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Der Schmetterlingseffekt – Handlungsfreiheit in Until Dawn

Im Horror-Adventure-Spiel Until Dawn führen wir die Figuren wie in einer Art interaktivem Film durch eine Geschichte mit vielen verschiedenen Abzweigungen. Je nachdem, wie wir uns als Spieler entscheiden, verläuft die Story anders und eröffnet uns diverse Enden. Der „Schmetterlingseffekt“ gibt uns ein Gefühl von Handlungsfreiheit. Doch haben wir die wirklich?

Wenn aus apokalyptischem Ernst Spiel wird

Von Philipp Mang

Computerspiele erfreuen sich in unserer Gesellschaft immer größerer Beliebtheit. Nicht nur bei Kindern und Jugendlichen, sondern längst auch bei Erwachsenen aus unterschiedlichsten Bildungsniveaus – dies geht aus einer Untersuchung des Bundesverbands Interaktive Unterhaltungssoftware hervor. So konsumiert in Deutschland mittlerweile jeder zweite Bundesbürger regelmäßig digitale Spiele – Tendenz steigend. Und auch die internationale Spielebranche erfreut sich zunehmend an Umsatzzahlen, die sich hinter Hollywoods Filmindustrie nicht länger verstecken müssen. Wie ist diese Faszination aber zu erklären?

Immersion als Schlüsselmerkmal

Zur Beantwortung dieser Frage, ist zunächst einmal der Begriff der Immersion heranzuziehen, der das metaphorische Eintauchen in fiktionale Welten bezeichnet. Dieser Wirkungseffekt ist in Videospielen besonders stark zu beobachten. Anders als bei Filmen, Serien oder Comics – die allesamt nur eine passive Rezeption ermöglichen – kann der Konsument die Erzählung hier nämlich aktiv durch seine Entscheidungen beeinflussen. Er interagiert dabei mit einer künstlich geschaffenen Umgebung und betrachtet die Protagonisten im Spiel gewissermaßen als eine Erweiterung seiner selbst. Das Ausmaß seiner emotionalen Involvierung wird auf diese Weise beträchtlich gesteigert. Insbesondere in transmedialen Welten kommt digitalen Spielen damit eine entscheidende Rolle zu.

Die Zombies erobern Smartphones & Tablets

9497139020_1d37d428b6_zEs ist also keine Überraschung, dass sich auch die Macher von TWD dazu entschlossen haben, das Franchise um digitale Erzählstücke zu erweitern. Absoluten Kultstatus unter Fans genießt dabei das so genannte Point-and-Click-Adventure der Marke Telltale, das sich in ästhetischer Hinsicht stark an den Comics orientiert. Dieses ist seit dem Jahr 2012 über den Appstore für mobile Endgeräte verfügbar und tut genau das, was Spiele am besten können: Es macht den Spieler selbst zu einem aktiven Teil der Zombie-Apokalypse, in dessen Verlauf er nicht nur Original-Schauplätze aus dem Comic (wie z.B. Hershels Farm), sondern auch beliebte Charaktere aus der Serie (u.a. Glenn) trifft.

Eine Waise kämpft ums Überleben

Die bislang zehn Episoden umfassende Geschichte ist dabei in der gleichen fiktionalen Welt angesiedelt wie die Comics, rückt jedoch völlig neue Charaktere in den Mittelpunkt. So wird anfangs vor allem das Schicksal des verurteilten Straftäters Lee Everett beleuchtet. Dieser rettet nach Ausbruch der Zombie-Seuche der jungen Clementine in ihrem verlassenen Elternhaus das Leben und nimmt die Waisin fortan unter seine Fittiche. Der Spieler begleitet die beiden im Laufe der Handlung auf der Suche nach einem sicheren Zufluchtsort und wird somit Zeuge, wie sich das junge Mädchen von einer Schutzbedürftigen selbst zur toughen Überlebenskünstlerin entwickelt.

Zwickmühlen soweit das Auge reicht

Ähnlich wie der Comic oder die Serie dreht sich also auch das Videospiel in erster Linie nicht um die Untoten, sondern die Beziehungen der Figuren untereinander. Immer wieder wird das ungleiche Duo Lee und Clem auf seinem Überlebenskampf vor moralische Dilemmata gestellt: Wem kann man vertrauen? Wer erhält eine Extra-Ration der ohnehin schon knappen Nahrungsvorräte? Und wem rettet man bei einem Zombieangriff das Leben? All diese Fragen müssen stellvertretend vom Spieler beantwortet werden – und das oft innerhalb weniger Sekunden, während ein Timer bedingungslos abläuft. Ist eine Entscheidung erst einmal getroffen kann dies einen langfristigen Effekt auf die Geschichte haben. Das Videospiel vermittelt einem damit das Gefühl, die Handlung durch das eigene Tun verändern zu können. Als Clou erweist sich außerdem, dass ein Server von Telltale im Anschluss an jede Episode berechnet, wie viele andere Spieler ebenfalls eine bestimmte Handlungsoption gewählt haben. Dadurch wird eine kritische Reflexion des eigenen Verhaltens in der digitalen Welt ermöglicht.

Shoot The Walking Dead

Gänzlich andere Schwerpunkte setzt dagegen das Konsolenspiel Survival Instict aus dem Jahr 2013, das die Vorgeschichte der beiden Dixon-Brüder erzählt. Hierbei handelt es sich um einen recht klassischen First-Person-Shooter, in dem man mit Schusswaffen aus der Ego-Perspektive heraus computergesteuerte Zombies bekämpft. Deshalb finden sich hier auch keine komplexen Figuren, emotionale Hintergrundgeschichten oder ethische Zwickmühlen. Stattdessen zeichnet sich der Ego-Shooter durch die genretypischen Gewaltdarstellungen aus. Da werden Messer durch Augenhöhlen gebohrt. Gliedmaßen abgetrennt. Oder ein Zombie-Schädel so lange mit dem Gewehr malträtiert bis dieser rot spritzend zerplatz. Diese exzessive Brutalität wird jedoch – anders als in der Serie oder dem Comic – zu keinem Zeitpunkt von den Charakteren moralisch hinterfragt.

Ernst & Spiel – zwei unvereinbare Gegensätze?

