Das große Lied vom Scheitern

Von Antje Günther

Die klassische Dystopie ist kein optimistisches Stück Genregeschichte. Die Erzählungen sind düster und auf eine Besserung der Zustände des Protagonisten wartet man vergeblich. Entstanden im Zeitraum der 20er bis 40 oder 50er Jahre, je nach Zuordnung, reflektieren sie eine Zeit der Umbrüche und gewalttätigen Auseinandersetzungen. Insbesondere den Werken Orwells und Huxleys ist dabei große Nähe zu realpolitischen Ereignissen und Situationen zu entnehmen.

Die Inspirationen der klassischen Dystopie

So zeigen sowohl Nineteen-Eighty-Four als auch Brave New World klare Parallelen zum sovietischen Sozialismus der damaligen Zeit. Beide Werke richten sich gegen die Regierung und Visionen Stalins und porträtieren eine negative und absolutistische Version des einstigen utopischen Ideals des Sozialismus. Dabei lehnten beide den Sozialismus an sich jedoch nicht ab. Gerade Orwell, in dessen Werk die anti-stalinistischen Tendenzen deutlicher heraustreten als bei Huxley, war überzeugter Sozialist und plädierte für seine Vision eines demokratischen Sozialismus. Sein Kampf galt dem Totalitarismus, welcher den Sozialismus in der UdSSR prägte.

Ein weiterer wichtiger geschichtlicher Bezugspunkt der klassischen Werke waren die Utopien H. G. Wells. Insbesondere A Modern Utopia (1905) and Men Like Gods (1923) fungierten als Ansatzpunkte ihrer negativen Gegenerzählungen. So konzipierte Huxley Brave New World als klare Antwort auf Men like Gods und verkehrte Wells optimistische Ideen von technischem und biologischem Fortschritt in das Gegenteil. Technologie und Wissenschaft sind in Brave New World die treibenden Motoren der Überwachung. Die Biologie des Menschen wird bereits vor der Geburt künstlich manipuliert, um die Zugehörigkeit und Akzeptanz der Kaste sicherzustellen. Auch Orwell teilte Wells Fortschrittsoptimismus nicht und erschuf ein System, in dem Medien und Technik der Kontrolle dienen; der Teleschirm bildet hier das markanteste Beispiel. Aber auch außerhalb dieser beiden Klassiker ist das Motiv der Kontrolle durch Wissenschaft und Technik zu finden: in Zamyatins We (1921) wird ähnlich wie in Brave New World die Biologie des Menschen kontrolliert, in Bradburys Fahrenheit 451 (1953) fungieren die „parlor walls“ (riesige Videoleinwände) als Ablenkungs- und Ruhigstellungsmechanismus.

Sexualität als Rebellion

3_You shall obeyNeben diesem Fokus auf Technologie und Wissenschaft teilen die Werke eine weitere Gemeinsamkeit: sie thematisieren die Sexualität des Menschen und zwar als etwas, das kontrolliert werden muss. Passion und Liebe sind verpönt und verboten, wer schwanger werden darf ist, strikt geregelt. Es gibt „sex crimes“ in Nineteen-Eighty-Four, Schwangerschaftssubstitute in Brave New World und Wes O-90 wird die  Schwangerschaft aufgrund ihrer Körpergröße verboten. Dabei ist interessant zu beobachten, wie unterschiedlich die Normen ausfallen. Bei Orwell ist die freie Liebe untersagt, Sex wird nur mit proletarischen Prostituierten oder der eigenen Frau zähneknirschend gestattet. Winstons Affäre mit Julia stellt somit das große Verbrechen dar. Ähnlich verhält es sich in We, wo Sexualpartner vom Staat zugewiesen werden und  D-503s Bewunderung für die trinkende und flirtende I-330* die Regeln bricht. In  Huxleys Gesellschaft hingegen ist Promiskuität die Norm, schon Kinder sollen an erotischen Spielen mit ihren Altersgenossen teilnehmen. Dabei sind Sexualität und Reproduktion getrennt, Kinder entstehen durch die Wissenschaft. In dieser Gesellschaft ist es Lenina, die durch ihr Sexualleben auffällt. Sie hat stets nur einen Sexualpartner zur gleichen Zeit, was sie aus der Masse hervorstechen lässt.

Durch diese Regulierung der Sexualität ergibt sich für die Figuren jedoch auch ein Weg der Rebellion. Es sind insbesondere diese Regeln, gegen die sie sich stellen und die sie durch ihr Verhalten brechen. Sie gehen Affären oder fast Affären ein oder weigern sich der Promiskuität der Gesellschaft zu unterwerfen. Die eigene Sexualität wird somit zur Waffe, zur Möglichkeit der Selbstbestimmung.

Und am Ende steht der Anfang

Weit führen diese Rebellionen schlussendlich jedoch nicht. Sie alle scheitern: an der Gesellschaft oder an sich selbst. Das System bleibt unverändert. Winston und D-503 werden einer Gehirnwäsche unterzogen und leben fortan glücklich weiter als Rädchen im System; John „the Savage“ begeht Selbstmord. Sie alle konnten letztendlich das System nicht verändern; ihre Rebellion ist persönlich und auf ihr eigenes Leben, auf ihre eigene unmittelbare Umgebung bezogen. Die Erzählungen enden düster und genau dort, wo sie begannen. Optimismus lässt sich nur außerhalb der Seiten finden, in der Hoffnung, dass es durch dieses Wissen nun nicht so weit kommen wird. Einzig Geschichten wie Fahrenheit 451, welche in der Flucht des Protagonisten Guy Montag zu den Verbannten und der Zerstörung der Stadt durch Atombomben endet, lassen einen Hoffnungsschimmer erkennen. Deshalb werden sie häufig auch bereits als Vorläufer oder Mitglieder der Kritischen Dystopie angesehen, welche im nächsten Artikel dieser Reihe zum Thema gemacht wird.

* In Zamyatins We besitzen die Figuren keine Namen, sondern werden durch die staatlich zugewiesenen Zahlen angesprochen.

Fotos: Flickr.com/zeltfaenger.at (CC BY 2.0), Flickr.com/Fish Gravy (CC BY 2.0)

„Erleuchtung garantiert“ – wirklich?

von Andrea Kroner

Zwei ungleiche Brüder begeben sich auf die Reise in ein buddhistisches Kloster, um dort zu lernen, besser mit ihrem Leben umzugehen. Doch schon auf der Reise dorthin müssen sie Hürden unterschiedlichster Art meistern. Und selbst im Kloster ist Erleuchtung ganz und gar nicht garantiert.

Ein Trip durch die Hürden des Lebens

Die Brüder Uwe (Uwe Ochsenknecht) und Gustav (Gustav-Peter Wöhler) könnten unterschiedlicher nicht sein. Uwe führt ein scheinbar glückliches, bodenständiges Familienleben und verkauft Einbauküchen. Gustav hingegen interessiert sich sehr für fernöstliche Lehren und die dortige Lebensweise. Deshalb arbeitet er auch als Feng-Shui-Experte. Er wirkt langweilig und introvertiert – und ist ebenso wenig zufrieden mit seinem Leben.

