Wissenschaftskommunikation – Nachrichten aus dem Elfenbeinturm?
Von Melanie Seifert und Ann-Christine Strupp
“Wenn wir nicht selbst kommunizieren, dann machen es andere!” Wir haben mit Dr. Tobias Maier darüber gesprochen, wie wichtig es ist, als Wissenschaftler*innen gemeinsam gegen Fake News vorzugehen und Wissenschaft an die Bevölkerung zu kommunizieren. Welchen Herausforderungen sich die Wissenschaft stellen muss, hat er uns in einem Gespräch verraten.
Wir lassen uns von Influencer*innen die Welt erklären, ohne dies zu hinterfragen. Im Gegensatz dazu schenken wir Wissenschaftler*innen, die sich tagtäglich mit den Themen unseres Lebens beschäftigen, kaum Beachtung. Dabei scheint es in Zeiten, in denen jede*r seine ungefilterte Meinung auf unterschiedlichen Plattformen verbreiten kann und unzählige Studien im Internet kursieren, umso wichtiger, dass es noch Stimmen aus der Wissenschaft gibt, die sich auf bestimmte Themen spezialisiert haben.
“Ich habe mich in der Zeit darüber aufgeregt, wie Stammzellenforschung in den deutschen Medien porträtiert wurde.”
Dr. Tobias Maier ist bereits früh in seiner Laufbahn aufgefallen, wie unwissenschaftlich manche Themen in den Medien dargestellt werden. Er ist promovierter Biologe und hat zunächst selbst über zehn Jahre an verschiedenen, international führenden Instituten geforscht. Doch als er nach seiner Promotion in Spanien forschte, begann seine Karriere als Wissenschaftsjournalist quasi wie von selbst. „Ich habe mich in der Zeit darüber aufgeregt, wie Stammzellenforschung in den deutschen Medien porträtiert wurde. Dazu habe ich als Wissenschaftler natürlich eine Meinung, basierend auf wissenschaftlichen Fakten und Papers, und deshalb fing ich an, darüber zu schreiben“, erzählt uns Tobias Maier. Dass es seine Berufung ist, anderen Menschen Sachverhalte verständlich zu erklären, merken wir auch im Gespräch mit ihm. Obwohl er in seinen Schilderungen recht nüchtern bleibt, hat er eine ziemlich offene und lockere Art, die dafür sorgt, dass wir ihm gerne zuhören.
Inzwischen arbeitet er als inhaltlicher Leiter am Nationalen Institut für Wissenschaftskommunikation (NaWik) in Karlsruhe. Seit 2015 ist er dort Dozent und vermittelt, wie man Wissenschaft verständlich kommunizieren kann. Zudem hat er als selbstständiger Trainer Erfahrung, in seinen Kursen bringt er und seine Kolleg*innen am NaWik Studierenden, Wissenschaftler*innen und Öffentlichkeitsarbeiter*innen die Grundlagen guter Wissenschaftskommunikation bei. Doch wie lehrt man das Kommunizieren? In deutschland- und europaweiten Seminaren bringt er den Teilnehmer*innen bei, wie man besser präsentiert, visualisiert, argumentiert und verständlich schreibt, um die Lehrinhalte zu vertiefen und anzuwenden. Dabei machen die Beteiligten gemeinsam interaktive Übungen zu ihren wissenschaftlichen Feldern.
Der Weg in die Wissenschaftskommunikation
Den Teilnehmenden rät er, einfach mit dem Kommunizieren anzufangen und sich selbst auszuprobieren. „Es war noch nie so leicht wie jetzt, damit anzufangen. Ob es ein Twitter-Account, ein Blog, ein Podcast oder ein YouTube-Kanal ist: All das kann man einfach mal ausprobieren und gucken, was einem liegt.“ Das zeige einem nicht nur, was man gerne möchte, sondern diene gleichzeitig auch dem eigenen Lebenslauf.
