Katzenjammer auf höchstem Niveau

Von Maya Morlock

Am 29. Oktober 2015 kommt Xavier Giannolis neuer Film in die Kinos. In der Tragikomödie „Madame Marguerite oder die Kunst der schiefen Töne“, die Madame wird von Catherine Frot (Dinner für Spinner) gespielt, geht es vordergründig um eine Frau, die völlig schief und unrhythmisch singt, doch dies durch die durchweg positive Resonanz ihres Publikums nicht weiß. Doch der Film hat auch eine äußerst verletzliche und sentimentale Seite.

Bis die Ohren bluten

Lucien Hazel © 2015 Concorde Filmverleih GmbH

In den 1920er Jahren gibt Marguerite Dumont ein Benefizkonzert für die Kriegswaisen in ihrem kleinen Schloss nahe Paris. Einige begnadete Musiker und Sänger treten auf, zarte und wohlklingende Musikstücke der Klassik sind zu vernehmen. Als Höhepunkt betritt Marguerite die Bühne. Die allseits bekannten Anfangstöne der Arie der „Königin der Nacht“ aus Mozarts Zauberflöte erklingen. Dort besingt die Königin der Nacht die Verstoßung ihrer Tochter Pamina. „Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen. Tod und Verzweiflung“, singt Marguerite, doch leider nicht mit den gewöhnlichen Tönen. Völlig falsch intoniert und schwankend im Rhythmus quält sie sich durch das Stück. Bei dem gefürchteten Hochton und der Koloratur gefriert dem Zuschauer fast das Blut in den Adern, so unerträglich ist der Missklang. Gleichzeitig imponiert die Inbrunst, mit der die Gastgeberin ihr nicht vorhandenes Gesangstalent zur Schau stellt.

Das Publikum ist wenig überrascht, im privaten Klub kennt man die Madame und ihr Gejaule bereits. Nur der Journalist Lucien Beaumont (Sylvain Dieuaide) und die spontan eingesprungene Sängerin Hazel (Frankreichs Shootingstar Christa Théret) sind neu. Trotz des unausstehlichen Gekrächzes applaudieren die Zuhörer und überschütten die Gastgeberin mit Lob – die Neuen sind verwundert. Als der Journalist Lucien am Folgetag eine begeisterte Kritik veröffentlicht, fasst Marguerite den Entschluss endlich auf einer großen Bühne in der Öffentlichkeit aufzutreten. Ihr Mann, der sich für sie schämt, versucht dies auf Teufel komm raus zu verhindern.

Der Ursprung der schiefen Töne

Die Geschichte basiert auf der reichen Erbin Florence Foster Jenkins, die in den 40er Jahren in den USA verstarb. Auf YouTube, kann man ihre unverwechselbare und wahrhaftige Interpretation der Königin der Nacht anhören. Auch sie war überzeugt von ihrer Gesangsqualität, obwohl sie keinen Ton traf. Trotzdem ist dieser Film keinesfalls eine Biografie (diese wird momentan in den USA gedreht), sondern entwickelt nach der Basis einen eigenen Handlungsstrang. Denn neben der Belustigung findet der Zuschauer einen Draht zur Innenwelt der Marguerite und begreift, dass sie eigentlich völlig einsam ist. Während den Geschäftsreisen ihres Mannes ist ihr nur die Musik geblieben und ausschließlich durch sie kann sie sich ausdrücken und etwas Aufmerksamkeit vonseiten ihres Mannes erhaschen. Denn im Grunde möchte sie nur, dass er stolz auf sie sein kann.

Die perfekte Besetzung

Gesangslehrer © 2015 Concorde Filmverleih GmbHCatherine Frot brilliert in ihrer Rolle als Marguerite: Sie ist überschwänglich und heiter, behält sich jedoch auch in diesen Szenen einen Kern Traurigkeit. Ihre Mimik spricht Bände, sodass sie vergleichsweise wenig sagen muss, um sich darzustellen. Ein weiterer Augenschmaus ist der exzentrische Gesangslehrer Atos Pezzini (Michel Fau), der Marguerite auf ihr großes Konzert vorbereiten soll. Er lebt für die Musik, erstarrt zur Salzsäule, als er den schaurigen Gesang der Madame zum ersten Mal hört und versucht trotz aller schlechten Omen sie bestmöglich für ihr Vorhaben zu wappnen.

Zu empfehlen

Auch wenn der Film einige Längen aufweist, ist er für jeden Musikliebhaber sehenswert. Der Facettenreichtum ist erfreulich, eine schlichte Komödie, bei der die Madame zur Witzfigur degradiert wird, wäre zu flach und bliebe unter dem möglichen Potenzial. Man lacht Tränen, hält sich die Ohren zu und leidet mit der Hauptfigur mit, die im Grunde nur um ihrer selbst willen geliebt werden möchte. Man fiebert gespannt dem großen Auftritt entgegen und hofft sie möge nun endlich die Töne treffen.

Ob Marguerite Dumonts Ehrgeiz und Wille sich am Ende gelohnt haben, könnt ihr ab dem 29. Oktober auf der Leinwand verfolgen. Von mir gibt es auf jeden Fall drei Daumen nach oben!

Fotos: © 2015 Concorde Filmverleih GmbH

Abschlussartikel zu „Vergessene Filme – verborgene Schätze“

von Andrea Kroner

Viele Klischees wird man wohl nie ausräumen können – egal, ob sie sich auf Filme oder andere Bereiche beziehen. Doch man sollte stets im Hinterkopf behalten, dass es neben diesen „typischen“ Filmen für ein bestimmtes Land oder Genre auch andere außergewöhnliche Projekte gibt, die davon abweichen und sich dadurch auszeichnen. Genau das sollte diese Artikelreihe für acht unterschiedliche Filme zeigen.

Mit „Faust“ gelingt es Alexander Sokurov, das bekannte Werk Goethes auf eine völlig neue Art zu interpretieren: Er zeigt die große Macht der Worte auf eine schlichte Weise, ohne auf viele Spezialeffekte zurückzugreifen.

Ebenso schlicht gestaltet Terence Malick sein oberflächliches Beziehungsdrama. Die Schauspieler von „To The Wonder“ haben durch Improvisation viele Freiheiten bekommen, was sich nicht nur positiv ausgewirkt hat. Die frühen Meisterwerke des Regisseurs ließen mehr erwarten. Dennoch gelingt es ihm, eine ganz andere Sicht auf das amerikanische Kino zu schaffen, als es Hollywood zeigt.

„Erleuchtung garantiert“ beeindruckt hingegen durch die Verschmelzung von Dokumentar- und Spielfilm. Die Handlung stammt aus der Feder von Doris Dörrie. Doch während der Dreharbeiten in einem buddhistischen Kloster mussten sich die Schauspieler an den dortigen Alltag anpassen, um die Mönche nicht zu stören und den Film authentischer werden zu lassen.

