Vergessene Filme – verborgene Schätze

 

von Andrea Kroner

Denkt man an amerikanische Filme, kommen einem sofort effektstrotzende Blockbuster in den Sinn, indische Filme hingegen verbindet man mit viel Tanz und Gesang. In beiden Fällen gibt es eine gewisse Erwartungshaltung an die Machart von Filmen, die aus den jeweiligen Ländern stammen. Doch das gilt nicht nur für Indien oder die USA – diese klassische Erwartungshaltung gibt es für jede Nation. Dabei wird oft vergessen, dass es in den Ländern auch andere filmische Strömungen gibt, die meist weniger bekannt sind, dafür aber deutlich von diesen Stereotypen abweichen und eine ganz neue Seite der Kultur eines Landes zeigen.

In dieser Artikelserie sollen deshalb acht vergessene Filme verschiedenster Macharten analysiert werden, um ihre Besonderheit und Andersartigkeit zu zeigen und zu bestätigen, dass sie nichts gemein haben mit der Erwartungshaltung, der sie unterliegen. Um einen groben Überblick zu geben, werden diese acht Filme hier kurz vorgestellt:

To The Wonder – Terrence Malick

Der amerikanische Regisseur Terrence Malick setzt in seinem neuesten Film „To The Wonder“ (2012) weniger auf große Spezialeffekte und teures Equipment, als auf bewusst reduzierte Dialoge, innere Handlung und Naturdarstellungen – ganz im Gegensatz zu den meisten seiner Mitstreiter aus Hollywood.

Wakoda – Lucìa Puenzo

Argentinien ist hierzulande weniger bekannt für seine Filme, obwohl in diesem Land zahlreiche Filme produziert werden. Vor allem „Wakolda“ (2013) ist für deutsche Zuschauer interessant, weil die Regisseurin Lucìa Puenzo hier die Flucht eines nationalsozialistischen Arztes nach Argentinien thematisiert und damit ihren eigenen Roman verfilmt hat.

Siddharth – Richie Mehta

Der indische Film „Siddharth“ (2013) von Richie Mehta hat so gar nichts gemein mit der bunt schillernden Welt von Bollywood, denn in diesem Drama, das auf einer wahren Begebenheit beruht,  werden die ambivalenten Verhältnisse in Indien unverklärt dargestellt.

Faust – Alexander Sokurov

Der russische Regisseur Alexander Sokurov  hat sich an ein schwieriges Thema gewagt: Er verfilmte im Jahr 2011 „Faust“, inspiriert vom gleichnamigen Werk Goethes. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf den verschiedenen Arten der Machtausübung, wobei mit ungewöhnlich vielen inneren Monologen gearbeitet wird.

Erleuchtung garantiert – Doris Dörrie

Die deutsche Filmemacherin Doris Dörrie hat sich schon immer mit außergewöhnlichen Themen beschäftigt und möchte dem Zuschauer mit „Erleuchtung garantiert“ (2000) die Lebensweise in einem buddhistischen Kloster auf humorvolle Weise näher bringen. In einer Mischung aus Dokumentar- und Spielfilm werden alle Szenen, die in dem Kloster spielen, nur mit einer Handkamera gefilmt, um den Alltag der Mönche nicht zu stören und dadurch möglichst natürliche Bilder zu erhalten.

5×2 – François Ozon

Was passiert, wenn man bei einem Film die Chronologie komplett umdreht? Mit dieser Frage und deren Auswirkungen hat sich der französische Regisseur François Ozon in „5×2“ (2004) beschäftigt. Er beginnt seine Liebesgeschichte nicht bei der ersten Begegnung, sondern vor dem Scheidungsrichter.

Moolaadé – Ousmane Sembènes

Von afrikanischen Filmen hört man selten, und doch werden auch hier zahlreiche Filme produziert, die sich vor allem mit der dort herrschenden Kultur auseinandersetzen. So auch Ousmane Sembènes Film „Moolaadé“ (2004), der die Beschneidung von Frauen und ihren Widerstand thematisiert.

The Garden of Words – Shinkai

Der japanische Ausnahmeregisseur Makoto Shinkai setzt in seinem Anime „The Garden of Words“ (2013) weniger auf eine umfangreiche oder ausgefeilte Handlung, sondern mehr auf hochwertige Animation mit plastischen, eindrucksvollen Naturaufnahmen, die schon fast real wirken.

Diese Artikelreihe soll ein kleinen Ausschnitt der Schönheit des Vergessenen oder nicht Wahrgenommenen zeigen und Lust auf eine außergewöhnliche Filmreise machen.

Machen wir uns auf den Weg.

Teil Eins: Der Meister der Stille

Teil Zwei: „Faust“ – die Geschichte lebt wieder auf

Teil Drei: „Erleuchtung garantiert“ – wirklich?

Teil Vier: „5×2“ – Wieso ging es schief?

Teil Fünf: „Moolaadé“ – Bann der Hoffnung

Foto: flickr.com/zhrefch (CC BY-NC-SA 2.0)

Du da im Radio…

von der Redaktion

von Elena Hodapp

Radio. Ein Nebenbei-Medium, das sowieso. Und für mich? Nichts, das in meinem Alltag einen nennenswerten Stellwert hat. Ausnahme: Ich stehe verzweifelt auf der Autobahn, vor und hinter mir rollt nichts mehr und ich warte nervös auf die nächste Verkehrsansage, zitternd davor, dass ein kilometerlanger Stau oder noch schlimmer eine Vollsperrung durchgesagt wird. Und sonst? Unter der Dusche. Der Einfachheit geschuldet, ziehe ich es hier der Musik auf meinem Handy vor. Ich muss nur den einen Kopf drücken, mich für nichts entscheiden – ich kann mich nicht erinnern, wann an der Frequenz das letzte Mal irgendetwas geändert wurde – muss mich nicht ärgern, dass ich mein Handy schon wieder im Zimmer vergessen habe und kann entspannt zu Katy Perry, Taylor Swift und wie sie sonst noch heißen, die Künstler, die ich sonst tunlichst zu vermeiden versuche, unter die Dusche springen.

 

von Anne-Mareike Täschner

„Du da im Radio – wie geht’s dir denn heut‘ morgen?“. Das hat Rolf Zuckowski in einem seiner Kinderlieder gefragt. Ich frage mich das auch jeden Morgen.  Denn spätestens wenn ich das Badezimmer betrete, stelle ich mein Radio an. Ich brauche die morgendliche Beschallung, die aufgedrehten Moderatoren, die aktuellen Hits aus den Charts und die Heile-Welt-Stimmung. Ich höre gerne Radio, ich geb’s ja zu. Beim Kochen, Duschen, Autofahren. Ich höre auch nie richtig zu, es läuft halt einfach. Und es redet jemand. Dann ist es nicht so ruhig in meiner Wohnung. Wenn ich allerdings wirklich Musik der Musik wegen hören will, dann stelle ich das Radio aus. Dann läuft Spotify.

 

 von Marius Lang

Ihr wacht morgens auf, müsst zur Arbeit oder zur Uni oder sonstwohin. Ihr seid müde und schlecht gelaunt, weil es früh morgens ist und ihr zur Arbeit oder zur Uni oder sonstwohin müsst. Ihr schaltet das Radio an, um etwas wacher zu werden und dann hört ihr: unerträglich gut gelaunte Moderatoren. Was nehmen diese Moderatoren von der Morningshow  und warum bekomme ich das nicht auch, um morgens in besserer Stimmung zu sein? Bis ich mit dem persönlichen Dealer von Radio-DJ’s bekannt gemacht werde, habe ich allerdings einen Grund mehr, morgens das Radio aus zu lassen. Denn nichts geht mir mehr auf die Nerven, als penetrant gute Stimmung, wenn ich übernächtigt und miserabel gelaunt bin. Danke, aber Nein, Danke.