9412521708_22acdda5d7_zAngesichts einer so unreflektierten Lust an der Gewalt darf also durchaus bezweifelt werden, ob aus apokalyptischem Ernst wirklich immer bedenkenlos Spiel werden sollte. Point-and Click-Adventures wie das aus dem Hause Telltale beweisen jedoch, dass Ernst und Spiel nicht zwingend unvereinbare Gegensätze darstellen müssen. In einigen Fällen können beide Elemente sogar durchaus produktive Symbiosen miteinander eingehen, durch die moralische Lehrstücke entstehen. So führt das erste TWD-Game dem Konsumenten beispielsweise eindrucksvoll vor Augen, wie schwierig es sein kann in Extremsituationen überlebenswichtige Entscheidungen zu treffen. Es ist damit fast schon als so genanntes „serious game“ zu bezeichnen, da hier nicht allein der Spielspaß im Vordergrund steht, sondern zusätzlich ein Lerneffekt beim Rezipient erzielt wird. Ein Lehrer aus Norwegen setzt das Spiel deshalb nicht ohne Grund bereits als praktisches Anschauungsmaterial im Ethik-Unterricht ein.

Fotos: flickr.com/Anothy Jauneaud (CC BY-NC 2.0), flickr.com/Anothy Jauneaud (CC BY-NC 2.0), flickr.com/Óscar Velázquez (CC BY-NC-ND 2.0)


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Das Serienhäppchen für zwischendurch

Ein multimediales Franchise

Der Hype um die Qualitätsserie

Ethik im Angesicht des Todes

Das transmediale Phänomen „The Walking Dead“

Mythos Zombie

Wenn die Welt untergeht

Gewalt als Attraktion

21. Internationales Trickfilmfestival in Stuttgart: Das erwartet euch

von Henrike W. Ledig

Das Internationale Trickfilmfestival ist eine Veranstaltung mit fast magnetischer Anziehungskraft: aus der ganzen Welt reisen die Animationskünstler an, um dem stuttgarter Publikum (jedes Jahr ca. 80.000 Besucher und zusätzlich 2.500 Akkreditierte!) jedes Jahr ihre Beiträge zu präsentieren. Die meisten erhoffen sich so erweiterte Popularität und natürlich die Gewinnung von wertvollem und deswegen äußerst rar gesätem Budget.

Bei all den Angeboten kann man schon mal den Überblick verlieren. media-bubble.de verschafft euch einen Überblick über die wichtigsten Highlights im Jahr 2014.

 

Dienstag, 22. April

– Ab 20.00 Uhr geht es offiziell los: Im Stuttgarter Kino „Gloria“ (einem der Innenstadtkinos, auf deren Gelände das gesamte Festival stattfinden wird) startet mit einer Feierlichen Eröffnung das 21. Internationale TrickfilmFestival

 

– Direkt im Anschluss, um 21.00 Uhr startet das Herz des Festivals: Im 1. Internationale Wettbewerb werden den Trickfilm-Einsendungen der letzten 12 Monate aus aller Welt gezeigt (Gloria 1)

 

Mittwoch, 23. April

– zwischen 14.30 und 17.00 Uhr kommen vor allem die Kleinen auf ihre Kosten: Im Metropol 1 laufen zuerst die Tricks for Kids Kurzfilme und anschließend die abendfüllenden Animovies (empfohlen ab 7 Jahren)

 

– 21.00 Uhr: Internationaler Wettbewerb 2 im Kino Gloria 1

 

22.00 Uhr: Im Metropol 1 findet die Kultnacht Animated Music Video statt, eine Auswahl innovativer animierter Musikvideos

 

Donnerstag, 24. April

– von 10.00 bis 19.00 Uhr kommen Videospiel-Fans auf ihre Kosten: Im Jugendhaus Mitte steht nicht nur eine spielbare Medieninstallation bereit, auch Vertreter von Hochschulen stellen Ausbildungsmöglichkeiten zum Thema Games vor.

 

20.00 Uhr: Im Renitenztheater wird der Deutsche Animationssprecherpreis verliehen, für die beste Originalstimme oder den besten Synchronsprecher in einem abendfüllenden Animationsfilm

 

21.00 Uhr: Internationaler Wettbewerb 2 im Kino Gloria 1

 

Freitag, 25. April

– Im Zuge der Best of Animation werden um 19.00 Uhr im Kino Gloria 1 die wichtigsten und interessantesten Animationsfilme der letzten zehn Jahre vorgestellt.

 

21.00 Uhr: Internationaler Wettbewerb 2 im Kino Gloria 1

 

22.00 Uhr: Horror-Fans aufgepasst! Während der Kultnacht ANimated Horror wird im Kino Metropol 1 eine Auswahl schauriger Trickfilme vorgeführt.

 

Samstag, 26. April

14.00 – 16.00 Uhr: Im Kino Gloria 2 werden im Zuge der „BW-Rolle“ die besten animierten Filme aus Baden-Württemberg gezeigt.

 

21.00 Uhr: Internationaler Wettbewerb 2 im Kino Gloria 1

 

22.00 Uhr: Im EM-Theater 1 werden die Animated Oscars, also Oscar-prämierte und –nominierte Kurzfilme präsentiert

 

23.00 – 01.00 Uhr: Während der Kultnacht Anime werden im Gloria 1 u.a. japanische Klassiker wie „Ghost in the Shell“ aber auch Newcomer gespielt

Sonntag, 27. April

20.00 Uhr: Darauf haben alle gewartet: Im Kino Gloria 1 findet die große Preisverleihung aller vorgeführten Animationswerke statt! Als Gewinn winken Preisgelder in Höhe bis zu 62.000€!

 

– Im Anschluss um 23.00 Uhr werden im Gloria 1 auch die vorgeführten Kurzfilme prämiert

 

 

Ein vollständiges Programm findet ihr auch jederzeit auf der Homepage des ITFS

Alle aktuellen Nachrichten könnt ihr übrigens über das Hashtag #ITFS auf Facebook und Twitter verfolgen!

GamesCom 2013: „Wir sind beruflich Ärsche“

Von Miriam Gerstenlauer und Henrike Ledig

 

Das behauptet zumindest Gronkh von sich und seinem Kollegen Sarazar. Die zwei YouTube-Stars haben sich mit diesen Worten in der Schlange vor uns gedrängelt, heute am ersten Tag der GamesCom in Köln. Gesehen haben wir trotzdem viel, von Schiffen und Regen, guter Grafik auf alten Konsolen, schlechter Grafik auf neuen Konsolen – und generell ganz viel Hardware. Unser GamesCom-Mittwoch im Überblick.

