Farbfilter, Sixpacks und eine Welt der Klischees – Vikings auf dem Prüfstand Part II

Im zweiten Teil unserer Vikings-Analyse gehen wir der Authentizität der Serie Vikings weiter auf den Grund und stellen die Protagonisten in den Fokus: Wie kleiden sie sich? Wie kämpfen sie? Und welches Rollenbild haben sie? Und ist das alles authentisch? Das erfahrt ihr in diesem Artikel, mit dem wir auch den Serienteil unserer Suche nach dem großen A abschließen.

von Marvin Gedigk

Die skandinavischen Sons of Anarchy

Als großer Fan der US-amerikanischen Biker-Serie Sons of Anarchy muss ich gestehen: Eine gewisse Lederoptik spricht mich durchaus an. Entsprechend verwundert es nicht, dass mir die stark von Leder geprägten Ausrüstungskits und ‚Rüstungen‘ der Vikings-Protagonisten gefallen. Es macht schon was her, wenn die Damen und Herren des Hohen Nordens axtschwingend mit modisch-modernen Undercut-Frisuren und in knappe Lederklamotten gekleidet ihre Feinde aus dem Weg räumen. Mit Wikingern hat das Ganze nur leider so gar nichts zu tun.

Wer einmal am eigenen Leib erfahren durfte, was passiert, wenn Leder nass – richtig nass – wird, der weiß, dass das Material nur noch wenig Komfort bietet und im Zweifel stark darunter leidet. In diesem Sinne die realitätsbezogene Ermahnung, die Lederschuhe- und jacke ordentlich und regelmäßig zu imprägnieren! Generell ist die Schutzwirkung von Leder unter Experten und im Bereich der Living History (auf die wir im Zuge der Beitragsreihe noch zu sprechen kommen werden) höchst umstritten. Während eine Minderheit dafür plädiert, dass Leder über die Jahrhunderte hinweg als Rüstmaterial eingesetzt wurde und man einfach aufgrund der organischen Zusammensetzung des Materials noch keine passenden archäologischen Funde machen konnte, spricht sich die Masse dagegen aus:

Leder habe aufgrund seiner Materialstärke keine ausreichende Polsterwirkung, um die Treffer stumpfer Waffen (beispielsweise eines Knüppels) abzufangen, und nicht die nötige Festigkeit, um Stiche und Hiebe scharfer Waffen (Lanzenspitzen oder Pfeile) abzuwehren. Gefütterte Stoffpanzer, sogenannte Gambesons, und Kettenpanzer erscheinen hier nicht nur praktischer für den Wikinger-Alltag, sondern wurden tatsächlich von den Nordmännern getragen. Die dargestellte Leder-Versessenheit ist hingegen nicht authentisch.

In wenigen Minuten bringt dieser YouTuber kurz und knapp die Rüstungswelt der Wikinger auf den Punkt – natürlich inklusive einiger visueller Beispiele.

Eitle Wikinger

Ein der Dramaturgie und dem Medium geschuldeter Fehler ist die Abwesenheit von Helmen. Verschiedene Grabfunde aus der sogenannten Vendelzeit und der hier besprochenen Wikingerära zeugen von der Kunstfertigkeit, mit der die Bewohner Skandinaviens reichlich verzierte Helme herstellen konnten, die einem Ragnar Lothbrok würdig gewesen wären. Dabei trägt in der gesamten Serie keine der wichtigen Charaktere während den Schlachten einen Helm, obwohl der eigene Stand und Wohlstand die Protagonisten dazu befähigen würde. Die Produzenten der Serie verzichteten darauf jedoch, damit der Zuschauer auch im Schlachtengetümmel seine persönlichen Lieblinge noch identifizieren und mit ihnen mitfiebern kann.

Hier handelt es sich keinesfalls um ein modernes Stilmittel, dem sich die Serienautoren in ihrer vermeintlichen Ignoranz gegenüber den historischen Begebenheiten bedient haben. Vielmehr ist dieses Phänomen so alt wie die Kunst selbst: Der Protagonist – früher meist der Fürst – muss stets zu erkennen sein, unabhängig davon, ob die abgebildete Situation so an Authentizität verliert. Eines der prominenteren antiken Beispiele ist das Alexandermosaik  aus Pompeii, welches die Schlacht von Gaugamela 331 v. Chr. darstellt und etwa im zweiten Jahrhundert v. Chr. entstanden ist. Alexander der Große wird nicht – obwohl es hier so gezeigt wird – ohne Helm in den Kampf geritten sein. Dafür war sein Leben schlicht zu wichtig, um auf diesen zusätzlichen Schutz zu verzichten.

