ging es nur mit Freunden, dann nur mit Freunden, die mindestens seit 30 Tagen auf der Freundesliste stehen, welche wiederum erneut eine Lizenz für das Spiel erwerben müssen – wenn der Publisher dies verlangt. Microsoft behält sich nunmehr weitere Änderungen offen.

Die Xbox One erscheint im November 2013 und soll 499€ kosten.

Sony

Alle Zweifel, die durch Microsoft für die neue Konsolengeneration aufgeworfen wurden, nutzte[s11]  Sony in einer einzigen Pressekonferenz zu seinen Gunsten . Im Gepäck hatten sie nun auch erstmals die Konsole selbst, eine augenscheinlich schräggestellte Version der Xbox One. Das scheinbare Design-Motto der Next-Gen Konsolen: Rund ist das neue eckig.
Den generalüberholten Dualshock 4 Controller hatte Sony bereits Ende März 2013 im Zuge der PS4-Ankündigung vorgestellt. Das Besondere: ein im Controller verbautes Touchpad sowie ein integrierter Share-Button, bestens geeignet für die neuen Social-Media Funktionen der neuen Konsole. Man kann Gameplay-Videos auf YouTube teilen, Freunde zu einer gemeinsamen Partie einladen oder die neuesten Erfolge teilen.

Einen Online Zwang gibt es aber nicht und gebrauchte Spiele können wie eh und je geteilt oder verkauft werden. Doch auch zukünftige PS4 Besitzer müssen mit Einschränkungen rechnen: Um Multiplayer-Funktionen nutzen zu können, fallen nun monatliche Kosten für ein PlayStation Plus-Konto an, ähnlich der Xbox Live Gold-Mitgliedschaft. Außerdem ist das PlayStation Eye, eine Kamera die zur Erkennung der Bewegungssteuerung dient, im Gegensatz zu Xbox Ones Kinectsensor, nicht in der PS4 mit enthalten, was den 100€ niedrigeren Preis der Sony-Konsole etwas relativiert.

Erscheinen wird die PlayStation 4 zum Weihnachtsgeschäft 2013, mit einem Preis von 399€.

Fazit

Jede der Next-Generation Konsolen hat seine Vor- und Nachteile. Am Ende sind aber wahrscheinlich die exklusiven Spieletitel entscheidend für den Kauf der Konsole, und davon haben sowohl Nintendo als auch Sony und Microsoft eine Menge. Ob nun The Legend of Zelda, The Dark Sorcerer oder Halo 5 ein Kaufgrund sind, muss jeder für sich selbst entscheiden.


 Fotos: Copyright Nintendo; Copyright Microsoft; Copyright Sony.

Glasige Aussichten

von Daniel Fuchs

Die Aftershowparty der Oscarverleihung aus dem Blickwinkel von George Clooney erleben? Oder doch lieber den Urlaub von Freunden live am Bildschirm mitverfolgen? Das und noch vieles mehr ist mit Googles neuestem Spielzeug vorstellbar, das das Potential besitzt, die Grenzen von Realität und Virtualität weiter zu verschieben.

Der nächste Coup?

Nach dem durchschlagenden Erfolg des von Google für Smartphones entwickelten Betriebssystems Android, das mittlerweile knapp 70% Marktanteil aufweist, [sowie den auf Googles Browser Chrome basierenden Notebooks], plant das Unternehmen aus Mountain View im Herzen des Silicon-Valley, den nächsten großen Coup. Google Glass soll im ersten Quartal 2014 auf dem Markt erscheinen, doch schon jetzt sind einige Exemplare der Datenbrille als Vorabversion im Umlauf. 1500$ mussten die neugierigen Tester berappen, um eine der in limitierter Anzahl verfügbaren Brillen zu ergattern.

Die Technik

Das Innenleben von Google Glass erinnert, von Ausstattung und Funktionsumfang her, an ein handelsübliches Smartphone. Ein Touchpad im Brillenbügel ermöglicht die Steuerung per Hand. Gesteuert werden kann aber auch per Kopf- oder Augenbewegungen und Spracheingaben, entsprechende Sensoren sind vorhanden. Glass soll sich automatisch mit Google Cloud synchronisieren, bei Verstößen gegen die Nutzungsbedingungen kann Google die Brille aus der Ferne deaktivieren. Natürlich fehlt auch die obligatorische Kamera nicht, die fähig ist, alles vom Träger Gesehene aufzuzeichnen. Mit dem integrierten GPS-Empfänger können dabei die eingehenden Daten mit dem entsprechenden Ort verknüpfen werden.

Der Bildinhalt erscheint nicht etwa auf einem Bildschirm vor dem Auge, sondern wird mit einem Prisma direkt auf die Netzhaut projiziert. Für den Träger sieht es so aus, als schwebt ein transparentes Display in einiger Entfernung vor dem Auge in der Luft.

Die Idee des Einblendens von Informationen im Blickfeld ist nicht neu, es gibt bereits ähnliche Einsatzzwecke dieser unter dem Sammelbegriff „augmented reality“ stehenden Technologie. Was neu ist, ist die geplante Einbettung dieser Technologie in das tägliche Leben.

Die Anwendungen

Über besondere Anwendungen, die die Brille deutlich von denen eines Smartphones abheben, ist erst wenig bekannt. Vielmehr scheint es so zu sein, dass sich Google bei der Anwendungsgestaltung wieder auf die Kreativität ihrer Kunden verlässt. Das verdeutlicht auch die Aussage eines Google-Mitarbeiters: „wir wollen, dass ihr verrückte Sachen damit macht. Immerhin habt ihr 1.500 US-Dollar dafür gezahlt„.

Es hat sich bezahlt gemacht, dem Anwender ein Interface mit grundlegenden Funktionen zur Verfügung zu stellen, und mit Hilfe eines zugänglichen Betriebssystems wie Android eine Basis für eigene Ideen für Anwendungen zu bieten. Der Anwender wird zum Entwickler und erweitert damit den Umfang des Interfaces immer mehr.

Bestes Beispiel für die Eigendynamik der Anwendung und Entwicklung war der Verkaufsstart des ersten iPhones im Jahr 2007. Erste Tests berichteten damals eher verhalten über geringen Funktionsumfang, und das Hauptaugenmerk lag damals auf der Telefonie und dem Musikhören. Niemand ahnte, dass diese beiden Features bald schon die uninteressantesten überhaupt sein würden, nachdem die „Apps“ ihren Siegeszug begonnen hatten.

Der gläserne Anwender

Aus den Möglichkeiten folgen aber auch Befürchtungen, wenn es um den Datenschutz und die Privatsphäre geht. Google hat angekündigt, den Speicher der Brille synchron mit ihren Servern zu halten, was nichts anderes bedeutet, als dass jede Information, die durch die Brille aufgenommen wird, Google zur freien Verfügung steht. Die Brille wird zwangsläufig Informationen, nicht nur über den Nutzer selbst, sondern auch über seine Umgebung sammeln, verknüpfen und auswerten. Eine geplante Anwendung ist zum Beispiel die Erkennung von Freunden anhand ihrer getragenen Kleidung. Gesichtserkennung ist zwar von offizieller Seite noch nicht geplant, aber der logische nächste Schritt, vor allem wenn man bedenkt, dass diese Technik von anderen Konzernen wie Facebook, bereits eingesetzt wird. Die Anwendungen an sich sind demnach nicht neu, wohl aber die Beiläufigkeit und Selbstverständlichkeit des Aufsammelns von Daten. Als ob jeder Nutzer sein eigenes Google Street View mit sich führt, nur dass dieses Gadget nicht auf Straßen und öffentliche Plätze beschränkt ist, sondern alle Bereiche des täglichen Lebens durchdringen kann. Und so berichten begeisterte Tester, dass sie die Brille nur noch zum Schlafen abnehmen.