Aber nicht alle Filme folgen der Chronologie. Bei „5×2“ steigert sich das ins Extreme. Denn François Ozon hat den zeitlichen Ablauf der Filmhandlung komplett umgekehrt, was absolut gut gelungen ist: Es geht nicht mehr darum was passiert, sondern warum es dazu gekommen ist.

Ganz anders dagegen „Moolaadé“, der sich mit afrikanischer Tradition beschäftigt. Er macht auf die Folgen des weit verbreiteten Rituals der Beschneidung aufmerksam. Das ist Ousmane Sembènes auch ohne grausame Darstellungen gelungen.

Bei „The Garden of Words“ vergisst man an vielen Stellen fast, dass es sich bei dem detailgetreuen, plastischen Film um einen Animé handelt. Noch dazu glänzt der Film durch eine tiefgehende, gefühlvolle Handlung. Daran zeigt sich, dass gute Filme nicht immer Spielfilme sein müssen.

Befasst man sich stattdessen mit geschichtlichen Themen, spielt die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit eine wichtige Rolle. Dabei werden die vielen geflohenen Verbrecher jedoch oft vergessen. Lucìa Puenzo gelingt es mit „Wakolda“, wahre Begebenheiten über den ehemaligen KZ-Arzt Josef Mengele mit eigenen Ideen zu verbinden und so seinen Aufenthalt in Argentinien zu skizzieren.

Möchte man statt Geschichte einen Einblick in das wahre Gesicht Indiens bekommen, bietet „Salaam Bombay“ eine ideale Möglichkeit, in die Slums zu sehen. Dieser Film zeigt ehrliche Charaktere, mit denen man mitfühlen kann und schafft es, den grausamen Alltag realistisch darzustellen.

Nach acht beeindruckenden Filmen zeigt sich, dass auch sie Elemente enthalten, die Klischees entsprechen. Dennoch verbindet all diese Filme etwas außergewöhnliches. Ihre Liste könnte man noch weiterführen, doch hier soll nur ein kleiner Anreiz geschaffen werden, sich weg vom Mainstream in die weite Welt der unbekannteren Filme zu wagen.

Foto: flickr.com/die.tine (CC BY-ND 2.0)

 

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Salaam Bombay – die Geschichte eines Straßenkindes

von Andrea Kroner

Eigentlich ist das Leben der ärmsten Schicht auf den Straßen von Bombay trost- und perspektivlos, denn es gibt kaum Hoffnung auf ein besseres Leben. Doch eine Gruppe von Straßenkindern kämpft dennoch jeden Tag aufs neue um ihren Platz in der Gesellschaft, denn eines haben sie gelernt: Man darf nie aufgeben.

Krishnas Weg

Der 10-jährige Krishna wird von seiner Mutter aus seinem Dorf vertrieben, weil er das Motorrad seines Bruders angezündet hat. Dass dieser ihn vorher verprügelt hat, spielt dabei keine Rolle. Krishna darf erst zurückkommen, wenn er 500 Rupien verdient hat, um den entstandenen Schaden zu begleichen. Das ist für den Jungen eine Menge Geld – geplant ist ein halbes Jahr Arbeit in einem Zirkus. Doch er ist wesentlich länger unterwegs, als geplant: Denn der Zirkus lässt ihn eines Tages allein zurück, weshalb er auf eigene Faust nach Bombay, der nächstgelegenen Stadt, aufbricht.

In der Großstadt lebt er mit anderen Kindern auf der Straße und arbeitet als Teejunge, der dieses Getränk an verschiedene Kunden ausliefert. Sein Leben dort ist nicht leicht: Er muss jeden Tag sein Überleben sichern und sich nebenbei um seine Freunde kümmern: Er versucht, seinem drogenabhängigen Freund Chillum im Kampf gegen die Drogensucht zu helfen. Auch der vernachlässigten Manju, deren Eltern im Prostitutions- und Drogengewerbe tätig sind, gibt er Halt und Sicherheit, die sie in ihrer Familie nicht bekommt. Noch dazu verliebt sich der Junge in ein 15-jähriges Mädchen, das zur Prostitution gezwungen wird. Ob er seinen Freunden helfen und je wieder nach Hause zurückkehren kann, wird sich zeigen.

Eine traurige Wahrheit

Der Film wirkt insgesamt stark dokumentarisch, obwohl die Handlung erfunden ist. Das liegt zum einen daran, dass die Szenen direkt an Originalschauplätzen in Bombay gedreht wurden und alle Kinder von der Straße dieser Stadt stammen. Daher handelt es sich bei ihnen um Laienschauspieler, die davor noch nie vor der Kamera gestanden sind. Doch dafür kennen sie die Wirklichkeit und können ihre Rollen besonders authentisch spielen.

Trotz der Realitätsnähe hat die Regisseurin Mira Nair auch darauf geachtet, dass die Handlung nicht zu dramatisch gestaltet wurde. Nair ist selbst Inderin, wodurch sie die Situation und den dortigen Alltag wesentlich besser nachvollziehen kann, als ein Außenstehender. Um sich auf diesen Film vorzubereiten, hat sie vor diesem Film vier Reportagen über Indien gedreht, was sich deutlich in der Qualität von „Salaam Bombay“ widerspiegelt.

Darüber hinaus trägt auch die Kameraführung zu diesem Eindruck bei: Sie liefert starke, prägende Bilder, die den Zuschauer direkt in die Handlung hineinversetzen und das Geschehen nachvollziehbarer gestalten. Diese Leistung wurde sogar mit einer „Caméra d’Or“ in Cannes gewürdigt.

Indien bekommt eine eigene Identität

Vordem 1988 erschienenen „Salaam Bombay“ handelten die meisten indischen Filme von einer großen, gesichtslosen Masse – doch in diesem Film bekommt sie mit Krishna ein eigenes, ausdrucksstarkes Gesicht mit einer individuellen Geschichte. Dadurch beginnt man viel eher, mit dem naiven, schnell lernenden Jungen mitzufühlen und gewinnt auch seine Freunde lieb, die alle trotz ihrer Fehler einen sympathischen Charakter besitzen.

Man wird mitgerissen in eine Welt von Obdachlosen, Prostituierten und Drogenhändlern, aus der es für die Kinder kein Entrinnen gibt. Denn sie befinden sich in einem schrecklichen Teufelskreis: Eigentlich bräuchten sie in ihrem Leben Halt und Stabilität, sie müssen aber in Armut und ohne Eltern leben. Dadurch sehen sie in vielen Fällen keine anderen Ausweg, als verzweifelt oder kriminell zu werden.

Es gibt noch Hoffnung

Der Film weist keinen Ausweg aus der Armut. Gerade deshalb zeichnet „Salaam Bombay“ ein so realistisches Bild von Indien. Dennoch bleiben auch positive Erinnerungen, da die Kinder die Hoffnung auf ein besseres Leben nie aufgeben und tapfer weitermachen auf ihrer ganz persönlichen Suche nach dem kleinen Glück.

