Kultur im Netz – Ein Spannungsfeld: Der Aufstieg der Indie Games

von Stefan Reuter

Werbespots in TV und Kino, regelmäßige Berichterstattung in den Qualitätsmedien, bestens besuchte Branchenmessen – Videospiele sind fester Bestandteil der Gegenwartskultur. Und ein weltweites Milliardengeschäft. Doch die Industrie muss sich warm anziehen, denn unabhängige Spieleentwickler erzielen mit wilden Ideen und minimalem Budget finanzielle Erfolge – dem Internet sei Dank!

Spiel mit der Kreativität

2009 stellte der schwedische Programmierer Markus „Notch“ Persson die erste Version des Spieles zum Download für den PC bereit, das ihn zum Millionär machen sollte: Minecraft. Die Welt von Minecraft besteht vollständig aus Klötzen verschiedenen Materials, die der Spieler abbauen und zu verschiedenen Gegenständen kombinieren kann. Aus Steinen und Stöcken wird beispielsweise eine Axt mit der wiederum das für die Stöcke und viele weitere Dinge essentielle Holz schneller abgebaut werden kann. Die Klötze der Spielwelt können aber nicht nur weiterverarbeitet werden, sondern lassen sich auch frei in der Umgebung platzieren. Der Spieler muss sich so für die Nacht einen sicheren Unterschlupf bauen oder eine Höhle graben, um vor den in der Dunkelheit umherstreifenden Monstern geschützt zu sein. Abgesehen davon gab es ursprünglich kein wirkliches Spielziel, diese wurden erst nachträglich hinzugefügt.

Der eigentliche Clou in der Spielmechanik von Minecraft liegt darin, dass es absolute Freiheit lässt, wie und was gespielt wird, egal ob allein oder im Online-Mehrspielermodus. Zunächst waren das Erforschen der Welt und der möglichen Gegenstände die liebsten Beschäftigungen der wachsenden Schar der Anhänger, bis sie schließlich entdeckten, dass absolute Veränderbarkeit der Welt ihnen ungeahnte kreative Möglichkeiten eröffneten. Warum also nicht ein maßstabsgetreues Modell der USS Enterprise, eine gigantische Cola-Dose oder das Kolosseum aus tausenden von Klötzen errichten?

Klötzchen für Millionen

Die Idee, ein Grundgerüst zu schaffen, dass den Spielern in ihrer Kreativität freien Lauf lässt, hat Persson zum Millionär gemacht. 60 Millionen Euro Gewinn machte seine inzwischen gegründete kleine Firma im Geschäftsjahr 2011. Und Persson verteilte den eigenen Anteil unter seinen Mitarbeitern, etwa 110.000 Euro für jeden. In Minecraft investiert hatte der Programmierer zu Beginn praktisch nur Zeit, erst mit dem zunehmenden Ausbau und der Gründung seiner Firma kamen Kosten hinzu. Diese konnte er decken, da er das Spiel bereits während der Entwicklungszeit für ein geringes Entgelt über die Webseite verkaufte, wobei der Preis zunehmend auf inzwischen knapp 20 Euro leicht anstieg. Dank Mundpropaganda, zahlreicher Berichte im Netz und euphorischer Kritiken, kann das Game inzwischen über 9 Millionen verkaufter Exemplare für sich verbuchen.

Aufgrund dieses immensen kommerziellen, und auch kreativen, Erfolgs steht Minecraft stellvertretende für die zunehmende Popularität sogenannter Indie Games, welche sich folgendermaßen definieren lassen:

 a game that is both (a) developed to completion without any publisher or licensor inteference, and (b) created by a single developer or a small team

Die Motivation von Indie Game-Entwicklern liegt oft darin begründet, dass die meisten Neuerscheinungen kaum Innovationen bieten und, ähnlich wie beim Film, meist bombastische Effekte Tiefgang oder mutigen Experimenten bevorzugt werden.

Abkehr vom Hochglanz

Während die meisten kommerziellen Titel vor allem durch immer bessere Grafik auf sich aufmerksam machen, stehen bei Indie Games originelle Spielideen im Vordergrund. Dabei beziehen sie sich oft auf klassische Gestaltungsformen, um sozusagen ein auf den Kern reduziertes Spielgefühl zu vermitteln, und verbinden sie mit neuen Ansätzen. Hier zeigt sich eine Parallele zur Musik: Bands wie The Strokes oder Franz Ferdinand, die landläufig als „indie“ bezeichnet werden, zeichnen sich oft dadurch aus, dass sie sich beispielsweise beim britischen New Wave der 80er oder dem Garage Rock der späten 60er bedienen und diese Einflüsse zeitgemäß verarbeiten. Bei Indie Games sieht das ähnlich aus: So ist Braid im Kern ein klassisches 2D-Jump ’n‘ Run, wie beispielsweise Super Mario Bros., eröffnet aber durch die Möglichkeit, die Zeit zu manipulieren, einer Vielzahl von Interpretationsebenen und seinem visuellen Stil ein neues Spielerlebnis – und wurde ein Erfolg. Genau wie Minecraft verdankt auch Braid seinen Erfolg dem Internet, zum einen durch die online erlangte Aufmerksamkeit, zum anderen durch die Möglichkeit, das Spiel direkt zu verkaufen.

Die Frage, ob Indie Games also die Zukunft der Spiele sind und die großen Entwickler verdrängen werden, beantwortet Persson in einem Interview mit einem deutschen Spielemagazin vorsichtig:

Ich hoffe, es wird beides geben. Ich liebe es auch, die aktuellsten Shooter zu spielen. Das ist wie ein Hollywood-Actionfilm und darf nicht aussterben. Aber ich hoffe auch auf mehr Raum für kleinere Teams, die originelle Ideen umsetzen. Es war lange Zeit ein Trend, die Teams immer weiter zu vergrößern und mit mehren hundert Leuten einen Blockbuster zu entwickeln. Das ist auf lange Sicht bestimmt nicht gesund für die Branche. Du brauchst ja schließlich auch keine 200 Leute, um ein gutes Buch zu schreiben, und so verhält es sich eben auch in der Spielebranche.

Es bleibt spannend, welche Perlen so noch entstehen werden und ob sie auch weiterhin erfolgreich sein können. Insbesondere in Verbindung mit Crowdfunding-Modellen und funktionierenden unabhängigen Vertriebsplattformen könnten Indie-Entwickler ernsthafte Konkurrenten für die Branchenriesen werden.

Fotos: flickr/Ramen Junkie (CC BY-NC 2.0),  flickr/thedalogs (CC BY-NC 2.0)

Der Kommunikationszwang

Piepsende Smartphones und aufploppende Facebooknachrichten werden schnell zum nervigen Zwang. Im Interview mit media-bubble.de spricht Nina Pauer, Autorin des Buchs „LG ; -) Wie wir vor lauter Kommunizieren unser Leben verpassen“, über Facebook, Offline-Romantik und Wege aus dem Kommunikationszwang.

I need a Dollar – Der virtuelle Klingelbeutel

von Sebastian Seefeldt

Crowdfunding gehört zu den Netztrends der letzten Jahre. Projekte werden mit Millionenbeträgen finanziert – freiwillig und aus privaten Haushalten. Was steckt hinter der digitalen Schwarmfinanzierung und welche Perspektiven hat sie?

Crowd-was?

Auf Kickstarter, dem führenden Crowdfundingportal im Netz, sammelte die bisher erfolgreichste Aktion 10.266.846 $. Dabei handelt es sich um eine digitale Uhr mit E-Inkdisplay. Sie gehört somit zu den glücklichen 40 bis 45 Prozent der Projekte, die ihr Finanzierungsziel erreichen. Aber warum sollte man das eigene Geld in fremde Projekte stecken?
Das besondere an Kickstarter (und den meisten anderen Crowdfundingplattformen) ist, dass jede Spende an eine Gegenleistung gebunden ist. Wer 10 $ für die Konsole OUYA abzweigt, kann sich seinen Usernamen im Vorfeld auf ihr sichern. Wer 10 000$ spendet, darf sich über eine Gravur des eigenen Namens auf allen Geräten der ersten Produktionsserie freuen. Des Weiteren werden sie zu einem privaten Dinner mit der Produktionsverantwortlichen eingeladen und erhalten (selbstverständlich) eine Konsole.

