Der Mensch und das bewegte Bild

von Ricarda Dietrich

„Der Film hat keine Zukunft“ (Louis Lumière, 1901)

8083141718_bbc0220e34_zWie falsch Louis Lumière mit diesem Zitat lag, lässt sich heute eindeutig erkennen. Film ist inzwischen in fast jeden Bereich unseres Lebens eingedrungen, wir können uns ihm nicht mehr entziehen. Die Filmlandschaft ist seit den Anfängen stetig gewachsen und bietet heute ein sehr breites Angebot, das wir auf unterschiedliche Weise und aus verschiedenen Gründen nutzen.

Jeder, der sich mal mit den Anfängen des Films beschäftigt hat, kennt die Legende: Als 1896 der Kurzfilm „L“Arrivee d“un train en gare de La Ciotat“ („Die Ankunft eines Eisenbahnzuges im Bahnhof La Ciotat“) der Lumière-Brüder zum ersten Mal vor Publikum gezeigt wurde, sind die Besucher panisch aufgesprungen und vor der riesigen Lok davongelaufen. Sie waren nicht an das bewegte Bild auf der Leinwand gewöhnt und hatten Angst von einer realen Lok, die durch den Raum fährt, überfahren zu werden.

Heute belächeln wir diese Reaktion. Kinder werden heute schon von Geburt an mit Bewegtbild konfroniert und auch die ältere Generation ist mit Film in jeglicher Form vertraut. Film ist inzwischen in fast jeden Teil unseres Lebens eingedrungen. Seine Erfindung vor 130 Jahren hat die Menschheit nachhaltig und unwiderrufbar verändert.

130 Jahre Film

9414002494_5c6917207f_zBis dahin hat der Film allerdings eine lange Strecke zurückgelegt. Technischer Fortschritt führte zu einer stetigen Entwicklung und man kann nur rätseln, ob irgendwann einmal alles erfunden sein wird, was das Erleben einer Handlung noch realistischer macht. So gab es die Schritte von Stummfilm zu Tonfilm, von schwarz-weißen Bildern zum Farbfilm. Bildformate änderten sich, Soundsysteme wurden verbessert und inzwischen kann man Filme in 3D oder sogar 4D erleben. Doch nicht nur der Film selbst, auch die Aufnahme- und Abspielmöglichkeiten haben eine lange Entwicklung hinter sich und sind noch lange nicht am Limit angekommen. Dass es in den 50er Jahren eine Sensation war, ein Fernsehgerät im Haus zu haben, können wir uns heute nur noch schwer vorstellen. Jedes Smartphone, jeder Laptop und jedes Tablet können inzwischen mühelos Filme abspielen. Man ist nicht mehr ans Kino als Ort, sowie an das Programm, was grade gezeigt wird, gebunden, sondern kann auf Streaming-Seiten und Video-Plattformen wie Youtube jederzeit und an jedem beliebigen Ort anschauen, was einen wirklich interessiert und nicht das, was nun einmal gerade gezeigt wird. Genauso ist es inzwischen jedem Individuum möglich, selbst Filme herzustellen und zu verbreiten. Dabei sollte man sich hin und wieder vor Augen führen, wie komplex, aufwändig und teuer die Produktion von Filmen vor einigen Jahrzenten noch war.

„Die Simpsons“ oder doch eher „A Clockwork Orange?“

Warum wenden wir uns welchem Format des Films zu? Es kommen schnell die offensichtlichen Gründe in den Sinn. In allererster Linie wollen wir unterhalten werden, wenn wir den Fernseher einschalten. Es bedeutet, wir haben nun Freizeit, was jetzt folgt soll nichts mehr mit Arbeit zu tun haben. Je nach Situation suchen wir dann einen Film, eine Serie oder Show aus, die uns hilft zu entspannen, die uns unterhält oder uns informiert. Manchmal will man auch einfach für eine Weile in eine andere Welt eintauchen, die aufregender ist als unsere eigene oder in der es ganz andere Probleme gibt als in unserem eigenen Leben.

Ein wichtiger Begriff bei der Wahl des Mediums und Formats ist das „Mood-Management“. Diese Theorie wurde 1988 von Dilf Zillmann erstmals formuliert und besagt, dass Medien nicht nur Informationen vermitteln, sondern auch Gefühle stimulieren. Der Rezipient versucht daher mit der Wahl des zu rezipierenden Formats den eigenen Stimmungszustand zu manipulieren. Es wird davon ausgegangen, dass sich die Stimmung des Rezipienten an die Stimmung des Films anpasst. Ziel der Rezeption von Film ist dabei ein innerer Spannungsausgleich. Ist man also schlecht gelaunt, da man Langeweile hat, dann sucht man einen Film oder eine Serie mit spannendem Inhalt aus. Kommt man gestresst von der Arbeit, sucht man ein beruhigendes Format, das entspannend wirkt. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Zuwendung zu bestimmten Formaten gut erklären.

Vorschau auf die nächsten Folgen

Die folgenden Artikel sollen die unterschiedlichen Formate, in denen wir Bewegtbild rezipieren, beleuchten. Sie sollen einen kurzen Blick auf die Geschichte der Formate werfen und heute, im digitalen Zeitalter, nach der Bedeutung für die Zuschauerschaft fragen. An diesem Punkt kommt, unter anderem, das Mood-Management ins Spiel: Mit all den Angeboten, mit denen sich der Mensch heute konfrontiert sieht, wie schaffen es die verschiedenen Formate nebeneinander zu existieren? Es gibt Serien, Blockbuster, Vines, Polit-Shows, Katzenvideos und vieles mehr, denn sie bedienen alle andere Bedürfnisse. Diese sollen in den nächsten Wochen ein bisschen näher betrachtet werden. Jeder Leser wird sich und seine Verhaltensweisen irgendwo wiederfinden, denn das ist das Schöne an dem Thema: Es gibt niemanden mehr in Deutschland, der sich dem Film, in welcher Form auch immer, entziehen kann. Das hat einen einfachen Grund: Bilder lassen sich kognitiv besser verarbeiten als Worte. Daher findet man mittlerweile zum Beispiel auf der Internetseite vieler Unternehmen einen Kurzfilm, der die Firma vorstellt. Warum einen langen Text schreiben, wenn man auch mit einem Zweiminüter alles sagen kann? Und wir wissen ja alle: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte!

Dennoch natürlich viel Spaß beim Lesen!

Fotos: flickr.com/ynetbot (CC BY-NC-SA 2.0), flickr.com/Marko Kudjerski (CC BY 2.0)

Geist der Vergangenheit

von Maya Morlock

Im Sinne des englischen Sprichworts „What goes around comes around“ holt Simons (Jason Bateman) Vergangenheit ihn im Psychothriller „The Gift“ (Regie Joel Edgerton) unerwartet ein. Das lauernde Katz-und-Maus-Spiel beginnt, in dem die schlichte Trennung in Gut und Böse immer undurchsichtiger wird. Filmstart ist der 26. November.

Ein Schatten

Er taucht aus dem Nichts auf. Er weiß, wo sie wohnen und es scheint, als sei er immer da. Wie ein Geist ist er immer präsent – als schwirre er durch das geräumige Haus, unsichtbar, sodass man ihn nur erahnen kann. Lauernd, bereit zum Angriff. Robyn (Rebecca Hall, Simons Ehefrau) hört ein Knacken. Vor lauter Furcht fällt ihr die Flasche mit dem isotonischen Getränk um und ergießt sich auf den hellen Fußboden. „Ist er das? Lauert er mir auf?“ sagt ihr angsterfülltes Gesicht, als sie dem Geräusch auf den Grund geht…

Bröckelnde Harmonie

Simon (Jason Bateman) ist mit seiner Frau Robyn (Rebecca Hall) in ein Vorzeigehaus nahe Los Angeles gezogen, um einen Neuanfang zu starten. Das Ehepaar wirkt harmonisch, es besitzt alles, wovon andere Paare nur träumen können – das Einzige, das ihnen zur Vollendung ihre Glücks fehlt, ist ein Baby. Bereits zu Beginn betritt Gordon Mosley (Joel Edgerton) die Bildfläche – der alte Bekannte aus Simons High-Schoolzeiten scheint nett und freundlich. Er überhäuft das Paar mit teuren Geschenken und taucht ständig ungebeten zu Besuch auf – allmählich weist er Züge eines Stalkers auf. Nun steht die Frage im Raum: Wie wird man ihn wieder los? Der anfänglich perfekt inszenierte Antagonist Gordon, früher boshaft „Weirdo“ genannt, bringt Robyn dazu in Simons Vergangenheit zu wühlen – denn dieser verbirgt ein dunkles Geheimnis, das er jahrelang unter Verschluss hielt.

Spiel mit der Atmosphäre

Dieser Film arbeitet mit gekonnt platzierten Effekten. Ganze Sequenzen kommen ohne Filmmusik aus und entfalten genau damit ihr unheimliches Potenzial. Überladene Szenen findet man nicht. Genügend andere Filme zeigen das Negativbeispiel: Musik hier, Effekte dort – einfach nur des Effektes willen. Hier scheint jeder Ton und jede Nuance die Atmosphäre gekonnt zu unterstützen. So hört man die Schritte und das Atmen Robyns, als sie herausfinden möchte, woher die Geräusche kommen; aber keine störende Musik, die der Spannung nur hinderlich wäre. Auch in der ersten Stunde des Films, die im Vergleich zum Ende relativ harmlos wirkt, schafft es Regisseur Edgerton eine Spannung, ein Kribbeln herzustellen, das den Zuschauer in den Bann zieht.

Der zerrissene Ehemann

Jason Bateman macht seine Sache sehr gut: der liebevolle Ehemann, der seine Frau umsorgt, ihr ein wunderschönes Heim ermöglicht und die Karriereleiter steil hinaufklettert. Er schafft es, die Fassade des Simon glaubwürdig zu mimen und stellt unglaublich authentisch dar, wie diese allmählich bröckelt. Abgründe des Menschen, die jeder ein Stück weit in sich selbst nachvollziehen und entdecken kann, sind in dieser Figur vereint und Bateman versteht es, diese anschaulich vor der Kamera zu zeigen. Denn auch im wahren Leben gibt es gute Schauspieler – man weiß nie, wie gut man seine Freunde, Nachbarn und Familienangehörige wirklich kennt.