Foto: flickr.com/Patrik M. Loeff (CC BY-NC-ND 2.0)

Weitere Artikel aus dieser Reihe:

Teil Eins: Vergessene Filme – verborgene Schätze

Teil Zwei: Der Meister der Stille

Teil Drei: „Faust“ – die Geschichte lebt wieder auf

Teil Vier: „Erleuchtung garantiert“ – wirklich?

Teil Fünf: „5×2“ – Wieso ging es schief?

Teil Sechs: „Moolaadé“ – Bann der Hoffnung

Teil Sieben: The Garden of Words

Teil Acht: Wakolda – ein Arzt auf der Flucht

Müller is bäck!

Von Maya Morlock

Nach dem riesigen Erfolg von FACK JU GÖHTE 2013, der über 7,3 Millionen Zuschauer in die Kinos lockte, hat das Warten der Fans auf einen zweiten Teil der Komödie nun endlich ein Ende. Seit heute, dem 10. September 2015, sind Ex-Häftling und Neulehrer Zeki Müller (Elias M`Barek), Lisi Schnabelstedt (Karoline Herfurth) und die völlig außer Kontrolle geratene 10b, samt der „Musterschüler“ Chantal (Jella Haase), Zeynep (Gizem Emre), Danger (Max von der Groeben) und Burak (Aram Arami) wieder in ein turbulentes Abenteuer verwickelt.

Knacki-Lehrer – Zeki vier Monate später in seinem neuen Alltag

3 © 2015 Constantin Film Verleih GmbH  Christoph AssmannDer Wecker klingelt, schnell ist er ausgeschaltet. Nur Bruchteile später klingelt ein weiterer und auch dieser wird unsanft von Zeki Müller zum Schweigen gebracht. Dem Neulehrer fällt das frühe Aufstehen sichtlich schwer und er versucht den Rückweg ins Traumland zu finden. Doch dabei hat er nicht mit seiner neuen überengagierten Superpädagogenfreundin Lisi gerechnet, die dem pelzigen Hund einen dritten Wecker im Maul platziert hat. Nach einem Kontrollanruf ist Zeki dann auch endlich wach und bereit für seinen neuen, alten Job als Lehrer.

Wie im Vorgängerfilm ist Herr Müller nicht die Art von Lehrer, die man sich für sein Kind vorstellt. Er ist mürrisch, egozentrisch, authentisch, ehrlich, aber schweigsam, wenn es um seinen eigenen Vorteil geht und spart nicht gerade an verbalen Beleidigungen. Sätze wie: „Verpiss dich doch“ oder „halt´s Maul“ sind Teil seines alltäglichen Wortschatzes.

Diamanten vs. mürrische 10b

2 © 2015 Constantin Film Verleih GmbH  Christoph AssmannIm zweiten Teil des erfolgreichen deutschen Films 2013 wird eine Idee umgesetzt und ausgebaut, die eigentlich bereits für den ersten Teil gedacht war. Eine Klassenfahrt nahm damals aber laut Regisseur Bora Dagtekin zu viel Raum in Anspruch. Im zweiten Film kommt Zeki Müller jedoch unfreiwillig zu dem Vergnügen der Reise. Kurz zuvor findet er einen Teil der vergrabenen Beute wieder: Kleine glänzende Diamanten, die ein Vermögen wert sind. Unglücklicherweise landen diese im Spendencontainer für die Partnerschule in Thailand. Sein Ziel lautet: Die Diamanten finden, koste es was es wolle und dann nichts wie weg – nie wieder Lehrer sein!

Abseits des Klischees: Keine Liebeskomödie

Produzentin Lena Schömann und Bora Dagtekin (Buch und Regie) setzen erneut auf das Genre der „Schulkomödie“. Es soll nicht um die Liebesbeziehung zwischen Zeki und Lisi gehen. Man fragt sich nicht, ob die Gegensätze zusammenbleiben oder fiebert nach einer Dummheit Zekis einem Beziehung-Happy-End entgegen. Vielmehr wird die Beziehung zwischen Herrn Müller und seinen Schülern thematisiert, sowie die Wandlung Zekis, die er während dieser Klassenfahrt durchläuft. Man fragt sich: „Bleibt Zeki Lehrer und hält das Versprechen seine 10b durch das Abitur zu bringen? Oder wird er einknicken, den einfachen Weg gehen und die Diamanten der Schule vorziehen?“

„Ey isch schwöre du bist so Arzt!“ (Zeynep)

© 2015 Constantin Film Verleih GmbH  Christoph AssmannWem bereits Teil eins gefallen hat, dem wird auch der Nachfolger zusagen. Situationskomik und flache Witze sind wieder vorhanden und auch die Schüler der 10b sind noch genauso hohl, wie zuvor. Auch die deutsche Grammatik haben die Zehntklässler noch nicht wirklich verinnerlicht. So schafft es Chantal am letzten Tag ihres Praktikums ein zur Schau gestelltes Auto zu Schrott zu fahren, versucht sich zweifelhaft als YouTube-Bloggerin und wundert sich, dass sie ein vermeintlicher Wolf, in Wahrheit ein Affe, von einem Baum aus anstarrt. Fans von Chantal wird es freuen, zu erfahren, dass sie in FACK JU GÖHTE 2 den Part einer weiblichen Hauptrolle übernimmt und des Öfteren auch aus dem Off erzählt. Ansonsten hat der Film, neben der Komik, viel zu bieten: Die malerische Schönheit der Küstenprovinz in Thailand Krabi wird gezeigt und mit Stunts und Actioneinlagen wird nicht gespart. Es gibt rasante Passagen mit Jetskis, eine Explosion im Chemielabor und feindliche Einwohner, die Zeki und seine Klasse attackieren. Es ist sicherlich ein Film ohne großen Anspruch, doch stellenweise mit viel Herz und Liebe zum Detail. Auch wenn die Witze meist eher plump und offensichtlich daher kommen, sind diese 112 Minuten perfekt, um nach einem langen Arbeitstag dem Alltagsstress zu entkommen.

Fotos: © 2015 Constantin Film Verleih GmbH/ Christoph Assmann

Wakolda – ein Arzt auf der Flucht

von Andrea Kroner

Der deutsche Arzt Helmut Gregor wirkt nett, unauffällig und höflich, als ihn eine junge Familie auf dem Weg in ihre neue Heimat mitnimmt. Doch er verbirgt ein dunkles Geheimnis, das erst nach und nach zum Vorschein kommt.

Ein getarnter Verbrecher

Eine junge, deutschstämmige Familie reist nach Bariloche, Argentinien. Sie will in dieser Gemeinde für verfolgte Deutsche ein neues Leben beginnen: Eva (Natalia Oreiro) plant, eine Pension wiederzueröffnen und ihr Mann Enzo (Diego Peretti) will Porzellanpuppen aus Eigenproduktion verkaufen. Noch ist seine Leidenschaft dafür eher ein Hobby, doch er hofft, damit später Geld verdienen zu können.