Wer bereit ist in ein Projekt zu investieren – wenn auch keine 10 000$ – kann das enorm einfach tun: Einloggen via Facebook Account, Bezahlung via Amazon Konto. Neben dem hohen Komfort ist die Seite auch sicher: Jedes Projekt wird vor der Veröffentlichung auf der Seite eingesehen. Sollte das Zielbudget nicht erreicht werden, findet auch keine Abbuchung statt. Eine Studie der University of Pennsylvania untersuchte, was aus erfolgreichen Kickstarter-Projekten geworden ist. Drei Viertel aller Projekte werden zwar später fertig, aber nur sehr wenige enttäuschten ihre Geldgeber. Kickstarter scheint wie ein Shoppingcenter für Dinge, die es noch gar nicht gibt. Mit der ursprünglichen Idee der 2009 gegründeten Seite hat dies nicht mehr viel zu tun: Zunächst war die Seite als Zufluchtsort für brotlose Künstler gedacht. Im Laufe der Zeit wurde aber aus dem Auffangbecken für Musiker ein Sammelsurium an Unterhaltungselektronik und Co.. Wie eine Statistik der New York Times zeigt, liegen die durschnittlichen Finanzierungen in diesen Kategorien mittlerweile bei ca. 12 700 $ pro bewilligtem Projekt, wohingegen die Musikkategorie nur mit 3 500$ rechnen darf.
Bei Kickstarter geht es aber nicht nur um die Sicherung einer Finanzierung, sondern immer auch darum, ein Publikum aufzubauen. Produkte können so schon vor ihrer offiziellen Markteinführung bekannt gemacht werden und alte oder neue Fancommunitys aktiviert werden. Und das alles im Rahmen eines bequemen Subskriptions-Geschäfts, das für den Kunden – anders als für einen klassischen Investor – kaum ein Risiko birgt.

Crowdfunding in Deutschland

Neben dem internationalen Riesen gibt es auch deutsche Alternativen. Auf Startnext sucht beispielsweise Comedian René Marik nach Unterstützern für seinen neuen Film und bietet im Gegenzug Statistenrollen und mehr. Laut dem deutschen Crowdfunding-Monitor wird auf allen nationalen Plattformen „bis zur Jahresmitte bereits ein Betrag von knapp 640.000 € eingesammelt werden. Dieser Wert übertrifft damit schon jetzt das Jahresergebnis 2011 um rund 40 %. Insofern kann für 2012 von einem Volumen von 2 Mio. € ausgegangen werden“. Doch ganz so rosig sieht es auf dem deutschen Markt doch nicht aus, wie die Zeit berichtet.

Ein kurze Rechnung zeigt: Crowdfunding in Deutschland ist nicht rentabel (wobei die Frage ist, wie profitorientiert eine solche Seite überhaupt sein darf). Auf jedes vermittelte Projekt veranschlagen die meisten Plattformen 8-9% Vermittlungsgebühren. Wenn man von den erwarteten 2 Mio. Euro pro Jahr ausgeht, ergeben sich 180 000 Euro die einbehalten werden. 180 000 Euro die sich fünf Plattformen teilen müssen. Somit bleiben im Durchschnitt 36 000 Euro im Jahr, die auch für laufende Kosten wie Büros, Angestellte usw. herhalten müssen. Die Branche macht sich daher wenig Hoffnung, dass sich das Geschäft mit dem Geldeinsammeln kurzfristig doch noch lohnen könnte. „Alle deutschen Plattformen werden quer finanziert, meist stecken kleinere oder mittlere Kommunikationsagenturen dahinter„. Die Zahlen der Studie mögen zwar richtig sein, setzt man sie in Relation, ist sie aber mehr als ernüchternd. Gründe für das Ausbleiben des Crowdfunding-Hypes könnten unter anderen die unterschiedliche Mentalität in den USA und in anderen Ländern sein.

Die Gründe für diese ernüchternde Bilanz sind vielfältig: Zum einen graben sich die Plattformen auf dem ohnehin kleinen deutschen Markt gegenseitig das Wasser ab, zum anderen übt der amerikanische Marktführer Kickstarter mit seiner riesigen weltweiten Community eine deutlich größere Anziehungskraft auf Künstler aus. Wer kann, inseriert dort. Erschwerend kommen außerdem die deutschen Konsumgewohnheiten und die Förderstrukturen des hiesigen Kulturbetriebs hinzu. Kurz: Noch ist Crowdfunding – trotz anhaltend überschwänglicher Medienberichte – nicht im Mainstream angekommen

beschreibt zeit.de das bundesdeutsche Problem mit dem Geldsammeln.

Aber auch der internationale Riese kommt nicht ungeschoren davon: Kickstarter verbirgt erfolglose Projekte vor Suchmaschinen. So entdeckte der Technikjournalist Dan Misener, dass dem HTML-Code (der Code, aus dem eine Seite aufgebaut ist) der fehlgeschlagenen Projekte ein Metaelement hinzugefügt wurde, welches Suchmaschinen wie Google untersagt sie als Suchergebnis aufzuführen. Kurz: Erfolglose Kickstarter Projekte gibt es augenscheinlich nicht.

Und doch begeistern die Crowdfunding-Plattformen. Dank ihnen konnten viele Menschen Ideen realisieren, für die sie nie einen Bankkredit bekommen hätten. Sei es nun eine E-Ink Uhr, eine Spielekonsole oder Uli Marschners Germknödelrestaurant.

 

Bilder: flickr.com/401(K) 2012  (CC BY-SA 2.0) und flickr.com/Scott Beale (CC BY-NC-ND 2.0)

 

Kultur im Netz – Ein Spannungsfeld: Spielen für eine bessere Welt

von Stefan Reuter

Gamification, also die Einbindung von Spielemechanismen wie Auszeichnungen, Highscores und Missionen in den Alltag, wird als Marketingmaßnahme von immer mehr Unternehmen genutzt. Aber Spiele könnten mehr bewirken als Absätze zu fördern: Zum Beispiel die Welt ein Stückchen besser machen.

Max Mustermann auf geheimer Mission

Herr Mustermann hat einen Auftrag: Seine Frau will das tolle Kaffeeservice, dass es als Prämie für regelmäßigen Einkauf im Supermarkt gibt, haben. Ihnen fehlen nur noch zwei Punkte im Bonusheft, dann können sie die Belohnung für ihre Treue mitnehmen. Also achtet Herr Mustermann darauf, beim heutigen Kleineinkauf genug Artikel mitzunehmen, um den Betrag, der an der Kasse mit den letzten beiden Punkten belohnt wird, zu erreichen. Solche Bonusprogramme gibt es überall: Im Café, an der Tankstelle, beim Bäcker. Sie sollen die Kunden dazu bringen, mehr Geld auszugeben und lassen dabei einige Mechanismen aus Spielen erkennen. Man könnte daher sagen, sie stellen eine Vorstufe der Gamification dar:

the application of typical elements of game playing (e.g. point scoring, competition with others, rules of play) to other areas of activity, typically as an online marketing technique to encourage engagement with a product or service

Das Geheimrezept für Gamification?

Gerade im Marketing erlebt Gamification gerade einen Hype, obwohl noch nicht bekannt ist, wie effektiv diese Maßnahme wirklich ist. Zudem beschränken sich die meisten Anwendungen auf das Verteilen von Belohnungen ohne dabei zu berücksichtigen, warum Spiele eigentlich Spaß machen und motivieren. Wie genau sie das schaffen können, untersucht der Medienwissenchaftler Sebastian Deterding. Auch er kann kein Geheimrezept für die bombensichere Gamification-Anwendung bieten, weist aber zumindest auf drei wichtige Zutaten hin, die meistens noch fehlen: Herausforderung, Relevanz und Autonomie.

