Tag 6: Wieso antwortest du nicht? Ist dir was passiert?

Von Caroline Wahl

Samstag. Neun Uhr zwanzig. Einhundertdreiundreißig neue Nachrichten auf Whatsapp? Ich erschrecke, als ich mein iPhone in das Ladekabel stecke. Ist etwas passiert? Verdammt, warum habe ich es nicht rechtzeitig aufgeladen. Heutzutage kann man nicht einfach so nicht erreichbar sein. Das geht nicht.

Samstag. Neun Uhr zwanzig. Erleichtert stelle ich fest, dass lediglich eine neue Whatsapp-Gruppe mit dem Namen „PartyParty“ gegründet wurde, in welcher ich neben vierzehn anderen, überaus Diskutierfreudigen Mitglied bin. Ich habe keine Lust, mich an der Abendplanung zu beteiligen. Bei solchen Diskussionen kann ich mich eh nie durchsetzen. Und ich habe auch keine Lust, die einhundertdreißig Nachrichten zu lesen. Einhundertvierunddreißig. Und so ertönt im Sekundentakt mein WhatsApp-Klingelton bis ich es auf lautlos stelle und mich noch einmal ins Bett lege.

Samstag. Elf Uhr drei. Langsam und noch immer müde erklimme ich die Treppe zum Erdgeschoss. Ich werde schneller als mir der Geruch nach Apfelkuchen und Zimt in die Nase steigt. Mama, du bist die Beste. Ob ich mit ihr einen Waldspaziergang machen will? Ich? Warum eigentlich nicht.

Samstag. Zwölf Uhr drei. Es ist wunderschön im Wald. Sanfter Nebel. Sonnenstrahlen erkämpfen sich den Weg durch die Bäume. Vogelgezwitscher. Das Rauschen des Baches und der Geruch. So gut. Eigentlich müsste ich jetzt ein Snapchat-Bild an alle meine Freunde schicken. Oder am besten ein Video. Wenn man etwas Schönes erlebt, muss man es schließlich mit den Freunden teilen. Ich denke darüber nach und bin glücklich, dass ich mein Smartphone neben meinem Bett liegen gelassen habe. Wahrscheinlich hätte ich mich sonst nicht zurückhalten können und tatsächlich ein Video an Kati und Lena geschickt. Manchmal kann ich einfach nicht anders. Peinlich. Was ist das überhaupt für ein kranker Instinkt? Teilen, Teilen, Teilen. Warum muss man heutzutage alles Schöne, das einem zustößt, mit seinen Freunden teilen? Will man, dass sie neidisch sind oder einen bewundern? Schau mal, was ich gleich Leckeres verzehren werde, neidisch? Schau mal, wie viel Spaß ich auf der Party habe, neidisch? Schau mal, wo ich Urlaub mache, neidisch??? Kann man sich nicht einfach nur an den Dingen erfreuen, den Wald mit allen Sinnen wahrnehmen, anstatt einen Ausschnitt zu fotografieren und nachdem man einen hippen Filter benutzt hat an seine Freunde zu schicken oder auf einer Plattform hochzuladen um dann gespannt auf die Reaktionen zu warten. Oh das Porridge-Bild, das ich gerade eben erst auf Instagram hochgeladen habe, gefällt Mirco. Damit möchte er mir bestimmt was sagen. Aber was nur? Vermutlich will er mich zum Essen einladen. Bestimmt.

Samstag. Siebzehn Uhr. Zweihundertdreiundzwanzig neue Nachrichten und acht Anrufe in Abwesenheit. Was ist denn jetzt schon wieder? Ich rufe Sonja, eine der „PartyParty“-Mitglieder zurück. Marie! Ist alles gut? Ist dir was passiert? Warum schreibst du nichts in die Gruppe? Kommst du nicht mit? Ich habe dich mindestens zwanzig Mal angerufen! Die wollen alle zu so einer Hausparty, ich würde viel lieber in die Stadt gehen, aber Felix zieht alle auf seine Seite. Aha. Du kommst doch mit oder? Ja, denke schon.

Samstag. Einundzwanzig Uhr sieben. Inzwischen bin ich bei Sonja und lasse mir von ihr einen Lidstrich ziehen. Ich bin immer noch müde und habe irgendwie keine Lust wegzugehen. Aber da ist eben dieser soziale Druck, dem ich mich beugen muss. Also trinke ich mir so schnell es geht die gute Partylaune an. Bevor wir losziehen schießen wir noch ein paar Selfies. Eins davon schicke ich Kati. Schau mal wie viel Spaß und was für einen perfekten Lidstrich ich habe? Ohne dich und dein Zutun. Ha.

Samstag. Dreiundzwanzig Uhr vier. Wir sitzen zu acht in einer Cocktail-Bar in der Stadt. Die restlichen Mitglieder der WhatsApp-Gruppe, einschließlich Fabian, sind bei der Hausparty. Sonja hat sich mit ihnen zerstritten. Selbstverständlich via WhatsApp. Wild und energisch tippt sie auf ihr Smartphone ein.

Samstag. Dreiundzwanzig Uhr zweiundzwanzig. Meine angetrunkene gute Laune sinkt. Gierig schlürfe ich an meinem Mojito. Lange hält der Display von Sonjas Handy die spitzen Nägeln, die ohne Pause auf ihn einhacken, nicht mehr aus. Da bin ich mir sicher. Vermutlich ist das letzte Wort in der „PartyParty!“-Gruppe noch nicht gesprochen. Simon und Finn spielen Tischkicker gegen zwei Mädchen, deren Namen ich vergessen habe. Ein drittes Mädchen filmt das Spiel. Dementsprechend lachen die Namenlosen viel zu laut und versuchen so zu tun als ob total im Match vertieft wären. In Echt konzentrieren sie sich nur darauf, dass sie ihren Arsch rausstrecken und die Haare sitzen. Sie erinnern mich an Hühner. Meine Oma hat Hühner. Auf einmal legt sich eine Hand auf meine rechte Schulter. Es ist Jenny. Sie fragt noch nicht einmal ob ich mich zu einem Bild bereit fühle. Das Handy in der linken Hand mit dem Arm in die Höhe gestreckt, tippt sie ungefähr fünfzehnmal auf den Auslöser. Hey Marie, jetzt lach doch mal. Automatisch ziehen sich meine Mundwinkel nach oben.

Samstag. Dreiundzwanzig Uhr Dreißig. Der Abend ist doof. Ich bin müde und will ins Bett. Und ich will Apfelkuchen. Gegenüber von mir gesellt sich ein unglaublich gut aussehender junger Mann zu uns an den Tisch. Ok ein letzter Versuch, den Abend zu retten. Ich versuche Blickkontakt aufzunehmen. Er bemerkt mein Interesse und lächelt zurück. Bekomme ich doch noch mein Match. Ha. Doch bevor er etwas sagt oder ich etwas sagen kann, widmet sich seine Aufmerksamkeit voll und ganz von mir ab und seinem Getränk zu. Er schiebt den Pina Colada kritisch auf dem Tisch rum und drapiert die Melonenscheibe am Glasrand neu. Dann zückt er sein Handy. Geteilt. Ich gehe.

Samstag. Dreiundzwanzig Uhr fünfundfünfzig. Gute Nacht.

Fotos: flickr.com/Bayerische Staatsforsten (CC BY-NC-ND 2.0)