Als sie sich mit dem Auto auf den Weg dorthin begeben, lernen sie in einem kleinen Rasthof den charmanten, charismatischen deutschen Arzt Helmut Gregor (Alex Brendemühl) kennen. Er ist sehr interessiert an deren Pension und sucht selbst einen neuen Wirkungskreis. Deshalb nehmen sie ihn als ersten Pensionsgast auf.

Dieser zeigt reges Interesse an ihrer Tochter Lilith (Florencia Bado), die an einer Wachstumsstörung leidet. Deshalb kann das 12-jährige Mädchen nicht mit ihren Mitschülern mithalten und wird von ihnen gehänselt. Gregor möchte sie mithilfe einer Hormonbehandlung unterstützen, doch ihr Vater ist dagegen. Deshalb bekommt sie die Spritzen mit Evas Einverständnis hinter seinem Rücken. Auch Eva, die mit Zwillingen schwanger ist, bietet er seine Hilfe an – ebenfalls heimlich.

Zwischendurch werden immer wieder Zeichnungen aus seinem Notizheft eingeblendet, die Schlimmes vermuten lassen. Und mit der Zeit wird die Vermutung zur Gewissheit, denn eine als Fotografin getarnte, israelische Spionin lässt den Arzt auffliegen: Denn er ist in Wirklichkeit der ehemalige Chefarzt des Konzentrationslagers Auschwitz, Josef Mengele, der unter falschem Namen nach Südamerika geflohen ist, um dort unterzutauchen und seine grauenvollen Menschenexperimente fortzusetzen. Doch jetzt muss Mengele erneut fliehen. Ein spannender Wettlauf mit der Zeit beginnt.

Zwischen Wagheit und Wahrheit

Es ist tatsächlich belegt, dass Mengele seine Forschungen im Ort Bariloche weiterführte. Sein besonderes Interesse galt dabei Kleinwüchsigen und Zwillingen. Das kommt daher, dass er den „arischen Menschen“ perfektionieren und durch vermehrte Zwillingsgeburten den Fortbestand des deutschen Volkes sichern wollte. Dafür war ihm jedes Mittel recht. In Auschwitz hatte er die Erlaubnis, seine grausamen Forschungen uneingeschränkt durchzuführen – zum Leidwesen zahlreicher jüdischstämmiger Opfer. Auch nach dem Sturz des nationalsozialistischen Regimes konnte er nicht von seinem perfiden „Traum“ ablassen und forschte in Argentinien an der unschuldigen Bevölkerung weiter. Doch Einzelheiten über seinen dortigen, sechsmonatigen Aufenthalt, wie sie im Film gezeigt werden, sind lediglich Spekulationen.

Die Details machen es aus

Die blauäugige Familie, bei der Mengele wohnt, merkt bis zum Schluss nicht, wie die wahre Identität ihres Gastes aussieht. Das liegt vor allem daran, dass Mengele alle geschickt manipuliert und gegeneinander ausspielt. Dabei ist seine vordergründig nette und harmlose Art von entscheidender Bedeutung, denn dadurch verdrängen Eva und Enzo die offensichtlichen Anzeichen, die sich mit der Zeit äußern. Der Zuschauer hingegen weiß mehr über Mengeles Hintergrund, als die handelnden Personen, denn viele detaillierte und kommentierte Zeichnungen Mengeles geben Hinweise auf seine dunklen Machenschaften.

Ein Spiegel seiner Vergangenheit

Obwohl die Puppenherstellung von Enzo im Film eher eine Nebenhandlung darstellt, spielt sie in der Interpretation eine entscheidende Rolle: Sie spiegelt Mengeles komplette Lebenseinstellung wider. Indem er Enzo hilft, seine Puppen maschinell und in großen Mengen zu produzieren, kann er symbolisch seinen „Traum“ von der Massenproduktion des perfekten, makellosen Menschen verwirklichen.

Doch solche Anspielungen kratzen nur an der Oberfläche, denn die wahren Abgründe von Mengeles Charakter werden nur angedeutet oder bleiben ganz im Dunkeln.

Viel erreicht?

Der Film erzeugt durchgehend eine enorme Spannung, da der Zuschauer die ganze Zeit auf den Moment der Entlarvung Mengeles wartet. Auch wird man von der gelungen erzeugten Atmosphäre förmlich mitgerissen: Es werden deutlich die Probleme gezeigt, die die Bevölkerung damit hat, mit den nationalsozialistischen Verbrechern umzugehen – denn Mengele war bei Weitem kein Einzelfall. Viele Nazis flüchteten nach dem zweiten Weltkrieg nach Südamerika.

Auch die Perspektive ist etwas ganz besonderes, denn der Film wird aus der Sicht von Lilith, einem unschuldigen, kleinen Mädchen erzählt – mit einer außergewöhnlichen Leistung der 12-jährigen Schauspielerin Florencia Bado. Dennoch wirkt der Film insgesamt zu überladen: Er erzählt zum einen von Liliths Problemen, aber zugleich auch von Mengeles Flucht und seinen Experimenten. Darüber hinaus baut Enzo seine Puppenfabrik auf. Gerade weil alle drei Bereiche schwierige und wichtige Themen darstellen, kann das den Zuschauer schnell überfordern. Dennoch ist der Film in sich stimmig und zeigt die Spätfolgen des Nationalsozialismus aus einem ganz neuen Blickwinkel.

Foto: flickr.com/RV1864 (CC BY-NC-ND 2.0)

 

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Teil Sechs: „Moolaadé“ – Bann der Hoffnung

Teil Sieben: The Garden of Words

True Story – Spiel um Macht

von Jasmin M. Gerst

Sicherlich, jeder Journalist war schon mal in einer Situation wie Michael Finkel: Die Story, an der er gerade arbeitet, ist doch nicht so dramatisch wie gedacht, die Deadline rückt näher und er spielt mit dem Gedanken sie ein wenig zu frisieren. All das, um eine Titelstory zu bekommen. Eine wahre Geschichte, denn das Drehbuch zu dem Drama „True Story – Spiel um Macht“ basiert auf Finkels Memoiren „True Story: Murder, Memoir, Mea Culpa“, die von dem Tiefpunkt seiner Karriere im Jahr 2001 erzählen.

Ein gescheiterter Journalist auf Storysuche

Der Journalist Michael Finkel (Jonah Hill, „22 Jump Street“) ist sehr erfolgreich. Seine Storys haben nicht nur die eigene Bürowand, sondern auch schon viele Magazincover geschmückt. Doch dann begeht Finkel einen fatalen journalistischen Fehler: für seinen neusten Artikel erfindet er Teile einer Reportage. Daraufhin wird er entlassen. Michael Finkel ist nun an seinem Karrieretiefpunkt angekommen und zieht zu seiner Freundin Jill (Felicity Jones „Die Entdeckung der Unendlichkeit“). Er versucht tagelang verzweifelt wieder in der Journalisten-Welt Fuß zu fassen – zu Anfang jedoch vergeblich.