Ein Blick in die Glaskugel

Es wird vor allem darauf ankommen, was die Nutzer aus den ihnen gebotenen Möglichkeiten machen, und wie sich das Image der Brille entwickeln wird. Denn schon ein Jahr vor dem Verkaufsstart legt sich der Hype schon wieder ein wenig, und das Bild von Glass bekommt die ersten Kratzer. Unter dem Schlagwort  „White Men Wearing Google Glass“ machen sich Blogs darüber lustig, dass vor allem technikaffine, weiße Herren von der Brille angetan sind, und darüber hinaus besonders affig damit aussehen. Ob Google Glass den Nerv der Zeit trifft, und nicht nur ein nettes Spielzeug bleibt, wird sich also erst noch zeigen.

 

Bilder: flickr/69730904@N03 (CC BY 2.0), flickr/timtimes (CC BY 2.0)

Sinnsuche auf See – Ang Lees Life of Pi

von Selina Emhardt

Ang Lees Life of Pi – Schiffbruch mit Tiger (2012) ist eine atemberaubend-bildgewaltige spirituelle Erzählung in 3D, die dem Zuschauer nichts weniger verspricht, als ihm den Glauben an Gott zurückzugeben – ein gewagtes Versprechen!

In einem kleinen Rettungsboot über den größten Ozean der Welt treiben. Über dir der ewige Sternenhimmel, das Tor zum Universum, unter dir der unerforschte Mariannengraben, die tiefste Stelle der Erde. Und neben dir – ein wilder Tiger als ständiger Begleiter! Von dieser surrealen Situation erzählt die Verfilmung des kanadischen Erfolgsromans Life of Pi von Yann Martel.

Life of Pi, das ist die fantastische Geschichte des siebzehnjährigen Piscine Molitor Patel, genannt Pi (Suraj Sharma), Sohn eines Zoodirektors. Eines Tages sieht sich die Familie aus finanziellen Gründen gezwungen, von Indien nach Kanada umzusiedeln. Doch das Schiff, das die Familie zusammen mit den Tieren in ein neues Leben bringen soll, sinkt und nur Pi, ein Affe, ein Zebra, eine Hyäne und ein bengalischer Tiger namens Richard Parker können sich in ein Rettungsboot flüchten. Hierbei entwickelt sich auch die Abhängigkeitsbeziehung der beiden denkbar unterschiedlichsten Protagonisten weiter: Der Tiger wird zur allgegenwärtigen Existenzbedrohung einerseits und zum lebensrettenden Hoffnungsträger andererseits. „Meine Angst vor ihm hält mich am Leben“, meint Pi in einem seiner zahlreichen Monologe und daraufhin: „Meine Sorge um ihn gibt meinem Leben einen Sinn.“ Nach einer abenteuerlichen Odysee stranden die beiden halbtot an der Küste von Mexiko. Richard Parker verschwindet im Urwald und Pi wird ins Krankenhaus gebracht. Dort erzählt er zwei Angestellten des japanischen Verkehrsministeriums seine Geschichte. Da sich die ungläubigen Inspektoren nicht mit der Wahrheit zufrieden geben erzählt er noch eine andere Geschichte: Zu Beginn seien demnach mehrere Menschen im Rettungsboot gewesen, die sich nach und nach töteten, bis nur noch Pi übrig blieb.

Gefangen zwischen Wirklichkeit und Fiktion

Dies ist nicht nur eine Abenteuergeschichte, sondern  auch eine religiös- philosophischen Parabel: Sie erzählt von einem modernen Wunder über Lebensrettung. Und genau wie die Wunder- und Heilsgeschichten der großen religiösen Schriften, lässt sie sich nicht direkt beweisen. Kann man aber an etwas glauben, dass man nicht beweisen kann? Das empfindliche Verhältnis von Wirklichkeit und Fiktion wird in der Frage gestellt, der Beweis als Wahrheitsgarant relativiert. Da ist Pis Vater, als Anhänger der modernen naturwissenschaftlichen Tradition, der seinen Sohn lehrt, dem Tiger als instinktgetriebenem, morallosen und natürlichen Feind zu misstrauen. Er verweist auf Naturgesetze und Verstand. Und der Vater hat recht: Der Tiger bleibt was er ist, auch wenn der Zuschauer oftmals versucht ist, das zu vergessen: Eine gefährliche, lebensbedrohliche Bestie. Wer das vergisst stirbt!

Dem gegenüber steht Pis Vertrauen auf eine höhere, gütige Macht. Ohne sie hätte Pi, gottverlassen auf hoher See, auch nicht überlebt. Und es ist genau dieser Glaube als menschliches Grundbedürfnis, der dem modernen Sinnsuchenden wie dem Schriftsteller einen Lebenssinn geben kann. Vielleicht ist also beides zum Überleben nötig – die wissenschaftlichen Erkenntnisse und der Glaube.

Das atemberaubende Spiel mit Gegensätzen

Somit predigt Life of Pi, ohne missionarisch sein zu wollen, von gegenseitiger Toleranz und schafft es, scheinbare Gegensätze zu vereinen.

Der Film lässt Grenzen verschwimmen und oft fragt man sich: Was ist die Wirklichkeit? Der Himmel, den man zu sehen glaubt entpuppt sich beispielsweise im nächsten Moment als perfektes Abbild auf der spiegelglatten Wasseroberfläche. Und gibt es so etwas wie die fluoreszierenden Quallenschwärme bei Nacht, den sich majestätisch über das Boot schwingenden kolossalen Wal wirklich oder sind sie alle nur Fieberträume und Halluzinationen eines halbtoten Jugendlichen auf hoher See? Durch Szenen wie diese wird bildgewaltige Kunst geschaffen, die uns nicht nur wegen der 3D-Technik gefangen nimmt. Mit visueller Brillanz glänzt dieser Film, der nicht umsonst unter anderem für den Oskar in der Kategorie „bestes Szenenbild“ nominiert ist. Er zeigt uns, was wir viel zu oft nicht mehr wahrnehmen: die atemberaubende Schönheit und Wandelbarkeit der Natur – und das, obwohl die Drehorte kaum variieren.

Eine filmische Herausforderung

Gerade deswegen galt „Life of Pi“ lange Zeit als nicht realisierbar. Aber in einer Zeit, in der man in der Lage ist, ganze Fantasiewelten digital zu erschaffen, was darf sich da noch unverfilmbar nennen? Das taiwanische Multitalent Ang Lee (u.a. Hulk, Brokeback Mountain) stellte sich der Herausforderung – und das sogar mit einem Laienschauspieler in der Hauptrolle. Lee ist bekannt dafür, das Neue zu suchen und sich nicht auf ein Genre festzulegen. Und tatsächlich! Es gelang ihm, den grundverschiedenen Reisebegleiter des mageren Jungen, den wilden und prächtigen Tiger, vollständig zu animieren. So musste die Filmcrew nach den Dreharbeiten erst einmal beweisen, dass der Tiger tatsächlich nicht real war. Die Natur wurde ironischerweise durch Computertechnologie plastisch und täuschend echt imitiert und wieder einmal stellt sich die Frage: Kann man dem, was man zu sehen meint vertrauen?

Life of Pi, das ist ein höchst poetisches Werk, mit vielen Botschaften: Es geht um den Wert einer Geschichte, Erzählkunst, den Sinn des Lebens, das wahre Wesen der menschlichen Natur und natürlich seiner Beziehung zu Gott. Sehenswert ist der Film dank der beeindruckenden Bilder, der exotisch-indischen Musik und der ausgefallenen Handlung allemal. Ob die vermittelten Botschaften dem modernen Sinnsuchenden allerdings den Glauben an Gott tatsächlich zurückgeben können, muss jeder für sich selbst entscheiden!

 

LIFE OF PI – SCHIFFBRUCH MIT TIGER, Vereinigte Staaten 2012 – Regie: Ang Lee. Buch: Yann Martel. Drehbuch: David Magee. Kamera: Claudio Miranda. Mit: Suraj Sharma. 127 Min.