Das Bonusprogramm-Beispiel erfüllt zumindest rudimentär einige Kriterien der Herausforderung: Es gibt ein klares Ziel und eine Belohnung, wenn es erreicht wird. Es gibt Regeln: Für den Einkauf in einem bestimmten Laden gibt es Punkte und zwar eine festgelegte Anzahl pro ausgegebenem Betrag. Und der Kunde erfährt, wie nahe er seinem Ziel, also beispielsweise dem Kaffeeservice, ist. Er erhält Feedback: Dir fehlen noch zwei Punkte. Wirklich spannend ist das nicht, denn einkaufen muss Familie Mustermann ohnehin. Dass sie dafür belohnt werden, stört sie natürlich nicht. Doch laut Deterding zählt bei Spielen nicht einfach das Erhalten von Belohnungen, sondern eben das Bewältigen von Herausforderungen und das damit einhergehende Erfolgserlebnis. Spiele schaffen das, indem sie den Weg zum Gesamtziel, oft also die Rettung ganzer Welten, durch einzelne kleinere Ziele strukturieren, die im Anspruch gestuft sind. Die Spieler müssen sich in der Welt zurecht finden, schwächere Gegner bekämpfen und sich starken Zwischengegnern stellen. Scheitern sie dabei zunächst, erhöht sich das Erfolgserlebnis letztlich bei der Bewältigung der Aufgabe. Ein Beispiel für eine kommerzielle Gamification-Anwendung, die den User vor wirkliche Herausforderungen stellt, ist die NIKE+-Community. Wer dort angemeldet ist, kann seine via im Schuh angebrachtem Sensor beim Laufen aufgezeichneten Daten, also zurückgelegte Strecke, Geschwindigkeit etc., per iPod hochladen. So kann er seine Leistungen mit anderen Mitgliedern vergleichen und so in Wettbewerb treten. Zudem ist es möglich, sich selbst Aufgaben zu stellen, also beispielsweise dreimal die Woche zu laufen oder eine Strecke innerhalb eines einer bestimmten Zeit zu bewältigen. So kann der User Punkte und Auszeichnungen sammeln. Schafft er das nicht, wird er es erneut versuchen. Hiermit wird auch Deterdings Forderung nach Autonomie erfüllt: Die Nutzer können sich ihr Trainingsprogramm selbst zusammen stellen oder Wettbewerbe veranstalten. Das Kernziel der Nutzung liegt bei NIKE+ also darin, sportlich aktiv zu sein. Und wenn es nach NIKE geht, der Marke treu zu bleiben.

Reality is broken – let’s fix it

Die Plattform erfüllt auch einige der Relevanz-Kriterien Deterdings: Sie hilft der Community und jedem Einzelnen, Sport zu treiben. Das wichtigste Merkmal von Spielen an sich ist Freiwilligkeit. Um Relevanz für etwas zu schaffen, dass man nicht ohnehin tun will, kann es helfen, eine Geschichte zu erzählen. Im Alternate Reality-Game (ARG) EVOKE von 2008 wurden die Spieler zu Agenten der gleichnamigen Organisation. Ihre Mission: Versorgungskrisen lösen, Frauenrechte stärken oder Ressourcen schonen. Sinn des Spiels: Jugendliche zu sozialem Engagement motivieren. Konzipiert wurde es unter anderem von Jane McGonigal, der Hohepriesterin der Gamification. Ihr geht es aber nicht darum, wie Spielmechanismen zu Marktingzwecken genutzt werden können, sondern darum, wie sie die Welt zu einem besseren Ort machen können. Sie selbst vermeidet dabei aber den Begriff Gamification.  In ihrem Buch „Reality is broken“ beschreibt die Spieldesignerin, gestützt von Erkenntnissen aus Psychology und Medizin, warum Videospiele zu unrecht als Zeitverschwendung betrachtet werden und warum wir alle viel mehr spielen sollten. Ihrer Ansicht nach ist es möglich, den Reiz von Spielen auf Probleme in der Realität zu übertragen. Sie weist daraufhin, dass Spiele es ermöglichen, wirklich Bedeutendes zu schaffen – Stichwort Weltrettung. Warum also nur virtuell zum Helden werden? Ihre Idee war es, mit EVOKE über ein Spiel zu Aktionen im persönlichen Umfeld zu motivieren. Dazu wurden den Spielern Missionen auferlegt, beispielsweise zunächst einmal ein Vorbild für soziales Engagement zu finden. Die Aufgaben wurden in eine übergeordnete Geschichte über weltweit agierende EVOKE-Agenten, die durch Webcomics auf der Webseite erzählt wurden, eingebettet. Im Verlauf der Missionen stiegen die Ansprüche, zum Beispiel sollten die Spieler einer bedürftigen Person dazu verhelfen, regelmäßige Mahlzeiten zu erhalten. Das Spiel sollte sich vor allem an Jugendliche in Afrika richten, weswegen auch eine optimierte Version für den Zugriff per Handy geschaffen wurde. Das Ziel der Entwickler war also, Hilfe zur Selbsthilfe, vor allem in armen Regionen zu bieten. Die Erfüllung der Aufgaben sollte durch Texte, Bilder, Videos etc. bewiesen und auf der Seite hochgeladen werden. Dafür erhielten sie Auszeichnungen und konnten ihre Werte wie Kreativität oder Courage steigern. Zu diesem virtuellen Feedback dürfte sich auch das Gefühl, wirklich etwas zu bewegen, gesellt haben. Neben den Missionen gab es auch „Quests“, die dazu dienen sollten, die Heldenidentität der Teilnehmer zu formen. Unter anderem sollten drei Dinge genannt werden, in denen man besser ist, als die meisten Freunde oder Verwandten. In ihrem Buch beschreibt McGonigal, was damit bezweckt werden soll:

By completing these introspective quests, players aren’t just learning about their own strengths or charting their future. They’re also developing the foundations for a multimedia business plan that they can use to attract collaborators, mentors and investors.

Das Potential von Spielen

Natürlich sind solche Spiele zur Weltverbesserung derzeit eher Experimente. Fakt ist aber, dass Gamification Möglichkeiten eröffnen könnte, die weit über kommerzielle Nutzung hinaus gehen. So soll Health Month helfen, gesünder zu leben oder das Puzzlespiel Foldit die Erforschung von Proteinen crowdsourcen, indem die Spieler die Moleküle zusammenbauen, um so mehr über ihre Eigenschaften zu erfahren. Es steckt also jede Menge ungeahntes Potential in Spielen, es kommt nur darauf an, wie sie genutzt werden.

Kommenden Freitag geht es um den Aufstieg der Indie Games.

Quelle: McGonigal (2011). Reality is Broken. Why Games Makes Us Better and How They Can Change the World. London: Jonathan Cape.

 

Fotos: flickr/Adam Holloway (CC BY-NC-ND 2.0) , flickr/Meet the Media Guru (CC BY-SA 2.0)

„Nur gucken, nicht anfassen!“ – Eifersuchtsfalle Social Media

Von Sandra Fuhrmann

„Liebe ohne Eifersucht gibt es praktisch nicht, und in gewissem Maße ist sie sogar positiv“, sagt der Berliner Psychologe Wolfgang Krüger. Eine klassische Situation: Der Partner trifft jemanden auf der Straße und unterhält sich angeregt. „Wer war das denn?“ wird die fast unvermeidliche Frage der besseren Hälfte folgen. Doch wie kann man in sozialen Netzwerken bei zweihundert oder noch mehr Freunden den Überblick über die Kontakte des Partners behalten? Laut einer Studie der kanadischen Psychologin Wera Aretz verstärkt Facebook die Eifersucht in Beziehungen.

„Früher musste ein Partner ja nicht den ganzen Tag Rechenschaft ablegen, mit wem er sich trifft und was er so tut. Heute posten die meisten freiwillig Informationen über ihr Leben“, so Aretz. Gerade diese Öffentlichkeit der persönlichen Informationen ist es laut der Psychologin, die geradezu zum Schnüffeln verführt. Damit werden auch die Partner zum potenziellen Kontrollfreak, die im nicht digitalen Leben kaum zu Eifersucht neigen – die Hemmschwelle sinkt, denn das Spionieren ist einfach und zudem unauffällig. Doch welchen Einfluss hat das auf unsere Beziehungen?

Der Lippenstift am Hemdkragen

Psychologe Wolfgang Krüger ist der Meinung, dass hinter Eifersucht die Angst steckt, verlassen zu werden. Zum einen ist Eifersucht ein Stück weit normal und kann dem Partner zeigen, dass er uns wichtig ist. Nimmt sie jedoch überhand, kann sie eine Beziehung gefährden. Soziale Netzwerke können unter Umständen einen Nährboden für diese Eifersucht liefern, indem sie private Informationen zu öffentlichen machen, die von jedem eingesehen werden können. Die meisten Leute geben diese persönlichen Informationen sogar freiwillig preis. Sie posten ihren Beziehungsstatus, veröffentlichen Bilder ihrer Partys und zeigen jedem, mit wem sie befreundet sind. Was früher der Lippenstift am Hemdkragen war, kann heute ein plötzlich neu auftauchender Freund in Facebook sein oder ein Partybild mit einer unbekannten Schönheit, auf dem man von einem Freund markiert wird. Mit genügend Phantasie und dem entsprechenden Eifersuchtspotenzial können so die heißesten Affären entstehen – wenn auch nur in der Fantasie des Partners.