Als Uwes Frau ihn plötzlich mitsamt der Kinder verlässt, bricht für ihn eine Welt zusammen. Deshalb flüchtet er zu seinem Bruder, um sich bei diesem auszuweinen. Doch Gustav ist gerade mit ganz anderen Dingen beschäftigt: Er möchte zu einem japanischen Zen-Kloster reisen, um dort seine Erleuchtung zu finden. Kurzentschlossen schließt sich ihm Uwe einfach an – ohne zu wissen, worauf er sich eigentlich einlässt.

Schon der Beginn ihrer Reise verläuft nicht ohne Komplikationen: Bereits bei ihrer Ankunft in Tokio müssen sie mit Hunger, Durst und eingezogenen Kreditkarten kämpfen und letztendlich sogar in einem gestohlenen Zelt übernachten. Dadurch finden sie aber schon ein Stück weit zu sich selbst, noch bevor sie sich im Kloster überhaupt näher damit befassen.

Doch auch dort wird es nicht leichter, da sie sich an strenge Regeln halten müssen. Und hier ist es eher Gustav, der dadurch einzuknicken droht – würde ihm Uwe nicht helfen. Und so finden die Brüder nicht nur zu sich selbst, sondern auch zueinander und entwickeln eine vollkommen neue Sichtweise auf ihr Leben.

Disziplin als oberstes Gebot

Nicht nur die Charaktere, sondern auch die Crew musste mit vielen Einschränkungen zurecht kommen, da in einem richtigen Zen-Kloster gefilmt wurde. Alle mussten sich an die dort lebenden Mönche anpassen: Aufstehen um halb vier Uhr morgens, kaltes Duschen und stundenlanges Meditieren im Lotussitz waren deshalb an der Tagesordnung. Dafür war äußerste Disziplin notwendig. Doch nur so konnte eine größtmögliche Lebensnähe und Unmittelbarkeit erzeugt werden, was den Film authentischer macht. Um den Eindruck dieser Nähe noch zu verstärken wurde lediglich mit einer kleinen Filmkamera gedreht und das Team in Japan auf fünf Techniker und zwei Schauspieler beschränkt.

Dadurch bekommt dieser Film eine ganz Stellung, da er sich nicht einem einzigen Genre zuordnen lässt, sondern eine Mischung aus Spiel- und Dokumentarfilm darstellt: Einerseits ist die Grundkonstellation der Handlung erfunden, jedoch wurde im Kloster das alltägliche Leben der Mönche und Schauspieler begleitet. Darüber hinaus filmten sich Uwe und Gustav gegenseitig mit einer eigenen, handelsüblichen Handkamera, wodurch eine noch beeindruckendere Nähe entstand.

Ein Film der Gegensätze

Nicht nur Uwe und Gustav sind vollkommen gegensätzlich, sondern auch die Handlungsorte des Films: Er beginnt im winterlichen Deutschland mit dem eintönigen Leben der Brüder. Darauf folgt der erste Teil ihres Abenteuers im überfüllten, lauten und hektischen Tokio. In dieser Stadt liegt der Fokus auf der Faszination der Medien. Die Einheimischen befinden sich fast ausschließlich im Bann ihrer Handys umgeben von bunt blinkenden Reklameschildern.

Diese werden den Brüdern noch zum Verhängnis: Sie wollen sich an einem Schild orientieren, um wieder zu ihrem Hotel zurückzufinden – doch auf dem Heimweg können sie es nicht mehr ausmachen und müssen sich deshalb anderweitig orientieren. Im Zen-Kloster angekommen empfängt sie dagegen eine enorme Stille und Einfachheit, die die Brüder nach der turbulenten Großstadt besonders überwältigt. Es gibt keinen Komfort, viel Arbeit und Betteln als die einzige Möglichkeit der Mönche zu überleben.

Besonders ist dabei, dass den ganzen Film über mit diesen Gegensätzen gespielt wird und es scheint, als würde nichts davon zusammen passen. Doch am Ende erkennt man, dass sich scheinbar Konträres gut kombinieren lässt, wenn man den Sinn dahinter verstanden hat.

Die Weisheiten des Zen

Um sich auf das Leben im Kloster einzustimmen hat Gustav durchweg ein kleines Buch mit Zen-Weisheiten bei sich. Doch beide wissen zunächst nichts mit den rätselhaften Formulierungen anzufangen – bis sie im Kloster mithilfe der Mönche lernen, damit umzugehen. Sie beginnen langsam zu verstehen, wie sie ihr zukünftiges Leben leben können und schließen mit ihren schlechten Erfahrungen ab. Uwe beginnt, damit klarzukommen, von seiner Frau verlassen worden zu sein. Und Gustav gesteht sich ein, dass er schwul ist.

Und so bringt der Film am Ende viele Fäden zusammen: Er schafft es auf ganz besondere Weise, die fernöstliche, mit der westlichen Lebensweise zu verbinden und zeigt, dass Erleuchtung wirklich garantiert ist, wenn man gewillt ist, sie zu finden.

Foto:  wikimedia.org

Weitere Artikel aus dieser Reihe:

Teil Eins: Vergessene Filme – verborgene Schätze

Teil Zwei: Der Meister der Stille

Teil Drei: „Faust“ – die Geschichte lebt wieder auf

Teil Vier: „Erleuchtung garantiert“ – wirklich?

Teil Fünf: „5×2“ – Wieso ging es schief?

Teil Sechs: „Moolaadé“ – Bann der Hoffnung

Kosmopolitisierung, Anerkennung, Solidarisierung?

von Anne-Mareike Täschner

Der Lehrstuhl von Prof. Dr. Tanja Thomas am Institut für Medienwissenschaft der Uni Tübingen veranstaltet am 25. und 26. Juni 2015 eine Nachwuchstagung mit dem vielversprechenden Titel „Kosmopolitisierung, Anerkennung, Solidarisierung? Potentiale transkultureller Öffentlichkeiten in Medienkulturen“.

Zu den öffentlichen Vorlesungen im Rahmen der Tagung am Donnerstag sind auch Nichtnachwuchsforscher*innen, Studierende und alle weiteren Interessierten herzlich eingeladen. Und die Referentinnen können sich wahrlich sehen lassen: Für die öffentliche Mittagsvorlesung konnte Prof. Dr. Magdalena Nowicka von der Humboldt Universität zu Berlin gewonnen werden, bei der Abendvorlesung spricht Prof. Dr. Radha Hegde von der New York University (!).

Prof. Dr. Magdalana Nowicka spricht um 12 Uhr zum Thema On the analytical and normative dimensions of conviviality and cosmopolitanism, Prof. Dr. Radha Hegde spricht um 18:30h zum Thema Theory as disturbance and feminist activism. Beide Vorlesungen finden im Hörsaal der Keplerstrasse 2 statt.