 

von Valerie Heck

Ich muss zugeben, dass das letzte aktive Radiohören bei mir schon eine Weile zurückliegt. Es steht zwar ein Radiogerät auf meinem Schreibtisch, aber wenn ich es andrehe, bekomme ich keinen vernünftigen Sender ohne Rauschen rein. Dann schalte ich doch lieber meinen Computer ein und lasse meine Spotify-Playlist laufen: Ohne Rauschen, ohne nervige Moderationstexte und mit der Musik, die ich mag. Meiner Meinung nach fehlt einfach das passende Programm für die Zielgruppe der Studenten. Eine Mischung aus guter, aktueller, sich nicht ständig wiederholender Musik und interessanten Beiträgen, für die sich das Einschalten und Sender-Suchen auch lohnt, würde ich mir wünschen.

 

von Jasmin M. Gerst

Viele hören Radio vor allem im Auto, da dort regelmäßig die aktuelle Verkehrslage durgesagt wird, um Staus oder Unfälle zu vermeiden. Aber nicht nur dort sind Sender wie SWR1, Antenne1 oder SWR3 ein ständiger Begleiter: auch beim Frühstück oder beim Zähne putzen dienen sie als unterhaltendes Hintergrundgeräusch. Meiner Meinung nach nutzen aber nicht nur Berufstätige das Radio sondern auch Studenten und Rentner. Ob beim putzen, kochen oder einfach nur zum entspannen – ob im Livestream oder klassisch: alle Generation träumen am liebsten mit ihrer Lieblingsmusik. Das tolle an diesen Musiksendern ist, dass eine Liebe zu vergessenen Liedern dadurch wieder aufflammen kann. Deshalb läuft bei mir in der WG auch ständig vor Antenne1, damit wir uns an Klassiker wie z.B. Pretty Woman von Roy Orbison erinnern.

 

Foto: flickr.com/Johan Larsson (CC BY 2.0)

Antik ist out – oder?

von Andrea Kroner

Schon zum 54. Mal findet in Stuttgart die Antiquariatsmesse statt – gleichzeitig läuft in Ludwigsburg die Antiquaria. Beide präsentieren das Schönste aus fünf Jahrhunderten Buchdruck und Buchkunst und zählen zu den wichtigsten Veranstaltungen ihrer Art auf der ganzen Welt. Und sie haben vieles zu bieten: Von breit aufgestellten Antiquariaten über Spezialisten für Handschriften bis hin zu Experten einer bestimmten Epoche oder der östlicher Schriftkultur ist alles vertreten.

 

Highlights der Messe

Wenn man nur den Gesamtpreis aller Werke von etwa 5 Millionen Euro betrachtet, lässt das bereits viele Highlights erwarten: Das teuerste Buch liegt bei 760.000 Euro und stammt aus der Feder des französischen Dichters Octavien de Saint-Gelais aus dem Jahr 1494. Es ist ein Gesamtkunstwerk, mit Bildern aus kräftigen Farben und mit Gold verziert. Im Gegensatz dazu stehen die Zeichnungen Oskar Schlemmers aus dem 20. Jahrhundert. Seine Studien „Familie“ thematisieren seine Zerrissenheit zwischen Familienglück, Ausstellungsverbot  und Todesangst während des zweiten Weltkriegs in leuchtenden Farben. Obwohl das Kunstwerk noch nicht einmal ein Jahrhundert alt ist, muss man dafür 48.000 Euro bezahlen.

Auch Spielzeug gibt es auf der Messe zu finden: Nicht nur ausgefallene Pop-up-Bücher, sondern auch ein dänisches Papiertheater in Miniaturform aus dem Jahr 1884 ist zu bewundern. Äußerst detailgetreu gearbeitet, bietet es mit über 100 Figuren zahlreiche Möglichkeiten, Theaterstücke nachzuspielen oder selbst zu erfinden – wenn man 4.500 Euro dafür ausgeben möchte.

 

„Frauenpower“ im Antiquariat?

„Frauenpower“ – unter diesem Motto stehen die beiden Messen in diesem Jahr. Denn wie viele andere Berufsfelder auch, scheint das Antiquariatswesen von Männern dominiert zu werden. Es finden sich kaum Frauen in diesem Arbeitsbereich – von 217 Mitgliedern des Verbandes Deutscher Antiquare sind lediglich 39 weiblich. Und auch auf den beiden Messen waren nur 21 Antiquarinnen unter den 160 Ausstellern. Doch kann man deshalb gleich von einer Männerdomäne sprechen? Nein, meinen die Ausstellerinnen: Denn sie haben sich ihren Platz und ihre Berechtigung über die Jahre durch harte Arbeit und viel Fleiß redlich verdient.

Nicht nur im Bereich der Antiquare, sondern auch auf dem Büchermarkt sind Frauen zahlreich vertreten – schon seit Jahrhunderten als eines der Hauptthemen der Literatur, werden sie seit dem 19. Jahrhundert auch als erfolgreiche Autorinnen immer bedeutender.

 

Digitale Konkurrenz

Mittlerweile kauft bereits ein Großteil der Leser seine Bücher im Internet. Oft handelt es sich bei der online gekauften Version auch nicht mehr um die gedruckte Ausgabe, sondern um ein eBook. Das hat den Buchhandel in eine große Krise gestürzt und stärkt die Vormachtstellung einiger weniger Internetanbieter, auch wenn diese schon seit längerem in die Kritik geraten sind.

Diese Tendenz lässt sich auch bei antiken Büchern erkennen: Der Antiquitätenmarkt im Netz floriert und was einst selten und heiß begehrt war, gibt es nun in zahlreichen Versionen – sogar in Erstausgaben. Durch diese Ausweitung des Marktes werden Preise besser vergleichbar und transparenter und die Bücher können günstiger angeboten werden. Das ist für den Liebhaber zwar von Vorteil, zwingt aber viele Antiquariate zur Schließung. Doch sie haben der Übermacht auch etwas entgegenzusetzen: Einzigartigkeit. Viele spezialisieren sich und bieten ihren Kunden nur bestens erhaltene Exemplare exklusiv im Geschäft an.

 

Antik ist definitiv nicht out

Selbst wenn man sich als Student keines der ausgestellten Bücher leisten kann, ist es dennoch ein einmaliges Erlebnis, diese Schätze der Vergangenheit einmal in echt erleben zu können – allein schon des besonderen Flairs wegen, der die ganze Messe umgibt. Und diese Meinung teilen viele, denn beide Messen sind gut besucht.

 

Foto: flickr.com/Hoffnungsschimmer (CC BY 2.0)

Gone Girl

von Felix Niedrich

Verbrechensaufklärung als PR-Schlacht

David Fincher hat sich bereits in der Vergangenheit häufig als Meister der Täuschung präsentiert, der den Zuschauer schon so manches Mal hinters Licht geführt hat. Auch seine Besessenheit fürs Detail zeichnet seine Filme aus. In seinem neusten Werk „Gone Girl“ – einer Adaption des gleichnamigen Romans von Gillian Flynn – kombiniert er diese Ansätze. So schafft er eine Mischung aus einem Kriminalfilm a la „Zodiac“ und einem Verwirrspiel wie in „The Game“. Gewürzt wird das ganze mit satirischer Gesellschaftskritik im „Fight Club“-Stil. Zwar setzt „Gone Girl“ diese Ideen nicht so gut um, bietet aber einige interessante Ideen über Beziehungen und Geschlechterrollen, Schein und Sein und vor allem den Umgang der Medien und Zuschauer mit aufsehenerregenden Stories.

Ben Affleck spielt die Hauptfigur Nick Dunne, einen verheirateten Mann, dessen Ehe aber längst nicht mehr rund läuft. Als seine Frau eines Tages verschwindet und vieles auf ein Verbrechen hindeutet, gerät Nick bald selbst unter Verdacht. Tatsächlich ist er aber das Opfer seiner hinterlistigen Ehefrau, die den Vorfall inszeniert hat. Während die Ermittlungen andauern, wird das Ereignis von den Medien bereits zerrissen. Die Öffentlichkeit hat so längst eine eigene Sichtweise auf den Fall bekommen. Die Wahrheit interessiert zwischen den Zeilen niemanden mehr.