Die Verführung ist groß – viele Menschen aktualisieren regelmäßig ihren Status, sammeln Freunde und versuchen sich in ihrem Profil möglichst gut zu präsentieren. Ein durchaus legitimes und zuweilen sogar ratsames Bestreben. Gerade für berufliche Zwecke, doch auch im privaten Leben, ist es heute wichtiger denn je, ein wenig Mühe in die Gestaltung seines Online-Auftritts zu stecken. Doch hier sollte differenziert werden: Welche Informationen gehören tatsächlich auf eine öffentlich einsehbare Seite und welche Dinge behält Mann oder Frau doch lieber für sich? Hat der eigene Beziehungsstatus tatsächlich etwas auf der Facebook-Profilseite zu suchen? Geht es jemanden etwas an, mit wem man am Vorabend feiern war? Letztendlich ist es eine Frage, die jeder für sich selbst beantworten muss.

Das fehlende Stück Wahrheit

Ein Blick sagt mehr als tausend Worte – das gilt auch für Worte, die sich uns nur in digitaler Form auf dem Bildschirm zeigen. Die kanadische Psychologin Aretz weißt darauf hin, dass ein Stück der Wahrheit im Internet leicht verloren gehen kann. Genau deshalb ist die digitale Eifersucht auch gefährlich. Neuere Erkenntnisse in der Psychologie gehen davon aus, dass 90 Prozent unserer Kommunikation auf der nonverbalen Ebene stattfinden. Das heißt, dass diese Form der Kommunikation einen weit höheren Stellenwert einnimmt, als das, was wir in Form von Worten – ob nun geschrieben oder gesprochen – mitteilen. Verlässt man sich also nur auf digitale Informationen, ist die Chance groß, dass man einem Missverständnis unterliegt. Wer zu Eifersucht neigt, tut gut daran, sich dieses Umstands bewusst zu werden. Ein offenes Gespräch in der realen Welt könnte unter Umständen viel klären.

Das Internet und auch soziale Netzwerke werden immer mehr ein Teil unseres Lebens. Eine Entwicklung, die durch technische Tools wie  Smartphones noch verstärkt wird. Warum also nicht die Regeln des realen Lebens auf die Online-Aktivitäten übertragen? Zumal es ohnehin schwer ist von zwei Welten zu reden, wo unser digitales Leben – heute vermutlich mehr denn je – unser reales beeinflusst und umgekehrt. Ist uns Ehrlichkeit in unserer Beziehung im realen Leben wichtig, dann sollte das auch für digitale Aktivitäten gelten. Und wer seinem Partner in der richtigen Welt vertrauen kann, der kann es mit großer Wahrscheinlichkeit auch online.

 

Fotos: flickr/DonDahlmann (CC BY-NC-ND 2.0); flickr/renee.hawk (CC BY-ND 2.0)

Kultur im Netz – Ein Spannungsfeld: Take Your Game Back

von Stefan Reuter

London liegt in Trümmern, gigantische Raumschiffe vernichten alles und jeden, der sich ihnen in den Weg stellt, die Menschheit steht kurz vor der Vernichtung. Alle Hoffnungen ruhen auf einer Person: Commander Shepard, Held oder Heldin der Videospieltrilogie Mass Effect. Die Mission für das März diesen Jahres erschienen Finale ist klar: „Take Earth Back!“

Der Widerstand erhebt sich

Für viele PC- und Konsolenspieler hatte jedoch eine andere Aufgabe eine wesentlich größere Bedeutung: „Retake Mass Effect 3“. Sie fühlten sich betrogen, denn ihrer Meinung nach wird das Ende der Trilogie den Erwartungen, die sie in insgesamt über hundert Spielstunden voller Action und kinoreifer Inszenierung aufgebaut hatten, in keinster Weise gerecht. Es sei zu kurz, zu verwirrend, zu widersprüchlich und schlicht unwürdig. Die großen Stärken der Spiele, das äußerst detaillierte Universum, seine Bewohner mit all ihren großen und kleinen Schicksalen und vor allem die Freiheit, Entscheidungen zu treffen, deren Auswirkungen im gesamten Verlauf der Geschichte spürbar sind, all das spiele in den letzten Momenten keine Rolle mehr. Insbesondere aufgrund vor Veröffentlichung gegebenen Statements der Entwickler, all dies zu berücksichtigen, fühlten die Fans der Serie sich betrogen. Ein Fan macht in einem Thread im offiziellen BioWare-Forum, in dem diese Aussagen diskutiert werden, klar, warum für ihn gerade das Ende eine herbe Enttäuschung darstellt:

They most definitely knew what fans wanted. Ninety-five percent of the game is almost pure fan-service, where decisions matter, we get squee-worthy interactions with characters, we meet up with old friends, etc. […] One of the most perplexing things to me is why they would throw all of that out the window in the last 5 minutes. Did they run out of time? […] It kind of seems like that’s not the case. So, what, they just wanted to screw with us? They felt a need to get all artsy-fartsy? They cracked under the pressure? I honestly have no idea.

Die Entscheidung

Dieser Konflikt könnte so auch in Henry Jenkins Buch Convergence Culture von 2006 seinen Platz finden. Denn laut ihm verändert sich in einer konvergenten Medienumgebung das Verhältnis von Fans und Produzenten. Soziale Netzwerke und andere Plattformen ermöglichen den Fans auf ihre Kritik aufmerksam zu machen und so Druck auf die Produzenten auszuüben. Für letztere muss dies nicht unbedingt negativ sein, sie können auf diesem Weg ihre Produkte den Wünschen ihrer Anhänger entsprechend gestalten.

Im Fall von Mass Effect äußerte sich dieses neue Selbstverständnis der Fans folgendermaßen: Die Facebook-Seite „Demand a better ending to Mass Effect 3“ erreichte an die 70.000 Likes, ähnlich viele, wie in einem Poll in BioWares Forum mit 91% der Stimmen dafür plädierten, dass die Trilogie ein angemesseneres Ende verdiene. Außerdem wurde eine Petition ins Leben gerufen, um dieses Ziel zu erreichen, wobei dabei einerseits die Bestimmungshoheit der Entwickler in Sachen Storywriting anerkannt wurde, andererseits aber deutlich gemacht wurde, dass der derzeitige Abschluss so in keiner Weise dem Spielerlebnis gerecht wird. In dieser Situation blieb den Entwicklern scheinbar keine andere Möglichkeit, als auf diese Forderungen einzugehen, wenn sie nicht riskieren wollten, einen Großteil der bis dato treuen Anhängerschaft zu verlieren. Daher verkündeten sie im April die Veröffentlichung einer kostenlosen Downloaderweiterung, die den Wünschen der Fans entsprechen sollte. Diese wurde Ende Juni schließlich bereitgestellt und konnte zumindest einen Teil der Spieler besänftigen.

Die mögliche Nachwirkung

Mit BioWares Entscheidung, ergeben sich allerdings weitere Fragen, die den Charakter von Kunstwerken und die Bedeutung von Autorschaft betreffen: Wer bestimmt letztlich darüber, wann ein Werk so ist, wie es zu sein hat? Kann es so überhaupt ein letztlich gültiges, abgeschloßenes Werk geben? Wer entscheidet hierüber? Um es überspitzt zu formulieren: Ist das Konzept der Autorschaft im digitalen Zeitalter sowieso vollkommen hinfällig? Diese Fragen lassen sich nicht einfach beantworten, insbesondere wenn man als Gegenbeispiel George Lucas Praxis mit in Betracht zieht, Star Wars beständig zu verändern, was in der Fan-Community immer wieder zu Aufschreien führt. Fest scheint aber in jedem Fall zu stehen, dass es nicht einfach ist zu bestimmen, wer am Ende das letzte Wort behält. Erik Kain von Forbes sieht in der Causa Mass Effect zumindest einen Triumph für die Spielergemeinde insgesamt: „Game consumers have realized that they are entitled, and that it isn’t a bad thing, to quality games. They’ve become more organized and smarter, whether or not these new activists represent a very large slice of gamers.“

Auch nächsten Freitag geht es um Spiele und wie sie die Welt besser machen können.

Fotos: flickr/p_a_h (CC BY 2.0) , flickr/Mustafa Sayed (CC BY 2.0)

"Wer rettet Dina Foxx?" im Netz

ZDF erneut auf crossmedialen Pfaden

von Pascal Thiel

Im letzten Moment konnte Dina Foxx im Jahr 2011 gerettet werden. Doch das ZDF bringt seine Heldin erneut in Gefahr. Wieder geht der, im Volksmund als „Rentnerfernsehen“ verspottete, Sender crossmediale Wege: Das erfolgreiche Projekt „Wer rettet Dina Foxx?“ soll fortgeführt werden. Für die Medienwissenschaft in Foxx interessant: Sie ist ein großes Konglomerat aktueller medienwissenschaftlicher Ideen.