Empfehlung

Liebhaber eines guten Thrillers sind hier richtig: Dieser Film braucht keine brutalen Szenen, in denen Tonnen an Kunstblut umherspritzen und den Kinobesuchern ein doppeltes Orchester entgegendröhnt. Eine Geschichte mit perfiden Wendungen, die den Zuschauern unerwartet treffen und eine gelungene Inszenierung, die eine schaurige Atmosphäre zeichnet, überzeugen auf ganzer Linie.

Foto: flickr.com/Eric Torrontera (CC BY-ND 2.0)

 

Ethik im Angesicht des Todes

Von Philipp Mang

Hollywoods Serienlandschaft wird von kontroversen Persönlichkeiten geprägt. Da gibt es etwa einen krebskranken Chemielehrer, der mit ehemaligen Schülern Drogen kocht (Breaking Bad); intrigante Adelige, die für ihre Herrschaft über Leichen gehen (Game of Thrones) oder Professorinnen, die ihre Studenten lehren, wie man mit Mord davon kommt (How to get away with Murder). Moderne TV-Serien, so scheint es, wollen nicht länger allein unterhalten – sondern provozieren, zum Nachdenken anregen. Und dieser Plan geht auf: Kein anderes Medienprodukt bringt derzeit seine Anhänger so leidenschaftlich zum Diskutieren, wie die neueste Lieblingsserie.

Unerwartet tiefgründig

1806225034_50df5b8ba4_oAuch der dystopische Horror in The Walking Dead sorgt jede Woche für hitzige Debatten. Das ist insofern überraschend, da die Serie in der Öffentlichkeit häufig nur auf seine exzessiven Gewaltdarstellungen reduziert wird. Tatsächlich werden zwischen den brutalen Splatter-Szenen allerdings überraschend tiefgründige Geschichten erzählt. Nicht selten werden die Charaktere in den ruhigen Zwischensequenzen vor moralische Dilemmata gestellt. Was genau ist aber darunter zu verstehen? Ein moralisches Dilemma (von lat. moralis = „die Sitte betreffend“) bezeichnet zunächst einmal eine komplexe Ausgangssituation, bei der jede Entscheidung unweigerlich zur Verletzung von geltenden Wertvorstellungen führt – das heißt: Egal, wie man es dreht und wendet, eine „richtige“ Lösung gibt es nicht. Der betreffende Charakter steckt damit im wahrsten Sinne des Wortes in der Zwickmühle. Und das geschieht in TWD öfter, als man auf den ersten Blick denkt.

Rassenkonflikt 2.0

Gleich zu Beginn der Serie wird Ricks moralischer Kompass zum ersten Mal auf die Probe gestellt, als der ehemalige Deputy auf einem Hochhausdach in Atlanta auf potentielle Gefährten trifft. Dabei kommt es in der Gruppe zwischen dem afroamerikanischen T-Dog und dem weißen Rassisten Merle zu einer brutalen Auseinandersetzung. Rick entscheidet deshalb Merle angekettet auf dem Dach des Kaufhauses zurück zu lassen. Aber ist es wirklich moralisch vertretbar, einen Menschen nur wegen seiner (falschen) Überzeugungen hilflos seinem Schicksal zu überlassen? Auch Rick beginnt seine Entscheidung in der Folge kritisch zu hinterfragen. Er entschließt sich nach Atlanta zurückzukehren und Merle zu retten – trotz seiner rassistischen Einstellung bleibt dieser nämlich immer noch ein Mitglied der Gruppe, das nicht einfach den blutrünstigen Zombies geopfert werden darf.

Kindheit? Fehlanzeige!

Neben Fremdenhass sorgt aber auch das Thema Erwachsenwerden für reichlich ethischen Zündstoff in der Serie. Anfänglich geht es dabei vor allem um die Frage, ob Ricks Sohn Carl bereits als Teenager im Gebrauch von Schusswaffen ausgebildet werden sollte. Im Laufe der vierten Staffel droht sich dieser schwelende Konflikt schließlich zu einem Flächenbrand auszuweiten, als die Gruppe um Rick im Gefängnis einen sicheren Zufluchtsort findet. Vom Tod der eigenen Tochter immer noch traumatisiert, beschließt Carol hier den Kindern heimlich Unterricht im Töten zu erteilen und stößt damit auf massive Kritik bei ihren Gefährten, die ihre Schützlinge möglichst normal aufwachsen sehen wollen. TWD wirft an dieser Stelle also die Frage auf, inwiefern die Kindheit als schützenswerte Lebensphase in einer Apokalypse noch Bestand hat – in einer Welt voller Untoten, in der man entweder Schlächter oder Schlachtvieh ist, können es sich Kinder da überhaupt noch leisten, verletzlich zu sein?

Das „Beißer“-Dilemma

2757851927_838e959e76_zAls zusätzliche moralische Unruhestifter erweisen sich schließlich die Untoten. Bereits in der Pilotfolge trifft Rick etwa auf den Familienvater Morgan Jones, dessen Frau sich in einen Zombie verwandelt hat und seither beharrlich die Nähe ihrer Familie sucht. Wider besseres Wissen kann Jones nicht aufhören, in dem Walker die Mutter seines Sohnes zu sehen. Selbst mit einem Gewehr bewaffnet schafft er es nicht die Frau, die er einmal geliebt hat, zu töten – obwohl diese Sterbehilfe ethisch gesehen durchaus nachvollziehbar wäre. Dies hat fatale Folgen: Auf der Suche nach Essen wird Morgans Sohn Duane schließlich von seiner eigenen Mutter gebissen.

Heilung für die Kranken

Auch der Farmer Hershel Greene kann sich lange Zeit nicht dazu durchringen, Zombies zu töten. Anders als die Gruppe um Rick glaubt der Farmer nämlich fest an die Heilung der, in seinen Augen, kranken Menschen und an ein Medikament, das die Untoten eines Tages zurück ins Leben holt. Ähnlich wie Morgan kann Hershel die einst menschliche Seite der Monster nicht ignorieren – er sieht in ihnen immer noch ehemalige Nachbarn, Freunde und Verwandte. Deshalb schießt er den Zombies auch nicht einfach ins Gehirn, sobald sie einen Fuß auf das Gelände seiner Farm setzen, sondern sperrt sie lediglich in eine nahegelegene Scheune. Erst als die Gruppe um Rick von diesem Hort erfährt und alle Untoten kurzerhand niederschießt, erkennt Hershel in welche Gefahr er seine Familie gebracht hat. Er begreift, dass sich seine Hoffnung auf ein Heilmittel wohl niemals erfüllen wird.

Anschauungsunterricht aus der Flimmerkiste?

Alles in allem ist TWD also mehr als ein blutiges Zombie-Gemetzel. Für Erfinder Robert Kirkman liefern die Monster gar nur den erzählerischen Rahmen, innerhalb dessen die beteiligten Charaktere mit überraschenden Zwickmühlen zurechtkommen müssen. Der Zuschauer wird dabei immer wieder zur Selbstreflexion gebracht: Wenn alle gesellschaftlichen Regeln zerfallen, wer bist du dann noch – ohne die Unterstützung von Gesetzeshütern, Regierung und Militär? Wie weit bist du bereit zu gehen, um diejenigen zu schützen, die du liebst? Welche gesellschaftlichen Tabus wirst du brechen? Die Serie liefert auf all diese Fragen zwar keine unmittelbare Antwort, doch sie zeigt, dass ein Mensch auch in einer Extremsituation wie der Apokalypse durchaus noch moralischen Standards folgen kann.

Fotos: flickr.com/carnagenyc (CC BY-NC 2.0), flickr.com/Paul Downey (CC BY 2.0),  flickr.com/Julia Manzerova (CC BY-ND 2.0)


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Mythos Zombie

Wenn die Welt untergeht

Gewalt als Attraktion

Der Silberstreif am Horizont: Die kritische Dystopie

Von Antje Günther

Mit den 80er Jahren begann ein neues Stück  dystopischer Genregeschichte. Waren die Bemühungen von Winston & Co. noch zum Scheitern verurteilt, macht sich nun eine neue Hoffnung breit: die Hoffnung auf Besserung. Der Leser ist nicht mehr der Einzige, der auf eine bessere Zukunft hoffen kann, auch die Figuren haben eine Chance auf ihr persönliches Glück. Entstanden in einer Zeit des Rückschritts und der Kommodifizierung, reflektieren die Erzählungen dabei nicht nur ihre Zeit sondern auch sich selbst.

Feminismus, Cyberpunk und die Entstehung der kritischen Dystopie

Dominierte die klassische Dystopie bis in die 50er Jahre das Feld, so kam es mit dem Aufkommen der politischen Gegenkultur der 60er und 70er-Jahre zum Umschwung. Die utopische Literatur erlebte ihr erstes großes Revival seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Autoren wie Ursula Le Guin und Joana Russ formten eine neue Art der Utopie, die sich ihrer Grenzen deutlich bewusst war und  ihren Fokus eher auf den gesellschaftlichen Wandel in Richtung der Utopie, als auf die Utopie als Endprodukt legte. Diese offene, selbstkritische Form der Utopie mit Einflüssen aus der feministischen Bewegung und dem New-Left-Movement, schließlich auch critical utopia genannt, kam in den 80er Jahren zu einem abrupten Ende. Das zunehmend konservative und fundamentalistische Gesellschaftsklima verstärkte die dystopischen Tendenzen in Literatur und Film wieder. Gepaart mit Einflüssen aus dem Cyberpunk entstanden düstere Versionen der Folgen dieser Entwicklungen, zu sehen in Filmen wie Ridley Scotts Blade Runner (1982/1992/2007) oder dem Roman Neuromancer (1984) von William Gibson. Erschienen diese Darstellungen noch nihilistisch und ausweglos, so entstanden gegen Ende der 80er Jahre Erzählungen, die einen Hoffnungsschimmer erkennen ließen. Durch die Weiterentwicklung des Cyberpunk vom männlich-dominierten, fast schon hypermaskulinen Genre hin zum Second Wave oder Feminist Cyberpunk, traten nicht nur vermehrt Frauen als Protagonisten in Erscheinung, auch die Haltung änderte sich. Die Rebellion sowohl gegen die aktuelle gesellschaftliche Situation – insbesondere gegen den Kapitalismus – aber auch gegen Genre Konventionen und Erwartungen trat nun in den Mittelpunkt. Die kritische Dystopie als inhaltlich und formal oppositionelle Erzählung war geboren.

