Danny Flemming

Wie man Laien Wissenschaft erklärt

Von Radwan Saad und Robert Galiard

Forscherinnen und Forscher interpretieren neue Daten teils unterschiedlich, vertreten gegenteilige Ansichten oder ändern ihre Haltung aufgrund neuer Erkenntnisse – wissenschaftliche Befunde sind fragil. Diese Fragilität kann Menschen irritieren und ihr Vertrauen in die Wissenschaft schmälern. Psychologe Danny Flemming erklärt uns, wie Laien Wissenschaft verstehen, spricht über seine Leidenschaft für Science Slams und nimmt Stellung zu Verschwörungstheorien.

Danny Flemming

Dr. Danny Flemming. © Radwan Saad

Einst waren wir davon überzeugt, dass die Erde eine Scheibe ist. Doch wir sammelten Daten, machten Beobachtungen und kamen schließlich zu der Erkenntnis, dass wir damit völlig falsch lagen. Wissenschaftliche Weltbilder formen sich nicht etwa langsam aus und werden immer weiter ergänzt – sie werden durch neue Erkenntnisse schlagartig zerstört! Die alte Theorie wird anschließend verworfen und man kann sich plötzlich gar nicht mehr vorstellen, woran die Menschen früher geglaubt haben. Dieses Phänomen bezeichnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als Fragilität von wissenschaftlichen Erkenntnissen. “So funktioniert Wissenschaft eben, allerdings ist das für Laien oft nicht klar”, so Flemming. Gerade bei besonders neuen Themen kann es innerhalb der Wissenschaftsgemeinde zudem durchaus zu unterschiedlichen Interpretationen derselben Daten kommen, was Menschen mitunter verunsichert. “Dabei verwechseln sie unterschiedliche Interpretationen von Daten mit Meinungen, obwohl diese Aussagen – im Gegensatz zur Meinung – faktenbasiert sind”, erklärt der 31-jährige Psychologe.

 

Zur Person

Dr. Danny Flemming, geboren 1987, ist Psychologe und arbeitet seit 2013 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für Wissensmedien (IWM) in Tübingen. In der Arbeitsgruppe Wissenskonstruktion befasst er sich unter anderem mit der Fragilität neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und der Frage, wie Wissenschaftskommunikation funktioniert.

Leibniz-Institut für Wissensmedien

Das Leibniz-Institut für Wissensmedien (IWM) in Tübingen. © Radwan Saad

Am Leibniz-Institut für Wissensmedien erforscht Danny Flemming Wissenschaftskommunikation: “Mein Hauptaugenmerk liegt auf der Fragestellung, wie Leute, die keine Ahnung von Wissenschaft haben, die Wissenschaft verstehen.” Dabei spielt nicht nur das Verständnis für die Fragilität wissenschaftlicher Erkenntnisse eine entscheidende Rolle. Gerade bei der Vermittlung besonders komplexer wissenschaftlicher Themen, über die Rezipientinnen und Rezipienten ohnehin nicht sonderlich viel wissen, ist außerdem die Art der Präsentation der wissenschaftlichen Erkenntnisse von besonderer Bedeutung. “Die Herausforderung ist natürlich, seine Forschungsergebnisse für alle verständlich zu präsentieren”, so Flemming.

Dabei wird die Informationsvermittlung, neben der Wortwahl und dem jeweiligen Medium, unter anderem auch von der Beziehung zwischen Bild und Text beeinflusst. Während Bilder die Leserinnen und Leser einer reinen Faktenliste beispielsweise eher von den darin enthaltenen Informationen ablenken, können sie zur Veranschaulichung der beschriebenen Sachverhalte in einem journalistischen Artikel durchaus beitragen und die Informationsvermittlung des Artikels verbessern. 

Leibniz-Institut für Wissensmedien (IWM)

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Leibniz-Institut für Wissensmedien (IWM) in Tübingen erforschen den Einfluss digitaler Technologien auf Wissensprozesse. Dabei untersuchen sie auch die Rolle neuer digitaler Medien in Bezug auf Aspekte der Wissensvermittlung und der Wissenschaftskommunikation.