Von Richard Wagner und Modebloggern

Einige weitere Faktoren, wie die vollkommen unauthentische Uniformierung der britischen Soldaten, könnten an dieser Stelle noch angeführt werden. In ihrer Gesamtheit würden sie jedoch beinahe nichts daran ändern, dass sich die Serie Vikings wenig für die historische Ausrüstung der realen Wikinger interessiert. Für mich stellt sich hier jedoch die Frage, warum man die typischen Hörnerhelme der Wikinger – ein im 19. Jahrhundert geschaffenes, äußerst langlebiges Klischee – abschafft und dann den Weg der Authentizität nicht weitergeht? Stattdessen werden dem Zuschauer äußerst modisch gestylte Nordmänner präsentiert, die ihre fancy Lederkluft auch auf dem nächsten Laufsteg zur neuen Herbstkollektion erklären könnten. Aber vielleicht ist genau das die Brücke, die Vikings zu seinem Publikum schlägt und der Grund, warum die Serie so erfolgreich ist.

Im Film ‚Prinz Eisenherz‘ von 1954 wird noch das klassische, von Wagner im 19. Jahrhundert geprägte Wikingerbild verwendet. Nicht authentisch!

Reale Walküren?

Eine weitere Brücke schlagen die Produzenten mit dem von ihnen präsentierten Frauenbild: Lagertha, Ragnars erste Frau, zeigt sich nicht nur in der Ehe mit dem Protagonisten als emanzipierte Frau, die ihre eigene Meinung hat und diese durchzusetzen weiß. Nein, es wird deutlich, dass Ragnar sie als gleichberechtigt wahrnimmt; sie steigt sogar im weiteren Verlauf der Serie (ohne Ragnars Hilfe bzw. eben nicht als seine Frau) zum Jarl und schließlich zur Königin auf.

Lagertha erobert Kattegat und wird zur mächtigsten Frau unter den Wikingern.

Dabei ist Lagertha keine Frau, die sich auf Männer an ihrer Seite verlassen muss, wie man es aus anderen Historienfilmen kennt. Die von der kanadischen Schauspielerin Katheryn Winnick verkörperte Schildmaid greift kurzerhand selber zum Schwert und führt ihre Amazonen ein ums andere Mal erfolgreich in die Schlacht. Authentisch? Bedingt. Um der Serie jedoch zur Verteidigung zu eilen, muss angeführt werden, dass die literarische Grundlage der Legende um Ragnar ihm eine Schildmaid als Ehefrau an die Seite stellt. Bis dahin folgt Vikings der Vorlage und gewährt dieser eine höhere Priorität als der historischen Realität.

Die Kampffertigkeiten der Schildmaiden Lagertha sind allseits bekannt. Daher verliert sie auch nicht ihre Ehre, als sie die Herausforderung von Ivar dem Knochenlosen ablehnt – die Gesellschaft glaubt ihr, dass sie in der Lage wäre, den verkrüppelten Sohn Ragnars zu töten.

Kämpfende Frauen? Eine Frage der Perspektive

„Aber Frauen haben doch bei den Wikingern tatsächlich an der Seite ihrer Männer gekämpft!“, werden einige an dieser Stelle anführen wollen, und tatsächlich gab es in jüngerer Vergangenheit einige Berichte über spektakuläre Funde von Frauengrabstätten mit zahlreichen militärischen Grabbeigaben oder von älteren Skelettfunden, die sich bei moderneren Untersuchungen als weiblich herausstellten. Nichtsdestotrotz bleibt es umstritten, ob Frauen bei den skandinavischen Völkern wirklich mit in die Schlacht zogen oder ob es sich bei den prunkvollen Waffen und Rüstungen lediglich um Statusinsignien handelte, die zu Ehren der bestatteten Frau mit ins Grab gegeben wurden. Es würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, die Forschungsdebatte vollends auszubreiten. Gesichert ist jedenfalls, dass Frauen in der nordischen Gesellschaft umfangreichere Rechte hatten als in anderen europäischen Gesellschaften des Mittelalters: Sie waren nicht auf einen Mann angewiesen, der ihrem Haushalt vorstand und ihr Vermögen verwaltete. Stattdessen konnten sie alleine leben und scheuten entsprechend nicht, sich scheiden zu lassen.