 

Image ist alles

Hätte Dunne nur mal Pörksens „Der entfesselte Skandal“ gelesen, hätte er es vielleicht besser gewusst. Von Beginn an geht er nicht gerade überlegt mit der Situation um. Durch widersprüchliche Aussagen verstrickt er sich immer mehr in den Fall. Und auch wenn er für die Tat selbst keine Schuld trägt, so kann er nicht behaupten eine weiße Weste zu haben. Als der Medienrummel um den Fall immer größer wird, gerät Nick zunehmend unter Druck. Sein ungeschicktes öffentliches Auftreten wird zum Skandal. Die Berichterstattung konzentriert sich mehr und mehr auf seine Person und schlachtet dabei jeden Fehltritt aus. Unschöne Spekulationen, Gerüchte und Verleumdungen heizen den Fall immer weiter an. Journalistische Grundprinzipien oder ethische Werte werden ignoriert. Obwohl die Untersuchungen der Polizei noch laufen, wird Nick bereits von einer Mehrheit der Stempel des Täters aufgedrückt. Spätestens als Nicks Affäre mit einer anderen Frau publik wird, sieht er sich gezwungen, selbst in die Offensive zu gehen.
Für viel Geld engagiert er einen auf solche Fälle spezialisierten Anwalt, den man auch als PR-Berater bezeichnen könnte. Das erste Ziel: Image aufbessern. In einem Fernsehinterview vor Millionenpublikum spielt Nick den Ehemann voller Reue – Wort für Wort vorbereitet und ganz nach Anleitung des Experten.

An der Unschuld seiner Frau wird derweil zu keiner Sekunde gezweifelt. Nicht nur, weil sie alles bestens kalkuliert und eingefädelt hat. Sie ist auch – wie der deutsche Zusatz im Titel sagt – das perfekte Opfer. Sie beherrscht nicht nur ihre Rolle erstklassig, sondern hat auch bereits im Vorfeld sämtliche Sympathien auf ihrer Seite. Denn für die meisten Menschen ist Nicks Frau keine Unbekannte. So glauben sie zumindest. Ihre Person ist nämlich die Quelle und Inspiration der populären Romanfigur „Amazing Amy“. Öffentlichkeit und Fans der Bücherreihe sympathisieren mit dieser Version von Amy. Sie projizieren Eigenschaften der Buchfigur auf die „reale“ Person (die Figur im Film) und vermischen die ihnen bekannte mediale Identität mit der wahren Identität der Frau. Nick, der Noname, sieht daneben nicht besonders gut aus. Er ist der Manipulation hilflos ausgeliefert und die ahnungslose Öffentlichkeit spielt das Spiel mit.

 

Mediale Wahrheiten

Der Film zeigt sich kritisch gegenüber der sensationsorientierten Berichterstattung, die die private Misere des Ehepaars für eine spannende Story ausnutzt. Als Informationsquelle haben die Medien die Möglichkeit die öffentliche Meinung zu lenken und zu beeinflussen. Dabei werden ungeniert Faktoren herangezogen, die nichts mit dem eigentlichen Ereignis zu tun haben. Jedes Wort und jede Geste werden untersucht, aus dem Kontext gerissen und genutzt, um Vermutungen zu untermauern. Und ist der Informationsfluss erst einmal außer Kontrolle, entsteht eine Eigendynamik, die schwerwiegende Folgen haben kann.  Die Wahrheit interessiert letztlich niemanden. Vielmehr geht es darum, was die Leute glauben wollen. Wer die beste Geschichte erzählen und sich auf der medialen Bühne gut verkaufen kann, ist im Vorteil.

Nick Dunne hat am Ende Glück im Unglück. Seine Frau kehrt zurück und schiebt alles auf einen alten Verehrer, den sie zuvor eiskalt ermordet. In der vielleicht besten Szene des Films, die die Geschichte sehr gut zusammenfasst, zeigt Fincher das scheinbar glückliche Ehepaar wieder vereint vor Kameras und Publikum. Es kommt der Moment in der Amy ihren Ehemann dazu auffordert, ihr einen Kuss auf die Wange zu geben. Widerwillig beugt sich Nick zu ihr. Aus der Perspektive des Films – hinter den beiden – sieht der Zuschauer, dass Nick seine Frau nicht wirklich küsst. Das Publikum auf der anderen Seite hingegen jubelt im Blitzlichtgewitter. Für sie hat die Story ein zufriedenstellendes Happy End. Doch dem Zuschauer wurde entblößt, was hinter der medialen Wahrheit steckt.

Foto: Merrick Morton/Twentieth Century Fox

Streaming – was darf man, was nicht?

von Anne-Mareike Täschner

Die Streaming-Plattform Popcorn-Time sieht mindestens genauso schick aus wie Netflix oder Watchever. Die Filme dort sind sogar noch aktueller. Und kostenlos. Es gibt da nur einen Haken: Popcorn-Time ist nicht nur ein kostenloses Streaming-Portal, sondern eine Tauschbörse. Und genau da liegt das Problem. Das haben jetzt auch die Popcorn-Time-Nutzer zu spüren bekommen: Ihnen wehte in letzter Zeit besonders häufig Post vom Abmahnanwalt ins Haus. Denn während sich die Geister an der Frage, ob man nun legal Filme auf kinox.to gucken darf oder nicht, noch scheiden, ist die Rechtslage im Falle von Tauschbörsen eindeutig: Das darf man nicht. Denn da werden die Filme, die man sich ansieht, nicht einfach nur heruntergeladen, sondern gleichzeitig der Community zur Verfügung gestellt und somit wieder hochgeladen – und das ist strafbar. Was ist nun also legal, was nicht? Der Streaming-Dschungel ist teilweise unergründlich. Vieles ist geregelt, vieles liegt aber auch in einer Grauzone. Wir holen an dieser Stelle das Urheberrechts-Gesetzbuch heraus und versuchen ein bisschen Klarheit in den Streaming-Dschungel zu bringen und mit weitverbreiteten Vorurteilen aufzuräumen.

 

Was ist überhaupt Streaming?

Um Videomaterial im Internet anzuschauen, gibt es im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: Downloaden oder Streamen. Das Videoportal YouTube, die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender oder Video-On-Demand-Portale wie Netflix und Watchever nutzen die Streaming-Methode: Dabei werden per Klick die Filme online abgespielt. Es bedarf keiner speziellen Software und das Material wird im Normalfall nicht komplett heruntergeladen. Da der Stream in der Regel aber vor- und zurückgespult werden kann, werden die Daten im Zwischenspeicher des Computers (RAM) gespeichert, nicht jedoch auf der eigentlichen Festplatte. Die Datei kann deshalb nicht einfach weitergegeben werden. Ein Stream ist kein direkter Download, sondern nur ein Abspielen eines online verfügbaren Videos oder Songs im Browser oder einer speziellen Software, etwa dem Spotify-Player. Anders beim Download: Hier wird die Datei direkt vom Server auf die Festplatte des Computers heruntergeladen. Anschließend kann man die lokal gespeicherte Datei abspielen oder auf andere Speichermedien kopieren.