Hier könnt ihr euch den Tagungsflyer runterladen: Nachwuchstagung

Der berechenbare Mensch – Auswirkungen der digitalen Evolution

Von Jasmin M. Gerst

Am Donnerstag, den 18. Juni 2015, lud das Institut für Medienwissenschaften in Kooperation mit dem SWR zur 12. Mediendozentur in Tübingen ein. Ziel der Veranstaltung war es, wie jedes Jahr, Brücken zwischen Wissenschaft und Praxis zu bauen und Studenten über aktuelle Themen in der Medienbranche zu informieren. Bei der diesjährigen Mediendozentur übernahm Miriam Meckel, Chefredakteurin der Wirtschaftswoche und Professorin für Medien- und Kommunikationsmanagement, mit dem Vortrag „Der berechenbare Mensch – was die digitale Evolution mit unserer Individualität und Freiheit macht“ diese Aufgabe. In der Neuen Aula der Universität in Tübingen blieben zu diesem Anlass nur wenige Plätze frei.

Die Vermessung des Menschen

Miriam Meckel stellt mit einem historischen Beispiel klar, dass der Mensch schon immer versuchte, das menschliche Bestreben mit metrischen Mitteln zu messen. Im Jahr 1901 war Duncan MacDougall mit seinem Experiment auf der Suche nach der menschlichen Seele. Dabei stellte er fest, dass der Mensch nach dem Tod 21 Gramm weniger wiegt als vorher. Daraus schloss er, dass die Seele 21 Gramm wiegen muss. Während früher die Seele vermessen werden sollte, versucht man heute  aus dem Verhalten des Menschen ein Ordnungsmuster zu erschließen und dieses in Algorithmen umzuwandeln. Dabei stellen sich die Fragen, welche Muster man am Menschen erkennen kann und ob der Mensch wie ein großer Datensatz berechenbar ist.

Täglich hinterlassen wir im Internet durch Ortungsdienste oder Recherchen eine Menge von Daten. Durch das Nachverfolgen dieser Daten können Rückschlüsse auf  unsere Gewohnheiten und Vorlieben gezogen und sogar unser Alltag rekonstruiert werden. Amazon erforscht bereits Möglichkeiten, wie sie  in Zukunft das liefern können, was der Nutzer seinen Gewohnheiten entsprechend in nächster Zeit bestellt hätte. Dabei wird mit Hilfe von Informationen über das Kauf- bzw. Suchverhalten des Kunden eine Datenanalyse vorgenommen und mit dieser Vermessung des Menschen können ihm dann Entscheidungen abgenommen werden.

Gefährdung der Individualität

Aber was bedeutet das für den Menschen? Meckel sieht eine Gefährdung der Individualität des Menschen darin, dass ihm durch Maschinen Entscheidungen abgenommen werden sollen. Beruhigend ist jedoch, dass durch die Algorithmen nur Routineentscheidungen nachvollzogen werden können. Wenn der Mensch einmal anders  entscheidet als der Algorithmus es vorsieht, ist dies eine Bedrohung für die Software, für uns aber ist es ein Stück Freiheit, so Meckel. Da das Grundprinzip der Maschine keine Zweideutigkeit zulässt, bleibt der Mensch also in komplexeren Entscheidungen der Software einen Schritt voraus. Er ist in der Lage seinen Verstand zu gebrauchen und frei zu entscheiden und auch wenn der Algorithmus uns Produkte empfiehlt, gibt es immer noch die Möglichkeit anders zu entscheiden. Allerdings sieht Meckel es als Gefahr an, dass wir durch die permanente Nutzung personalisierter Angebote bequem werden. Anstatt uns neuen Dingen zu widmen, bleiben wir bei unseren alten Gewohnheiten. Doch wollen wir nicht selber Entscheidungen treffen, anstatt sie uns von einer Software liefern zu lassen? Sie liefert uns ja eigentlich eine Verlagerung der Vergangenheit in die Zukunft und daher nur ein konservatives Angebot. Neues lässt sie nicht zu.

Doch, wie Meckel wiederholt betont, stehen wir immer noch am Anfang dieser Entwicklung. Vor allem in der Medienwelt erwartet uns noch eine spannende Zukunft, in der wir durch die digitale Evolution aber auch ein Stück unserer Freiheit verlieren könnten.

Willkommen in Jurassic World

von Marius Lang

2424_SB_00015NBRDer Park ist eröffnet. Nach 22 Jahren ist der Traum von John Hammond (damals gespielt von dem verstorbenen Richard Attenborough) endlich in Erfüllung gegangen. Und nun strömen täglich tausende von Besuchern auf die Isla Nublar vor der Küste Costa Ricas um diesen Traum zu sehen. Ein Park voller Wesen, die vor rund 64 Millionen Jahren die Erde beherrschten. Willkommen in Jurassic World.

Jurassic World ist der vierte Teil in einer Reihe, die sich in erster Linie dadurch auszeichnet, dass ihr erster Teil (Jurassic Park (1993)) hinlänglich als ein Meilenstein der Filmgeschichte bekannt ist, wohingegen seine ersten beiden Fortsetzungen (The Lost World: Jurassic Park (1997)) und Jurassic Park III (2001)) allgemein als, sagen wir, enttäuschend in Erinnerung blieben. Als Fan des ersten Teils war ich dementsprechend gespannt, wo genau dieser vierte Teil rangieren würde. Die grundsätzliche Idee dahinter wirkte vielversprechend: Jurassic World ist die Erfüllung der Vision des ersten Teils: Ein funktionierender Freizeitpark voller Dinosaurier, wieder zum Leben erweckt durch das Wunder unmöglicher Wissenschaften.

Es ist dann auch der erste Blick in den Park selbst, der eben die Faszination auslöst, die damals der erste Film ausgelöst hatte. Da gibt es einen Streichelzoo voller Jungtiere für die Kinder, Ritte auf dem Rücken eines Triceratops, Fütterungen von gewaltigen Mosasauriern und Safaris in seltsamen Kugelsphären durch die Steppen voller riesiger Pflanzenfresser. Alles, natürlich, absolut sicher und ungefährlich, alles läuft nach Plan: Man hat eben, um bei John Hammonds Worten aus dem ersten Teil zu bleiben, keine Kosten gescheut.

Neue Helden

2424_FTT_00426AR_CROPDer Film ist eine astreine Fortsetzung der bisherigen Reihe, nicht etwa ein Reboot. Bedauerlicherweise gibt es jedoch keinen Gastauftritt oder auch nur ein Cameo von Laura Dern, Sam Neill oder Jeff Goldblum, den Helden des ersten Teils. Überhaupt ist lediglich B.D. Wong in der Rolle des Dr. Henry Wu ein aus Jurassic Park bekanntes Gesicht, zumindest unter den menschlichen Stars (eine weitere „Heldin“ des ersten Teils absolviert noch ihr großes Comeback). Die Abwesenheit bekannter Gesichter ist bedauerlich, aber grundsätzlich zu verschmerzen. Der Start in die neue Ära des Franchise wird dagegen von neuen Helden getragen. Wieder einmal haben wir die Dynamik von zwei Kindern, Gray (Ty Simpkins) und sein älterer Bruder Zach (Nick Robinson) die von ihren Eltern, die sich gerade inmitten einer Scheidung befinden, zu ihrer Tante Claire (Bryce Dallas Howard) nach Jurassic World verabschiedet werden. Claire arbeitet im Park in einer Art Management-Posten und nimmt die eine Hälfte des Hauptrollenduos ein. Ihren krassen Gegenpol findet sie in Owen Grady, ein Ex-Militär, der jetzt in Jurassic World als Wärter und Trainer der Velociraptoren arbeitet.