Innen alles neu

Am heutigen Fachbesucher- und Pressetag gab es schon allerhand zu bestaunen: Sony wartete mit seiner neuen PlayStation 4 mitsamt einiger Launchtitel auf und beansprucht eine halbe Halle für sich allein, genau wie der größte Konkurrent Microsoft, der ein großes Augenmerk auf die Promotion des „neuen“ Kinect, der verbesserten Bewegungssteuerung der Xbox One, legt. Auch Nintendo haben auf ihrer Ausstellerfläche viel an Soft- und Hardware zu bieten, die meisten – wir auch – waren aber nur für eins da: Pokémon X & Y.
Die sechste Generation des GameFreak Rollenspiels erscheint noch dieses Jahr weltweit am 12. Oktober für den Nintendo 3DS und hat bereits in unserem Demo-Test gepunktet: Liebevolle Animationen sowohl der Pokémon als auch der Trainer, sowie der detailreich gestalteten Spielwelt heben das Spiel weit von seinen Vorgängern ab. Der Spieler kann mit der Spielfigur nun sogar in der Welt auf Pokémon reiten und findet die kleinen Monster nicht mehr nur in hohem Gras, sondern auch zum Beispiel in Blumenfeldern.
Die wenigen Minuten des neuen Professor Layton und das Vermächtnis von Aslant warfen bereits ihren Schatten voraus. Die liebgewonnen Charaktere der fünf Teile zuvor bestreiten nun ihr letztes Abenteuer. Herzen werden gebrochen und Tränen vergossen werden.

Obwohl Sony wie wild die PlayStation 4 promotet, sind die letzten Tage der PlayStation 3 noch lange nicht gezählt. Ein großes Highlight ist das für das beste Familienspiel nominierte Der Puppenspieler. Das PS3-exklusive Spiel ist gedanken- und humorvoll designt und bietet mit der der Spielfigur als Werkzeug zur Verfügung stehenden goldenen Schere und dem gut durchdachten kooperativen Modus ein sehr innovatives Gameplay, das nicht nur den Kleinen Spaß macht.
Etwas tiefgründiger geht es dann schon bei dem Indie-Game Rain zu. Ein kleiner Junge entdeckt ein Geistermädchen, dass von einem Monster verfolgt wird und rennt ihr hinterher in die verregnete Nacht – und wird dabei selbst unsichtbar. Nur der Regen, der auf ihn fällt, macht seine Schemen wieder sichtbar, sowohl für den Spieler, als auch für die umherlaufenden Monster. Es ist ein Spiel mit Tiefgang, simpler Steuerung und eingängiger musikalischer Untermalung.  Rain erscheint am 1. Oktober diesen Jahres und ist damit definitiv ein Geheimtipp für die Übergangszeit zur PS4.

Kein Geheimtipp und kleines Indie-Spiel ist hingegen Beyond: Two Souls. Hochkarätig besetzt mit Willem Dafoe und Ellen Page in der Hauptrolle der mit Psy-Kräften ausgestatteten Jodie Holmes holt das Entwicklerteam von Quantic Dream (bekannt durch das interaktive Drama Heavy Rain) noch einmal das letzte aus der PlayStation 3 heraus – nicht nur bei der Grafik. Schon die ersten anspielbaren Minuten zeigen bis aufs den kleinsten Muskel detailgetreue Mimik und Gestik, eine ausgearbeitete und packende Story, sowie große Emotionen. Beyond: Two Souls erscheint am 9. Oktober vorerst exklusiv für die PS3 – Wir freuen uns.

Klassiker in neuem Gewand

Eine der meistgespielten Reihen der Welt bekommt Zuwachs: 2014 erscheint das brandneue Die Sims 4 und hat einige Neuerungen im Gepäck. Die Charaktererstellung wird nun nicht mehr über das Schieben von Reglern getätigt, sondern direkt am Körper des Sim. Breitere Hüften gefällig? Schwupps, einmal dran gezogen, fertig ist die Lauge. Ähnlich beim Häuserbau: Statt umständlich einzelne Wände ziehen zu müssen, können jetzt per Mausklick ganze Zimmer generiert und sogar komplett mit Einrichtung verschoben werden. Schön, wenn sich ein Entwickler mal wirklich Gedanken macht.
Einen Klassiker der anderen Art verarbeitet Microsoft: Disney’s Fantasia erlebt über 70 Jahre nach der Veröffentlichung des dritten abendfüllenden Films von Disney eine Renaissance in Spielform. Mithilfe der neuen Kinect entführt Fantasia: Music Evolved in unterschiedliche Welten voller musikalischer Meisterwerke. In der Präsentation befand man sich in einer Unterwasserwelt, begleitet von Bohemian Rhapsody von Queen. Mit rhythmischen Bewegungen muss der Spieler seine Arme in vorgegebene Richtungen schwingen, wischen und winken und so das Lied voranbringen. Hier kann man sich zu einigen Zeitpunkten entscheiden, welche Instrumente man dem Lied hinzufügen möchte: Streicher für eine klassische Interpretation, Bassgitarre für Jazz, etc.
Erfrischend anders als die altbekannten Sport- und Fitnessspiele mit Bewegungssteuerung erscheint Fantasia: Music Evolved 2014 für Xbox 360 und Xbox One.

#Neuland

Hoher Besuch überraschte uns auch unerwartet am Nintendo-Stand. Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Philipp Rösler begrüßte die Besucher der GamesCom und bekundete große Offenheit und Interesse am Thema Videospiele. Er schüttelte Mario die Hand und spielte sogar eine Runde Super Mario Bros. U für die WiiU unter strenger Beobachtung von Gamern und Presse, hört.

Damit schließen wir unseren ersten Tag auf der GamesCom hier in Köln ab. Es gibt noch viel mehr aus der Welt der Spiele zu bestaunen, also bleibt dran, wenn wir weiter von der größten Spielemesse Europas berichten.

 

 

Fotos: Miriam Gerstenlauer

SpielFilm – Games auf der großen Leinwand. Teil I

von Miriam Gerstenlauer

Seit einiger Zeit haben sich Videospielverfilmungen in der Filmindustrie etabliert. Sie sind schon lang mehr als nur Merchandise, sie sind zu eigenständigen Filmen geworden.

Wo früher Filme wie Super Mario Bros. (1993) oder Pokémon: Der Film (2000) nur für Fans der zugehörigen Videospiele interessant waren, werden heute millionenschwere Blockbuster auf Basis von Videospielen produziert. Nach dem Erfolg von Lara Croft: Tomb Raider (2001) folgten Verfilmungen von Actionspiel-Klassikern wie Doom (2005) sowie eine Adaption des genreprägenden Horrorspiel-Klassikers Silent Hill (2006) und dem Jump’n’Run Urgestein Prince of Persia (2010).