Ortswechsel: Gleichzeitig wird Christian Longo (James Franco, „The Interview“) für die Ermordung seiner Familie von der Polizei gesucht. Auf seiner Flucht hatte dieser Finkels Identität angekommen, weil er ein begeisterter Leser ist und ihn beneidet. Schließlich wird Christian Longo in Mexiko gestellt und den amerikanischen Behörden übergeben.

108_DF-04176_R_A4Währenddessen beginnt Michael Finkel die Hoffnung aufzugeben je wieder im journalistischen Milieu Fuß fassen zu können. Bis das Telefon klingelt und die Geschichten von Finkel und Longo beginnen, sich miteinander zu verweben. Michael Finkel wird über die Geschichte Longos von einem Lokalreporter informiert und prüft diese Sensation nach. Christian Longo soll sich auf seiner Flucht für ihn, den Journalisten, ausgegeben haben. Dieser wird angeklagt seine Familie in Oregon umgebracht zu haben. Getrieben von Neugier und der Frage nach dem Warum, entschließt sich Finkel Longo zu schreiben und ein Treffen zu vereinbaren. Longo antwortet unverhofft und Finkel bekommt ein ungewöhnliches Angebot: Er soll als einziger die Exklusivrechte für die Geschichte von Christian Longo erhalten. Doch Christian Longo stellt zwei Bedingungen: Erstens soll Finkel bis zum Prozess mit Niemandem über die Geschichte sprechen und zweitens soll er Longo das Schreiben beibringen. Finkel wittert eine Story, stimmt zu und besucht daraufhin Longo regelmäßig im Gefängnis. Dieser kennt Finkels Lage und versucht ihn mit Insiderinformationen über den Tod seiner Familie zu locken. Zwischen den beiden entsteht eine Vertrauensbeziehung, welche für Finkel später zum Verhängnis wird. Finkel sieht nämlich die Story seine Lebens schon vor sich, die ihm seine Karriere zurückbringen könnte. Jedoch wird das für Finkel gefährlicher, als er geglaubt hatte.

Minimalismus statt Special-Effects

Regisseur Rupert Goold setzt bei diesem Film auf Minimalismus – hier ist weniger wirklich mehr. Es gibt keine Special-Effects und keine Action-Szenen – dafür wird der Zuschauer von Longo bis zur letzten Sekunde verwirrt – hat er es jetzt getan oder nicht? Deshalb sind auch die minimalistischen Kameraperspektiven perfekt, nichts lenkt hier vom eigentlichen Thema des Films ab. Der Zuschauer wird so in den Bann gerissen und fühlt jede Sekunde mit.

Die faszinierenden Konflikte zwischen Finkel und Longo fördern die Spannung des Dramas. Auch diese Art Freundschaft, die zwischen den beiden entsteht. Natürlich trägt die Tatsache, dass es sich um eine wahre Begebenheit handelt, auch dazu bei, dass der Film umso authentischer wirkt.

Verwirrung bis zur letzten Sekunde

Für mich ist „True Story“ einer der besten Filme des Jahres. Er ist spannend und raubt einem den Schlaf. Schön ist auch, dass er zum Nachdenken anregt und den Wahrheitsgehalt in den Medien anzweifeln lässt – so etwas kann schließlich jedem Journalisten passieren. Wenn die Story doch nicht so viel hergibt wie gedacht und der Abgabetermin naht, können aus zwei misshandelten Jungen ein brutal misshandelter Junge werden. Vielleicht ist es auch die Wahrheit, die nicht immer so spektakulär ist, wie man sie sich vorgestellt hat. Aber während des gesamten Films fühlt man mit der Rolle Finkels mit und versucht Stück für Stück die Wahrheit herauszufinden, auch wenn man schon ahnt, dass einem diese Wahrheit nicht gefallen wird.

Jonah Hill spielt hier die Rolle seines Lebens – er macht seinen Oscar-Nominierungen alle Ehre. Für mich seine bisher beste Performance. Aber auch James Franco spielt die angebliche Unschuld des Familienmördes Christian Longo so überzeugend, dass man ihm beinahe Glauben schenkt, ihn sogar in manchen Teilen des Films sehr sympathisch findet. Man kann dadurch auch verstehen, dass Longo Finkel private Details erzählt und sie eine Art Freundschaft aufbauen. Longo überzeugt Finkel, dass er die Tat nicht begangen hat – wieso sollte er auch? Er war schließlich ein glücklicher Ehemann und Vater. Nach und nach wird Finkel aber klar, was Longo für ein mieses Spiel mit ihm spielt. Schade ist allerdings, dass am Ende nicht direkt aufgelöst wird, und man sich fragt, was ist nun die „True Story“?

Fotos: 20th Century Fox

The Garden of Words

von Andrea Kroner

Im realen Leben und auch in den meisten Filmen ist Regen negativ besetzt. Er dient oft als Zeichen von Trauer, Schmerz oder als Vorbote von Unheil. Anders in „The Garden of Words“. Hier zeigen fantastische Bilder und minimale Geräusche, wie außergewöhnlich Regen sein kann.

Die Schönheit des Regens

Der Schüler Takao liebt den Regen. Denn dann fühlt er sich dem Himmel ein Stück näher. Deshalb verbringt er regnerische Tage auch nicht in der langweiligen Schule. Er sitzt im Pavillon eines Parks von Tokyo, träumt vor sich hin und zeichnet Schuhe. Dadurch möchte er seinem großen Wunsch näher kommen, später einmal Schuhmacher zu werden, obwohl die Aussichten nicht gut sind.

In diesem Park begegnet er eines Tages einer Frau namens Yukari, die ihre Vormittage im Pavillon mit Alkohol und Schokolade verbringt. Zunächst haben sie nicht viel miteinander zu tun, doch mit der Zeit kommen sich die beiden langsam näher: Takao beginnt sich zu öffnen und von seinen großen Träumen zu erzählen. Das hatte er bisher noch nie gemacht.

Yukari ist so begeistert von seinen Entwürfen und Plänen, dass sie ihn bittet, ein Paar Schuhe für sie anzufertigen, damit sie symbolisch wieder auf eigenen Beinen stehen könne. Denn sie versucht, ihrer ungeliebten Vergangenheit zu entfliehen, statt sich ihr zu stellen.

Mit dem Ende der Regenzeit enden auch die Treffen der beiden. Jeder muss sich jetzt seinen eigenen Aufgaben und Problemen stellen und sein Leben in die Hand nehmen. Yukari krempelt ihr bisheriges Leben um und versucht, von vorn zu beginnen. Auch Takao muss zurück in den Alltag und seinen Abschluss schaffen, um seinen Traum verwirklichen zu können. Doch beide wünschen sich insgeheim den Regen und die gemeinsamen, unbeschwerten Treffen zurück.