 

Bilder: 20th Century Fox

 

Die gnadenlose Republik

von Pascal Thiel

Es ist der 4. Januar 2012. Das erste Mal in der bundesdeutschen Geschichte wird ein Bundespräsident von zwei Journalisten verhört. Ein Bundespräsident, der gezeichnet ist vom Kampf mit den Medien und seinen eigenen Verfehlungen. Ein Bundespräsident auf Abruf.

In einem Berliner Fernsehstudio setzt sich fort, was ein Jahr zuvor begann: Die lange Chronologie der Skandale in Angela Merkels zweiter Amtsperiode.

Damals hatte die Süddeutsche Zeitung ihre Mittwochsausgabe mit einem Titel eröffnet, der den damaligen Bundesverteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg beschuldigte, in seiner Dissertation abgeschrieben zu haben. Was folgte, ist hinlänglich bekannt: Vorwürfe, Dementi, Rücktritt.

Einer der beiden Journalisten, die den zu dieser Zeit noch amtierenden Bundespräsidenten Christian Wulff zur Aufklärung und Beseitigung aller Vorwürfe bewegen sollten, war Ulrich Deppendorf. Im Rahmen der 10. Mediendozentur von Universität Tübingen und SWR diskutierte er im Festsaal der Neuen Aula die These einer „gnadenlosen Republik“.

Der Fall Wulff

Der Fall Christian Wulff habe zwei Dinge schonungslos offenbart. Zum einen ein katastrophales Krisenmanagement eines Präsidenten, der über seine eigene Vergangenheit gestolpert sei. Zum anderen einen Journalismus, der seine Grenzen weit überschritten habe.

Christian Wulff habe erfahren, was man den „Fahrstuhl-Effekt“ nenne. Mit den Medien – in diesem Fall mit der BILD-Zeitung – fuhr Christian Wulff hinauf, mit den Medien ging es fuhr er wieder runter. Doch auf letzterem Wege  sei die Medienmeute eindeutig zu weit gegangen.

Und das, so Deppendorf, spätestens als im Bundespräsidialamt die Anfrage einging, ob Wulff in seiner Schulzeit Mitschüler mit Schokolade und Kleingeld geschmiert habe, um Klassensprecher zu werden. Oder woher denn das zweite Bobby Car käme, das plötzlich in der Wulffschen Garage aufgefunden worden sei.

Kritischer, investigativer Journalismus ist die Grundlage von informierten Öffentlichkeiten in einer Demokratie. Doch, so der Leiter des ARD-Hauptstadtstudios, hätten manche Blätter die „Grenze seriöser Berichterstattung schnell überschritten“. Mit einem „Herdentrieb“, den es bei keiner anderen Person zuvor gegeben habe, habe man den gescheiterten Präsidenten vor sich hergetrieben.

War der Rücktritt also doch nur einer medialen Hatz geschuldet? Als logische Konsequenz einer atemlosen Jagd nach neuen Enthüllungen? Nein, sagt Deppendorf. Wulff könne und dürfe man nicht als Opfer einer medialen Kampagne darstellen. Zwar sei das mediale Verhalten hoch problematisch gewesen, dennoch habe Christian Wulff ein „für einen Präsidenten unwürdiges Verhalten an den Tag gelegt“. Hinzu kommen ein „miserables“ Krisenmanagement und die Fehleinschätzung, alte Verstrickungen ohne Konsequenzen hinter sich lassen zu können. Erst die angesetzten Ermittlungen hätten ihn dann endgültig untragbar gemacht für das Amt.

Ist in diesem Fall doch eine gewisse Gnadenlosigkeit zu erkennen, positioniert sich Deppendorf klar auf der Seite der „nachbohrenden“ Medien. Denn: Es sei ihre Pflicht und Aufgabe, Skandale, Missstände et cetera aufzudecken und aufzuklären.

Schavan, Brüderle und de Maizière

Nicht nur die Medien und der Journalismus, sind Teil der „gnadenlosen Republik“. Auch die Politik hat ihren ganz eigenen Anteil. „Überzogene Zuspitzungen“ führten zu einem immer unruhigeren Zusammenleben der beiden Parteien. Der Journalismus leide zudem unter immer extremeren Geschwindigkeiten, zur Reflexion bliebe oft nur wenig Zeit. Die Politik beschleunige dies sogar, etwa durch eigenständige Berichterstattungen in sozialen Netzwerken wie Twitter oder Facebook.

Schreitet man voran in der Chronologie der Skandale, so fällt eine grundlegende Entwicklung auf: Obwohl die Berliner Politik in diesem Jahr schon von drei Skandalen erschüttert wurde, üben sich Medien wie Politik zunehmend in Zurückhaltung. Diese sei seit Jahresbeginn mit den einzelnen Skandalen gewachsen. Während man bei Brüderles Sexismusvorwurf noch sofort nach Rücktritt schrie, erledigte das Anette Schavan im Zuge ihrer Plagiatsaffäre von selbst – und Verteidigungsminister de Maizière ist nach dem Drohnendisaster trotz gewaltiger Kommunikationsprobleme seines Ministeriums noch im Amt. Letzterer nahm sich gar drei Wochen zur Aufklärung Zeit – die Empörungsmaschinerie bleibt ruhig.

Hat man also aus dem Fall Wulff gelernt? Hat der Journalismus seine Grenzen kennengelernt? Diese Fragen seien nicht leicht zu beantworten, da es sich bei Schavan, Brüderle und de Maizière nicht um gewöhnliche „Fälle“ handele.

Weil sich der stille Typ Schavan in den Medien nie inszeniert habe, habe die Vertraute der Bundeskanzlerin, die sich 2011 noch schadenfroh über den Rücktritt von KT gefreut hatte, medial wenig zu befürchten. Und tatsächlich: Eine Medienschelte blieb aus.

Der Fall Brüderle indes hat gezeigt, wie kolossal ein medialer Putsch nach hinten losgehen kann. Wohl als Gegenschlagzeile zur Vorstellung des Wahlkampfduos Rösler/Brüderle (FDP) geplant, machte der Stern am 24. Januar diesen Jahres mit dem Vorwurf auf, Brüderle habe eine Redakteurin sexuell belästigt. Was folgte, war eine halbherzige Sexismusdebatte, Unschuldsbekundungen, Empörung über einen „verunsicherten Politiker“ und dasselbe über eine „professionell geschädigte Kollegin“.

Die Drohnenaffäre hingegen brodelt noch. Ob sie im Wahlkampfjahr weiterhin Wellen schlagen wird, wird sich in den nächsten Tagen entscheiden. Einen Rücktritt hält Ulrich Deppendorf für unwahrscheinlich, da für diesen Posten „qualifiziertes Personal“ im Regierungslager nicht zur Verfügung stehe.

Lehren?

Der Politikjournalismus habe gelernt, wie weit er gehen könne, sagt Deppendorf. Regelrechte Jagdszenen wie beim ersten großen Skandal nach dem Umzug von Bonn nach Berlin, dem Parteispendenskandal, scheinen der Vergangenheit anzugehören. Dass der Journalismus nicht nach Skandalen schreien darf, sondern sich – im Besonderen im digitalen Zeitalter – seinen Kernaufgaben widmen müsse, sieht auch Deppendorf so: Transparenz vermitteln, Hintergrundinformationen bereitstellen, die Informationsflut des Internets filtern, für eine Diskussionskultur sorgen. Und noch viel mehr. Nicht im Einklang, aber in Kooperation mit der Politik. Denn, so Deppendorf, einer „gnadenlosen Republik“ könnten nur beide Seiten zusammen entgegenarbeiten.