 

Viele Portale sind kostenlos, nicht alle sind legal

Streams sind nicht per se illegal. Die meisten legalen Video-Streaming-Dienste wie YouTube sind kostenlos und finanzieren sich über Werbung. Legale Video-on-Demand-Portale wie Netflix und Watchever sind dagegen größtenteils kostenpflichtig und funktionieren meist über ein Abo-Modell, bei dem man monatlich einen festen Betrag zahlt und sich dafür so viele Filme ansehen kann, wie man möchte. Aktuelle Kinofilme sucht man hier allerdings vergebens. Schwieriger wird es bei Seiten wie kinox.to, auf denen sich aktuelle Kinofilme oder Serien streamen lassen. Die Betreiber dieser Seiten handeln illegal, da sie weder Lizenzgebühren an die Urheber zahlen, noch Verwertungsrechte an den angebotenen Werken besitzen. Durch die Verbreitung des urheberrechtlich geschützten Materials machen sie sich strafbar. Doch wie steht es um die Nutzer, machen die sich auch strafbar?

Die Rechtlage in Deutschland ist hier nicht ganz eindeutig. Wie gesagt, beim Streaming werden einzelne Datenpakete des gestreamten Materials auf dem Computer zwischengespeichert. Es wird also eine Kopie erzeugt und damit ein urheberrechtlich geschütztes Werk vervielfältig, wenn auch nur vorrübergehend. Eine Kopie eines urheberrechtlich geschützten Werkes ist nach § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG „zum privaten Gebrauch auf beliebigen Trägern […]“ gestattet, aber nur „[…] soweit nicht zur Vervielfältigung eine offensichtlich rechtswidrig hergestellte oder öffentlich zugänglich gemachte Vorlage verwendet wird.“ Die auf kinox.to angebotenen Inhalte sind aber eindeutig rechtswidrig – das sollte selbst Laien auffallen. Schließlich werden hier die aktuellen Kinofilme für lau angeboten. Daraus folgt: Auch der Nutzer begeht beim Streamen von Filmen auf illegalen Portalen wie kinox.to einen Urheberrechtsverstoß – oder nicht? Nicht ganz, denn § 44a UrhG erlaubt „vorübergehende Vervielfältigungshandlungen“, solange diese „flüchtig oder begleitend sind und einen integralen wesentlichen Teil eines technischen Verfahrens darstellen“. Bei den während des Streamens zwischengespeicherten Daten handelt es sich im Grunde um solche flüchtigen Vervielfältigungen, da sie nicht dauerhaft bestehen und auch nicht weitergegeben werden können. Demnach ist das Streamen von Filmen auf solchen Portalen nicht unbedingt  illegal.  Dieser Auffassung schließt sich auch das Bundesjustizministerium an. Bislang gibt es allerdings keine Gerichtsurteile und manche Rechtsexperten widersprechen dieser Auslegung des Urheberrechts. Bis es eine verbindliche Rechtsprechung gibt, bewegen sich die Nutzer von kinox.to in einer rechtlichen Grauzone.

 

Nur Anschauen, nicht weiterverbreiten

Das Rechtslage um das Streamen von Filmen auf illegalen Filmportalen ist also kompliziert. Wegen des Anschauen eines Films auf einem illegalen Streaming-Portal wird jedoch kein User eine Abmahnung vom Abmahnanwalt bekommen. Nur herunterladen oder gar weiterverbreiten sollte man nichts. Das kann nämlich schnell teuer werden. Einige Streaming-Portale, unter anderem auch Popcorn-Time, sind so angelegt, dass eine Datei heruntergeladen und dann wieder anderen Nutzern angeboten wird. Das passiert teilweise unbemerkt im Hintergrund bei sogenannten Peer-2-peer- oder Torrent-Netzwerken. Diese Tauschbörsen sind illegal, da hier urheberrechtliche geschützte Inhalte unerlaubt verbreitet werden. Auch der Nutzer macht sich hier strafbar, da er die Inhalte selbst verbreitet. Er begeht somit eine klare Urheberrechtsverletzung und das kann sehr schnell sehr teuer werden. In solch einem Fall sollte man besser einen Anwalt zu Rate ziehen, denn nicht jedes Mahnschreiben ist immer gerechtfertigt und jede Gebühr in ihrer Höhe zulässig.

 

Achja…

Darf man eigentlich die Tonspur eines YouTube-Videos aufzeichnen und als MP3 speichern? Hier sind sich die Juristen nicht einig. Einige vertreten die Auffassung, dass bei diesem Vorgang mittels der verwendeten Software die technischen Schutzmaßnahmen ausgehebelt werden. Der Großteil der Experten wiederum hält das Aufzeichnen der Tonspur für unproblematisch, denn der Vorgang ist im Prinzip vergleichbar mit einer Aufnahme im Radio und deshalb erlaubt. Und wenn man sie nicht weiterverkauft, ist auch das Verschenken einer Privatkopie der Songs an Freunde und Familie erlaubt.

Foto: flickr.com/John Trainor (CC BY 2.0)

Journalismus unter Verdacht

Von Valerie Heck

 

Schon im Spätherbst, als „Lügenpresse“ noch nicht zum Unwort des Jahres gekürt worden war und es „Pegida“ in der aktuellen Form noch nicht gab, lud Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen, den Journalisten und Medienkritiker Stefan Niggemeier zu einem Gastvortrag ein. Seitdem hat die Medienverdrossenheit in Deutschland eine ganz neue Dimension angenommen und das Thema, mit dem sich Niggemeier in seinem Vortrag „Journalismus unter Verdacht – Wie Medien Vertrauen verspielen“ am letzten Montag auseinandersetzte, gewann stetig an Bedeutung. Pörksen spricht von einem „Prinzip Niggemeier“ und beschreibt damit dessen Kombination aus Unerschrockenheit, Direktheit und präziser Medienkritik. Am 19. Januar kam Niggemeier dann extra aus Berlin nach Tübingen, um einem Hörsaal voller interessierter Studierenden von seinen Erfahrungen und Einschätzungen zu den Themen Lügenpresse und Vertrauenskrise zu berichten.

„Ich hatte das Gefühl, es gäbe ein Problem“

Stefan Niggemeier hatte schon im November das vage Gefühl, es gäbe ein Problem. Er sah eine große Kluft und eine enorme Unzufriedenheit mit den Medien bei großen Teilen der Bevölkerung. Die Umfrage von Zapp im Dezember 2014, die nach dem Vertrauen der Menschen in die Berichterstattung bei politischen Ereignissen fragte, sah Niggemeier als klares Warnsignal, denn nur ein Drittel der Bevölkerung gab dabei an, noch Vertrauen in die Medien zu haben.

Dass tatsächlich etwas schief gelaufen ist, zeigen laut Niggemeier Formate wie „Die Anstalt“, die oftmals berechtigte Kritik an den Medien äußern und offenlegen, welche Fakten in der aktuellen Medienberichterstattung, sei es bezüglich der Ukraine-Krise oder des Bahnstreiks, nicht erwähnt wurden. Niggemeiers Lieblingsbeispiel ist dabei Udo Ulfkottes Buch „Gekaufte Journalisten“: „Ich habe selten ein Buch gelesen, was mir so schlechte Laune gemacht hat“, gibt Niggemeier zu. Grund dafür sei die „gruselige Mischung aus völligem Unsinn und total berechtigter Kritik“. Zwar legt Ulfkotte nichts Neues dar, aber er rührt in dem Buch bekannte Medienkritik mit der großen Verschwörung zusammen und sagt: „Im Grunde sind alle gekauft“. Der große Erfolg des Buches, das auf Platz 3 der Spiegel Bestsellerliste landete, zeigt, dass Ulfkottes Kritik beim Publikum durchaus ankommt.

Sind das alles Verrückte?

Aber wer sind die Leute, die solche Verschwörungstheorien lesen? „Verrückte, die sich zu lange im Internet rumtreiben, die nur ein paar Klicks brauchen, um in einen merkwürdigen Fiebertraum, eine schweißnasse Angstphantasie abzudriften“. Das an die Wand projizierte Zitat von Bernhard Pörksen sorgt für Gelächter und vereinzelten Applaus im Hörsaal. Wobei das Wort „Verrückte“ von Niggemeier hinzugefügt wurde, wie er zugibt. Allerdings ist das nur ein Teil der Wahrheit. Denn meistens sind es gar keine anonymen Verrückten im Netz, sondern die eigenen, jahrelang treuen Zuschauer, Zuhörer und Leser, die mit der Zeit den Glauben in die Berichterstattung der Zeitung oder des Radios verloren haben, wie Niggemeier berichtet.

