Salaam Bombay – die Geschichte eines Straßenkindes
von Andrea Kroner
Eigentlich ist das Leben der ärmsten Schicht auf den Straßen von Bombay trost- und perspektivlos, denn es gibt kaum Hoffnung auf ein besseres Leben. Doch eine Gruppe von Straßenkindern kämpft dennoch jeden Tag aufs neue um ihren Platz in der Gesellschaft, denn eines haben sie gelernt: Man darf nie aufgeben.
Krishnas Weg
Der 10-jährige Krishna wird von seiner Mutter aus seinem Dorf vertrieben, weil er das Motorrad seines Bruders angezündet hat. Dass dieser ihn vorher verprügelt hat, spielt dabei keine Rolle. Krishna darf erst zurückkommen, wenn er 500 Rupien verdient hat, um den entstandenen Schaden zu begleichen. Das ist für den Jungen eine Menge Geld – geplant ist ein halbes Jahr Arbeit in einem Zirkus. Doch er ist wesentlich länger unterwegs, als geplant: Denn der Zirkus lässt ihn eines Tages allein zurück, weshalb er auf eigene Faust nach Bombay, der nächstgelegenen Stadt, aufbricht.
In der Großstadt lebt er mit anderen Kindern auf der Straße und arbeitet als Teejunge, der dieses Getränk an verschiedene Kunden ausliefert. Sein Leben dort ist nicht leicht: Er muss jeden Tag sein Überleben sichern und sich nebenbei um seine Freunde kümmern: Er versucht, seinem drogenabhängigen Freund Chillum im Kampf gegen die Drogensucht zu helfen. Auch der vernachlässigten Manju, deren Eltern im Prostitutions- und Drogengewerbe tätig sind, gibt er Halt und Sicherheit, die sie in ihrer Familie nicht bekommt. Noch dazu verliebt sich der Junge in ein 15-jähriges Mädchen, das zur Prostitution gezwungen wird. Ob er seinen Freunden helfen und je wieder nach Hause zurückkehren kann, wird sich zeigen.
Eine traurige Wahrheit
Der Film wirkt insgesamt stark dokumentarisch, obwohl die Handlung erfunden ist. Das liegt zum einen daran, dass die Szenen direkt an Originalschauplätzen in Bombay gedreht wurden und alle Kinder von der Straße dieser Stadt stammen. Daher handelt es sich bei ihnen um Laienschauspieler, die davor noch nie vor der Kamera gestanden sind. Doch dafür kennen sie die Wirklichkeit und können ihre Rollen besonders authentisch spielen.
Trotz der Realitätsnähe hat die Regisseurin Mira Nair auch darauf geachtet, dass die Handlung nicht zu dramatisch gestaltet wurde. Nair ist selbst Inderin, wodurch sie die Situation und den dortigen Alltag wesentlich besser nachvollziehen kann, als ein Außenstehender. Um sich auf diesen Film vorzubereiten, hat sie vor diesem Film vier Reportagen über Indien gedreht, was sich deutlich in der Qualität von „Salaam Bombay“ widerspiegelt.
Darüber hinaus trägt auch die Kameraführung zu diesem Eindruck bei: Sie liefert starke, prägende Bilder, die den Zuschauer direkt in die Handlung hineinversetzen und das Geschehen nachvollziehbarer gestalten. Diese Leistung wurde sogar mit einer „Caméra d’Or“ in Cannes gewürdigt.
Indien bekommt eine eigene Identität
Vordem 1988 erschienenen „Salaam Bombay“ handelten die meisten indischen Filme von einer großen, gesichtslosen Masse – doch in diesem Film bekommt sie mit Krishna ein eigenes, ausdrucksstarkes Gesicht mit einer individuellen Geschichte. Dadurch beginnt man viel eher, mit dem naiven, schnell lernenden Jungen mitzufühlen und gewinnt auch seine Freunde lieb, die alle trotz ihrer Fehler einen sympathischen Charakter besitzen.
Man wird mitgerissen in eine Welt von Obdachlosen, Prostituierten und Drogenhändlern, aus der es für die Kinder kein Entrinnen gibt. Denn sie befinden sich in einem schrecklichen Teufelskreis: Eigentlich bräuchten sie in ihrem Leben Halt und Stabilität, sie müssen aber in Armut und ohne Eltern leben. Dadurch sehen sie in vielen Fällen keine anderen Ausweg, als verzweifelt oder kriminell zu werden.
Es gibt noch Hoffnung
Der Film weist keinen Ausweg aus der Armut. Gerade deshalb zeichnet „Salaam Bombay“ ein so realistisches Bild von Indien. Dennoch bleiben auch positive Erinnerungen, da die Kinder die Hoffnung auf ein besseres Leben nie aufgeben und tapfer weitermachen auf ihrer ganz persönlichen Suche nach dem kleinen Glück.
Foto: flickr.com/Patrik M. Loeff (CC BY-NC-ND 2.0)
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Teil Sechs: „Moolaadé“ – Bann der Hoffnung
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