 

Von Klempnern und Zombies

Eigentlich sollten die Gamer sich doch freuen, dass „ihre“ Helden auch die große Leinwand erobern. Oft ist aber das Gegenteil er Fall.  Hauptkritikpunkt der Spielfans sind die Veränderungen in den Verfilmungen. Diese ergeben sich zum Großteil aus den unterschiedlichen Medialitäten von Spiel und Film, aber das ist nicht immer der Fall. Viele Filme ändern die Dramaturgie eines Spieles, auch wenn sich die Storyline ohne Probleme auf einen Film übertragen lassen könnte. Aus der Sotry „Mario rettet Prinzessin Peach aus den Fängen des bösen Bowser“ wurde „Installateur-Brüder Mario und Luigi finden im Brooklyn des 20. Jahrhunderts ein Dimensionsloch woraufhin sie den bösen König Koopa mithilfe eines Meteoriten zur Strecke bringen müssen“ oder so ähnlich. Eine einfache Geschichte, die scheinbar unnötig verkompliziert wurde.

Aber warum kompliziert, wenn es auch einfach geht. Die Story von Alone in the Dark (2005): „Ein berühmter Autor erhängt sich in einem alten, von einem Fluch heimgesuchten Herrenhaus. Ermittlungen werden eingeleitet. Der ermittelnde Polizist wird eingesperrt und ist allein auf sich gestellt, die Türen des Herrenhauses sind wie magisch versiegelt“. Was Uwe Boll daraus machte: „Auf der Jagd nach übernatürlichen Phänomenen machen ein Privatdetektiv und ein Commander Jagd auf Zombies“.

Ein letztes Beispiel: Dass aus der zielsicheren Bogenschützin Prinzessin Faarah im Spiel Prince of Persia dann im Film eine klassische „Damsel in Distress“ wurde, zeigt vielleicht, dass Filme noch mehr in ihrem althergebrachten Denken verwurzelt sind als Videospiele.

Super Mario Bros., Alone in the Dark und Prince of Persia sind freilich drei extreme Beispiele, doch stehen sie Parade für die Leiden der Gamer: Scheinbar sinnfreie Änderungen von eigentlich so tollen Storys.

 

Mittendrin statt nur dabei

Viele Spiele stehen in der Komplexität ihrer Narration Filmen oder Büchern in nichts nach. In Open-World Spielen wie The Elder Scrolls V: Skyrim (2011) lernt der Spieler mehrere Stunden lang sich  in der Spielwelt zurechtzufinden, findet Briefe und alte Bücher oder trifft Charaktere, die ihm Geschichten erzählen. Es liegt in der Hand des Spielers herauszufinden, was in der Spielwelt vor sich geht. Er steuert seinen Avatar und sammelt Bruchstücke, die ihm die Geschichte zugänglich machen. Jeder Spieler schreibt sich so seine ganz eigene „Spieler-Geschichte“, und niemand wird das Spiel auf genau die gleiche Weise spielen.

In anderen Fällen, wie dem 2005 erschienenen Metal Gear Solid 3, eröffnet sich dem Spieler die komplexe Storyline anhand unzähliger Cutscenes mit einer Gesamtlänge von rund fünf Stunden. Verbunden sind diese Cutscenes durch interaktive Spielabschnitte, in denen der Spieler stets vor die Wahl gestellt wird und so das Fortgehen der Geschichte bestimmen kann.

Im Film gibt es weder die Freiheit einer erkundbaren Welt, noch die Entscheidungsmöglichkeit. Im Gegensatz zu den immer anders ablaufenden Spielen ist ein Film für jeden gleich und unbeeinflussbar. Gamer gibt seinen Controller aus der Hand und lässt sich die Geschichte erzählen. Wer sich dazu entscheidet, einen Action-Shooter zu spielen, möchte herausgefordert werden, präzise kämpfen und schnell Entscheidungen treffen. So etwas wird von einem Film nicht erwartet, bei dem sich die Interaktion auf den Kauf einer Kinokarte oder dem Einlegen einer DVD beschränkt.  Aufgrund dieser unterschiedlichen Anforderungen der Medien Film und Game an den Rezipienten kann eine Eins-zu-Eins-Umsetzung von Inhalten gar nicht funktionieren.

 

Ausnahmen bestätigen die Regel

Manchmal gelingt es den Adaptionen, Stimmung und Charaktere von Spielen auf der Leinwand einzufangen. Allen voran  sei hier der Film Tomb Raider genannt, der vor allem mit Angelina Jolie als die taffe und smarte Archäologin Lara Croft das Publikum überzeugen konnte. Die unbestreitbare Übersexualisierung von Frauen in Videospielen kam Hollywood in diesem Fall deutlich entgegen: So sah man Angelina im Film genauso wie Lara im Spiel stöhnend und knapp bekleidet über Felsen springen. In einer ästhetischen Art und Weise, mit ausgebildetem Kameramann, auch wenn man sich wünschen würde man könnte , wie im Spiel, die Kamera zwischen Laras Beine fahren und sie dann hüpfen und hecheln lassen. Dennoch gilt Lara Croft als eine der großen Power-Frauen in Film- und Spielindustrie, die durch das Franchise beide aneinander profitieren.

Anders bei Silent Hill. Hier fiel der im Spiel männliche Hauptcharakter Harry Mason der Frauenquote zum Opfer und wurde durch Protagonistin Rose daSilva ersetzt. Der Film versucht es, die bedrückende und psychedelische Stimmung des Spiels einzufangen, indem er die Hilflosigkeit und die Unwissenheit der Protagonistin zur Charakteridentifikation nutzt. Diese Identifikation kann jedoch im Gegensatz zum Spiel nur eingeschränkt funktionieren, da gerade das Horrorgenre der Games sich durch tatsächliche Hilflosigkeit auszeichnet, da man selbst die nutzlose „Waffe“ in den zitternden Händen hält. Trotzdem gelingt es dem Film die Atmosphäre des schaurigen Ortes Silent Hill zu vermitteln, indem er die nervenaufreibende Geräuschkulisse und den Soundtrack des Originalspiels übernimmt und auf dieselbe Wirkung der schrägen Kamerawinkel setzt, die einem nicht verraten was hinter der nächsten Ecke lauert – jedoch ohne den Spieler in eine frustrierende Todesfalle zu stürzen. Damit hat der Film schon mehr erreicht, als manch andere Videospieladaption.