Von Kapitalismus und Frauenrechten: die Themen der kritischen Dystopie

2507405303_4fe4ba6979_zDie Themen der kritischen Dystopie sind natürlicherweise stark vom Cyberpunk beeinflusst: Insbesondere der Kapitalismus und der technische Fortschritt spielen eine besondere Rolle. Künstliche Menschen in allen Variationen –Androiden, Roboter, künstliche Intelligenzen, Supercomputer – bevölkern die Megacities, die in der Regel das Setting bilden und von riesigen Cooperations beherrscht werden. Der Unterschied zwischen Mensch und Maschine und die Frage, was es eigentlich bedeutet ein Mensch zu sein, stehen deutlich im Fokus. War in der klassischen Dystopie noch ganz klar der Staat das Feindbild, so verschwimmt dieses nun und wird nur teilweise durch die brutalen und rücksichtslosen Geschäfte der Cooperations ersetzt. Neben den Einflüssen aus dem Cyberpunk ist auch die feministische Tendenz der Werke klar erkennbar. Die überwiegend von Frauen verfassten Erzählungen der feministischen Dystopie stellten in der Regel eine weibliche Hauptfigur in den Mittelpunkt und zeichneten dystopische Welten, die vor allem für Frauen besonders gefährlich sind. In ihnen ist insbesondere die sexuelle Gewalt gegen Frauen alltäglich. Autoren wie Octavia Butler kombinierten dies zusätzlich mit Szenarien der Rassendiskriminierung und ökonomischer Ungleichheit, wie beispielsweise in ihren Parable-Büchern*.

Die Festlegung auf die Unfestlegbarkeit: die Form der kritischen Dystopie

Genau der Akt der Vermischung ist es letztendlich, der die kritische Dystopie ausmacht. Die Werke lassen sich nicht mehr klar einem Genre zuordnen; sie dehnen und verwischen die Grenzen zwischen den Genres und kombinieren sie zu einer Kritik an der gesellschaftlichen Situation der Gegenwart. Es sind hybride Texte, die selbstreflexiv Konventionen aus verschiedenen Genres verknüpfen und ihre Werke somit nicht nur inhaltlich sondern eben auch formal oppositionell gestalten. So mischen die bereits genannten Parable-Bücher beispielsweise Aspekte des Subgenres Survival-Science-Fiction mit Elementen aus der Sklavenliteratur und präsentieren diese in Tagebuchform. Ihre mannigfaltigen Formen und Themen machen die Festlegung der kritischen Dystopie deshalb so schwierig. Sie ist kein pures, klar umrissenes Genre, wie es die klassische Dystopie mit ihren klaren Strukturen noch war, sondern lebt gerade von ihrer Vagheit, ihrer Unfestlegbarkeit.

So überrascht es vielleicht nicht, dass sich die meisten der Erzählungen doch auf eine Sache festlegen lassen: ihr offenes Ende. Die Werke enden meist weder mit dem Scheitern des Protagonisten noch mit einem Happy End. Sie enthalten vor allem eins: Hoffnung, den utopischen Impuls aus den 70er Jahren, dass es vielleicht doch besser wird, ohne sich aber darauf festzulegen. Sie ermöglichen den unterdrückten Protagonisten der Dystopie Hoffnung und eröffnen damit auch die Möglichkeit der Kritik, beispielsweise für unterdrückte  Minderheiten. So sind sie gleichzeitig beides: Utopie und Dystopie, hoffnungsvoll und pessimistisch. Und eben vor allem eines: kritisch.

*Parable of the Sower (1993); Parable of the Talents (1998), Octavia Butler

Fotos: flickr.com/Torley (CC BY-SA 2.0), flickr.com/Séb (CC BY-NC 2.0)


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Mark auf dem Mars

Von Roman van Genabith

Der Film The Martian – (deutscher Titel „Der Marsianer – Rettet Mark Watney“) nach dem Drehbuch von Drew Goddard und unter Regie von Ridley Scott, versucht in 144 Minuten einen Roman von rund 500 Seiten wiederzugeben; einen komplexen Plott, der eine komplexe Thematik behandelt.

Kann das gelingen?

Die Kollegen von raumfahrer.net betrachten das Werk mit Blick auf die Tradition der Mars-Filme. Im Folgenden sollen in einer vergleichenden Betrachtung von Buchvorlage und Film die erzählerischen Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Buchvorlage und Film beleuchtet werden. Die Romanvorlage ist Reelle Science-Fiction auf Tuchfühlung zum heute Möglichen, etwa vergleichbar mit GRAVITY (2013). Bleibt dieser Umstand im Film  bestehen? Abschließend wird noch kurz auf verschiedene interessante crossmediale Vertiefungen und Anschlussveröffentlichungen eingegangen.

Was passiert?

DF-05028_1400Während einer auf 30 Tage angelegten Mars-Expedition kommt es zu einem heftigen Sandsturm, während die Besatzung gerade dabei ist Bodenproben zu sammeln. Die Kommandantin beschließt die Mission abzubrechen und mit dem Rückkehrmodul (MRM) zu starten, das bei weiter steigenden Windgeschwindigkeiten zu kippen und die Crew somit zum Tode auf dem Mars zu verurteilen droht. Doch auf dem Weg zum Rückkehrmodul wird der Botaniker Mark Watney von umherwirbelnden Trümmern der Antennenanlage getroffen und vom Team getrennt. Dabei wird sein Biomonitor zerstört und seine Kameraden halten ihn für tot. Schließlich sind sie gezwungen zu starten, um nicht selbst getötet zu werden.

Die Geschichte entwickelt sich fortan um den widererwarten nicht ums Leben gekommenen Mark Watney, sowie die Vertreter der Raumfahrtorganisationen und die mediale Öffentlichkeit auf der Erde, die mit der unerwarteten Tragödie umgehen müssen.

Rascher Fortschritt

Schon früh zeigt sich, dass die Filmcrew versucht sich möglichst an der Romanvorlage zu orientieren und dabei auch auf Details achtet. So versucht der Pilot der Mission durch Zündung der Steuerdüsen das Rückkehrmodul zu stabilisieren, als Dieses zu kippen droht und erklärt das auch. Diskrepanzen ergeben sich vor Allem im Tempo. Während der Roman in ausgedehnten Passagen und unter Nutzung verschiedener Zeitsprünge die Zeit nach dem unglücklichen Aufbruch der Crew und die ersten Tage und Wochen danach schildert, ohne dabei anstrengende Längen zu entwickeln, ergibt sich im Film ein gefühlt recht rascher Handlungsfortschritt. Nachdem Mark, vom Antennenstück aufgespießt und in Folge starkem Druckverlusts schon ohnmächtig, durch den Sauerstoffalarm seines Expeditionsanzugs wieder zu sich kommt, wird sein Überlebenskampf und die Rückkehr in die Wohnkuppel recht ausführlich und anschaulich gezeigt. Die Romanvorlage geht hier sehr detailreich auf die Funktion der Anzüge und die Umstände, die Marks sofortigen Tod in dieser Situation verhindern ein, während der Protagonist im Film nach einer eindrücklichen „Operation“ an sich selbst knapp erläutert, dass das verdickte Blut ein weiteres Entweichen von Anzugluft verhinderte.

In beiden Fällen wird Mark zum einsamen, aber selten verzweifelten oder tragischen Helden. Während er im Roman recht lange davon überzeugt ist unausweichlich sterben zu müssen, ohne dass dadurch spürbare Verbitterung aufkommt, wirkt es im Film oft wie ein gefährliches, aber letztlich doch fantastisches Abenteuer, ein Road-Movie in ungewohnter Umgebung. Das mag einerseits über den wahren Ernst von Marks Lage hinwegtäuschen, spiegelt aber auch die ungeheure Improvisationsgabe und den eisernen Lebenswillen realer Astronauten wieder.

Die rettenden Kartoffeln, die Mark Watney in beiden Versionen pflanzt und so sein mehrjähriges Überleben auf dem Mars sichert, findet er im Buch erst relativ spät in Form einer Thanksgiving-Überraschung im Missionsgepäck, im regulären Proviant befindet sich nichts biologisch aktives. Im Film tauchen sie dagegen einfach auf, und zwar recht bald nachdem Mark Inventur gemacht hat. Während ihm, ein ordnungsgemäßes Funktionieren der autarken Lebenserhaltung der Station, die nur für 31 Tage konzipiert wurde vorausgesetzt, Luft und Wasser nahezu unbegrenzt zur Verfügung stehen, verhungert er, wenn er keine eigene Nahrung erzeugen kann. Allerdings bleibt ihm, bedingt durch die drastisch gesunkene Anzahl an Stationsbewohnern, ein komfortabler Zeitvorrat. Dieser Umstand ermöglicht es Buch und Film die Handlung nicht als hektischen Wettlauf gegen die Uhr darzustellen.