Mehr Zähne

2424_SB_00075NBRNachdem nun also der Park seine Tore geöffnet hat, finanziert durch den neuen Besitzer Simon Masrani (Irrfan Khan) und absolute Kontrolle über die bestehenden Tiere gewährleistet scheint, muss, in klassischer Manier, der Mensch erneut Gott spielen und so erschaffen die Wissenschaftler des Parks unter Dr. Wu den Indominus Rex, den ersten Hybrid-Dinosaurier. Größer als der T-Rex, hochintelligent, ausgestattet mit allerlei ominösen Extras, wie der Fähigkeit sich zu tarnen und der Fähigkeit, Wärmestrahlung wahrzunehmen, und, offenbar, völlig psychotisch. Klar, dass der Schuss, statt neue Gäste anzulocken, gehörig nach hinten losgeht. Der I-Rex überlistet, oh Wunder, die Wärter, entkommt und tötet sich fortan eine Schneise zum Park selbst, wo in Form von 20.000 Besuchern eine riesige Schlachtplatte auf ihn wartet. Claire und Owen müssen sich zusammenraufen und dabei zu immer unorthodoxeren Methoden greifen, um das hochintelligente und fast schon absurd grausame Tier zur Strecke zu bringen. Klar, dass dabei so mancher auf der Strecke bleibt. Und irgendwo im Park sind ja auch noch Claires Neffen, die ebenfalls gerettet werden müssen. Es ist also viel zu tun.

Schwächen im Drehbuch

2424_FTT_00346AR_CROPDer Film schafft es, die geradlinige und bisweilen vorhersehbare Story doch recht fesselnd rüberzubringen. Dabei liegt der Fokus des menschlichen Dramas klar auf Owen und Claire, sowie den beiden Jungs. Einige interessante Nebenfiguren bleiben dabei allerdings leider auf der Strecke: Hervorzuheben sind hierbei Omar Sy als Owens Freund und Kollege Barry vom Raptorengehege, der immer wieder spontan von der Bildfläche verschwindet, obwohl er in den Momenten, in denen er vorkommt, definitiv eine der sympathischsten Figuren ist. Selbiges gilt für Lowery, den IT-Fachmann vom Dienst, brillant verkörpert von Jake Johnson und Irrfan Khans Simon Masrani, von dem man, als John Hammonds Nachfolger, doch mehr Tiefgang und Screentime erhofft hatte. Ebenfalls blendend dargestellt aber wenig genutzt, ist der schmierige Sicherheitschef Vic Hoskins, verkörpert vom immer wieder großartigen Vincent D’Onofrio als völlig überzogener Bösewicht, der es sich in den Kopf gesetzt hat, Owens Raptoren für militärische Zwecke zu nutzen. Klingt nach einem fantastischen Plan, bei dem überhaupt nichts schief gehen kann.

Ich schreibe hier von den Nebenfiguren, vor allem weil die Story der beiden Hauptfiguren nicht sonderlich interessant ist. Die Romanze zwischen Owen und Claire wirkt gezwungen und Owens Arbeit mit den Raptoren ist um Längen interessanter als sein Kontakt zu anderen Menschen. Dies ist vor allem ein Fehler des Scripts, nicht der Darsteller. Chris Pratt ist erwartungsgemäß erneut ein fantastischer Hauptdarsteller, der vor Charisma nur so überquillt, Bryce Dallas Howard macht ebenfalls eine gute Figur, mit dem was das Drehbuch hergibt. Leider ist eine weitere Schwäche des Buches das etwas mangelhafte Frauenbild des Filmes. Claire ist natürlich eine humorlose, steife Karrierefrau, die sich an ihren sexy Raptoreflüsterer hält. Wären die Charaktere besser geschrieben, es gäbe keinen Grund sich zu beklagen. Demgegenüber ist die Chemie der beiden Jungen, Zach und Grey gut gelungen, allerdings auch Grundlage eines Scheidungs-Nebenstrangs der Handlung, der ebenso plötzlich aufgegriffen wie wieder fallen gelassen wird. Danach redet niemand mehr davon, vermutlich aus gutem Grund. Schließlich sind wir alle nicht hier um menschliches Drama zu sehen.

Ein Werk eines Fans

2424_AB0220_COMP_053785_1061RNein, wir sind hier, um geballte Dino-Action zu sehen. Und davon gibt es beileibe nicht zu wenig. Der I-Rex ist ein überraschend wirksamer Antagonist, er wirkt so viel besser als der Spinosaurus aus Jurassic Park III. Der I-Rex ist eine designte Schöpfung, der perfekte Killer, der seinen Platz in der Welt austestet. Und dabei alles tötet, was ihm in den Weg kommt. Auch die Raptoren bekommen durch ihr Spiel mit Owen Neues zu tun. Entgegen der Erwartungen sind sie aber nicht handzahme Haustiere, sondern immer noch wilde Tiere, brutal und brandgefährlich.

Was auffällt ist, dass Jurassic World klar ein Werk eines Fans des ersten Teils ist. Regisseur Colin Trevorrow verweist in seinem Film somit auch mehrfach auf das Original, ob es nun das Jurassic-Park-Shirt von Lowery, welches Claire für geschmacklos hält, ist oder der Besuch der Kinder in den Ruinen des alten Parks. Alles sieht aus wie damals, nur verfallen und zugewuchert. Auch das Design des Parks zeugt von der Liebe zum Original, der Vision eines Mannes, der sich als Kind in die Idee eines solchen Parks verliebt hat. Und dann ist da natürlich der Höhepunkt des Films: Es ist unmöglich, davon ausführlich zu reden, ohne den Film zu spoilern, doch so viel kann gesagt sein: Es fantastisch. Eine alte Bekannte macht ihr großes Comeback und am Ende kann man sagen, dass es sich nur dafür gelohnt hat, als Fan des Originals den Film zu sehen. Es ist schon fast so gut, dass dadurch alle Schwächen des Drehbuchs ausgehebelt werden könnten. Der finale Moment des Films ist dementsprechend der perfekte „All hail to the Queen“-Moment. Auch der Soundtrack des Films zeugt von Liebe zum Original. Komponist Michael Giacchino webt dabei in seine eigenen phänomenalen Stücke die Filmmusik von John Williams aus dem ersten Teil ein.

Abschließend kann gesagt werden, dass Jurassic World durchaus einen Besuch wert ist. Auch wenn er nicht ganz mit dem Original mithalten kann, ist es doch die mit Abstand beste Fortsetzung der Reihe, die in mir wieder diese kindliche Faszination eröffnete. Gepaart mit viel Liebe zum Original, sympathischen, wenn auch flachen Hauptfiguren und einem fantastischen Soundtrack, werden die gröbsten filmischen Schwächen erträglich gemacht. Doch gänzlich gerettet wird der Film durch das Finale. Viel Spaß damit!

