Bild: Daniel Jacob

Die Möglichkeit zu scheitern, treibt mich an

Alumni-Portrait über den SWR-Reporter Lukas Föhr

Von Daniel Jacob

Lukas Föhr hatte eigentlich keine Lust mehr auf Journalismus. Doch im beschaulichen Tübingen gewann er Zutrauen zu einem Talent, das er stets in sich trug. Heute kehrt er an einen Ort zurück, der seine berufliche Laufbahn wie kein Zweiter prägte.   

„Hier direkt über dem Last Resort habe ich gewohnt.“ Fast schon wehmütig blickt Lukas Föhr auf die dunkle Fassade der Tübinger Kultkneipe. Seit über einem Jahr sind hier, wie in zahlreichen anderen Lokalitäten der Universitätsstadt, die Lichter aus. „Früher war das superpraktisch. Wenn man nach Thekenschluss noch Lust hatte zu feiern, ging man einfach zwei Stockwerke weiter nach unten.“ Für Lukas war dieser Ort gewiss kein „letzter Ausweg“.

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Vor fast genau zehn Jahren zog es ihn für den Masterstudiengang Medienwissenschaft nach Tübingen. Heute kehrt er zurück, als Reporter des SWR-Magazins Zur Sache Baden-Württemberg. Die Tübinger Teststrategie beschäftigt ihn an diesem Dienstagnachmittag. Erste Anlaufstelle: der Marktplatz. Hier trifft Lukas seine Kollegen von Kamera und Ton. Diese reisten wegen den Corona-Bestimmungen des Südwestrundfunks in getrennten Fahrzeugen an. Ein kurzes Briefing muss reichen. Zahlreiche Stationen warten auf das frisch formierte Dreiergespann. Zunächst steuert Lukas die große Menschenmenge vor dem Tübinger Rathaus an. Alle wollen sich testen lassen, um trotz winterlicher Temperaturen einen Kaffee in den Gassen der Altstadt zu genießen. Vergleichsweise wenige Menschen möchten ihre Freude über den Tübinger Weg aber auch vor einer Kamera äußern. Manch einer dreht seinen Kopf weg, fängt hektisch ein Gespräch an. Und doch geht Lukas zielsicher auf einen älteren Herren zu. Dieser wirkt sichtlich überrascht und bringt doch sehr authentisch seine Freude über die wiedergewonnene Freiheit zum Ausdruck. Der erste O-Ton ist gut. Lukas hält kurz Rücksprache zu seinem Kameramann: „Du sagst mir bitte, wenn ich dir zu viel gestikuliere. Ich muss beim Reden einfach die Hände mitbenutzen.“

Die großen Geschichten im Kleinen erzählen

Das Trio dreht zum ersten Mal gemeinsam. Und doch wirkt alles sehr eingespielt. Es folgen schnell die nächsten munteren Gespräche mit einer betagten Dame, zwei jungen Studentinnen und einer Mutter mit Kind. Weiter geht’s in Richtung der Cafés und Bars. Ein älteres Paar genießt dicht zusammengekauert mit Wolldecke den ersten Espresso in diesem Kalenderjahr. Ein paar Meter weiter sitzen zwei Männer, die sich zur Feier des Tages gar den ersten Cocktail gönnen. „Ich will nirgendwo zu sehen sein“, entgegnet einer der beiden, als er die Kamera mit dem angebauten ARD-Mikrofon erspäht. Reaktionen wie diese müsse man aushalten, sagt Lukas. „Ich finde es gut, wenn man auch mal auf kritische Stimmen trifft und sich mit diesen auseinandersetzen muss.“ Wichtig sei, dass man sich in heiklen Situationen nicht provozieren lasse. Der Nebensitzer der Männer spricht hingegen gerne. Er sei selbst Gastronom in Reutlingen und würde sich über ein solches Konzept in seiner Stadt sehr freuen.

„Ich wurde schon angepöbelt, rumgeschubst und bespuckt“, erinnert sich Lukas zurück an seine Zeit beim Fernsehsender RTL und wirkt dabei keinesfalls angefasst. Viereinhalb Jahre arbeitete er dort für verschiedene Nachrichtenformate ehe er im Herbst 2019 zum SWR Fernsehen nach Stuttgart wechselte. Für den Privatsender war Lukas häufig im Ausland unterwegs, in Frankreich, Luxemburg oder Belgien. Nicht verwunderlich, wenn man, wie er selbst sagt, zwischen Printen und Fritten an der deutsch-belgischen Grenze aufgewachsen ist. „Ich habe immer gerne gelesen, viel Fernsehen geschaut, in Zeitungen geblättert und früh gemerkt, dass mir das Produzieren von Texten nicht schwergefallen ist.“

Für den Bachelor zog es ihn 2008 nach Luxemburg. Dort studierte er Europäische Kulturwissenschaften und Geschichte. Den Journalismus behielt er stets im Hinterkopf, gewann an der Universität erste Einblicke in die praktische Medienarbeit. Und doch überwog Skepsis. Möchte ich mich jede Woche neu beweisen? Kann ich mit der Unplanbarkeit dieses Berufs umgehen? Wie komme ich an neue Geschichten? Fragen, die Lukas beinahe in die Öffentlichkeitsarbeit geführt hätten. Der Master in Tübingen sorgte für ein Umdenken und fühlte sich für Lukas mehr wie ein großes Praktikum an, mit Journalisten, die ihm erstmal die Perspektiven dieses Berufs aufzeigten und ihn bereits im Hörsaal hinter die Kulissen einer Redaktion blicken ließen, zahlreiche Praktika folgten. Er gewann Zutrauen zu Fähigkeiten, die schon immer in ihm schlummerten. Und letztlich entschied er sich für den aufregenden Weg, den er seither in seiner ganz eigenen unaufgeregten Weise geht. „Die Möglichkeit zu Scheitern, treibt mich an. Manchmal gehen Dinge vielleicht nicht auf, dann muss man unter Zeitdruck improvisieren. Das macht den Job aber auch sehr abwechslungsreich.“

Öffentlich-rechtlich oder privat?