Animationskunst auf höchstem Niveau

Alle Hintergründe sind so detailgetreu und liebevoll gestaltet, dass die Grenze zwischen Animation und Realität zu verschwimmen beginnt. Gerade bei den Naturaufnahmen im Park zeigt sich das sehr deutlich: Jedes einzelne Blatt und jeder Regentropfen ist klar konturiert, präzise gezeichnet und voll schöner, leuchtender Farben. Im Internet gibt es sogar zahlreiche Vergleiche zwischen den Zeichnungen und den dazu gehörenden, realen Orten – teilweise sind diese kaum zu unterscheiden.

Doch in der Gestaltung der verschiedenen Handlungsorte gibt es deutliche Unterschiede. Das hektische, laute Stadtleben von Tokio wird anders dargestellt, als die Stille des Parks. Obwohl beide Bereiche realistisch und plastisch gezeichnet sind, wirkt das städtische Leben durch unnatürliche Perspektiven und Blickwinkel surreal und überzeichnet.

Einen starken Gegensatz zu den filigranen Hintergründen bildet auch die Darstellungsweise der Figuren. Sie sind mit großen Augen, einer spitzen Nase und den strähnigen Haaren, wie in Animés üblich, gezeichnet. Dadurch entfernt sich der Film wieder mehr von einer realistischen Darstellung.

Es wird alles gesagt

„The Garden of Words“ dauert nicht einmal 45 Minuten. Das erscheint zunächst äußerst kurz, doch bei Shinkai ist das keine Seltenheit, denn kaum einer seiner Filme dauert länger.

Dennoch könnte man argumentieren, dass er durch die Kürze das Potential seiner Geschichte nicht voll ausgeschöpft hat. Doch er möchte auch gar keine ausschweifende, komplexe Geschichte erzählen, sondern beschränkt sich auf das Wesentliche – deshalb muss man als Zuschauer auch auf die Kleinigkeiten achten, die so wichtig für die tiefgründige und feinfühlige Geschichte einer ganz besonderen Beziehung sind.

Dabei bleibt den ganzen Film über die Spannung bis zum Ende erhalten. Dieses selbst ist jedoch etwas enttäuschend ausgefallen, was aber auch im Auge des Betrachters liegen kann. Aber das muss jeder für sich selbst herausfinden.

Foto: flickr.com/Antonio Tajuelo (CC BY 2.0)

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Teil Sieben: The Garden of Words

Teil Acht: Wakolda – ein Arzt auf der Flucht

„Moolaadé“ – Bann der Hoffnung

von Andrea Kroner

Man hört selten etwas über afrikanische Filme, obwohl es dort in den verschiedenen Ländern eine vielfältige Kinotradition mit ganz besonderen Produktionen gibt. Meist setzen sich die Regisseure dabei mit typisch afrikanischen Sitten und Gebräuchen auseinander. So auch Ousmane Sembènes in seinem Film „Moolaadé“. Er möchte die Bevölkerung über die Beschneidung junger Mädchen aufklären.

Ein Verstoß gegen die Tradition

Die Geschichte spielt in einem kleinen afrikanischen Dorf, das sich streng an die Tradition der Beschneidung hält. Doch sechs kleine Mädchen flüchten davor, weil sie Angst vor der Verstümmelung haben. Vier davon retten sich zu Collé Ardo (Fatoumata Coulibaly). Diese hat sich geweigert, ihre zweite Tochter Amsatou beschneiden zu lassen, weil ihre erste Tochter bei diesem Ritual gestorben ist. Und auch den vier Mädchen hilft sie, indem sie das „Moolaadé“ ausspricht. Dafür spannt sie ein Seil am Eingang ihres Hofes auf. Dieses markiert eine symbolische Grenze, die ohne ihre Erlaubnis nicht übertreten werden darf. Wer sich nicht daran hält, verfällt einem tödlichen Bann – glauben zumindest die Dorfbewohner. Deshalb sind die Mädchen vor den Beschneiderinnen sicher, solange sie den Hof nicht verlassen.

Zeitgleich kommt der Sohn des Oberhaupts ins Dorf. Er hat in Paris studiert und ist eigentlich zurückgekehrt, um Amsatou zu heiraten. Da sie jedoch nicht beschnitten ist, kommt das für seinen Vater nicht infrage. Stattdessen soll er nun seine 11-jährige Cousine zur Frau nehmen. Doch so einfach wird es nicht, denn nun beginnen auch die anderen Frauen des Dorfes langsam, sich gegen das patriarchalische System zu wehren. Am Ende löst sich alles auf – teilweise zum Positiven, teilweise äußerst tragisch.

Ein heikler Punkt

Sembène ist der erste afrikanische Mann, der sich öffentlich mit dem Thema der Beschneidung auseinandersetzt und sich auch vehement dagegen ausspricht. Dabei weitet er das Geschehen des Films auf eine größere Dimension aus: Mit dem Asyl der Mädchen bei Collé Ardo möchte er die Menschen dazu aufrufen, Frauen, die Hilfe suchen, Asyl zu gewähren. Auch bietet das Moolaadé für Collé Ardo die Möglichkeit, aus dem starr festgelegten, von Männern beherrschten System auszubrechen und die Machtverhältnisse umzukehren.

Er äußert seine Kritik jedoch nie zu hart, sondern setzt sie genau an den passenden Stellen und im richtigen Maß ein. Es werden beispielsweise keine verstümmelten Genitalien der Frauen gezeigt, doch trotzdem wird die Grausamkeit dieses Rituals äußerst deutlich, da man die Reaktionen der Mädchen miterlebt. Auch beleuchtet er alle Folgen dieser Verstümmelung. Diese sind sowohl körperlicher als auch seelischer Natur. Eine wichtige Rolle spielen aber auch soziale Konsequenzen für Unbeschnittene, die ausgestoßen werden oder keinen Ehemann finden. Denn kein traditioneller Mann möchte eine Unbeschnittene, eine Unreine heiraten.

Doch Sembène geht noch weiter: Er prangert an, dass gerade Frauen der Zugang zu Informationsquellen oft verboten wird. So werden den Frauen in Moolaadé die Radios weggenommen und verbrannt, wodurch ihnen Informationen und moderne Einstellungen verwehrt werden sollen.

Ein ganz eigener Charme

Sembène schafft es geschickt, in seinem Film drei wichtige Grundelemente zu verbinden: Ästhetik, Unterhaltung und Kritik. Diese drei Komponenten werden immer wechselseitig eingesetzt. So  spricht er ein breiteres Publikum an und kann seine Botschaft auf subtile Art und Weise verbreiten.

Interessant ist, dass der Film nicht in andere Sprachen übersetzt, sondern nur mit entsprechenden Untertiteln versehen wurde. Dadurch gewinnt er gerade für Außenstehende noch mehr an Authentizität. Diese wird durch die typisch afrikanische Musik noch mehr gesteigert, die sich an den richtigen Stellen gut einfügt. Ob moderne Musik aus dem Radio oder traditionelle Klänge bei Ritualen, sie wird immer passend eingesetzt.