Fotos: © Universal Pictures

12. Tübinger Mediendozentur mit Miriam Meckel

Von Anne-Mareike Täschner

Professorin Dr. Miriam Meckel arbeitete schon als Journalistin für die ARD, für VOX und RTL, war Moderatorin, Reporterin und Redakteurin und ist seit 2014 die Chefredakteurin der WirtschaftsWoche. In diesem Jahr ist sie die Gastrednerin der 12. Tübinger Mediendozentur an der Universität Tübingen. Sie spricht am 18. Juni über das Thema „Der berechenbare Mensch – was die digitale Evolution mit unserer Individualität und Freiheit macht.“

 

Der berechenbare Mensch

Hier der Beitrag von CampusTV Tübingen zur Mediendozentur mit Miriam Meckels:

 

Workshop zu Mediendozentur

„Überwacht und durchschaut – die Folgen der digitalen Evolution“ ist auch Thema eines Workshops, den die Tübinger Medienwissenschaftler begleitend zur Mediendozentur gemeinsam mit dem SWR im SWR Studio auf dem Österberg veranstalten. Ziel ist es, journalistisches Arbeiten unter realen Produktionsbedingungen zu vermitteln. Hierbei entstehen jedes Jahr wieder interessante Beiträge.

Foto: © Frank Schemmann für WirtschaftsWoche

Rettet den Journalismus! – Wozu?

von Jasmin M. Gerst

Am Dienstagabend, den 02.Juni 2015 hielt Dr. Claus Kleber als erster Honorarprofessor für das Institut für Medienwissenschaften seine Antrittsvorlesung unter dem Titel „Rettet den Journalismus! – Wozu?“.  Bis auf den letzten Platz war der Festsaal der Neuen Aula gefüllt – über 200 weitere Interessierte wurden von Ordnungsdienst und Polizei gebändigt.

Der Fortschritt der Zeit

Wenn Claus Kleber sich an seine Anfangszeit als Journalist zurückerinnert, fällt ihm vor allem auf, dass damals drei Werkzeuge genügten, um den Nachrichtenstrom zu kontrollieren: eine Stoppuhr, ein Tonband und ein Lineal. All diese Dinge kann heute ein Werkzeug ersetzen – das Smartphone. Aber was ist mit den Journalisten? Heutzutage gibt es keinen privilegierten Zugang mehr zum Nachrichtenstrom – jeder kann darauf zugreifen. Als Beispiel nennt er den Terroranschlag vom 07. Januar 2015 auf Charlie Hebdo. 26,7 Millionen Menschen in Deutschland schauten an diesem Abend Nachrichten – davon allerdings nur 1,9 Millionen aus der Altersgruppe der 14-39 Jährigen. Nur 10 % dieser Zielgruppe hat an diesem Abend Nachrichten im Fernsehen geschaut – der Rest hatte eine andere Quelle: Facebook, Twitter, E-Mails oder Youtube. Über die sozialen Netzwerke wurde die Nachricht des Terroranschlags verbreitet und geteilt. Wozu also den Fernseher einschalten und um Punkt 20 Uhr Nachrichten schauen, wenn man sich die Nachrichten immer und überall selber beschaffen kann?

“If the news is that important enough, it’ll find me”

Entweder man macht einfach so weiter wie bisher oder man startet den Versuch und stürzt sich rein ins Netz und passt sich diesem Trend an. Denn Social Media ist die Zukunft, so Claus Kleber. Soziale Medien verbreiten Nachrichten, sie generieren sie nicht selbst. Kleber weist auch darauf hin, dass wir so große Chancen haben wie noch nie, vor allem was Recherche und Quellen angeht. Erste Berichte über Ereignisse werden beispielsweise „vom Nachbarn“ über Twitter verbreitet und dadurch, natürlich über einige Wege, zur Weltnachricht. Außerdem müsse man sich immer wieder in Erinnerung rufen, dass der Preis für die ganzen Informationen unsere Daten sind. Durch verschiedene Suchanfragen werden z.B. Interessen oder politische Meinungen einzelner Personen gesammelt. Dieses Wissen über die Persönlichkeit wird verkauft, dadurch wird personalisierte Werbung, wie sie beispielsweise auf Facebook schon existiert, geniert und die Klickzahlen und damit verbunden auch der wirtschaftliche Erfolg der werbenden Unternehmen gesteigert.

Journalismus behält seinen Wert

Journalisten sind im Grunde nur „irgendwelche Profis“, die den Tag sortieren und dann mit der Welt teilen, so Kleber. Heutzutage würden die Nachrichten von Google und Co. auf die Interessen der Nutzer abgestimmt und gefiltert. Zwar sei das das Ende der herkömmlichen redaktionellen Arbeit, aber dennoch ist sich Kleber sicher:  der Journalismus wird seinen Wert behalten. Nur Nachrichtensendungen, die keine Antworten bieten oder ihr Versprechen nicht halten können, würden auf der Strecke bleiben. Denn das Ziel von Journalisten sei es, so viel Substanz wie möglich in kürzester Zeit an so viele Nutzer wie möglich zu übermitteln.

Kleber findet, dass seriöse Nachrichtensendungen in jeden Alltag gehörten wie die tägliche Wäsche. Allerdings müsse man sich auf einen neuen Trend einstellen und der heiße „Online first“. Denn nirgends bekommt man schneller Kritik oder eine Rückmeldung als im Internet. Kleber bedauert, dass im Hamsterrad der Informationen die Zeit für Wichtigkeit und Tiefe auf der Strecke bleibe. Dennoch sollte man offen sein für Kritik sowie transparent. Neue Werkzeuge nutzen, um Neues zu schaffen: so könnte der Leitsatz des Journalismus der Zukunft lauten. Denn Kleber macht deutlich, wir seien mitten in der Zeit der digitalen Pioniere und hätten noch lange nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Als große Gefahren sieht Kleber die Verflachung und Verdummung durch die Algorithmen, die künftig unsere Nachrichtenauswahl steuern werden. Deren entscheidende Waffe wird möglicherweise unser Smartphone sein.

Trotz all der Herausforderungen der kommenden Jahre wird es immer ein Bedürfnis an den Produkten journalistischer Arbeit geben, da ist sich Claus Kleber sicher. Und nach dieser vielversprechenden Antrittsvorlesung steigt sicher auch die Vorfreude der Studierenden auf die kommenden Semester und die Seminare unter der Leitung von Dr. Claus Kleber. Wir alle freuen uns, ihn bald als unseren Dozenten begrüßen zu dürfen!

 

 

Klappe, die Vierte – Die Tübinale 2015

von Maya Morlock

Montag luden die Studenten der Medienwissenschaft erneut zur Tübinale ein. Das ist ein interner Filmwettbewerb von und mit Medienwissenschaftsstudenten: Sie produzieren die Filme und organisieren das gesamte Event. Dieses Jahr stand die Tübinale unter dem Motto „Medienkonvergenz und Gaming“.