Unterschiede im Detail

DF-07708sm_1400Mark pflanzt Kartoffeln. Dafür muss er Ackerland urbar machen und benötigt somit Erde. In beiden Versionen holt er Mars-Erde in die Wohnkuppel, ein extrem aufwendiger, Zeit- und Kräftezehrender Prozess. Die häufigen Außeneinsätze verschleißen zudem die Raumanzüge. Deren hat er zwar jetzt Mehrere, trotzdem macht ihm die unumkehrbare Verschmutzung der CO2-Filter im Buch Sorgen. Im Film verläuft diese Phase relativ zügig. Eine gewisse Simplifizierung ist auch zu beobachten, als der Film nicht auf die genaue Prozedur der Erzeugung von Wasser eingeht, das Mark für seine Kartoffelfarm in weit größeren Mengen, als ihm zur Verfügung stehen, benötigt. Die Elektrolytische Reaktion und die durch Marks Unaufmerksamkeit ausgelöste heftige Explosion werden gezeigt, die Notwendigkeit den Sauerstoffanteil im Habitat durch eine komplette Stickstoffatmosphäre zu ersetzen, inklusive des nicht trivialen Kunststücks dies gegen die Lebenserhaltenden Routinen der Elektronik hinzubekommen, entfallen.

Solche Ungenauigkeiten und Vereinfachungen treten immer wieder auf. So verfügt Mark im Buch über zwei funktionierende Rover mit eigener Druckbeaufschlagung, im Film ist es nur noch einer. Dennoch benötigt er für den später notwendigen langen Weg zum Landeplatz der Nachfolgemission im Grunde deren zwei. Mark braucht den zusätzlichen Platz, um dort die Luft- und Wasseraufbereiter unterzubringen, die er zuvor aus der Basis ausbaut. Auch darauf geht der Film nicht ein, obwohl es eine Kernnotwendigkeit für Marks Lebensentscheidende Reise zum Ares IV Landeplatz ist. Schließlich hat Mark eine Art Anhänger für seinen funktionierenden Rover. Als Mark die Pathfinder-Sonde, die 1997 auf dem Mars landete und rasch verstummte, birgt und als Kommunikationsrelay verwendet, wird der im Buch höchst umständliche und herausfordernde Transport der Sonde, als auch deren Unterbringung außen an der Wohnkuppel, deutlich zügiger und glatter durchgebracht.

Diese Simplifizierung zeigt sich besonders krass bei dem Unfall, der die Wohnkuppel dekomprimiert und Marks Kartoffelfarm zerstört. Mark, der gerade die Kuppel verlassen möchte, wird durch die explosive Dekompression hinweggeschleudert, als die Luftschleuse, die er benutzt, aufgrund von Materialermüdung explodiert. Dabei wird in Buch und Film Marks Raumanzug und Helmvisier schwer beschädigt. Im Buch dauert diese Krise für Mark viele Stunden, während denen er im Inneren der dutzende Meter weggeschleuderten Schleuse zwar noch am Leben ist, da der Innendruck noch stabil ist, durch den zerstörten Helm aber zunächst keine Chance hat einen der Rover zu erreichen, die nach dem Verlust der Wohnkuppel seine letzte Chance sind. Sich und seine Schleusenkammer mit akrobatischen Kunststücken zurück zur Wohnkuppel zu rollen, dort unter den Trümmern einen intakten Raumanzug zu finden, nachdem sein Eigener nur äußerst notdürftig und für wenige Minuten zu flicken war, und schließlich einen Rover zu erreichen, um dann den Wiederaufbau der Kuppel zu planen, ist im Buch eine sehr ausgedehnte Episode und wird im Film zwar dramatisch, aber zügig abgehandelt.

Eine weitere, für Mark lebensbedrohliche Krise, entfällt im Film vollständig. Auf seiner über 3000 km langen Reise zum rettenden Fluchtschiff gerät er in einen marsianischen Staubsturm. Anders als die heftigen Sandstürme zu Beginn ist dieses Phänomen zwar für die beobachtenden NASA-Forscher auf den Satellitenbildern klar erkennbar, zeigt sich Mark aber zunächst nicht. Der Effekt wird lediglich in einem langsamen, aber stetigen Verlust an Arbeitsleistung spürbar, die Marks aus der Wohnkuppel ausgebaute Solarpanele erbringen. Das wird durch die sinkende Lichtdurchlässigkeit der Atmosphäre bewirkt und als Mark die richtigen Schlüsse zieht, ist er bereits mehrere Tage in die Ausläufer des Phänomens eingetaucht und es ist im Grunde zu spät für ihn es zu umfahren oder umzukehren. Dennoch findet er einen Weg. Dieser ist zwar nachvollziehbar, zugegebenermaßen aber nur schwer filmisch darstellbar. Diese Episode ist im Buch eine ausgedehnte Krise, die sich viele Tage hinzieht und weniger durch sichtbare Action, als durch analytisches und planvolles Handeln entschärft wird.

Deutliche Diskrepanzen zu Gunsten filmischer Dramatik sind bei der Rettung Marks durch die Hermes, das interplanetare Raumschiff, mit dem die Astronauten des Ares-Programms zwischen Mars und Erde pendeln, zu konstatieren. Während die Demontage des Rückkehrmoduls der Ares IV zwecks Gewichtsersparnis, um einen höheren Orbit erreichen zu können, glaubhaft abläuft und der Film auch beim Start, dem Anpassen von Abfanggeschwindigkeit und Distanz nah am Buch bleibt, weicht er ab, als die Distanz am Ende trotz aller Bemühungen zu groß ist, um Mark einzusammeln. Während das Buch hier eine kühne Idee Marks erwähnt, bei der er seinen Anzug aufschneidet und durch ausströmende Luft am Handschuh Diesen als Schub- und Steuerdüse verwenden möchte, diese Idee von aber der Kommandantin verworfen wird, greift er im Film darauf zurück. Auch geht die Kommandantin statt des Arztes Chris Beck nach draußen, um Mark zu holen. Eine eher zweifelhafte Änderung, da Beck bereits in Position und Zeit ein kritischer Faktor ist.

Gemeinsamkeiten

Obwohl das Drehbuch hier und da vom Roman abweicht und Manches vereinfacht, bleibt es bei Vielem auch nah am Original. So sind zahlreiche Dialogstellen, etwa in Marks Videolog, das in Film und Buch eine zentrale Erzählkomponente darstellt, fast Wortgetreu übernommen worden. Die vertrackten Umstände, durch die die erste Sonde mit Versorgungsgütern in brennenden Trümmern ins Meer stürzte, werden nachvollziehbar präsentiert. Auch der teils extreme Zeitversatz, bedingt durch die doppelten Signallaufzeiten der Botschaften zwischen Mars und Erde, werden akkurat übernommen. Die Gesamtstimmung im Buch findet der Zuschauer im Film ebenfalls wieder. Auf überzogene Dramatik und Emotionalität wird weitgehend verzichtet. Es dominiert fast durchgängig ein Klima zurückhaltender Hoffnung, durchsetzt mit trockenem, aber nicht bitterem Humor.

Interessant: Trotz Beteiligung Chinas, dessen Verhältnis zur westlichen Welt traditionell gespannt ist, schaffen es Buch und Film politische Ränkespiele minimal zu halten. Zu keinem Zeitpunkt wird von einem der beteiligten Akteure erwogen den Einsamen vom Mars einer knappen Budgetpolitik zu opfern. Viel mehr fiebert  am Ende die ganze Welt dem Ausgang der riskanten Aktion entgegen, was sich sehr treffend im Untertitel der deutschen Synchronisierung des Films widerspiegelt: Rettet Mark Watney. Hier hat das filmische Medium einen Vorteil: Die gespannt wartenden Massen, die sich rund um die Welt versammeln, um den Übertragungen der Fernsehstationen zu folgen, können ins Bild gebracht werden.

Ein spezieller Unterschied zum Buch ergibt sich über dies zum Schluss. Während häufig Filme nach der finalen Schlusskrise und der Erfüllung, oder dem Tod Aller, zu Ende sind und Bücher noch einen Epilog aufweisen, ist es hier anders herum. Das Buch endet mit der Rettung Marks im Orbit des Mars. Im Film wird er als Lehrer für Astronautenanwerter gezeigt, den Abschluss bildet der Start einer weiteren bemannten Mission des Raumfahrtprogramms; eine schöne Botschaft: Die Reise geht weiter.

Implikationen

Der Marsianer ist Real-Science-Fiction, die sich in weiten Teilen an existierender Technologie und Organisationsstrukturen orientiert. Die Mission liegt wenige Jahrzehnte in der Zukunft. Sie greift zum Teil auf Technologie zurück, die noch nicht gebaut wurde, die aber in der Theorie plausibel durchgerechnet und machbar ist. Im Speziellen zu nennen ist hier das interplanetare Raumschiff, das in dieser Form mit Nuklearer Energieversorgung, Ionenantrieb und durch Rotation erzeugter künstlicher Schwerkraft zwar denkbar ist, jedoch noch nie gebaut wurde.

Kritiker vergleichen den Film mit dem SF-Blockbuster Interstellar, doch auf den zweiten Blick greift dieser Vergleich nicht. Einerseits kommt Der Marsianer ohne die Notwendigkeit zur Brechung physikalischer Gesetze aus, durch den einfachen Umstand, dass eine zentrale Zutat der meisten Science-Fictionwerke, Reisen mit Überlichtgeschwindigkeit, hier nicht vorkommt. Warpantriebe oder Wurmloch, obgleich Bestandteil zahlreicher großartiger Filme und Serien, sind hier nicht nötig, um eine spannungsgeladene, aber weitgehend realistische Handlung zu schaffen. Auch gibt es bei Der Marsianer nicht den Bruch, den viele Filme dieses Genres im letzten Drittel ihrer Laufzeit aufweisen. Ein Solcher bleibt auch bei Interstellar nicht aus, dessen Plot gegen Ende zunehmend ins Absurde abgleitet und nicht mehr nachvollziehbar ist.

Fazit

Auch ein anderes viel bemühtes Klischee speziell der Mars-Filme kann Der Marsianer vermeiden: Es ist auf absehbare Zeit weder wünschenswert, noch angestrebt, dauerhafte Kolonien auf dem Mars oder einem anderen Himmelskörper im Sonnensystem zu errichten. Während die Initiative Mars One einen Plan zur Gründung von Mars-Kolonien betreibt, zeigt das vorliegende verfilmte Buch eindeutig die Unsinnigkeit dieser Idee. Der Mars ist wissenschaftlich ein spannendes Ziel für Generationen, das rechtfertigt dessen Erforschung, vielleicht zukünftig auch unter Beteiligung von Menschen. Aber seine Umwelt ist beinahe so tödlich wie der Weltraum. Und auch Mark Watney ist die ganze Zeit des Films über bestrebt zu seiner Heimat zurückzukehren. Er ist somit ein Terraner.