Über eine viertel Million Menschen werden am Donnerstagabend um 20:15 Uhr einschalten und dabei auch genau hinschauen, was Lukas aus seinem nächsten Gesprächspartner, dem Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, herauskitzeln kann. Mit seiner Teststrategie gehört das Stadtoberhaupt fast schon zum Inventar der politischen Berichterstattung. Entsprechend stolz führt er die SWR-Kollegen durch seine nun wieder gut befüllte Innenstadt. Sie halten an einer Eisdiele, trinken gemeinsam einen Kaffee. Für Lukas kein Grund zu verschnaufen. Ist dieses Modell tatsächlich so ausgeklügelt? Wie wird Betrug verhindert? Und welche Sicherheit erlauben die Schnelltests? Die Sonne scheint Palmer ins Gesicht, während er darum bemüht ist, keine Zweifel am Weg seiner Stadt aufkommen zu lassen. Während die beiden den letzten warmen Schluck Kaffee genießen, nähert sich vorsichtig ein Lokaljournalist. Der nächste Pressetermin für den Tübinger Oberbürgermeister. Lukas wirkt zufrieden, bespricht sich mit seinem Team, lässt das Gespräch nochmals Revue passieren. Es mache Spaß, bei einem solchen Thema auch mal mit vor der Kamera zu stehen und die Gesprächssituation zu zeigen. Das dürfe aber nicht zu Lasten des eigentlichen Themas gehen. „Es darf nicht zum Selbstzweck werden, vor der Kamera zu sein. Solche Aktionen müssen einen Mehrwert haben“.

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Als RTL-Reporter war er dieses Rampenlicht gewohnt, berichtete häufig in Live-Schalten über aktuelle Ereignisse, deren Tragweite sich manchmal noch gar nicht überblicken ließ. Schnelligkeit war Trumpf. So auch beim Brand von Notre-Dame im Jahr 2019. Während es im Dachstuhl der altehrwürdigen Kathedrale noch glühte, musste Lukas bereits ein möglichst authentisches Bild für die vielen Zuschauerinnen und Zuschauer vor den Fernsehgeräten zeichnen. Seine Tätigkeit beim Südwestrundfunk gebe ihm an vielen Stellen dagegen die Zeit, in die Tiefe zu gehen, den eigenen Rechercheweg darzustellen und visuell ansprechendere Filme zu produzieren.
Und doch kann er die meisten Vorurteile gegenüber dem Privatsender nicht nachvollziehen. „Das sind Menschen, die mit oft knappen Ressourcen echt etwas auf die Beine stellen wollten“, erinnert er sich zurück. Die Arbeitsweisen und die gebotene Gründlichkeit seien bei öffentlichem und privatem Fernsehen ähnlich. Das verdeutlicht Lukas an einem sehr eindrücklichen Beispiel. Zwei Jahre nach dem Flugzeugabsturz einer Germanwings-Maschine in den französischen Alpen, berichtete Lukas über einen Gedächtnisgottesdienst für die Hinterbliebenen dieser Tragödie.  In der Gemeinde Le Vernet im südfranzösischen Département Alpes-de-Haute-Provence begegnete er einem älteren Herren, dessen Tochter als Lehrerin in diesem Flugzeug saß. Dieser Mann schenkte Lukas Vertrauen und erzählte ihm seine bewegende Geschichte. „Das hat mich persönlich berührt, dass so jemand, der den Verlust spürt, zwei Jahre später, obwohl er nicht darüber hinweg ist, das Vertrauen und den Mut hat, dieser wildfremden Person eine Geschichte zu erzählen, weil er glaubt, dass ich von dieser Geschichte ehrlich berichte.“ Es brauche großes Fingerspitzengefühl, einerseits keine alten Wunden aufzureißen und dennoch seinen Beitrag nicht aus den Augen zu verlieren. Man müsse eine Haltung entwickeln und dafür seien Ereignisse wie diese, so emotional sie auch sind, sehr wertvoll. Vier Stunden Dreh liegen hinter ihm und den Kollegen. Genug Material, um guten Gewissens die Heimreise anzutreten.
Morgen dreht Lukas in Stuttgart und wird erneut vor der Kamera stehen. Die Landeshauptstadt scheint in Sachen Teststrategie noch weit von Tübinger Verhältnissen entfernt. Die Erfüllung setze erst ein, wenn der Beitrag am Donnerstagabend um 20:15 Uhr im Fernsehen läuft. Vorher sei die Gefahr viel zu groß, dass sich das Puzzle nicht wie geplant füge, man mit leeren Hände dastehe. Doch während Lukas ein letztes Mal durch die Altstadt schlendert, kann man nur schwer glauben, dass ein erfüllender Moment noch zwei Tage auf sich warten lässt.

*Anmerkung der Redaktion:
Daniel Jacob traf Lukas Föhr Anfang des Jahres 2021.