„Der Meinungskorridor war schon einmal breiter“

Der große Vorwurf aller Akteure ist, dass Journalisten gekauft sind und dass es eine Verschwörung gibt, die Leute nicht richtig zu informieren. Tatsächlich sei ein gewisser Gleichklang festzustellen, bestätigt Niggemeier. Der Journalist sagt es in den Worten von Frank-Walter Steinmeier: „Der Meinungskorridor war schon einmal breiter.“ Dabei findet Niggemeier es erstaunlich, dass der Außenminister eine so präzise und kritische Beschreibung der aktuellen Situation gibt, wo er doch mit der einseitig positiven Berichterstattung zur großen Koalition zufrieden sein könnte.

Gründe für den Gleichklang sei unter anderem die Bequemlichkeit der Journalisten. Sie schwimmen mit dem Strom und wollen keine gewagte Interpretation liefern, die die anderen nicht auch liefern. Das größte Problem sei laut Niggemeier allerdings der sogenannte „self-embedded journalism“: Journalisten orientieren sich bei ihrer Berichterstattung unbewusst, an der Meinung, die ein Großteil der Bevölkerung vertritt und lesen möchte.

Das Phänomen des „self-embedded journalists“ war Niggemeier zufolge ein Grund für die einseitige Berichterstattung zur Ukraine-Krise. Die Grundannahme war hier „Gut gegen Böse“ und die Journalisten haben sich natürlich auf der Seite der Guten, das heißt gegen Russland, positioniert. Dabei sind ihnen Fehler unterlaufen, wie sämtlichen NATO-Erklärungen zu glauben und Berichten von Russland eben nicht. Diese Positionierung sieht Niggemeier kritisch. Ein Journalist müsse berichten ohne zu fragen, ob es am Ende jemandem nutzt, den er nicht mag, meint der Gründer des BILDblogs.

Medien machen viel richtig, aber…

Niggemeier sieht jedoch nicht alles negativ: „Ich glaube, dass in den Medien viele gute Dinge passieren und dass Medien auch viel richtig machen.“ Ein Schlüsselbegriff ist mittlerweile die Glaubwürdigkeit. In den Sozialen Netzwerken behaupten Menschen wie Udo Ulfkotte, dass die deutschen Medien über bestimmte Ereignisse nicht berichten und treffen dabei auf Zustimmung, obwohl niemand überprüfe, ob diese Aussage stimmt. Dabei könnten sie mit einer kurzen Recherche feststellen, dass häufig doch darüber berichtet wurde. Dadurch wird die Medienverdrossenheit beim Publikum größer und die Medienakteure können häufig nicht mehr dagegen steuern.

Der Journalist stellt aber auch heraus, dass die Ursachen der Vertrauenskrise zwar vielseitig sind, der Fehler aber häufig bei den Medien selbst liege: „Medien müssen erkennen, dass es ein Problem gibt, dass es tatsächlich eine Kluft gibt, zwischen Publikum und Medien und dass es nicht nur ein paar Verrückte sind, auf die man auch verzichten kann“. Die Medien müssen sich überlegen, wie sie mit der Kritik umgehen. Dabei können kleine Dinge, wie die Suche alternativer Quellen und Fairness gegenüber Leuten, die man nicht mag, die Glaubwürdigkeit schon stark verbessern, denn „die Schwächen des Journalismus begünstigen die Verschwörungstheorien“. Mit diesen Worten schließt Stefan Niggemeier seinen Vortrag. Entlohnt wird der Journalist von Bernhard Pörksen mit „akademischen Naturalien“: Einem Buch.

Florentin will nur spielen

von Sanja Döttling

Florentin Will ist jung und hat bereits die Fernsehwelt im Sturm erobert: Er ist fester Bestandteil von Jan Böhmermanns „NEOMagazin“, ein Teil des Online-Projekts „zuio“ des Springer-Verlags und hat Frank Elsterns Moderatorenschule absolviert. Dabei ist er jünger als ein Großteil des Publikums im Ribingurumu am Montagabend, die sich noch immer durch ihren ersten (oder zweiten, oder dritten) Studiengang quälen.

 

Ein kurzer Werdegang

„Ja, herzlich Willkommen, zu…..mir.“ sagt Will, selbst ein bisschen überrascht. Er scheint nicht genau zu wissen, was er da tut, und was das Publikum eigentlich von ihm erwartet. Er sagt: „90 Prozent der Leute hier kennen mich nicht“, wo er vielleicht Recht haben könnte. Denn Florentin Wills Karriere ist so kometenhaft, dass sie mit bloßem Auge kaum zu verfolgen ist. 2010 hat er sein Abitur gemacht, natürlich war er der Klassenclown. Außerdem war er in der Theater-AG, „es hat mir immer Spaß gemacht, jemand anderes zu sein als ich – was unglaublich depressiv klingt, wenn man das so sagt.“

Danach ein Philosophiestudium, das er allerdings abgebrochen hat. Oder „angefangen“, worauf Moderator Max Scherer eher besteht als Will. Denn Florentin Will hat sich einen Studienabbruch doch anders vorgestellt: „Jemand, der Physik studiert, der sitzt im Labor. Und plötzlich wirft er die Reagenzgläser and die Wand und ruft: Ich habe keinen Bock mehr! Ich bin einfach nicht mehr hingegangen.“ Während dieser Zeit hat er auch einen Podcast gemacht (heute nicht mehr auffindbar). „Damals war ich überhaupt nicht lustig, heute schon“, kommentiert Will. Der Trailer zum Podcast hat 133 Klicks auf YouTube.

Doch dann hat ihn Frank Ester angerufen und Will wird Teil seiner Moderatorenschule. Dann, sagt er, hätte sein Leben erst richtig angefangen: „Ich wurde sein Sohn.“

 

Frank Elstners Sohn

Die drei Bewerbungsvideos für Frank Elstners Masterclass hat er in der Nacht davor gedreht, „mit meinem Macbook, das ich auf zwei Wäschekörbe und einen Haufen Bücher gestellt habe. Dann hab ich einen Haufen Scheiß erzählt.“ Er drehte ohne Hose, und das sieht man dann leider auch: damit hatte er nicht gerechnet, doch das Feedback ist sehr positiv. Ungewollt wurde es zu seinem Markenzeichen: Hosenloser Will. Im nächsten Video ist einer seiner Hemdknöpfe offen, und wieder gab es bewunderndes Feedback: „Ist das denn so ihr Markenzeichen? fragten sie, als hätte man da einen Diamanten gefunden. Nein, ich bin einfach nur fett. Das hat anscheinend gereicht.“

Sechs Monate lang wurden die Teilnehmer der „Masterclass“ gecoacht. „Dann war ich fertig, dann war ich perfekt“, sagt Will. Man soll ihn nicht ernst nehmen, das macht er immer wieder klar: er ist wandelnde Ironie.

Seine Vorbilder sind Christian Ulmen und Jan Böhmermann: Vertreter der bissigen Satire, die immer einen halben Schritt zu weit gehen. Das hat er auch in seinem Bewerbungsvideo so gesagt, und das war der kleine, unbedachte Moment, der seine Karriere erst so richtig ins Rollen brachte.