Crossmediale Rezeption

Der Film, der überwiegend wohlwollende bis eindeutig positive Kritiken erhalten hat, brachte inzwischen einige intermediale Ergänzungen hervor. So veröffentlichten verschiedene Raumfahrtagenturen, darunter das zur ESA gehörende Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) Aufnahmen, die Handlungsorte des Films auf Basis von Aufnahmen zeigen, die heutige Mars-Sonden geliefert haben. Dazu zählt unter anderem ein Überflugvideo, das von deutschen Planetenforschern erstellt wurde und Marks Weg von seiner Wohnkuppel zum Landeplatz der Nachfolgemission zeigt, wo er sein Rettungsgefährt besteigt. Der Mars wirkt in diesem Video noch ein Stück unfreundlicher, viele Felsen, weniger Sand, weniger rot. Kein Ort zum Bleiben.

In einem für iPhone- und iPad erschienen Spiel müsst ihr Mark am Leben halten und durch seine Mission führen. Der Marsianer profitiert von Handlungsorten, die zwar hinter dem irdischen Horizont liegen, aber dennoch nicht aus der Welt sind.

Fotos: © 2015 20th Century of Fox

Roman van Genabith ist freier Journalist und unter Anderem Autor für das Astronomieportal raumfahrer.net.  Ferner schreibt er für ein Apple-Magazin und ein ostwestfälisches Nachrichtenangebot.

Silicon Valley: Die Tech-Elite unter sich

Von Valerie Heck

In den vorherigen Kapiteln war immer wieder die Rede von Google, Facebook oder Apple und all diese Firmen haben eine Gemeinsamkeit: Sie haben ihren Sitz in Silicon Valley, einer kleinen Industrieregion in der Nähe von San Francisco. Dort sind viele der weltgrößten Hightech-Firmen der Telekommunikations-, Computerhardware- und insbesondere der Softwareindustrie angesiedelt. Andrew Keen bezeichnet das Silicon Valley in seinem Buch „Das digitale Debakel“ als „Epizentrum des 21. Jahrhunderts“. Wer als Ingenieur oder Informatiker dort arbeitet, hat es geschafft. Nicht nur aufgrund der exklusiven Job- und Weiterbildungsmöglichkeiten, sondern auch wegen der einzigartigen Arbeitsbedingungen in Silicon Valley. Der Arbeitgeber bietet seinen Angestellten von Freizeitangebot bis Steuererklärung jeden Service an, damit diese ihre gesamte Zeit und Mühe der Arbeit widmen können. Doch das Ganze hat auch eine negative Seite: Die Tech-Elite sondert sich von dem Rest der Gesellschaft ab. Darüber sind in Silicon Valley und San Francisco nicht alle glücklich.

„Ein exklusiver Privatclub“

Silicon Valley2Das Problem der Region ist ein immer größer werdendes wirtschaftliches Gefälle zwischen den Mitarbeitern von Technologieunternehmen und den restlichen Bewohnern. Denn inmitten des wirtschaftlichen Aufschwungs, der steigenden Unternehmensgewinne und der Rekordbörsenzahlen wurden über 40.000 Arbeitsplätze seit 2000 abgebaut; die Zahl der Obdachlosen ist um 20% gestiegen und es mussten immer mehr Lebensmittelmarken verteilt werden. Auch die Mieten von durchschnittlich 3250 Dollar in San Francisco kann sich kein Normalverdiener mehr leisten. Vermieter kündigen ihren Mietern die Wohnung mit Anspruch auf Eigenbedarf und bieten sie dann Firmen teurer an. Die quirligen Viertel von San Francisco werden für die Mitarbeiter der Hightech-Firmen gentrifiziert.

Kurz: Es findet ein „tech takeover“ statt, wie die unglücklichen Bewohner es bezeichnen. Die Leute kommen von überall nach San Francisco, zahlen die teuren Mieten und verdrängen die Alteingesessenen. Dabei bringen sie den Händlern in den Vierteln mit ihrem Geld nicht einmal ein gutes Geschäft. Sie werden fast rundum von ihrer Firma versorgt und wenn sie doch einmal etwas brauchen, gehen sie dort einkaufen, wo es schnell und effektiv geht – in Ketten. Händler verlieren ihre Kundschaft, Schriftsteller und Künstler werden verdrängt, kleine Läden werden geschlossen und auch Lehrer, Automechaniker oder Feuerwehrleute können sich das Leben dort nicht mehr leisten und gehen.

Die Stadt ist in von Arbeitslosigkeit, Armut und Kriminalität zerrüttete Ortsteile und reiche, autarke Technologiezentren gespalten. Google, Apple und Facebook haben sich von der physischen Realität der verarmten Gemeinden abgekoppelt und machen die Stadt San Francisco fast zu einem „exklusiven Privatclub“, wie es Andrew Keen in „Das digitale Debakel“ schreibt. Gourmetkantinen, Babysitter, Fitnessstudios, Waschsalons, medizinische Versorgung und sogar Wohnräume werden den Mitarbeitern von Hightech-Unternehmen kostenlos angeboten, während der Rest der Stadt immer ärmer wird.

Ein Symbol für das wirtschaftliche Gefälle

Silicon Valley (1)Das sichtbarste Symbol für den wirtschaftlichen Graben zwischen der Tech-Elite und dem Rest der Gesellschaft ist der „Google-Bus“, wie er von Rebecca Solnit bezeichnet wird. Während die „normalen“ Bewohner von San Francisco gegen einen bescheidenen Fahrpreis mit den alten so genannten Muni-Bussen mit orangefarbenen Logos zur Arbeit fahren, werden die Mitarbeiter des Silicon Valleys kostenlos mit luxuriösen Bussen mit verspiegelten Scheiben und Internetanschluss abgeholt und zur Arbeit gebracht. Und obwohl die „Google-Busse“ nicht für alle, sondern eine private Dienstleistung privater Unternehmen sind, fahren sie ebenso wie die Muni-Busse öffentliche Haltestellen an und nutzen städtische Infrastruktur, die dadurch abgenutzt wird, ohne, dass sich die Unternehmen an deren Instandhaltung beteiligen müssen.

Silicon Valley (2)Durch die „Google-Busse“ wird nicht nur das wirtschaftliche Gefälle, sondern auch die Wut der altansässigen Bewohner sichtbar. Fast jeden Tag gibt es Demonstrationen gegen und Angriffe auf die Busse. Es wurden sogar private Sicherheitsdienste von den Firmen eingestellt, um die Fahrgäste vor den aufgebrachten Anwohnern zu schützen. Mittlerweile konnte erzielt werden, dass die Firmen bescheidene Gebühren für das Halten an öffentlichen Haltestellen zahlen müssen, doch das Problem ist nicht aus der Welt.

Qualifiziertes Personal kostet seinen Preis

Nun stellt sich die Frage, wie dieser „exklusive Privatclub“ der Tech-Elite in Silicon Valley und San Francisco entstehen konnte? Warum bekommen die Technologiekonzernmitarbeiter dort alles und sondern sich so vom Rest der Gesellschaft ab?

Einer der wichtigsten Gründe ist wahrscheinlich, dass nur in Kalifornien Mitarbeiter die Firma nach Belieben wechseln können, wenn anderswo mehr Geld, Aktienoptionen oder Kopfprämien locken. Denn nur dort wird die Klausel um Konkurrenzausschluss nicht anerkannt. Das macht den Druck für die Firmen auf das Werben um neue Mitarbeiter und das Halten von alten Mitarbeitern größer. Sie müssen mit einem durchschnittlich um 20% höherem Gehalt als in der Branche in den USA üblich und einem Rundum-sorglos Paket locken. Google hat mit diesem Trend angefangen. Das Management versucht bei harter Konkurrenz die Mitarbeiter mit 30 Kantinen, Fahrrädern, Sporteinrichtungen, Massagesesseln und den „Google-Bussen“ bei Laune zu halten . Und da müssen andere Unternehmen natürlich mithalten. Es ist ein Werben um qualifiziertes Personal, unter dem der Rest der Region leidet.

Die Zukunft des Silicon Valleys

Doch nicht nur in Silicon Valley haben die Hightech-Unternehmen viel Macht, auch der Rest der Welt ist in vielen Bereichen von der Tech-Elite abhängig. Marktbeherrschende Suchmaschinen, Betriebssysteme und soziale Netzwerke, die, wie die vorherigen Artikel dieser Reihe zeigten, Alltag und Arbeit der Menschen beeinflussen, kommen aus Silicon Valley. Und nicht nur private Nutzer, auch große Firmen und Staaten sind den Hightech-Konzernen ausgeliefert. Deswegen plädieren Politiker wie Günther Oettinger für europäische Alternativen.

Aber wird das wirklich immer so weiter gehen? Wird Silicon Valley seine Macht immer weiter ausdehnen? Der US-amerikanische Ökonom und Gesellschaftskritiker Jeremy Rifkin ist skeptisch. Er sagt: „Die digitalen Innovationen der Zukunft werden sich um erneuerbare Energien, Internet of Things und vernetzte Logistik drehen und nicht mehr um Plattformen und Services.“ Wenn die Digitalisierung von analogen Inhalten ausgeschöpft ist und die Produktion und Manufaktur wieder eine größere Rolle spielen, liegen seine Hoffnungen auf Europa und China, da die USA technologisch und infrastrukturell eher rückständig sei. Doch auch das Silicon Valley hat diese langfristige Veränderung des Marktes schon bemerkt und startet neue, analoge Projekte. So plant Google zum Beispiel die Entwicklung eines selbstfahrenden Autos und macht deutschen Großunternehmen wie VW Konkurrenz. Es zeigt sich, „Silicon Valley kann mehr als nur Internet“ und wenn die Entwicklung es verlangt, werden auch die Unternehmen dort neu ausgerichtet. Daher wird die Tech-Elite wahrscheinlich auch in Zukunft ihre Vorzüge genießen und sich vom Rest der Gesellschaft abspalten können.