Ein Spiel ist kein Film

Videospiele leben vom Prinzip der Interaktivität. Man kann selbst entscheiden, ob man nun den linken oder den rechten Gang hinuntergeht, ob man sich dem Monster stellt oder vor ihm wegläuft, oder vor lauter Angst den Controller in die nächste Ecke wirft und eine Woche nicht mehr anfasst.
Im Film werden einem diese Entscheidungen abgenommen. Doch genau dieses Aufgeben der Kontrolle über die Situation und die dadurch noch größere Ungewissheit  darüber, was als nächstes passiert, erzeugt Spannung. Im Film kann außerdem eine bildliche Ästhetik erzeugt werden, die mit einer via Analogsticks am Controller gesteuerten Kamera nicht möglich wäre.
Wenn also die Stimmung stimmt und die Charaktere Charakter haben, kann auch der geneigte Gamer einmal den Controller aus der Hand geben und den Film Film sein lassen.

Foto: Concorde Film

Play the Game – Kunst und Kultur der Videospiele

von Miriam Gerstenlauer

Vor über 20 Jahren ist es ausgebrochen, das Klötzchenfieber. Tetris, mir seiner einfachen Spielmechanik und seiner Ohrwurmmelodie eroberte die Spielewelt im Sturm und machte Nintendos Game Boy zum ständigen Begleiter, ob auf dem Schulhof oder auf der Toilette. Heute erfreut sich der große kleine Bruder des Gameboys, der Nintendo DS, weiterhin großer Beliebtheit. Er wird aber, zusammen mit seinen Handheld-Kollegen, immer mehr von Smartphones und Tablets vom Markt verdrängt.

Jahrzehnte der Game-Kultur haben vieles verändert: Statt kantiger Polygon-Grafik und fummeliger Steuerung gibt es heute hochauflösende Hauttexturen und Bewegungssensoren. Konsolen und Spiele wurden zu Kult- und Kulturobjekten, Statussymbolen und Alltagsgegenständen. Laut statistischem Bundesamt ist mindestens jeder fünfte Haushalt mit wenigstens einer Spielekonsole ausgestattet,. Nintendo hat bereits letztes Jahr die neu Generation der Konsolen mit der Wii U gestartet, die Konsolen der Konkurrenz, Microsofts Xbox One und Sonys Playstation 4 werden zum Ende des Jahres erwartet.  Mitte Juni werden wieder zehntausende Besucher auf der E3, einer der größten Spielemessen der Welt, erwartet, die einen Blick auf die Zukunft der Spieleindustrie werfen wollen.

Doch blickt man sich einmal in der Medienlandschaft um, ist das Bild ein ganz anderes:

Schaffen es Videospiele doch einmal in das Tagesprogramm, so geht es meist um Diskussionen über Gewaltdarstellung, Eskapismus und Verrohung der Jugend. Dabei ist meist sowohl Journalisten als auch Politikern anzumerken, dass sie wenig bis gar keine Ahnung vom Thema Games haben. So glaubt ein Phönix-Moderator vielleicht bis heute, in World of Warcraft ginge es um die Befreiung Europas von der Islamisierung und auch die Tierschutzorganisation. Peta war sich nicht zu schade, aus Pokémon ein Beispiel von Tiermisshandlung zu machen. Verständlich, vielleicht, schließlich ist die Materie umfangreich und für Nicht-Digital-Natives schwer zu durchschauen.

Daher soll es in dieser Artikelreihe um einen kulturellen Querschnitt durch die virtuelle Welt der Videospiele gehen.  Wir werfen einen Blick auf den Weg der Games nach Hollywood, sehen uns an welche Spiele bis heute als die wichtigsten Vertreter ihres Genres gelten  und wer eigentlich daran Schuld ist, dass manche Spiele nur geschnitten in Deutschland erscheinen.  Und für alle, die Karriere in der Games-Branche machen wollen, zeigen wir welche man Berufe rund um Games ergreifen kann.

Was Videospiele ausmacht: Sie haben narrativ hochwertige Geschichten, ihre Welten sind komplex, ihre Helden sind nicht immer die Guten, und manchmal parkt jemand sein Motorrad senkrecht an der Wand. Eine solch facettenreiche Welt ist es wert, in einem Projektstudium untersucht zu werden.

Lasst die Spiele beginnen.


Foto: Miriam Gerstenlauer

Machinima – spielerisches Kino

von Marius Lang

Machinima macht aus Gamern Regisseure. Denn Machinima ist ein kreativer Ausdruck von Videospiel-Fans, die auf Grundlage von Spiel-Szenen Filme drehen. Dazu muss man aber nicht nur einen guten Film schreiben, sondern auch über technisches Wissen verfügen.

 

Philosophieren auf dem Schlachtfeld

Der Name Machinima ist ein Kofferwort, das sich aus „machine“ und „cinema“ zusammensetzt. Es bezeichnet Kino auf Basis von Videospielen. Ein Beispiel: Red vs. Blue, eine der weltweit erfolgreichsten Internetserien. In der ersten Folge unterhalten sich die Spartans, Soldaten innerhalb des Halo-Universums, in der Welt des Games über den Sinn des Lebens, Gott und ihren Auftrag. Die Verschmelzung von Spiel und Film entsteht durch die visuelle Basis von Halo selbst, in der die Charaktere von Rooster Teeth-Mitgliedern synchronisiert werden.

Auffällig ist, dass die Machinima-Szene sich stark von anderen Fan-Szenen unterscheidet, vor allem in der Hinsicht, dass Machinima-Schaffende zum Großteil männlich sind, während andere Fankulturen eher Frauen vorbehalten sind. Der Grund hierfür ist allerdings nicht, dass nur Männer Videospiele spielen. Machinima muss von Videospielen getrennt betrachtet werden, da der Anteil an weiblichen Gamern mittlerweile sehr groß ist und weiter wächst. Machinima dagegen bleibt Großteils Männersache. Hierfür gibt es vor allem zwei Gründe: Zum einen der Ursprung im First-Person-Shooter-Genre, einer Richtung, die bis heute stark von Männern dominiert wird. Zum anderen die Hacker- und Informatikerszene, auf die Machinima zurückzuführen und die ebenfalls durch einen hohen Männeranteil geprägt ist. So überrascht es nicht, dass auch Red vs. Blue von Männern entwickelt wurde.

Kreative Hacker

Die Red vs. Blue-Erfinder waren nicht die Ersten, die das Potential von Videospielen als Grundlage für kurze Clips, Filme und ganze Serien erkannten. Ursprünge der Machinima sind bereits in der Hacker-Szene der 80er Jahre zu erkennen. Begeisterte Fans modifizierten damals die Codierungen von Spielen, um sich und ihre Hacker-Gruppen in denselben zu verewigen, indem sie etwa ihre Namen in das Spiel schrieben.

