That’s so gay!
von Pascal Thiel
Cybermobbing hat Konjunktur – besonders aus den USA erreichen uns ständig Schlagzeilen über neue Vorfälle. Immer wieder ist Homophobie Auslöser von jugendlichen Tragödien – und das Internet spielt dabei eine zunehmend bedeutsamere Rolle. Betroffen sind dabei, glaubt man der medialen Berichterstattung, vorrangig junge Homosexuelle. Doch diese These wird nicht nur von den unzähligen „Einzelfällen“ gespeist, sondern auch von der Existenz einer anderen, in den Augen mancher „harmloseren“ Form der Homophobie: einer homophoben Alltagssprache.
Den Beweis der Existenz liefert Twitter. Das soziale Netzwerk ist bis zum Bersten gefüllt mit homophoben Postings. Im Sekundentakt kommen neue hinzu. Einschlägige Ausdrücke wie „That was so gay“, „Faggot is in my college course“ oder „Fuck off with you gay fucking annoying laugh u faggot“ sind nur drei Beispiele homophober Sprache bei Twitter unter vielen.
Seit einigen Jahren haben sich Forscher der Universität von Alberta, Canada, dem Kampf gegen diese Tweets verschrieben: Vor drei Monaten riefen sie eine Internetseite ins Leben, die jedem Besucher in Echtzeit vor Augen führt, wie es sich bei Twitter mit homophoben Tweets verhält.
Homophobie in Daten
Die besagte Internetseite, nohomophobes.com, ist ein Projekt des „Institute for Sexual Minority Studies and Services“ der Faculty of Education der Universität von Alberta in Edmonton, Canada. Anfang Juli 2012 als „social mirror“ (Quelle: Pressemitteilung 26.09.12) ins Leben gerufen, zählt es seitdem „faggot“-, „so gay“-, „no homo“- und „dyke“-Tweets – in der Übersetzung: „Schwuchtel“-, „so schwul“-, „kein homo“- und „Lesbe“-Tweets. Die Macher sehen das Projekt als „soziales Gewissen“:
Perhaps, what this website does best, and why it has received so much international attention, is how the site serves as a form of collective social conscience, which reminds us about the powerof our words and how we have to take responsibility for our actions. (Quelle: Pressemitteilung 26.09.12)
Über 5 Millionen homophobe Tweets hat nohomophobes.com in den letzten drei Monaten gezählt. Von dieser gewaltigen Zahl zeigte sich selbst Institutsdirektor Kristopher Wells überrascht. Mit einem solchen Ausmaß habe man nicht im Geringsten gerechnet: „We never imagined the scale of casual homophobia that actually exists on social media“ (Quelle: Pressemitteilung 26.09.12).
Tatsächlich ist die Bilanz erschreckend: Im Schnitt werden auf Twitter täglich etwa 30.000 „faggot“-Tweets, 10.000 „so gay“-Tweets, 8.000 „no homo“-Tweets und etwa 3000 „dyke“-Tweets gepostet.
Homophob oder nicht?
Die Frage, ob die Verfasser tatsächlich alle homophob sind, lässt sich zwar nicht beantworten, doch es ist relativ unwahrscheinlich, dass hinter jedem besagten Tweet Hass gegenüber beziehungsweise Angst vor Homosexuellen steht.
Plausibler erscheint eine These, die von der Entstehung einer neuen Modesprache ausgeht. Während vor ein paar Jahren erste Fragmente vor allem auf Schulhöfen lediglich aus den Kehlen naiver Vorpubertierender schallten, hat sie sich bis heute zu einem hippen „Slang“ entwickelt, der jenseits von jeglich empathischen Empfinden sein Unwesen treibt. Längst haben sich Ausrufe wie „Das ist doch schwul!“ oder „So ein Homo!“ in der Sprache der Jugend festgesetzt.
Selbige Begriffe bezeichnen nach dem Verständnis vieler nicht mehr vorrangig eine andere sexuelle Identität, sondern stehen als Synonym etwa für „langweilig“ oder gar „scheiße“.
Seit dem Beginn des digitalen Zeitalters erhält diese Verschiebung der linguistischen Bedeutung besagter Begriffe nun Einzug in diversen sozialen Netzwerken. So unbewusst sich dort viele Internetnutzer dieser vermeintlichen Alltagssprache bedienen, so gefährlich ist die Konsolidierung derselben in der digitalen Gesellschaft. Denn es muss bedacht werden: Der mediale Ausdruck über Twitter geschieht hier immer auf Kosten einer gesellschaftlichen Gruppierung.
Menschen sind „desensibilisiert“
Kristopher Wells, Leiter des „Institute for Sexual Minority Studies and Services“ sieht das ähnlich. Gegenüber media-bubble.de sagt er:
While not all people tweeting are homophobic, their use of derogatory language hurts, stereotypes, and further isolates sexual and gender minorities, their friends, and families. We believe that many people have simply become desensitized to these words and the devastating impact they have in our society. These words quite simply serve to reinforce stereotypes and are often used as powerful weapons to defile and further marginalize gay, lesbians, bisexual, and transgender people.
Gerade im Hinblick auf die geistige Entwicklung (homosexueller) Jugendlicher sei diese Desensibilisierung äußerst problematisch:
We are particularly concerned about the negative environment or climate these words have on youth who may be coming to terms with or questioning their sexual orientation or gender identity.
Die, durch die These der Modesprache, dargelegte Assoziation negativer Eigenschaften birgt zudem die Gefahr einer gesellschaftlich anerkannten Verachtung von Homosexuellen, die schließlich über soziale Netzwerke „globalisiert“ werden kann. Daher muss man sich gegen eine homophobe Sprache stellen – das will auch nohomophobes.com:
Ultimately, we hope that the website […]will encourage people to think critically before they speak or tweet! After all, words have the power to hurt, or to help. If casual homophobia is to end, we all must help to break the silence that surrounds the power of these words. If we don’t speak up, who will?
Um Wells Argumentation aufzugreifen: Internetnutzer müssen resensibilisiert werden für die Sprache, die sie verwenden – im wirklichen Leben wie in sozialen Netzwerken. Nur wenn sie sich bewusst die wahre Bedeutung ihrer Worte vor Augen führen, kann Einsicht erreicht werden.
Bilder: Pressebilder (erhalten via E-Mail)
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