Fotos: flickr.com/Patrick Nouhailler (CC BY-SA 2.0), flickr.com/Maria Ly (CC BY 2.0), flickr.com/Paul Sullivan (CC BY-ND 2.0), flickr.com/Chris Martin (CC BY 2.0)

Smart Home: Vernetztes Wohnen heute und in Zukunft

Von Anita Mäck

Das Internet der Dinge ist inzwischen fast überall. Der Personal Computer wird zunehmend durch kleine, intelligente Computersysteme ersetzt. z.B. smarte Uhren, Datenbrillen oder Fitnessmessgeräte. Wir vernetzen nicht nur uns selbst, sondern auch Umgebungen, in denen wir uns regelmäßig aufhalten, wie unser Auto oder das Zuhause. Seitdem ein Australier im Urlaub auf Mauritius 2011über eine Smartphone-App einen Einbrecher in seinem Haus in Sydney entdeckt hatte und die Polizei informieren konnte, ist beispielsweise das Thema intelligente Sicherheitstechnik im eigenen Heim von großem Interesse.

Sicherheit ist neben Energie, Multimedia und Haushaltsgeräten nur ein Bereich von vielen, die zur intelligenten Haussteuerung, dem Smart Home, beitragen. Die Vorstellung vom vollständig vernetzten Haus, in dem sich verschiedene Vorgänge per Klick über ein Tablet oder Smartphone steuern lassen, klingt zugegebenermaßen verlockend. Welche Marktentwicklung wird künftig zu beobachten sein? Wie steht es um die Netzwerksicherheit? Um auf diese Fragen einzugehen, stellt sich zuerst die grundlegende Frage, was der Begriff Smart Home eigentlich bedeutet.

Das selbstständige Haus

Verschiedene Branchenverbände, deren Mitgliedsunternehmen gemeinsam den Smart-Home-Markt gestalten, haben sich zu der Fokusgruppe Connected Home vereint. Daraus entstand folgende Definition: „Smart Home dient als Oberbegriff für technische Verfahren und Systeme in Wohnräumen und -häusern, in deren Mittelpunkt eine Erhöhung von Wohn- und Lebensqualität, Sicherheit und effizienter Energienutzung auf Basis vernetzter und fernsteuerbarer Geräte und Installationen sowie automatisierbarer Abläufe steht.“

Wie kann man sich die Anwendung dieser Installationen im Alltag vorstellen? In der Küche ist z.B. ein großes Display angebracht, das anzeigt, mit welcher Drehzahl die Waschmaschine im Keller gerade den Schleudervorgang leistet und zu welcher Tages- oder Nachtzeit es sich anbieten würde, die nächste Ladung Geschirr stromsparend reinigen zu lassen. Jalousien, Lüftung und Heizung lassen sich etwa über Sensoren so aufeinander abstimmen, dass stets ein angenehmes Klima herrscht. Ein Raum wird gezielt geheizt wenn er benutzt wird, z.B. morgens das Bad. Ist niemand im Haus, wechselt die Heizung in einen Ruhemodus, bis ein Bewohner über das Smartphone seine Rückkehr kommuniziert. Allerdings erfordern Smart Home Appliances wie diese mehrere Tausend Euro an Investitionen – eine bislang teure Angelegenheit.

Die multimediale Vernetzung gestaltet sich im Vergleich dazu einfacher und günstiger. Über das Computernetzwerk können digitale Inhalte im ganzen Wohnraum verteilt werden. Musik, Filme oder Bilder lassen sich so von einem zentralen Server auf jedem Bildschirm wiedergeben und übertragen, z.B. vom Wohnzimmer ins Schlafzimmer. Ein weiterer Anwendungsbereich im vernetzten Haus ist Sicherheit. Eine Abwesenheitssteuerung täuscht durch wechselnde Beleuchtung und dem Öffnen und Schließen der Jalousien die Anwesenheit der Bewohner vor. Von der Videoüberwachung bis zur automatischen Alarmierung externer Sicherheitsdienste lässt sich das Haus je nach Bedarf absichern. Ein weiterer Aspekt ist die altersgerechte Unterstützung von Senioren, z.B. durch intelligente Medikamentenschränke, die Arzneimittel richtig dosieren und automatisch eine Nachbestellung an die Apotheke senden, bevor eine Tablettenschachtel leer wird. Intelligente Haussteuerung bringt also zahlreiche Vorteile mit sich. Einige davon werden hier noch einmal anschaulich erklärt.

Zwar sei der Smart-Home-Markt bislang eine Nische, da die Etablierung der Technik aufgrund bisher fehlender Übertragungsstandards und Schnittstellen erschwert sei, so Ralph Niederdrenk von PwC. Anhand einer Studie zu diesem Thema prognostiziert er jedoch ein exponentielles Marktwachstum in den kommenden zwei bis fünf Jahren. Bis 2030 soll Smart Home dann ein reifer Markt sein. Auf dem Weg dorthin muss jedoch noch einiges geschehen.

Technologie der Zukunft: clever, aber noch nicht ausgereift

In Filmen werden intelligente Häuser über ein einziges System bequem vom Tablet aus gesteuert. Das ist in der Gegenwart aber noch nicht der Fall. Computer, Haushaltsgeräte, Heizung und Fernseher verwenden bislang unterschiedliche Sprachen und sind verbunden, aber doch getrennt. Nutzer haben zudem Bedenken, dass ihre Daten im vernetzten Heim nicht ausreichend gegen Hacker-Angriffe geschützt sind. Verschafft sich ein Fremder Zugang zum WLAN, kann er alle Abläufe im Haus einsehen und kontrollieren. So schaut er den Bewohnern etwa beim Homebanking zu. Ist die Haustür mit der Steuerung vernetzt, könnte er sie öffnen. Des Weiteren bleibt im Sinne des Datenschutzes zu klären, inwiefern eine Überwachung von hilfebedürftigen Menschen mit ihrer Würde vereinbar ist, aber im Notfall so effektiv wie möglich hilft. Das Partnernetzwerk Connected Home beschäftigt sich daher intensiv mit der technologischen Weiterentwicklung sämtlicher Smart Home Appliances und den entsprechenden Sicherheitsfragen. Ziel sei es, Geräte über Anwendungsgrenzen hinweg miteinander zu verbinden, einheitliche Bedienstrukturen zu schaffen und Einzelfunktionen zu einer Gesamtlösung zu vereinen. Laut BITKOM (Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V.) überschreitet das Wachstum der Smart-Home-Haushalte in Deutschland selbst bei moderater Schätzung im Jahr 2020 die Millionengrenze. Eine vielversprechende und vor allem spannende Prognose.


Foto: flickr.com/ebayink (CC BY-NC-ND 2.0)

Der errechnete Mensch

Von Miriam Lenz

Unsere Daten sind mittlerweile überall – ob wir sie nun selbst herausgeben (z. B. indem wir ein Nutzerprofil anlegen) oder ob sie abgegriffen werden (z. B. durch die GPS-Funktion im Handy oder Cookies im Netz). Die wenigsten wissen, wer wo welche Daten von ihnen hat. Trotzdem fühlen sich viele nicht bedroht; schließlich hat man nichts zu verbergen. Was macht es schon, wenn jemand durch meine Paybackkarte weiß, was ich einkaufe?! Gleichzeitig haben aber auch immer mehr Menschen ein ungutes Gefühl, weil sie die Warnungen etlicher Experten im Kopf haben, laut denen uns unsere Unvorsichtigkeit noch teuer zu stehen kommen wird. Denn laufend werden unsere Daten gesammelt, an die Wirtschaft verkauft und dort ausgewertet, um dann wiederum gezielt Profit aus uns herausschlagen zu können. Kann man da wirklich noch behaupten, dass das Internet kostenlos ist?

Wem nutzen die Daten?

In der Zukunft und auch jetzt schon fahren wir nicht mehr einfach nur Auto. Wir produzieren dabei am laufenden Band Daten. Das Fahrzeug weiß, wann ich wie wo hinfahre. Es wird mich mithilfe dieser Daten unterstützen und mich z. B. um einen Stau herumlenken oder warnen, wenn mein Fahrstil Anzeichen von Müdigkeit aufweist. Die erzeugten Daten dienen aber nicht nur meiner persönlichen Unterstützung, sondern können auch an Versicherungen verkauft werden. Die Versicherung weiß dann, ob ich ein moderater oder aggressiver Fahrer bin, ob ich oft oder selten fahre und wie oft die Fahrzeugassistenz eingreifen musste. Je nach Daten werde ich teuer oder günstiger versichert werden. Wenn ich einen Unfall habe, werde ich mit hoher Wahrscheinlichkeit kurz darauf per Werbebanner oder Post ein Angebot für einen Neuwagen erhalten. Sei es aufgrund der vom Auto produzierten Daten, weil ich meinen Unfall in einer Mail erwähnt habe oder weil ich auf der Website eines Autoherstellers gesurft bin.

Auch im Bereich Gesundheit geht der Trend hin zu mehr Datensammeln. Fitnessarmbänder und Gesundheits-Apps erstellen ganze Datenbanken über unseren gesundheitlichen Zustand, wofür sich auch die Krankenkasse oder diverse Versicherungen brennend interessieren. Schon jetzt belohnen Krankenkassen die Kunden, die via Gesundheits-App nachweisen, dass sie sich fit halten. Wie lange wird es dann wohl noch dauern, bis diejenigen höhere Beiträge zahlen müssen, die dies nicht tun?