Film vs. Klausur

Als Prof. Dr. Klaus Sachs- Hombach im Oktober letzten Jahres ankündigte, dass man seine Klausur umgehen könne und stattdessen praktisch arbeiten, sprich einen Kurzfilm drehen könne, da konnte sich das Organisationsteam vor Anmeldungen kaum retten. 17 Filmteams hatten sich angemeldet, jede Menge Arbeit sollte vor ihnen liegen. Zwei Wochen vor der Abgabe sah man rauchende Köpfe im Schnittpool – jeder feilte am perfekten Film.

Am Montag war es dann endlich so weit: Im Landestheater begrüßten die Moderatoren Stefan und Eva gegen 19 Uhr ihr Publikum. Die Tübinale war restlos ausverkauft, sodass einige, die auf die Abendkasse gehofft hatten, Stehplätze in Kauf nehmen mussten.  Aus Zeitgründen wurden lediglich die zwölf besten Ergebnisse gezeigt. Einige glichen sich von der Thematik her, andere, vor allem der Siegerfilm, stachen heraus. Viele interpretierten das Thema Gaming so, dass sie entweder versuchten ein eigenes Spiel zu entwickeln oder bekannte Spiele nachzubilden. Der Protagonist des Filmes „Super Matteo Bros. oder Life is a Game“  vom Team „Handheld“ beispielsweise erinnerte stark an Super Mario. Er musste Aufgaben erfüllen, um das nächste Level zu erreichen – schaffte er es nicht, so musste es wiederholt werden. „Die Nachzügler“ entwickelten ein eigenes Campusspiel. Der Protagonist musste hier immer genug auf seinen Nährstoffhaushalt achten, und bei Bedarf etwas trinken oder essen, damit die Balken sich wieder füllten. Der Name des Filmes von „Dispute is Power“ lautete „life is a Game“ und hatte demnach eine ähnliche Thematik.

Klassiker neu „vertont“

Das Team „Frame“ bestehend aus Alina Veit, Francisca Geitner und Melanie Kümmerle, hatte ein ähnliches Thema. Sie stachen durch die Umsetzung und „die Liebe zum Detail“ heraus, zitierte Moderator Stefan die Jury. Sie kamen verdient auf den dritten Platz. In ihrem Film „Hard Life of a Gamer“ werden berühmt-berüchtigte Games möglichst genau veranschaulicht und ordentlich auf die Schippe genommen. Zu Beginn reitet eine Kriegerin mit einem Pferd durch die verschneite Winterlandschaft – die Assoziation zu Assassin´s Creed ist da nicht weit, auch wegen dem ausgesprochen guten Kostüm der Darstellerin. Auch das Kultspiel „Snake“ wird nicht verschont: in einem Viereck jagt ein Mensch einem Happen zu Essen nach, erreicht er ihn, so kommt ein weiterer Mensch hinzu und der Happen ist an einem neuen Ort. Auch „die Sims“ sind vertreten und werden erstaunlich gut von den Darstellern gemimt. Ein schallendes Lachen erfüllte den Saal, als Lara Croft aus Tomb Raider, auch hier wurde auf ein detailgetreues Outfit geachtet, ihr bekanntes Stöhnen bei einem Sprung von sich gibt. Ein Film, der einem bei der Fülle an Filmen im Gedächtnis blieb und verdient auf dem Treppchen landete.

Querbeet aus der Ideenkiste

Das Thema wurde selbstverständlich auch anderweitig interpretiert, beispielsweise in „Lebendig“ von den Tarantinas. In diesem Film werden verschiedene Realitäten gezeigt, die wiederum durch Befehle einer anderen Realität bedingt sind. Was nun das wahrhaftig Wahre ist und wer letztendlich wen steuert, bleibt rätselhaft. Das Team „Jump´n´run“ entwickelte in „Imagination“ eine neuartige Jogging-App, die den Laufenden durch die Drohung, immer näher kommende Zombies könnten ihn gleich erwischen, ermutigen soll, schneller zu rennen. Leider lässt sich diese App nicht einfach abschalten und die Hauptdarstellerin sieht um sich herum nur noch Zombies.

Wie an Fäden…

Der Zweitplatzierte „Digital Divide“ (Marisa Gold, Patrick Becker, Tobias Pfefferle) spielt mit dem Gedanken, was wohl wäre, wenn wir alle ferngesteuert wären – all unsere Bewegungen durch eine höhere Macht, einen Gamer beispielsweise, gesteuert werden würden. Diese Gedanken der Schauspielerin hört das Publikum mit, während sie im Restaurant Unkel kellnert. Bei jeder Bewegung erscheint ein animierter Pfeil, der die Handlung quasi ausübt, der sie befiehlt. Ein Gast vergisst seine Tasche, bei der Überlegung, was nun zu tun sei, erscheinen wie bei Knobelspielen verschiedene Auswahlmöglichkeiten, aus denen der Spieler eine wählt. Dies geschieht bei jeder Tat, sei es, ob sie die Tasche durchsuchen, der Besitzerin antworten oder das Geld aus dem Portemonnaie entwenden soll. Zuletzt wird eine zweite Realität gezeigt, die veranschaulicht, was passiert wäre, hätte man andere Taten ausgesucht. Dieser Film überzeugte durch eine perfekte Animation und Kameraführung. Ein derart guter studentischer Film verdient eindeutig Silber! Dem Publikum gefiel der Film so gut, dass sie in der Pause fleißig abstimmten und ihm so auch noch den Publikumspreis und eine Magnumflasche Wein verschafften.

Faul, dumm und sexy

…so beschreiben sich „Murat sein Benz“ (Yasemin Said, Julien Bucaille, Valérie Eiseler) in ihrem Fragebogen. Der Teamname allein erweckt bereits eine gewisse Neugier, ebenso wie die kleinen Sequenzen, die man im Schnittpool so mitbekam – spähte man mal hin und wieder zum Nachbar-PC hinüber. „Der Anarchist“ sollte etwas vollkommen Anderes sein und komplett erstaunen. Ein derart hohes Niveau und Können in der Filmproduktion hatte wohl kaum jemand erwartet. Während die übrigen Filme sehr gut waren – war dieser herausragend! Zunächst Verwirrung: „Das ist ja schwarz-weiß!“ und dann eine tiefe, raunende Männerstimme aus dem Off. Es ist der Herr, der einen packenden Trailer zum neuen Computerspiel in Auftrag gegeben hat. Der Einsatz von Licht und das Spiel mit Schatten erwecken den Eindruck eines alten Mafioso-Films. Das Ergebnis ist teilweise etwas farbig und gefällt dem Chef leider gar nicht – zu harmlos, nicht brutal genug, denn das Publikum möchte ja Blut sehen. Verzweifelt weiß sich der Produzent des Werbespots nicht mehr zu helfen und beschließt wahre, brutale Gewalt für seinen zweiten Anlauf zu verwenden…
Neben den packenden Bildern ist auch die Sprache wirklich ein Genuss für jeden Zuhörer: Jedes Wort ist genauestens durchdacht, die Sätze wirken nahezu melodisch, teilweise erinnert es an ein Gedicht – vorgetragen von der markant rauchigen Stimme, die in den Köpfen des Publikums widerhallt und auch der Jury imponierte.
Aus meiner Sicht ein eindeutiger Sieger, da er sich vom Stil und der Produktion klar von allen Anderen abhebt – eindeutig und uneingeschränkt Gold!