Die Grundlage einer neuen Szene war geschaffen: Engagierte junge Hacker, denen es nicht genügte, Games nur zu spielen. Sie wollten auf Grundlage der gegebenen Materialien neue Dinge schaffen.

Demos von DOOM

1993 veröffentlichte die amerikanische Firma id Software den First Person Shooter DOOM. Die Entwickler der Software unterstützten den kreativen Eifer ihrer Spieler: „id Software didn’t stop there, the team of innovators also made  DOOM’s source code available to their fan base, encouraging would-be game designers to modify the game and create their own levels, or „mods“.“ (id Software, 2005) Den sogenannten  „Moddern“ war es von Seiten der Hersteller nicht nur gestattet, den Quellcode von DOOM nach ihrem Können und Willen zu verändern. Sie  unterstützten die Veröffentlichung der fangemachten Endprodukte, solange die Mods nicht kommerziell orientiert waren.

Für den Erfolg von Machinima trugen mehr als Mods jedoch die so genannten „Demos“ bei. Spieler von DOOM nahmen ihre Durchläufe auf, um sie mit der Community zu teilen.

Quake und das erste Machinima

1996 veröffentlichte id Software den First-Person-Shooter Quake. The Rangers, eine Gruppe von Gamern, Moddern und Hackern, veröffentlichten auf der Basis von Quake die den ersten Film, den man als Machinima bezeichnen konnte. Zu diesem Zweck veränderten sie den Quellcode des Spieles so, dass die Ego-Perspektive eines Spielers zu der Perspektive einer Kamera, wie im klassischen Film wurde und nicht mehr an einen Charakter gebunden war. Das Ergebnis war das Video Diary of a Camper. Hier gab es noch keine gesprochene Sprache, nur Untertitel stellten das dar, was die Figuren des Videos sagten. Es folgten unzählige Machinima, die sich auf unterschiedlichste Spiele berufen, wie etwa Portal, Mass Effect oder The Sims. Machinima greifen entweder in den Quellcode eines Games ein und verändern diesen oder bedienen sich direkt am gezeigten Bild des Spieles.

Die Szene wuchs unaufhörlich und 2002 wurde erstmals das jährliche Machinima Festival abgehalten.

Red vs. Blue: Eine Erfolgsgeschichte

Als im April 2003 die erste Folge von Red vs. Blue: The Blood Gulch Chronicles online ging, hatten die Macher nicht mit dem extremen Erfolg gerechnet. Die Serie Red vs. Blue, rund um einige Soldaten zweier verfeindeter Armeen in einem Bürgerkrieg, befindet sich mittlerweile in der zehnten Staffel. Die Folgen im Schnitt etwa fünf bis zehn Minuten lang. In den Jahren, die die Serie bereits hinter sich hat, hat sie sich auch gewandelt. Wie die meisten Machinima begann Red vs. Blue als bisweilen schwarze Comedy-Serie, die mit Gamer-Klischees und typischen amerikanischen Stereotypen spielte. Mittlerweile ist die Serie dazu übergegangen, ihren Schwerpunkt auch auf packende Action und Thriller-Elemente zu legen. Gerade der Erfolg von Red vs. Blue ist Ansporn für viele neue Machinima-Produzenten, ihr Hobby auf ein neues Level zu hieven und selbst Filme zu produzieren. Das passiert oft innerhalb der Fan-Community und dementsprechend unkommerziell, aber die Erfinder von Red vs. Blue werden inzwischen von den Machern von Halo unterstützt. All das nur, weil ein paar begeisterte Gamer ihr spielerisches und technisches Können mit der Community teilen wollten.

 

Quellen: Jones, Robert (2006) From Shooting Monsters to Shooting Movies. Machinima and the Transformative Play of Video Game Fan Culture. In Karen Hellekson und Kristina Busse (Hrsg.).Fan Fiction and Fan Communities in the Age of the Internet.

Dokumentation über Rooster Teeth Productions von machinima.com (Teil 1 von 2)

Fotos: flickr.com/State Farm (CC BY 2.0); Screenshot von Rooster Teeth ( © 2004-2013 Rooster Teeth Productions, LLC.)

Der Online-Student

von Sebastian Seefeldt

Einmal an einer Eliteuniversität zu studieren, das ist der Traum Vieler. Die Webseite Coursera ermöglicht Wissbegierigen weltweit Zugang zu Universistätskursen von Dozenten, die an den Top-Universitäten lehren. Und das auch noch kostenlos. Sebastian Seefeldt besucht online den Kurs „Gamification“, weil er offline nicht genug von Medienwissenschaften kriegen kann. Ein Selbstversuch.

Freie Bildung

„The best courses from the best instructors at the best universities […] for free“. Das ist der Gedanke von Coursera-Gründerin Dephne Koller. In dem TED-Talk, der im Juni diesen Jahres gehalten wurde, stellte sie ihr Projekt vor, das schon damals 650 Tausend Mitglieder umfasste. Heute besuchen 1,8 Millionen Online-Studenten die virtuellen Klassenräume. Und ich bin einer von ihnen.

Durch jenen TED-Talk wurde ich auf die Seite aufmerksam. Zwei Wochen später begann bereits der erste Kurs. Aus den insgesamt 204 angebotenen Kursen wählte ich den Kurs „Gamification“ aus. Mein Dozent, Kevin Werbach, ist zurzeit an der University of Pennsylvania angestellt, eine der 33 Universitäten, die das Projekt unterstützen.

Studentenleben

Sechs Wochen studiere ich an der Internetuniversität. Jede Woche stehen zwei Stunden Videovorlesungen sowie eine Prüfungsleistung auf dem Plan. Doch die Videos rauschen nicht nur im Hintergrund, während ich auf Facebook die neusten Nachrichten aus dem Offline-Studentenleben lese. Die Videos fordern nämlich Interaktion. Alle paar Minuten poppt eine kleine Multiple-Choice-Frage auf, die das Wissen der vorherigen Minuten prüft. Die Fragen fließen zwar nicht in die Benotung ein, beantwortet man sie aber falsch, läuft das Video nicht weiter. Ich will sie trotzdem richtig beantworten.

In der Offline-Vorlesung bekomme ich eineinhalb Stunden zusammengestauchte Weisheit, die viel zu oft, ohne Spuren zu hinterlassen, an mir vorbeizieht. Auf Coursera bekomme ich Wissen in Häppchen. Jedes Themengebiet ist in kleine Einzelvideos von maximal 20 Minuten unterteilt. Habe ich mal etwas nicht verstanden, erklärt mir Herr Werbach die Thematik auch gerne ein zweites oder drittes Mal. Bleibt dann immer noch etwas unklar, hilft ein Blick in das kursinterne Forum. In dieser virtuellen Mensa gibt es zwar kein Essen, aber wichtige Diskussionen mit anderen Kursteilnehmern über den Unterrichtstoff.