 

Bilder: wikimedia commons/avda  (CC-BY-SA-3.0), flickr/mp_fries (CC BY-ND 2.0)

„Coffeeshop“: Multimediales Erzählen in der ‚Literatur‘

von Alexander Karl

Das ist der Literaturbranche bestimmt nicht Latte (Macchiato): Denn Coffeeshop von Gerlis Zillgens stellt einen Bruch mit den gängigen Buchkonventionen dar. Zunächst einmal ist es kein haptisches Buch, sondern eine E-Book-Serie mit 12 Episoden (wahlweise auch als Hörbuch oder als Read & Listen Version verfügbar). Darin erlebt die Sachensucherin Sandra die unterschiedlichsten Abenteuer mit ihren drei besten Freunden, deren zentraler Treffpunkt der „Coffeeshop“ ist, das Café ihres schwulen Freundes Captain. Allein die Episodenhaftigkeit und somit die strukturelle Anlehnung an TV-Serien mag für den Literaturbetrieb ungewöhnlich sein. Dabei stellt dies aber nur Basis-Version der Erzählung dar. Denn die „Coffeeshop“-App sorgt für ein kunterbuntes Story-Erlebnis.

Multimediale App

Multimedial wird Coffeeshop vor allem durch die App, die es parallel zu den anderen Produkten gibt: Jede der 12 Episoden in der App besteht nicht nur aus geschriebener Handlung, sondern reichert sie multimedial an. Kurze Filme greifen Handlungselemente auf, führen sie aus und kommentieren sie. Comicsequenzen zeigen die Gedanken der Protagonistin Sandra. Zudem werden Gespräche mit ihrem Vater auf rein auditiver Ebene eingebunden. Hinzu kommen weitere Elemente, um weiter in das „Coffeeshop“-Universum einzutauchen: Die Tagesgerichte des Coffeeshops lassen sich mittels der abrufbaren Rezepte nachkochen und Steckbriefe fassen die Eigenheiten der Protagonisten zusammen. Eine weitere Perspektive auf die Handlung wird durch die jeweils zur Episode passenden Kolumnen von Captain geboten. Hinzu kommen ein Spiel sowie Musik- und Büchertipps der Protagonistin, wobei letztere ins Web ausgelagert sind. Zusätzlich kann man sich die Episoden auch vorlesen lassen.

All das, was sonst transmedial ist

Mit dieser App geht Coffeeshop weit über das hinaus, was der Literaturliebhaber alter Couleur kennt: Statt ‚nur‘ gedruckte Worte auf Papier zu liefern, schafft Coffeeshop ein multimediales Erlebnis, das weit über die eigentliche Buchlektüre hinausgeht und innerhalb einer App all das versammelt, was in TV-Serien sonst gerne transmedial ausgelagert wird. Etwa bei der Erfolgsserie Breaking Bad, die online mit den Blogs der Figuren Marie und Hank sowie Graphic Novel Games und einigen Minisoden aufwartet – wie Jason Mittell in seinem online vorab publizierten Buch Complex TV : The Poetics of Contemporary Television Storytelling beschreibt, dienen die transmedialen Erzählungen von Breaking Bad vor allem dazu, den (Neben-)Figuren zusätzliche Tiefe zu verleihen. Ähnliches lässt sich auch bei Coffeeshop mit der Kolumne von Captain feststellen, da die eigentlichen Episoden aus Sandras Ich-Perspektive erzählt werden. Und auch die kurzen Videos ermöglichen Kommentare der weiteren Hauptdarsteller und Nebenfiguren, etwa Sandras Eltern.

Doch wie neu ist dieses Vorgehen? „Coffeeshop ist ein multimediales Projekt, bei dem erstmals ein Verlag und eine Filmproduktionsfirma zusammenarbeiten und ihre Stärken in einer neuen Form des Storytellings verbinden“, heißt es in einer Presseinformation.

Mehr noch: Coffeeshop stellt ein Beispiel für Paradigmenwechsel der Buchwelt dar, die zusehends mit hochwertig produzierten (und komplexen) TV-Serien konkurrieren muss, die als Romane der Neuzeit gefeiert werden. Daher scheint es nur logisch, die Stärken der unterschiedlichen Medien zu vereinen und dadurch ein multimediales Gesamterlebnis zu schaffen.

 

„Coffeeshop“ von Gerlis Zillgens von Bastei Lübbe, hier die Übersicht der Produkte.

 

Cover: Copyright Bastei Lübbe

Hüttengaudi meets Big Brother

 von Selina Juliana Sauskojus

Der Horrorfilm The Cabin in the Woods sollte das Genre revolutionieren. Kommerziell gelang der Produktion in den Kinos zwar ein beachtlicher Erfolg, aber das vom Regisseur Drew Goddard vorgegebene Ziel, dem Genre den Spiegel vorzuhalten und dadurch stilbildend zu wirken, war wohl doch etwas zu hoch gegriffen.

Eine Teenagerin möchte sich einen schönen Filmabend zu Hause machen. Das Popcorn steht schon auf dem Herd  – da klingelt das Telefon. Eine dubiose Männerstimme am anderen Ende der Leitung möchte ein Horrorfilmquiz spielen. Sie spielt mit. Und verliert. Der Rest ist Kinogeschichte.

Die Einstiegsszene des Horrorfilms Scream aus dem Jahr 1996 hat mittlerweile beinahe Kultstatus erreicht. Dem Regisseur-Urgestein Wes Craven gelang mit diesem Slashermovie die Wiederauferstehung eines tot geglaubten Genres. Scream führte die Absurditäten des Horrorfilmes vor, parodierte die gängigen Strukturen und machte durch seinen Erfolg den Weg frei für Horrorproduktion aller Couleur, besonders aber dem Teenslasher.

2011 scheint die Kinolandschaft dasselbe Problem zu haben, wie vor 15 Jahren. Der geneigte Horrorfan wird mit so gut wie jedem neuen Film, der im Kino erscheint, herausgefordert. Nicht aber, weil sich das Genre in eine ganz vortreffliche Richtung entwickelt, sondern weil es eine Herausforderung ist, sich denselben Film in unterschiedlichen Variationen wieder und wieder anzusehen. The Cabin in the Woods aber versprach Neues. Dabei klingt die Handlung zunächst einmal alles andere als einfallsreich.

Teenies (fast) allein im Wald

Fünf Collegestudenten wollen ein paar Tage in einer einsamen Hütte mitten im Wald verbringen. Auf dem Weg dorthin werden sie von einem ruppigen Tankwart vor jener Hütte gewarnt – keiner der Vorbesitzer hätte es dort lange ausgehalten. Alle Warnungen in den Wind schießend, macht sich die Gruppe auf zu ihrem Ziel. Was sie nicht wissen: sie werden beobachtet von einer internationalen Organisation, die den Jugendlichen ein Wochenende der etwas anderen Art bescheren will. Genauer gesagt: keiner der fünf soll das hochtechnologisch abgeschirmte Areal jemals lebendig verlassen. Der Plan scheint aufzugehen. Die Protagonisten verhalten sich wie erwartet: die Blondine Jules spielt das Girlygirl, der Sportler Curt lässt den Macho raushängen, die prüde Dana ziert sich zu jeder möglichen Gelegenheit, der attraktive Gruppenintellektuelle Holden ist ganz Gentleman und der Kiffer Marty kifft und philosophiert am laufenden Band. Während des ungezwungenen Wahrheit oder Pflicht-Spieles am Abend entdeckt die Gruppe eine Luke zum Keller, der sogleich besichtigt wird. Die Jugendlichen finden allerlei Gegenstände: Spieluhren, Puppen, alte Schmuckstücke und ein Tagebuch aus dem Dana einen lateinischen Spruch vorliest. Daraufhin wühlt sich eine Schar Zombies aus der Erde um den fünfen das Leben nicht nur zu erschweren, sondern auch dramatisch zu verkürzen.

Tour de Force der Parodie

Wie bei Scream klingt der Plot nicht einfallsreicher als andere dieses Genres. Aber während bei diesem das Spiel mit der Konvention und deren Bruch zunächst nicht ganz offensichtlich ist, so wird dem Zuschauer bei Cabin in the Woods jedes erdenkliche Klischee vor Augen und anschließend ad absurdum geführt.