 

Fernsehen für Anfänger

Denn als Frank Elstner in Jan Böhmermann „NeoMagazin“ zu Gast ist, erinnert er sich an den Typen ohne Hose, und daran, dass er Jan Böhmermann als Vorbild gennant hatte. Und schon war Florentin Will Elstners offizieller Begleiter. Die ersten Worte, die Böhmermann zu ihm sagte, lauteten: „Wie ist denn dein Name, Florentin?“ Danach durfte er eine Umfrage machen. „Ich dachte mir: Ich stelle lustige Fragen, dann müssen die Antworten nicht lustig sein. Habe aber dann nicht bedacht, dass diese Umfrage ziemlich fucking awkward wird, wenn niemand antwortet“. Am Ende alles rausgeschnitten. Will fasst zusammen: „Mit einer Entschuldigungsgeste hat alles angefangen.“

In der nächsten Woche darf Will an einem kurzen Beitrag arbeiten. Was aussieht wie ein Tier-Ranking, entpuppt sich als Lied eines blutrünstigen Mader-Möders in einem Metal-Musikvideo mit Nazi-Optik. „Ich dachte, dass wäre so ein einmaliges Reinschnuppern. Das ist einfach so surreal, von dieser Massterclass direkt in die Senung zu kommen“. Will erzählt: „Ich bin da sehr stolz drauf, weil ich das auch als große Ehre fand, dass man da gesagt hat: Mach einfach mal. Ich hatte aber noch nicht die Beweise gehabt, dass ich selbst was kreieren kann. Und man hat mir trotzdem vertraut – mehr Vertrauen, als ich selbst in mich hatte.“

 

Die Zukunft des Bewegtbildes

Nachdem die Masterclass auslief, gründete der Springer-Verlag die Firma zuio. Sie soll den jungen Moderatoren als Spielwiese dienen, sie bekommen dort Equipment gestellt und eine Plattform geboten, um ihre eigenen Ideen umzusetzen. Ganz ohne Hintergedanken ist das natürlich nicht: „das ist natürlich prestigeträchtig, so eine junge wilde kreative  Truppe zu haben.“

Die Truppe nutzt ihre Freizeit aus. Will macht auf der Plattform nicht nur Comedy, sondern auch eine Wissensendung namens Plonquez über Homöopathie, Verschwörungstheorien und was immer ihm einfällt.  Will sagt: „Ich finde auch komplett straight ernsthaften Kram spannend. Comedy und ernste Sachen würde ich auch parallel gerne weitermachen.“

Das Projekt soll auch vorbereiten auf das, was Will die „Post-Fernseh-Zeit“ nennt. „Wenn man sich nicht an Youtube-Regeln hält, dann hat man kaum Erfolg.“ Das Projekt zuio soll dass ändern, soll ein neues Publikum vor den Laptop holen. Das Publikum, wie Will es sich vorstellt,  ist das studentische Livepublikum, wie an diesem Abend. Doch wir, so Will, haben das Internet noch nicht als Fernsehersatz angenommen. „Die Mission ist eigentlich zum Scheitern verurteilt: Das Publikum, das wir wollen, gibt es noch nicht. Wir müssen das Publikum erst herholen, bevor wir es bedienen können.“

 

Wie geht es weiter?

Will weiß, was für ein Glück er hatte. Fast schon nachdenklich sagt er:  „In meiner Laufbahn wars immer so, dass sich Wünsche zu früh erfüllt haben. Ich musste eigentlich nie wirklich für etwas arbeiten.“ Deshalb kann Will auch keine Tipps geben, wie man am besten ins Showbusiness einsteigt: „Ihr müsst einfach auf das Glück warten. Aber ihr müsst dann auch was in der Schublade haben, falls das Glück euch trifft.“ Will hatte den Podcast aus Studentenzeiten in der Hinterhand. „Da habe ich schon ein gewisses Sendungsbewusstsein entwickelt: Was funktioniert, was nicht. Das muss man dann vorlegen.“

Florentin Will hat mehr erreicht als viele andere in seinem Alter. Doch wie solls weitergehen? Selbst einer Rolle als Tatortkommissar in den nächsten zehn Jahren steht Will offen gegenüber. Wer würde das nicht, bei diesem Aufstieg. „Das klingt so wahnsinnig bescheiden, aber ich bin schon so viel weiter als ich dachte. Deshalb schau ich gar nicht so nach vorne. Natürlich wäre so eine eigene Show geil. Oder mehr als Schauspieler zu arbeiten. Aber ich bin immer so getrieben von anderen Kräften, dass ich gar nicht die Möglichkeit habe, selbst zu gucken, wie es weitergeht.“

Und das alles nur wegen eines Anrufs. Wäre der nicht gekommen, „dann säß ich jetzt genau wie ihr hier im 17. Semester und hätte keine Ahnung, was ich machen will“, fasst Will zusammen.

Als Wandergeschenk für den nächsten Gast, Clemens Schick, lässt Florentin Will eine Locke und einen Hosenknopf da. Der ist auf der Hinreise abgerissen. Und sein Handy hat auch kein Guthaben mehr. Florentin Will hat einiges erreicht und sich doch sein erfrischend unbeholfenes und nicht immer ganz professionelles Auftreten bewahrt.

Die zwölf Geschworenen

von Felix Niedrich

Ein Mann gilt solange als unschuldig, bis seine Schuld bewiesen wurde. Dieses Grundprinzip der Rechtsprechung räumt einem mutmaßlichen Verbrecher einen Vertrauensvorschuss ein. Die Wahrheit, oder hier: den wahren Ablauf einer Tat, zu rekonstruieren ist nicht einfach. Im Zweifel wird für den Angeklagten entschieden. In manchen Fällen kann das Leben retten.
In Sidney Lumets Klassiker „Die 12 Geschworenen“ von 1957 ist ein junger Mann des Mordes an seinem Vater angeklagt. Darauf steht die Todesstrafe. Im Amerikanischen Gerichtssystem entscheidet nicht der Richter, sondern die Jury. Nun müssen diese Zwölf das Urteil fällen: schuldig oder nicht schuldig? Für elf von ihnen steht die Sache schnell fest. Aber ist die Beweislage wirklich so eindeutig? Nur einer der Geschworenen ist anderer Meinung.

 

Ich weiß, dass ich nichts weiß

Am heißesten Tag des Jahres kochen die Gemüter im Geschworenensaal hoch, als sich einer der Geschworenen, gespielt von Henry Fonda, nicht der Mehrheitsmeinung anschließt. Denn für eine Verurteilung ist eine Übereinstimmung aller Geschworenen notwendig. Fondas Figur verkörpert den Zweifel und die Unklarheit. Bereits im Gerichtssaal, der nur kurz am Ende der Verhandlung gezeigt wird, werden seine Zweifel in Mimik und Gestik ersichtlich. Zu Beginn der anschließenden Beratung sieht er nachdenklich aus dem Fenster und muss sogar extra aufgefordert werden, während sich die anderen Geschworenen bereits gesetzt haben.
Zunächst verhält er sich ruhig und defensiv. Aber als die erste Abstimmung mit elf zu eins Stimmen gegen ihn ausfällt, muss er seine Position erläutern. Der Kern seines Standpunktes ist dabei nicht, zu zeigen, was seiner Meinung nach passiert ist. Er will ihnen klar machen, was alles unklar ist. Er wisse nicht, was die Wahrheit ist und behaupte nicht, dass der Junge unschuldig sei. Er sei sich aber nicht sicher. „Ich weiß genau so viel wie Sie alle“, meint er.
Das eigentliche Ereignis hat er nicht miterlebt, genauso wenig wie der Zuschauer. Anders als in „Rashomon“ macht sich der Film gar nicht die Mühe, die Tat darzustellen. Genau wie die Geschworenen weiß der Zuschauer nicht, was wirklich passiert ist und hört nur aufgrund der Beweislage, was passiert sein könnte. Genau deshalb wird der Tathergang nicht visualisiert.

Als Fonda die Diskussion fordert, wird schnell klar, dass einige der Geschworenen keinerlei Interesse haben ihre Zeit dafür aufzuwenden. Aber schließlich hängt ein Menschenleben davon ab. So fragt Fonda immer wieder: Was, wenn sich die Geschworenen und die Zeugen irren?