Ein guter Einblick

Gerade, wenn man sich nicht so gut mit der Thematik auskennt, bietet dieser Film einen guten Einblick in das Ritual der Beschneidung, wie es in vielen afrikanischen Ländern immer noch praktiziert wird. Er liefert ein ungeschöntes, reales Bild und schafft es, dabei auch noch andere Kritikpunkte einzubinden. Wer mehr darüber erfahren möchte, sollte „Moolaadé“ auf keinen Fall verpassen.

Foto: flickr.com/UNAMID (CC BY-NC-ND 2.0)

Weitere Artikel aus dieser Reihe:

Teil Eins: Vergessene Filme – verborgene Schätze

Teil Zwei: Der Meister der Stille

Teil Drei: „Faust“ – die Geschichte lebt wieder auf

Teil Vier: „Erleuchtung garantiert“ – wirklich?

Teil Fünf: „5×2“ – Wieso ging es schief?

Teil Sechs: „Moolaadé“ – Bann der Hoffnung

 

Kleiner Held, ganz groß

von Marius Lang

Marvel's Ant-Man Scott Lang/Ant-Man (Paul Rudd)  Photo Credit: Zade Rosenthal © Marvel 2014Einst war Ant-Man, mit bürgerlichem Namen Hank Pym (Michael Douglas), einer der Top-Agenten der USA im Kampf gegen fremde Mächte. Doch als das Militär seine Techniken finanziell nutzen wollte, nahm der brillante Forscher seinen Hut und seine Technologie gleich mit. Heute lebt Hank Pym zurückgezogen und von seiner Tochter  entfremdet. Seine Firma haben längst andere übernommen, geführt von Pyms einstigen Schützling Darren Cross (Corey Stoll). Als Cross jedoch enthüllt, dass er die Technologie von Ant-Man, sich selbst und andere Materie nach Willen kleiner zu machen, entdeckt hat und nun ebenfalls als Waffe vermarkten will, ist Pym zum erneuten Handeln getrieben. Er rekrutiert den Ex-Knacki Scott Lang (Paul Rudd) und bildet ihn gemeinsam mit seiner Tochter Hope van Dyne (Evangeline Lilly) zum neuen Ant-Man aus, um die Pläne seines früheren Schülers zu durchkreuzen.

Soweit zur Story des aktuellsten Films des MARVEL Filmuniversums. Damit haben wir zum ersten Mal seit Captain America (2011) die Einführung eines neuen Helden in einer klassischen Origin-Story. Zugegeben, Avengers: Age of Ultron (2015) konnte auch als Origin-Story gehandelt werden, für Android Vision und in geringerem Maß für die Maximoff-Zwillinge, doch bei Ant-Man passiert es zum ersten Mal seit Jahren, dass die Grundlage eines neuen Superhelden aus dem Hause MARVEL und Disney in einem eigenen Film abgehandelt wird, abseits der Avengers. Dies hält das Team der größten Superhelden der Welt jedoch nicht davon ab, sich zeitweise und zumindest teilweise in die Handlung einzubringen. Doch dazu später mehr.

Experiment geglückt?

Der Film kann ganz klar als Risiko eingestuft werden. Aus mehreren Gründen: Zum einen ist Ant-Man bei jenen, die mit den Comics weniger bewandert sind, eher einer der obskureren Helden, und das obwohl er zur ersten Besetzung der Avengers gehörte. Zum anderen stand der Film in seiner Produktion von Anfang an unter keinem guten Stern. Als erster Regisseur wurde Edgar Wright angestellt. Doch 2014 distanzierte sich der Regisseur von Hot Fuzz und Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt von dem Projekt. Grund hierfür waren wohl kreative Differenzen. Wrights Nachfolger wurde der in Komödien bewanderte Peyton Reed. Doch hat der Wechsel sich bezahlt gemacht? Ist das Experiment geglückt?

Zum größten Teil: Ja. Den Einfluss des Fachmannes erkennt man deutlich: Ant-Man kann getrost als einer der lustigsten Filme der Reihe bezeichnet werden. Wenngleich nicht jeder Gag an sich funktioniert, schaffen es die sympathischen Charaktere selbst diese so an den Mann zu bringen, dass man sich ein Schmunzeln kaum verkneifen kann.

Gute Charaktere

Marvel's Ant-Man L to R: Scott Lang/Ant-Man (Paul Rudd) and Hank Pym/Ant-Man (Michael Douglas) Photo Credit: Zade Rosenthal © Marvel 2014Diese Charaktere, bis in die kleinsten Nebenrollen großartig besetzt, sind dann auch die erste große Stärke des Filmes. Paul Rudd ist ein wahrer Glückstreffer als Hauptfigur Scott Lang, er bringt genau die richtige Mischung aus Humor und Charaktertiefe mit sich, die der Film von seinem Hauptdarsteller verlangen kann. Geschult wird er im Film von Michael Douglas als in die Jahre gekommener Ex-Ant-Man Hank Pym. Und wie könnte man es von dem Schauspieler anders erwarten, Douglas ist großartig. Die Mentoren-Rolle steht ihm gut und doch blitzen da stets die Anzeichen des harten Knochen und alten Haudegens durch, die man von einem pensionierten Superhelden erwarten würde. Auch Evangeline Lilly als Hope van Dyne, Hank Pyms entfremdete Tochter, macht eine exzellente Figur. Tragisch ist dabei nur, dass der Film sie von Anfang an als offensichtliches Love-Interest für Scott Lang eingeplant hat. Das Problem dabei: Hope ist eigentlich als Charakter die eigentlich logische erste Wahl ihres Vaters für den Anzug des Titelhelden. Sie ist hochintelligent, stark, beherrscht die Technik des Helden und ist von Anfang an gewillt, trotz aller Differenzen mit ihrem Vater, ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Die Begründung, warum sie dann nicht zum Helden werden darf, wirkt demzufolge etwas an den Haaren herbeigezogen. Doch am Ende wird man hierfür entschädigt.

Einzige charakterliche Schwäche, wie so oft in den MARVEL-Filmen, ist hierbei der Bösewicht. Der talentierte Corey Stoll ist völlig verschwendet als Fiesling Darren Cross, beziehungsweise Superschurke Yellowjacket. Cross gibt wenig her, er wirkt wie ein zorniges Kind, dass von seinem Zieh-Papa Pym nicht ausreichend geliebt wurde. Dafür sind die Nebenfiguren fantastisch besetzt. Besonders hervorzuheben ist hierbei Michael Peña als Scotts Knast-Kumpel Luis, der einen Großteil der Lacher des Filmes auf seiner Seite verbuchen kann. Dazu tut es immer wieder gut, Peña in einem Film zu sehen. Hinzu kommt ein großartiger Gastauftritt von Anthony Mackie als Avengers-Mitglied Falcon. Dieser Gastauftritt dient dabei noch dazu, Ant-Mans Rolle in dem 2016 erscheinenden Captain America: Civil War aufzubauen.