Wer..?

Dina Foxx ist Protagonistin eines crossmedialen Projekts vom ZDF namens „Wer rettet Dina Foxx?“– entstanden in einer Kooperation der „ZDF-Zentralredaktion Neue Medien“ mit „Das kleine Fernsehspiel“, Teamworx und dem UFA Lab.

"Wer rettet Dina Foxx?" im Netz

In einem TV-Krimi werden die Zuschauer Zeugen einer Verschwörung gegen Dina, gespielt von Jessica Richter. Als „datagirl“ klärt sie im Auftrag der Organisation freidaten.org die Menschen über die Gefahren staatlicher und wirtschaftlicher Datensammlung auf. Doch ihr Leben gerät völlig aus den Fugen, als sie verdächtigt wird, ihren Ex-Freund umgebracht zu haben. Unter mysteriösen Umständen starb dieser kurz nachdem er sich von Dina getrennt hatte. Sie beginnt selbst zu ermitteln, doch schnell wird sie festgenommen. Bis dato sind 50 Minuten vergangen – völlig unerwartet bricht der Film dann ab. Nun müssen die Zuschauer selber ran: Mit einer Meldung werden die Zuschauer aufgefordert, Dina zu helfen, den wahren Mörder zu finden. So werden aus Zuschauern Ermittler, die, ausgehend vom TV, auf verschiedenen medialen Plattformen interagieren.

Medienwissenschaftliche Relevanz

Aus medienwissenschaftlicher Sicht liegt das Besondere bei „Wer rettet Dina Foxx?“ in der Kombination mehrerer medialer „Elemente“ in einem Projekt.

Neben den Besonderheiten der einzelnen Teilbereiche (Pre-TV-, TV- und Post-TV-Phase) erfolgt die Handlungsdarstellung über mehrere Medien hinweg: Man spricht von „transmedia storytelling“. In seinem Buch „Convergence Culture – Where old and new media collide“ aus dem Jahre 2006 beschreibt der MIT-Professor Henry Jenkins, dass transmediale Erzählungen „unfold across multiple media platforms, with each new text making a distinctive and valuable contribution to the whole.“. Bei „Wer rettet Dina Foxx?“ sind zum Beispiel das Fernsehen, Internetseiten, Blogs, Social Media, Video Channels – sogar unsere Realität.

Betrachtet man die Besonderheiten der Teilbereiche, so ist zum Beispiel das „virale Marketing“ zu nennen – ein Begriff aus der Werbeforschung. Jiesi Cheng, Aaron Sun and Daniel Zeng (2010) beschreiben virales Marketing als „a new interpretation of WOM-advertising in the internet era.“ WOM (word-of-mouth) advertising bezieht sich laut der drei Wissenschaftlern wiederum auf die „informal communication between two or more persons concerning a product or service on a non-commercial basis“. Vereinfacht kann man unter viralem also Marketing das „Weitersagen“ oder „Weiterempfehlen“ von Produkten, Marken etc. verstehen.

Und genau diesem Phänomen bediente sich das ZDF bei „Wer rettet Dina Foxx?“. Im Vorfeld der Ausstrahlung des Films (in der Pre-TV-Phase) wurden alle Charaktere in Social Media und Blogs wie richtige Personen etabliert, diverse Internetseiten bereiteten die Handlung vor. Außerdem führte die fiktive Datenschutzorganisation „freidaten.org“ sogenannte „Guerilla-Marketing-Aktionen“ durch, um über die fiktive Organisation auf das Projekt aufmerksam zu machen.

Guerilla-Marketing – ein weiteres Element aus der Werbeforschung – umfasst laut Katharina Hutter und Stefan Hoffmann (2011) „verschiedene kommunikationspolitische Instrumente, die darauf abzielen, mit vergleichsweise geringen Kosten bei einer möglichst großen Anzahl von Personen einen Überraschungseffekt zu erzielen, um so einen sehr hohen Guerilla-Effekt (Verhältnis von Werbenutzen und -kosten) zu erzielen.“

In der TV-Phase folgte die fünfzigminütige Ausstrahlung des Films. Unmittelbar danach begann in der Post-TV-Phase das bisher wohl umfassendste „Alternate-Reality-Game“, das Deutschland je gesehen hatte. Alternate-Reality-Games (ARG) „leave clues for potential players to follow: a subtle image on a poster, perhaps, or a cryptic message on a website. Fans must piece together the narrative – that’s the “alternate reality” – on their own“, so „The Economist“.

Bei „Wer rettet Dina Foxx?“ konnten sich die ermittelnden User über eine Homepage täglich durch die Videobotschaft eines Freundes von Dina über den „aktuellen Stand der Ermittlungen“ informieren und „live“ in Dinas Zimmer ermitteln. Zudem waren auf freidaten.org jeden Tag neue knifflige Aufgaben zu lösen, um weitere Details an die Oberfläche zu bringen, über Live-Interaktionen konnten die „Ermittler“ aktiv in das Geschehen eingreifen und kamen nach einem Geocaching-Event schließlich ans Ziel: Der Mörder war gefunden.

Fortsetzung folgt…!

Insgesamt wurden für die Internet-Phase 60 Video-Clips, 30 Audio-Clips, 20 fiktive Internetseiten, 30 Social Media-Profile produziert. Gerechtfertigt wurde der gewaltige Aufwand durch den immensen Erfolg: 2 Mio. Seitenabrufe, etwa 200.000 Videosichtungen und 14.000 Kommentare sprechen eine deutliche Sprache.

Auszeichnungen folgten prompt: Beim BANFF World Media Festival gewann das ZDF den Preis für die beste crossmediale Plattform und den „Best Interactive Award“, außerdem den UFA Innovation Award 2011 und Gold beim Annual Multimedia Award 2012 – um nur einige zu nennen.

Da ist es einleuchtend, wenn die Chefredakteurin des „Kleinen Fernsehspiels“ Mitte 2012 eine
Fortsetzung bekannt gibt. Dies bestätigt auch Burkhard Althoff, ihr Stellvertreter, gegenüber media-bubble.de: „Wir befinden uns mitten in der Entwicklung“. Konkrete Details über die Fortsetzung wollte er nicht nennen, jedoch werde ein Aspekt des Projekts sein, die „Zuschauer überraschen [zu] wollen.“ Man darf gespannt sein.

Bilder: Screenshot von dinafoxx.zdf.de (Stand: 31.08.12), Screenshot von freidaten.org (Stand: 31.08.12)

Kultur im Netz – Ein Spannungsfeld: „Die Medienindustrie braucht eine Fair-Trade-Debatte.“

von Stefan Reuter

Mirko Gläser betreut mit seiner im vergangenen Jahr gegründeten Plattenfirma Uncle M vor allem Bands aus dem Punkrock-Bereich. Zu seinen Klienten gehören unter anderem die Folk-Punker Flogging Molly und die Urgesteine von Hot Water Music. Mit media-bubble.de sprach er über das Musikbusiness im digitalen Zeitalter.

media-bubble.de: Warum gründet man heutzutage noch ein neues Plattenlabel? Das tägliche Brot ließe sich doch sicherlich einfacher finanzieren.

Mirko Gläser: Das stimmt. Wenn ich den ganzen Tag nur als Berater oder Kreativdirektor in einer Werbeagentur arbeiten würde, dann würde ich mehr verdienen. Aber im Leben zählen für mich auch Dinge wie berufliche Freiheiten,  sein Hobby zum Beruf zu machen oder einfach die Liebe zur Musik. Daher die Labelarbeit, bei der ich viele meiner Kenntnisse einbringen kann und die mich dennoch Tag für Tag immer wieder vor aufregende neue Herausforderungen stellt. Das hält jung! Das Label habe ich ganz bewusst „im Angesicht der Krise“ gegründet, da ich den herrschenden medialen Umbruch als Chance verstehe, mit neuen Ideen und einer anderen Arbeitsweise überleben zu können und in den kommenden Jahren aus dieser Ausgangsposition heraus weiter an Boden gut machen zu können. Die herrschende Digitalisierung der Musikindustrie wird in fünf Jahren endgültig abgeschlossen sein, wenn Cloud-Computing vollständig etabliert ist – im Grunde arbeite ich aber auch heute schon so, als wäre dieser Punkt bereits erreicht.