 

Wahrheit, Indizien und Spekulationen

Die Wahrheit ist nicht das Ziel des Geschworenen oder des Films. Vielmehr ist die Tatsache, dass niemand die Wahrheit kennt, der entscheidende Punkt, der ihm einen Vorteil bringt. Von diesem Punkt versucht er, die anderen zu überzeugen. Seine Worte wählt er dabei mit Bedacht und wechselt auch oft in den Konjunktiv, wenn er seine Vermutungen äußert.

Schon bei den ersten Erklärungsversuchen der anderen Geschworenen wird klar, dass sie sich ihrer Sache nicht immer sicher sind und ihre Position nicht immer hinreichend begründen können.

Im Verlauf der Diskussion greift Fonda die Argumente der einzelnen Personen immer wieder auf und verwendet sie gegen sie. Wird der Angeklagte beispielsweise als „geborener Lügner aus den Slums“ bezeichnet, dem man nicht trauen kann, dann muss dies auch für die Zeugen gelten, die aus denselben Vierteln stammen und ihn mit ihrer Aussage belasten. Selbst einer der Geschworenen kommt aus derselben Gegend. Es stellt sich heraus, dass bei der Beurteilung Vorurteile und persönliche Einstellungen und Dispositionen herangezogen werden. Auch die schlichte Unlust und Ungeduld, sich stundenlang in dem engen Geschworenensaal mit dem Fall zu beschäftigen und sich mit Fremden auseinanderzusetzen, beeinflussen das Urteilsvermögen.

Doch Fonda besteht darauf, weiterzumachen. Er verlangt eine zweite, geheime Abstimmung, um den sozialen Druck, sich einer Mehrheit gegenüber zu sehen, außer Kraft zu setzen. So gewinnt er einen ersten Verbündeten.

Die Indizien und Zeugenaussagen sprechen anfangs gegen den Angeklagten. Aber Fonda gibt sich nicht zufrieden und stellt ein Fakt nach dem anderen auf die Probe und entkräftet dabei immer wieder zuvor als sicher geglaubte Aussagen. Er nagelt die anderen wiederholt darauf fest, was sie nicht sicher wissen und provoziert immer wieder emotionale Reaktionen, die die anderen zu Fehlern in ihrer Argumentation verleiten. Hin und wieder verdrehen sie dabei den Sinn ihrer eigenen Worte ins Gegenteil. Das sei doch keine exakte Wissenschaft, heißt es bald.  Genau das ist, was Fonda hören will. Nach und nach wechseln die Geschworenen die Seiten und erkennen die Zweifel als berechtigt an, bis nur noch einer an die Schuld des Angeklagten glaubt. Als der Druck der anderen zu groß wird, bricht er ein und gibt ungewollt seine Motive preis. Ein persönlicher Konflikt mit seinem eigenen Sohn hat ihn den angeklagten Jungen verurteilen lassen. „Nicht schuldig“ heißt am Ende die Entscheidung.

Das Wahrheitskonzept greift auch hier wieder nicht. Vielmehr findet eine Annäherung von anderer Seite statt. Diese Annährungen sind geprägt von subjektiven Einstellungen und Erfahrungen und gestützt und abhängig von starker Argumentation und Rhetorik. Wahr ist am Ende nur, dass wir nicht wissen, was die Wahrheit eigentlich ist.

Foto: flickr.com/http://underclassrising.net/ (CC BY-SA 2.0)

Stars über Nacht

von Elena Hodapp

Youtube war mal nur ein Videoportal. Heute ist es eine Schmiede für zukünftige Stars. Entsprechende Beispiele? Justin Biebers Karriere begann auf YouTube. Die von Lana Del Ray ebenfalls. Selbstgedrehte Videos ebneten ihnen den Weg zu ihrer heutigen Bekanntheit. Aber nicht nur Amerika bringt solche YouTube-Stars hervor. Auch hierzulande kennen wir das Phänomen der rasant aufsteigenden YouTube-Sternchen. Michael Schulte beispielsweise; ein deutscher Singer-Songwriter, den seine selbstgedrehten Musikvideos auf YouTube erst bekannt machten. Neben Künstlern, die mit ihren YouTube-Videos auf sich und ihre Kunst aufmerksam machen wollen, werden auch immer mehr Menschen schlicht durch das YouTuber-Sein bekannt. Beautygurus, Gamer, Comedians – YouTube bietet allen eine Plattform. Ein Videoportal zur Selbstdarstellung und Selbstverwirklichung, zur Community-Bildung, zum Kommentieren und Bewerten. Das gefällt – 2013 war Youtube nach Google und Facebook die meistbesuchte Webseite weltweit.

 

‚Let’s Plays‘ auf Platz Eins

Laut Duden ist YouTube ein „Internetportal für Videofilme“. Nutzer können hier Videos anschauen, bewerten oder auf eigenen Kanälen selbst hochladen. Besitzt der Nutzer ein eigenes YouTube-Nutzerkonto, so kann er auch Kanäle anderer YouTuber abonnieren.

Der weltweit meist abonnierte YouTube-Kanal PewDiePie – Pew, stehend für das Geräusch einer Strahlenpistole, Die, englisch für sterben und Pie, englisch für Kuchen –  gehört dem Schweden Felix Arvid Ulf Kjellberg. Hier lädt er Videos über Videospiele, sogenannte „Let’s-Play“ Videos, hoch. Aktuell hat er fast 33 Millionen Abonnenten. Auch in Deutschland führt ein Gamer, Gronkh, den meist abonnierten Kanal. Let’s Plays haben sich von einem Nischenprodukt zu dem erfolgreichsten Zweig YouTubes entwickelt. Sie sind weltweit die Kanäle mit den höchsten Abonnentenzahlen. Gamer oder Let’s Player nehmen ihr Spielen eines Computer- oder Konsolenspiels auf und kommentieren es begleitend über ihr Headset. Der durch die Moderation erzeugte unterhaltende Charakter des Videos ist für die Zuschauer dabei meist wichtiger als die Wahl des Spiels selbst. Auf Platz zwei der weltweit am häufigsten abonnierten Kanäle steht Smosh. Fast 20 Millionen User haben den von Ian Hecox und Anthony Padilla geführten Comedy-Kanal abonniert. Erst vor Kurzem wurden sie von PewDiePie von Platz eins verdrängt.

 

Bibi und die Schönheit

YouTube ist dynamisch, schnell und fordernd. Über Nacht können aus Unbekannten Stars werden. Bestes Beispiel hierfür ist die deutsche Studentin Bianca, genannt Bibi, mit ihrem Lifestyle-Kanal BibisBeautyPalace. Erst vor etwas über einem Jahr gründete sie ihren Kanal. Da waren Sami Slimani, Daarum, oder Ebru schon längst etablierte Gesichter im Lifestyle-Sektor der deutschen YouTube-Welt und hatten eine feste Community. Und doch hat Bibi sie alle überholt und als erste deutsche YouTuberin die Millionenmarke an Abonnenten geknackt.  Bibi ist für Teenager das, was man einen Star nennt. Sie ist auf dem Cover der Bravo, zu Gast in Talkshows und ihr Gesicht ziert die Wände unzähliger Jugendzimmer.

 

Interaktive Fankultur

YouTube schafft Stars –  Produzenten, Schauspieler, Moderatoren und Comedians – und ermöglicht eine neue Dimension der Fankultur. Sogenannte Fancalls, bei denen die YouTuber ihre Zuschauer vor laufender Kamera anrufen, die Kommentar- und Bewertungsfunktion, sowie ständig stattfindende Verlosungen erlauben einen intensiven und extrem persönlichen Austausch zwischen Fans und ihrem Star. Die Fankultur geht soweit, dass YouTuber ihren Anhängern eigene Namen geben; so heißen die Zuschauer von Sami Slimani Saminators und die von Bianca Bibinators. Ein Fankultur bei der Grenzen zwischen Star und Freund verschwimmen; sie lässt YouTuber für Unternehmen und Medien zu einem immer relevanter werdenden Phänomen werden lässt.

