Online Seminar

Rekordzahlen im Online Seminar – Ist das die Universität der Zukunft?

Von Laura Scherer

Die Zwangsumstellung auf digitale Lehre hat viele kalt erwischt. Einige Veranstaltungen finden jedoch schon seit Jahren als Online-Formate statt. Cornelia Dertinger ist Studentin der Medienwissenschaft und Rhetorik und außerdem Tutorin beim Online Seminar „Gesprächskompetenz“ der Universität Tübingen. Im Interview spricht sie darüber, wie ein Seminar mit 180 Teilnehmer*innen funktionieren kann und wie für sie die Universität der Zukunft aussieht.

Die 1980er Jahre waren die Blütezeit des Heimcomputers. 1989 lässt sich die Erfindung des World Wide Webs verorten. Heute – über 30 Jahre später – erwischt es manche Universitäten immer noch kalt oder andere vielleicht nur lauwarm, wenn es plötzlich heißt: Nur noch online Unterricht anbieten. Der Schwung der Zwangsdigitalisierung spült Datenmengen auf Lernplattformen, die für diese Massen gar nicht konzipiert sind. Plötzlich muss man Lehrenden beibringen, wie digitale Lern- und Lehrräume erstellt werden. Manche sind kreativ und manche Veranstaltungen entfallen ganz.

Es gibt jedoch auch universitäre Veranstaltungen, die schon lange vor Corona digital stattgefunden haben und deren Organisator*innen Experten in der Koordination und Realisierung von Online-Formaten sind. Dazu gehört auch das Online-Seminar „Gesprächskompetenz“ an der Universität Tübingen.  

 

Speziell angelegte Plattformen nutzen

Cornelia Dertinger

Cornelia Dertinger ist Tutorin beim Online Seminar „Gesprächskompetenz.“ Foto: Cornelia Dertinger

Das Seminar findet auf einer eigens für den Kurs angelegten Plattform statt. Dort wird für die Teilnehmer*innen jede Woche ein neues Lernvideo mit den dazugehörigen Folien hochgeladen. Anschließend müssen sie mit ihren zugewiesenen Partner*innen eine zu den Lektionsinhalten passende Chatübung absolvieren. Die Tutorin Cornelia Dertinger erklärt, wie diese Übungen aussehen:

Dafür geben wir ihnen ein Setting vor und jeder erhält eine Rollenanweisung mit Zielen und Meinungen, die er im Gespräch vertreten soll. Die Übung wird in einem Chatportal absolviert, das ebenfalls speziell für den Kurs angelegt wurde.“ Am Ende wird das schriftliche Gespräch in ein Abgabefeld kopiert und die Teilnehmer*innen erhalten von ihren Kommiliton*innen und Tutor*innen Feedback.

Die Kommunikation im Team

Auf der Plattform gibt es ein Messaging-System, über das die Tutor*innen untereinander kommunizieren. „Wir haben uns zusätzlich privat dazu entschieden, eine WhatsApp-Gruppe für Fragen unter uns zu nutzen, bei denen es mal schnell gehen muss“, so die Studentin. Außerdem verabreden sie sich regelmäßig mit der Dozentin Jutta Beck zu virtuellen Meetings, bei denen Informationen ausgetauscht und Probleme diskutiert werden.

Corona beeinflusst auch die digitalen Vorreiter

Corona Digitalisierung

Auf Grund des Coronavirus mussten viele (Hoch-)Schulen und Unternehmen umdenken. Foto: CDC/ Alissa Eckert, MSMI; Dan Higgins, MAMS

Jetzt kann man sich natürlich fragen: Hat sich bei derartigen Angeboten überhaupt etwas verändert und gibt es sogar einen Bereich, der von der Pandemie völlig unberührt geblieben ist? Die Antwort lautet: Nein. „Es fängt schon damit an, dass wir unsere regelmäßigen Dienstbesprechungen über Zoom abhalten, anstatt uns im Büro zu treffen. Zudem beinhaltet das Seminar eigentlich drei Präsenztermine, in denen die Teilnehmer sich unter anderem ihrer Gestik und Mimik bewusst werden sollen“, erklärt Cornelia Dertinger. Das Online-Seminar ist also eher ein Hybrid Programm statt ein reines Online-Format und muss sich ebenfalls in gewissen Fragen neu aufstellen.

Doch nicht nur der Aufbau des Seminars hat sich gewandelt, auch die Zahl der Teilnehmer*innen ist rapide angestiegen: „Da Präsenzseminare des Career Service nicht stattfinden können, musste ein Ausgleich geschaffen werden, damit Studierende trotz Coronavirus ihre Schlüsselquali-ECTS erarbeiten können. Dadurch haben wir dieses Semester mit 180 Teilnehmern einen Rekord aufgestellt.

Digital gleich besser?

Nachdem viele Vorlesungen, Seminare und Workshops als Online-Format eingerichtet wurden, kommt immer wieder die Frage auf: Ist das die Universität der Zukunft? Cornelia sieht in der Online-Lehre viele Chancen: „Der wichtige Vorteil ist für mich die örtliche Flexibilität. Solange ich an einem Ort bin, der mir eine passable Internetverbindung bietet, kann ich dort arbeiten. Das macht die Arbeit wesentlich angenehmer.“ Außerdem ist man zeitlich unabhängiger. Wenn Vorlesungen als Videos hochgeladen werden, kann ich mir einteilen, wann ich sie ansehe. Morgens um 8 Uhr oder abends um 23 Uhr – je nachdem was für ein Lern-Typ ich bin.

Gehören Präsenzveranstaltungen also der Vergangenheit an? „Nein, das würde ich nicht sagen. Gerade ein Kurs wie der der Gesprächskompetenz braucht Präsenztermine und die situative Interaktion. Aber ich glaube, auch in anderen Seminaren und Vorlesungen ist es für Professoren, Dozenten und Tutoren auf die Dauer ermüdend immer nur in eine Kamera zu sprechen.“ Viele Dinge lassen sich persönlich doch einfacher klären.

Zuhause gibt es mehr Ablenkungsmöglichkeiten als in der Bibliothek. Außerdem fehlt bei der Online-Lehre ein entscheidender Punkt: das „Feeling“ Universität. In digitalen Vorlesungen hört man oft nur die Stimmen der Professor*innen, während die Folien über den Bildschirm wandern. Mit 180 Menschen in einem Hörsaal zu sitzen ist eben doch etwas anderes als 180 ausgeschaltete Videos und Mikrofone auf Zoom.

Wenn ihr mehr zu diesem Thema wissen wollt, dann schaut euch auch unbedingt die Themenreihe „Wissensvermittlung mittels digitaler Medien“ von Teresa Seeger an.