Vikings pickt sich hier abermals, wie auch schon bei den wichtigsten Ereignissen der dargestellten Ära (vgl. Part I), die besten Rosinen heraus und zeichnet ein sehr modernes Frauenbild, wodurch das Publikum der Serie automatisch erweitert wird. Nicht nur Männern wird hier in Form von Ragnar und seinen männlichen Verwandten ein mit Sixpack versehener Idealtyp ‚Mann‘ vorgelebt, dem man nacheifern kann, sondern auch Frauen wird ein Vorbild gegeben, mit dem sie im Laufe der Staffeln mitfiebern können.

Verpackt im Mantel der Authentizität – schließlich gibt es einige Medienberichte über die emanzipierte Wikingerfrau – kann Vikings hier eine moderne Frau präsentieren, die dafür sorgt, dass durch den Look, die Ausstattung und die Riten das Gefühl einer fremden, reizenden Welt entsteht. An die kann der Zuschauer anknüpfen, da die Protagonisten einen ähnlichen Wertekanon zu haben scheinen (hier speziell anhand der Geschlechterrollen aufgezeigt). Wäre die Welt noch fremder (in Teilen womöglich authentischer), könnte der Zuschauer die Entscheidungen der Charaktere nicht mehr nachvollziehen, sich nicht mit ihnen identifizieren und würde abschalten. Wie wichtig dieser Balance-Akt ist, haben wir schon bei Rome und seinem Protagonisten Lucius Vorenus gesehen.

Mangelndes Interesse an der Authentizität – ein Fazit

Vikings ist ein Kunstprodukt und als solches eher dem Genre der Fantasy zuzuschreiben. Es greift mittelalterliche Erzählungen auf, die ihrerseits schon fiktiv und fantastisch waren, und verwendet den Stoff, um eine ans 21. Jahrhundert angepasste Geschichte zu erzählen. Anders als noch bei Rome kann man sich auf viele der Informationen eben nicht verlassen, sodass hier nur ein sehr rudimentäres Grundverständnis von der Wikingerzeit vermittelt wird – etwas, was ich trotz der Detailfehler bei Rome noch gelobt hatte. Die Produzenten der Serie hatten offensichtlich auch kein Interesse, Vikings möglichst authentisch zu gestalten, denn beim Betrachten des Rahmenprogramms auf History Channel fällt eines auf:

Die oft im Zuge einer Staffel nebenbei ausgestrahlten Dokumentationen hätten den Machern durchaus die Möglichkeit geboten, einfach an Informationen über die realen Wikinger zu kommen. Der eingesetzte bläuliche Farbfilter, der vielen Szenen der Serie eine kühle und düstere Atmosphäre gibt, unterstreicht für mich weiterhin den Eindruck, dass es hier weit mehr um die Dramaturgie und die Visualität als um Authentizität geht. Dagegen ist auch nichts einzuwenden. Wer den Beitrag aufmerksam gelesen hat, wird feststellen, dass ich Referenzen aus verschiedenen Staffeln anführe und entsprechend auch alle ausgestrahlten Folgen gesehen habe. Unabhängig von den historischen Mängeln gefällt mir die Serie. Problematisch ist für mich lediglich die Tatsache, dass der unbedarfte Laie aufgrund der Ausstrahlung auf dem History Channel allzu schnell geneigt sein könnte, Vikings für bare Münze zu nehmen.

Sowohl in der Serie als auch in der originalen Saga wird Ragnar übrigens prophezeit, dass die Taten seiner Söhne die seinen noch bei weitem überstrahlen werden. Daher sind wohl noch viele Staffeln von Vikings zu erwarten und es werden in diesem Zuge hoffentlich noch viele Zuschauer ihre Begeisterung für die Wikinger entdecken. Zwischen oder während den Folgen kann man sich dann über die realen Vorbilder informieren – die waren nämlich mindestens genauso badass wie Ragnar, Björn und Lagertha.

Was hat euch an der Serie Vikings fasziniert? Sind euch die dargestellten Fehler und Probleme aufgefallen? Schreibt es in die Facebook-Kommentare und bleibt historisch interessiert!

Valete!

Hier geht es zu den weiteren Beiträgen der Serie zur Authentizität von historischen Serien: