Die Dystopie auf der Leinwand (1)

Höhepunkte des dystopischen Films von Fritz Lang bis Ridley Scott

Von Antje Günther

Obwohl geboren im Bereich der Literatur, lässt sich das Genre der Dystopie doch schwerlich nur auf die geschriebenen Werke begrenzen. Zu oft und zu vielfältig wurde die dystopische Idee auch in anderen Medien wieder aufgegriffen. Gerade im Film fand sich eine gute Möglichkeit, die Zukunftsvisionen in Bilder zu fassen und ihre Konsequenzen durchzuspielen. Eine ganze Reihe von Filmen der letzten 70 bis 80 Jahre lässt sich in eine Art Filmgeschichte der Dystopie einordnen – eine Geschichte, die eng auch mit der Entwicklung des Science Fiction Films verbunden ist. Einige Höhepunkte dieser (Film-)Geschichte der düsteren Visionen sollen in den nächsten beiden Artikeln dieser Reihe näher betrachtet werden. Es sind Filme, die aufgrund ihrer Thematik oder ihres Stils herausstechen und auch heute noch relevante Kritik üben.

1. Metropolis (1927)

Artikel 8 (1) Kaum eine Filmgeschichte, insbesondere keine zum Science Fiction Film oder eines verwandten Genres, kommt ohne Fritz Langs ikonisches Werk Metropolis aus. Zuerst veröffentlicht 1927, wurde es für die UFA zu einem finanziellen Desaster: In Deutschland fand der Film kein Publikum und in den USA fiel der Film erst einmal dem Schneidemesser der Paramount Studios zum Opfer. Es erschien eine um ein Viertel gekürzte Fassung, die jedoch auch keinen Erfolg verbuchen konnte. Das circa zweieinhalbstündige Original wurde daraufhin vernichtet und bis heute wurden keine vollständigen Kopien gefunden. Eine rekonstruierte Fassung von 2010 mit im Jahr 2008 gefundenem Archivmaterial stellt bislang die wohl originalgetreuste Version dar.

Wurde der Film damals weitestgehend zerrissen, so gilt er heute als eines der wichtigsten Werke der deutschen Filmgeschichte. Sein expressionistischer Stil, die Architektur, seine mythischen Anspielungen; es gibt vieles, was den Film heute zu einem Meilenstein macht. Seine Thematik ist es schließlich, die ihm auch einen Platz in der Filmgeschichte der Dystopie einbringt. Die Vision einer streng getrennten Zweiklassengesellschaft, in der die einen in der Tiefe schuften während sich die anderen im Licht vergnügen, erinnert an Motive aus späteren dystopischen Romanen. Auch andere typische Themen der Dystopie wie die Überwachung werden im Film aufgegriffen; hier vertreten durch die Figur des „Schmalen“, der Freder, den Sohn des Herrschers von Metropolis, verfolgt. Anders als die klassischen Dystopien seiner Zeit endet der Film jedoch versöhnlich, mit der Vermittlung zwischen Hirn und Hand, dem Herrscher und den Arbeitern. Nichtsdestotrotz lässt sich Langs Version einer Zukunft, in der die Arbeiter an Maschinen ausgebeutet werden, als eine Art Vorreiter des dystopischen Kinos ansehen.

2. Fahrenheit 451 (1966)

Artikel 8 (2)Die Verfilmung von Ray Bradbury Klassiker Fahrenheit 451 ist wahrscheinlich einer der umstrittensten Filme auf dieser Liste. Der einzige englischsprachige Film des Nouvelle Vague Regisseurs François Truffaut spaltet die Geister: Auf der einen Seite enthält er einige Makel, allen voran die Leistung des Hauptdarstellers Oskar Werner, dessen Disput mit Truffaut sich auf der Leinwand eindeutig widerspiegelte. Auch die englische Sprache stellte für Truffaut eine Herausforderung dar, weshalb Kritiker aufgrund der besseren Dialoge häufig die synchronisierte französische Fassung vorziehen.

Darüber hinaus stieß auch manche Änderung gegenüber der literarischen Vorlage auf geteilte Meinungen. So lässt Truffaut beispielsweise Clarisse nicht bei einem Autounfall sterben, sondern sie bleibt bis zum Ende des Films am Leben. Diese Veränderung, die Clarisse zum Hoffnungsschimmer für Montag werden lässt, wurde sowohl positiv als auch negativ bewertet. Auf der anderen Seite hingegen ist die Doppelbesetzung von Linda, aka Mildred aus der Romanvorlage, und Clarisse mit Julie Christie ein wahrer Geniestreich. Sie verkörpern so noch stärker als in der Romanvorlage die abstrakte Idee von Konformität und Rebellion und lassen beides als zwei Seiten derselben Münze erscheinen. Die Anziehung Montags zur Rebellion gegenüber dem Staat liegt damit nicht in der Anziehung zu einer Frau oder ihren Reizen verbunden, es ist tatsächlich die Idee, die ihn anzieht. Lässt die schauspielerische Leistung von Werner zu wünschen übrig, so schafft Truffaut dennoch einen Film, der die Ideen Bradburys in eindrucksvolle Bilder kleidet und seine Kritik, wenn auch etwas umgeformt, dem Zuschauer übermittelt.

3. Blade Runner (1982)

Weniger umstritten als Truffauts Fahrenheit 451 ist der dritte Film auf unserem Streifzug durch die dystopische Filmgeschichte: Ridley Scotts Science Fiction Klassiker Blade Runner. Aber auch hier stießen sich die Kritiker und Zuschauer zunächst an der Story und lobten nur die grandiose visuelle Ausführung. Die Ambivalenz der Geschichte um den Blade Runner Deckard, der sich in die Replikantin Rachel verliebt, verursachte negative Reaktionen; der Film wurde als schön fotografiert, aber inhaltsleer empfunden. Genau diese Ambivalenz und Komplexität, die dem Zuschauer die einfache Reduktion auf eine Aussage verbietet, war es jedoch, die schließlich schon kurz darauf insbesondere die Science Fiction Fans anzog. So verschwand Blade Runner zwar schnell aus den Kinos, wurde aber auf Video zum Verkaufsschlager. Die Videokassette ermöglichte das wiederholte Sehen des Films und das Entdecken der vielen verschiedenen Details und Lagen des Films. Blade Runner ist ein Film, der vor allem durch seine Bilder viele Fragen stellt und nur wenige beantwortet; allen voran, was es bedeutet ein Mensch zu sein und eben kein Replikant, keine Maschine, die möglichst menschenähnlich ist.

Daneben enthält der Film jedoch auch Elemente, die ihm neben seinem herausragenden Status im Bereich des Science Fiction Films auch einen Platz in der Liste der dystopischen Filme bescheren. So zeichnet der Film eine Welt, die düster und voller Hedonismus ist. Die Macht hat die Tyrell Corporation; eine klare Kapitalismuskritik. Wer es sich leisten kann, ist längst aus Deckards Los Angeles zu den Off-worlds geflohen, von denen die fliegenden Werbeanzeigen das Paradies versprechen. Auch die Verfolgung der Replikanten kann als dystopisches Element gesehen werden, sind sie doch so menschenähnlich, dass sie als Parabel für Rassismus und die Verfolgung von Minderheiten erscheinen. So verdient auch Blade Runner einen Platz auf dieser Liste, die im nächsten Artikel fortgeführt wird. In diesem folgen weitere Höhepunkte des dystopischen Films, darunter der Klassiker 1984 und die Satire Brazil.

Fotos: Flickr.com/RV1864 (CC BY-NC-ND 2.0), Flickr.com/Huysamen Engelbrecht (CC BY-SA 2.0), Flickr.com/Li´d (CC BY-NC-ND 2.0)


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