Aber sollte man nicht „irgendwas mit Medien“ studiert haben, oder zumindest einen solchen Master hinten dranhängen? Das fragen sich neben uns auch viele Wissenschaftler*innen aus Physik, Chemie, Biologie und anderen Fächern, die mit Maier sprechen oder seine Kurse besuchen. Doch Maier hält es für sinnvoller, als Quereinsteiger*in in der Wissenschaftskommunikation zu beginnen. Natürlich können auch Journalistik-Student*innen in dem Bereich Fuß fassen. „So jemandem würde ich empfehlen, sich vor allem damit zu beschäftigen, was es für Wissenschaftsfelder gibt, was ihn oder sie interessiert, und sich dann wirklich einzuarbeiten. Jemand, der vom Thema nichts versteht, hat es natürlich schwer in der Wissenschaftskommunikation. Inzwischen sehen die Unternehmen und Institutionen aber, dass jemand mit einem wissenschaftlichen Hintergrund und einem Interesse an Kommunikation fast besser für so einen Job qualifiziert ist.“
Die Workshop-Saison macht Pause, ich komme mal wieder zum Schreiben: Was wir im August machen. https://t.co/4Z3eJlV8St
— Tobias Maier (@weitergen) August 2, 2019
Pauschal lässt sich aber nicht sagen, wer für die Wissenschaftskommunikation geeignet ist, und wer nicht. Schließlich gibt es diverse Wege, die Öffentlichkeit über aktuelle Forschungsgegenstände zu informieren.
Wissenschaftskommunikation – reines Marketing?
Doch wofür brauchen wir überhaupt Wissenschaftskommunikation? Oftmals wird von Betroffenen und Außenstehenden kritisiert, dass es mittlerweile nur noch um den Kampf um Fördergelder, sowie um die bessere Marketing-Strategie geht. Wäre es da nicht besser, wenn einfach alle Forscher*innen ihrer Arbeit nachgehen, ohne sich darum sorgen zu müssen? Tobias Maier sieht das nicht so – man merkt ihm in seiner Stimme an, wie sehr er für die Wissenschaftskommunikation brennt. Seiner Meinung nach ist es wichtig, dem Ganzen dieses „abgehobene Elfenbeinturm-Image“ zu entziehen und der Bevölkerung zu zeigen, „dass das Menschen sind wie du und ich, die eben den Beruf und den Wunsch haben, Wissenschaftler zu sein, mit allen Leiden und Freuden die damit einhergehen“. Zudem könne man der Gesellschaft, die ja Steuergelder für die Forschung zahle, etwas zurückgeben, indem man sie informiere, bilde und aufkläre. Natürlich gebe es aber auch genügend Gründe dafür, für sich selbst zu kommunizieren, etwa um die eigene Karriere zu stärken und bekannter zu werden.
Hat man also heute als Forscher*in gar keine andere Wahl mehr, als Wissenschaftskommunikation zu betreiben? Tobias Maier gibt diesbezüglich Entwarnung: Das können die machen, die Lust dazu haben. Doch gerade, wenn es um die Kommunikation über die sozialen Netzwerke geht, fürchten viele Wissenschaftler*innen, dass man sie dann nicht mehr ernst nimmt oder akzeptiert. Maier selbst nutzt die sozialen Medien aktiv und hat auch von anderen Forscher*innen hauptsächlich positive Erfahrungen mitbekommen. „Man muss aber nicht direkt mit einer breiten Öffentlichkeit kommunizieren, sondern kann sich nach und nach sein Zielpublikum erschließen.“
Herausforderungen für Wissenschaftler*innen
Doch so sinnvoll und notwendig die Wissenschaftskommunikation auch sein mag, nicht selten steht sie in Konkurrenz zur Forschungsarbeit. Maier erzählt uns von den zwei Hauptgründen, die Forscher*innen nach eigener Aussage davon abhalten, Wissenschaft zu kommunizieren: „Der eine ist: Sie haben keine Zeit. Der andere Grund ist, dass es dafür keine Bestätigung in irgendeiner Art und Weise gibt. Die Wissenschaftler*innen haben natürlich viel zu tun. Gäbe es irgendeine Art der Bestätigung, dann würden sie sicher auch Zeit finden, das zu machen.“ Daher stehe es natürlich jedem frei, vollkommen im eigenen Fachgebiet aufzugehen.
Seiner Erfahrung nach werde die Kommunikation aber trotzdem zunehmend als wichtig erkannt. Viele nehmen sich gerne die Zeit, um ihre Forschungsthemen neben der wissenschaftlichen Fachcommunity auch einer breiteren Zielgruppe zugänglich zu machen. „Diese Art des Denkens findet statt, das sehe ich auf jeden Fall.“ Maier geht davon aus, dass die Kommunikation im Laufe der Zeit noch wichtiger wird – nicht zuletzt, weil dies oftmals von Geldgebern gefordert wird.
“Wenn wir [Wissenschaftler*innen] nicht selbst kommunizieren, dann machen es andere!”
Zudem müssen sich Wissenschaftler*innen und Forscher*innen immer häufiger diversen Herausforderungen stellen. Ein großes Thema sei Tobias Maier zufolge der Begriff der Fake News, der aus den USA herüber geschwappt sei. „In dem Zusammenhang hört man dann häufig: >>Wenn wir [Wissenschaftler*innen] nicht selbst kommunizieren, dann machen es andere!<< Und so ist es – dann machen es irgendwelche Interessengruppen, irgendwelche Leute, die nicht unbedingt wissenschaftlich argumentieren. Also ob das Homöopathen sind, Impfgegner oder Klimawandelleugner: Wenn man denen das Feld überlässt, dann hat das im schlechtesten Falle Auswirkungen auf unsere Glaubwürdigkeit.“ Demnach sei es Maier zufolge wichtig, einfach präsent zu sein und dem Stand der Wissenschaft eine Stimme zu geben. Die Leute sollen diese Diskussionen wahrnehmen und so im rationalen Denken unterstützt werden. Selbst auf seinem privaten Blog lässt es sich Tobias Maier nicht nehmen, wissenschaftliche Themen zu kommunizieren und gegen Fake News aufzuklären. Obwohl er auf “WeiterGen” ziemlich persönliche Dinge aus seinem Leben und dem seiner an Krebs erkrankten Frau schildert, verbindet er seine Berichte stets mit aufklärerischen Informationen aus der Wissenschaft – zum Beispiel, indem er auf die genau auf das Krankheitsbild und die Funktionsweisen verschiedener Therapien eingeht.
Was macht Kommunikator*innen glaubwürdig?
Aber welche Auswirkungen hat es auf die Glaubwürdigkeit von Kommunikator*innen, wenn diese von der Wirtschaft in die Wissenschaft wechseln? Diese Grundsatzfrage beschäftigt die Wirtschaft und Wissenschaft gleichermaßen. Maier sieht den Wechsel von Journalist*innen in die Industrie oder PR als normalen Prozess, hinter dem eine individuelle Entscheidung steckt, die nicht negativ zu sehen ist. Zu diesem Thema merkt Maier an, dass zur Freiheit des Journalismus eine gewisse Unabhängigkeit und finanzielle Freiheit in der Recherche gehört, die in einem Wirtschaftsunternehmen nicht immer gegeben sei, da eine andere Zielgruppe angesprochen werde.
Beim @WR_Infos Heute und morgen. @NaWik Social Media Seminar #wissenschaftsrat pic.twitter.com/hj2Cun4geG
— Tobias Maier (@weitergen) June 11, 2019
Im entgegengesetzten Fall – wenn Journalist*innen in die Wissenschaftskommunikation wechseln – ergibt sich eine Win-Win-Situation. In diesem Fall geht es nicht darum, einen Käufer*innen zu finden, sondern alle verfolgen dasselbe Ziel: Sie möchten Wissenschaft in der Gesellschaft verankern. „Die relevanten Themen sollen nach oben gespült werden, um von der Gesellschaft wahrgenommen zu werden. Hier geht es vor allem um die Alphabetisierung der Gesellschaft.” Denn es ist wichtig, eine alphabetisierte Gesellschaft zu haben, die Wissenschaft nicht als Randthema betrachtet. Wenn beispielsweise ein*e Patient*in eine schwerwiegende Erkrankung wie Krebs hat, ist es wichtig, zu entscheiden, ob eine wissenschaftlich erwiesene Therapie angestrebt wird oder er/sie sich auf die alternative Medizin verlässt. Es ist wichtig, dass der Patient*in alphabetisiert ist und mündig entscheiden kann. Gerade wenn in Zeitungen oder Gesprächen unwissenschaftlich dagegen argumentiert wird. Dazu gehört auch, dass Wissenschaftler*innen selbst als Personen wahrgenommen werden. So können Menschen lernen, wie Wissenschaft funktioniert und dass sie nichts Abgehobenes oder Unverständliches ist. Denn wenn Wissenschaft viele Menschen erreichen soll, muss diese verständlich sein.