Wes Craven bediente sich derer noch dosiert. Ihm gelang das Kunststück aus einem reichen Fundus an gängigen Horrorfilmklischees zu schöpfen, ohne den eigenen Film und dessen Handlung aus den Augen zu verlieren. Daran scheitert  Drew Goddard allerdings kläglich. Der Film scheint von einem Seitenhieb zum nächsten zu hetzen. Zumindest vermag er es, von Zeit zu Zeit zu überraschen. Dass die Jugendlichen, nicht wissentlich, wählen können, welches Szenario ihnen bevorsteht, ist ein geschickter Kniff. Es hätten statt Zombies schließlich auch Vampire, Kettensägenmörder oder Wassermänner sein können, die der Gruppe den Garaus machen. Auch die Tatsache, dass alle Geschehnisse von einer Organisation inszeniert und auf eine beinahe abstruse Art manipuliert werden, bringt frischen Wind in den Film. Zumindest für eine gewisse Zeit. Der Film scheint schon fast vorbei, die Zombies haben ihren Job erledigt, im Überwachungsraum der Organisation knallen die Sektkorken. Dann steuert der Film unerwartet den nächsten Höhepunkt an. Dieser scheint zunächst auch seinen Sinn zu haben. Allerdings macht der Film an dieser Stelle einen qualitativen Schnitt. Bei der Beantwortung der Fragen, wer denn diese Organisation ist und warum sie tut, was sie tut, scheint jede Motivation der Drehbuchautoren, kreativ mit dem Material umzugehen, verflogen. Als wäre man eine Checkliste durchgegangen, wird nun jedes Element, das sich irgendwie in einen Horrorfilm einbauen lassen könnte, verheizt. Dass es noch zwei Überlebende gibt, die das Hauptquartier der Organisation finden und somit die Euphorie unter den Mitarbeiten dieser vorerst dämpfen, stellt an sich noch keinen Bruch dar. Allerdings wirkt die Armada an allen erdenklichen Ungetümen, Killern und Monstern, die nach der Befreiung durch Dana und Marty kurzen Prozess mit der Belegschaft macht, eher ungewollt komisch, als furchteinflößend. Die wenigsten werden bei einer Fledermaus das Stottern und Schwitzen beginnen – es sei denn, man ist Bruce Wayne. Dass eine solche ungruselige Fledermaus plötzlich ein Blutbad anrichten soll, kommt beim Zuschauer nicht wirklich an. Kreativ mag das Potpourri an alptraumwürdigen Wesen schon gar nicht wirken. Und wenn man sich als Zuschauer denkt, man könne nicht mehr Klischees auffahren, da legt Goddard erst richtig los. So stellt sich heraus, dass die ganze Inszenierung ein Ritual war, um unterirdisch lebende Götter mit einem jährlichen Opfer in Schach zu halten. Vom Gelingen dieser Unternehmung hängt nicht weniger ab als das Überleben der gesamten Menschheit. Als dann noch Sigourney Weaver als Leiterin der Organisation auftaucht, möchte man am liebsten die Hände vor dem Kopf zusammenschlagen und sich wünschen, dass der Film nach sechzig Minuten einfach zu Ende gewesen wäre.

Fazit

Drew Goddard hat sich mit The Cabin in the Woods zu viel vorgenommen. Es gelang ihm nicht konsequent, die richtige Mischung aus einem Film mit eigenständiger Handlung und einer bloßen Collage zu finden. Der Film amüsiert zeitweise, keine Frage. Er hat auch seine starken Momente, insbesondere in den ersten sechzig Minuten. Insgesamt wirkt der Film aber eher wie ein aufgezogenes Duracell-Häschen, das von einem parodierenden Moment zum nächsten hetzt. Weniger ist manchmal mehr, das wusste 1996 auch schon Wes Craven.

 

THE CABIN IN THE WOODS, USA 2011 – Regie: Drew Goddard. Buch: Joss Whedon, Drew Goddard. Kamera: Peter Deming. Mit: Kristen Connolly, Chris Hemsworth, Jesse Williams. 95 Minuten.

 

Szenebilder: Universum Film

Neues Fernsehen

von Lina Heitmann

HBO, Netflix, Amazon, Twitter – wie verändern sie Fernsehinhalte und unser Fernsehverhalten? Eine Untersuchung von der Entstehung neuer Qualitätsserien bis hin zur Bedeutung von Social Media.

Wie HBO & Co alte Serienstrukturen umwarfen

Im Tagesspiegel schreibt Bodo Mrozek, dass sich Serien verändert haben, weil die Charaktere menschlicher wurden – aber wie geschah das? Möglich wurde die Entwicklung, wie auch in dem Essay dargestellt, dadurch, dass die Handlung sich nun über eine oder mehrere Staffeln hinausziehen konnte. NBC gab vielleicht mit Hill Street Blues den Anstoß, aber möglich wurde die Revolutionierung der Fernsehinhalte durch die Premium-Kabel-Sender in den USA, die anfingen, selbst Serien zu drehen. HBO (The Sopranos, The Wire, Boardwalk Empire, Girls, Game of Thrones) und Showtime (Dexter, Californication, Weeds, Nurse Jackie, Homeland) sind weder an Werbeeinnahmen, noch an strenge FCC-Regeln gebunden, die Profanität verbieten. Vince Gilligan, der Erfinder der Erfolgsserie Breaking Bad deutet noch auf einen weiteren Vorteil hin: die Staffeln auf Kabelsendern sind 13 statt 24 Folgen lang. Nicht nur kann die Handlung dadurch viel straffer sein, die gewonnene Zeit kann für genaueste Konzeption und Vorproduktion genutzt werden; die Showmacher können sich für eine Folge viel mehr Zeit nehmen.

Im Buch The Revolution Was Televised beschreibt TV-Kritiker Alan Sepinwall anhand von Interviews mit den Qualitäts-TV-Machern die Ursprünge dieser Serien, denen bis dahin unvorstellbare kreative Freiheiten gegeben wurden. Auf HBO also durfte experimentierfreudig geschrieben werden. Zwar ist es schwierig, bei Serien mit einer einer staffelübergreifenden Handlung nach dem Beginn der Serie neue Zuschauer zu gewinnen. Man betrachte nur einmal The Wire, wo ein Einstieg in der Mitte nahezu unmöglich ist. Andererseit sind die bei HBO entstandenen Serien das beste Beispiel dafür, dass ein solcher Aufbau dennoch nachhaltig sein kann – zum Beispiel durch den Verkauf von DVDs. Bald entstanden auch bei Basic-Kabel-Sendern wie AMC und FX weitere Qualitätsserien wie Mad Men, Breaking Bad und Louie. Natürlich gab es auch auf Broadcast-Network Serien, die kreative Freiheiten zeigten, doch diese Ausnahmen waren eher weniger erfolgreiche Serien, die den Chefs wohl eher egal waren. Beispiele dafür sind Freaks and Geeks, Friday Night Lights und Arrested Development.

Die zweite Revolution: Amazon, Netflix und Social Media

Heute sind wir schon inmitten einer zweiten TV-Revolution. Diese haben wir, wie die erste, neuen Content-Anbietern zu verdanken. Diesmal sind es nicht HBO und andere Fernsehkanäle, sondern Streaming-Videotheken, die die Fernsehlandschaft verändern. Netflix, eine Online-Videothek für Abonnenten (wie hier z. B. Watchever), und Amazon drehen nun eigene Serien. Der Internetriese Amazon geht nun auf Nutzer direkt zu und lässt sie abstimmen, welche der von ihm gedrehten Pilote als Serien weiterverfolgt werden sollten. Netflix seinerseits hat mit House of Cards mit großem Erfolg die erste eigene Serie herausgebracht (ein Remake der britischen Serie gleichen Namens). Zur Erstellung hat Netflix gesammelte Daten über die Rezeptionsgewohnheiten seiner 29 Millionen Nutzer erfasst  und untersucht. Es ergab sich, dass die Zielgruppe politische Dramas, Kevin Spacey und David Fincher mag. Aus genau diesen Puzzleteilen wurde dann eine Serie gemacht – voilà, House of Cards! Die sehr genauen Vorgaben, die sich aus der Analyse von Nutzerverhalten ergeben, haben in diesem Fall zu einem Erfolg geführt. Die Einschränkungen, die sich aus dieser Arbeitsweise ergeben, stehen aber in starkem Kontrast zu der kreativen Freiheit, die den Machern von Vorreiterserien wie The Sopranos, The Wire und Mad Men gegeben wurde – die übrigens alle nicht von bereits bekannten Stars leb(t)en.