Wissenschaft kommunizieren

Dr. Flemming IWM

Dr. Flemming erforscht Wissenschaftskommunikation am IWM. © Radwan Saad

Neue Medien bieten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern heutzutage die Möglichkeit, ihre Forschungsergebnisse jederzeit mit einer breiten Öffentlichkeit zu teilen. Allerdings hält sich das allgemeine Interesse hierfür eher in Grenzen, da gute Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht zwangsläufig auch gute Journalistinnen oder Journalisten sind. Ihre Aufgabe besteht primär darin, Ergebnisse durch methodisches und systematisches Vorgehen zu liefern und somit objektiv, transparent und nachvollziehbar zu forschen.

Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten befassen sich anschließend hingegen mit den Ergebnissen der Forscherinnen und Forscher, interviewen sie gegebenenfalls und berichten über neue Erkenntnisse. “Man ist in der Regel nicht gleichzeitig Wissenschaftler und Kommunikator, sondern da ist eben jemand, der die Ergebnisse liefert und jemand, der im Anschluss darüber berichtet”, erläutert Flemming. Außerdem werden unterschiedliche Ergebnisse von Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten im Idealfall kritisch eingeordnet, miteinander verglichen und für Laien verständlich erklärt. So wird vermieden, dass den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern am meisten Aufmerksamkeit geschenkt wird, die ihre Ansichten am lautesten äußern. “Forscherinnen und Forscher, die wichtige Erkenntnisse liefern, sich aber nicht gut nach außen vermarkten können, könnten sich dann kein Gehör verschaffen – das wäre völliger Quatsch”, argumentiert Flemming.

Lust auf Wissenschaft

In seiner Freizeit organisiert, veranstaltet und moderiert Danny Flemming nicht nur Science und Poetry Slams, sondern nimmt auch selbst aktiv daran teil. Allerdings bezeichnet er sich nicht als Wissenschaftskommunikator, sondern vielmehr als Wissenschaftler, der sich mit Wissenschaftskommunikation befasst. Als Science Slammer schlüpft er dennoch regelmäßig in die Rolle des Wissenschaftskommunikators, präsentiert dem Publikum dieser Wissenschaftswettbewerbe seine Forschung und misst sich mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.

Jedoch geht es ihm primär um die Wissensvermittlung, um die Präsentation neuer Erkenntnisse und darum, das Interesse des Publikums an wissenschaftlichen Themenfeldern zu wecken. “Mein Ziel ist es, den Menschen Lust auf die Wissenschaft zu machen”, so Flemming. “Was wir im Bereich der Fragilitätsforschung sehen, ist, dass Laien oftmals keine Vorstellungen davon haben, wie der Wissenschaftsbetrieb funktioniert.”

Science Slam

Ein Science Slam (dt. Wissenschaftswettbewerb) ist eine Veranstaltung, bei der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einem Publikum ihre Forschung möglichst unterhaltsam und nachvollziehbar vorstellen. Im Gegensatz zu Poetry Slams können bei Science Slams auch künstlerische Mittel, wie beispielsweise Musikinstrumente, eingesetzt werden. Am Ende kürt das Publikum eine Gewinnerin oder einen Gewinner.

Einige Menschen gehen davon aus, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im stillen Kämmerlein plötzlich einen Geistesblitz haben, diesen aufschreiben und anschließend veröffentlichen. Dabei müssen zunächst Fördermittel für die Forschung durch das Einreichen hochwertiger Projektanträge bewilligt werden. Anschließend müssen die angestrebten Ziele des jeweiligen Projekts mit den zur Verfügung stehenden Fördermitteln innerhalb der vorgegebenen Zeit erreicht werden. Und schließlich werden die wissenschaftlichen Artikel vor der Publikation von mehreren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern anonym begutachtet, um ihre Qualität zu gewährleisten. Wäre es da nicht einfacher, sich von Geheimorganisationen dafür bezahlen zu lassen, die ahnungslose Menschheit hinters Licht zu führen?