Traumhaft anzusehen

Marvel's Ant-Man Ant-Man/Scott Lang (Paul Rudd)  Photo Credit: Film Frame © Marvel 2015Neben dem Humor und den guten Charakteren hat der Film noch eine weitere große Stärke: Die phänomenalen Sequenzen, immer dann wenn Ant-Man auf Ameisengröße schrumpft. Daraus hätte man zwar eigentlich noch so viel mehr machen können, doch das was man bekommt, ist schon fantastisch. Die Ameisen, mit denen Ant-Man kommunizieren kann, werden zu einem emotionalen Anker des Films. Die Actionsequenzen sind gut choreografiert und machen exzellenten Gebrauch von der Technik des Helden. Tragisch ist dabei nur, dass der finale Kampf der Hauptfigur mit Schurke Yellowjacket bereist zum Löwenanteil im Trailer des Filmes vorweg genommen wurde. Doch das große Finale des Filmes entschädigt hierfür mehr als ausreichend. Ohne zu viel vorwegzunehmen, es ist der beste Moment des Films und kann getrost als Andeutung darauf gesehen werden, wie künftige MARVEL-Filme, insbesondere der bald erscheinende Doctor Strange, aussehen könnten.

Ant-Man startete als Experiment: Kann man aus einem Helden wie Ant-Man einen Publikumsliebling machen? Die Antwort: Ja, man kann. Mit Guardians of the Galaxy hat das Studio schon bewiesen, dass keine IP zu obskur ist, um daraus nicht einen Hit zu machen. Und auch dieses Mal kann man beruhigt sein, dass der erste richtige Flop von MARVEL noch auf sich warten lässt. Ant-Man macht schlicht Spaß, ein echter Sommerhit und ist dazu schön anzusehen. Dazu nehme man sympathische Charaktere, viel Energie und dazu noch ein gutes Maß Einfallsreichtum und schmecke es ab mit riesigen Ameisen und der perfekte Sommerblockbuster ist fertig. Wer ihn noch nicht gesehen hat, sollte das schleunigst nachholen.

Fotos: Zade Rosenthal © Marvel 2014

Beck’s letzter Sommer – ein Roadtrip durch’s Leben

von Andrea Kroner

Bisher hat sich Robert Beck immer für die langweilige, sichere Variante entschieden. Doch sein Leben bekommt eine Eigendynamik, als er den jungen Rauli das erste Mal Gitarre spielen und singen hört. Denn der Junge hat ein unglaubliches Talent. Gemeinsam schlittern sie von einem Abenteuer ins nächste und eine turbulente Geschichte kommt ins Rollen.

Auf der Jagd nach großen Träumen

Robert Beck (Christian Ulmen) ist frustriert und angewidert von seinem Leben: Sein Job als Musiklehrer an einem Berliner Gymnasium langweilt und er hat weder eine Freundin, noch Perspektiven für die Zukunft. Doch all das ändert sich schlagartig, als er seinen Schüler Rauli (Nahuel Pérez Biscayart) nach dem Unterricht zu sich ruft. Eigentlich möchte er über dessen schwierige familiäre Verhältnisse reden. Doch Rauli brennt nur darauf, mit Becks Gitarre spielen zu dürfen. Entgegen Becks Erwartungen singt und spielt er „Seven Nation Army“ wie ein junger Gott. Bisher hatte Beck den unscheinbaren, litauischen Jungen kaum wahrgenommen. Doch jetzt sieht er seine Chance, Rauli groß raus zu bringen. Denn er selbst hat in jungen Jahren seine eigene Karriere als Musiker aufgegeben. Obwohl er Frontmann der erfolgreichen Band „Cash Punk“ war, hat er sich dennoch für die sichere Variante als Lehrer entschieden und möchte jetzt seinen großen Traum in Rauli verwirklichen.

Beck ist so begeistert von Raulis Talent, dass er mit dem Jungen bald eine erste Demo-CD aufnimmt und ein kleines Konzert organisiert. Alles in der Hoffnung, ein Plattenlabel zu finden. Und ihre Bemühungen sind auch von Erfolg gekrönt. Ein großes Label möchte den Jungen unter Vertrag nehmen, allerdings ohne Beck als Komponist dahinter. Damit bricht für ihn eine Welt zusammen. Er versucht verzweifelt, den Deal vor Rauli zu verheimlichen und ein anderes, kleineres Label zu finden. Da kommt sein Freund Charlie (Eugene Boateng) ihm überhaupt nicht gelegen. Dieser droht ständig damit, sich umzubringen. Deshalb hat Beck ihn ins Krankenhaus eingeliefert. Charlie ist jedoch ausgebüxt und möchte nun, dass Beck ihn sofort zu seiner schwer kranken Mutter nach Istanbul fährt. Eigentlich hat Beck gerade andere Sorgen, doch er lässt sich breit schlagen und auch Rauli schließt sich spontan dem Abenteuer an. Und so begeben sich die drei auf eine atemberaubende Reise. Dabei muss jeder große und kleine Geheimnisse aufdecken, bei denen es am Ende sogar um Leben und Tod geht.

Hautnah dabei

Die gesamte Produktion verlief in enger Zusammenarbeit mit dem Autor der Buchvorlage, Benedict Wells. Denn für die Produzenten war es essentiell, „dass der Film dem Geist des Romans entsprechen muss“. Andererseits war es für den Autor selbst auch wichtig, dass die Verfilmung für sich selbst stehen kann. Die Medien Film und Buch wären so verschieden, dass Veränderungen der Vorlage notwendig seien. Trotzdem müsse die Seele des Buches auch im Film zu finden sein, und das ist sie für ihn in diesem Fall definitiv.

Auch von den Schauspielern ist Wells begeistert. Er verrät, dass er sich Christian Ulmen schon beim Schreiben des Romans als Beck vorgestellt hat. Deshalb hat er ihn sogar ein bisschen in die Rolle „hineingeschrieben“. Noch bevor die Verfilmung überhaupt feststand, fragte er eigenständig bei Ulmen an, ob dieser sich die Rolle vorstellen könnte – und bekam prompt eine Zusage.

Es sollte etwas besonderes sein

Das war den Produzenten von Anfang an sehr wichtig. Sie wollten keinen Mainstream-Film drehen, sondern sich eher an amerikanischen Independent-Produktionen orientieren. Es gibt keine feste Genrezuordnung, denn der Film ist zu ernsthaft für eine Komödie, aber gleichzeitig auch zu lustig für ein Drama.

Leider ist die Idee dahinter nichts Neues: Filme über Selbstfindung und Verwirklichung großer Träume gibt es heutzutage viele und in diesem Fall ist die Handlung an vielen Stellen leider zu vorhersehbar geworden, anders als im Buch. Dennoch ist der Film insgesamt gelungen, da er den Zuschauer mitnimmt und seine Botschaft gut übermitteln kann: Es ist nie zu spät, seine Träume zu leben. Selbst, wenn man sie eigentlich schon aufgegeben hat.