Die Online-Videothek Netflix belebte nun die Kultserie Arrested Development neu, die nie den großen Erfolg hatte, dafür aber immer sehr vokale, loyale und im Internet aktive Fans. Netflix ist nicht an Quoten gebunden, aber der Anbieter weiß genau, welche Nutzer welche Filme oder Serien ansehen. Er empfiehlt deshalb darauf basierend weitere Angebote. Die Kategorien können so banal sein wie „Komödien“ und so spezifisch wie „Dramas, die auf zeitgenössischer Literatur basieren”.

Bisher wird die Präsenz von Serien in sozialen Netzwerken nicht über Quoten erfasst. Trotzdem gewinnen die virtuellen Treffpunkte auch für das Film-und Fernseh Business an Bedeutung – beispielsweise durch das Live-Tweeten von Sendungen. Die traditionellen Quoten verlieren dabei immer mehr an Bedeutung. Es wird zunehmend deutlich, dass traditionelle Quoten kaum akkurat darüber Auskunft geben, wie viele Zuschauer eine Sendung tatsächlich hat. Erst seit Kurzem gibt es die +7 Version der Ratings, die auch die DVR-Rezipienten innerhalb von einer Woche zählt. Mediatheken werden gar nicht gezählt. Wired schreibt schon pointiert: „The Nielsen Family is Dead“. (Die Nielsen Ratings sind in den USA die Fernsehquotenzahlen, vergleichbar mit der GfK in Deutschland.) Die Sender aber verlassen sich immer noch stark auf Quoten, um Programmentscheidungen zu treffen. Außerdem hängen TV-Quoten und das Engagement der Fans beispielswise auf Twitter miteinander zusammen: so auch bei Scandal, dem White House Drama von Shonda Rhymes (Grey’s Anatomy, Private Practice), welches mit acht Millionen Zuschauern pro Woche die besten Quoten eines Dramas in seinem Zeitfenster hat. Während den Ausstrahlungen kommen mehr als 190.000 Tweets zusammen. Das Live-Tweeting trägt dazu bei, dass mehr Zuschauer die Folgen live sehen, um sogenannte “Spoiler” zu vermeiden. So wird TV wieder zu einem gemeinsamen Erlebnis.

 

Fotos: flickr/perspective (CC BY-SA 2.0), flickr/mo (CC BY-SA 2.0)

Kubricks ‚Stieffilm‘ „Spartacus“

von Ralf Michael Fischer

veröffentlicht im Projektstudium von Selina Juliana Sauskojus 

Eigentlich könnten all jene Verehrer Stanley Kubricks richtig liegen, die „Spartacus“ demonstrativ ignorieren. Immerhin verbannte der ‚Meister‘ höchstpersönlich seinen einzigen ‚richtigen‘ Hollywood-Film rückwirkend aus dem Oeuvrekatalog – zu unrealistisch und dazu noch ein Auftragswerk, so das Urteil des Regisseurs.

In der Tat nimmt es das Drehbuch mit den historischen Fakten des Sklavenaufstandes zwischen 73 und 71 v. Chr. im Römischen Reich nicht sonderlich genau. Mehr als drei Stunden führt uns das aufwendige Historienspektakel mit prächtigen 70-mm-Bildern vor Augen, wie der ungebildete Sklave Spartacus, gespielt vom Produzenten Kirk Douglas, zunächst in der römischen Provinz zum Gladiator ausgebildet wird, um schließlich zum charismatischen Freiheitskämpfer an der Spitze einer riesigen Sklavenarmee zu avancieren. Nur eine hinterlistige und unnötige Intrige des römischen Feldherrn Marcus Licinius Crassus (Laurence Olivier) verhindert den Massenexodus aus dem Reich. Die Aufständischen müssen umkehren und werden beim erzwungenen Marsch auf Rom erwartungsgemäß besiegt. Crassus‘ Triumph bleibt nicht ohne Wermutstropfen, denn die Überlebenden wollen Spartacus nicht ausliefern und nehmen es deshalb hin, entlang der Via Appia gekreuzigt zu werden.

 

Pseudo-historische Schwarz-Weiß-Malerei

Einfache Gegensätze dominieren die Handlung: Die Römer sind zwieträchtig, dekadent und diktatorisch, die Sklaven hingegen solidarisch, freiheitsliebend, naturverbunden und unverbildet. Typisch für Hollywood ist die Reduktion historischer Prozesse auf individuelle Konflikte, in unserem Fall ist es der unerbittliche Hass, der den von Ehrgeiz zerfressenen Crassus gegen Spartacus antreibt. Indem er den Gladiatorenführer vor dessen Kreuzigung demütigt, entwertet er seinen eigenen Sieg auf dem Feld in eine moralische Niederlage.

Letztlich ist allerdings eine Dreiecksgeschichte der Motor des Films. Als Katalysator fungiert, natürlich, eine Frau, denn Crassus und Spartacus konkurrieren beide um die Sklavin Varinia (Jean Simmons). Der Protagonist zettelt seinen Aufstand an, weil sie verkauft werden soll, und der Römer kann es nicht ertragen, dass er ihre Liebe nicht für sich erobern kann. Noch während der Entscheidungsschlacht bringt Varinia Spartacus‘ Sohn zur Welt, und sie wird mit diesem am Ende aus Rom fliehen, damit er das Erbe des Vaters in die Welt hinausträgt.

 

Aus der Reihe

„Spartacus“ wurde 1959 gedreht, 1960 uraufgeführt und hat mit Kubricks ersten vier Spielfilmen reichlich wenig gemeinsam; weder mit der pessimistischen Analyse des militärischen Räderwerks in „Paths of Glory“ („Wege zum Ruhm“, 1957) noch mit „Dr. Strangelove, or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb“ („Dr. Seltsam, oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben“, 1963–64), der den Wahnsinn des Kalten Krieges als Atomkriegssatire auf den Punkt brachte. Und Kubricks bewusst vieldeutige ‚reife‘ Filme ab „2001: A Space Odyssey“ („2001: Odyssee im Weltraum“,1964¬–68) sind Welten von „Spartacus“ entfernt. Kein Kenner würde ihn jedoch aus der Liste der wichtigsten Historienfilme streichen, und das sollte trotz aller Vorbehalte nachdenklich stimmen.

Jenseits der zahllosen Konflikte zwischen Kubrick und dem Produzenten Kirk Douglas gibt es nämlich Bemerkenswertes zu entdecken, auch in formaler Hinsicht. Außergewöhnlich ist etwa die Parallelmontage von zwei zeitlich versetzten Reden, in denen einerseits Spartacus seine Anhänger zum Marsch gegen Rom aufruft, während Crassus andererseits seinen Truppen befiehlt, die Sklaven zu vernichten. Diese (häufig übersehene) formale Lösung vermittelt mit unerhörter Präzision das ausweglose Intrigenkorsett, in das Crassus die Aufständischen manövriert hat. In dieser Sequenz scheint unverkennbar der junge Kubrick auf, der von Beginn an die Grenzen filmischer Gestaltungskonventionen ausgelotet hat. (Nebenbei bemerkt: Dieser seltene Typ der Parallelmontage wird in Filmseminaren vorrangig mit Hilfe von Autorenfilmen vermittelt, wo man derartige Experimente eher vermutet als in einem Hollywood-Film; zu den Paradebeispielen gehört Rainer Werner Fassbinders „Fontane Effi Briest“ [1974]).

