Wakolda – ein Arzt auf der Flucht

von Andrea Kroner

Der deutsche Arzt Helmut Gregor wirkt nett, unauffällig und höflich, als ihn eine junge Familie auf dem Weg in ihre neue Heimat mitnimmt. Doch er verbirgt ein dunkles Geheimnis, das erst nach und nach zum Vorschein kommt.

Ein getarnter Verbrecher

Eine junge, deutschstämmige Familie reist nach Bariloche, Argentinien. Sie will in dieser Gemeinde für verfolgte Deutsche ein neues Leben beginnen: Eva (Natalia Oreiro) plant, eine Pension wiederzueröffnen und ihr Mann Enzo (Diego Peretti) will Porzellanpuppen aus Eigenproduktion verkaufen. Noch ist seine Leidenschaft dafür eher ein Hobby, doch er hofft, damit später Geld verdienen zu können.

Als sie sich mit dem Auto auf den Weg dorthin begeben, lernen sie in einem kleinen Rasthof den charmanten, charismatischen deutschen Arzt Helmut Gregor (Alex Brendemühl) kennen. Er ist sehr interessiert an deren Pension und sucht selbst einen neuen Wirkungskreis. Deshalb nehmen sie ihn als ersten Pensionsgast auf.

Dieser zeigt reges Interesse an ihrer Tochter Lilith (Florencia Bado), die an einer Wachstumsstörung leidet. Deshalb kann das 12-jährige Mädchen nicht mit ihren Mitschülern mithalten und wird von ihnen gehänselt. Gregor möchte sie mithilfe einer Hormonbehandlung unterstützen, doch ihr Vater ist dagegen. Deshalb bekommt sie die Spritzen mit Evas Einverständnis hinter seinem Rücken. Auch Eva, die mit Zwillingen schwanger ist, bietet er seine Hilfe an – ebenfalls heimlich.

Zwischendurch werden immer wieder Zeichnungen aus seinem Notizheft eingeblendet, die Schlimmes vermuten lassen. Und mit der Zeit wird die Vermutung zur Gewissheit, denn eine als Fotografin getarnte, israelische Spionin lässt den Arzt auffliegen: Denn er ist in Wirklichkeit der ehemalige Chefarzt des Konzentrationslagers Auschwitz, Josef Mengele, der unter falschem Namen nach Südamerika geflohen ist, um dort unterzutauchen und seine grauenvollen Menschenexperimente fortzusetzen. Doch jetzt muss Mengele erneut fliehen. Ein spannender Wettlauf mit der Zeit beginnt.

Zwischen Wagheit und Wahrheit

Es ist tatsächlich belegt, dass Mengele seine Forschungen im Ort Bariloche weiterführte. Sein besonderes Interesse galt dabei Kleinwüchsigen und Zwillingen. Das kommt daher, dass er den „arischen Menschen“ perfektionieren und durch vermehrte Zwillingsgeburten den Fortbestand des deutschen Volkes sichern wollte. Dafür war ihm jedes Mittel recht. In Auschwitz hatte er die Erlaubnis, seine grausamen Forschungen uneingeschränkt durchzuführen – zum Leidwesen zahlreicher jüdischstämmiger Opfer. Auch nach dem Sturz des nationalsozialistischen Regimes konnte er nicht von seinem perfiden „Traum“ ablassen und forschte in Argentinien an der unschuldigen Bevölkerung weiter. Doch Einzelheiten über seinen dortigen, sechsmonatigen Aufenthalt, wie sie im Film gezeigt werden, sind lediglich Spekulationen.

Die Details machen es aus

Die blauäugige Familie, bei der Mengele wohnt, merkt bis zum Schluss nicht, wie die wahre Identität ihres Gastes aussieht. Das liegt vor allem daran, dass Mengele alle geschickt manipuliert und gegeneinander ausspielt. Dabei ist seine vordergründig nette und harmlose Art von entscheidender Bedeutung, denn dadurch verdrängen Eva und Enzo die offensichtlichen Anzeichen, die sich mit der Zeit äußern. Der Zuschauer hingegen weiß mehr über Mengeles Hintergrund, als die handelnden Personen, denn viele detaillierte und kommentierte Zeichnungen Mengeles geben Hinweise auf seine dunklen Machenschaften.

Ein Spiegel seiner Vergangenheit

Obwohl die Puppenherstellung von Enzo im Film eher eine Nebenhandlung darstellt, spielt sie in der Interpretation eine entscheidende Rolle: Sie spiegelt Mengeles komplette Lebenseinstellung wider. Indem er Enzo hilft, seine Puppen maschinell und in großen Mengen zu produzieren, kann er symbolisch seinen „Traum“ von der Massenproduktion des perfekten, makellosen Menschen verwirklichen.

Doch solche Anspielungen kratzen nur an der Oberfläche, denn die wahren Abgründe von Mengeles Charakter werden nur angedeutet oder bleiben ganz im Dunkeln.

Viel erreicht?

Der Film erzeugt durchgehend eine enorme Spannung, da der Zuschauer die ganze Zeit auf den Moment der Entlarvung Mengeles wartet. Auch wird man von der gelungen erzeugten Atmosphäre förmlich mitgerissen: Es werden deutlich die Probleme gezeigt, die die Bevölkerung damit hat, mit den nationalsozialistischen Verbrechern umzugehen – denn Mengele war bei Weitem kein Einzelfall. Viele Nazis flüchteten nach dem zweiten Weltkrieg nach Südamerika.

Auch die Perspektive ist etwas ganz besonderes, denn der Film wird aus der Sicht von Lilith, einem unschuldigen, kleinen Mädchen erzählt – mit einer außergewöhnlichen Leistung der 12-jährigen Schauspielerin Florencia Bado. Dennoch wirkt der Film insgesamt zu überladen: Er erzählt zum einen von Liliths Problemen, aber zugleich auch von Mengeles Flucht und seinen Experimenten. Darüber hinaus baut Enzo seine Puppenfabrik auf. Gerade weil alle drei Bereiche schwierige und wichtige Themen darstellen, kann das den Zuschauer schnell überfordern. Dennoch ist der Film in sich stimmig und zeigt die Spätfolgen des Nationalsozialismus aus einem ganz neuen Blickwinkel.

Foto: flickr.com/RV1864 (CC BY-NC-ND 2.0)

 

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Teil Fünf: „5×2“ – Wieso ging es schief?

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