Die systematische Abschöpfung unserer Daten, die Erstellung riesiger Datenbanken und die Auswertung und Verknüpfung unserer Daten dringen in jeden Bereich unseres Lebens vor. Viele Anwendungen und Apps (auch die, von denen man das nicht erwartet) etwa greifen nebenbei Standortdaten, Freundeslisten, Gefällt-mir-Angaben, Adressbücher und Kalender ab. So entstehen sehr genaue Profile über unsere Bildung, Wohnsituation, Beschäftigung, Interessen, Bewegungsverhalten, Finanzen und Gesundheit. Schnell kann es da passieren, dass aufgrund der Datenbasis ein Kredit nicht bewilligt wird oder eine Beförderung bei der Arbeit ausbleibt.

Anhand der errechneten Profile und aufgrund von Statistiken versucht man vorherzusagen, wie man uns am besten manipulieren oder Profit aus uns herausschlagen kann. Apple-Nutzern werden Produkte z. B. oft teurer angezeigt als Windows-Nutzern, weil sie als finanzstärker eingeschätzt werden. Dass der einzelne Mensch unberechenbar bleibt und dass Statistiken irren können, wird der Nachteil des einzelnen sein. Gehört man statistisch zu einer Risikogruppe, kann man das z. B. in Form von teureren Beiträgen zu spüren bekommen. Da hilft es nicht mal, wenn man vorsichtig mit seinen Daten umgegangen ist: Denn je weniger Daten zu einer Person vorliegen, desto weniger ist diese einschätzbar und somit wieder ein Risiko.

Doch es entsteht ein noch verheerenderer Schaden. Wenn ich weiß, dass überall Daten über mich existieren, ich beobachtet und analysiert werde, ändert sich mein Verhalten. Nicht, weil ich glauben würde, dass ich mich falsch verhalte, aber eben doch, um bloß keinen Zweifel aufkommen zu lassen. Ich werde vorsichtiger, verhalte mich konformer, bin weniger kreativ und werde weniger kritisch denken, geschweige denn mich äußern. Das aber entspricht nicht dem Wesen unserer teuer erkämpften freiheitlichen Gesellschaft. Warum der Schutz unserer Privatsphäre so wichtig ist und warum das Argument nicht zieht, dass wer nichts zu verbergen hat, nichts zu befürchten hat, erklärt der Journalist Glenn Greenwald in einem TED Talk. Er gehörte zu den Ersten, die Edward Snowdens Dateien einsehen durften:

Was sagt das Gesetz?

Bisher hatte jeder der 28 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ein eigenes Datenschutzgesetz. Nun ist eine Reform geplant, die den Datenschutz vereinheitlicht und die Rechte der Nutzer stärkt. Unlängst gab es außerdem einen Durchbruch. Der Europäische Gerichtshof gab dem Österreicher Max Schrems recht, als dieser klagte, weil seine auf Facebook erzeugten Daten von der europäischen Niederlassung Facebooks in Irland an die Vereinigten Staaten weitergegeben wurden. Dort konnten bisher die Behörden und der Geheimdienst die personenbezogenen Daten nutzen.

Durch das Urteil dürfen nun Tausende von Unternehmen die in Europa gesammelten Daten nicht mehr an die Vereinigten Staaten weitergeben, dort sammeln und analysieren. Im Zuge dessen wurde nun auch das Safe-Harbor-Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union für ungültig erklärt.

Das Thema Datenschutz ist keine Frage der Wirtschaft oder der technischen Möglichkeiten, sondern primär eine politische und juristische. Nur weil wir keine direkte Bedrohung etwa in Form von Waffen spüren, heißt das nicht, dass wir sicher sind. Mit zunehmender Überwachung entsteht ein Gefängnis in unseren Köpfen, weil wir uns immer die Frage stellen müssen, ob die Daten, die durch unser Verhalten erzeugt werden, an jemanden gelangen könnten, der diese zu unserem Nachteil einsetzt.

Foto: flickr.com/Dennis Skley (CC BY-ND 2.0)

Das Streben nach Perfektion

Von Valerie Heck

Schlauer, aktiver, fitter – dank Technik ist das jetzt möglich. Denn immer mehr Apps und Gadgets werden entwickelt, um den Menschen in seinem Streben nach Optimierung und Perfektion zu unterstützen. Vor allen Dingen im Bereich der Gesundheit und Fitness kann der Mensch immer mehr auf die Unterstützung von Technik bauen. Aber auch die Grenzen des menschlichen Gedächtnisses können beispielsweise mit Kameras, die alle paar Sekunden ein Foto schießen, überwunden werden. Lifelogging heißt der Trend, sein Leben in all seinen Facetten aufzuzeichnen.

„Ein Stück irdische Unsterblichkeit“

Lifelogging (2)

Gordon Bell mit SenseCam

Was als neuster Trend des digitalen Zeitalters gilt, macht Gordon Bell schon seit Jahrzehnten. Dabei trägt der Microsoft-Ingenieur nicht nur bei jedem Schritt, den er macht, eine so genannte SenseCam um den Hals, die alle 20 Sekunden automatisch ein Bild von seiner Umgebung macht. Er speichert auch Artikel, Bücher, CDs, Briefe, Mitteilungen, Präsentationen, private Filme, besuchte Websites, tägliche Aktivitäten und sogar Transkripte von Telefongesprächen und Chats. Sein Ziel ist es, eine lückenlose Enzyklopädie seines Lebens zu erstellen. Das Ganze begann 1998 mit dem Projekt „MyLifeBits“, doch auch nach der Beendung des Projekts 2007 machte Bell mit dem Lifelogging weiter. Nach all den Jahren findet es Bell praktisch, sein digitales Gedächtnis aufrufen zu können

In seinem Buch „Your life, uploaded“ beschreibt Bell die Vorzüge des Lifeloggings: „Man gewinnt mehr Einsicht in sich selbst, die Fähigkeit, die eigene Lebensgeschichte mit proust‘scher[1] Detailtreue nachzuerleben, die Freiheit, weniger im Gedächtnis zu behalten und mehr kreativ zu denken, und sogar ein Stück irdische Unsterblichkeit, weil das Leben im Cyberspace bewahrt wird.“ (Morozov: „Smarte neue Welt“) Für Bell ist das Archivieren seiner Lebensgeschichte ein Versuch, die Grenzen des menschlichen Gedächtnisses zu überwinden.

Auch Software-Pionier Stephen Wolfram protokolliert seinen gesamten Tagesablauf und hat mittlerweile ziemlich verlässliche Daten über sein Verhalten der letzten 25 Jahre gesammelt. Seine Prämisse dabei ist allerdings: Es darf kein Aufwand dahinter stecken, die Daten zu erfassen; das Ganze muss im Hintergrund ablaufen. Technik macht dies möglich: Eine Uhr überwacht seine Herzfrequenz und seine Schritte, sein Computer macht alle 15 Sekunden einen Screenshot, seine Tastatur erfasst jeden Tastendruck, ein Mikrofon nimmt die Geräusche um ihn herum auf und eine kleine Ansteckkamera schießt alle 30 Sekunden ein Bild.

Alle Zeichen stehen auf Optimierung

Tatsächlich spielt die Technik bei dem Drang nach Optimierung eine große Rolle. Es werden Fitnessarmbänder, Smartphone Apps und immer kleinere Ansteckkameras entwickelt, damit die Menschen möglichst alle ihre Daten aufzeichnen und diese zur Optimierung der körperlichen und geistigen Leistung nutzen können.

Und die neuen Gadgets werden von den Leuten angenommen: Sie versehen ihren Körper mit Sensoren, die körperliche Parameter wie Körpertemperatur, Schritte und Herzfrequenz aufzeichnen, tragen nachts Stirnbänder zur Messung der Gehirnaktivität beim Schlaf und lassen sich von Apps vorschreiben, wie viele Kalorien sie heute noch zu sich nehmen dürfen. Kurz: Die Menschen vermessen sich selbst. Dabei ist ihr Ziel häufig die Optimierung des eigenen Lebens – man will mit  Hilfe von Technik fitter, gesünder oder sogar weniger gestresst werden. Seit 2007 wird dieser Trend mit dem Begriff „Quantified-Self“ zusammengefasst. Dabei werden zwei Tendenzen der Zeit vereint: Der Wunsch nach menschlicher Perfektion und der Glaube an die Segnungen digitaler Technologie.

Die Unternehmen freuen sich…

„Alles wird verschlüsselt sein, elektronische Erinnerungen werden in Schweizer Datenbanken lagern, man wird vorsichtig und begrenzt Informationen mit anderen teilen.“ (Morozov: „Smarte neue Welt“) So spricht Gordon Bell vom Speichern der gesammelten Daten – als eine private Angelegenheit. Doch die Wirklichkeit sieht ganz anders aus: Lifelogging findet in der Öffentlichkeit statt. Damit ist nicht nur gemeint, dass Lifelogger die Fotos, die alle 20 Sekunden automatisch geschossen werden, auf verschiedenen Plattformen veröffentlichen, egal wie trivial die Situationen und unscharf die Bilder auch sind, wie diese Aufnahmen mit dem Narrativ Clip zeigen:

Lifelogging (3) Lifelogging (5) Lifelogging (4)

Sondern es ist vor allen Dingen gemeint, dass die Unternehmen durch Apps, Fitnessarmbänder und andere Anwendungen an die Daten ihrer Kunden gelangen und mit Daten lässt sich bekanntlich Geld verdienen. So gibt Travis Bogard von Jawbone, dem Hersteller von Fitnessarmbändern und –apps ganz offiziell zu, dass sein Unternehmen in Zukunft mit Daten und nicht mehr mit Hardware Geld verdienen wolle. Auch das kleine Unternehmen Exist profitiert von den Daten verschiedener Quantified-Self-Anwendungen, indem es diese nach Trends und Korrelationen durchsucht und die Ergebnisse der Analysen an die User verkauft.