 

Die Selfmade-Plattform

YouTube boomt! Bei der amerikanischen Preisverleihung Teen Choice Award gibt es eine Kategorie Choice Web Star, in Deutschland wird für YouTube-Stars der Webvideopreis verliehen. Einmal im Jahr gibt es den Videoday – das größte YouTuber-Treffen Europas. In diesem Jahr waren die Tickets bereits Monate vor dem Event ausverkauft. YouTube ist nicht mehr nur ein Videoportal. Es ist eine Plattform, die Hoffnungen schürt, den amerikanischen Traum vom „Tellerwäscher zum Millionär“ wahrwerden zu lassen. YouTuber sind dabei auch Werbeflächen für Firmen. Sie geben Produktempfehlungen und können entscheidenden Einfluss auf das Kaufverhalten nehmen. Sie sind Vorbilder, Produzenten, Schauspieler und Werbefigur. YouTube vereint, was einmal getrennt war. Es ist eine Selfmade-Plattform auf der es scheinbar jeder schaffen kann; auf der jeder sein Können zeigen und vermarkten kann. Auf YouTube werden die Stars von morgen geboren.

 

Verklärte Welt

Große YouTuber können von ihrem YouTuber-Dasein leben. Sie verdienen Geld durch Werbeeinnahmen, Kooperationen und durch YouTube. Wie genau die Bezahlung abläuft, bleibt geheim. Welche Dimensionen sie hat, auch. Doch wir wissen: Kjellberg ist dank YouTube Multimillionär und beim größten deutschen YouTuber Gronkh geht man von monatlichen Einnahmen zwischen 16.000 und 27.000 Euro aus. Das sind Dimensionen, die YouTube bei seiner Gründung 2005 wahrscheinlich selbst nicht zu träumen gewagt hat. Längst ist YouTube keine Plattform mehr für lustige Katzenvideos und Haushaltsunfälle oder Musikvideos. Hinter YouTube steht ein enormes Profitinteresse, denn die Plattform bietet eine personifizierte Werbefläche mit entscheidendem Einfluss auf kaufwütige Jugendliche. YouTuber veröffentlichen wie jüngst die Slimanis oder die britische Youtuberin Zoella Bücher, designen eigene Produktlinien oder fliegen weltweit zu Events.

Es ist ein Tanz auf dem Drahtseil: Die Nähe zur Wirtschaft bringt Umsatz, aber sie stellt auch das höchste Gut der YouTuber in Frage, ihre Glaubwürdigkeit. Und dann bleibt da noch die Frage nach der Dauer dieses Erfolgs. YouTube ist schnell und dynamisch; fordert neue Gesichter, neue Geschichten und neue Ideen. Wie länge YouTube einen Einzelnen trägt bleibt abzuwarten, die Zahl derer, die versuchen auf die YouTube bekannt zu werden und nachziehen wollen ist enorm, gerade aber schwimmen Bianca, Sami, und Co. scheinbar unermüdlich auf der Welle des Erfolgs.

Foto: flickr.com/jonsson (CC BY 2.0)

Hashtag-Solidarität

Ein Kommentar von Marius Lang und Sanja Döttling

„Je suis Charlie“: diese Worte kennzeichnen Solidarität mit Charlie Hebdo. Die Pariser Satirezeitung machte schon in der Vergangenheit Schlagzeilen, als sie Karikaturen von Mohammed, dem Propheten des Islam, zeigte. Letzte Woche drangen zwei Attentäter mit radikal-islamischem Hintergrund in die Redaktion ein und töteten dort und auf ihrer darauffolgenden Flucht zwölf Menschen, ein dritter Terrorist tötete später fünf weitere Personen. In Paris wurde die höchste Terrorwarnstufe ausgerufen.

Mit einem Mal wird wieder diskutiert: Über die Freiheit von Satire und Rede, sowie die Notwendigkeit einer furchtlosen Presse. Der Hashtag „Je suis Charlie“ ging um die Welt, war auf der Gala der Golden Globes zu sehen und erschien in den Simpsons. Die Welt fordert Mut, von Satire und Presse. Und bekommt bedruckte T-Shirts und Kaffeetassen.

Anschlags-Merchandise

Anteilnahme und Betroffenheit sind nicht daran gebunden, wie gut man Betroffene kennt. Schlimm wird es, wenn diese Solidarität für eigene Zwecke verwendet wird. Denn ein Terroranschlag kann Kassen füllen. Die erste Ausgabe von Charlie Hebdo nach dem Anschlag wird auf ebay für viel Geld verkauft, Gebote übersteigen 100 Euro. Dazu gibt es passendes Merchandise: Cappies and Plakate. Sie alle verkünden: „Je suis Charlie“. Die Solidaritätsbekundung verkommt zur Modeerscheinung. Der Künstler, der den Satz weiß auf schwarz gestaltete, bereut seine Entscheidung jetzt. Die Frage ist: geht es den Verkäufern um die Botschaft? Oder den Profit?

Das ‚Ich‘ in Charlie

Doch „Je suis Charlie“ ist vor allem eines: ein persönliches Statement. ICH bin Charlie. Seht her, ich unterstütze die Freiheit, ich bin gegen den Terror! Seht, denn ich habe es auf Facebook gepostet. Und auf Twitter. Es steht sogar auf meiner Kaffeetasse! So einfach ist es heutzutage, seine Anteilnahme am Weltgeschehen zu zeigen, sie jedem zu zeigen, der gerade zuhört oder auch nicht.

Doch wie tiefgehend ist diese Anteilnahme, wie informiert ist die Solidarität? Kaum einer nimmt sich mehr als ein paar Sekunden für einen Facebook-Post oder einen Tweet. Denn genauso schnell, wie die Nachricht von neuem ersetzt wird, genauso schnell gerät der Vorfall in Vergessenheit. In zwei Jahren wird man diesen Slogan für die Pressefreiheit nicht einmal mehr erkennen.

Lügen der Anteilnahme

Doch es geht noch viel schlimmer: wenn Anschläge für anti-muslimische Propaganda misbraucht werden. Die Rechten und Erzkonservativen Europas sehen ihre Gelegenheit und springen fix auf den Trauerzug auf. Ob nun französische Nationalisten oder Pegida, sie alle zeigen nun gespielte Anteilnahme mit Charlie Hebdo, das sie bis vor kurzem als Gegner sahen. Dem Blatt, das ihre Flaggschiffe wie Marie Le Pen und ihre Front National durch den Kakao zog. Nun nutzen sie die Tragödie aus, um weiter gegen Muslime und die angebliche Islamisierung des Abendlandes zu hetzen: Pegida aussi est Charlie!

Satire solidarisch

Ernsthaft bestürzt wirkten dagegen etwa die Mitglieder der deutschen Satirezeitschrift Titanic. Ihre eigene berufliche Nähe zu den französischen Kollegen macht die Solidarität umso glaubhafter. Die Internetpräsenz der Titanic war nach dem Vorfall zunächst in Schwarz gerahmt. Und auch die Anteilnahme von Muslimen in aller Welt, ganz gleich, ob sie die Karikaturen lustig fanden oder nicht, ist stark. In den Zeitungen muslimisch geprägter Länder finden sich Karikaturen, die Redefreiheit, Pressefreiheit und den Mut der Satire bestärken.

Presse muss frei bleiben; allein schon, um weiterhin gegen Hetze und Angstmacherei vorgehen zu können. Doch Solidarität ist kein Trend, kein Hashtag, den man sich einfach auf die Pinnwand postet. Solidarität fängt vielleicht mit einem Slogan an, sollte da aber nicht enden.

 

Foto: flickr.com/Tjebbe van Tijen (CC BY-ND 2.0)