Könntest du kurz skizzieren, wie der Vertrieb von Musik in der Cloud funktioniert? Die Kunden zahlen eine Abogebühr und können dann von jedem Endgerät aus auf Musik zugreifen. Und Künstler und Labels erhalten dann Entgelt pro Zugriff?

Du beschreibst das richtig: Über unseren Digitalvertrieb und einen sogenannten Aggregator wird unsere Musik in die Datenbanken der Cloud- und Streaming-Dienste von iTunes, Rdio, Spotify, Napster, Deezer etc. eingespeist. Dort gibt es dann unterschiedliche Modelle – entweder die Beteiligung an den Monats-Abo-Einkünften auf Basis deiner Abrufzahlen im Vergleich zu den Gesamtabrufzahlen. Andere wiederum bieten eine kleine Beteiligung an den Werbeeinnahmen der Seite an – oder eine Mischung aus beiden Modellen. Aktuell ist das Streaming/Cloud-Modell für Labels jedoch allenfalls ein Witz. Wir erhalten Abrechnungen teilweise mit bis zu 9-monatiger Verspätung und bräuchten zig Millionen Zugriffe auf einen Track, um eine Band einmal zum Essen einladen zu können.

Du arbeitest seit über zehn Jahren im Musikbusiness. Was hat sich seitdem, neben den Vertriebswegen, noch geändert?

Da gibt es mehrere große Unterschiede. Zum einen waren die Kids früher viel aktiver, haben mehrheitlich in Bands gespielt oder waren selbst als Label oder Magazin aktiv. Heutzutage sind viele Fans nur noch Konsumenten. Dann hat sich natürlich das Kauf- und Nutzungsverhalten geändert. Früher musstest du Musikmagazine lesen, um über Neuheiten zu erfahren, dann in Plattenläden rennen, um dir die Platten anzuhören und danach eine Stunde investieren, um dir die Platte mit schlechter Soundqualität mühevoll auf ein Tape zu kopieren. Heute bookmarkst du dir ein paar Blogs und ziehst dir in fünf Minuten hunderte Stunden Musik auf deinen eigenen Rechner. Das Verhältnis „Geld zu Musik“ und „Zeit zu Musik“ ist dramatisch gesunken und damit auch die Wertschätzung einem einzelnen Song oder einem Album gegenüber.

Du hast gerade von Magazinen gesprochen. Deren Aufgaben, Fans über ihre Lieblingsbands auf dem Laufenden zu halten und auf neue Künstler aufmerksam zu machen, wird zunehmend von social media übernommen. Wie wirkt sich das auf deine Arbeit aus?

Facebook ist für mich Himmel und Hölle gleichzeitig. Himmel, weil ich – zumindest theoretisch – die Möglichkeit habe, multimedial und ohne größere technische und  finanzielle Hürden „One to Many“ mit meinen Kunden zu kommunizieren. Wir bereiten unsere News dort mehrfach täglich online-gerecht auf und können unfassbar schnell Feedback erlangen und unsere Botschaften transportieren. Der Nachteil ist der gleiche: Da viele andere dieses Medium inflationär nutzen, ist die Aufmerksamkeitsspanne der User auf einen Bruchteil gesunken. Wir müssen also tagtäglich immer wieder unsere wirklich wichtigen Nachrichten in teils sehr zeitfressende Aktionen aufbereiten und spannend wiedergeben. Dass viele mittlerweile die Empfehlung einer flüchtigen Internetbekanntschaft über die eines studierten Journalisten stellen und sich von Facebook-Tipps ihres Umfeld treiben lassen, ist bedenklich. Man merkt bei vielen Internet-Hypes, dass nicht die inhaltliche Qualität der Musik sondern die gute Verpackung oder Vermarktung für den Erfolg verantwortlich sind. Die Schere zwischen Substanz und Aufmerksamkeit klafft weiter auf als je zuvor.

Um im Kampf um Aufmerksamkeit einen Vorteil zu haben, setzt du auch auf „trojanisches Marketing“. Kannst du kurz erklären, um was es dabei geht?

Die Idee des trojanisches Marketing stammt von Roman Anlanger. Seine Thesen und Beispiele zum unkonventionellen Vermarkten kleinerer Unternehmungen habe ich auf den Musikbereich adaptiert und festgestellt, dass sich mit dieser Denk- und Arbeitsweise viele alltägliche Probleme von Labels lösen lassen. Komme ich nicht direkt zu meinem Ziel, sprich dem Käufer, weil beispielsweise das Mediennutzungsverhalten sich geändert hat, dann muss ich die Musik eben über einen anderen Einfallswinkel trojanisch zum Kunden bringen. Ich muss im Grunde nicht mehr nur die Musik an sich promoten sondern vielmehr immer wieder auftretende, unterschiedliche Aktionen forcieren, mit denen ich den Kunden erreichen möchte. Das funktioniert! Ein Beispiele sind unsere sozialen und politischen Aktivitäten mit Radio Havanna oder Anti-Flag.

„Diese Leute sind in meinen Augen oft einfach nur noch Zombies.“

Ein Song kostet bei gängigen Downloadanbietern meistens 99 Cent, ein Album auf CD oder Vinyl zwischen 10 und 20 Euro und ein Monatsabo für Streaming-Dienste auch etwa 10 Euro. Wie berechnet man den Wert von Musik, insbesondere unter Anbetracht der Tatsache, dass es Mittel und Wege gibt, umsonst an nahezu alles zu kommen?

Der finanzielle Wert von Musik setzt sich aus vielen Faktoren zusammen: Kreativprozess des Urhebers, beziehungsweise Interpreten, Aufnahmekosten, die Verpackung, die Vermarktung, also die Arbeit des Labels und aller damit verbundenen Kreativen wie Fotografen und Videofilmer und schließlich der Weg zum Käufer. Für ein 08/15 Independent-Album laufen schnell Kosten von fünf- bis zehntausend Euro auf – reine Kosten, da ist noch kein Cent mit drin, mit dem sich ein Musiker den Kühlschrank füllen könnte. Lädst du für 10 Euro ein Album bei iTunes runter, dann kommen unterm Strich circa 4 bis 5 Euro netto beim Label und davon circa 1,50 bis 2 Euro beim Interpreten sowie 80 Cent beim Urheber an. Jeder kann für sich also selbst hochrechnen, wie viele Verkäufe nötig würden, um hier eine fünfköpfige Band plus Manager, Label-Manager und Co. auf Harzt4-Niveau durchzufüttern.

Was muss sich also ändern?

Die Medienindustrie braucht meiner Meinung nach bei diesem Thema eine ähnliche öffentliche Fair-Trade-Debatte wie vor zwei Jahren die Milchbauern: Das, was von den Konsumenten am Ende beim Erzeuger ankommt, reicht nicht zum Leben. Es müssen also mehrere Faktoren eintreten, damit Kulturschaffende langfristig eine Überlebensperspektive haben können. Zwei der wichtigsten Faktoren beim Umdenken des Kunden wären dabei: Erstens, die Ausschaltung des Zwischenhandels bei aktiven Kunden! Ein Kauf eines Albums bei Amazon ist gut. Ein Kauf des gleichen Albums zum gleichen Preis direkt beim Label ist besser! Zweitens, mehr Konsumenten müssen wieder zu Käufern werden! Wenn es uns gelingt, weniger illegale Downloads und gleichzeitig mehr günstige, kostenpflichte Streaming-Abos bei Jugendlichen zu erreichen, dann ist ein großes Umdenken passiert! Ein Zehner für ein Spotify-Abo tun keinem weh, aber bieten den künstlerisch Beteiligten wenigstens ein Minimum an Sicherheit und Überlebensmöglichkeit.

Die Website Bandcamp bietet Musikern die Möglichkeit, ihre Musik dort direkt zu verkaufen. Eine Option ist es, den Fan festlegen zu lassen, wie viel er zahlen möchte. Denkst du, dass sich so etwas allgemein durchsetzen kann?

Ich halte Bandcamp für ein nettes Gimmick, aber nicht für die Lösung der Probleme. Man stelle sich Internet-Geschäfte immer metaphorisch als Laden in einer Fußgängerzone vor: Ein Eisladen bietet dort eine Probeverkostungs-Kühltruhe an und bittet um Spenden bei Gefallen. Ein Bruchteil der Kunden nutzt das und wird im Zweifel immer einen Preis zahlen, der unter dem Preis liegt, den der Händler verlangt hätte. Für eine Probe-Aktion geht sowas bestimmt ausnahmsweise mal klar, aber so mündig Kunden auch sind: Für die langfristige und volle Kalkulation, wie vorher beschrieben, fehlt ihnen halt der Einblick hinter die Kulissen. Eine, wie auch immer geartete, technische oder finanzielle Hürde sollte meiner Meinung nach immer gegeben sein, damit man den Kunden auch vor sich selbst schützt.