Zu hoffen ist, dass die Tübinale auch im Jahre 2016 stattfindet und ein solch bunter, kurzweiliger und erstaunender Abend dabei herauskommt.

Foto: Tübinale 2015

Einfach draufhalten

von Sanja Döttling

Paul Ripke hat mit 19 seine eigene GmbH gegründet, „um anzugeben“, sich mit 20 in den Staaten kurzerhand eine Fotografen-Akkreditierung besorgt, um auf Hip-Hop-Konzerte gehen zu können, und mit 27 Jahren seinen Presseausweis abgeben müssen. Er kommt aber ohne den sehr gut klar.

Ripke ist Fotograf und Filmer mit einem Portfolio, das genauso vielseitig ist wie die Person hinter der Kamera. Ripke fotografiert für den Aldi-Katalog, in dem er auch schon einmal selbst in der Plus-Size-Abteilung gemodelt hat. „Das war eigentlich als Gag gedacht, aber ich habe tatsächlich gut in das Hemd gepasst“, sagt er. Während er Aufträge dieser Art als sein Brotgeschäft bezeichnet, widmet er sich außerdem den Dingen, die ihm wirklich am Herzen liegen.

 

Mit Marteria um die Welt

Das ist zum einen die Musik. Paul Ripke liebt den Hip-Hop, und hat zu ihm eine ganz persönliche Verbindung durch den Rapper Marteria, seinen besten Freund. Er war es auch, mit dem Ripke erst durch Spanien reiste, dann für das Album „Zum Glück die Zukunft II“ um die ganze Welt. „Ein Lebenstraum“, sagt Ripke. Fast vier Wochen sind die beiden unterwegs gewesen, in Chile, Mexiko, Thailand und dem Himalaja. „Das war natürlich alles sehr durchgetaktet“, gibt Ripke zu, doch seine eigene Professionalität erwähnt der Fotograf, der von jedem einzelnen Foto genau weiß, wo er es gemacht hat, wie immer, nur am Rande. Er schwenkt auch gleich wieder um: „Das war megageil, keine Ahnung, warum wir das machen durften!“

Tatsächlich wirkt die Reise in seiner Erzählung wie ein Ausflug unter Kumpels, nicht etwa ein teures Shooting für ein Album. Herausgekommen sind trotzdem tolle Bilder, und ein Video zu dem Song „Welt der Wunder“. Das Hemd das Marteria trägt, ist übrigens „selbst gebügelt“, wie Ripke bestätigt. Die beiden hatten nämlich auf der ganzen Reise nur eines davon. Sparsam waren sie auch an anderen Ecken, denn die beiden sind nur zu zweit gereist. „Wir gehen in eine Bar, schwätzen dort Leute an“, sagt Ripke, wenn sie Hilfe brauchen für die Shootings.

„Es war das wichtigste Projekt meines Lebens“, sagt Ripke, und schwärmt von der Zusammenarbeit mit Marteria, dessen Namen er auf seinem Rücken tätowiert hat. „Ich erzähle immer, dass das ein cooles Elektrofestival in Spanien ist“, sagt er, wenn ihn Leute auf das Tattoo ansprechen. „und er, er hat da Paul Ripke stehen.“

 

Vom Erfolg

Irgendwie, so scheint es, hat Ripke immer die besten Karten auf der Hand. Moderator Max muss Shots kippen, weil Ripke ihn immer wieder zum Ching-Chang-Chong-Duell auffordert, welches Max ständig verliert.

„Du machst ständig Stein zuerst“, sagt Max irgendwann, „und dann nochmal Stein!“ Eine Taktik, die genauso verblüffend einfach wie effektiv ist. „Genau“, antwortet Paul Ripke offen, „und genauso mache ich es jetzt auch!“ Ripkes Waffe: extreme Offenheit und Ehrlichkeit. Manchmal schlägt die sicher über das Ziel hinaus, so wie jetzt, denn Ripkes Doppelbluff ist sofort durchschaut und Max gewinnt auch endlich. Ripke trinkt seine Verlierer-Shots mit Würde. Mit seiner umgedrehten Baseball-Cap und seiner lockeren Art wirkt er kaum wie ein selbständiger Fotograf, mehr wie ein amerikanischer Tunichtgut. Doch natürlich steckt mehr dahinter. Sein Rezept zum Erfolg? Klingt einfach: „Leuten einen Gefallen tun, nett sein, und dann auch performen“, sagt er locker.

Was er nicht sagt: dranbleiben, und eigene Ideen haben. Mit Beckmann machte er einen Deal, dessen Gäste vor der Sendung ablichten zu dürfen. Zwei Minuten, mehr nicht, hatte er für dieses Portrait. Für drei Jahre hat der jeden Montag Gäste fotografiert, „einfach so, ohne finanziellen Hintergrund“. Für ihn eine prima Art, Shoots zu „üben“, wie er sagt. Herausgekommen ist ein Portrait-Bildband.

 

Nah dran

Sein Markenzeichen sind Bilder, die ganz nah dran sind. Er war mit den Toten Hosen auf Tour, und auch hinter den Kulissen immer mit dabei. Ein Bild hält fest, wie Campino von seinem Physiotherapeuten eingerenkt wird, für andere Bilder ist Ripke mitten auf der Bühne gestanden, zwei Meter von der singenden Band entfernt. „Bilder mit Teleobjektiv und viel Distanz sehen oft ähnlich aus. Nahe Aufnahmen sind viel ungesehener“, erklärt Ripke, „man muss genau an die Grenze gehen.“ Seine Bilder geben ihm Recht.

„Normalerweise lassen die Musiker einen nicht so nah ran“, sagt Ripke, „aber sie wollten sie einer jüngeren Generation öffnen.“ Oder sie erlagen dem Charme des Fotografen. Oder aber seiner starken Arbeitsmoral. „Ich habe einfach alles festgehalten, aber nichts rausgebracht, was die nicht wollten“, sagt Ripke, „die Rechte der Bilder liegen nicht bei mir, sondern bei denen.“

Eine andere Leidenschaft des Fotografen: der Fußball. Selten ist das Emotionskino auf den Gesichtern seiner Fotomotive so groß wie im Stadion. „Ziemlich viele der Bilder sind unscharf“, sagt Ripke, „dann bleiben nicht mehr so viel, weil ichs nicht gut kann.“ Rike schießt Fotos quasi aus der Hüfte, die Kamera um den Hals hängend, damit andere nicht merken, wenn er abdrückt. Ein Bild zeigt Fußballfans in wildem Emotionstaumel. „Ich schrei auch einfach, dass die nicht merken, das ich fotografiere“, erklärt er seine Versteckte-Kamera-Technik.