Von Impfgegnern und Flacherdlern

Auf Videoportalen wie Dailymotion, Veoh und YouTube kursieren unzählige Verschwörungstheorien, welche die Mondlandung anzweifeln, die Erde wieder zur Scheibe erklären und selbst die Paläontologie kurzerhand als Schwindel bezeichnen. Die Verfasserinnen und Verfasser dieser Videos müssen sich nicht an den Pressekodex oder wissenschaftliche Methoden halten. Sie versuchen Zuschauerinnen und Zuschauer hingegen teils gezielt durch Falschaussagen, subjektive Darstellungen und kontroverse Themen zu manipulieren, um über Zugriffe auf ihre Videos möglichst viel Geld durch Werbung zu generieren. Die Klickzahlen sprechen dabei für sich – unglaublich viele Menschen interessieren sich für Esoterik, Pseudowissenschaften und Verschwörungstheorien, während seriöse Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von so viel Aufmerksamkeit oftmals nur träumen können. Woran liegt das und sind Verschwörungstheorien eine ernstzunehmende Gefahr für die Wissenschaft?

Für Danny Flemming kommen gleich mehrere potentielle Erklärungen für dieses Phänomen infrage: “Zum einen sind solche Aussagen ziemlich interessant und ziemlich ulkig; sie schaffen damit sowohl eine Resonanz als auch Aufmerksamkeit bei den Rezipientinnen und Rezipienten”, erklärt der Psychologe. Aber auch die Algorithmen der sozialen Medien, Suchmaschinen und Videoportale begünstigen derartige Inhalte häufig und schlagen sie Nutzerinnen und Nutzern vor. “Wenn ich mich beispielsweise durch YouTube über das Impfen informieren will, sind auf der ersten Seite ein Großteil der Videos impfkritisch. Der Algorithmus kann das dabei nicht gut unterscheiden. Er bemerkt, dass es ums Impfen geht, also werden solche Videos auch vorgeschlagen”, erklärt Flemming. “Der nächste Punkt ist, zu glauben etwas zu wissen, was der Mehrheitsmeinung widerspricht, wertet das eigene Selbstbild auf.”

Siggener Kreis

Der sogenannte Siggener Kreis ist ein Expertengremium von Wissenschaftskommunikatorinnen und -kommunikatoren. Bisher wurde unter Wissenschaftskommunikation alles zusammengefasst, was von den Forscherinnen und Forschern, Hochschulen und Institutionen selbst kommuniziert wurde. Jetzt gibt es seitens des Siggener Kreises die Forderung, sich im Kampf gegen FakeNews und Populismus mit dem Wissenschaftsjournalismus zu verbünden und diesen auch zu Wissenschaftskommunikation zu subsumieren.

Anhand der Algorithmen der Videoportale steigt durch einen zunehmenden Konsum solcher Inhalte zudem die Anzahl weiterer Verschwörungstheorien, die den Rezipientinnen und Rezipienten vorgeschlagen werden: “Wenn jemand in solchen Filterblasen drin ist, wird die Informationsvermittlung und -generierung extrem selektiv. Die Person wird nicht mehr empfänglich für Gegenargumente”, erklärt Flemming. Seiner Ansicht nach ist der Wissenschaftsjournalismus die treibende Kraft im Kampf gegen Verschwörungstheorien, da Journalistinnen und Journalisten der breiten Öffentlichkeit einen Einblick in wissenschaftliche Prozesse geben können: “Damit hätten Verschwörungstheoretiker weniger Chancen, da sie nicht offenlegen können, dass sie Daten gesammelt, analysiert, aufbereitet und ausgewertet haben, die außerdem unabhängig und anonym begutachtet worden sind.”

Wofür man Wissenschaftskommunikation sonst noch braucht, ob ein Stiftungsmodell zur Unterstützung des Wissenschaftsjournalismus ratsam wäre und was Danny Flemming von den Vorhaben des sogenannten Siggener Kreises hält, könnt ihr euch im Audio Player unter diesem Beitrag anhören.