Wenn du sagst, man müsse den Kunden vor sich selbst schützen, meinst damit, dass, um bei der Eistruhen-Metapher zu bleiben, die sommerliche Kugel Vanille-Eis das Besondere verliert, wenn man sich gratis damit vollstopfen kann?

Richtig verstanden. Aus eigener Erfahrung sieht das bei mir so aus: Ich habe 2001-2005 als freier Musikredakteur gearbeitet und habe Tag für Tag zwischen 10-30 Promo-CDs erhalten. Was anfangs ein Segen war, hat mit der Zeit mein Hobby, also Musik in Ruhe zu hören und zu sammeln zerstört. Ich habe Jahre gebraucht, um wieder ein Gefühl beim Kauf einer Platte oder CD zu erlangen. Genauso ist es doch auch bei Massen-Sammlern. Kein illegaler Mp3 Downloader kann mir ernsthaft erzählen, dass er sich noch auf eine Neuveröffentlichung freut oder sie tiefgründig hört. Diese Leute sind in meinen Augen oft einfach nur noch Zombies.

media-bubble.de dankt für das Interview. Weitere Informationen zu Uncle M gibt es auf Facebook.

Nächsten Freitag geht es darum, wie unzufriedene Videospiel-Fans über das Internet Druck auf die Entwickler ausüben.

Fotos: Uncle M

Sommerlöcher noch und nöcher

von Nicolai Busch

Es ist Sommer. Frau Merkel wandert durch Südtirol, Minister Rösler planscht mit den Kindern ausgelassen an der Ostsee und Claudia Roth genießt im grünen Badeanzug türkische Sonnenuntergänge.  Sommer, das ist die Zeit, da die Hauptdarsteller dieses Landes ruhen und all die Nebendarsteller die einmalige Chance bekommen, die ganz große Spur zu fahren und zur nie vergessenen Rampensau zu mutieren. Wenn alles Pause macht, braucht es Leute in den Medien, die mal ganz dick aufdrehen, die laut, lustig, einzigartig unanstrengend und bereit sind, dem Volk zu zeigen wie der Hase nämlich eigentlich läuft. Und es braucht Leute, wie Claudia Obert, die einfach auch dabei sein wollen.

Frau Obert ist reich und im Fernsehen

Die Selfmade-Millionärin Claudia Obert soll den Fernsehzuschauern mal sagen, wie das denn so ist, wenn man reich ist. Deshalb (und nur deshalb!) sitzt Frau Obert an diesem Abend in einer Talkshow eines großen öffentlich-rechtlichen Senders. Sie trägt ein enges, rotes Kostüm, diamantenbesetzte Ohrringe und Armbänder, eine große Uhr und eine im Licht der Studioscheinwerfer glitzernde Halskette. Wer Frau Obert sieht, der versteht: Reich sein ist super! Wäre da nur nicht die auffällige Angewohnheit Frau Oberts Fragen der Moderatorin nicht sachlich und informativ, sondern im Sinne der eigenen Promotion zu beantworten. Würde Frau Oberts Auftreten doch nur nicht den Anschein vermitteln, Mathias Richling habe sich eine Perücke übergezogen und parodiere den Stereotypus ‚Deutsch- Neureich‘. Ja, hätte Frau Obert doch nur tatsächlich etwas zu sagen – dann könnte man sie auch ernst nehmen. Man würde ihr tatsächlich zuhören wollen und müsste sich das Grinsen nicht verkneifen, wenn die Unternehmerin in so einer ‚Bitte-nehmen-Sie-es-mir-nicht-böse-aber…‘- Körperhaltung angestrengt verharren und eine ihrer unpolitischen Stammtischthesen („Ich bin sowieso der Meinung, dass es in Deutschland keine Arbeitslosen gibt, nur Arbeitsscheue“) unkontrolliert in die endlosen Weiten der Talkshow-Galaxien katapultieren würde.

Dabei sein ist Alles

Claudia Obert ist eine von sechs Gästen bei Maischberger im Ersten. Eigentlich soll in der Sendung vom 21.August mit dem Titel „Der Millionär hat’s schwer. Reiche zur Kasse bitte!“ die Möglichkeit der Versteuerung von Spitzengehältern diskutiert werden, doch dazu kommt es nicht. Denn nach der Eigenpromo von Frau Obert, muss uns der Piraten-Politiker Johannes Ponader zunächst einmal ausführlich seine persönliche Weltsicht am Beispiel seines Lieblingskinderbuchs “Frederick“ erläutern. Das alles plus das linke Gerede von Frau Wagenknecht regt den Gründer der Drogeriekette Rossmann kurze Zeit später derart auf, weshalb er beginnt hysterisch rumzuschreien. Auch Herr Schneider möchte Herrn Köppel scheinbar gerne mal an die Gurgel springen.„Aber schauen Sie sich doch die Zahlen an“; kreischt es da plötzlich von rechts und links, bevor auch Maischberger resigniert und eingesteht: „Wir kommen hier nicht einen Punkt weiter“.

„Ich bin eine Mediensau“; sagt Reiner Calmund

Es ist Sommer und die irrwitzige Ziellosigkeit der Debatte bei Maischberger ist so riesig wie die Themenlosigkeit dieser Tage. Die politische Pause hat mal wieder ein tiefes, schwarzes Loch in die Agenda der Nachrichten- und Presseagenturen gerissen, indem alles verpufft und geräuschlos verhallt. Dieses Loch gilt es zu füllen. Koste es, was es wolle.
Nicht jeder stellt sich dabei so schlecht an, wie Frau Obert und Konsorten in der ARD. Drei Seiten und neunzehn Bilder, davon zwölf Portraits in albernen Posen widmet die ZEIT in der Printausgabe  Reiner Calmund. 160 Kilo schwer, 172 Zentimenter groß und 462 bisherige Beschäftigungen im Sinne der Selbstvermarktung hat der „Calli“ vorzuweisen.  Wie ein mit Helium gefüllter Ballon schwebt Calmund durch mediale Sphären, vorbei an der Buchstabensuppe aus Maischbergers Talkrunde, bis dass man ihn vom Himmel fischt, um höflich anzufragen, ob er sich denn als überdimensionaler Stopfen nicht mit viel Witz und rheinländischem Charme in das sommerliche, kreative Vakuum einer überregionalen Qualitätszeitung pressen könne. Wenn Aktualitäten fehlen, muss Altbekanntes eben reproduziert werden.

Die Krise in der Sommerkrise

Das Konzept geht auf. Der Leser fühlt sich unterhalten. Aus der Not geboren titelt der Spiegel in dieser Woche „Droge Zucker – Die gefährliche Sucht nach dem Süßen“, das politische Magazin Cicero preist aus welchem Anlass auch immer das TV-Phänomen Tatort und die gelangweilte Netzgemeinde lässt sich begeistern von einem alten Mann, der als politisches Maskottchen auf großer Bühne zu einem Stuhl spricht. „Krise hin, Krise her“; sagt Sandra Maischberger ganz zu Beginn einer Diskussion, der an diesem Abend so recht niemand folgen möchte. „Krise hin, Krise her“ – das ist nicht nur der nationale Subton dieses Sommers. „Krise hin, Krise her“ – das symbolisiert auch eine journalistische Substanz, die sich noch bis Ende September an südlichen Stränden sonnt und bis zur Rückkehr der deutschen Lobbyisten und Politiker all denjenigen das Sprachrohr vor die Nase streckt, die schon immer mal was sagen wollten.

Foto: flickr, doubleyou_em (CC BY-NC-ND 2.0) ; flickr, Helga Weber (CC BY-ND 2.0)

„Queer as Folk kann nicht oft genug ausgestrahlt werden“

von Alexander Karl

Elke Kriebel (50) hat das möglich gemacht, von dem nur wenige Fans überhaupt träumten: Ein Treffen mit den Stars der US-Serie Queer as Folk (QaF), das im Juni 2012 in Köln stattfand (media-bubble.de berichtete). Nun erscheint die DVD zur Convention mit vielen Blicken hinter die Kulissen. Auf der DVD enthalten: Die schönsten Bilder und Momente der Convention und zusätzliches Interviewmaterial (siehe Rezension nach dem Beitrag).

media-bubble.de sprach mit Elke Kriebel über die Faszination von Queer as Folk, die Bedeutung der Serie und die kommende Convention in LA.