Mehr als Freiheitskämpferromantik

Weitet man den Blick auf die Produktions-, Rezeptions- und Überlieferungsgeschichte von „Spartacus“ aus, dann verliert der Film etwas vom Beigeschmack der naiv-rührseligen Freiheitskämpferromantik. Bereits die Planungsphase wurde von einer gesellschaftskritischen Motivation getragen, und die Handlung selbst ist als anspielungsreiche Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen innenpolitischen Situation der USA zu verstehen. Das hatte hochkomplexe Zensur- und Restaurierungsmaßnahmen zur Folge.

Dass mit „Spartacus“ von Anfang an weitaus mehr bezweckt wurde als ein reines Unterhaltungsspektakel, erkennt man bereits an den maßgeblichen Akteuren: Ende 1957 fiel die Aufmerksamkeit von Kirk Douglas auf den gleichnamigen, 1951 publizierten Roman von Howard Fast, den er auch mit dem Drehbuch beauftragte. Die Figur des Gladiatorenführers kam seinem Faible für idealistische Helden im Dienste der Unterdrückten entgegen (man denke nur an Douglas‘ Rolle in „Paths of Glory“). Da der Autor ein überzeugter Kommunist war, der Spartacus als Vorkämpfer einer klassenlosen Gesellschaft geschildert hatte, war dieses Vorgehen hochgradig brisant. Die unter Senator Joseph McCarthy forcierte Jagd nach „unamerikanischen Umtrieben“ ebbte nach dessen Karriereende 1954 zwar etwas ab, aber das Berufsverbot gegen Personen mit kommunistischem Hintergrund war noch immer wirksam. Der Schriftsteller Fast wurde beispielsweise mehrere Monate inhaftiert, weil er keine Parteigenossen preisgeben wollte, und seine Bücher wurden in öffentlichen Bibliotheken verboten.

 

Filme als Protest

Da Fasts Drehbuchentwurf unbrauchbar war, engagierte Douglas Dalton Trumbo, der 1947 zu den berühmt-berüchtigten Hollywood Ten gehört hatte, die vor dem „House Committee on Un-American Activities“ (HUAC) die Aussage verweigert hatten und deshalb für ein Jahr ins Gefängnis mussten. Nach über zehn Jahren wurde Trumbo sowohl in „Spartacus“ als auch in Otto Premingers zeitgleich entstandenem „Exodus“ erstmals nach über zehn Jahren nicht mit einem Pseudonym, sondern mit seinem eigenen Namen im Vorspann aufgeführt – damals ein Politikum ersten Grades und ein maßgeblicher Schritt, um den Bann der Schwarzen Liste der HUAC zu brechen.

Die gesellschaftskritischen Vorzeichen von „Spartacus“ signalisiert auch die Erstbesetzung des Regiestuhls mit Anthony Mann. Dieser erlangte insbesondere in den 1950ern durch seine reflektierte Neudefinition des Western Bekanntheit, beispielsweise 1958 mit „Man of the West“ („Der Mann aus dem Westen“). Gerade in seinen films noirs, beispielsweise „Border Incident“ („Tödliche Grenze“, 1949) oder dem noir-Western „Devil’s Doorway“ („Fluch des Blutes“, 1950) thematisierte er trotz restriktiver Zensurbedingungen ungewohnt offen heiße Eisen wie Menschenschmuggel und Rassismus, um die Brüchigkeit des Zivilisationsfirnis in den USA zu veranschaulichen.

Die Zeitbezüge in „Spartacus“, denen wir uns abschließend zuwenden, lassen erahnen, dass Mann keineswegs zufällig gewählt wurde. In den meisten seiner Filme setzte er sich kritisch mit den Vereinigten Staaten und Fragen nationaler Identität auseinander. Die darin aufscheinende Weltsicht hat dazu beigetragen, ihn als herausragenden Hollywood-Auteur wahrzunehmen. Wegen angeblicher künstlerischer Differenzen wurde Mann von Douglas nach 18 Drehtagen durch den damals weniger bekannten Kubrick ersetzt, realisierte danach jedoch weitere bedeutende Historienfilme. Manns Beitrag zu „Spartacus“ erstreckt sich auf die Sequenzen am Anfang.

 

Bezugspunkt Vergangenheit: Amerikanischer Unabhängigkeitskampf

Mit diesem Hintergrundwissen lässt sich „Spartacus“ als doppelte Parabel interpretieren, und zwar als fiktionale Vorgeschichte des US-amerikanischen Unabhängigkeitskampfes im 18. Jahrhundert, die zugleich vor der Gefährdung nationaler Werte in der Gegenwart mahnt. Diese Denkfigur ist im Übrigen nicht nur auf diesen einen Film beschränkt

Der gekreuzigte Spartacus ist als christusähnlicher Vorkämpfer späterer Freiheitsbewegungen und somit auch als Urahn der nordamerikanischen Unabhängigkeit definiert. Die naturverbundenen und brüderlichen Aufständischen wurden fast ausnahmslos mit Amerikanern besetzt, so dass sie sich sprachlich von den Römern unterscheiden, die von Briten verkörpert werden. Diese Besetzungspolitik kennzeichnet die Sklaven ebenfalls als Proto-Amerikaner, die sich von der Dekadenz der Alten Welt lösen wollen, um in eine Neue Welt jenseits des Imperiums vorzustoßen.

 

Bezugspunkt Gegenwart: Appell zur Rückbesinnung auf amerikanische Werte

Und wenn Crassus nach seiner Machtergreifung „lists of the disloyal“ erstellen lässt, dann ist dies eine unübersehbare Kritik an der antikommunistischen Hexenjagd à la McCarthy. Rom repräsentiert in „Spartacus“ folglich zugleich das Alte Europa ebenso wie die gegenwärtigen Vereinigten Staaten, die zu einer weiteren Diktatur zu degenerieren drohen. In letzter Konsequenz ist „Spartacus“ ein Appell zur Rückbesinnung auf ‚ur-amerikanische‘, demokratisch-freiheitliche Werte.

Einem restriktiven Patriotismus stellt er, ebenfalls nicht ideologiefrei, die Idee eines liberalen Patriotismus entgegen, der eine Rückkehr zu ‚authentischen‘ nordamerikanischen Verhältnissen bewerkstelligen soll. Heutzutage mag das naiv erscheinen, und mit dem tiefgreifenden Skeptizismus von Kubricks Kino hat das wenig zu tun, doch um 1960 war das politischer Zündstoff. Das offenbaren nicht zuletzt die Boykottaufrufe zahlreicher patriotischer Gruppierungen, die „Spartacus“ wegen der Beteiligung von Fast und Trumbo als gefährliches kommunistisches Machwerk verdammten. Ungewöhnliche Schützenhilfe kam aus dem Weißen Haus, denn Präsident John F. Kennedy besuchte in persona eine öffentliche Vorführung des Films, zu dem er sich anschließend positiv äußerte.

Kubrick legte nach dem Debakel als Auftragsregisseur Wert auf die absolute Kontrolle über alle Arbeitsgänge und drehte einen Klassiker nach dem anderen. Das Band zu Kirk Douglas war endgültig zerrissen, doch dieser gestand Kubricks Meisterschaft zumindest indirekt ein, als er meinte, „Stanley Kubrick is a talented shit“.

„Spartacus“ fungierte, übrigens neben Anthony Manns „Fall of the Roman Empire“ („Der Untergang des römischen Reiches“, 1964), als Hauptinspirationsquelle für Ridley Scotts „Gladiator“ (2000) und gelangte 1991 in einer rekonstruierten Fassung in die Kinos, die auch heute noch sehenswert ist. Sie hält überraschende Facetten bereit, die selbst dem Uraufführungspublikum zensurbedingt verborgen bleiben mussten.