Anfangs habe ich 81 Tausend Kommilitonen. In der zweiten Woche sind nur noch 61 % der angemeldeten Kursteilnehmer aktiv. Immer noch ein überdurchschnittliches Ergebnis meint Kevin Werbach in seiner letzten Sitzung. Dass die Anzahl an Kursabbrechern online im Schnitt knapp 50 % beträgt, ist nicht verwunderlich. Virtuell schreibt man sich gerne impulsiv in einen Kurs ein. Am Ende der sechs Wochen erhielten 8280 ein Zertifikat, dass ihre Leistung bescheinigt. Das Zertifikat wird immer dann ausgestellt, wenn mehr als 70 % der Maximalpunktzahl erreicht wurden. Ich gehörte auch dazu.

Virtuelle Universität – reale Leistung

Wer nun denkt, Coursera sei eine Plattform, auf der inflationär Zertifikate renommierter Dozenten verteilt werden, hat sich getäuscht. Die Leistungsansprüche auf Coursera sind hoch. In meinem sechs Wochen habe ich 24 Stunden Onlinevorlesungen gelauscht, vier Tests, zwei kleine schriftliche Abgaben mit jeweils 800 Wörter, sowie eine Abschlussklausur und ein schriftliches Abschlussprojekt mit 1500 Wörtern geschrieben.

Die Tests werden im Multiple-Choice-Verfahren durchgeführt. Bei den schriftlichen Abgaben kommt eine Methode zutragen, die typisch für Coursera ist. Durch das sogenannte Peer-Assessments-Verfahren benoten sich die Studenten selbst. Hierzu bekommt jeder Student die Abgaben von fünf zufällig ausgewählten anderen Studenten. Diese Studenten benotet er dann nach klaren Richtlinien. Zugegebenermaßen hatte ich zu Beginn Respekt davor, Aufgaben anderer zu bewerten, doch die Aufteilung in quantitative (hat der Teilnehmer alle geforderten Punkte behandelt?) und qualitative (hat der Student die Punkte angemessen bearbeitet?) Maßstäbe hilft. Der klare Vorteil der Peer-Assessment-Methode ist, dass der Teilnehmer Einblick in die Lösungen von anderen bekommt.  Mir kam die Benotung der Abgaben fair vor. In den Foren oder in der obligatorischen Facebook-Gruppe stieß man nur selten auf Beschwerden.

Bringt das was?

Die Frage aller Fragen ist natürlich: „Was bringt mir das Ganze?“ Ich kann behaupten, dass ich durch das Seminar Wissen erlangt habe, dass ich offline nicht verfügbar habe. An der Universität in Tübingen gibt es kein Seminar mit dem Titel „Gamification“. Des weiteren bietet Coursera die Chance, Seminare in Psychologie und anderen Fächern zu besuchen, die durch einen NC beschränkt sind. Welchen Wert die Zertifikate im späteren Berufsleben haben, kann ich derzeit nicht einschätzen. Coursera ist in Deutschland noch nicht etabliert, dennoch handelt es sich um ein Zertifikat eines renommierten Dozenten einer Top-Universität.

Würde ich den PC auf Dauer gegen meinen „Real Life Dozenten“ tauschen? Ja. Das Online-Studium war in jedem Fall eine lohnende Erfahrung, da es die eigene Disziplin und Arbeitsmoral fördert. Auch meinem Englisch hat die Online-Uni gut getan, schließlich werden alle Vorlesungen auf Englisch gehalten.  Nicht zuletzt die freie Zeiteinteilung war ein klarer Pluspunkt. So passte sich der Workload meinem Biorhythmus an und nicht umgekehrt.

 

Foto: Copyright Sebastian Luther (CC-BY-NC)

Kultur im Netz – Ein Spannungsfeld: Spielen für eine bessere Welt

von Stefan Reuter

Gamification, also die Einbindung von Spielemechanismen wie Auszeichnungen, Highscores und Missionen in den Alltag, wird als Marketingmaßnahme von immer mehr Unternehmen genutzt. Aber Spiele könnten mehr bewirken als Absätze zu fördern: Zum Beispiel die Welt ein Stückchen besser machen.

Max Mustermann auf geheimer Mission

Herr Mustermann hat einen Auftrag: Seine Frau will das tolle Kaffeeservice, dass es als Prämie für regelmäßigen Einkauf im Supermarkt gibt, haben. Ihnen fehlen nur noch zwei Punkte im Bonusheft, dann können sie die Belohnung für ihre Treue mitnehmen. Also achtet Herr Mustermann darauf, beim heutigen Kleineinkauf genug Artikel mitzunehmen, um den Betrag, der an der Kasse mit den letzten beiden Punkten belohnt wird, zu erreichen. Solche Bonusprogramme gibt es überall: Im Café, an der Tankstelle, beim Bäcker. Sie sollen die Kunden dazu bringen, mehr Geld auszugeben und lassen dabei einige Mechanismen aus Spielen erkennen. Man könnte daher sagen, sie stellen eine Vorstufe der Gamification dar:

the application of typical elements of game playing (e.g. point scoring, competition with others, rules of play) to other areas of activity, typically as an online marketing technique to encourage engagement with a product or service

Das Geheimrezept für Gamification?

Gerade im Marketing erlebt Gamification gerade einen Hype, obwohl noch nicht bekannt ist, wie effektiv diese Maßnahme wirklich ist. Zudem beschränken sich die meisten Anwendungen auf das Verteilen von Belohnungen ohne dabei zu berücksichtigen, warum Spiele eigentlich Spaß machen und motivieren. Wie genau sie das schaffen können, untersucht der Medienwissenchaftler Sebastian Deterding. Auch er kann kein Geheimrezept für die bombensichere Gamification-Anwendung bieten, weist aber zumindest auf drei wichtige Zutaten hin, die meistens noch fehlen: Herausforderung, Relevanz und Autonomie.