Elke, du hast die QaF-Convention zusammen mit deinen Partnern von eventqube in Köln initiiert und organisiert. Auffällig war, dass sehr viele weibliche und nur recht wenige männliche Fans vor Ort waren – obwohl sich Queer as Folk vor allem an Schwule richtet. Woher kommt das?

Elke Kriebel: Es ist natürlich auch für Frauen schön, gut aussehende Männer – wobei auch immer – zu betrachten. Was ich aber eher als Grund dafür halte, dass so viele Frauen diese Serie lieben, ist das Gefühl des Zusammenhalts als Familie, das in dieser Serie besonders beachtet und herübergebracht wurde. Alle Schauspieler schaffen es, diese Gefühle zu transportieren und real zu machen. Wir Frauen sind doch eigentlich diejenigen, die auch im realen Leben die Familien zusammen halten und Vertrauen und Stärke an unsere Kinder weiter geben. Für mich kommt speziell in dieser Serie dieser wichtige Punkt selbst in jedem kleinen Detail zum Tragen. Und das spricht meines Erachtens Frauen definitiv mehr an als schwule Männer. Das zeigte sich auch bei der Convention: Von den ungefähr 500 Teilnehmern waren etwa 85 % Frauen und 15 % Männer, davon auch nicht alle schwul.

Natürlich hast du nicht nur organisiert, sondern warst auch bei der Convention vor Ort. Was sind deine schönsten Erinnerungen?

Definitiv die Begeisterung der Fans für die Veranstaltung. Für viele war es die erste Gelegenheit, die Schauspieler persönlich kennenzulernen, live und in Farbe zu sehen. Viele haben die Serie auch erst vor kurzem kennengelernt und nie damit gerechnet, die Schauspieler zu treffen – immerhin ist Queer as Folk schon seit 7 Jahren abgedreht. Die Freude und Dankbarkeit in den Augen der Fans, das ist für mich die schönste Erinnerung. Zudem die Begeisterung und unbezahlbare Hingabe der Helfer, die dieses Event erst ermöglicht haben.

Bei der Convention hast du die Darsteller auch privat erlebt, warst sogar mit ihnen abends essen. Stehst du mit den Schauspielern noch weiterhin im Kontakt?

Mit manchen Schauspielern, ja. Etwa mit Scott Lowell, der in der Serie Ted spielt, mit Justin-Schauspieler Randy Harrison und Thea Gill, die bei QaF Lindsay verkörpert. Von den Stars habe ich auch positive Rückmeldungen über den Verlauf  der rise’n’shine-Convention in Köln bekommen.

Wie ist es eigentlich um die Deutschkenntnisse der Schauspieler bestellt?

Die Schauspieler haben im Vorfeld versucht, einige Worte Deutsch zu lernen um für das Wochenende gerüstet zu sein. Das ging von „Wo ist die Toilette, bitte?“ bis zu „Wo ist ein gutes Restaurant?“.

Realität in Fiktion verpackt

Was glaubst du ist der Reiz von Queer as Folk? Warum fasziniert die Serie noch heute, sieben Jahre nach dem Dreh der letzten Episode?

Der Reiz der Serie besteht in der (leider) immer noch bestehenden Aktualität ihrer angesprochenen Themen. In einer „Fiktion“ verpackte Realitäten, wie jeder sie schon einmal in irgendeiner Form erlebt hat. Sei es als junger Schwuler im „coming out“, sei es als alleinerziehende „Übermutter“, seien es alltägliche Beziehungsprobleme, oder Beziehungen die durch die Erkrankung eines Partners beeinflusst wird. Es wird nichts beschönt oder ausgelassen, und in irgendeiner Form findet sich jeder in der Serie wieder. Und gerade in der heutigen Zeit, in der es in vielen Staaten immer noch massive Repressionen gegen LGBT gibt, selbst in „zivilisierten“ Ecken der Welt. Deshalb finde ich: Queer as Folk kann nicht oft genug ausgestrahlt werden. Auch die Leistung der Schauspieler darf man nicht vergessen, die ihr Herzblut in die Erstellung dieser Serie gesteckt haben, und durchaus die eine oder andere Erfahrung in die Dreharbeiten eingebracht haben. Das macht die Serie umso wichtiger und reizvoller.

In Deutschland wird derzeit diskutiert, ob Homosexuelle heiraten dürfen. Glaubst du, dass Serien wie Queer as Folk auch einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft und die Akzeptanz von Schwulen und Lesben haben?

Ehrlich gesagt, kann ich das nicht beurteilen. Das Problem ist ja, dass die Leute, die grundsätzlich gegen homosexuelle Beziehungen sind, sich diese Serie natürlich auch nicht anschauen, sprich, sich dann auch nicht vom Gegenteil ihrer Einstellung überzeugen lassen. Eltern, die diese Serie gesehen haben, und grundsätzlich offen gegenüber „Anderssein“ sind, werden es vielleicht einfacher haben, ihre(n) Sohn/Tochter als homosexuell zu akzeptieren. Andere, die vom Grunde ihres Herzens her einen Hass auf LGBT haben, werden diese Serie nicht schauen und sich daher auch nicht ändern.

Derzeit wird auch eine QaF-Convention in den USA geplant. Gibt es dazu schon etwas Konkretes? Und wirst du auch mit von der Partie sein?

Es wird wohl Ende Mai oder Anfang Juni wieder eine Rise’n Shine Convention in Los Angeles geben. Die Schauspieler sind angesprochen worden und die Vertragsverhandlungen laufen. Ich werde mit von der Partie sein und gerne mit Rat und Tat zur Seite stehen. Allerdings ohne das finanzielle Risiko, was wir hier in Köln auf uns genommen haben. „Less risk, more fun“. Stolz bin ich darauf, mit Rise’n Shine Cologne einen Stein ins Rollen gebracht zu haben, der sich jetzt weiterbewegt und auch auf einem anderen Kontinent den Fans die Gelegenheit gibt, ihre Stars hautnah zu erleben. Etwas, wovon vor einem Jahr noch niemand gedacht hat, dass es überhaupt je passieren würde.

 

Rezension: Rise’n Shine „Impressions: The official fan-convention DVD“

Rise’n Shine „Impressions: The official fan-convention DVD“ hält das, was sie verspricht: Die schönsten Momente der Convention wurden zusammengefasst. Darunter auch die Highlights der Pressekonferenz, der Besuch im Café Morgenstern oder Partyabende mit den Stars, die für die teilnehmenden Fans nicht zugänglichen waren oder teuer bezahlen werden mussten. Wer also nicht im Venue-Club oder bei der Babylon-Party war, kann sich auf der DVD zumindest ansehen, was dort vor sich ging. Weitere Zusammenfassungen der Question and Answer-Runden und der Meet and Greets gibt es ebenso auf der DVD. Zusätzlich gibt es zahlreiche Interviews mit allen Stars der Serie, die nicht öffentlich waren. Natürlich war es aber nicht möglich, etwa die komplette Pressekonferenz auf die DVD zu bringen (aber die gibt es auch im Video von media-bubble.de).

Ein Anspieltipp ist sicherlich die Question and Answer-Runde, in der Thea Gill mit unglaublichem Pathos über gleichgeschlechtliche Liebe und Akzeptanz spricht. Es gelingt der DVD den O-Ton der dreitägigen Convention wiederzugeben: Wir sind hier, wir sind queer – und wir haben Spaß dabei. Wenn die Stars betonen, wie wichtig ihnen die Botschaft der Serie ist, dann merkt man schnell: Sie meinen es ernst. Für alle war die Serie ein großes Wagnis, ihre zumeist homosexuellen Rollen zu spielen. Doch die Thematiken der Serie, die weit über Sex hinausgehen, behandeln Herzensangelegenheiten. Und genau das kommt auch so rüber.

Natürlich kommt die Aufzeichnung nicht an die vielen Gänsehaut-Szenen der Convention selbst heran, lässt aber Teilnehmer wieder in Erinnerungen schwelgen. Und wer nicht mit von der Partie war, kann zumindest ein wenig nachvollziehen, wie für drei Tage im Juni der Regenbogen über Köln noch ein wenig mehr funkelte.

180 Minuten Queer as Folk vergehen wie im Fluge. Ein kleiner Wermutstropfen ist höchstens das Fehlen von Untertiteln, denn die Sprache der DVD ist Englisch. Die DVD der Convention kostet im Onlineshop 36 Euro, mit den Autogrammen der neun Stars 60 Euro.

 

Foto: Rise’n Shine; Sandra Meier