 

Year of a lifetime

„Besser als 2014 wird es nicht mehr werden“, sagt Paul Ripke dann mit großer Entschlossenheit. Es war das Jahr, indem er erst die Nationalelf ins Trainingslager nach Rio begleiten durfte, dann heimgeschickt wurde, und zum Finale mit der Mannschaft auf dem Spielfeld feierte. „Ich spürte schon, dass in diesem Jahr etwas Gutes entstehen kann“, sagt der Fußballfan, und sollte Recht behalten. Die Bilder sind, wie alle anderen, in einem Fotobuch in seinem Online-Shop erhältlich, doch weiterverkauft hat er keines davon. „Alle haben angerufen uns wollten die Bilder vom Finale. Ich habe nicht einmal geantwortet“, sagt Ripke, „es ist mir egal, wie die rechtliche Lage ist, die Bilder gehören den Fußballern. Es war ja deren Leistung, dass sie mich aufs Spielfeld gelassen haben und nicht meine.“

Eine Leistung, das sind sie schon, seine Bilder. Aber Ripke lässt sich nicht aus der Ruhe bringen „Wenn du da stehen würdest“, sagt er zu Max, „dann wären auch jedes Foto gut.“ Doch es war Paul Ripke, der da stand, und vielleicht ist das das Geheimnis: er macht einfach das, wovon andere nur träumen.

 

 Fotos: Lisa Paul Media

Von Unterdrückung und Gedankenkontrolle – Das Genre Dystopie

Von Antje Günther

Ob Winston gegen Big Brother oder Katniss gegen Panem, die Grundidee der Dystopie erscheint simpel: der Einzelne gegen das Regime. Doch was genau die Dystopie eigentlich ausmacht und was sie von ihren Schwestern Utopie und Anti-Utopie unterscheidet, das wissen die wenigsten. Alle Publikationen, in denen ein Einzelner sich auflehnt und Überwachungs- und Unterdrückungsmechanismen dazu kommen, erhalten den Stempel Dystopie.

 

Kein Dystopia ohne Utopia

Doch damit es Dystopien geben kann, braucht es zunächst Utopien. Wie kaum zwei andere Genres sind diese beiden eng miteinander verbunden. Die Utopie stellt dabei eine „perfekte“ Gesellschaft dar, in der es keine Kriege oder Unstimmigkeiten gibt, in der jeder sich einbringen kann, in der Wohlstand herrscht. Die berühmtesten Utopien stammen von Platon (ca. 5. Jh. v. Chr.) und von Thomas Moore (1516) und entwerfen eine jeweils eigene Vorstellung des „idealen Staates“. Genau gegen diese Ideen stemmt sich die Dystopie. Sie erkennt die Gefahr in den utopischen Bestrebungen und führt sie ins Extrem. Um von einer Dystopie sprechen zu können, muss die dargestellte Gesellschaft zu einem gewissen Zeitpunkt utopische Ziele verfolgt haben. Sie zeigt, was passiert, wenn man die utopischen Ziele ohne Rücksicht verfolgt und dabei vom Weg abkommt; dass gut gemeint noch lange nicht gut gemacht bedeutet. Somit kann es kein Dystopia ohne Utopia geben.

Das Gegenteil von Utopia – oder doch nicht?

Deswegen wird die Dystopie auch häufig einfach als Gegenteil der Utopie betrachtet: hier der ideale Staat, dort das genaue Gegenteil, der Alptraum-Staat. Schnell ist dann auch der Begriff der Anti-Utopie zur Hand und wird mit Dystopie irgendwie gleichgesetzt. Aber auch hier wird zu einfach gedacht, denn mit der Anti-Utopie tritt gewissermaßen ein drittes Genre hinzu.  Zu diesem gehören Erzählungen, die sich gegen bestimmte Utopien oder auch die gesamte Idee der Utopie stellen. Sie lehnen die Grundidee des Utopischen ab. Die Dystopie hingegen teilt in gewisser Weise den utopischen Traum; sie zeigt lediglich die Risiken einer gedankenlosen Verfolgung der Ideale auf. Ihre Funktion ist die Warnung, damit es nicht soweit kommt. So arbeiten dystopische Erzählungen letztendlich auch auf eine bessere Welt hin. Die Dystopie ist somit ein hybrides Genre, im Spannungsfeld zwischen den Extremen der Utopie und Anti-Utopie; zwischen dem perfekten und dem hoffnungslosen, bis in die letzten Winkel verdorbenen Staat.

 

Das Grundprinzip der Dystopie

In diesem Spannungsfeld verteidigt die Dystopie ihren Platz. Sie greift meist utopische Ideen auf und zeichnet eine Gesellschaft, die übers Ziel hinausgeschossen ist. Dabei tauchen gewisse Motive immer wieder auf und bilden eine Art Kanon der Dystopie. Dazu gehört in allererster Linie der scheinbar allmächtige und omnipräsente Staatsapparat. Kameras, Wanzen und Spione sind Teil der „Standardausrüstung“ des dystopischen Regimes. Aber auch die Gesellschaft selbst sorgt in vielen Fällen für eine Form von Selbstüberwachung; es entsteht eine Kultur der Verdächtigung und Spionage, berühmt zu sehen an O’Briens Verrat in 1984. Jede Kleinigkeit des Lebens scheint vorgegeben: Beruf,  im Staatsapparat, Wohnung, staatlich vergeben, persönliche Kontakte, diktiert durch Schicht- oder Parteizugehörigkeit. Es geht um Kontrolle bis ins kleinste Detail, die Gedanken. So sieht ein Großteil der Gesellschaft die Missstände gar nicht, aufgrund von Konditionierung mit Propaganda oder weil sie, wie bei Huxley, bereits rein biologisch nicht dazu in der Lage sind. Die restlose Kontrolle des Einzelnen führt damit zur Kontrolle der Masse, das Individuum ist abgeschafft und wird Teil des Apparats; ein namenloses Rädchen im Getriebe.

Dasselbe gilt zu Beginn für den Helden der Dystopie: er oder sie ist kein automatischer Rebell, der von Kindesbeinen an gegen die Herrschaft des Staats ist, sondern meist ein mehr oder weniger bedeutender Teil des Ganzen. Winston sitzt im „Ministerium für Wahrheit“ und ist Teil der „Äußeren Partei“, Lenina Crowne arbeitet in der „Zentrale für Brut- und Normaufzucht“, Guy Montag verbrennt an vorderster Front die für den Staat so gefährlichen Bücher*. Meist ist es eine Begegnung mit einer unkontrollierten Person wie Clarisse oder John, den unangepassten Figuren aus Fahrenheit 451 und Brave New World, die einen Sinneswandel auslöst und dem Protagonisten die Augen öffnet. Von diesem Punkt an stellt er oder sie sich, mehr oder weniger offen, gegen den Staat und entzieht sich der Kontrolle. Das Vorgehen und der Ausgang dieser Bemühungen haben sich im Laufe der Zeit jedoch stark gewandelt, ebenso wie die Motive, die neben der Grundhandlung verhandelt werden. Einen Überblick über diese Entwicklungen des Genres geben die nächsten Artikel dieser Reihe.

 

*Hauptfiguren aus Aldous Huxleys „Brave New World“ (1932) und Ray Bradburys „Fahrenheit 451” (1953)

 

Fotos: Flickr.com/Jonathan McIntosh (CC BY-NC-SA 2.0), Flickr.com/Jonathan McIntosh (CC BY-NC-SA 2.0)