Das Bonusprogramm-Beispiel erfüllt zumindest rudimentär einige Kriterien der Herausforderung: Es gibt ein klares Ziel und eine Belohnung, wenn es erreicht wird. Es gibt Regeln: Für den Einkauf in einem bestimmten Laden gibt es Punkte und zwar eine festgelegte Anzahl pro ausgegebenem Betrag. Und der Kunde erfährt, wie nahe er seinem Ziel, also beispielsweise dem Kaffeeservice, ist. Er erhält Feedback: Dir fehlen noch zwei Punkte. Wirklich spannend ist das nicht, denn einkaufen muss Familie Mustermann ohnehin. Dass sie dafür belohnt werden, stört sie natürlich nicht. Doch laut Deterding zählt bei Spielen nicht einfach das Erhalten von Belohnungen, sondern eben das Bewältigen von Herausforderungen und das damit einhergehende Erfolgserlebnis. Spiele schaffen das, indem sie den Weg zum Gesamtziel, oft also die Rettung ganzer Welten, durch einzelne kleinere Ziele strukturieren, die im Anspruch gestuft sind. Die Spieler müssen sich in der Welt zurecht finden, schwächere Gegner bekämpfen und sich starken Zwischengegnern stellen. Scheitern sie dabei zunächst, erhöht sich das Erfolgserlebnis letztlich bei der Bewältigung der Aufgabe. Ein Beispiel für eine kommerzielle Gamification-Anwendung, die den User vor wirkliche Herausforderungen stellt, ist die NIKE+-Community. Wer dort angemeldet ist, kann seine via im Schuh angebrachtem Sensor beim Laufen aufgezeichneten Daten, also zurückgelegte Strecke, Geschwindigkeit etc., per iPod hochladen. So kann er seine Leistungen mit anderen Mitgliedern vergleichen und so in Wettbewerb treten. Zudem ist es möglich, sich selbst Aufgaben zu stellen, also beispielsweise dreimal die Woche zu laufen oder eine Strecke innerhalb eines einer bestimmten Zeit zu bewältigen. So kann der User Punkte und Auszeichnungen sammeln. Schafft er das nicht, wird er es erneut versuchen. Hiermit wird auch Deterdings Forderung nach Autonomie erfüllt: Die Nutzer können sich ihr Trainingsprogramm selbst zusammen stellen oder Wettbewerbe veranstalten. Das Kernziel der Nutzung liegt bei NIKE+ also darin, sportlich aktiv zu sein. Und wenn es nach NIKE geht, der Marke treu zu bleiben.

Reality is broken – let’s fix it

Die Plattform erfüllt auch einige der Relevanz-Kriterien Deterdings: Sie hilft der Community und jedem Einzelnen, Sport zu treiben. Das wichtigste Merkmal von Spielen an sich ist Freiwilligkeit. Um Relevanz für etwas zu schaffen, dass man nicht ohnehin tun will, kann es helfen, eine Geschichte zu erzählen. Im Alternate Reality-Game (ARG) EVOKE von 2008 wurden die Spieler zu Agenten der gleichnamigen Organisation. Ihre Mission: Versorgungskrisen lösen, Frauenrechte stärken oder Ressourcen schonen. Sinn des Spiels: Jugendliche zu sozialem Engagement motivieren. Konzipiert wurde es unter anderem von Jane McGonigal, der Hohepriesterin der Gamification. Ihr geht es aber nicht darum, wie Spielmechanismen zu Marktingzwecken genutzt werden können, sondern darum, wie sie die Welt zu einem besseren Ort machen können. Sie selbst vermeidet dabei aber den Begriff Gamification.  In ihrem Buch „Reality is broken“ beschreibt die Spieldesignerin, gestützt von Erkenntnissen aus Psychology und Medizin, warum Videospiele zu unrecht als Zeitverschwendung betrachtet werden und warum wir alle viel mehr spielen sollten. Ihrer Ansicht nach ist es möglich, den Reiz von Spielen auf Probleme in der Realität zu übertragen. Sie weist daraufhin, dass Spiele es ermöglichen, wirklich Bedeutendes zu schaffen – Stichwort Weltrettung. Warum also nur virtuell zum Helden werden? Ihre Idee war es, mit EVOKE über ein Spiel zu Aktionen im persönlichen Umfeld zu motivieren. Dazu wurden den Spielern Missionen auferlegt, beispielsweise zunächst einmal ein Vorbild für soziales Engagement zu finden. Die Aufgaben wurden in eine übergeordnete Geschichte über weltweit agierende EVOKE-Agenten, die durch Webcomics auf der Webseite erzählt wurden, eingebettet. Im Verlauf der Missionen stiegen die Ansprüche, zum Beispiel sollten die Spieler einer bedürftigen Person dazu verhelfen, regelmäßige Mahlzeiten zu erhalten. Das Spiel sollte sich vor allem an Jugendliche in Afrika richten, weswegen auch eine optimierte Version für den Zugriff per Handy geschaffen wurde. Das Ziel der Entwickler war also, Hilfe zur Selbsthilfe, vor allem in armen Regionen zu bieten. Die Erfüllung der Aufgaben sollte durch Texte, Bilder, Videos etc. bewiesen und auf der Seite hochgeladen werden. Dafür erhielten sie Auszeichnungen und konnten ihre Werte wie Kreativität oder Courage steigern. Zu diesem virtuellen Feedback dürfte sich auch das Gefühl, wirklich etwas zu bewegen, gesellt haben. Neben den Missionen gab es auch „Quests“, die dazu dienen sollten, die Heldenidentität der Teilnehmer zu formen. Unter anderem sollten drei Dinge genannt werden, in denen man besser ist, als die meisten Freunde oder Verwandten. In ihrem Buch beschreibt McGonigal, was damit bezweckt werden soll:

By completing these introspective quests, players aren’t just learning about their own strengths or charting their future. They’re also developing the foundations for a multimedia business plan that they can use to attract collaborators, mentors and investors.

Das Potential von Spielen

Natürlich sind solche Spiele zur Weltverbesserung derzeit eher Experimente. Fakt ist aber, dass Gamification Möglichkeiten eröffnen könnte, die weit über kommerzielle Nutzung hinaus gehen. So soll Health Month helfen, gesünder zu leben oder das Puzzlespiel Foldit die Erforschung von Proteinen crowdsourcen, indem die Spieler die Moleküle zusammenbauen, um so mehr über ihre Eigenschaften zu erfahren. Es steckt also jede Menge ungeahntes Potential in Spielen, es kommt nur darauf an, wie sie genutzt werden.

Kommenden Freitag geht es um den Aufstieg der Indie Games.

Quelle: McGonigal (2011). Reality is Broken. Why Games Makes Us Better and How They Can Change the World. London: Jonathan Cape.

 

Fotos: flickr/Adam Holloway (CC BY-NC-ND 2.0) , flickr/Meet the Media Guru (CC BY-SA 2.0)