Für Stefan Selke, Professor für Soziologie und gesellschaftlichen Wandel an der Hochschule Furtwangen, ist das kommerzielle Interesse an Lifelogging entscheidend für die Verbreitung des Trends und auch der Grund dafür, dass Lifelogging in Zukunft eine immer größere Rolle spielen wird. Unternehmen verdienen an den Daten und an den neuen Geschäftsideen, die sich daraus entwickeln. Denn in Zukunft sollen noch mehr Messungen als Schritt zählen und Puls kontrollieren möglich sein. Google hat bereits ein Patent für ein Armband angemeldet, das Krebszellen erkennen, zählen und am besten noch zerstören soll und wer weiß, was sonst noch in der Zukunft möglich sein wird.

Sinnloser Solutionismus?

Genau diesen kommerziellen Nutzen kritisiert der Autor des Buches „Smarte neue Welt“ Evegny Morozov: „Technologie ist ständig auf der Suche nach Problemen, die sie lösen kann, ohne dass sie einer Lösung bedürfen.“ Diese Tendenz fasst Morozov als „Solutionismus“ zusammen.

Nehmen wir das Beispiel des menschlichen Gedächtnisses, dessen natürliche Lücken für Menschen wie Gordon Bell und andere Lifelogger ein Problem darstellen, das es durch Techniken wie SenseCams, Archivierung und Lifelogging-Apps zu überwinden gilt. Sind die Lücken im Gedächtnis wirklich ein Problem oder manchmal nicht sogar nützlich, wenn man zum Beispiel ein schreckliches Ereignis aus der Vergangenheit verarbeiten möchte. Das Gedächtnis trifft eine Auswahl aus Auslöschen und Bewahren, während der Computer einfach nur speichert. Und wenn man wirklich darüber nachdenkt, braucht man auch Anwendungen wie Fitnessarmbänder oder „Schlafrhythmusüberwacher“ nicht. Doch es werden Probleme wie zu geringe Aktivität oder nicht ideale Tageseinteilung kommuniziert, die die neuste Technik überwinden kann. Und irgendwie ist es auch interessant, die Aktivität des Körpers zu überprüfen und lustig, eine unübersichtliche Menge an Fotos, die automatisch geschossen wurden, zu durchforsten und sich so an Momente zu erinnern, die man sonst wahrscheinlich vergessen hätte.

Es zeigt sich, dass durch die geschaffenen Probleme und die dadurch entwickelte Technik Trends entstehen. Daher werden auch in Zukunft „sinnlose“ Gadgets zur Optimierung des Lebens verwendet werden. Einfach, weil es sie gibt.


Literatur: Morozov, E. (2013). Smarte neue Welt: digitale Technik und die Freiheit des Menschen: Karl Blessing Verlag.

Fotos: flickr.com/N i c o l a (CC BY 2.0), flickr.com/JulianBleecker (CC BY-NC-ND 2.0), flickr.com/Roland Tanglao (CC BY 2.0), flickr.com/Roland Tanglao (CC BY 2.0), flickr.com/Roland Tanglao (CC BY 2.0)

 

[1] In seiner fiktiven Autobiographie „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ versucht der französische Schriftsteller Marcel Proust vergeblich, sich an seine Kindheit und Jugend zu erinnern. Es helfen ihm schließlich eine Reihe von „unwillkürlichen Erinnerungen“ oder Sinnesassoziationen, die Erlebnisse der Vergangenheit auf intensive Weise vergegenwärtigen und damit erinnerbar machen.

Scrollst du noch oder weißt du’s schon?

Von Anita Mäck

Kommunikation funktioniert in unserer Welt längst global. Wir rufen Informationen ab oder stellen sie ein und teilen unser Wissen mit allen Menschen, die einen Zugang zum Netz haben und danach suchen. Währenddessen wächst das Internet kontinuierlich. Sowohl die Anzahl der Server, die Informationen bereitstellen, als auch die Zahl der Nutzer sowie die Intensität der Interaktionen erhöhen sich.

Unsere Erdkunde-Lehrerin in der Schule sagte damals, es sei nicht wichtig alles zu wissen, man müsse nur wissen, wo es steht. Recht hat sie, dachten wir. Ihre Aussage nahm einen gewissen Druck von uns. Das Gefühl, es sei nicht schlimm etwas nicht zu wissen, bezog sich also auf unser Erdkunde-Buch. Heute steht uns eine viel größere Quelle zur Verfügung, das Internet. Das Scrollen auf unseren Smartphones und Tablets ist zur alltäglichen Bewegung geworden. Vergessen wir sie einmal zu Hause, fühlen wir uns nackt. Wie lebt es sich in unserer Informationsgesellschaft? Wie gehen wir mit der Bandbreite an Inhalten um?

Wissen auf dem Silbertablett serviert

Der Begriff der Informationsgesellschaft ist bislang nicht allgemein definiert und wird häufig mit dem der Wissensgesellschaft gleichgesetzt. Er steht für eine Gesellschaftsform, die Informationsverarbeitung, insbesondere über Computer und Internet, nutzt, um Wissen zu teilen. Dies können wir stets erweitern und wiederum anderen Menschen, einschließlich der Ursprungsquelle, zur Verfügung stellen. Durch dieses Verhalten entstand z.B. Wikipedia, die größte Wissensdatenbank der Welt. Der mittlerweile einfache Zugang zu einer mächtigen Bandbreite an Wissen verführt dazu, unmittelbar zum Smartphone zu greifen, wenn man etwas nicht weiß. Im Internet trifft man dann auf Menschen, denen man im realen Leben normalerweise nicht begegnen würde. Oldtimer-Fans etwa tauschen sich in Foren über ihre geliebten Autos aus. Dabei spielt es keine Rolle, dass sie quer über den Globus verteilt wohnen, solange sie über dasselbe Automodell sprechen. So vielfältig und weit unsere Welt durch das breite Angebot an Informationen wird, so eng rückt sie dadurch auch zusammen.

Intelligenter Umgang mit Wissen als Schlüsselkompetenz

„If I have seen further it is by standing on the shoulders of giants. “ Mit diesem Satz wollte Isaac Newton ausdrücken, wie wichtig es vor allem in der Wissenschaft sei, Informationen zu teilen, um Dinge nicht permanent ein weiteres Mal erfinden zu müssen. Gemeint ist also die Möglichkeit, die eigene Forschung auf den Ergebnissen anderer „Giganten“ aufbauen zu können. Doch nicht nur die Menge an Wissen vergrößert sich, auch die Verfügbarkeit erhöht sich kontinuierlich. Informationen bereitzustellen kostet vergleichsweise wenig. Das „virtuelle Bücherregal“ ist also günstiger als ein echtes, lässt sich einfacher aufbauen und mit ein paar gezielten Klicks intelligent durchsuchen. Wer sich nicht auf unseren rasanten technologischen Wandel einstellt, läuft Gefahr, zum sogenannten Analphabit zu werden. Ja, der Begriff ist richtig geschrieben. Er beschreibt diejenigen, die den Umgang mit Computern und digitalen Informationen scheuen. Wer nicht fähig ist, das Internet geschickt zu verwenden, bekommt früher oder später berufliche und gesellschaftliche Nachteile zu spüren.

Sich im komplexen Informationsdschungel zurechtzufinden und Wissen intelligent zu nutzen, erfordert wiederum Kenntnisse über die Vorzüge und Tücken des Internets. Hier sind u.a. Medienkompetenz, Recherchekompetenz und Urteilungsvermögen über die Qualität von Quellen gefragt. Genauer gesagt sollten sich Nutzer mit internetfähigen Geräten auskennen und wissen, mit welchen Schlagworten sie etwa zu ihrer gewünschten Information gelangen. Darüber hinaus sollte man Quellen kritisch auf ihre Richtigkeit prüfen, da im Netz jeder alles veröffentlichen und miteinander verlinken kann. Durch den einfachen Zugang zum Internet hinterfragen wir Inhalte häufig nicht näher, vor allem, wenn wir sie schnell benötigen. Warum sollten wir uns auch die Mühe machen, selbst nachzudenken, wenn wir die Information nach ein paar Klicks auf dem Silbertablett serviert bekommen? Vielen Nutzern fällt daher falsches Wissen nicht auf, welches sie dann weitertragen.

Doch wir beziehen nicht nur Informationen, wir liefern sie auch. Inzwischen ist es keine Neuigkeit mehr, was William Gibson, ein US-amerikanischer Science-Fiction-Autor, auf den Punkt bringt: „Wir leben in einer Informationsgesellschaft. Das lernt man schon in der Schule. Was man dabei nicht lernt, ist, dass man dabei auf Schritt und Tritt Spuren hinterlässt, immer und überall, winzige Bruchstücke, scheinbar bedeutungslose Datensplitter, die wieder aufgefunden und neu zusammengesetzt werden können.“ *

Immer schneller, immer weiter, immer mehr – was ist das richtige Maß?

Unsere Welt gestaltet sich durch rapiden Wissenszuwachs zunehmend komplexer. Umso wichtiger ist es, sich ihr anzupassen, um sie zu verstehen. Sowohl im Berufsleben als auch bei der privaten Nutzung ist es von Bedeutung, sich den Möglichkeiten des Internets zu öffnen und den entsprechend richtigen Umgang mit Informationen zu erlernen. Jedoch sollte man sich trauen selbst zu denken, Inhalte kritisch zu hinterfragen und nicht alles sofort glauben, was im Internet und über andere Medien vermittelt wird.

Wie schnell unsere Welt noch werden kann, ist nicht abzusehen. Oben noch als Empfehlung formuliert, stellt sich am Ende durchaus die philosophische Gegenfrage, ob der technologische und gesellschaftliche Wandel neben Anpassung auch Raum für etwas Abstand lässt? Wir definieren einen unzureichenden Wissensstand bei uns selbst als Auslöser für die Suche nach Information. Doch was genau bedeutet unzureichend für uns im digitalen Zeitalter? Wir haben rund um die Uhr die Möglichkeit Suchmaschinen zu befragen, aber sollten wir uns deshalb bei jeder noch so kleinen Wissenslücke „unnormal“ fühlen?

 

Foto: flickr.com/Ewa Rozkosz (CC BY-SA 2.0)


*Dieses Thema wird in anderen Teilen der Artikelreihe genauer beleuchtet, weshalb es hier nur der Vollständigkeit halber angedeutet ist.