 

 

Ralf Michael Fischer – Kurzvita

Studium der Kunstgeschichte und Germanistik in Tübingen; von 2001 bis 2009 wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Universitäten Marburg und Frankfurt am Main; seit 2009 Assistent am Kunsthistorischen Institut der Uni Tübingen. 2006 Promotion mit einer Arbeit über Raum und Zeit in den Filmen Stanley Kubricks in Marburg (publiziert 2009). Interessenschwerpunkte: Essayfilm (v.a. Chris Marker), Autorenfilm (v.a. Stanley Kubrick, Ingmar Bergman, Akira Kurosawa, Michelangelo Antonioni , Alain Resnais, Rainer Werner Fassbinder), Western und film noir (v.a. Anthony Mann), Intermedialität, Bildkünste seit 1800, , US-amerikanische Kunst seit 1820 (v.a. Thomas Eakins, Edward Hopper und Jackson Pollock) und Visualisierungen der US-amerikanischen frontier,  documenta-Geschichte.

Foto: Zugeschickt

Der Kult der Prominenz

von Sanja Döttling

Daniela Katzenberger, Markus Lanz und Justin Bieber. Sie alle sind uns bekannt wie unbeliebte Nachbarn. Doch während Nachbarn zahlenmäßig beschränkt auftreten, kommen Prominente im Rudel: Eine Promi-Inflation macht sich in den Zeitungen und Blogs breit. Rezipienten sehen hilflos und staunend zu. Jens Bergmann wollte sich der penetranten Aufmerksamkeitshascherei der Prominenz nicht mehr ungeschlagen hingeben. Er schrieb das Buch „Ich, Ich, Ich – Wir inszenieren uns zu Tode“, in dem er über die Hintergründe des bunten Promi-Zirkus aufklärt.

Am Montag kam der Journalist aus Hamburg nach Tübingen, um Studenten seine Thesen zu der „Soziologie des Seichten“, zu dem „Kult der Prominenz“, vorzustellen. Professor Bernhard Pörksen, der mit Jens Bergman zusammen Bücher wie „Skandal! Die Macht öffentlicher Empörung“ und „Medienmenschen: Wie man Wirklichkeit inszeniert“ verfasst hat, stellt das Buch in eine Reihe, die über die Selbst- und Fremdinszenierung in den Medien nachdenkt. Er nennt Bergmanns Ansatz „investigative Medienforschung“.

 Prominent ist, wer prominent ist

„Ich fühle mich bedrängt, belästigt und verfolgt von Prominenten“, sagt Bergmann. Sein Buch ist deshalb ein Akt der Notwehr. Denn immer mehr Prominente drängen auf den Markt, formen eine Promi-Invasion, der man nicht entkommen kann. Das Absurde dabei: „Heute stehen zahlreiche Leute im Rampenlicht, die über keinerlei besondere Fähigkeiten verfügen“, so Bergmann. Das führt ihn zu seiner Grunddefinition: „Wer es – egal wie – schafft, über einen gewissen Zeitraum hinweg öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen, gehört dazu. Kurz: Prominent ist, wer prominent ist.“

Doch was sind die Gründe für C- und D-Promis, auch lange nach ihrem Verfallsdatum noch in den Medien, in Auffangbecken wie dem Dschungelcamp oder aber beim Promi-Dinner, zu erscheinen? Es ist, nach Bergmann, vor allem die Aufmerksamkeit der Massen, die Prominente anzieht wie Licht die Fliegen.

Außerdem bringt die Prominenz Vorteile. Prominente werden bevorzugt behandelt, außerdem ist der Promi-Zirkus ein lukratives Feld. Und wer will, kann einfach umsatteln. Prominenz gilt als „Meta-Qualifikation“, die man nutzen kann, um andere Berufe auszufüllen: Als Schriftsteller, Modedesigner oder allgemein als Medienmensch.

Promis als Projektionsflächen

„Die Reaktion auf diese Figuren ähnelt dem Kniesehnenreflex: Wenn wir ihre Namen hören oder lesen, haben wir spontan ihr Bild vor Augen und eine Meinung zu ihnen. Justin Bieber – der nervigste Teenie-Star aller Zeiten. Sahra Wagenknecht – die schönste Versuchung seit Rosa Luxemburg. Jogi Löw – zu gut angezogen für einen Mann. Angela Merkel – die Mutti der Kompanie“, sagt Bergmann. Promis dienen dem Publikum, also uns, als Projektionsfläche für Wünsche und Sehensüchte. Die parasoziale Beziehung zum Promi ist dabei immer folgenlos. Egal, wie sehr man über Lady Gaga lästert und klatscht – sie wird es nicht mitbekommen. Doch das Publikum hat auch Macht über die Promis. Bergmann sagt: „Es ist das Publikum, das entscheidet, wer prominent wird.“ Ein Beispiel ist der Eisbär Knut, den das Publikum zu seinem Liebling stilisierte.

Narzissmus der Stars

„Wir müssen uns Prominente als verwöhnte Gören vorstellen – nur ohne den segensreichen Einfluss von Kindergarten, Schule und Pubertät. Wie ungezogene Vierjährige tun sie alles, um auf sich aufmerksam zu machen. Sie blühen auf, wenn sie Publikum haben, und fühlen sich entsetzlich leer, wenn sie mit sich allein sind“, sagt Bergmann. Kein Wunder, dass die meisten Promis sich als extrem ich-bezogen und narzisstisch erwiesen haben.

Kunstobjekt Prominenter

Prominente sind nicht wie echte Menschen. Denn ihr Image, das Bild, das von ihnen in der Öffentlichkeit der Medien verbreitet wird, ist ein Kunstobjekt. Bergmann sagt: „Wer prominent wird, gewinnt an Bekanntheit und verliert an Einfluss auf sein eigenes Bild in der Öffentlichkeit.“ Der Prominente wird zum Seriendarsteller seines eigenen Images.

Die Medien und die Prominenz – keine Liebesgeschichte

Ungesunde Verknüpfungen von Medien und Prominenz äußern sich vielfältig. Wie brisant dieses Thema ist, zeigt auch die Veröffentlichungsgeschichte des Buches. In einem Verlag wurde es akzeptiert, der Vertrag unterschrieben und die Fahne gedruckt. Dann aber bekam Jens Bergmann Post vom Verlagsleiter. Der wollte einige Stellen ändern; aus Margot Käßmann und ihrer„Trivialmoral“ sollte da beispielsweise die „engagierte Theologin“ werden. Als „peinliche PR-Prosa“ bezeichnet Bergmann dieses Vorgehen. Der Verlagsleiter hatte sich wohl zu sehr auf „seine“ Prominenten eingelassen, zu denen die Genannten gehörten.

Die Beziehung von Medien und Prominenten kränkelt. Bergmann bringt es so auf den Punkt: „Journalisten und Berühmtheiten sind einander häufig in inniger Verachtung verbunden – man braucht den anderen, hält aber nicht viel von ihm.“

Auf der einen Seite brauchen Medien die Promis, denn „Promis gelten als Universalwaffe im Kampf um Auflagen, Quoten und Klicks: Alles, was sie tun, lassen oder meinen ist es wert, verbreitet zu werden“, so Bergmann. Auf der anderen Seite nutzen Stars Journalisten als „Werbeonkel“ für ihre Kampagnen. Die Kontrolle, die PR-Leute dabei über die Journalisten haben, macht eine unabhängige Berichterstattung unmöglich.

Ein Teufelskreis?

Doch Promis schleichen sich nach und nach in alle Felder des Journalismus, eine allgemeine Boulevardisierung findet statt. Bergmann sagt: „So führt die Promi-Inflation zu einer Häufung von Null-Nachrichten – Prominenz schlägt Relevanz.“

Doch wie kann man die ungesunde Beziehung zwischen den Medien und den Prominenten entwirren? Bergmanns Idealvorstellung: „Augenblicks-Berühmtheiten, die nur bei einer bestimmten Leistung in die Öffentlichkeit gestellt werden. Prominenz sollte kein Status mehr sein.“ Im ersten Schritt sollte die Medienlandschaft ihr Schaffen und die Mechanismen der Promi-Inflation erst einmal hinterfragen.

 

Ich, ich, ich – Wir inszenieren uns zu Tode. Von Jens Bergmann. Erschienen im Metrolit-Verlag, Februar 2013.

Foto: Stefan Ostermeier